Hintergrund

Die Bevölkerung in modernen Informationsgesellschaften fällt im Alltag vielfältige bewusste und unbewusste Entscheidungen, die für die Förderung und den Erhalt der Gesundheit, aber auch im Krankheitsfall relevant sind. Hierzu gehören der Umgang mit Gesundheitsinformationen, die Auswahl von Präventionsmaßnahmen oder im Falle einer Erkrankung die Entscheidung für bzw. gegen eine bestimmte Therapie sowie das Finden eines passenden Behandlungszentrums [1, 2]. Die verschiedenen kognitiven und sozialen Fähigkeiten, die dafür erforderlich sind, werden international als „health literacy“ bezeichnet. Im deutschsprachigen Raum wird dieser Begriff zumeist mit „Gesundheitskompetenz“ (GK) übersetzt, wenngleich diese Übersetzung mittlerweile kontrovers diskutiert wird [3, 4].

Die ersten ursprünglich aus den 1990er-Jahren in den USA stammenden Konzeptionen von GK wurden vielfältig weiterentwickelt [5]. Viele umfassen Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen sowie die Kenntnis von gesundheitsrelevantem Wissen und darüber hinaus dessen Einordnung und Bewertung, um gesundheitsbezogene Entscheidungen zu treffen. Selten wird zwischen 1) funktionaler GK (Lesen, Schreiben, Rechnen), 2) kommunikativer, interaktiver GK (kognitive und soziale Kompetenzen zur Anwendung von Informationen) und 3) kritischer GK (kognitive und soziale Fähigkeiten, um Informationen in Frage zu stellen) unterschieden [6, 7]. Unter Public-Health-Gesichtspunkten ist ein breites Verständnis von GK erforderlich, das nicht nur die GK Einzelner, sondern der Bevölkerung im Blick hat und die Befähigung (Empowerment) für gesundheitsfördernde Entscheidungen umfasst [8, 9]. Eine mehrdimensionale Konzeption von GK hat das Europäische Health Literacy Konsortium (HLS-EU-Consortium) entwickelt. Sie fußt auf der Synthese von 17 GK-Definitionen, die in einem systematischen Review über GK-Konzeptionen identifiziert wurden [10]:

„Gesundheitskompetenz ist mit der Lese- und Schreibfähigkeit verbunden und umfasst das Wissen, die Motivation und die Kompetenzen für den Zugang zu, das Verstehen, die Bewertung und Anwendung von Gesundheitsinformationen, um sich im Alltag über das Gesundheitswesen, die Krankheitsprävention und die Gesundheitsförderung eine Meinung zu bilden und Entscheidungen zu treffen, die die Lebensqualität im Lebensverlauf erhalten oder verbessern“ ([11], S. 3, eigene Übersetzung).

Bisherige Studien weisen darauf hin, dass eine eingeschränkte GK negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand, das Gesundheitsverhalten, bestimmte Risikofaktoren und die Nutzung und Kosten der Gesundheitsversorgung hat [2, 10, 1214]. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ausprägung der GK in der Bevölkerung nicht gleich verteilt ist. Bevölkerungsgruppen mit besonders geringer GK sind häufig durch einen niedrigen Bildungsstand, geringes Einkommen, einen Migrationshintergrund, einen schlechten Gesundheitszustand und ein hohes Lebensalter gekennzeichnet [2, 10, 1416]. Daher werden zunehmend Interventionen zur Verbesserung der GK entwickelt, besonders für Patientinnen und Patienten in der Gesundheitsversorgung [17, 18], aber auch für Bevölkerungsgruppen mit spezifischen Risiken oder Erkrankungen [13, 1921]. Folglich nimmt auch der Bedarf an der Erhebung und Ermittlung der individuellen GK und insbesondere der Verteilung der GK in der Bevölkerung zu.

Für Deutschland liegen bislang erste Ergebnisse zur bevölkerungsweiten Verteilung von GK aus einer Studie für Nordrhein-Westfalen (NRW) [10] sowie für gesetzlich Krankenversicherte (GKV-Versicherte) vor [22]. Bislang fehlen jedoch noch Ergebnisse über die Verteilung von GK in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung, die auf einer deutschlandweit repräsentativen Stichprobe beruhen. Deshalb wird in diesem Beitrag der Frage nachgegangen, wie die GK in der Erwachsenenbevölkerung Deutschlands verteilt ist. Ferner interessiert, ob sich die in anderen Studien gefundenen Assoziationen zwischen der GK und dem Gesundheitsverhalten, verhaltensbezogenen Risikofaktoren und dem Gesundheitszustand von Erwachsenen auch in unserer deutschlandweit repräsentativen Stichprobe beobachten lassen.

