Seit der Einführung der digitalen Signalverarbeitung in Hörgeräten vor etwa 20 Jahren erweitert sich deren Funktionalität kontinuierlich. Im Vordergrund stehen dabei die Verfahren zur Kompensation der pathophysiologischen und psychoakustischen Defizite der unterschiedlichen Arten von Hörstörung.

Hintergrund

Mit der Hörgeräteverstärkung werden (mit aufsteigender Priorität) 3 Ziele verfolgt:

  • Verbesserung der Hörbarkeit durch Hörverlustkompensation,

  • Normalisierung der Lautheitsempfindung im gesamten Dynamikbereich,

  • Verbesserung der Sprachverständlichkeit in Ruhe und v. a. im Störgeräusch.

Die fachärztliche Kompetenz stützt sich bei der Hörgeräteversorgung in erster Linie auf das Verständnis der hörstörungsspezifischen physiologischen und psychoakustischen Defizite und der sich daraus ergebenden notwendigen Wirkungen der Hörgeräte (HG). Nicht in erster Linie eine spezifische Technik, sondern eine spezifische Wirkung zur Erlangung des bestmöglichen unmittelbaren Behinderungsausgleichs unter akustischen Alltagsbedingungen ist dem Patienten sozialrechtlich zugesichert und wird bei entsprechendem Hörverlust mit der Verordnung von HG in die Praxis umgesetzt.

Der Facharzt sollte hier die wirkungsorientierte Aufklärungs‑, Indikations- und Kontrollinstanz im Rahmen der HG-Versorgung ausüben. Mit diesem Wissen kann eine unabhängige medizinische Beratungs- und Kontrollfunktion bis hin zu gutachterlichen Prüfungen der Effektivität einer HG-Versorgung ausgeübt werden, die den Patienten ansonsten in keinem anderen Bereich des Gesundheitswesens zur Verfügung stehen. Dem handwerklich ausgebildeten Hörgeräteakustiker obliegt die richtige Auswahl der technischen Details und Eigenschaften sowie die korrekte Einstellung der HG, die zur Realisierung der notwendigen Wirkungen erforderlich ist.

Sozialrechtliche Grundlage

Da die HG-Versorgung sozialrechtlich einen unmittelbaren Behinderungsausgleich darstellt, ist die Zielgröße nach der Vorgabe durch das Bundessozialgericht (Urteil vom 17.12.2009 – B 3 KR 20/08 R) das Gleichziehen mit der Hörfähigkeit des Normalhörenden unter Alltagsbedingungen. Die dafür notwendigen Wirkungen der HG sind unmittelbar von der Art und dem Umfang der Hörstörung abhängig. Sowohl für die Wirkungsweise von HG als auch für den zu erwartenden Therapieeffekt muss grundsätzlich zwischen Schallleitungsstörungen im Mittelohr, sensorischen Innenohrhörstörungen sowie retrocochleären (neuralen und zentralen) Schwerhörigkeiten unterschieden werden. Näheres zur Indikation der HG-Versorgung ist für gesetzlich versicherte Patienten in der jeweils aktuellen Fassung der Hilfsmittelrichtlinie geregelt (www.g-ba.de/informationen/richtlinien/13/).

Bei der HG-Versorgung muss man von dem Grundzusammenhang ausgehen, dass den Hörgeschädigten die größten Probleme nicht die Verschlechterung der Hörschwelle bereiten, die bis hin zu hochgradigen Hörverlusten schon mit der einfachsten Grundfunktion von HG, der Schallpegelverstärkung, bis kurz vor die Wahrnehmung des Eigenrauschens der HG kompensiert werden kann. Im Vordergrund der Probleme steht vielmehr die verschlechterte Sprachverständlichkeit trotz verbesserter Hörbarkeit, insbesondere in alltagsrelevanten Störgeräuschen [1].

Primäre Problematik ist die verminderte Sprachverständlichkeit

Damit einher geht die Einschränkung der audioverbalen Kommunikationsfähigkeit, die am Ende zu sozialer Isolation führt und im Kindesalter die soziale, psychische, emotionale und intellektuelle Entwicklung gefährdet. Die wichtigste Zielsetzung der HG-Versorgung ist deshalb die weitest gehende Verbesserung des Sprachverstehens unter Alltagsbedingungen, also insbesondere in alltagsrelevanten Störgeräuschen und bei einer großen Variabilität von Sprachpegeln, v. a. auch bei leiser Sprache (Pegel zwischen 45–55 dB SPL), wie sie im Alltag häufig anzutreffen ist [2].

