Hintergrund und Fragestellung

Über den individuellen gesundheitlichen Nutzen von Impfungen hinaus ist die populationsbezogene Effektivität von Impfungen abhängig von hohen Impfquoten. Nur so können durch die schützende Wirkung der sog. Herdenimmunität die Individuen, die zu jung oder zu krank für eine Impfung sind, wirkungsvoll vor Krankheiten geschützt werden. Der gesundheitliche, aber auch ökonomische Nutzen von Impfungen, in Form von überproportionaler Senkung der Erkrankungshäufigkeit und Verlängerung der ausbruchsfreien Intervalle, kann erst bei hohen Impfquoten ausgeschöpft werden [1]. Individuelle Impfentscheidungen sind abhängig von der subjektiven Nutzen-Risiko-Bewertung jedes Einzelnen [2, 3]. In Zeiten sinkender oder niedriger Inzidenzen werden Krankheitsrisiken weniger, aber reale oder befürchtete Impfrisiken stärker wahrgenommen, sodass das Erreichen und Erhalten von hohen Impfquoten eine andauernde Herausforderung darstellen.

Die Grundlage für evidenzbasierte gesundheitspolitische Entscheidungen im Bereich der Impfprävention sind aktuelle Daten über Inzidenz und Impfquoten. Unter Impfquote versteht man die Anzahl der Personen einer Grundgesamtheit, die eine Impfung oder eine Impfserie erhalten haben, gemessen an der Personenanzahl der Grundgesamtheit. Da in Deutschland Impfquoten nicht über ein Impfregister erfasst werden, setzt sich das Monitoring der Impfquoten aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Während für Kinder mit den Daten der Schuleingangsuntersuchungen wenigstens für eine Altersgruppe regelmäßig Daten erhoben werden, lagen bis vor kurzem für Erwachsene in Deutschland nur Informationen aus kleineren, sporadischen Erhebungen [4, 5, 6] und aus Auswertungen von kassenärztlichen Abrechnungsdaten [7] und vor allem zu Influenza-Impfungen vor. Bevölkerungsrepräsentative Erhebungen zur Durchimpfung wie der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes [8] oder der Bundesgesundheitssurvey 1998 (BGS98) liegen schon viele Jahre zurück. Das Ziel der Arbeit ist es, unter Berücksichtigung des „Multi-mode-Datenerhebungsmodus“ die Durchimpfung für von der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) empfohlene Standard- sowie ausgewählte Indikationsimpfungen im Überblick darzustellen und Unterschiede der Durchimpfung nach Alter, Geschlecht und Sozialstatus zu untersuchen. Für Tetanus und Diphtherie soll die aktuelle Durchimpfung mit der von vor 10 Jahren verglichen werden.

Methoden

Die „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS) ist Bestandteil des Gesundheitsmonitorings des Robert Koch-Instituts (RKI). Konzept und Design von DEGS sind an anderer Stelle ausführlich beschrieben [9, 10, 11, 12, 13]. Die erste Erhebungswelle (DEGS1) wurde von 2008 bis 2011 durchgeführt und umfasste Befragungen, Untersuchungen und Tests [14, 15]. Zielpopulation war die in Deutschland lebende Bevölkerung im Alter von 18 bis 79 Jahren. DEGS1 hat ein Mischdesign, das gleichzeitig quer- und längsschnittliche Analysen ermöglicht. Hierbei wurde eine Einwohnermeldeamtsstichprobe durch ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer des BGS98 ergänzt. Insgesamt nahmen 8152 Personen teil, darunter 4193 Ersteingeladene (Response 42 %) und 3959 ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer des BGS98 (Response 62 %). 7238 Personen besuchten eines der 180 Untersuchungszentren, 914 wurden ausschließlich befragt. Die Nettostichprobe [10] ermöglicht für den Altersbereich von 18 bis 79 Jahren repräsentative Querschnittanalysen und Trendaussagen im Vergleich mit dem BGS98 (n = 7988, davon 7116 in Untersuchungszentren). Die Daten der erneut Teilnehmenden sind für Längsschnittanalysen nutzbar. Die Querschnitt- und Trendanalysen werden mit einem Gewichtungsfaktor durchgeführt, der Abweichungen der Stichprobe von der Bevölkerungsstruktur (Stand 31.12.2010) hinsichtlich Alter, Geschlecht, Region und Staatsangehörigkeit sowie Gemeindetyp und Bildung korrigiert [10].

