Der HNO-Arzt Costen beschrieb als erster einen Symptomenkomplex, der Symptome am Ohr und Schmerzen im Kiefer-Gesichts-Bereich umfasste [4]. Seine anatomisch-mechanischen Vorstellungen einer Kompression und Irritation kiefergelenknaher Strukturen, insbesondere des N. auriculotemporalis und der Chorda tympani, durch eine dorsokraniale Verlagerung des Unterkiefers infolge Zahnverlusts im Seitenzahnbereich sind inzwischen widerlegt.

Eine Kompression der Eustachi-Röhre durch dorsokraniale Verlagerungen des Unterkiefers scheint jedoch durchaus möglich [9, 25]. Neuere Studien konnten eine anatomische Struktur aufzeigen, die das Kiefergelenk mit dem Mittelohr verbindet, das Ligamentum discomalleolare [21]. Dieses auch als "tiny ligament" bezeichnete Band könnte bei Vorverlagerung des Discus articularis im Kiefergelenk zu einem erhöhten Druck im Mittelohr führen. Seine klinische Bedeutung ist jedoch umstritten [2, 11, 24].

Neben diesen anatomisch-mechanischen Theorien, die Zusammenhänge zwischen Symptomen am Ohr und am Kiefergelenk aufzeigen, weisen epidemiologische Studien darauf hin, dass Patienten mit Funktionsstörungen des Kiefergelenks häufiger Tinnitus haben [2, 8] bzw. dass bei Tinnituspatienten Funktionsstörungen des Kiefergelenks häufiger auftreten [22]. Diesen Studien stehen jedoch andere kontrovers gegenüber, die einen epidemiologischen Zusammenhang nicht belegen konnten [16, 28].

Gemeinsamkeiten in der embryologischen Entwicklung von Kiefergelenk, Kaumuskulatur und den Mittelohrknochen sind verantwortlich für die Innervation des M. stapedius durch den N. facialis, der auch für die motorische Innervation der mimischen Muskulatur zuständig ist, sowie für die Innervation des M. tensor tympani und des M. tensor veli palatini durch den N. trigeminus, der gleichzeitig die Kaumuskulatur innerviert. Über neuronale Verschaltungen könnte es zu Überleitungsphänomenen kommen, sodass die Inkoordination z. B. der Kaumuskulatur otologische Symptome hervorrufen könnte [6, 17, 26].

Auch psychosomatische Zusammenhänge werden diskutiert, die eine erhöhte psychische Anspannung durch mentalen Stress für Symptome wie Tinnitus, Spannungskopfschmerz, Schwindel, Otalgie und Völlegefühl in den Ohren verantwortlich machen [14].

Dieser Überblick über mögliche Zusammenhänge zwischen Symptomen einer Funktionsstörung des Kauorgans und Ohrsymptomen zeigt die Vielfalt ätiologischer Faktoren auf, aber auch deren kontroverse Abhandlung in der Literatur.

Ziel der vorzustellenden Studie war es daher, Patienten mit subjektivem Tinnitus einer zahnärztlichen Funktionsanalyse zu unterziehen, um mögliche Funktionsstörungen aufzudecken und diese Daten in Vergleich zur Untersuchung einer Kontrollgruppe zu stellen, die – anamnestisch befragt – weder an Tinnitus noch an Funktionsstörungen des Kauorgans leidet.

Die Ergebnisse sollten Aufschluss geben über

  • die Prävalenz von Funktionsstörungen bei Tinnituspatienten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe sowie

  • mögliche ätiologische Zusammenhänge zwischen Tinnitus und Funktionsstörungen des Kauorgans.

Material und Methode

40 Tinnituspatienten in Folge aus der HNO-Abteilung des Klinikums wurden in die Studie aufgenommen. Einschlusskriterien:

  • HNO-ärztliche Untersuchung in der Tinnitussprechstunde des Klinikums,

  • subjektiver Tinnitus,

  • bislang nicht Patient der Kiefergelenksprechstunde gewesen.

35 Probanden wurden untersucht. Es handelte sich vorwiegend um Patienten des Zentrums für Zahnmedizin, die zu zahnärztlichen Nachkontrollen erschienen waren.

Einschlusskriterien:

  • keine Ohrgeräusche vorhanden,

  • kein Patient der Tinnitussprechstunde,

  • kein Patient der Kiefergelenksprechstunde,

  • abgeschlossene zahnärztliche Behandlung.

