Hintergrund

Die Defizite in der Versorgung Schwerstkranker und Sterbender, gegen die die Begründerin der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin Cicely Saunders antrat, beruhten auf einer Ausgrenzung dieser Patienten von der gesamtgesellschaftlichen Wertschätzung inklusive der der professionellen Behandler und Pflegenden. Ende der 1950er-Jahre schrieb sie in einem Brief: „Ich habe den Eindruck, dass viele Patienten sich letzten Endes von ihren Ärzten verlassen fühlen. Idealerweise sollte der Arzt im Zentrum eines Teams stehen, das gemeinsam lindert, wo es nicht mehr heilen kann, dabei den ganz persönlichen Kampf des Patienten berücksichtigen und am Lebensende Hoffnung und Trost spenden.“ [1] Viele Palliativmediziner der ersten Generation – auch in Deutschland – haben zu Beginn ihrer Tätigkeit als Arzt noch erlebt, dass sterbende Patienten in ihrem Bett ins Stationsbadezimmer geschoben wurden, um andere mit ihrem Sterben nicht zu belästigen. Dort durchlitten sie allein gelassen und ohne Beistand oder Symptomkontrolle ihre letzten Stunden. Die Frage danach, was im Umgang mit dem schwer kranken und sterbenden Menschen an sich geboten ist, war ins Vergessen geraten.

Ein Kernanliegen der Palliativmedizin ist die Linderung von Schmerzen sowie belastender Symptome wie Atemnot, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Obstipation oder Schwäche bei Patienten mit einer fortschreitenden und unheilbaren Erkrankung. Durch eine effektive Symptomkontrolle und die Adressierung nicht nur körperlicher Probleme, sondern auch psychischer, sozialer und spiritueller Bedürfnisse soll die Lebensqualität dieser Patienten verbessert werden, sodass die verbleibende Lebenszeit in größtmöglicher Autonomie und Würde erlebt werden kann. Um den komplexen Anforderungen der Behandlung und Begleitung von Palliativpatienten gerecht zu werden, erfolgt die Versorgung durch ein multiprofessionelles Team, das sich bedarfsorientiert aus Ärzten, Pflegekräften, Physiotherapeuten, Sozialarbeitern, Seelsorgern, Psychologen sowie Kunst- oder Musiktherapeuten zusammensetzt und durch Ehrenamtliche ergänzt wird.

Palliativmedizin bedeutet nicht ausschließlich End-of-Life-Care, sondern kann für viele Patienten zu einem erheblich früheren Zeitpunkt im Verlauf ihrer Erkrankung eine große Hilfe sein. Dies hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits im Jahr 2002 in ihrer neuen Definition verankert, in der es heißt: „Palliativmedizin/Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.“ (Zitiert nach DGP; [2])

Viel Aufsehen erregt hat eine von Temel et al. [3] im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie. Diese weist nach, dass die frühe Integration von Palliativmedizin nicht nur die Lebensqualität der untersuchten Patientengruppe (mit fortgeschrittenem Bronchialkarzinom) gesteigert hat, sondern darüber hinaus deren Leben im Vergleich zu einer Gruppe, die keine Palliativversorgung erhielt, verlängerte, obwohl weniger interventionelle Maßnahmen eingesetzt wurden. Es profitieren nicht ausschließlich Patienten mit Tumorerkrankungen von palliativmedizinischer/-pflegerischer Expertise und hospizlichen Angeboten, sondern auch Patienten mit weit fortgeschrittenen inkurablen neurologischen, kardialen, pulmonalen, renalen und demenziellen Erkrankungen.

