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Anamnese
Ein 7-jähriges Mädchen mit Hauttyp I und atopischer Diathese, aber ohne spezifische Allergieanamnese wurde in gutem Allgemeinzustand nach einem Badetag im Juni mit papulovesikulösen Hautveränderungen in unserer Allergieambulanz vorgestellt. An den Extremitäten der begleitenden Freundin zeigten sich ähnliche Läsionen. Nachdem die Mutter des Kindes ihre Tochter zu Hause gebadet hatte, traten am selben Tag Pruritus und am nächsten Tag gleichartige Effloreszenzen am Oberschenkel und am Unterbauch der Mutter auf.
Hautbefund beim Kind
Am Thorax sowie an den Extremitäten der Mädchen zeigten sich asymmetrisch lokalisierte, hochrote, konfluierende papulöse und pseudovesikulöse Hautreaktionen und Quaddeln, zum Teil in linearer Anordnung (Abb. 1 und 2). Am Oberschenkel und in diskreter Ausprägung auch am Unterbauch der Mutter fanden sich gleichartige Effloreszenzen im Sinne von "Abklatschläsionen" (Abb. 2).
Befunde der Mutter
Da bei allen 3 Patienten identische Effloreszenzen auftraten, bat die Mutter, die weiterführende Diagnostik bei ihr durchzuführen:
Ges.-IgE (CAP System FEIA, Pharmacia) mit 12,6 kU/l im Normbereich.
Tryptase (UniCAP®, Pharmacia) mit 2,1 µg im Normbereich.
Hymenopterengifte (CAP System FEIA, Pharmacia): Bienengift Klasse 2 (1,49 kUA/l).
Milbenbefund: negativ.
Histologischer Befund (Stanzbiopsie, Unterbauch): mäßig ausgeprägtes, überwiegend perivaskulär angeordnetes lymphoidzelliges Infiltrat, untermischt mit vereinzelten eosinophilen Granulozyten im Sinne einer superfiziellen Dermatitis (Abb. 3).
Ihre Diagnose?
Diagnose: Erukismus
Auf den ersten Blick und in Zusammenhang mit der Anamnese (Badetag) dachten wir an eine Zerkariendermatitis. Es war klinisch auch eine Skabies oder aufgrund der linearen Anordnung ein Wanzenbefall in Betracht zu ziehen. Eine Urtikaria, eine polymorphe Lichtdermatose bzw. ein Strophulus infantum erschienen unwahrscheinlich, da Mutter und Freundin—wenn auch in abgeschwächter Form—gleichfalls betroffen waren (Differenzialdiagnosen s. Kasten). Aufgrund der offensichtlichen Übertragbarkeit und der erfolglosen Milbensuche entschlossen wir uns zu einer Stanzbiopsie am Oberschenkel der Mutter, deren histologische Aufarbeitung allerdings mit der superfiziellen Dermatitis einen unspezifischen Befund zeigte. Erst im Rahmen einer exakten Nachanamnese hinsichtlich Nahrungsmittelaufnahme sowie etwaiger Kontaktstoffe wie Sonnencremes, Pflanzen oder Tierkontakte stellte sich heraus, dass die Kinder während des Badenachmittags auch mit kleinen grünlich-bräunlichen, haarigen Raupen unter Eichen gespielt hatten. Somit war es naheliegend, die juckende Dermatose auf den Raupenkontakt zurückzuführen. Mit milder topischer Steroidtherapie (Advantan Creme®), indifferentem Externum (Optiderm Creme®) und einem Antihistaminikum (Zyrtec 1 mg/ml orale Lösung®) heilten die Effloreszenzen innerhalb 1 Woche ab. Noch während derselben Saison an unsere Ambulanz überwiesene Kinder mit vergleichbaren Effloreszenzen wurden schließlich gezielt nach Raupenkontakt befragt, der auch in den meisten Fällen bestätigt wurde.