Alle Studienteilnehmer wurden über die Rahmenbedingungen der Studie aufgeklärt, von allen lag eine Einverständniserklärung vor.

Im Rahmen der Anamnese wurden Patienten und Probanden zu Allgemeinerkrankungen, Medikamenten und ärztlichen Behandlungen befragt und zur Abklärung psychosozialer Faktoren beiden Gruppen der "Kurze Fragebogen zur Belastung" (KBF) als Teil der Hassles-Skala vorgelegt [12]. Die Tinnituspatienten wurden zudem befragt zur Dauer und Lokalisation des Tinnitus, Beeinflussbarkeit des Tinnitus und Einfluss zahnärztlicher Maßnahmen auf den Tinnitus.

Die klinische Untersuchung wurde bei Patienten und Probanden stets vom selben Untersucher vorgenommen und umfasste die Palpation von Kiefergelenkgeräuschen, Messung der Mobilität des Unterkiefers (in mm), Untersuchung der Kiefergelenke und der Kaumuskulatur auf Druckdolenzen, Erhebung des Zahnstatus, Bestimmung der Lückengebissklassifikation nach Eichner [5], Ausprägung von Abrasionen und Beurteilung von Dysgnathien anhand von Modellen.

Dabei wurden Abrasionen, die nur im Schmelzbereich lagen, als altersgemäß eingestuft, Schlifffacetten, die bis in den Schmelz/Dentin-Bereich reichten, bei Patienten oder Probanden, die jünger als 35 Jahre waren, als Hinweis für Bruxismus gewertet, bei älteren Patienten/Probanden als altersgemäß. Schlifffacetten, die im Dentin lagen, wurden unabhängig vom Alter als Anzeichen für Bruxismus dokumentiert.

Zum statistischen Vergleich der anamnestischen und klinischen Parameter der Patienten- und Probandengruppe wurde für quantitative Daten der U-Test nach Wilcoxon, Mann und Whitney herangezogen. Qualitative Daten wurden mit dem χ2-Test für unverbundene Stichproben im Vier- und Mehr-Felder-Test verglichen.

Das Signifikanzniveau lag bei p<0,05.

Ergebnisse

In Bezug auf Geschlecht und Alter ergaben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede. Die 40 Tinnituspatienten (19 Männer und 21 Frauen) waren im Mittel 52 (± 14) Jahre alt. Das Alter variierte von 23–74 Jahren. Die 35 Probanden der Vergleichsgruppe (14 Männer und 21 Frauen) wiesen ein mittleres Alter von 50 (± 15) Jahre auf mit einer Variationsbreite von 26–77 Jahren.

Die anamnestischen Angaben zur Dauer des Tinnitus gehen aus Tabelle 1 hervor. Der beidseitig vorliegende Tinnitus überwog (n=24) (Tabelle 2 ).

Tabelle 1. Anzahl (n) der Tinnituspatienten bezogen auf die Dauer der Tinnitussymptome
Tabelle 2. Anzahl (n) der Tinnituspatienten bezogen auf die Lokalisation des Tinnitus

Eine Beeinflussung des Tinnitus in Lautstärke oder Frequenz durch Bewegungen des Unterkiefers oder des Kopfes wurde von 67% der Patienten angegeben (Tabelle 3 ).

Tabelle 3. Angaben der Tinnituspatienten zur Beeinflussung des Tinnitusgeräusches durch Manipulationen im Kopfbereich (Mehrfachnennungen waren möglich)

Im Vergleich der Tinnituspatienten mit der Probandengruppe fiel auf, dass sich beide Gruppen in Bezug auf die Prävalenz von Allgemeinerkrankungen nicht unterschieden, Tinnituspatienten jedoch signifikant häufiger regelmäßig Ärzte (Tinnituspatienten n=31 (78%), Kontrollgruppe: 18 (53%), p=0,017) und Zahnärzte (Tinnituspatienten: n=35 (89%), Kontrollgruppe: 23 (65%), p=0,027) konsultierten, wobei bewusst die Konsultation bei HNO-Ärzten gesondert erhoben wurde.

Muskelverspannungen wurden von Tinnituspatienten signifikant häufiger angegeben als von der Kontrollgruppe (Tinnituspatienten: n=27 (67%), Kontrollgruppe: n=8 (22%), p=0,001), wobei Verspannungen im Hals-, Schulter- und Oberarmbereich deutlich häufiger angegeben wurden als Verspannungen in der Kaumuskulatur.