Für den Untersuchungsteil wurde ein gesonderter Gewichtungsfaktor erstellt. Bei der Berechnung der Gewichtung für die ehemaligen Teilnehmenden des BGS98 wurde die Wiederteilnahmewahrscheinlichkeit, basierend auf einem logistischen Modell, berücksichtigt. Für die Durchführung von Trendanalysen werden die Daten des Bundesgesundheitssurveys 1998 auf den Bevölkerungsstand zum 31.12.2010 altersadjustiert. Eine Nonresponder-Analyse und der Vergleich einzelner erhobener Indikatoren mit Daten der amtlichen Statistik weisen auf eine hohe Repräsentativität der Stichprobe für die Wohnbevölkerung in Deutschland hin [10].

Um sowohl die Gewichtung als auch die Korrelation der Teilnehmenden innerhalb einer Gemeinde zu berücksichtigen, wurden die Konfidenzintervalle mit dem Verfahren für komplexe Stichproben von SPSS-20 bestimmt. Unterschiede werden als statistisch signifikant angesehen, wenn sich die jeweiligen 95 %-Konfidenzintervalle nicht überschneiden.

Die Impfquoten wurden mit 95 %-Konfidenzintervall stratifiziert nach Geschlecht, Alter, sozioökonomischem Status (SES) und Leben in Ost- oder Westdeutschland angegeben. Der Sozialstatus wurde anhand eines Indexes bestimmt, in den Angaben zu schulischer und beruflicher Ausbildung, beruflicher Stellung sowie Haushaltsnettoeinkommen (bedarfsgewichtet) eingehen und der eine Einteilung in niedrige, mittlere und hohe Statusgruppe ermöglicht [16]. Für die Erhebung von Impfdaten in DEGS1 wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre Impfdokumente (Impfpässe und Impfbescheinigungen) zur ärztlichen Untersuchung mitzubringen. Im Untersuchungszentrum wurden die vorgelegten Impfdokumente unter Berücksichtigung der Teilnehmeraussage zur Vollständigkeit durch die Feldärzte geprüft und anschließend kopiert. Waren die Dokumente vollständig, erfolgte die Eingabe der ärztlich dokumentierten Impfungen im Robert Koch-Institut durch speziell geschulte, medizinisch vorgebildete Kräfte; es wurde jedoch kein computerassistiertes persönliches Interview (CAPI) durchgeführt. Fehlte ein Impfpass oder waren die vorgelegten Impfdokumente unvollständig, wurde der Impfstatus (zusätzlich) im CAPI erhoben. Probanden, die zur ärztlichen Untersuchung keinen Impfpass vorgelegt hatten, wurden gebeten, diesen nachzusenden. Die Grundlage der hier dargestellten Impfquoten sind damit im Impfpass ärztlich dokumentierte Impfungen, im CAPI erfragte Selbstangaben der Probanden und aus beiden Quellen zusammengeführte Informationen im Sinne eines Multimode-Verfahrens. Im CAPI wurde mit der Frage „Wurden Sie jemals gegen … geimpft?“ die Lebenszeitprävalenz für mindestens eine Impfdosis der jeweiligen Impfung erfasst. Für Tetanus, Diphtherie und Pertussis (Keuchhusten) wurde nachfolgend gefragt, ob die Impfung innerhalb der letzten 10 Jahre stattgefunden hat, und damit die 10-Jahres-Prävalenz erhoben. Die Aufbereitung der im Impfpass dokumentierten Impfungen erfolgte diesen Fragen entsprechend. Darüber hinaus wurden mit dem Impfpass zusammen abgegebene Vermerke über Impfungen, die nicht einer ärztlich dokumentierten Impfung entsprachen, gesammelt und gleichgestellt zu den im CAPI erfragten Selbstangaben berücksichtigt.

Ergebnisse

Für 99,0 % der Teilnehmenden konnten Angaben zum Impfstatus erhalten werden (Tab. 1). Bei zwei Dritteln der Erwachsenen basieren die Angaben ganz (40,8 %) oder teilweise (26,8 %) auf Impfpassdaten. Frauen legten signifikant häufiger als Männer einen Impfpass vor. Die höchste Quote als vollständig beurteilter Impfpässe wurde bei 18- bis 29-jährigen Frauen erreicht, die niedrigste Quote zeigte sich bei 60- bis 69-jährigen Männern. Generell war zu beobachten, dass die Impfinformationen mit zunehmendem Alter immer seltener ausschließlich auf Impfpassdaten basiert werden konnte und die Kombination der Informationen aus Impfpass und CAPI an Bedeutung gewann.

