Einleitung

Die Problematik zunehmender Antibiotika(AB-)resistenzen, vor allem im gramnegativen Erregerspektrum, einhergehend mit steigenden AB-Verbräuchen, hat mittlerweile national und international verstärkte Aufmerksamkeit erlangt [13]. Die Mechanismen von Selektion und Transmission multiresistenter Erreger (MRE) sind komplex [4]. Verschiedene Aktionsfelder sind in die Problematik involviert. Neben Antibiotikaverordnungen im ambulanten und stationären Bereich sowie Hygienemaßnahmen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen spielen auch AB-Einsatz und Hygiene in der Tierhaltung, der internationale Reiseverkehr sowie Umweltbedingungen eine Rolle [5, 6]. Die Abschätzung der jeweiligen Anteile am Anstieg von Resistenzraten ist bei sehr unterschiedlichen Datenquellen und Perspektiven in den verschiedenen Sektoren schwierig [7]. Die öffentliche Wahrnehmung ist häufig von gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägt. Umso wichtiger ist es, das Thema über Fachgrenzen hinaus anzugehen. Dies hat sich das Verbundprojekt RAI (Rationaler Antibiotikaeinsatz durch Information und Kommunikation) zum Ziel gesetzt [8]. In dem BMBF-geförderten Vorhaben haben sich Hygieniker, Epidemiologen, Tierärzte, Infektiologen und Allgemeinmediziner mit Kommunikationswissenschaftlern und Designern zusammengeschlossen. Mit geeigneten, maßgeschneiderten Informations- und Kommunikationsinstrumenten sollen Verordner (Humanmediziner und Tierärzte) und Anwender (Patienten und Landwirte/Tierhalter) in der rationalen AB-Anwendung unterstützt werden. Der Entwicklung dieser Instrumente, die ab dem 3. Quartal 2016 eingesetzt werden sollen, ist eine Phase der Barriere-Ermittlung vorangeschaltet. Hier werden die Bezugsgruppen der späteren Intervention anhand von qualitativen und quantitativen Untersuchungen näher beleuchtet. Eine der ersten Befragungen in diesem Rahmen richtete sich an die deutsche Allgemeinbevölkerung im Sinne von potenziellen Patienten.

Sinnvoll erschien dies, da es zwar international schon zahlreiche Studien zu Wissen und Einstellungen von AB-Anwendern gibt [913], die deutsche Bevölkerung aber bislang nur selten zum Thema befragt wurde [1416].

Kulturelle Unterschiede sind aber teilweise gravierend und Erhebungen aus anderen europäischen Ländern oder aus dem außereuropäischen Raum sind nicht ohne Weiteres auf die deutsche Bevölkerung übertragbar [17].

Das Eurobarometer Spezial, 2013 und 2009 mit identischem Fragenkatalog durchgeführt, schloss bislang als einzige groß angelegte Studie auch Deutschland mit ein [14, 18]. Die Schwerpunkte der Befragung waren Gründe und Häufigkeit von Antibiotikaeinnahme, Wissen über die Wirkweise von Antibiotika und Wirksamkeit von Kampagnen. Von rund 1500 befragten Deutschen hatten im letzten Jahr 27 % ein Antibiotikum oral eingenommen, 48 % glaubten, Antibiotika wirkten gegen Viren, 49 % glaubten, Antibiotika seien wirksam bei Erkältung und Grippe. Die häufigsten angegebenen Gründe für Antibiotikaeinnahme waren Grippe (17 %), Bronchitis (21 %) und Erkältung (17 %). Die mit Abstand vertrauenswürdigste Quelle für Informationen zum Thema war der Arzt, gefolgt von Apotheken in Abgrenzung zu Verwandten und Bekannten, Zeitungen und Magazinen [14].

Ziel der im Folgenden vorgestellten Befragung war es, das Thema Antibiotikaresistenzen und MRE, Verhaltensweisen im Umgang mit Antibiotika sowie den Arzt-Patienten-Kontakt aus der Laienperspektive genauer zu untersuchen und hiermit Teilaspekte für die Ermittlung geeigneter Ansatzpunkte innerhalb des RAI-Projektes zu gewinnen.

