Falldarstellung

Anamnese

Eine 41-jährige Patientin wurde uns 2009 mit einer vor 18 Monaten erstmals bemerkten, schmerzlosen Raumforderung links zervikal vorgestellt. Die Fragen nach Fieber, Nachtschweiß oder Gewichtsverlust wurden verneint. Relevante Vorerkrankungen lagen keine vor.

Befunde

Eine 2007 alio loco durchgeführte Magnetresonanztomographie (MRT) ergab eine 1,6 cm durchmessende, kontrastmittelaufnehmende Läsion im Bereich der linken Regio III. Eine Kontroll-MRT 2009 zeigte eine Größenzunahme der Raumforderung auf 1,9 cm (Abb. 1) sowie eine neue Raumforderung von 1,3 cm (Abb. 2) parathyroidal links. Vonseiten der Radiologie wurde ein Lymphom vermutet. Die klinische Untersuchung zeigte eine weich palpable Raumforderung zervikal links. Laryngoskopisch waren die Stimmlippen seitengleich mobil, es gab keinen Hinweis auf ein Horner-Syndrom. Eine Ultraschalluntersuchung des Halses zeigte links zwei echoarme 21,9 und 19,1 mm große Raumforderungen. Klinische Hinweise für eine Neurofibromatose ergaben sich nicht.

Abb. 1
figure 1

a Axiale und b koronare fettsupprimierte T2-gewichtete MRT. 19 mm große Raumforderung (m)

Abb. 2
figure 2

a Axiale und b koronare fettsupprimierte T2-gewichtete MRT. Zweite, mehr kaudal gelegene 13 mm große Raumforderung (m)

Therapie und Verlauf

Aufgrund der neu aufgetretenen zweiten Raumforderung und da ein malignes Geschehen nicht sicher ausgeschlossen werden konnte, erfolgte auf Wunsch der Patientin die Exzision der beiden Raumforderungen inklusive Panendoskopie. Letztere war unauffällig. Die zervikale Exploration zeigte, dass die größere Raumforderung vom N. vagus ausging, die zweite vom zervikalen sympathischen Grenzstrang. Es erfolgte die komplette Resektion der beiden Raumforderungen. Beide Nerven konnten nicht erhalten werden. Eine mikrochirurgische intrakapsuläre Enukleation der betreffenden Tumoren war im vorliegenden Fall nicht möglich, da eine Abgrenzung der einzelnen Nerven von dem jeweiligen Tumor nicht möglich war. Unmittelbar nach dem Eingriff bestand eine Ptosis des linken Oberlids mit vollständiger Erholung im Verlauf. Postoperativ bestand eine neue Heiserkeit, und die Untersuchung des Larynx ergab einen Stimmlippenstillstand links. Die genetische Untersuchung der Patientin war negativ für eine Neurofibromatose Typ II.

Bei einer ambulanten Wiedervorstellung 6/2010 berichtete die Patientin über eine Besserung der Heiserkeit seit der Op. unter logopädischer Therapie.

Diagnose

Der histopathologische Befund ergab bei beiden Raumforderungen die Diagnose eines Schwannoms. Immunhistochemisch wurde die Diagnose durch S-100-positive Tumorzellen bestätigt (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Histopathologische Aufnahme des Schwannoms des zervikalen sympathischen Grenzstrangs. Zentral zeigt sich ein kompaktes Antoni-Typ-A-Muster mit palisadenförmigen Zellen mit länglichen Zellkernen. Peripher ist ein Antoni-Typ-B-Muster zu sehen mit lockeren, runden Zellkernen (Hämatoxylin-Eosin-Färbung, Vergr. 10:1)

Diskussion

Schwannome sind seltene, langsam wachsende, neurogene, meist gutartige Tumoren. Sie können peripher, viszeral, intraspinal oder intrakraniell auftreten. Bis zu 45% aller Schwannome treten in der Kopf-Hals-Region auf [1]. Meist sind sie vom N. vagus oder dem zervikalen sympathischen Grenzstrang ausgehend [2] und im Parapharyngealraum zu finden. Der Parapharyngealraum ist ein inverser pyramidenähnlicher Raum. Seine kraniale Begrenzung ist die Schädelbasis, kaudal das Os hyoideum, medial wird der Raum durch die Pharynxwand begrenzt, anterior durch den M. pterygoideus internus, posterior durch die prävertebrale Faszie und lateral durch die Kapsel der Gl. parotis und den Ramus mandibulae. Schwannome des N. vagus und des zervikalen sympathischen Grenzstrangs treten i. d. R. solitär auf, multiple Schwannome, besonderes des VIII. Hirnnervs werden meist im Rahmen einer Neurofibromatose Typ II gefunden. Hierbei handelt es sich um ein autosomal-dominantes multiples Neoplasiesyndrom, welches durch eine Mutation auf Chromosom 22 verursacht ist.