Schallleitungsstörungen

Reine Schallleitungsstörungen im Mittelohr führen im betroffenen Frequenzbereich in erster Linie zu einer konstanten Pegelabschwächung von etwa 50–60 dB für alle Schallpegel im betroffenen Frequenzbereich. Da in diesem Fall die Innenohrfunktion und die neurale Erregungsverarbeitung normal sind, kann ein Schallsignal ähnlich exakt wie bei Normalhörenden wahrgenommen werden, allerdings mit entsprechend niedrigerer Lautstärke. Schon geringe, audiometrisch schwer nachweisbare Schallleitungsstörungen mit einer Pegeldämpfung von nur 10 dB führen zu einer Halbierung der empfundenen Lautstärke, weshalb auch kleinere Schalleitungsstörungen subjektiv als erhebliche Einschränkung der Hörfähigkeit wahrgenommen werden.

Schallleitungsstörungen bewirken nur eine schallpegelunabhängige Lautstärkeverminderung

Der Hörverlust kann unmittelbar durch eine entsprechende konstante, d. h. pegelunabhängige (lineare) HG-Verstärkung kompensiert werden. Theoretisch könnte eine Verstärkung in Höhe der Schallleitungsstörung zur Rekonstruktion einer normalen Hörschwelle und normalen Lautheitsempfindung führen. In der Praxis würde man dann aber auch das Mikrofon- und Verstärkerrauschen der HG permanent wahrnehmen, sodass die praktisch angewendete Verstärkung immer etwas geringer als der Schallleitungshörverlust ist. Da hier der Hörverlust zumeist breitbandig ohne starke Schwankungen verläuft, reichen 4–7 Frequenzkanäle zur frequenzspezifischen Verstärkung aus [3]. Die Sprachverständlichkeit im Störgeräusch ist bei ausreichender Verstärkung nicht eingeschränkt, sodass technische Maßnahmen zur Störgeräuschverminderung (Filterung oder Richtmikrofon) nicht notwendig sind. Für die typischen alltäglichen Kommunikationssituationen ist funktionell ein vollständiger Behinderungsausgleich möglich.

Innenohrschwerhörigkeit

Wesentlich komplexer ist die Situation bei sensorischer Schwerhörigkeit. Störungen der Innenohrfunktion lassen sich meistens auf einen Funktionsausfall der äußeren (ÄHZ) und inneren Haarzellen (IHZ) zurückführen, eine Fehlfunktion der Stria vascularis kann ebenfalls die Funktion beider Arten von Haarzellen beeinträchtigen. Die ÄHZ besitzen Mikromotoreigenschaften [4, 5] und bewirken eine pegelabhängige Verstärkung von Schallschwingungen im Innenohr bei Eingangspegeln <60 dB HL. Bei deren Schädigung und der damit verbundenen Verringerung oder dem Ausfall der Schwingungsverstärkung erhöht sich die Hörschwelle maximal um 40–60 dB [6]. Eine pegelabhängige (nichtlineare) HG-Verstärkung dient hier unmittelbar zur Kompensation der verlorengegangenen pegelabhängigen Innenohrverstärkung und des damit zusammenhängenden Lautheitsausgleichs (Recruitment).

Innenohrschwerhörigkeit führt zu Hörbarkeitsverlust und Deutlichkeitsverlust

Doch mit der Verstärkung allein sind noch nicht alle Funktionsdefizite behoben. Die aktive Schwingung der ÄHZ trägt auch zum guten Zeit- und Frequenzauflösungsvermögen bei, 2 wesentliche Faktoren der hohen Deutlichkeit (Hörgenauigkeit, Differenzierfähigkeit) des normalen Gehörs. Eine Schädigung der ÄHZ führt deshalb sowohl zu einem Hörbarkeitsverlust als auch zusätzlich zu einer Verminderung der Deutlichkeit und der darauf aufbauenden Sprachverständlichkeit [7].