Tab. 1 DEGS1-Stichprobe für Impfangaben nach Quelle der Impfinformation nach Geschlecht und Altersgruppen in Prozent mit 95 %-Konfidenzintervallen

Der Anteil von Teilnehmenden, für die keine Informationen zum jeweiligen Impfstatus erhalten werden konnte, variierte stark nach Art der Impfung. Während nur für 2,9 % der Erwachsenen keine Informationen zum Influenza-Impfstatus erhalten werden konnten, waren es bezogen auf den Impfstatus gegen Pertussis 11,1 % (Daten nicht gezeigt). Informationen über die Anzahl fehlender Werte sind über die jeweiligen Angaben der ungewichteten Fallzahlen in Tab. 2 enthalten.

Tab. 2 Impfquoten nach Geschlecht und Altersgruppen in Prozent mit 95 %-Konfidenzintervallen

Lebenszeitprävalenz

Tab. 2 zeigt Prävalenzen von Impfungen nach Geschlecht und Altersgruppen. Die höchsten Impfquoten werden mit 96,0 % für eine jemals erhaltene, aktive Immunisierung gegen Tetanus erreicht. Die Impfquote ist bei Männern (97,0 %; 95 %-Konfidenzintervall 96,2–97,7) statistisch signifikant höher als bei Frauen (95,0 %; 94,0–95,9). Gegen Diphtherie sind 81,5 % der Erwachsenen mit mindestens einer Impfdosis geimpft; anders als bei Tetanus sind Frauen statistisch signifikant häufiger als Männer geimpft. Gegen Poliomyelitis sind 85,6 % der Erwachsenen geimpft; die höhere Impfquote bei Frauen im Vergleich zu Männern ist in der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen besonders deutlich. Gegen Pertussis haben 34,5 % der Erwachsenen mindestens eine Impfdosis erhalten; während in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen kein Unterschied zwischen den Geschlechtern besteht, sind 30- bis 59-jährige Frauen eher häufiger gegen Pertussis geimpft als Männer in diesem Altersbereich. Gegen Hepatitis B haben 32,9 % der Erwachsenen mindestens eine Impfdosis erhalten; wie bei Pertussis sind Frauen eher besser geimpft als Männer, der Unterschied ist am deutlichsten in den Altersgruppen der 40- bis 59-Jährigen. Die Lebenszeitprävalenz einer Impfung gegen Influenza beträgt bei Erwachsenen 44,7 %; es besteht kein Unterschied zwischen Frauen und Männern. Mindestens eine Impfung gegen Hepatitis A haben 27,4 % der Erwachsenen erhalten. Die Impfquote für Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) liegt insgesamt bei 29,4 %.

Während die Impfquote gegen Tetanus lediglich bei den 70- bis 79-Jährigen geringer ist als in den anderen Altersgruppen, ist für die Impfungen gegen Diphtherie und Poliomyelitis und in noch stärkerem Ausmaß für Impfungen gegen Pertussis und Hepatitis A und B ein deutlicher Abfall der Prävalenzen mit zunehmendem Alter zu beobachten. Dagegen steigt die Lebenszeitprävalenz einer Impfung gegen Influenza sehr deutlich mit zunehmendem Alter. Die höchste Impfquote findet sich mit 68,3 % bei 70- bis 79-jährigen Erwachsenen, während in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen 30,8 % gegen Influenza (einschließlich gegen Grippeviren des H1N1-Typs „Neue Grippe“) geimpft sind.

Impfung in den letzten 10 Jahren

Insgesamt können 71,4 % der Erwachsenen als aktuell gegen Tetanus geimpft gelten, sie haben also innerhalb der letzten 10 Jahre eine Tetanusimpfung erhalten. Die Prävalenz ist bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 29 Jahren am höchsten, am niedrigsten ist die Prävalenz bei 30- bis 39-Jährigen und den 70- bis 79-Jährigen. Der Anteil der Erwachsenen mit einer Impfung gegen Diphtherie innerhalb der letzten 10 Jahre beträgt 57,1 % und ist bei Frauen signifikant höher als bei Männern. Der relative Unterschied zwischen der Lebenszeitprävalenz einer Impfung und der Prävalenz einer Impfung innerhalb der letzten 10 Jahre ist im Vergleich zwischen den Impfungen für Pertussis am größten (34,5 %; 32,3–36,7 vs. 12,5 %; 11,3–14,0); diese Diskrepanz ist für 18- bis 29-Jährige am geringsten und für 30- bis 39-Jährige am größten, signifikante Geschlechtsunterschiede bestehen nicht (Tab. 2).

