Zusammenfassung
Hintergrund
Diese Studie untersucht den Einfluss der Festbetragsverdoppelung bei der Hörgeräteversorgung durch die gesetzlichen Krankenkassen auf die Höhe der Zuzahlungen, die Compliance, den Nutzen und die Zufriedenheit für die Patienten.
Methoden
Im April 2014 wurden 859 Versicherte einer Krankenkasse (hkk), die in den 6 Monaten vor der Reform Hörgeräte erhielten, und im Oktober 2014 weitere 622 Versicherte, die in den 8 Monaten nach dem Inkrafttreten der neuen Regelungen Hörgeräte erhielten, schriftlich standardisiert zu den zeitlichen und finanziellen Umständen dieser Versorgung sowie zur Therapietreue und Ergebnisqualität befragt. Die Fragen zur Hörqualität entsprachen weitgehend denen des APHAB-Fragebogens (Abbreviated Profile of Hearing Aid Benefit).
Ergebnisse
Das Projekt zeigt zwar einen statistisch signifikanten Rückgang des Anteils der Hörgeräteträger, die überhaupt einen Eigenanteil zahlen mussten, um 6 Prozentpunkte von 80,6 % auf 74,1 %. Fast 40 % dieser Versicherten zahlten jedoch weiterhin einen Eigenanteil von 1.000 EUR und mehr. Die subjektive Hörqualität verbesserte sich durch die Reform praktisch nicht und hing statistisch fast durchweg nicht davon ab, ob ihre Träger teure Geräte mit hohen Eigenanteilen oder solche zum Festbetrag nutzten. Die Studie bestätigt schließlich ein bereits früher erkanntes Nutzungsverhalten, das durch Noncompliance geprägt ist. Zum Beispiel trugen rund 40 % aller Hörgeräteträger ihr Gerät im Alltag nicht. Dieses war abhängig von der Höhe der Zuzahlung und dem Zeitpunkt des letzten Besuchs beim Hörgeräteakustiker.
Schlussfolgerung
Drei Viertel der Patienten zahlen trotz Festbetragsverdoppelung zum Teil hohe Eigenanteile. Die subjektive Hörqualität verbessert sich durch die Festbetragsverdoppelung nicht, die Mehrheit beklagt weiterhin große Probleme beim Hören unter schwierigen Bedingungen (in Umgebungen mit Störgeräuschen oder Nachhall). Die Zufriedenheit mit der Hörqualität ist weder von der Festbetragsverdoppelung noch davon abhängig, ob Eigenanteile bezahlt wurden oder nicht. Die Compliance ließe sich möglicherweise durch eine strukturierte Nachsorge verbessern, die sowohl durch die verordnenden HNO-Ärzte sowie Phoniater und Pädaudiologen als auch die Hörgeräteakustiker geleistet werden sollte.
Abstract
Background
This study investigates the effect that doubling the standard rate for hearing aid fitting which is covered by statutory insurance has had on the size of excess payments and compliance, as well as on benefits for patients and their satisfaction.
Methods
In April 2014, 859 members of a statutory insurance scheme (hkk) who received hearing aids in the 6 months prior to the reform were questioned on the timing and financial details of their hearing aid fitting, as well as on treatment compliance and quality of the results using a standardized questionnaire. In October 2014, the same questionnaire was used to collect these data from a further 622 insurance holders who had received hearing aids in the 8 months following introduction of the new regulation. Most of the questions concerning hearing quality corresponded to those of the Abbreviated Profile of Hearing Aid Benefit (APHAB) questionnaire.
Results
The project revealed a statistically significant decrease of 6 percent points in the proportion of hearing aid users who had to pay any excess whatsoever; from 80.6 % to 74.1 %. However, 40% of the insured persons continued to pay an excess of 1000 euros and more. The subjective hearing quality remained practically unimproved by the reform and was statistically, almost without exception, independent of whether hearing aid users wore expensive devices associated with a large excess, or devices available at the standard rate. Finally, the study confirmed a previously recognized usage pattern characterized by noncompliance. For example, approximately 40% of hearing aid users did not wear their device in the everyday environment. This observation was independent of the size of the excess and the timing of the most recent visit to the hearing aid acoustician.