Mehrere Faktoren sind dafür verantwortlich. Eine große Rolle spielt die resultierende Verbreiterung der Wanderwellen [8] und das dadurch verminderte Frequenzauflösungsvermögen [9, 10], das zur stärkeren gegenseitigen Maskierung gleichzeitig vorhandener Schallsignale führt. Zusätzlich üben die ÄHZ durch deren efferente Innervation auch eine Schwingungsdämpfungsfunktion aus, die eine laterale mechanische Dämpfung zwischen den Frequenzkomponenten eines Multitonsignals (z. B. Grund- und Obertöne eines Vokals) und dadurch z. B. eine bessere Vokalerkennung und Unterscheidung bewirkt [11,12,13]. Insbesondere durch das verminderte Frequenzauflösungsvermögen und den Dämpfungsverlust wird die Selektion von Nutzsignalen (zumeist Sprache) aus einem Störgeräuschhintergrund erheblich erschwert [13,14,15]. Zusätzlich führt der Ausfall von ÄHZ auch noch zu einem verminderten Zeitauflösungsvermögen [9] und damit zu Defiziten bei der Umwandlung des Zeitmusters der Schallschwingungen in ein zeitabhängiges neuronales Erregungsmuster, ein weiterer Faktor zur Verminderung der Deutlichkeit. Bei schnell fluktuierenden Störgeräuschen wird dadurch auch die Möglichkeit zur Nutzung des besseren Signal-Rausch-Verhältnisses in kurzen Zeitabschnitten mit geringerem Störgeräuschpegel vermindert, wodurch sich im Vergleich zum guten Zeitauflösungsvermögen von Normalhörenden ein schlechteres Sprachverstehen im fluktuierenden Störgeräusch ergibt [15]. Gleichzeitig wird auch der auf präziser Zeitverlaufsanalyse zwischen den Erregungsmustern beider Hörbahnen basierende Beitrag zum Richtungshören beeinträchtigt.

Durch die Verbreiterung der Wanderwellen werden mit steigender Verstärkung bei gleich großer Schwingungsamplitude der Basilarmembran im Vergleich zum normalen Innenohr deutlich mehr IHZ stimuliert und damit gleichzeitig mehr Nervenfasern rekrutiert. Dies ist ein wesentlicher Beitrag dazu, dass es mit zunehmendem Schallpegel oberhalb der Hörschwelle zu einer größeren Steigerung der Lautheitsempfindung als bei Normalhörenden kommt (Recruitment). Deshalb erreicht auch ein Innenohrschwerhörender trotz Hörverlust bei sehr großen Schallpegeln die gleiche Stärke der Lautheitsempfindung wie ein Normalhörender (Lautheitsausgleich). Die HG-Verstärkung muss aus diesem Grund bei Innenohrschwerhörigkeiten mit zunehmendem Schallpegel kontinuierlich reduziert werden (nichtlineare Verstärkung, Kompression), um eine gleichgroße Lautheitsempfindung wie bei Normalhörenden zu erreichen (Lautheitsnormalisierung).

Durch Ausfall der inneren Haarzellen kommt es zum Informationsverlust

Kann bei Ausfall der ÄHZ die verringerte Innenohrverstärkung unmittelbar durch die HG-Verstärkung kompensiert werden (unmittelbarer Behinderungsausgleich), gelingt dies bei der reduzierten Deutlichkeit nicht mehr. Im Gegenteil, je höher der im Innenohr wirksame Schallpegel ist, desto breiter werden die Wanderwellen und umso schlechter wird das Frequenzauflösungsvermögen [8, 16]. Dieser Effekt ist auch im normalen Innenohr vorhanden, tritt aber bei einem Ausfall der ÄHZ in erhöhtem Maße auf und wird durch die notwendige Schallverstärkung zur Verbesserung der Hörbarkeit noch zusätzlich vergrößert.

Da ein vollständiger Ausfall der ÄHZ zu einem maximalen Hörverlust von 40–60 dB führt [6], muss spätestens bei Innenohrschwerhörigkeiten mit Hörschwellen über 60 dB HL von einem zusätzlichen Ausfall der IHZ, den eigentlichen Sinneszellen zur Umwandlung von Schallschwingung in Nervenerregung, ausgegangen werden. Bei geringeren Hörverlusten können aber durchaus auch beide Haarzelltypen ausgefallen sein. Sogar ohne eine Veränderung der Hörschwelle können nach Lärmbelastung afferente Nervenfasern des N. cochlearis den Kontakt zu den IHZ verlieren und degenerieren [17]. Der Verlust an IHZ und Nervenfasern kann durch die akustische HG-Verstärkung jedoch nicht mehr unmittelbar kompensiert werden. Mit zunehmendem Ausfall an IHZ kommt es insbesondere dazu, dass dauerhaft nicht mehr die vollständige mit dem Schallsignal transportierte Informationsmenge im Innenohr in das auditorische System übertragen werden kann [18].