Tab. 3 zeigt die Impfquoten (Lebenszeitprävalenzen für mindestens eine Impfdosis) für Masern, Mumps, Röteln und Pneumokokken. Insgesamt haben 38,1 % der 18- bis 64-Jährigen eine Impfung gegen Masern erhalten, 30,1 % sind gegen Mumps geimpft. Die Masernimpfquote ist bei den 18- bis 29-Jährigen am höchsten (79,8 %) und sinkt mit zunehmendem Alter auf 3,8 % bei den 60- bis 64-Jährigen. Gegen Röteln sind 34,6 % der 18- bis 64-Jährigen geimpft. Wie bei Impfungen gegen Masern und Mumps sinken die Prävalenzen mit zunehmendem Alter. In den Altersgruppen der 18- bis 49-Jährigen sind Frauen statistisch signifikant häufiger gegen Röteln geimpft als Männer.

Tab. 3 Impfquoten für Masern, Mumps, Röteln und Pneumokokken nach Geschlecht und Altersgruppen in Prozent mit 95 %-Konfidenzintervallen

Eine Impfung gegen Pneumokokken haben 31,4 % der 65- bis 79-Jährigen erhalten; es besteht kein Unterschied zwischen Frauen und Männern.

Impfungen und sozioökonomischer Status

Tab. 4 zeigt Impfquoten für Frauen und Männer nach SES. Die Impfquoten gegen Tetanus, Diphtherie, Poliomyelitis, Pertussis, Hepatitis A und Hepatitis B sinken bei Frauen und Männern mit abnehmendem SES. Dabei sind bei den meisten Impfungen die Unterschiede zwischen hohem und mittlerem und zwischen mittlerem und niedrigem SES statistisch signifikant. Ein anderes Muster des Zusammenhangs zwischen SES und Impfquoten zeigt sich für Masern und Mumps (Daten für Mumps nicht gezeigt), für Impfungen gegen Influenza bei Frauen und für Impfungen gegen Röteln bei Männern. Für diese Impfungen zeigen sich eher höhere Impfquoten bei Erwachsenen mit niedrigem SES als bei Erwachsenen mit hohem SES; allerdings unterscheiden sich die Impfquoten (bis auf die Unterschiede bei Männern für Impfungen gegen Röteln) nicht signifikant nach SES. Auf die Impfquoten für Pneumokokken und bei Männern auch auf die Impfquoten gegen Influenza hat der SES keinen Einfluss.

Tab. 4 Impfquoten nach Geschlecht, Altersgruppen und sozioökonomischem Status in Prozent mit 95 %-Konfidenzintervallen

Impfungen in Ost- und Westdeutschland

Tab. 5 zeigt Impfquoten nach Leben in Ost- und Westdeutschland. Die Daten zeigen für Ostdeutschland vergleichsweise höhere Impfquoten gegen Tetanus, Diphtherie und Pertussis. Während die Zusammenhänge zwischen Impfquoten und SES bei den Lebenszeitprävalenzen deutlich waren, zeigen sich Ost-West-Unterschiede insbesondere für die Impfquoten innerhalb der letzten 10 Jahre. Besonders groß ist der Ost-West-Unterschied der Impfquoten gegen Pertussis (Frauen: 22,9 % vs. 11,8 %; Männer: 20,3 % vs. 9,4 %). Ebenfalls sehr große Unterschiede zeigen sich bei den Impfquoten gegen Influenza und bei der Masernimpfung; die Durchimpfung ist in Ostdeutschland deutlich höher als in Westdeutschland. Für Hepatitis A, Hepatitis B und FSME (FSME Daten nicht gezeigt) sind die Impfquoten dagegen eher in West- als in Ostdeutschland höher; die Unterschiede sind jedoch nicht statistisch signifikant.