Conclusion
Despite doubling of the standard rate, three quarters of patients pay an excess—sometimes a substantial one. The subjective hearing quality was not improved by doubling the standard rate; the majority of patients continue to complain of considerable problems with hearing in difficult situations (environments with background or reverberant noise). Satisfaction with hearing quality is neither dependent on the doubling of the standard rate, nor on whether or not an excess was paid. Compliance may possibly be improved by structured follow-up, which should involve the prescribing otorhinolaryngologists, as well as phoniatrists, pedaudiologists, and hearing aid acousticians.
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Hintergrund
Schwerhörigkeit ist ein weit verbreitetes Symptom. Betroffen sind etwa 19–27 % der erwachsenen Bevölkerung [1–5]. Die zugrunde liegenden Erkrankungen sind vielfältig und bedürfen grundsätzlich einer fachärztlichen Diagnostik [6]. Nur so lassen sich schwerwiegende Schäden für den Patienten und Fehlinvestitionen der Kostenträger vermeiden [7–9]. Eine unbehandelte Schwerhörigkeit erhöht das Risiko, eine Demenz zu entwickeln [10], an einer Depression zu erkranken [11], eine Sturzkrankheit zu entwickeln [12] oder einen kognitiven Leistungsverlust zu erleiden [13]. Die volkswirtschaftlichen Folgekosten einer unbehandelten Schwerhörigkeit belaufen sich in Deutschland auf etwa 2–2,65 Mrd. EUR pro Jahr [14]. In vielen Fällen kann nach einer entsprechenden Diagnostik eine Hörgeräteversorgung den Hörverlust ausgleichen. Allerdings sind derzeit nur etwa 16 % der bedürftigen Personen tatsächlich mit Hörgeräten versorgt [1].
Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Hörhilfen von Hörgeräteakustikern stiegen von rund 584 Mio. EUR im Jahr 2013 auf 702,5 Mio. EUR allein in den ersten 3 Quartalen des Jahres 2014 [15, 16]. Hinzu kommen noch private Eigenanteile ähnlicher Größenordnung [14, 15], also ein gesamtes Kostenvolumen von bis zu 2 Mrd. EUR pro Jahr.
Ab November 2013 wurden zwischen dem Spitzenverband der GKV (Spibu GKV) und der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (biha) neue, doppelt so hohe Festbeträge wie zuvor geltend vereinbart, welche die GKV-Kassen im Rahmen einer Hörgeräteversorgung zahlen [17, 18]. Ziel war, die als Rentenbezieher oft geringer bemittelten Hörgeräteträger von einem Teil der Eigenanteile der Hörgeräteträger zu entlasten und den möglichst zuzahlungsfreien Erhalt qualitativ hochwertiger, teurerer Geräte zu ermöglichen.
Ziel dieser Studie war, durch eine Vorher-nachher-Befragung herauszufinden, wie sich durch den neuen Vertrag im Alltag die Compliance, Ergebnisqualität und die Höhe von Zuzahlungen verändert haben. Unter der Annahme, dass das Verhalten und die Hörwahrnehmungen von Hörgeräteträgern keine erheblichen regionalen Unterschiede aufweist, sind die Studienergebnisse auch bundesweit repräsentativ.