Diskussion
Unter "Erukismus" versteht man Erkrankungen, die durch Kontakt mit Raupen hervorgerufen werden, im Unterschied zu "Lepidopterismus", worunter Erkrankungen zu verstehen sind, die auf Kontakt mit Schmetterlingen zurückzuführen sind [13]. Es können sowohl Haut, Atemwege als auch die Augen betroffen sein, und selten kann es sogar zu systemischer Manifestation bis hin zum anaphylaktischen Schock kommen. In unserem Bericht beschränkt sich die Manifestation lediglich auf die Haut. Sie kann in sehr unterschiedlicher Morphe auftreten—urtikarielle Exantheme, lokalisierte oder generalisierte Ekzeme, Papulovesikel im Sinne einer toxisch-irritativen Dermatitis—und pathogenetisch sowohl eine IgE-vermittelte als auch nicht IgE-vermittelte Hautreaktion darstellen [10, 15]. Ursache ist in jedem Fall der direkte oder indirekte Kontakt mit dem Protein Thaumetopoein, ein in Raupen(gift)haaren (Brennhaaren, Setae) produziertes Gift. Thaumetopoein wirkt als Histaminliberator bzw. hat selbst histaminische Wirkung [9, 11]. Die Thaumetopoein freisetzenden hohlnadelartigen Setae sind noch lange Zeit (monate- bzw. jahrelang)—wenn aus dem Raupentier schon längst ein Schmetterling geworden ist—in der Umgebung nachweisbar [9]. Dies erklärt auch das mögliche Auftreten von Erukismus gegen Ende bzw. außerhalb der Saison. Ein Klima mit milden Wintermonaten gestattet ein Überleben der Larven in großen Zahlen. Mittlerweile ist es nicht nur in weiten Teilen Deutschlands und Spaniens, sondern auch im südöstlichen Österreich zu einer epidemischen Verbreitung der Raupendermatitis gekommen (Abb. 4).
Die "Raupendermatitis" ist im englischen Sprachraum als "caterpillar dermatitis" bereits seit Jahrzehnten bekannt. Dieses Phänomen wurde erstmals 1967 von Hellier [7] bzw. von Pesce [12] als "Erucism" beschrieben. In den nachfolgenden Publikationen [1, 3, 6] spielten zwar regional die verschiedensten Raupengattungen eine Rolle, allen gemeinsam war aber das Vorkommen von kleinen Härchen (sog. Brennhaaren).
In Deutschland und in Österreich kommt in wärmeren Gebieten der Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionae linnaeus, Flugzeit Ende Juli bis Mitte September), im Norden und Osten auch der Kiefernprozessionsspinner (Thaumetopoea pinivora, Flugzeit Juni/Juli) vor. Der Pinienprozessionsspinner (Thaumetopoea pityocampa) ist sehr wärmebedürftig und tritt daher nur im Süden Europas, vor allem in den mediterranen Ländern, auf.
In unserem Bericht handelt es sich bei der von der Patientin beschriebenen kleinen haarigen Raupe um den Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea processionae linnaeus), der—wie es der Name auch sagt—Eichen bewohnt. Die Entwicklung von der Raupe zum Schmetterling verläuft in 6 Stadien. Die Schmetterlinge fliegen von August bis September. Die Eier werden im Herbst in der Baumrinde (meist in der Astregion) abgelegt und überwintern in dieser Form. Im Frühjahr (April–Mai) schlüpfen dann die Larven. Die Raupen verlassen im "Gänsemarsch" zur Nahrungsaufnahme nachts ihre Nester, um am Morgen wieder in derartigen Prozessionen in diese zurückzukehren [9]. Von Juli bis August erfolgt die Verpuppung. Hierbei brechen Raupenhaare ab bzw. werden auch Raupenepithelien und Raupenkot frei. Die Raupen(gift)haare (Brennhaare, Setae), die das Gift Thaumetopoein beinhalten, geraten dann sozusagen "vom Winde verweht" in die Umgebung und können beim Menschen neben irritativen und allergischen Dermatitiden inklusive Angioödem [14] auch Konjunktivitis, Pharyngitis und Asthma bronchiale auslösen [8, 9].
Bemerkenswert bei dieser Form der "Kontaktdermatitis" ist daher nicht nur das Auftreten von Quaddeln und Papulovesikeln nach direktem Kontakt mit Raupenhaaren [5], sondern dass indirekter Kontakt, z. B. über kontaminierte Kleidung bzw. über die Luft (sog. "air borne dermatitis") zu Beschwerden führt [2]. Dies wird im präsentierten Fall deutlich durch das Auftreten gleichartiger Effloreszenzen am Oberschenkel der Mutter als sog. "Abklatscheffloreszenzen", wo anamnestisch kein direkter Raupenkontakt stattgefunden hatte.