Die AB-Verordner-Perspektive im stationären und ambulanten humanmedizinischen Bereich sowie die Perspektive von AB-Verordnern und -Anwendern in der Nutztierhaltung werden anhand weiterer qualitativer und quantitativer Untersuchungen ermittelt, sind aber nicht Gegenstand dieser Veröffentlichung.

Methode

Insgesamt wurden 9 geschlossene Fragen (F1–F9) zum Themenfeld Antibiotika und Resistenzen entwickelt. Dabei richteten sich 5 Fragen an alle Befragten, 4 Fragen waren Unterfragen an Teilgruppen. In Tab. 1 sind die einzelnen Fragen und Antwortmöglichkeiten aufgeführt.

Tab. 1 Fragen und Antwortmöglichkeiten der Telefoninterviews

Zur Umsetzung der Befragung wurde das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid beauftragt. Die Fragen wurden in eine CATI-Mehrthemenbefragung (Computer Assisted Telephone Interviewing) der deutschsprachigen Allgemeinbevölkerung ab 14 Jahre im Befragungsgebiet der Bundesrepublik Deutschland integriert. Befragungszeitraum war der 24. bis 27. April 2015. Gängige soziodemographische Faktoren wurden miterhoben. Im Einzelnen waren diese:

  • Alter (<30/ 30 bis 39/ 40 bis 49/ 50 bis 59/ 60 und mehr Jahre),

  • Geschlecht (männlich/weiblich),

  • Region (Ost – neue Bundesländer / West – alte Bundesländer),

  • Wohnortgröße (<5000/ 5000 bis 19.999/ 20.000 bis 99.999/ 100.000 bis 499.999/ 500.000 und mehr Einwohner),

  • Haushaltsgröße (1/2/3/4/5 und mehr Personen),

  • Haushaltseinkommen (<1000/ 1000 bis 1499/ 1500 bis 1999/ 2000 bis 2499/ 2500 bis 2999/ 3000 bis 3499/ 3500 € und mehr/ keine Angabe),

  • Bildung (Schüler/Hauptschulabschluss/mittlerer Bildungsabschluss/Abitur/Studium),

  • Berufstätigkeit (berufstätig [einschl. vorübergehend arbeitslos]/ nicht berufstätig [Schüler, Studenten, Rentner …]).

Die Auswahl von insgesamt 1004 Teilnehmern erfolgte zufallsmäßig. Zum Ausgleich von unterschiedlichem Telefonteilnahmeverhalten in verschiedenen Schichten wurde von TNS Emnid ein soziodemographischer Wichtungsfaktor angegeben, der sowohl in die deskriptiven als auch in die deduktiven Analysen mit einfloss.

Die statistischen Analysen erfolgten mit SAS 9.4. Das Signifikanzniveau für alle Tests wurde auf 5 % festgelegt. Zur Ermittlung statistisch signifikanter soziodemographischer Einflussfaktoren wurden multivariable Analysen für F1 bis F3 und F5 bis F8 durchgeführt. Aus den Antwortmöglichkeiten wurden dichotomisierte Zielgrößen gebildet. Untersuchte Einflussvariablen waren die primär erhobenen soziodemographischen Faktoren, wie oben aufgeführt, plus zusätzlich aus der Beantwortung von F1 („Wissen“) und F9 („MRE-Bezug“) generierte Kovariablen. Die Kategorien für die Variablen Alter, Bildung und Haushaltseinkommen wurden für die Auswertung von F6, F7 und F7b aufgrund der kleineren Teilnehmerzahlen weiter zusammengefasst. Es wurden logistische Regressionsmodelle eingesetzt. Die Variablenauswahl erfolgte aus den vollen Modellen (alle Kovariablen eingeschlossen) schrittweise rückwärts, wobei Variablen mit einem p-Wert <0,05 im Modell verblieben.