Methoden
Im April 2014 wurden 859 erwachsene Versicherte (ohne Pflegestufe oder Betreuer) der gesetzlichen Krankenkasse hkk, die zwischen Mai und Oktober 2013, (alter Festbetrag, Kohorte-1-Befragung) mittels eines 4-seitigen Fragebogens mit 14 Frageblöcken (Tab. 1) schriftlich zu Erfahrungen mit ihrer Hörgeräteversorgung befragt. Den gleichen Fragebogen erhielten im Oktober 2014 weitere 622 erwachsene Versicherte, die zwischen November 2013 und Juni 2014 Hörgeräte erhalten hatten (verdoppelter Festbetrag, Kohorte-2-Befragung). Die Befragten der ersten Kohorte erhielten ein Erinnerungsschreiben, die der zweiten Kohorte wegen des geringen Effekts einer Erinnerung in der ersten Befragung nicht.
Die statistischen Analysen erfolgten für beide Kohorten bivariant, differenziert nach der Altersstruktur, der Bezahlung eines Eigenanteils und nach der Höhe dieses Eigenanteils und überprüften die Signifikanz der Unterschiede mittels des χ2-Tests. Das Signifikanzniveau wurde eine Irrtumswahrscheinlichkeit von < 5 % festgelegt. Die statistischen Analysen wurden mit dem sozialwissenschaftlichen Standardprogramm SPSS 16 durchgeführt.
Ergebnisse
Allgemeine Daten
Mit insgesamt 668 antwortenden Hörgeräteträger in der Vorher-Kohorte und 320 Antwortenden in der Nachher-Kohorte waren die Teilnahmequoten für sämtliche Analysen sehr gut bis gut (Rücklaufquoten 77,8 % und 51,4 %) und können als repräsentativ für die beiden Hörgeräteträgergruppen gewertet werden.
Das Durchschnittsalter der Befragten in der ersten Kohorte betrug 72 Jahre (Median 74 Jahre; Standardabweichung 11,77) und in der zweiten Kohorte 71 Jahre (Median 73; Standardabweichung 11,21).
Entschlusszeitraum
Von denjenigen, die sie an den fraglichen Zeitraum erinnerten, brauchten fast 50 % länger als 18 Monate, um sich für das Tragen von Hörgeräten zu entschließen. Die gleiche Länge bestand für diesen Zeitraum auch bei Personen, die ein zweites Mal oder häufiger Hörgeräte erhielten. Ebenso war bei den Trägern der dritten oder vierten Geräte der Entschlusszeitraum fast so groß (45,7 %) wie bei den Erstträgern (52,1 %).
Anpasszeitraum
Bei etwa einem Drittel der Befragten beider Kohorten waren die Geräte innerhalb des ersten Monats angepasst. Der größte Teil der Geräteträger beider Kohorten schaffte dies innerhalb des zweiten und dritten Monats nach Erhalt des Geräts. Zwischen knapp 8 und 14 % der Befragten gaben an, länger als 6 Monate oder sogar bis zum Befragungszeit über kein optimiertes Gerät verfügt zu haben.
Insgesamt nahm die Gruppe der Nutzer, die höchstens 3 Monate auf eine optimale Anpassung warten musste, zwischen den beiden Befragtengruppen deutlich von 79,5 % auf 69,2 % ab.
Kontakte zum HNO-Arzt und Hörgeräteakustiker
Bei geringen Kohortenunterschieden lag bei 55–60 % der Befragten der letzte Kontakt zu einem HNO-Arzt 4 Monate oder länger zurück. Dagegen war der letzte Kontakt zu einem Hörgeräteakustiker nur bei 25–30 % der Befragten mindestens 4 Monate her.