Somit können Ärzte in der Palliativmedizin während verschiedener Intervalle – nicht nur im Rahmen maligner Erkrankungen – vom Zeitpunkt der Diagnosestellung an Begleiter sein. Ein wesentlicher Aspekt der Palliativmedizin ist es, die Bedürfnisse und den Versorgungsbedarf von Patienten und ihren Zugehörigen („unit of care“) im Zentrum der Behandlung und Begleitung zu sehen, was deutliche Auswirkungen auf das Verständnis von Beziehung hat. Die Krankheit ist kein Objekt, das 2 Subjekte (Arzt und Patient) gemeinsam zu bekämpfen versuchen, sondern sie ist das beziehungsstiftende Element, aufgrund dessen der Patient als Subjekt den Arzt zum Objekt seines Anspruchs und seines Anrufs macht [4]. Dieses Konstrukt erlaubt es, Beziehung hier weder paternalistisch zu sehen noch sich der Kritik am partnerschaftlichen Modell auszusetzen, es beruhe auf der fragwürdigen Annahme, dass sich 2 Subjekte als Subjekte begegnen können. Der Arzt als Begleiter ist Antwortender. Dabei ist es unerheblich, dass es unmöglich ist zu wissen, ob der vom Patienten geklagte innere Zustand des Leids oder Schmerzes wirklich empirisch wahr ist. Nach Wittgenstein ist unser Wissen vom anderen im Normalfall ein Antworten auf den anderen. „Wir urteilen nicht einfach, daß der andere Schmerzen hat, sondern dieses Urteilen hat auf seiner grundlegenden Ebene die Form eines Antwortens auf den Schmerz des anderen. Dies ist offensichtlich, wenn wir uns vor Augen führen, wie wir den Gebrauch des Schmerzbegriffs lernen. Wir lernen nicht einfach, wahrzunehmen, daß jemand Schmerzen ausdrückt. Viel grundlegender lernen wir, auf jemanden, der Schmerzen ausdrückt, zu antworten. Wir lernen etwa, daß jemand, der Schmerzen hat, Hilfe oder Trost braucht. Wir lernen, Mitleid mit dem anderen zu empfinden, ihm Medikamente zu geben (…). Aber dies bedeutet nicht, daß jeder im hoffnungslosen Zweifel darüber ist, was der andere fühlt.“ [5, 6]

Aus diesem Grund ist es der Haltung von Begleitung in der Palliativmedizin angemessener, nicht von Arzt-Patienten-, sondern von Patienten-Arzt-Beziehung zu sprechen.

Patienten-Arzt-Beziehung und Vertrauen

In komplexen modernen Gesellschaften spielt Vertrauen empirisch als grundlegende Voraussetzung alltäglichen Handelns eine wesentliche Rolle [7, 8]. Auch in der Patienten-Arzt-Beziehung ist Vertrauen ein wichtiges Element und von intrinsischer sowie auch instrumenteller Bedeutung [9]. Intrinsisch heißt hier: Vertrauen gibt der konkreten, interpersonellen Patienten-Arzt-Beziehung Sinn, Relevanz und Substanz. Auf instrumenteller Ebene ist Vertrauen (sowohl in konkrete Personen als auch in das von Personen, die man nicht kennt, repräsentierte System) die Basis, auf der der Laie sich dem Experten, dessen Welt er letztlich nicht versteht, anheim gibt. Der Experte hingegen nimmt auf dieser Grundlage Handlungen am Laien vor, die über dessen Leben und Sterben entscheidend sein können, er rät ihm, bestimmte Handlungen zu unternehmen oder zuzulassen [10]. Hallowell beschreibt Vertrauen im Gesundheitswesen als relationales Konzept, assoziiert mit Situationen der Unsicherheit und des Risikos, Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Nicht-Experten und Experten und Erwartungen über zukünftiges Verhalten bzw. zukünftige Interaktionen [11, 12]. Interaktionen beziehen sich auf Unsicherheiten über die Prognose, Diagnose und Behandlung einer Erkrankung und sind charakterisiert durch eine Abhängigkeit, die sich aus dem Ungleichgewicht der Macht der Beteiligten ergibt. Als gemeinsames Thema der großen Bandbreite von Definitionen über Vertrauen in der Patienten-Arzt-Beziehung identifizierten Hall et al. in einer Übersichtsarbeit: optimistische Akzeptanz einer vulnerablen Situation, in der der Vertrauende der Überzeugung ist, dass derjenige, dem Vertrauen entgegengebracht wird, im Interesse des Vertrauenden handelt [9]. Nach Meinung der Autoren ist Vertrauen untrennbar mit Vulnerabilität verbunden, denn bei Abwesenheit von Vulnerabilität bestünde keine Notwendigkeit zu vertrauen.

Dies trifft in besonderer Weise dann auf die Patienten-Arzt-Beziehung in der Palliativmedizin zu, wenn es um die Gestaltung des Lebensendes geht [13]. Patienten erwarten von Ärzten einerseits die bestmögliche medizinische Behandlung, fürchten sich aber andererseits vor einer Übertherapie am Lebensende. Behandler müssen zudem mit der Angst der Patienten zurechtkommen, dass für sie zum Beispiel aus ökonomischen Erwägungen oder Gründen der Ressourcenzuteilung nicht alles getan wird, was möglich ist.