Ergebnisse

Wissen zur Entstehung von Antibiotikaresistenzen

Auf die Frage, wer oder was gegen ein Antibiotikum resistent werden kann (F1), gaben nur 24 % die richtige Antwort „Bakterien“. Dass auch Viren gegen Antibiotika resistent werden, glaubten 48 %, und 20 % gingen davon aus, dass der Mensch selbst Resistenzen ausbilde. Mit „weiß nicht“ antworteten 7 %. Vgl. Abb. 1.

Abb. 1
figure 1

MRE-Wissen. Antworten auf F1. Einfachauswahl. a Darstellung der Antworten gesamt, b,c Darstellung der richtigen Antworten – b nach Schulabschluss, c nach Haushaltsgröße (MSA Mittlerer Schulabschluss)

Signifikante Einflussfaktoren auf die richtige Antwortauswahl in der multivariablen Analyse (Tab. 2) waren der Bildungshintergrund und die Haushaltsgröße. Teilnehmer mit Studienabschluss gaben 3,8-mal so häufig die richtige Antwort wie Teilnehmer mit Hauptschulabschluss. Teilnehmer aus Haushalten mit 5 Personen und mehr gaben 3‑mal seltener die richtige Antwort als Teilnehmer aus 2‑Personen-Haushalten. Die Kenntnis des Begriffes „Antibiotikaresistenzen“ wurde in F2 mitabgefragt. Die Antwortmöglichkeit „ich kenne den Begriff nicht“ wählte nur 1 % der Teilnehmer.

Tab. 2 Ergebnisse der multivariablen Analysen

Relevanz des Themas Antibiotikaresistenzen in der Allgemeinbevölkerung

Auf die Frage nach der Wichtigkeit des Themas der AB-Resistenzen (F2) stuften 71 % das Thema als sehr wichtig oder eher wichtig ein. In F9 gaben 20 % der Teilnehmer an, mindestens eine Person mit MRE-Problemen zu kennen. Dieser persönliche MRE-Bezug hatte einen signifikanten Einfluss auf die Häufigkeit, das Thema als sehr wichtig oder eher wichtig einzustufen. Außerdem werteten Frauen das Thema signifikant häufiger als wichtig (Tab. 2).

Einen eigenen Einfluss auf die Entwicklung von AB-Resistenzen (F3) sahen 37 % der Teilnehmer. In der multivariablen Analyse (Tab. 2) waren dabei die Herkunftsregion, Angaben zum Einkommen und der persönliche MRE-Bezug signifikante Einflussfaktoren auf die Einschätzung der Eigenwirksamkeit. Es wurde seltener ein eigener Einfluss angegeben, wenn die Teilnehmer aus den neuen Bundesländern kamen, wenn sie keine Angabe zum Einkommen machten und wenn sie persönlich niemanden mit MRE-Problemen kannten.

Bei der Frage nach Ansatzpunkten zur Eindämmung von AB-Resistenzen (F4), bei der mehrere Antwortmöglichkeiten vorgegeben waren, wurde die Hygiene im Krankenhaus an erster Stelle genannt (66 % der Teilnehmer), gefolgt von AB-Verschreibung durch Hausärzte (57 %), AB-Einsatz in der Nutztierhaltung (53 %) und dem AB-Einsatz im Krankenhaus (42 %). Einen Ansatzpunkt bei der AB-Einnahme durch den Patienten sah nur ein Drittel der Teilnehmer (vgl. Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Bewertung von Ansatzpunkten. Antworten auf F4. Mehrfachauswahl

Arzt-Patienten-Interaktion

Zur Filterung wurden die Teilnehmer zunächst nach einem Arztbesuch aufgrund eines Infektes im letzten Jahr gefragt (F5). In dieser Wortwahl zielte die Frage auf einen ambulanten Arztbesuch ab („mit einem Infekt beim Arzt“ vs. „mit einer Infektion im Krankenhaus“). Dies bejahten 37 % der Teilnehmer (n = 375). Frauen waren dabei häufiger beim Arzt als Männer (43 vs. 32 %), die über 60-Jährigen seltener als die unter 30-Jährigen (27 vs. 41 %). Alter und Geschlecht erwiesen sich als unabhängige Risikofaktoren in der multivariablen Analyse (vgl. Tab. 2).