Fallen zu viele IHZ aus, sodass auch eine optimierte akustische Verstärkung keine ausreichende Verbesserung der Sprachverständlichkeit herbeiführen kann, sollte die Anwendung einer direkten elektrischen Stimulation des Hörnervs mithilfe eines Cochleaimplantats (CI) erwogen werden. Gleichzeitig werden auch die mit jeder IHZ verbundenen afferenten Hörnervenfasern nicht mehr erregt, was auf Dauer zu einer Degeneration dieser Faseranteile führt und nach langjährigem Ausfall auch die zu erwartenden Rehabilitationsergebnissen mit CI stark vermindern kann. Zu der notwendigen differenzierten Aufklärung von Patienten im Hinblick auf eine CI-Versorgung gehört auch die Tatsache, dass mit keiner derzeit verfügbaren und in absehbarer Zeit zu erwartenden CI-Technologie die Genauigkeit und Deutlichkeit eines Normalgehörs mit etwa 3500 IHZ durch die elektrophysiologischen Wirkungsgrenzen von 12–22 CI-Elektroden erreicht werden kann.

Da ein Hörgerät ein geschädigtes Innenohr nicht heilen kann, bleibt folglich die durch den Haarzellverlust entstandene Verschlechterung der Deutlichkeit auch mit Hörgerät bestehen und wird sogar durch die zusätzliche Reduzierung des Frequenzauflösungsvermögens in Folge der verstärkten hohen Schallpegel noch weiter verschlechtert. Durch die hörverlustabhängige notwendige Verstärkung zur Verbesserung der Hörbarkeit ist ein Hörgeschädigter gezwungen, akustische Signale bei einem deutlich höheren Pegel und damit breiteren Wanderwellen im Innenohr zu verarbeiten als ein Normalhörender. Der doppelte Deutlichkeitsverlust (Haarzellausfall und verbreiterte Wanderwellen) vermindert die Sprachverständlichkeit im Störgeräusch bei gleichem Signal-Rausch-Verhältnis gegenüber dem deutlicheren und damit auch trennschärferen Gehör eines Normalhörenden ganz erheblich. Der Gewinn an Sprachverständlichkeit mit Hörgerät resultiert deshalb in erster Linie aus der Verbesserung der Hörbarkeit der akustischen Sprachinformationsanteile in Ruhe, auch wenn aufgrund der weiterhin reduzierten Deutlichkeit nicht alle Sprachsignale vollständig identifizierbar und diskriminierbar sind.

Die verbesserte Sprachverständlichkeit in Ruhe ist die Hauptwirkung einer Hörgeräteversorgung

Da bei Innenohrschwerhörigkeiten der Verlauf der Hörschwelle häufig stark frequenzabhängig ist, ist zur Maximierung der Hörbarkeit eine möglichst frequenzspezifische Verstärkung unerlässlich. Dazu wird eine Unterteilung der Verstärkung in mehrere Frequenzbänder (Kanäle) vorgenommen. Für die damit erzielbare Optimierung der Hörbarkeit in Ruhe reichen für die typischen Tonaudiogrammverläufe 9 Kanäle aus [19]. Die Sprachverständlichkeit in Ruhe ist im Mittel mit 8 Kanälen nahezu maximal [20]. Bei der Vielkanalverstärkung ist zu beachten, dass die Zerlegung von Sprache in einzelne Frequenzbänder, die bandspezifische Verstärkung und das anschließende Rückumwandeln der kanalspezifischen Information zu einem vollständigen Sprachsignal immer nur mit Verarbeitungsfehlern realisierbar ist. Je mehr Frequenzbänder verwendet werden, umso stärker treten die Verarbeitungsfehler als weiterer Beitrag zur Undeutlichkeit in Erscheinung.

Da sich also durch die Deutlichkeitsverluste die Sprachverständlichkeit insbesondere im Störgeräusch gegenüber einem Normalgehör erheblich verschlechtert, ist hier eine Reduzierung des Störgeräuschpegels relativ zum Sprachpegel und damit eine Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses unerlässlich. Ist eine Verminderung des Störgeräuschpegels an der Schallquelle oder ein räumliches Entfernen (Abstandsvergrößerung) von der Störgeräuschquelle nicht möglich, muss dies im HG erfolgen. Dazu sind Verfahren zur Störgeräuschfilterung („digital noise reduction“) durch Absenkung der Verstärkung in den einzelnen Frequenzkanälen, in denen akut keine Sprachsignale festgestellt werden, möglich. Dabei darf aber in Frequenzkanälen, die Sprachsignale beinhalten, die Verstärkung nicht reduziert werden, es sei denn, in den betroffenen Kanälen ist das Signal-Rausch-Verhältnis besonders schlecht.