Methode

Stichprobe und Datenerhebung

Die Analysen in diesem Beitrags basieren auf Daten der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA), einer Querschnittsbefragung der deutschsprachigen Wohnbevölkerung im Alter ab 18 Jahren, die regelmäßig vom Robert Koch-Institut (RKI) als Komponente des bundesweiten Gesundheitsmonitorings durchgeführt wird [23]. Als vierte Welle der GEDA-Studie wurde die Sondererhebung 2013 (GEDA 2013s) zwischen Oktober 2013 und Juni 2014 durchgeführt. Die Zielpopulation der Studie bildet die volljährige Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, die in Privathaushalten lebt und in den Einwohnermelderegistern mit Hauptwohnsitz registriert ist. Um diese Population zu repräsentieren, wurde eine zweistufige, geschichtete (Klumpen-)Stichprobe gezogen. Auf der ersten Auswahlstufe der Stichprobenziehung wurden insgesamt 100 Studienorte (Sample Points) aus der Gesamtzahl aller politischen Gemeinden in Deutschland ausgewählt. Die Zufallsziehung erfolgte geschichtet nach Bundesländern und siedlungsstrukturellem Kreistyp des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) [24]. Auf der zweiten Auswahlstufe wurden nach dem Zufallsprinzip für jeden Sample Point Adressen aus den Registern der Einwohnermeldeämter gezogen. Stichtag war der 20. November 2013.

Die Studie wurde als Mixed-Mode-Survey mit standardisierten Fragebögen zum Selbstausfüllen durchgeführt. In einem ersten Anschreiben erhielten die Zielpersonen zunächst die postalische Einladung, per Online-Fragebogen an der Studie teilzunehmen. Personen, die drei Wochen nach Versand des Einladungsschreibens nicht online teilgenommen hatten, erhielten einen schriftlich-postalischen Fragebogen mit frankiertem Rückumschlag (sequenzielles Mixed-Mode-Design).

Insgesamt nahmen 2222 Personen online und 2730 Personen schriftlich-postalisch an GEDA 2013s teil. Die „Response Rate 1“ der American Association for Public Opinion Research (AAPOR) [25], die auch als „Minimal Response Rate“ bezeichnet wird und ein international häufig verwendetes Maß für die Stichprobenausschöpfung in bevölkerungsbasierten Surveys darstellt, betrug 20 %. Die soziodemografischen Merkmale der in GEDA 2013s realisierten Stichprobe sind in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Soziodemografische Merkmale der Studienpopulation in GEDA 2013s

Bevor die Befragten einwilligten, an der Studie teilzunehmen, wurden sie über die Ziele, Rahmenbedingungen und Datenschutzmaßnahmen informiert (informed consent). Die Studie wurde vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) geprüft und für unbedenklich erklärt.

Indikatoren

Den Kern von GEDA 2013s bildet der Fragebogen der Europäischen Gesundheitsumfrage (EHIS) [26] mit vier inhaltlichen Modulen über Gesundheitszustand, Gesundheitsversorgung, Gesundheitsdeterminanten und Soziodemografie. Darüber hinaus wurde GEDA 2013s mit gesundheitspolitisch relevanten Fragemodulen wie der Messung von GK ergänzt.

Soziodemografie

Um zu untersuchen, inwieweit sich die allgemeine GK von Frauen und Männern im jüngeren, mittleren und höheren Erwachsenenalter unterscheidet, wurden drei Altersgruppen gebildet: 18 bis 39 Jahre, 40 bis 59 Jahre sowie 60 Jahre und älter. Der Bildungsstand der Befragten wurde anhand von Informationen zu schulischen und beruflichen Bildungsabschlüssen mithilfe der International Standard Classification of Education 1997 (ISCED-97) erfasst und in die Kategorien niedrig (Level 1–2), mittel (Level 3–4) und hoch (Level 5–6) eingestuft [27].