Kiefergelenkgeräusche gaben Tinnituspatienten ebenfalls signifikant häufiger an (Tinnituspatienten: n=9 (22,5%), Kontrollgruppe: n=1 (3%), p=0,016) als die Kontrollgruppe.

Die Auswertung des psychosozialen Fragebogens konnte keine signifikanten Unterschiede zwischen der Patienten- und der Probandengruppe aufzeigen. In allen Bereichen, die der Fragebogen beleuchtet: Partnerschaft, Sozialbereich, Alltag, Arbeitsbereich, waren die Tinnituspatienten tendenziell unzufriedener bzw. stressbelasteter (Tabelle 4 ).

Tabelle 4. Auszüge aus der Auswertung des "Kurzen Fragebogens zur Belastung" (KBF), der die Bereiche Partnerschaft, Soziales, Alltag und Arbeitsumfeld durch eine Skalierung von 1–5 ("trifft gar nicht zu" bis "trifft genau zu") beurteilt. Die Unterschiede zwischen Tinnituspatienten und der Kontrollgruppe waren nicht signifikant, wiesen jedoch Tendenzen auf, dass sich die Tinnituspatienten unzufriedener bzw. stressbelasteter fühlen

Die klinische Untersuchung konnte die Angaben der Patienten nach Kiefergelenkgeräuschen häufig nicht bestätigen, sodass kein signifikanter Unterschied in der Prävalenz von Gelenkgeräuschen zwischen Patienten und Probanden zu finden war.

Dagegen zeigt Tabelle 5 , dass signifikant häufiger Druckdolenzen in der Kaumuskulatur feststellbar waren (p=0,021).

Tabelle 5. Im Vergleich der Tinnituspatienten mit der Kontrollgruppe in Bezug auf Druckdolenzen der Kaumuskulatur wiesen die Patienten signifikant häufiger Triggerpunkte auf

Die Mobilität des Unterkiefers war bei den Tinnituspatienten in Bezug auf die Mundöffnungsweite signifikant besser als bei der Vergleichsgruppe (Tabelle 6 ). Alle sonstigen Messwerte der Laterotrusions- und Protrusionsbewegungen des Unterkiefers waren bei beiden Gruppen nicht unterschiedlich.

Tabelle 6. Zusammenfassung der signifikanten Unterschiede zwischen Patienten und der Kontrollgruppe bezüglich klinischer Parameter

Auffallend war jedoch die Beurteilung der Okklusion. Bei Tinnituspatienten wurden signifikant häufiger nicht altersentsprechende Abrasionen gefunden, die als Anzeichen für Bruxismus gewertet wurden (Tabelle 6 ).

Es lagen häufiger Dysgnathien vor wie Kreuzbiss, offener Biss bzw. tiefer Biss. Die statische Okklusion musste bei den Patienten signifikant häufiger als nicht stabil beurteilt werden (Tabelle 6 ).

Die Einteilung in die Lückengebissklassifikation nach Eichner ergab keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Die Tinnituspatienten waren tendenziell häufiger mit herausnehmbarem Zahnersatz versorgt (Tinnituspatienten n=11 (28%), Kontrollgruppe n=6 (17%), p=0,058).

Diskussion

Die zahnärztliche Untersuchung aller Patienten und Probanden durch einen Untersucher gewährleistete eine einheitliche Beurteilung der klinischen Parameter. Um eine einheitliche Diagnostik des Tinnitus sicherzustellen, wurden nur Tinnituspatienten zur Teilnahme an der Studie zugelassen, die in der Tinnitussprechstunde der HNO-Abteilung des Klinikums umfassend untersucht worden waren. Die Daten der HNO-ärztlichen Untersuchung wurden im Rahmen der vorliegenden Studie nicht ausgewertet.

Eine spezifische Klassifizierung der funktionellen Störungen der Kiefergelenke wurde nicht vorgenommen. Die Prävalenzen wären in den einzelnen Untergruppen zu klein gewesen, um statistisch ausgewertet werden zu können. Daher wurden die einzelnen klinischen Symptome beider Gruppen miteinander verglichen und nicht zusammengefasst beurteilt.