Höhe der Zuzahlungen
Der Anteil der Hörgeräteträger, die überhaupt einen Eigenanteil bezahlt hatten, sank statistisch signifikant von 80,6 % in der ersten Kohorte vor auf 74,1 % nach der Verdoppelung des Festbetrags. Spürbarere Veränderungen zeigten sich im Vorher-nachher-Vergleich bei der Höhe der gezahlten Eigenanteile. So nahm der Anteil der Befragten, der über 2000 EUR Eigenanteil bezahlen musste, am stärksten von 25,5 % vor der Erhöhung des Festbetrags auf 13,7 % danach ab. Entsprechend stieg der Anteil der Befragten, die weniger als 500 EUR Eigenanteil zahlten, von 30,3 % auf 44,4 % an. Der Anteil der Befragten mit einem Eigenanteil von 1000 bis 2000 EUR nahm praktisch nicht ab. Fast 40 % aller Hörgeräteträger (vorher 51,6 %) bezahlten weiter einen Eigenanteil von 1000 EUR und mehr. Nicht erfasst wurde, für welche Gerätemerkmale Zuzahlungen geleistet wurden.
Compliance
Wie bei jeder Therapie ist die Compliance der Patienten eine entscheidende Größe für die Wirkung und Ergebnisqualität. Die Hörbahn kann nur trainiert werden, wenn Hörgeräte überwiegend ganztägig getragen werden.
41,2 % (Kohorte 1) bzw. 40 % (Kohorte 2) der befragten Hörgeräteträger gaben uneingeschränkt an, ihr Hörgerät auch außer zum Schlafen zu entfernen. Eher selten machten dies weitere 34,1 % bzw. 32,8 % und nie lediglich 34,1 % und 32,8 %. Ob die Befragten einen Eigenanteil zahlten oder nicht, wirkte sich nicht signifikant auf die mangelnde Compliance aus. Wenn die Befragten aber einen Eigenanteil bezahlt hatten, hing die Häufigkeit von Noncompliance signifikant von der Höhe des Betrags ab. War dieser niedrig, entfernten die Befragten beider Kohorten signifikant (p = 0,004) häufiger ihr Hörgerät als bei hohen Eigenanteilen: Von denen, die unter 50 EUR bezahlten, machten dies 60,8 %, von den Personen mit über 2000 EUR Eigenanteil 35,4 %. Beim nonadhärenten Verhalten der Hörgeräteträger gab es keine signifikanten altersspezifischen Unterschiede. Der zeitliche Abstand zum letzten Facharzt- oder Hörgeräteakustikerkontakt wirkte sich unterschiedlich auf die Compliance aus: Je länger der letzte Kontakt mit einem Hörgeräteakustiker zurücklag, desto höher war der Anteil der Befragten, die ihr Gerät entfernten. Der Wert stieg statistisch signifikant (p = 0,029) von 38,8 % bei einem Abstand von unter einem Monat bis auf 52 %, wenn der Kontakt länger als 6 Monate her war. Keinen signifikanten Zusammenhang gab es dagegen mit der Zeit, die seit dem letzten Kontakt mit einem HNO-Arzt verstrichen war. Der Anteil nonadhärenter Patienten sank leicht zwischen den zeitlichen Eckwerten von 44,5 % auf 42,1 %.
Unter den 3 abgefragten Gründen spielt nur die Erfahrung, das Gerät funktioniere in bestimmten Situationen nicht richtig oder störe den Träger, eine quantitativ beträchtliche Rolle. Dieser Grund wurde von 47,8 % derjenigen genannt, die in beiden Kohorten (wegen der geringen Unterschiede werden hierfür die Werte zusammengefasst) uneingeschränkt bejahten, ihr Gerät entfernt zu haben.
Ergebnisqualität
Die Ergebnisqualität einer Hörgeräteversorgung wird nicht nur objektiv durch Hörtests, sondern auch subjektiv ermittelt [19–21]. Dafür wird in Deutschland der im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) verankerte APHAB-Fragebogen eingesetzt (Abbreviated Profile of Hearing Aid Benefit (APHAB); [22–28]).
In insgesamt 13 an den APHAB angelehnten Fragen (vgl. dazu Tab. 2) wurden die Hörgeräteträger gefragt, wie sie mit 4 verschiedenen Geräuschsituationen zurechtkommen, wie problemlos das Hören an 5 unterschiedlichen Orten ist und wie sie mit 4 unterschiedlichen Geräuschen umgehen. Die Befragten konnten auf einer Skala von „immer“ über „häufig“ und „selten“ bis „nie“ antworten.