In unserem Bericht handelt es sich wohl um eine nicht-immunologische Dermatitis. Dafür sprechen die klinische Morphe (asymmetrisches Auftreten der Effloreszenzen) und das Fehlen jeglicher Allgemeinsymptomatik.
Therapie
Die Therapiemöglichkeiten bei lokalen Manifestationen beschränken sich neben topischen Steroiden und blander Lokaltherapie auf systemisch verabreichte Antihistaminika. Laut einem Bericht von Dunlop et al. [4] sind auch Zinklotio bzw. Natriumbikarbonat-Lösung gut wirksam. Von großer Wichtigkeit ist es aber, die Härchen mittels intensiver Spülung mit Wasser bzw. anschließend einem Klebeband mechanisch zu entfernen.
Bei Auftreten anaphylaktischer Reaktionen ist nach den etablierten Richtlinien zur Schockbehandlung vorzugehen.
Fazit für die Praxis
Wir beabsichtigen mit dieser Kasuistik über seropapulös-urtikarielle Hauteffloreszenzen, die anamnestisch eindeutig mit haarigen Raupen in Zusammenhang stehen, eine in unseren Breiten immer häufiger vorkommende "Sommerdermatose" näher zu bringen, die nicht zuletzt wegen ihres epidemieartigen Auftretens bereits zum Sperren einiger beliebter Ausflugsziele in der Umgebung Wiens geführt hat. Schließlich sollte auch die Übertragbarkeit dieser Hauterkrankung auf Kontaktpersonen berücksichtigt werden.
Im Allgemeinen gelten die Reaktionen als harmlos, sofern nicht Auge oder Atemwege mit-betroffen sind oder es zu Systemmanifestationen kommt. Vorrangig ist jedoch die Prävention, nämlich die Aufklärung der Patienten, nicht nur direkten Hautkontakt mit den Brennhaaren zu vermeiden, sondern etwaige Schädlinge nicht eigenmächtig ohne Schutzhandschuhe bzw. Schutzanzug zu beseitigen.
Literatur
Anand JK (1972) Caterpillar rash. Lancet 7765:1392–1395
Balit CR, Ptolemy HC, Geary MJ et al. (2001) Outbreak of caterpillar dermatitis caused by airborne hairs of the mistletoebrowntail moth (Euproctis edwardsi). Med J Aust 175:641–643
Ducombs G, Lamy M, Maleville J (1985) Processionary caterpillar dermatitis. Pediatr Dermatol 3:83–84
Dunlop K, Freeman S (1997) Caterpillar dermatitis. Australas J Dermatol 38:193–195
Gardner TL, Elston DM (1997) Painful papulovesicles produced by the puss caterpillar. Cutis 60:125–126
Garty BZ, Danon YL (1985) Processionary caterpillar dermatitis. Pediatr Dermatol 2:194–196
Hellier FF, Warin RP (1967) Caterpillar dermatitis. Br Med J 2:346–348
Horng CT, Chou PI, Liang JB (2000) Caterpillar setae in the deep cornea and anterior chamber. Am J Ophthalmology 129:384–385
Maier H (2002) Giftpfeilhagel und Raupendermatitis. Ärztewoche 28:3
Moneo I, Vega JM, Caballero ML et al. (2003) Isolation and characterization of Tha p 1, a major allergen from the pine processionary caterpillar Thaumetopoea pityocampa. Allergy 58:34–37
Natsuaki M (2002) Immediate and delayed-type reactions in caterpillar dermatitis. J Dermatology 29:471–476
Pesce H (1967) Various facts on erucism in Chile. Bol Chil Parasitol 22:40–41
Rosen T (1990) Caterpillar dermatitis. Dermatol Clin 8:245–252
Vega JM, Vega J, Vega ML et al. (2003) Skin reactions to pine processionary caterpillar. Allergy 58:87–88
Vega JM, Moneo I, Armentia A et al. (2000) Pine processionary caterpillar as a new cause of immunologic contact urticaria. Contact Dermatitis 43:129–132
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Schöllnast, R., Kränke, B. & Aberer, W. Ödematöse Papeln und Papulovesikel bei Mutter und Kind. Hautarzt 55, 480–484 (2004). https://doi.org/10.1007/s00105-004-0706-7
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00105-004-0706-7