Tab. 5 Impfquoten nach Geschlecht, Altersgruppen und Leben in Ost- oder Westdeutschland (Berlin zu Westdeutschland) in Prozent mit 95 %-Konfidenzintervallen

Die Durchimpfung in Deutschland im zeitlichen Verlauf

Die in DEGS1 erhobene Durchimpfung bezogen auf mindestens (irgend)eine Impfung innerhalb der letzten 10 Jahre ist verglichen mit den im BGS98 ermittelten Werten von 70,1 % (68,3–71,9) auf 83,6 % (82,3–84,8) gestiegen (Tab. 6). Der signifikante Anstieg des Anteils von Erwachsenen, die in der Dekade vor der jeweiligen Erhebung geimpft wurden, geht auf eine deutlich gestiegene Durchimpfung von 40- bis 79-Jährigen zurück. In allen Altersgruppen ist der Anteil Erwachsener mit einer Tetanusimpfung innerhalb der letzten 10 Jahre gestiegen; der stärkste Anstieg zeigt sich für über 69-Jährige. Der ausgeprägte Anstieg der Durchimpfung gegen Tetanus bei 50- bis 79-jährigen Frauen gleicht den vor 10 Jahren noch festgestellten Geschlechtsunterschied aus. Auch die Durchimpfung gegen Diphtherie ist signifikant gestiegen; hier ist die größte Steigerung in der jüngsten Altersgruppe zu beobachten. Die vor 10 Jahren zu beobachtende, tendenziell bessere Durchimpfung von Männern im Vergleich zu Frauen hat sich umgekehrt: Heute sind Frauen signifikant besser gegen Diphtherie geimpft als Männer. Diese Umkehr dieses Zusammenhangs geht auf einen Anstieg um 67 % bei 30- bis 39-jährigen Frauen (40-bis 49-Jährigen: 74 %) zurück.

Tab. 6 Vergleich der Impfquoten aus DEGS1 und BGS98 nach Geschlecht und Alter in Prozent mit 95 %-Konfidenzintervallen (beide Studien auf die Altersstruktur 31.12.2010 gewichtet)

Diskussion

Tetanus

Bei Tetanus (Wundstarrkrampf) handelt es sich um eine potenziell tödlich verlaufende Erkrankung, ausgelöst durch ein vor allem im Erdreich vorkommendes Bakterium, das schon nach Bagatellverletzungen der Haut zu Infektionen führen kann [17]. Die Impfempfehlungen zu Tetanus sind seit Langem unverändert und sehen die Grundimmunisierung im Säuglingsalter vor. Im Kindes- und Jugendalter sind 2 Auffrischimpfungen empfohlen, und im Erwachsenenalter soll der Tetanusimpfschutz alle 10 Jahre aufgefrischt werden [18].

Die Lebenszeitprävalenz für Tetanusimpfungen in DEGS1 beträgt über 95 %, allerdings haben nur 71,4 % der 18- bis 79-Jährigen einen aktuell ausreichenden Schutz gegen Tetanus. Über alle Altersgruppen hinweg zeigt sich ein Zusammenhang zwischen schlechterer Durchimpfung bei niedrigerem SES. Wie vor etwas mehr als einer Dekade sehen wir jetzt, dass die Durchimpfung bei jüngeren Erwachsenen besser ist als in den höheren Altersgruppen. Die Durchimpfung in Ostdeutschland ist auch mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung deutlich höher als in Westdeutschland. Erfreulich ist jedoch die generelle Entwicklung der Impfquoten gegen Tetanus. Der Anteil ausreichend gegen Tetanus Geimpfter liegt um 10 Prozentpunkte höher als in den Jahren 1997 bis 1999 im BGS98 erhoben [19]. Insbesondere ältere Erwachsene sind heute besser gegen Tetanus geschützt als noch vor 10 Jahren. Damit sind Erwachsene in Deutschland besser gegen Tetanus geimpft als in anderen europäischen Staaten (z. B. Frankreich: 62,3 % [20], Spanien: 60–80 % [21]) und den USA (61,6 %). Wie in Deutschland zeigen auch die amerikanischen Daten, dass Impflücken mit dem Alter zunehmen: 64,0 % der 19- bis 49-Jährigen, aber nur 53,4 % der über 64-Jährigen hatten in den vergangenen 10 Jahren eine Tetanusimpfung erhalten [22].