Gesundheitskompetenz

Zur Erfassung der GK wurde das Instrument verwendet, das im Rahmen des European Health Literacy Survey (HLS-EU) entwickelt wurde und dem die oben genannte Definition von GK zugrunde liegt [10]. Das Instrument erfasst die vier Dimensionen von (allgemeiner) GK (Zugang, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von Gesundheitsinformationen) in den Bereichen Krankheitsprävention, Gesundheitsförderung und Krankenversorgung [28]. Es wurde auf die Rasch-skalierte Kurzform dieses Instruments zurückgegriffen (HLS-EU-Q16). Die insgesamt 16 Items dieser Kurzform wurden von Röthlin et al. [29] so ausgewählt, dass die Matrix der 47 Items umfassenden Langform möglichst ausgewogen repräsentiert wird und das Instrument gleichzeitig möglichst gute psychometrische Eigenschaften aufweist. Die Items beziehen sich auf verschiedene Aufgaben und Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit gesundheitlicher Versorgung, Krankheitsprävention oder Gesundheitsförderung stehen (vgl. Tab. 2). Die Befragten schätzen jeweils ein, wie einfach die entsprechende Aufgabe oder Tätigkeit ihrer Ansicht nach ist („sehr einfach“, „ziemlich einfach“, „ziemlich schwierig“, „sehr schwierig“).

Tab. 2 Prozentuale Häufigkeiten der Einzelitems des HLS-EU-Q16 für „ziemlich schwierig“ oder „sehr schwierig“, GEDA 2013s, n = 4952

Mit einem Cronbach’s α = 0,90 zeigte der HLS-EU-Q16 in GEDA 2013s eine sehr gute interne Konsistenz. Die Berechnung des GK-Score erfolgte nach dem von den Skalenentwicklern empfohlenen Verfahren [29]. Demzufolge wurden die einzelnen Items zunächst binarisiert, indem jeweils die beiden äußeren Antwortkategorien zusammengefasst wurden (1 = „sehr einfach“/„ziemlich einfach“, 0 = „ziemlich schwierig“/„sehr schwierig“). Schließlich wurde der allgemeine GK-Score als Summenscore der 16 binären Items berechnet [29]. Befragten mit mehr als zwei fehlenden Werten wurde kein Score-Wert zugewiesen. Nach den von Röthlin et al. [29] vorgeschlagenen Grenzwerten für den HLS-EU-Q16 werden drei GK-Level unterschieden: „ausreichend“ (Score 13–16), „problematisch“ (Score 9–12) und „inadäquat“ (Score 1–8).

Gesundheitsindikatoren

Das Gesundheitsbewusstsein der Befragten wurde mit der Frage „Wie stark achten Sie im Allgemeinen auf Ihre Gesundheit?“ ermittelt [30]. Im Hinblick auf das Gesundheitsverhalten und verhaltensbezogene Risikofaktoren wurden Indikatoren der körperlich-sportlichen Aktivität, des Obst- und Gemüseverzehrs, des Körpergewichts und des Alkoholkonsums herangezogen. Im Fragebogen konnten die Befragten angeben, wie viel Obst und Gemüse sie täglich zu sich nehmen, an wie vielen Tagen in einer typischen Woche sie Sport, Fitness oder körperliche Aktivität in der Freizeit ausüben und wie häufig sie in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal pro Woche sechs oder mehr alkoholische Getränke bei einer Gelegenheit (Rauschtrinken) zu sich nahmen. Von Adipositas wurde ausgegangen, wenn der Body-Mass-Index ≥ 30 kg/m2 lag [31].

Zur Erfassung des selbsteingeschätzten allgemeinen Gesundheitszustands diente eine fünfstufige verbale Rating-Skala [32]. Darüber hinaus wurde danach gefragt, ob eine chronische Krankheit oder ein lang andauerndes gesundheitliches Problem besteht. Auf einer sechsstufigen verbalen Rating-Skala konnten die Befragten die Stärke körperlicher Schmerzen in den vergangenen vier Wochen beurteilen. Zur Bestimmung einer aktuellen depressiven Symptomatik diente der diagnostische Algorithmus für die 8-Item-Depressionsskala des Patient Health Questionnaire (PHQ-8) [33].