Nur etwa 0,5% [2] aller Kopf- und Halstumoren treten im Parapharyngealraum auf. Diffenzialdiagnostisch kommen neben Schwannomen u. a. Speicheldrüsentumoren, vergrößerte Lymphknoten, Glomustumoren, Neurofibrome, Zysten und Tumoren der Schädelbasis infrage. Schwannome des Parapharyngealraums treten meist bei Patienten zwischen dem 30. und 70. Lebensjahr auf ohne Bevorzugung eines Geschlechts. Meist präsentieren sich Schwannome klinisch als schmerzlose, langsam wachsende zervikale Raumforderung. Andere Symptome sind Globusgefühl, Halsschmerzen oder Dysphagie. In seltenen Fällen sind eine Heiserkeit oder ein Horner-Syndrom zu finden.

Da eine Malignität nie ausgeschlossen werden kann und nur geringe Strahlensensitivität besteht, ist die chirurgische Exzision die Therapie der Wahl. Es ist wichtig, im präoperativen Gespräch über den möglichen Verlust der Nervenfunktion aufzuklären. Meist kann die Nervenfunktion nicht erhalten bleiben. Was einen postoperativen Stimmlippenstillstand betrifft, wurde über eine Inzidenz von 85% berichtet [3]. Eine Feinnadelbiopsie ist weder sensitiv noch spezifisch in der Diagnose von Schwannomen. Liu et al. [4] fanden eine Spezifität von 20% mit der Feinnadelbiopsie und 38% in der Bildgebung. Eine präoperative MRT mit Darstellung der Beziehung der Raumforderung zur A. carotis und V. jugularis kann helfen, den Ursprung des Schwannoms zu ermitteln. Dadurch kann präoperativ der Patient auf die zu erwartende Nervenläsion hingewiesen werden. In einer Studie mit 9 bzw. 12 Patienten fanden Furukawa et al. [5] bzw. Saito et al. [6], dass Schwannome vom zervikalen sympathischen Grenzstrang die A. carotis und die V. jugularis beide dislozieren, ohne diese zu separieren. Schwannome des N. vagus hingegen separierten die A. carotis von der V. jugularis. Zur Erhaltung der Nervenfunktion ist der Versuch einer mikrochirurgischen intrakapsulären Enukleation in Kombination mit einem intraoperativen Nervenmonitoring sinnvoll [7, 8]. Kim et al. [7] konnten so in 6 von 7 Fällen (86%) die Nervenfunktion erhalten. Eine solche Enukleation ist jedoch nicht in jedem Fall eines Schwannoms im Kopf-Hals-Bereich möglich. De Araujo et al. [9] publizierten im Jahr 2008 ihre Erfahrungen in der chirurgischen Therapie von 22 Patienten mit zervikalen Schwannomen. Eine Enukleation des Tumors war lediglich in 10 von 22 Fällen (45,5%) möglich.

Der vorgestellte Fall ist bemerkenswert wegen der Seltenheit von synchronen Schwannomen des N. vagus und des zervikalen sympathischen Grenzstrangs ohne Assoziation zu einer Neurofibromatose Typ II.

Fazit für die Praxis

  • Auch wenn keine bekannte Neurofibromatose Typ II vorliegt, sollte bei multiplen Raumforderungen an die Diagnose eines Schwannoms gedacht werden und eine Neurofibromatose abgeklärt werden.

  • Patienten sollten adäquat über den zu erwartenden postoperativen Nervenausfall aufgeklärt werden.

  • Die Therapie der Wahl des Schwannoms ist die chirurgische Exzision.

  • Zur Erhaltung der Nervenfunktion sollte, falls möglich, eine mikrochirurgische intrakapsuläre Enukleation erfolgen.