In der Gruppe der Arztbesucher gaben 75 Teilnehmer (20 %) an, dass der Arzt mit ihnen über das Thema AB-Resistenzentwicklung gesprochen hätte (F6). Andererseits gaben 221 Teilnehmer (59 %) an, ein Antibiotikum erhalten zu haben (F7). Vgl. Abb. 3.

Abb. 3
figure 3

Arzt-Patienten-Interaktion. Kombination der Fragen F5 + F6 (linker Pfad) sowie F5 + F7 (rechter Pfad)

In den multivariablen Analysen von F6 und F7 ergab sich jeweils der persönliche MRE-Bezug als signifikante Einflussvariable, allerdings mit jeweils gegensätzlichem Effekt (vgl. Tab. 2). So gaben Teilnehmer, die mindestens eine Person mit MRE-Problemen kannten, 2,5-mal so häufig an, beim Arzt Informationen zum Thema erhalten zu haben. Andererseits erhielten solche Personen weniger als halb so oft ein Antibiotikum.

Antibiotikaeinnahmeverhalten

Diese Thematik wurde in F8 sowie anhand der Antwortmöglichkeiten in F7 adressiert (vgl. Abb. 4). Die Frage nach der Einnahme eines Antibiotikums ohne ärztliche Verordnung bejahten insgesamt 8 % der 1004 Teilnehmer. Bei den unter 30-Jährigen waren es sogar 17 %. Die Antwortmöglichkeiten waren noch unterteilt in „ja, übrig gebliebene Tabletten aus einer früheren Verordnung“ und „ja, im Ausland“. Dabei überwog deutlich die Angabe der Einnahme übrig gebliebener Tabletten.

Abb. 4
figure 4

AB-Einnahmeverhalten. a F7-Antworten der Teilnehmer, die vom Arzt ein AB verschrieben bekamen (n = 221). Einfachauswahl. b „Ja“-Antworten auf F8. Mehrfachauswahl (Antwortmöglichkeiten „übrig gebliebene Tabletten“ und „im Ausland“ können überlappen)

Das Alter ergab sich in der multivariablen Analyse als signifikante Einflussgröße auf die AB-Einnahme ohne ärztliche Verordnung. Andere soziodemographische Variablen zeigten keinen signifikanten Einfluss (Tab. 2).

Von den Teilnehmern, die angaben, im letzten Jahr von einem Arzt ein Antibiotikum erhalten zu haben (F5 + F7, n = 221), hatten nach eigenen Angaben 83 % das Antibiotikum wie verordnet eingenommen. Das Antibiotikum gar nicht oder nur teilweise genommen zu haben, gaben 17 % an. In der multivariablen Analyse (vgl. Tab. 2) ergaben sich die Region (Ost vs. West), das Alter und der persönliche MRE-Bezug als signifikante Einflussfaktoren auf das Einnahmeverhalten. So waren der Wohnort in den neuen Bundesländern, die persönliche Bekanntschaft von Personen mit MRE-Problemen und ein jüngeres Alter unabhängige Risikofaktoren für eine nicht regelhafte AB-Einnahme.

Diskussion

Die vorliegende Erhebung gibt repräsentative Einblicke in den Umgang mit Antibiotika in Deutschland und die Wahrnehmung der MRE-Thematik aus der Laienperspektive.

Der Anteil an Teilnehmern, die angaben, den Begriff „Antibiotikaresistenz“ nicht zu kennen, war mit 1 % erstaunlich gering (vgl. Abb. 1). Dies lässt vermuten, dass das Thema in der Bevölkerung angekommen ist.

Was sich hinter dem Begriff verbirgt, scheint aber weniger bekannt zu sein, denn nur rund ein Viertel der Teilnehmer wusste, dass es Bakterien (nicht Viren und nicht „der Mensch“) sind, die gegen ein Antibiotikum resistent werden können. Rund die Hälfte ging davon aus, dass auch Viren AB-Resistenzen entwickeln (vgl. Abb. 1). Dieses Ergebnis korrespondiert mit der letzten Eurobarometer-Erhebung, in der rund die Hälfte der Befragten glaubte, dass Antibiotika gegen Viren helfen [14].