Zwar können Arzt und Patient, sofern Letzterer dazu noch in der Lage ist, gemeinsam unter Berücksichtigung des Patientenwillens ein Prozedere samt Alternativen für antizipierbare Situationen planen, jedoch wird beiden Seiten klar sein, dass eine instrumentelle Ereignisbeherrschung in toto nicht gegeben ist. Der Patient wird mit einer Zukunft von hoher, unbestimmter Komplexität leben müssen [14]. Ohne Vertrauen in seinen ärztlichen Begleiter wird es für einen Patienten schwer sein zu tun, was Luhmann als sinnvoll beschrieben hat: Entscheidungen zu vertagen, bis der Lauf der Zeit mehr Ereignisse verwirklicht, mehr Komplexität reduziert hat [14]. Unter anderem für die Palliativsituation hat die sog. GAP-Theorie Bedeutung, der zufolge sich die eigenen Vorstellungen von Lebensqualität den verbleibenden Ressourcen anpassen [15].

Vertrauen ist für den Patienten ein Wagnis; jedoch hat der noch bewusstseinsklare Patient die Möglichkeit, Vertrauen auch wieder zu entziehen. Nach Luhmann wird Vertrauen, weil die Wirklichkeit für eine reale Kontrolle zu komplex ist, mithilfe symbolischer Implikationen kontrolliert, und dazu dient ein grob vereinfachtes Gerüst von Indizien, die nach Art einer Rückkopplungsschleife laufend darüber Informationen zurückmelden, ob die Fortsetzung des Vertrauens gerechtfertigt ist oder nicht [14]. Dies bedeutet für das Patienten-Arzt-Verhältnis in der Palliativmedizin, dass der Arzt in besonderer Weise über emotionale und soziale Kompetenzen verfügen muss. Brüche in z. B. gelebter Authentizität, Aufmerksamkeit, Empathie und Verlässlichkeit wiegen möglicherweise bei der Begleitung in existenziellen Situationen schwerer als in Routinebegleitungen bei wenig bedrohlichen medizinischen Anlässen. Untersuchungen in der Allgemeinbevölkerung haben gezeigt, dass die Patienten-Arzt-Beziehung nachhaltig gestört war, wenn Patienten mit der medizinisch-fachlichen Arbeit des Arztes unzufrieden waren [16]. Somit gehört auch die Kompetenzbeurteilung zu den Vertrauen konstituierenden Elementen [10]. Jedoch handelt es sich bei den hier erhobenen Daten nicht unbedingt um Aussagen über Begegnungen von Arzt und Patient mit dem Anspruch eines multidimensionalen Begleitungscharakters. Außerdem haben Palliativpatienten je nach Stadium ihrer Erkrankung, Allgemeinzustand, kognitiver Einschränkung und dem Setting, in dem sie sich befinden, evtl. weniger oder gar keine Möglichkeit mehr, für die weitere Betreuung oder das nächste Ereignis einen anderen Arzt zu wählen als den bereits behandelnden.

Arzt-Patienten-Beziehung und Autonomie

Rund 2400 Jahre beruhte die Arzt-Patienten-Beziehung auf dem Hippokratischen Modell, das sich an dem Prinzip der Benefizienz, dem autoritären Heiler und dem gehorchenden Patienten orientierte [17]. Jedoch hat mittlerweile ein Paradigmenwechsel hin zum Autonomie-basierten Modell stattgefunden [18]. Dieser Paradigmenwechsel mit Absage an den Paternalismus ist im Kontext von Palliativmedizin von Anfang an konzeptionell integriert, wenngleich in der Umsetzung international kulturelle Unterschiede bekannt sind, z. B. mit Blick auf die Aufklärung über die Diagnose einer lebenslimitierenden Erkrankung, was wiederum Bedeutung für die Teilhabe von Patienten an Entscheidungen über ihre Behandlung hat [19, 20, 21].