Statistische Analyse

Mittels Kreuztabellenanalyse wurden prozentuale Häufigkeiten für die einzelnen GK-Level differenziert nach Geschlecht, Altersgruppe und Bildungsstand berechnet. Von statistisch signifikanten Unterschieden bzw. Zusammenhängen wurde ausgegangen, wenn sich die 95 %-Konfidenzintervalle (KIs) nicht überschnitten und/oder die entsprechenden p-Werte aus χ²-Unabhängigkeitstests < 0,05 lagen. Auf Basis binär logistischer Regressionsmodelle wurden Zusammenhänge zwischen dem GK-Level und gesundheitsbezogenen Indikatoren untersucht. Dabei wurden das Lebensalter, der Bildungsstand und das Gesundheitsbewusstsein statistisch adjustiert. Alle Analysen wurden sowohl für die Gesamtstichprobe als auch getrennt für Frauen und Männer durchgeführt, um geschlechterspezifische Aussagen treffen zu können. In Gesamtmodellen für Frauen und Männer wurde zusätzlich für Geschlecht adjustiert. Befragte, die bei einer oder mehrerer Variablen einen fehlenden Wert aufwiesen, wurden in diesen Analysen ausgeschlossen. Die Regressionsergebnisse werden als statistische Chancenverhältnisse (Odds Ratios, ORs) mit dazugehörigen 95 %-KI und p-Werten ausgewiesen.

Durch die Verwendung von Gewichtungsfaktoren wurde das Stichprobendesign berücksichtigt und die Stichprobenzusammensetzung an die Alters-, Geschlechter-, Bildungs- und Regionalverteilung der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands angepasst, um Effekte systematischer Nicht-Teilnahmen zu adjustieren und die Repräsentativität der Ergebnisse zu erhöhen. Als Referenz diente die amtliche Statistik (Bevölkerungsfortschreibung zum 31.12.2012, Mikrozensus 2012). Um sowohl die Gewichtung als auch die Korrelation der Teilnehmenden innerhalb eines Sample Points zu berücksichtigen, wurden die Konfidenzintervalle und p-Werte mit den Survey-Prozeduren des Statistikprogramms Stata 13.1 SE berechnet.

Ergebnisse

In Tab. 2 finden sich die prozentualen Häufigkeiten für die Einzelitems des HLS-EU-Q16. Von 4845 Befragten bzw. 97,8 % der Gesamtstichprobe lagen für mindestens 14 Items gültige Werte vor, sodass der GK-Score nach dem HLS-EU-Q16 berechnet werden konnte. Der Anteil der Personen, die ein Einzelitem des HLS-EU-Q16 als „ziemlich schwierig“ oder „sehr schwierig“ einschätzten, variiert stark zwischen den verschiedenen Fragen und reicht von 4,0 % (Verstehen der Anweisungen des Arztes oder Apothekers zur Einnahme von verschriebenen Medikamenten) bis 50,7 % (Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit von Informationen über Gesundheitsrisiken in den Medien).

Mehr als die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland hat nach den Kriterien des HLS-EU-Q16 eine „ausreichende“ GK in der Studie GEDA 2013s. Für fast jede dritte Person ist eine „problematische“ und für nahezu jede achte Person eine „inadäquate“ GK zu verzeichnen. Signifikante Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind diesbezüglich nicht festzustellen (p = 0,86). Zwischen Personen im jüngeren, mittleren und höheren Erwachsenenalter zeichnen sich ebenfalls keine statistisch signifikanten Unterschiede hinsichtlich ihres GK-Levels ab (Tab. 3). Demgegenüber zeigt sich in der nach Bildung differenzierten Betrachtung, dass Erwachsene mit niedrigem Bildungsstand zumeist eine geringere GK aufweisen als höhere Bildungsgruppen. Dies ist bei Frauen etwas deutlicher zu erkennen als bei Männern. So haben Frauen mit niedrigem Bildungsstand gegenüber gleichaltrigen Frauen mit hohem Bildungsstand eine um den Faktor 2,1 erhöhte statistische Chance für eine „inadäquate“ GK (OR = 2,10 ; 95 %-KI = 1,36–3,23; p < 0,001). Bei Männern mit niedriger Bildung ist diese Chance gegenüber Gleichaltrigen mit hoher Bildung um den Faktor 1,8 erhöht (OR = 1,83; 95 %-KI = 1,17–2,87; p < 0,01).