Deshalb kann mithilfe der Störgeräuschfilterung in der Praxis keine relevante Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses in den Sprachfrequenzbereichen erreicht werden und folglich auch keine Verbesserung der Verständlichkeit. Somit verbleiben auch die vorrangigen Probleme einer stark verminderten Verständlichkeit insbesondere in breitbandigen Störgeräuschen oder wenn sich das Störgeräusch selber aus Sprache von Störsprechern zusammensetzt bestehen. Dennoch kann eine mehrkanalige Störgeräuschfilterung für den HG-Träger eine Verminderung der Lästigkeit von Störgeräuschen bieten, die Konzentration auf die Nutzsignale erleichtern und die Höranstrengung vermindern und damit auch zu einem intensiveren Trageverhalten führen.

In Bezug auf die notwendige Anzahl von Frequenzkanälen zur Störgeräuschfilterung kann keine pauschale Aussage gemacht werden. Im Störgeräusch können durchaus mehr Kanäle als in Ruhe erforderlich sein um die akustischen Eigenschaften der Schallsignale genauer analysieren und eine Filterung unerwünschter Schallanteile präziser durchführen zu können. Die Wirksamkeit der Frequenzfilterung hängt aber andererseits auch direkt von der Art der mathematischen Verfahren zur Erkennung und Differenzierung zwischen Nutz- und Störsignalen und der Stärke der Filterung in Relation zur hörbaren Sprachqualität ab. Die konkreten mathematischen Verfahren zur Frequenzfilterung werden aus Konkurrenzgründen nicht im Detail veröffentlicht, sodass deren Wirksamkeit allein aufgrund der Prospektangaben zur Kanalzahl nicht abgeschätzt und differenziert werden kann.

Richtmikrofone sind die wirkungsvollste Maßnahme zur Störgeräuschreduktion

Erheblich wirksamer als die begrenzten Möglichkeiten zur effektiven Verbesserung der Sprachverständlichkeit durch Störgeräuschfilterung ist die Verwendung von Richtmikrofonen. Damit ist es möglich, jegliche Art von Schallsignalen außerhalb eines Vorzugsrichtungsbereichs deutlich zu vermindern. Mit Richtmikrofonen lassen sich unter Alltagsbedingungen Verbesserungen der Sprachverständlichkeitsschwelle fließender Sprache (Signal-Rausch-Verhältnis für 50 % Verständlichkeit) von 2–4 dB oder absolute Verbesserungen des Sprachverstehens in der Höhe von 20–30 Prozentpunkten erzielen [21].

Richtmikrofone mit fester Richtcharakteristik reduzieren die Schallpegel v. a. von hinten stark und von der Seite moderat gegenüber dem Winkelbereich der Vorzugsrichtung von vorn (etwa ±40°). Der größte Gewinn an Sprachverständlichkeit wird deshalb erzielt, wenn Sprache von vorn und ein Störgeräusch von hinten kommt. Die Richtwirkung kann sich auch adaptiv an die Richtung des größten Sprachpegels oder höchsten Störgeräuschpegels anpassen. Die akustische Analyse der Umgebung kann dabei auch kanalspezifisch erfolgen und eine frequenzspezifische Richtwirkung einstellen. Die neuesten Entwicklungen stellen Verfahren zur binauralen Störgeräuschunterdrückung dar, bei denen z. B. beide HG durch eine Funkverbindung miteinander in Verbindung stehen und durch eine Analyse der beidseitigen Mikrofonsignale eine Unterdrückung seitengleicher Störsignale durchgeführt wird [22].

In der Praxis werden die beiden Verfahren zur Störgeräuschreduktion, Filterung und Richtwirkung, kombiniert eingesetzt. Da ihre Wirkung aufgrund nur oberflächlicher, marketingorientierter technischer Prospektangaben individuell quantitativ nicht ausreichend vorhergesagt werden kann, ist eine individuelle audiometrische Testung unterschiedlicher Geräte und Verfahren zur Optimierung der Verständlichkeit im Störgeräusch, wenn möglich, in realistischen Schallfeldern unerlässlich. Dies gilt umso mehr in gutachterlichen Untersuchungen.