Pertussis

Pertussis ist eine hochansteckende, bakterielle Infektionserkrankung durch ein Toxin bildendes Bakterium, die insbesondere für Säuglinge und Kleinkinder eine ernsthafte gesundheitliche Bedrohung darstellt [23]. Junge Säuglinge können aufgrund ihres Alters noch nicht ausreichend durch Impfungen geschützt sein, sind aber gleichzeitig durch eine Keuchhustenerkrankung besonders gefährdet. Als Präventivmaßnahme ist die Impfung nicht nur von Säuglingen, sondern auch von älteren Kindern und Erwachsenen von zentraler Bedeutung [24]. Eine generelle Impfung aller Säuglinge und Kleininder gegen Pertussis wird seit 1991 durch die STIKO empfohlen. In der DDR war die Keuchhustenimpfung ab 1964 eine Pflichtimpfung, während sie in der Bundesrepublik lediglich von 1969 bis 1974 empfohlen wurde. Danach wurde die Impfung nur noch für bestimmte Risikogruppen bei Kindern unter 2 Jahren empfohlen. Nachdem ansteigende Pertussis-Inzidenzen vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen beobachtet wurden, empfahl die STIKO im Jahr 2000 eine Auffrischimpfung gegen Pertussis für Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis 17 Jahren. Wegen der begrenzten Dauer der durch die Impfung erzielten Immunität von etwa 4 bis 12 Jahren [25] wurde im Jahr 2006 eine zusätzliche Auffrischimpfung im Alter von 5 bis 6 Jahren empfohlen. Nachdem die STIKO bereits im Jahr 2004 eine Erweiterung der Indikation für eine Pertussis-Schutzimpfung beschlossen hatte, nach der enge Haushaltskontaktpersonen von Säuglingen (möglichst vor deren Geburt) gegen Pertussis geimpft werden sollten, empfahl die STIKO 2009 grundsätzlich eine zusätzliche Pertussis-Impfung im Erwachsenenalter als Kombinationsimpfung mit Tetanus und Diphtherie bei der nächsten fälligen Tetanus-Diphtherie-Impfung [26].

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass bei Erwachsenen in Deutschland der Impfschutz gegen Pertussis mit 34,5 % Geimpften noch ungenügend ist. Vor dem Hintergrund der begrenzten Dauer der Immunität gegen Pertussis sowohl nach Impfung als auch nach durchgemachter Keuchhustenerkrankung zeigen insbesondere die niedrigen 10-Jahres-Prävalenzen (Frauen: 13,7 %, Männer: 11,4 %) die unzulängliche Situation in Deutschland; in Westdeutschland deutlich stärker ausgeprägt als in Ostdeutschland. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss jedoch bedacht werden, dass die zusätzliche Empfehlung einer Impfung aller Erwachsenen erst im Jahr 2009 ausgesprochen wurde und die Umsetzung sukzessive im Rahmen der fällig werdenden Auffrischimpfungen gegen Tetanus und Diphtherie vorgesehen ist.

Nur in wenigen Ländern (Australien, Kanada, USA, Frankreich und Deutschland) wird derzeit eine Pertussis-Impfung für Erwachsene empfohlen [24]. Daten über bislang erreichte Impfquoten bei Erwachsenen liegen nur in sehr begrenztem Umfang vor. Zwei Jahre nachdem in den Vereinigten Staaten das Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) die Empfehlung ausgesprochen hatte, dass alle Erwachsene eine Pertussis-Impfung mit der nächsten anstehenden Tetanusimpfung erhalten sollen, zeigten 2007 die Befragungsergebnisse des „National Immunization Survey“, dass der Anteil von mit Pertussis kombinierten Tetanusimpfungen erst 20,7 % betrug [27]. Der Anteil der mit Pertussis kombinierten Tetanusimpfungen stieg jedoch in den folgenden Jahren deutlich an und betrug gemittelt über die Jahre 2005–2008 in den Befragungen schon 52,1 % [28].

Influenza

Saisonale Influenza (Grippe) ist eine akute Viruserkrankung, die in der Bevölkerung der nördlichen Hemisphäre in fast jedem Winterhalbjahr als mehrere Wochen andauernde Häufung, die sog. Influenza-Welle, auftritt. Da Influenzaviren sehr veränderlich sind, ist eine einmalige Immunisierung nicht ausreichend. Die STIKO empfiehlt unter anderem für Personen über 60 Jahre, Personen mit chronischen Erkrankungen sowie Personen mit erhöhter Gefährdung aufgrund beruflicher Exposition jährlich eine Influenza-Impfung mit einem an die zirkulierenden Viren angepassten Impfstoff [18]. Die WHO hatte im Jahr 2003 eine Durchimpfungsrate von 75 % für ältere Menschen und chronisch Kranke für das Jahr 2010 als Ziel postuliert [29].