Tab. 3 Prozentuale Verteilung der Gesundheitskompetenz-Level in der Erwachsenenbevölkerung Deutschlands nach Geschlecht, Alter und Bildung, GEDA 2013s, n = 4845

Ein deutlicher Zusammenhang ist zwischen dem GK-Level und dem Gesundheitsbewusstsein zu erkennen (p < 0,001). So liegt der Anteil derer, die „stark“ bis „sehr stark“ auf ihre eigene Gesundheit achten, unter Personen mit „ausreichender“ GK bei 51,4 % (95 %-KI = 49,1–53,8). Bei „problematischer“ und „inadäquater“ GK ist dieser Anteil deutlich geringer und beträgt 42,0 % (95 %-KI = 39,1–45,0) bzw. 29,2 % (95 %-KI = 24,1–34,9). Dieses Verteilungsmuster zeichnet sich sowohl bei Frauen als auch bei Männern ab (Abb. 1). Der Zusammenhang zwischen GK und Gesundheitsbewusstsein bleibt auch nach statistischer Kontrolle für Alter und Bildung bestehen. Demnach haben Frauen und Männer mit „ausreichender“ GK bei gleichem Alter und ähnlichem Bildungsstand eine etwa 2,5-mal höhere Chance, „stark“ bis „sehr stark“ auf die eigene Gesundheit zu achten, als jene mit „inadäquater“ GK (Frauen: OR = 2,87; 95 %-KI = 1,96–4,21; p < 0,001; Männer: OR = 2,43; 95 %-KI = 1,61–3,68; p < 0,001).

Abb. 1
figure 1

Achten auf die eigene Gesundheit („stark“/„sehr stark“) nach Gesundheitskompetenz-Level, GEDA 2013s, n = 4845

Neben dem Gesundheitsbewusstsein variieren auch bestimmte Gesundheitsverhalten und verhaltensbezogene Risikofaktoren mit dem GK-Level (Tab. 4). So zeigen sich bei Personen mit „inadäquater“ GK im Vergleich zu Personen mit „ausreichender“ GK jeweils niedrigere Prävalenzen für häufige körperlich-sportliche Aktivität sowie einen ausgeprägten Obst- und Gemüseverzehr. Nach statistischer Kontrolle für potenzielle Drittvariablen (Alter, Bildung, Gesundheitsbewusstsein) bleibt bei Männern der Zusammenhang zwischen der allgemeinen GK und körperlich-sportlicher Aktivität bestehen, während bei Frauen die Assoziation zum Obst- und Gemüseverzehr zwischen „problematischer“ GK im Vergleich zu Personen mit „ausreichender“ GK fortbesteht. Die Prävalenz von Adipositas liegt bei „inadäquater“ GK deutlich höher als bei „ausreichender“ GK, was sich auch nach multivariater Kontrolle bei Männern bestätigt. Im Hinblick auf regelmäßiges Rauschtrinken als Indikator für gesundheitsriskanten Substanzkonsum sind weder bei Frauen noch bei Männern wesentliche Unterschiede nach dem GK-Level festzustellen.

Tab. 4 Assoziationen der Gesundheitskompetenz mit Indikatoren des Gesundheitsverhaltens und verhaltensbezogenen Risikofaktoren bei Erwachsenen in Deutschland, GEDA 2013s, n = 4845

In Tab. 5 sind Assoziationen zwischen dem GK-Level und verschiedenen Indikatoren des Gesundheitszustands dargestellt. Dabei zeigt sich, dass eine geringere GK mit einer deutlich niedrigeren Prävalenz eines „sehr guten“ oder „guten“ subjektiven Gesundheitszustands und mit jeweils höheren Prävalenzen für chronische Krankheit bzw. lang andauerndes gesundheitliches Problem, „starke“ bis „sehr starke“ körperliche Schmerzen sowie depressive Symptomatik einhergeht. Diese Assoziationen bleiben auch nach multivariater Adjustierung bei Frauen und Männern statistisch signifikant.