Für die in der Tab. 3 dargestellten Ergebnisse wurde geschaut, wie oft jeder Befragte die 13 abgefragten Hörerfahrungen als uneingeschränkt problemlos oder nichtstörend bezeichneten bzw. wahrgenommen hatten (Antwortmöglichkeit „immer“). Aus den Antworten wurde für jeden Befragten ein Summenwert gebildet und daraus 3 Ausprägungen der Ergebnisqualität gebildet. Die Hör-Ergebnisqualität der Befragten, die keine der Hörsituationen als problemlos bewerteten oder keinem der abgefragten Hörereignisse immer folgen konnten, wurde als „vollständig eingeschränkt“ bewertet. Wer mit 1–5 der Situationen ohne Probleme zurechtkam, wurde dem Typ „erheblich oder häufig eingeschränkt“ zu geordnet. Die Befragten, die bei 6–13 der Situationen „immer“ keine Probleme hatten, bildeten schließlich den Typ „kaum bis überhaupt nicht eingeschränkt“.
Nach der an der APHAB-Klassifikation ausgerichteten Zusammenfassung der 13 Fragen in 4 Unterbereiche der Hörerfahrung und der Differenzierung nach der Befragungskohorte, der Zahlung oder Nichtzahlung eines Eigenanteils sowie der Altersstruktur, bietet die Tab. 3 verschiedene Einblicke in die Ergebnisqualität.
Erstens war die Ergebnisqualität beim Hören in einfachen Situationen (EC-Skala) in beiden Kohorten unabhängig von der Zahlung eines Eigenanteils am besten, d. h. kaum oder nicht eingeschränkt. Zweitens bewerteten erheblich weniger Personen ihre Hörerfahrung unter dem Einfluss von Hintergrundgeräuschen (BN-Skala) als kaum oder nicht eingeschränkt. Drittens sieht die Ergebnisqualität beim Hören in Räumen mit Hall oder Echo (RV-Skala) am schlechtesten aus. Viertens war das Hörempfinden von lauten Geräuschen (AV-Skala) bei fast 30 % der Patienten kaum oder nicht eingeschränkt und bei etwa der Hälfte der Befragten vollständig eingeschränkt. Fünftens kann mit kleinen Einschränkungen die Frage, ob sich die Nutzung teurerer Geräte auf die subjektive Ergebnisqualität auswirkte, verneint werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass teuerere und nach den expliziten oder impliziten Werbeversprechen der Gerätehersteller und -händler auch bessere Geräte nur mit dem höheren Festbetrag bzw. mit einem Eigenanteil erhältlich sind. Trotz einiger Häufigkeitsunterschiede gab es mit Ausnahme der AV-Skala in der Kohorte 1 und der EC-Skala in der Kohorte 1 keine statistisch signifikanten Unterschiede bei der Ergebnisqualität bei Bezahlern oder Nichtbezahlern eines Eigenanteils.
Diskussion
Entscheidungszeitraum
Der nachgewiesene, geschlechtsunspezifische Zeitraum von mehr als 18 Monaten vom ersten Symptom bis zum Entschluss, Hörgeräte zu verwenden, ist in der Mehrzahl der Fälle dieser Studie zu lang und durch die Verdoppelung der Festbeträge nicht geringer geworden. Möglicherweise ist die Angst vor einer Stigmatisierung (durch das Tragen eines sichtbaren Hörgeräts) schwerwiegender als der Leidensdruck infolge der Schwerhörigkeit. Die dadurch bedingte Latenz zwischen Bedarf von und Entscheidung zur Nutzung von Hörgeräten soll nachteilige Folgen für das zentrale Nervensystem bewirken, da nichtstimulierte kortikale Areale durch Reorganisation verloren gehen [29]. Außerdem gewöhnen sich die Betroffenen nachteilige Kompensationsstrategien an, z. B. das Vorgeben eines Verstehens, kommunikatives Rückzugsverhalten oder Isolation [30].