Die altersdifferenzierte Lebenszeitprävalenz für Grippeimpfungen in DEGS1 zeigt zwar, dass die Durchimpfung bei älteren Menschen höher ist als bei Jüngeren. Allerdings liegt auch bei Erwachsenen über 60 Jahren selbst die Lebenszeitprävalenz weit unter der von der WHO empfohlenen jährlichen Rate von 75 %. Am ehesten deutet die Quote von 82 % jemals gegen Influenza geimpften 70- bis 79-Jährigen in Ostdeutschland auf eine Annäherung an das von der WHO gesetzte Ziel hin. In Ostdeutschland ist die Durchimpfung gegen Influenza in allen Altersgruppen höher als in Westdeutschland und zeigt damit eine deutlich größere Impfakzeptanz der Bevölkerung in diesen Regionen.

Die in DEGS1 erhobene Lebenszeitprävalenz einer Influenza-Impfung bei 18- bis 79-Jährigen von 44,7 % liegt deutlich niedriger als das Ergebnis (55,2 %) einer 2006/2007 an 2007 Teilnehmern durchgeführten telefonischen Erhebung zur Durchimpfung von über 13-Jährigen in Deutschland [30]. Mit 63,3 % der 60- bis 69-Jährigen und 68,3 % der 70- bis 79-Jährigen ist der Anteil von über 59-Jährigen, die zumindest einmal im Leben eine Influenza-Impfung erhalten haben, jedoch deutlich höher als die in GEDA („Gesundheit Erwachsener in Deutschland aktuell“, jährliche Telefonsurveys am Robert Koch-Institut) erhobene, auf die vergangene Saison bezogene Abfrage einer Influenza-Impfung (2007/2008: 56,6 %; 2008/2009: 55,2 %). Obwohl die in DEGS1 erhobene Impfquote auf eine etwas höhere grundsätzliche Akzeptanz der Grippeschutzimpfung insbesondere in der älteren Bevölkerung hindeutet, zeigen die auf die Impfung in der vorangegangenen Grippesaison bezogenen, differenzierteren Auswertungen der GEDA-Studien, dass der Empfehlung, die Grippeschutzimpfung jährlich zu wiederholen, nicht in ausreichendem Maße Folge geleistet wird [31]. Im Vergleich mit Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien scheint in Deutschland die Empfehlung, insbesondere ältere Frauen und Männern gegen Influenza zu impfen, am schlechtesten umgesetzt zu werden [30]. Die Diskrepanz zwischen der Rate der von den Befragten für die nächste Saison geplanten Influenza-Impfung und den dann erhobenen Impfraten ist in Deutschland besonders hoch [32]. In Deutschland wie in anderen Ländern hat die ärztliche Beratung eine große Bedeutung für die positive Impfentscheidung [31, 33, 34]. Allerdings zeigt eine 2009 durchgeführte Befragung von niedergelassenen Ärzten, dass nur zwei Drittel unter ihnen besonders gefährdete Patientengruppen zur Influenza-Impfung motivieren [35]. Eine ähnliche Befragung von US-amerikanischen Ärzten zeigte 2001, dass mehr als drei Viertel der Ärzte eine Influenza-Impfung empfehlen [36].

Methodik

Die hier berichteten Impfquoten basieren auf im Impfpass dokumentierten Impfungen sowie selbstberichteten Impfungen, es liegen somit Informationen aus mehreren Quellen zugrunde. Hintergrund dieses Vorgehens war die Erkenntnis, dass selbstberichtete Impfangaben einem Erinnerungsbias unterliegen, der sowohl zu Über- als auch zu Unterschätzungen führen kann. Stärke und Richtung hängen von der Art der abgefragten Impfung ab [37, 38, 39]. Auf der anderen Seite sind in vielen Fällen gerade bei Erwachsenen Impfungen nicht vollständig im Impfpass dokumentiert (Folgedokumente, verlorene Impfpässe, Impfungen nur auf Zetteln oder nur beim Arzt/Krankenhaus dokumentiert), sodass bei einer ausschließlich Impfpass-basierten Erhebung eine Unterschätzung der Impfquoten wahrscheinlich wäre. In DEGS1 führte insbesondere bei älteren Erwachsenen eine lückenhafte Impfdokumentation dazu, dass zusätzlich selbstberichtete Impfungen berücksichtigt wurden. Dieses Vorgehen führte zu höheren Impfquoten als sie durch die reine Impfpassauswertung zu erhalten gewesen wären, besonders deutlich war dies für die Impfquoten gegen Influenza.