Die Störschallreduzierung kann, wenn sie nicht permanent aktiviert sein soll, in eigenen Hörprogrammen am Hörgerät per Tastendruck oder mit einer Fernbedienung nach eigener Einschätzung der Situation eingeschaltet werden. Wer zu einer selbständigen, sinnvollen und zielgerichteten Umschaltung zwischen festen Hörprogrammen nicht in der Lage ist, kann eine automatische Optimierung in Abhängigkeit von der akustischen Umgebungsbedingungen durch ein Klassifikationssystem verwenden, das permanent die Mikrofonsignale anhand der akustischen Parameter auswertet. Auf der Basis von empirischen Regelwerken können damit die Verstärkungsparameter der Vielkanalverstärkung dynamisch an die Höhe des Störsignalpegels und die Arbeitsweise der Störgeräuschunterdrückung in Abhängigkeit von der Art und akustischen Parameter des Störsignals angepasst werden. Eine solche Automatik kann individuell bei manuell eingeschränkten oder kognitiv nicht ausreichend leistungsfähigen Patienten (Kinder, Senioren, bei pathologischer kognitiver Beeinträchtigung) die einzige Möglichkeit für den sozialrechtlich geschuldeten bestmöglichen Behinderungsausgleich unter Alltagsbedingungen darstellen, sodass die Automatikgeräte dann kostenlos zur Verfügung gestellt werden müssen.

Bei der Innenohrschwerhörigkeit ist ein vollständiger Behinderungsausgleich nicht möglich

Bei der häufigsten Art von Schwerhörigkeiten, der Innenohrschwerhörigkeit, muss man sich abschließend jedoch mit der Tatsache auseinander setzen, dass Funktionsdefizite durch erhebliche Haarzellverluste grundsätzlich nicht mehr im Sinne eines vollständigen Behinderungsausgleichs behebbar sind. Solange eine wirksame Haarzellregeneration und Neukontaktierung durch neuaussprießende Hörnervenfasern klinisch nicht möglich ist, kann die Wiedererlangung der Fähigkeiten eines Normalhörenden mit HG nicht mehr im vollen Umfang erreicht werden.

Retrocochleäre Schwerhörigkeit

Hinter retrocochleären (neuralen) Hörstörungen verbergen sich häufig ernste Krankheitsbilder, wie z. B. eine Neuropathie des Hörnervs, multiple Sklerose oder Nerven- bzw. Hirnstammtumoren. Die Behandlung dieser Erkrankung nimmt für die betroffenen Patienten im Vergleich zur Hörgeräteversorgung die höhere Priorität ein.

Erkrankungen oder Schädigungen des Hörnervs führen in erster Linie zu einer sehr starken Verzerrung bei häufig nur begrenztem Hörverlust. Schädigungen des Hörkortex, z. B. nach Schlaganfall oder Unfall, bewirken v. a. Schwierigkeiten bei der Erkennung von Schallsignalen, die bis zu einer funktionellen Taubheit führen können. In beiden Fällen sind HG oder auch ein CI nur sehr begrenzt hilfreich, da deren wesentliche Wirkung die Verbesserung der Hörbarkeit durch die Kompensation des Hörverlusts ist. Individuell kann aber mit einer wirksamen Störgeräuschreduktion eine spürbare Verbesserung der Sprachverständlichkeit im Alltag erreicht werden.

Fazit für die Praxis

  • Die Schallpegelverstärkung als zentrale Wirkung von Hörgeräten (HG) führt lediglich bei Schallleitungsstörungen zu einem weitgehenden Ausgleich der Folgen der Schwerhörigkeit.

  • Bei Innenohrschwerhörigkeiten bestehen zusätzlich zum Empfindlichkeitsverlust mit erhöhten Hörschwellen eine relevante Undeutlichkeit durch den Ausfall von äußeren und inneren Haarzellen, die durch HG nicht unmittelbar verbessert werden kann.

  • Die dadurch wesentlich beeinflusste Verminderung der Sprachverständlichkeit führt insbesondere im Störgeräusch zu erheblichen Problemen trotz Verbesserung der Hörschwellen.

  • Deshalb sind hier unbedingt Maßnahmen zur Verminderung der Störgeräuschpegel wie Störgeräuschfilterung und Richtmikrofone notwendig, um die bestmögliche Verständlichkeit unter Alltagsbedingungen zu erzielen.

  • Letzteres gilt insbesondere auch für retrocochleäre Hörstörungen, deren wesentliche perzeptive Komponente eine erhebliche Undeutlichkeit des Hörens darstellt.