Tab. 5 Assoziationen zwischen Gesundheitskompetenz und gesundheitlicher Lage von Erwachsenen in Deutschland, GEDA 2013s, n = 4845

Diskussion

Zentrale Ergebnisse

Die vorliegenden Ergebnisse aus der Studie GEDA 2013s zeigen, dass sich mehr als jede zweite Person im Erwachsenenalter imstande sieht, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf ihre gesundheitliche Entwicklung auswirken können. Gleichzeitig lassen die Daten erkennen, dass fast die Hälfte der Frauen und Männer Schwierigkeiten wahrnehmen, gesundheitsrelevante Entscheidungen zu treffen. Die Ergebnisse lassen weiter darauf schließen, dass bestimmte Gesundheitsverhalten und verhaltensbezogene Risikofaktoren in der Erwachsenenbevölkerung zuungunsten von Personen mit geringer GK verteilt sind. Dies gilt jedoch für verschiedene Verhaltensweisen bzw. Risikofaktoren nicht gleichermaßen und unterscheidet sich teilweise zwischen Frauen und Männern. Darüber hinaus weisen die Ergebnisse darauf hin, dass eine geringe GK bei Erwachsenen mit einer deutlich schlechteren gesundheitlichen Lage einhergeht, was sich sowohl in Bereichen der körperlichen als auch der psychischen Gesundheit beobachten lässt.

Vergleich mit anderen Studien

Die Verteilung der allgemeinen GK-Level in GEDA 2013s weist grundsätzlich ein ähnliches Muster wie in zwei anderen aktuellen Studien aus Deutschland auf [10, 22], die auch das HLS-EU-Instrument in großen Bevölkerungsgruppen eingesetzt haben. Die Gruppe mit dem niedrigsten GK-Level („inadäquate“ GK) bewegt sich auch in den anderen Studien um etwa ein Achtel. Dagegen zeigen sich deutliche Unterschiede hinsichtlich der Gruppe mit problematischer GK, die in GEDA 2013s mit 31,9 % niedriger ausfällt als in der Studie aus NRW (35,1 %) [10] und der Befragung unter GKV-Versicherten (45,0 %) [22]. Entsprechend höher fällt bei GEDA 2013s der Anteil von Personen mit mindestens „ausreichender“ GK aus: Mit 55,8 % liegt dieser Anteil in GEDA 2013s auf dem Niveau der NRW-Studie (54,1 %), aber fast 15 Prozentpunkte über der Studie mit GKV-Versicherten (40,4 %).

Die deutlich besseren Werte für die allgemeine GK in GEDA 2013s sowie der NRW-Studie im Vergleich zu der Befragung unter GKV-Versicherten dürfte insbesondere in den unterschiedlichen Stichproben und Erhebungsmethoden begründet liegen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Stichprobe der GKV-Versicherten durchschnittlich durch eine niedrigere Bildung und eine höhere Morbidität gekennzeichnet ist als diejenige in GEDA 2013s und jene aus NRW, die beide auch privat Krankenversicherte einschlossen [10, 22]. Außerdem wurde in der GKV-Versichertenstichprobe ein anderes Verfahren zur Berechnung des GK-Index gewählt. Zudem wurde in der GKV-Studie das erste anstelle des zweiten Items aus der Langfassung des HLS-EU-Instruments verwendet, was die Vergleichbarkeit der GKV-Ergebnisse mit anderen Studien, in denen die Kurzform des Instruments eingesetzt wurde, erschwert. Das in GEDA 2013s gefundene Verteilungsmuster der GK-Level entspricht im Wesentlichen auch dem „europäischen Durchschnitt“, gebildet aus den Ergebnissen aus NRW und sieben weiteren europäischen Ländern [10]. Die Anteile fehlender Werte, die Verteilung der 16 Einzelitems sowie des GK-Index verhalten sich ähnlich wie in der europäischen Studie [10] bzw. einer österreichischen Studie mit 15-Jährigen [29].