Interessant ist allerdings, dass die richtige Antwort auf die Wissensfrage (F1) in den multivariablen Analysen keinen signifikanten Einfluss auf die Beantwortung der anderen Fragen hatte. Weder die Einschätzung der Relevanz noch die Arzt-Patienten-Interaktion oder das Einnahmeverhalten unterschieden sich zwischen den Gruppen (vgl. Tab. 2). Aus einer früheren Studie von Faber et al. ist allerdings bekannt, dass Wissen einen Einfluss hat auf die Erwartung des Patienten, ein Antibiotikum bei einer einfachen Erkältung („common cold“) vom Arzt verschrieben zu bekommen. Die Annahme, ein Antibiotikum wirke bei Erkältung oder Grippe war hier der stärkste Prädiktor für die Erwartung einer AB-Verordnung bei einfacher Erkältung. Andererseits hatten insgesamt nur 10,5 % aller Teilnehmer diese Erwartung [16].

Es scheint also, als wäre der Ansatz, allein das Wissen der Bevölkerung zu verbessern, nicht unbedingt der effektivste Hebel in der Eindämmung der AB-Resistenzentwicklung.

Anders verhielt es sich mit dem persönlichen MRE-Bezug (erfragt in F9). Es gaben 20 % der Teilnehmer an, eine oder mehr Personen mit MRE-Problemen persönlich zu kennen. Nach unserem Kenntnisstand ist eine solche Angabe bislang nie erfragt worden. Interessanterweise hat dieser persönliche Bezug zur Thematik in den multivariablen Analysen signifikanten Einfluss auf die Relevanz des Themas, die Einschätzung des eigenen Einflusses, die Häufigkeit, beim Arztbesuch Informationen zu AB-Resistenzen zu bekommen und die Chance, beim Arztbesuch keine AB-Verordnung zu erhalten. Andererseits haben Teilnehmer mit MRE-Bezug signifikant häufiger angegeben, ein vom Arzt erhaltenes Antibiotikum nicht oder nicht wie verordnet genommen zu haben (vgl. Tab. 2). Daraus ergibt sich einerseits, dass die Herstellung eines persönlichen (emotionalen) Bezugs als Mittel genutzt werden könnte, die Aufmerksamkeit für das Thema bei potenziellen Patienten zu erhöhen (z. B. durch personalisierte Erzählungen). Andererseits ist hier aber auch Vorsicht geboten, da sich negative Auswirkungen auf die Einnahme-Compliance bei notwendigen AB-Verordnungen ergeben könnten! Der Interventionsansatz zur Vermeidung nicht indizierter AB-Verordnungen im ambulanten Bereich sollte sich daher auf die Arzt-Patienten-Interaktion konzentrieren und nicht die Allgemeinbevölkerung unabhängig von einem behandelnden Arzt adressieren, da sonst als möglicher negativer Effekt eine Verunsicherung und reduzierte Compliance bei Erkrankten, die ein Antibiotikum benötigen, hervorgerufen werden könnte. Zwar gab es innerhalb und außerhalb Europas zahlreiche Kampagnen, die auf die allgemeine Öffentlichkeit abzielten, eindeutige Effekte auf den Antibiotikaverbrauch zeigten sich aber nur in den sehr großen Kampagnen in Belgien und Frankreich [19], beides Länder mit einem deutlich höheren AB-Gesamtverbrauch als Deutschland [20]. Mögliche negative Auswirkungen wurden nicht untersucht.

Dass es im Arzt-Patienten-Gespräch noch Spielraum für eine kommunikationsbasierte Intervention gibt, lässt sich auch darin erkennen, dass Patienten 3‑mal häufiger ein Antibiotikum erhielten als Informationen zur Thematik (vgl. Abb. 3).