Während in der vorliegenden Studie das Verhältnis weiblicher und männlicher Patienten ausgeglichen war, weisen andere Studien eine Prädominanz weiblicher Patienten auf [1, 2, 7, 8]. In diesen Studien wurden die Patienten jedoch vorwiegend aus Spezialsprechstunden für Kiefergelenksdysfunktionen rekrutiert. In Studien zur Prävalenz temporomandibulärer Dysfunktionen sind in der Regel Frauen deutlich häufiger vertreten. Epidemiologische Studien zum Tinnitus weisen stattdessen nur eine geringe Prädominanz von Frauen insbesondere in den jüngeren Altersgruppen nach, während Männer eher in den älteren Altersgruppen überwiegen [3].

Auch das Durchschnittsalter der vorliegenden Patientengruppe ist deutlich höher (52 Jahre) als dasjenige anderer Studienpopulationen, die vorwiegend Patienten mit Funktionsstörungen des Kauorgans und Tinnitus untersuchten [1, 2, 7, 8]. Epidemiologische Studien zum Tinnitus weisen jedoch nach, dass die Prävalenz des Tinnitus mit steigendem Alter zunimmt [3, 16]. Eine Studie von Rubinstein et al. [22] zur Prävalenz von Funktionsstörungen unter Tinnituspatienten ist der vorliegenden sehr ähnlich aufgebaut. In der Patientengruppe überwogen Männer, das mittlere Alter lag bei 56 Jahren. Somit ist die Alters- und Geschlechtsverteilung der vorliegenden Studiengruppen typisch für eine Tinnituspopulation zu werten.

Die signifikant häufigere Inanspruchnahme ärztlicher und zahnärztlicher Konsultationen mag auf ein anderes Körperbewusstsein der Tinnituspatienten im Vergleich zur Kontrollgruppe hinweisen. Die Auswertung der psychosozialen Parameter mittels KBF wies zwar keine signifikanten Unterschiede nach, zeigte jedoch deutlich die Tendenz eines stressbelasteteren und unzufriedeneren Lebensumfelds der Tinnituspatienten. Diese Ergebnisse werden gestützt durch die Untersuchungen von Halford und Anderson [10], die nachwiesen, dass der subjektive Schweregrad des Tinnitus mit Ängstlichkeit und der Tendenz zur Depression korreliert.

Die Beobachtungen der Tinnituspatienten, dass sie die Intensität des Tinnitus variieren können durch Manipulationen am Kiefergelenk, Veränderungen der Kopfhaltung oder Druck auf die Kaumuskulatur wurden auch in einer Studie von Rubinstein et al. beobachtet und in der Literaturübersicht von Türp angegeben [22, 27]. Eine Erklärung für dieses Phänomen findet sich nicht.

Die untersuchten Funktionsstörungen lassen sich in 2 Kategorien einteilen:

Arthrogene und myogene. Zu den Symptomen arthrogener Funktionsstörungen zählen Kiefergelenkgeräusche, Belastungsschmerz in den Kiefergelenken und Bewegungseinschränkungen. Diese Symptome waren bei Tinnituspatienten nicht häufiger vorhanden als bei der Kontrollgruppe.

Im Gegensatz zur vorliegenden Studie fanden Rubinstein et al. u. a. auch häufiger Bewegungseinschränkungen des Unterkiefers. Sie stellten ihrer Patientengruppe jedoch keine Kontrollgruppe entgegen, sondern verglichen ihre Daten mit epidemiologischen Studien zur Prävalenz temporomandibulärer Funktionsstörungen [22]. In einer eigenen Untersuchung von 221 Patienten mit Funktionsstörungen des Kauorgans konnte aufgrund der zu geringen Prävalenz von Tinnituspatienten (3,6%) kein Zusammenhang zwischen Funktionsstörungen und Tinnitus festgestellt werden [19].

Kempf et al. wiesen zu 43,5% bei stationären Patienten mit unklaren Innenohrerkrankungen (13% davon wiesen einen isolierten Tinnitus auf) eine Myoarthropathie nach. Dabei handelte es sich vorwiegend um Dyskoordinationen mit Subluxation. Bei 35,5% der Patienten konnten Druckdolenzen der Kaumuskulatur und bei 29% Parafunktionen festgestellt werden [13].

Analog zu den vorliegenden Ergebnissen fanden Rubinstein et al. insbesondere myogene Störungen, erkennbar an Muskeldruckdolenzen [22]. Ursache dafür können im Tinnitus selbst liegen, aber auch bedingt sein durch okklusale Parameter.