In verschiedenen bevölkerungsweiten [10, 15, 16, 34] und zielgruppen- oder kontextspezifischen [13] Studien wurden Assoziationen zwischen soziodemografischen Merkmalen und GK gefunden. Dabei waren zumeist weibliches Geschlecht, höheres Lebensalter oder höhere Bildung mit einem höheren GK-Level assoziiert. In GEDA 2013s zeigten sich ebenfalls deutliche Bildungsunterschiede in der bevölkerungsweiten Verteilung der verschiedenen GK-Levels, wohingegen sich keine signifikanten Alters- und Geschlechterunterschiede nachweisen ließen. Aber auch die NRW-Studie findet keine signifikante Assoziation zwischen allgemeiner GK und Alter [10]. Somit zeigt die soziodemografische Verteilung der GK-Level in GEDA 2013s ein gemischtes Bild, wie es in anderen bevölkerungsweiten Studien zu finden ist [15, 34, 35]. Hinsichtlich der Bildungsunterschiede wird vermutet, dass GK eine Rolle bei der Erklärung des Zusammenhangs zwischen niedrigem Bildungsniveau und schlechter Gesundheit spielen könnte [36]. Somit könnte in künftigen Studien weiter der Frage nachgegangen werden, welchen Beitrag soziale Unterschiede in der Verbreitung von GK zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit leisten, insbesondere Bildung.

Die dargestellte Assoziation zwischen dem Gesundheitsbewusstsein und der allgemeinem GK wurde auch in der Studie mit GKV-Versicherten gefunden [22] und passt zu dem Befund unserer Studie, dass bestimmte Gesundheitsverhalten und verhaltensbezogene Risikofaktoren mit GK assoziiert sind. Unsere wie auch andere Studienergebnisse zeigen in die gleiche Richtung, dass gesundheitsförderlichere Gesundheitsverhalten mit einem höheren GK-Level einhergehen. Aber die Studienlage ist nicht konsistent: je nach Studie muss dies nicht für alle erhobenen Gesundheitsverhalten zutreffen und kann auch zwischen verschiedenen Studien unterschiedlich ausfallen [10, 22, 34, 37]. Dies dürfte zum Teil auf unterschiedliche Methoden zur Erfassung von körperlicher Aktivität, Ernährung, Alkoholkonsum sowie der GK zurückzuführen sein. Auch könnte dafür verantwortlich sein, dass nach wie vor die Wirkmechanismen bei GK noch ungenügend erklärt sind, insbesondere welche Rolle Drittvariablen in diesen Zusammenhängen spielen [7, 10].

Konsistenter stellt sich das Verhältnis zwischen GK und der gesundheitlichen Lage dar. Insbesondere die in GEDA 2013s gefundene positive Assoziation zwischen GK und subjektiver Gesundheit ist aus anderen Studien auch für Deutschland bereits belegt [13, 16, 22, 38]. In der HLS-EU-Studie erwies sich GK als stärkster Prädiktor für subjektive Gesundheit [10]. Aber auch für die anderen Indikatoren zur gesundheitlichen Lage finden sich Studienergebnisse, die die Richtung der gefundenen Assoziation bestätigen [10, 22].

Die Unterschiede zwischen den Ergebnissen verschiedener Studien sind ein Hinweis auf die in der Literatur bereits diskutierte Problematik der verschiedenen GK-Erhebungsinstrumente, die unterschiedlich operationalisiert sind, verschiedene Dimensionen und Definitionen von GK erfassen und für verschiedene Kontexte entwickelt wurden [39]. Haun et al. [39] identifizierten in ihrem aktuellen systematischen Review 51 Messinstrumente zur Erfassung von GK, von denen 26 die allgemeine GK erfassen, 15 sich auf eine spezifische Krankheit oder einen speziellen Inhalt bezogen und zehn sich an spezifische Bevölkerungsgruppen richten. Doch Altin et al. [40] finden in ihrem aktuellen Review nur 17 Erhebungsinstrumente zur allgemeinen GK, in denen ihre methodische Entwicklung berichtet wird.

Methodische Stärken und Limitationen

Mit den vorliegenden Ergebnissen der GEDA-Sondererhebung 2013 liegen erstmals Ergebnisse zur Verteilung von allgemeiner GK vor, die auf einer deutschlandweit repräsentativen Stichprobe in der Erwachsenenbevölkerung beruhen. Bisherige bevölkerungsweite Studien aus Deutschland bezogen sich auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, bspw. gesetzlich Krankenversicherte [22], die Bevölkerung Nordrhein-Westfalens ab 15 Jahren [10], Erwerbstätige [38] oder vulnerable Gruppen [41]. Die vorliegenden Ergebnisse können demnach als bundesweite Referenzdaten für den HLS-EU-Q16 zur Erfassung der allgemeinen GK in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung dienen. In den vorliegenden Analysen konnte die GK in Verbindung mit einem breiten Spektrum gesundheitsrelevanter Indikatoren analysiert werden. Aus dem Studiendesign und den Methoden der Datenerhebung ergeben sich allerdings auch verschiedene Limitationen.