Anpasszeitraum
Der Anteil der Patienten, der innerhalb von 3 Monaten optimal angepasste Hörgeräte erhielt, verringerte sich nach der Festbetragsverdoppelung. Möglicherweise erfordert die bessere Technik eine längere Erklär- und Eingewöhnungsphase. Dieses ließe eine erhöhte Konsultation von Hörgeräteakustikern und Fachärzten erwarten. Das Gegenteil war der Fall.
Kontakte zum HNO-Arzt und Hörgeräteakustiker
Die Anzahl der Kontakte zum Hörgeräteakustiker hat in der Kohorte 2 gegenüber der Kohorte 1 abgenommen, die hochwertigere Technik führte also nicht zu mehr Betreuung, im Gegenteil. Eine strukturierte Einbeziehung der Fachärzte, wie sie nach den Vorgaben der Hilfsmittelrichtlinie [31] und des EBM inklusive der zugehörigen Qualitätssicherungsvereinbarung [32] besteht, wäre eine sinnvolle Möglichkeit, die mit Hörgeräten versorgten Patienten intensiver enger zu begleiteten, nicht zuletzt, um medizinische Komplikationen und Zweiterkrankungen rechtzeitig erkennen zu können [33].
Höhe der Zuzahlungen
Als Erfolg der Festbetragsverdoppelung ist zu werten, dass der Anteil der eigenanteilsfreien Hörgeräteträger in der Kohorte 2 signifikant gestiegen ist. Trotz der Verkleinerung der Eigenanteilsgruppe um 6 Prozentpunkte zahlten rund 75 % der Patienten weiterhin einen Eigenanteil. Unklar ist, wofür diese Zuzahlungen geleistet wurden (optische Effekte oder technische Funktionen, die in audiologischer Sicht sehr sinnvoll sein können). Dieses muss künftig unbedingt weiter geklärt werden.
Compliance
Ob ein Eigenanteil bei der Hörgeräteversorgung von den Patienten bezahlt wurde oder nicht, hat primär keinen Einfluss auf die Compliance. Unter der Voraussetzung, dass ein Eigenanteil gezahlt wurde, ist die Compliance jedoch sehr wohl von der Höhe der Zuzahlung abhängig. Ob dies auf monetären Anreizen beruhte, an der besseren Qualität der Geräte mit hohen Eigenanteilen lag oder z. B. die Beratung bei teuren Geräten mit hohem Eigenanteil besser war, lässt sich mit den Daten dieser Untersuchung nicht beantworten, ist aber untersuchungswürdig. Denkbar ist auch, dass Zuzahlungen für audiologisch sinnvolle Zusatzfunktionen geleistet wurden und so die Compliance verbesserten.
Ist das Nichttragen von Hörgeräten bei bestimmten sportlichen Aktivitäten noch nachvollziehbar, so ist dieses in den über 50 % der Fälle beim Alleinsein oder der Hausarbeit audiologisch nicht sinnvoll. Nur durch das permanente Hören auch unerwünschter oder akustisch unbedeutender Geräusche wie das Rascheln einer umgeblätterten Zeitung oder das Klappern von Geschirr sind für die Hörbahn physiologische und sinnvolle Reize nutzbar. Dramatisch ist die Begründung von 50 % der Befragten, dass die Hörgeräte in bestimmten Situationen störten oder nicht funktionierten. Bei nur einem geringen Teil ist dieses auf mangelnde Erinnerung an die Erläuterungen durch den Hörgeräteakustiker zurückzuführen. Der Wert korrelierte jedoch mit dem Zeitraum, der seit dem letzten Besuch beim Hörgeräteakustiker vergangen war. Dieses weist darauf hin, dass – neben regelmäßigen HNO-ärztlichen Kontrollen – auch gerätetechnische Funktionsüberprüfungen in bestimmten Intervallen essenziell sind.