Stressbelastungen gelten als ätiologischer Faktorer für Bruxismus [20]. Tinnitus kann als Stressfaktor gewertet werden. Daher ist es nachvollziehbar, dass Tinnituspatienten Muskelverspannungen in der Kaumuskulatur empfinden. Die anamnestisch signifikant höhere Prävalenz von Muskelverspannungen in der Kaumuskulatur konnte in der klinischen Untersuchung bestätigt werden.

Neben dieser psychosomatischen Ätiologie können Ursachen für Verspannungen bzw. Druckdolenzen in der Kaumuskulatur bedingt sein durch Okklusionsstörungen [23] und Parafunktionen. Beide Faktoren waren bei Tinnituspatienten signifikant häufiger vorhanden. Die statische Okklusion war zudem bei Tinnituspatienten signifikant häufiger als instabil zu beurteilen.

Auch Rubinstein et al. fanden Hinweise für Parafunktionen häufiger in der Tinnitusgruppe als aus epidemiologischen Studien zu erwarten gewesen wären. Sie konnten dagegen keine okklusalen Parameter identifizieren, die außergewöhnlich häufig bei den Tinnituspatienten zu finden waren. Einschränkend ist jedoch erneut darauf hinzuweisen, dass sie keine Kontrollgruppe in die Studie einschlossen [22].

Aus diesen Ergebnissen können Überlegungen zu hypothetischen Zusammenhängen zwischen Funktionsstörungen der Kiefergelenke und dem Tinnitus unternommen werden. Sie haben jedoch spekulativen Charakter, da weder die Pathophysiologie des Tinnitus geklärt ist [15] noch mögliche Zusammenhänge zwischen Funktionsstörungen des Kauorgans und dem Tinnitus bewiesen sind.

Die funktionelle Bedeutung des diskomalleolären Bandes muss angezweifelt werden, denn es hätten Diskusverlagerungen im Kiefergelenk bei Tinnituspatienten häufiger vertreten sein müssen. Das klinische Symptom für Diskusverlagerungen ist das Kiefergelenkgeräusch in Form eines Knackens [18]. Dies lag bei Tinnituspatienten nicht häufiger vor als in der Kontrollgruppe. Ähnliche Schlussfolgerungen ziehen Henderson et al. und Chole und Parker aus ihren Studien [2, 11].

Anatomisch-mechanische Zusammenhänge hätten erwarten lassen, dass die Seitenzähne bei Tinnituspatienten häufiger fehlen und damit der Unterkiefer eher eine dorsokraniale Lage einnehmen könnte. Die Einteilung in die Lückengebissklassifikation nach Eichner ergab jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Untersuchungsgruppen.

Die vorliegenden Ergebnisse scheinen am ehesten neuromuskuläre Zusammenhänge zu untermauern. So wäre es vorstellbar, dass die Hyperaktivität der mimischen Muskulatur bzw. der Kau- und Schluckmuskulatur durch Überleitungsphänomene der M. stapedius, innerviert durch den N. facialis, bzw. der M. tensor tympani, innerviert durch den N. trigeminus, hyperaktiv reagieren. Diese Hyperaktivität beträfe jedoch die Mittelohrmuskulatur. Welche Mechanismen zum eigentlichen subjektiven Tinnitus als einem Innenohrphänomen führen bleibt unklar.

Es sind weitere, insbesondere prospektive Studien notwendig, die aufzeigen könnten, ob primär der Tinnitus zu den muskulären Symptomen im Kauorgan führen oder ob dem Tinnitus muskuläre Hyperaktivitäten im Kausystems vorausgehen.

Schlussfolgerungen

Aus den vorliegenden Ergebnissen ist zu schlussfolgern:

  • Tinnitus ist signifikant häufiger vergesellschaftet mit myogenen Dysfunktionen des Kauorgans.

  • Bei Tinnituspatienten liegen nicht signifikant häufiger arthrogene Störungen des Kiefergelenks vor.

  • Okklusale Instabilität und Bruxismus als mögliche Ursachen myogener Störungen konnten bei Tinnituspatienten häufiger gefunden werden.

Fazit für die Praxis

Die zahnärztliche funktionsdiagnostische Untersuchung von Tinnituspatienten erscheint sinnvoll, um mögliche Ursachen muskulärer Hyperaktivität zu eruieren und therapeutisch anzugehen.

Therapiemaßnahmen sollten in der Regel zunächst reversibel erfolgen und insbesondere Entspannungsmaßnahmen und Selbstbeobachtung als verhaltenstherapeutische Maßnahmen im Zusammenhang mit Parafunktionen einschließen.