Zum einen ist die Aussagekraft der Ergebnisse dadurch begrenzt, dass die Daten zur GK auf Selbsteinschätzungen der Befragten basieren. Mögliche Effekte, zum Beispiel durch sozial erwünschtes Antwortverhalten oder individuell unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe, sind hierbei nicht auszuschließen. Mit sozial erwünschtem Antwortverhalten ist allerdings eher in persönlichen oder telefonischen Interviews als in Befragungsstudien mit Selbstausfüll-Fragebögen, wie sie in der GEDA-Studie 2013s verwendet wurden, zu rechnen [42]. Zwischen verschiedenen Formen von Selbstausfüll-Fragebögen (online versus schriftlich-postalisch) sind dagegen kaum Unterschiede im Antwortverhalten zu erwarten [43]. Selbstangaben zur GK bieten neben den genannten Einschränkungen allerdings auch einen wichtigen Vorteil. Sie spiegeln wider, wie (potenzielle) Nutzerinnen und Nutzer von Gesundheitsinformationen und gesundheitlicher Versorgung ihre Möglichkeiten für einen souveränen Umgang mit den damit verbundenen Anforderungen selbst wahrnehmen und bewerten. Damit bilden sie eine wesentliche Grundlage für die Beschreibung und Analyse der Nutzerperspektive im Gesundheitswesen.

Zum anderen ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen, dass es sich um eine Studie im Querschnittdesign handelt. Demnach wurden alle Merkmale zum gleichen Zeitpunkt erhoben und es können keine Aussagen über Kausalität der untersuchten Zusammenhänge getroffen werden. Zum Beispiel kann die Frage nach der Kausalität und Kausalrichtung für die beobachteten Zusammenhänge zwischen allgemeiner GK und der gesundheitlichen Lage auf Basis der Daten nicht beantwortet werden.

Darüber hinaus ist die niedrige Stichprobenausschöpfung bei der Interpretation und Bewertung der Ergebnisse zu berücksichtigen. So könnten systematische Teilnahmeverweigerungen zu Stichprobenverzerrungen und dadurch bedingten Verzerrungen der Studienergebnisse (Selektionsbias) geführt haben. Allerdings wurden durch die in den Analysen verwendete Gewichtungsprozedur systematische Stichprobenausfälle entlang bekannter Merkmale (Alter, Geschlecht, Bildung, Bundesland, Siedlungsstrukturtyp) statistisch ausgeglichen, um einem möglichen Selektionsbias entgegenzuwirken. Zu beachten ist auch, dass die Erhebungsinstrumente ausschließlich in deutscher Sprache zur Verfügung standen, was zu einer Unterrepräsentation von Personen ohne deutsche Sprachkenntnisse und damit möglichweise auch zu einer Überschätzung der GK geführt haben könnte.

Fazit

Ein erheblicher Teil der in Deutschland lebenden Erwachsenen hat nach eigener Einschätzung Schwierigkeiten beim Zugang zu sowie beim Verstehen, Bewerten und Anwenden von Gesundheitsinformationen, sei es im Kontext des Zurechtfindens im Gesundheitswesen oder im Hinblick auf Möglichkeiten zur Prävention und Gesundheitsförderung. Gesundheitliche Kompetenzen sind sozial ungleich verteilt und mit bestimmten Gesundheitsverhalten sowie der gesundheitlichen Lage assoziiert.

Mit der nächsten GEDA-Welle wird eine erheblich größere Stichprobe für weitere Auswertungen zum Thema GK zur Verfügung stehen, sodass spezifische Informationen für Wissenschaft, Politik und Praxis bereitgestellt werden, die für die Entwicklung von Maßnahmen zur Verbesserung der GK in der Bevölkerung herangezogen werden können. Eine Stärkung von gesundheitlichen Kompetenzen sollte dabei nicht allein auf die Förderung individueller Fähigkeiten abzielen, sondern auch der Entwicklung von gesundheitskompetenten Lebenswelten einen hohen Stellenwert beimessen („health-literate settings“) [2].