Ergebnisqualität
Durch eine Verdoppelung der Festbeträge kam es nicht zu einer Verbesserung der Ergebnisqualität in einfachen Hörsituationen in der modifizierten EC-Skala. Zwar wiesen zuzahlungspflichtige Geräte bessere Werte auf, jedoch nahm der Anteil bei den zuzahlungsfreien Hörgeräten nach der Verdoppelung, die mit der Bereitstellung einer deutlich besseren Technik verbunden war, nicht zu. Über die Gründe kann nur spekuliert werden, denkbar wären z. B. eine suboptimale Programmierung, eine zu geringe Tragedauer der Hörgeräte oder der Erwerb von in dieser Hinsicht nicht nutzbringenden Zusatzfunktionen.
Weder ergaben Zuzahlungen noch die Festbetragsverdoppelung einen Nutzen in schwierigeren Hörsituationen der BN-Skala und der RV-Skala des APHAB. Besonders schlecht war die Situation beim Hören in hallender Umgebung oder mit Echo (RV-Skala). Dieses wäre durch mangelnde Übung wegen der geringen Häufigkeit im Patientenalltag zu erklären. Dennoch ist gerade in schwierigen Hörsituationen, wie bei Hintergrundgeräuschen (BN-Skala) noch ein erhebliches Verbesserungspotenzial im Rahmen der Hörgeräteanpassung zu erwarten, insbesondere dann, wenn, wie im vorigen Abschnitt erläutert, Hörgeräte konsequent getragen werden.
Dass sich in der AV-Skala keine Verbesserungen ergaben, war zu erwarten und liegt daran, dass laute Hörsituationen durch Hörgeräte nicht besser werden.
In jedem Fall werden die von Industrie und Händlern gemachten Versprechungen bei zuzahlungspflichtigen Hörgeräten im Alltag unter schwierigen Situationen offensichtlich nicht erfüllt. Wie bereits vor mehr als 10 Jahren mit den damaligen analogen Hörgeräten nachgewiesen, hängt die subjektive Zufriedenheit nicht von der Höhe eines Eigenanteils ab [34].
Fazit für die Praxis
Die Verdoppelung des GKV-Festbetrags für Hörgeräte und damit verbundene Verbesserungen ihrer technischen Qualität ab November 2013 führte nicht zu den erwünschten Wirkungen aus der Sicht der Krankenkasse. Weiterhin bezahlten etwa 75 % der Hörgeräteträger einen Eigenanteil und 40 % von diesen von mehr als 1.000 EUR bis zu über 2.000 EUR. Die subjektive Ergebnisqualität veränderte sich fast in keinem Fall signifikant und wies insbesondere beim Verstehen in öffentlichen oder sozialen Situationen die größten Mängel auf. Unter fast allen Hörbedingungen unterschied sich die Ergebnisqualität zwischen Hörgeräteträgern mit oder ohne Eigenanteil nicht signifikant. Verstärkt wurden die Defizite bei der Ergebnisqualität noch dadurch, dass konstant etwa 40 % der Träger ihr Gerät außer zum Schlafen tagsüber zwischenzeitlich regelmäßig entfernten. Die Compliance ließe sich vermutlich durch eine strukturierte gemeinsame Nachsorge schwerhöriger Patienten durch HNO-Ärzte und Hörgeräteakustiker verbessern.
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B. Braun, A. Dietrich, B. Akcicek, B. Wollenberg, R. Schönweiler und J. Löhler geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Braun, B., Dietrich, A., Akcicek, B. et al. Hörgeräteversorgung. HNO 63, 850–856 (2015). https://doi.org/10.1007/s00106-015-0081-y
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