Das methodische Vorgehen zur Erfassung der Durchimpfung in DEGS1 war somit durch das Bestreben motiviert, auf der einen Seite eine möglichst hohe Sensitivität (keine Impfungen „verpassen“) zu garantieren und auf der anderen Seite die Validität der Angaben abzusichern. Der Anteil von Teilnehmenden, für die der Impfstatus ausschließlich auf Grundlage von ärztlich dokumentierten Impfungen erhoben werden konnte, betrug 40,8 % und ist damit niedriger als in einer niederländischen Studie, in der für 68 % entweder eine Validierung über Impfausweise oder eine Verifizierung über regionale Impfstellen vorgenommen werden konnte [40].

Auch der Anteil von fehlenden Angaben oder „Weiß-nicht-Antworten“ kann wertvolle Hinweise auf die Validität der erfassten Daten geben. Bezogen auf den Pertussis-Impfstatus konnten in DEGS1 für 11 % der Erwachsenen keine Angaben erhalten werden; fast alle fehlenden Angaben beziehen sich auf Erwachsene, deren Impfstatus im CAPI abgefragt wurde. Ähnliche Probleme mit selbstberichteten Impfungen gegen Pertussis zeigten sich im National Health Interview Survey (NHIS) bei der Befragung von Erwachsenen in den USA. 69,8 % derjenigen, die angegeben hatten, in den Jahren 2005–2008 eine Tetanusimpfung erhalten zu haben, konnten keine Angabe dazu machen, ob diese Impfung eine Pertussis-Komponente enthalten hatte [28].

Auf der anderen Seite können Unterschiede hinsichtlich der Durchimpfung zwischen Teilnehmenden, die einen Impfpass vorgelegt haben, und denjenigen, deren Impfstatus auf Selbstangaben zurückgeht, auf realen Gruppenunterschieden beruhen: Seroepidemiologische Untersuchungen zur Prävalenz von IgG-Antikörpern gegen Masern bei Kindern mit und ohne Impfdokumentation zeigten eine schlechtere Durchimpfung von Kindern, für die kein Impfpass zur Untersuchung mitgebracht wurde [41].

Der Vergleich mit telefonischen Befragungsdaten aus GEDA 2009 ergibt keinen Hinweis auf methodisch bedingte Unterschiede der erhobenen Impfquoten. Die jetzt in DEGS1 im Multi-Mode-Verfahren gewonnenen Daten zur Lebenszeitprävalenz einer Tetanusimpfung zeigen mit 96,0 % eine vergleichbar hohe Durchimpfung wie in GEDA 2009 (95,4 %) [31], und die 10-Jahres-Prävalenz ist in DEGS1 (71,4 %) verglichen mit GEDA 2009 (73,1 %) [42] nur geringfügig niedriger.

Fazit

Der aktuelle Tetanus- und Diphtherie-Impfstatus Erwachsener ist besser als vor 10 Jahren, dennoch sind immer noch 28,6 % der Bevölkerung ohne aktuellen Impfschutz gegen Tetanus, und 42,9 % erhielten in den letzten 10 Jahren keine Diphtherieimpfung. Insbesondere bei älteren Frauen und Männern, aber auch in der Gruppe der 30- bis 39-Jährigen, zeigen sich hier Impflücken, die vermehrte Anstrengungen bei der Überprüfung des Impfschutzes und bei der Motivation zu Impfungen erfordern. Die Durchimpfung gegen Pertussis ist insbesondere in Westdeutschland auf einem sehr niedrigen Niveau. Unter Berücksichtigung der seit 2009 bestehenden Empfehlung, mit der nächstanstehenden Tetanus-Auffrischimpfung gleichzeitig gegen Pertussis zu impfen, ist ein Anstieg der Durchimpfung zu erwarten. Die Erfahrungen mit der Umsetzung einer solchen Empfehlung in den USA zeigen, dass ein deutlicher Anstieg 2 Jahre nach der Empfehlung jedoch noch nicht zu erwarten ist. Im Vergleich zu den jährlichen Impfraten gegen Influenza aus GEDA ist der Anteil von Frauen und Männern, die wenigstens einmal in ihrem Leben eine Influenza-Impfung erhalten haben, in DEGS1 höher. Unter Berücksichtigung von europäischen Studien, die zeigen, dass die Diskrepanz zwischen beabsichtigter und realisierter Influenza-Impfung in Deutschland besonders groß ist, scheint eine Steigerung der jährlichen Impfraten daher möglich und ist insbesondere für die von der STIKO definierte Zielgruppe von Influenza-Impfungen bedeutsam.