Da sich die RAI-Interventionen auf die neuen Bundesländer konzentrieren werden (Interventionsländer: Berlin, Brandenburg und Thüringen; Kontrollländer: Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern [8]), ist der Einfluss der Region (Ost vs. West), aus der die Teilnehmer des RAI-Projektes kommen, für die Interventionsplanung von Interesse. Auffällig ist hier, dass Teilnehmer aus Ostdeutschland signifikant seltener einen eigenen Einfluss auf das Problem der AB-Resistenzentwicklung sehen (vgl. Tab. 2, F3), andererseits aber auch eine geringere Einnahme-Compliance bei AB-Verordnungen zu haben scheinen (vgl. Tab. 2, F7b).

Zwar gibt es in Deutschland Daten zu ambulanten Antibiotikaverordnungen auf regionaler Ebene [21, 22], zu Einstellungen und AB-Einnahmeverhalten von AB-Anwendern war diesbezüglich bislang aber nichts bekannt.

Generell wird der eigene Einfluss von den Teilnehmern dieser Befragung als eher gering eingeschätzt, was sich neben der Antwort auf die direkte Frage danach (F3) auch in der Auswahl der Ansatzmöglichkeiten zur Eindämmung von MRE (F4) widerspiegelt. Hier wird die AB-Einnahme durch den Patienten an letzter Stelle genannt. Ein Teil einer zukünftigen Intervention könnte deshalb sein, auch Punkte aufzugreifen, die Patienten selbst in der Hand haben, wie den Verzicht der Weitergabe von Antibiotika an andere oder die selbstständige Einnahme übrig gebliebener Tabletten zu einem anderen Zeitpunkt.

Dass 8 % der Teilnehmer schon einmal ein Antibiotikum ohne ärztliche Verordnung genommen haben, ist gut vereinbar mit ähnlichen Daten aus Dänemark (7 %), Luxemburg, Belgien und Österreich (jeweils 9 %) [23]. Für Interventionen ist es wichtig zu wissen, dass dies signifikant häufiger die unter 30-Jährigen betrifft (17 % in dieser Gruppe), die entsprechend adressiert werden sollten, z. B. durch die Entwicklung von Materialien für Schulen. Demgegenüber stehen die 17 % der Patienten, die ein vom Arzt verordnetes Antibiotikum nicht oder nur teilweise genommen haben. Die Botschaft einer Intervention sollte deshalb nicht auf bloßen AB-Verzicht ausgerichtet sein, sondern differenzierter auf das „Wie“ und das „Wann“ eingehen.

Aufschlussreich ist auch die Bewertung von Ansatzpunkten zur Eindämmung der Zunahme von Antibiotikaresistenzen aus der Laienperspektive (F4, vgl. Abb. 2): Die Hygiene im Krankenhaus wurde an erster Stelle genannt (66 % der Teilnehmer). Das entspricht der täglichen Wahrnehmung im praktischen Alltag der Hygienetätigkeit. Vermutlich ist dieses Ergebnis auf eine teilweise recht einseitige Medienberichterstattung zurückzuführen. Über einen längeren Zeitraum wurden öffentlich fast ausschließlich die Krankenhaushygiene und die Tiermast (hier mit 53 % der Teilnehmer an 3. Stelle) im Zusammenhang mit Antibiotikaresistenzen thematisiert, was sich mittlerweile aber bereits langsam ändert. Genauere quantitative Einblicke in die Medienberichterstattung werden sich im Projektverlauf von RAI im Rahmen einer Diskursanalyse innerhalb des Teilprojekts zum öffentlichen Diskurs ergeben. Die Nennung der Antibiotikaverordnungen durch Hausärzte an zweiter Stelle also vor der Tiermast ist deshalb interessant, weil über diesen Teilaspekt öffentlich bisher wesentlich weniger berichtet wurde. Andererseits ist aber der Hausarzt im Alltag eines durchschnittlichen Deutschen die häufigste Kontaktperson im medizinischen System und 85 % der Antibiotikaverordnungen in der Humanmedizin beziehen sich auf den ambulanten Bereich [2]. Somit ist das Antwortverhalten gut erklärbar. Auffällig ist, dass beim Hausarzt ein wesentlich größerer Ansatzpunkt gesehen wird als in der AB-Einnahme durch Patienten (32 %). Die Einschätzung ist einerseits nicht verwunderlich, da Laien in der Regel nicht selbst entscheiden können, wann ein Antibiotikum indiziert ist und wann nicht. Andererseits scheint hier doch ein gewisses Misstrauen gegenüber dem AB-Verordnungsverhalten des Hausarztes zu bestehen. Daher ist es für geplante Interventionen im ambulanten Bereich wichtig, Patienten einerseits aufzuzeigen, was sie selbst tun können (Eigenwirksamkeit), andererseits dabei aber nicht das Vertrauen in den behandelnden Arzt als Experten zu schwächen.

Natürlich hat die vorliegende Erhebung Limitationen:

Telefonisch durchgeführte Interviews können durch unterschiedliche Anwesenheiten und Zeitkontingente verschiedener Teilnehmergruppen beeinflusst sein. Dies wurde versucht so gut wie möglich durch einen soziodemographischen Wichtungsfaktor auszugleichen, den das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid, einer der Marktführer in Deutschland, bei allen durchgeführten Befragungen standardmäßig anwendet. Dennoch ist hier eine gewisse Verzerrung nicht auszuschließen.

Das Antwortverhalten der Teilnehmer war möglicherweise beeinflusst durch den Effekt der sozialen Erwünschtheit. Dies kann sich zum Beispiel auf Angaben zur Wichtigkeit des Themas AB-Resistenzen oder zur Kenntnis des Begriffes ausgewirkt haben. Dies ist allerdings ein generelles Problem bei Surveys. Unser Survey war in eine Mehrthemenbefragung eingebettet und wurde von einer unabhängigen Agentur durchgeführt, was diesen Effekt zumindest so gering wie möglich gehalten hat.

Eine weitere Limitation in der quantitativen Beurteilung der Angaben ist der Recall-Bias. Dieser greift vor allem bei den Fragen nach Arztbesuch, erhaltenen Antibiotika und erhaltenen Informationen. Nicht jeder Teilnehmer hat solche Angaben korrekt im Gedächtnis. Zumindest gab es als Antwortmöglichkeit immer „weiß nicht“ bzw. „weiß nicht mehr“, die aber extrem selten gewählt wurde. Es ist davon auszugehen, dass falsche Erinnerungen in die Antworten mit einflossen. Auch eine Missinterpretation von Fragen ist nicht vollständig auszuschließen. Die Frage „Waren Sie im letzten Jahr mit einem Infekt beim Arzt“ zielte auf den ambulanten Arztbesuch ab. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass auch einige Teilnehmer die Frage bejahten, die mit einer schweren Infektion im Krankenhaus waren. Insgesamt spielt aber für die Durchschnittsbevölkerung (unabhängig von der Diagnose) der ambulante Arztbesuch eine viel größere Rolle als der Krankenhausaufenthalt. So gibt es nach OECD in Deutschland pro Jahr 990 Arztkonsultationen pro 100 Einwohner [24], aber nur 25 Krankenhausaufenthalte (gemessen in Krankenhausentlassungen inklusive Tod) [25].

Fazit

Das Wissen zum Thema AB-Resistenzen in Deutschland ist lückenhaft, dennoch scheint ein persönlicher MRE-Bezug entscheidender zu sein für Einstellungen zum Thema und für den Verlauf einer Arztkonsultation. Aus der Laienperspektive werden Ansatzpunkte vor allem in nicht selbst beeinflussbaren Bereichen wie der Krankenhaushygiene gesehen. Ein tatsächlicher Hauptansatzpunkt findet sich unserer Ansicht nach in der Arzt-Patienten-Kommunikation mit gleichzeitiger Wirkung auf Verordner und Anwender. Hier sehen wir eine potenziell größere Wirkung und weniger unerwünschte Effekte als bei einer bevölkerungsbezogenen Kampagne. Die Einnahme-Compliance bei indizierter AB-Verordnung sollte verbessert werden, gleichzeitig sollten über die Adressierung der Verschreiber nicht indizierte Verordnungen vermieden werden.