Die Selbstbestimmung des Patienten ist weltweit jedoch zunehmend ein wichtiger Baustein der Patienten-Arzt-Beziehung und hat keinesfalls nur für den Patienten einen hohen Stellenwert. Gerade in Situationen, in denen der Behandelnde nicht (mehr) mit seinem Patienten kommunizieren kann, ist es auch aus Sicht des Arztes ethisch und fachlich von Bedeutung, Behandlungs- oder Verzichtsentscheidungen nicht gegen den erklärten bzw. mutmaßlichen Willen des Patienten zu treffen. Als wichtige Maßnahme gegen den Verdacht paternalistischer Fremdverfügung, eines letztlich entwürdigenden Behandelns, in dem der Mensch sich als Objekt von Behandlungszielen sah, die eher durch das technisch Machbare als das medizinethisch Sinnvolle und die Berücksichtigung seines Willens definiert wurden, wird die Stärkung der Patientenrechte gesehen [10]. Die neuen gesetzlichen Regelungen zu Patientenverfügungen [22] verbessern oder erleichtern jedoch nicht notwendigerweise die Patienten-Arzt-Beziehungen, vor allem wenn die Patientenverfügungen selbst die Behandlungspräferenzen ihrer Verfasser nicht klar abbilden [23]. Zusätzlich zur Patientenverfügung ist es sinnvoll, wenn Menschen anderen eine Vorsorgevollmacht erteilen und mit demjenigen, der darin benannt ist, im Gespräch ihre Wünsche und Vorstellungen zur zukünftigen medizinischen Behandlung klarstellen und Veränderungen von Einstellungen deutlich machen. Eine Vielzahl von Untersuchungen hat gezeigt, dass Vorsorgebevollmächtigte oft viel zu wenig über die Wünsche der Vollmachtgeber wissen, von falschen Annahmen über deren Präferenzen ausgehen oder eher nach eigenen Kriterien entscheiden würden [23, 24, 25, 26, 27].

Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und die Beachtung der Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung [28] können zu einer positiven Beeinflussung des Patienten-Arzt-Verhältnisses beitragen und es ermöglichen, das Selbstbestimmungsrecht der Patienten zu wahren, wenn der Arzt und/oder der Vorsorgebevollmächtigte im Verlauf von informierenden und eruierenden Gesprächen die Position des Patienten erkennen kann. Die Rolle als Begleiter bedeutet daher auch, möglichst frühzeitig und dann kontinuierlich die wichtigen Fragen des Lebensendes und der Behandlung am Lebensende zu besprechen. Hierzu dient langfristig – vielleicht eher noch als die Patientenverfügung – das Konzept des Advance-Care-Planning im Sinne eines umfassenden Versorgungsplans, das in Deutschland (im Gegensatz etwa zu den USA und Großbritannien) bisher kaum Anwendung findet [29, 30].

Jedoch muss auch reflektiert werden, inwiefern das Modell einer von Autonomie geprägten Patienten-Arzt-Beziehung möglicherweise brüchig ist oder eines komplexeren Verständnisses bedarf. Dörner weist ausdrücklich darauf hin, dass dieses Modell die Tatsache vernachlässige, dass Arzt und Patient durchaus unterschiedliche Interessen haben, selbst wenn der Arzt im Interesse des Patienten handeln will: „(…) denn anders kann es gar nicht sein, nicht nur, weil wir uns noch gar nicht kennen, nicht nur wegen der grundsätzlichen Fremdheit des Fremden und der Andersheit des Anderen, sondern auch wegen der außerordentlichen Besonderheit der Krankheitssituation: Krankheit nämlich, sofern sie nur einigermaßen ernst zu nehmen ist, bedeutet immer eine existenzielle Verunsicherung, Todesangst, Selbstbezogenheit, Krise und Kränkung, damit aber auch einerseits Abriß und Entwertung meiner normalen Bezüge zum Anderen, zur Welt und zu mir selbst sowie andererseits kritiklose Suche nach einem Strohhalm, nach einem Halt um fast jeden Preis und damit extreme Suggestibilität für beliebige Angebote des Arztes, die der Gekränkte anzunehmen neigt, auch wenn sie gar nicht mit seinem Inneren übereinstimmen, sofern der Arzt dies – schamlos – ausnutzt.“ [4]

Es ist die von dem Philosophen Emmanuel Levinas ausgehende ärztliche Grundhaltung einer postindividualistischen Beziehungsethik, wonach der Einzelne sich vom Anderen in die Verantwortung nehmen lässt, von der Dörner allerdings auch sagt: „Kein Mensch kann sie dauerhaft leben, realisieren, aber ich als Arzt vom Anderen her habe ihr ständig vorübergehend auf der Spur zu sein.“ [4, 31]

Jedoch ist es auch als Autonomie im Patienten-Arzt-Verhältnis zu werten, wenn Patienten gerade aus Verunsicherung, Angst und Schwäche ihrem Behandler die Entscheidungen überlassen wollen [32]. Eine weitere Bestätigung dieser theoretischen Sicht wurde auch in einer Untersuchung bei Palliativpatienten in der klinischen Praxis gefunden [33].

Kennzeichnend für die Palliativmedizin ist nicht Angebotsaktivismus, auch nicht grundsätzlich das Unterlassen, sondern das reflektierte Entscheiden sowie die wiederholte Überprüfung der Entscheidung. Versteht sich der Arzt in der Palliativmedizin als Begleiter seiner Patienten und deren Zugehöriger, kann dieses reflektierte Entscheiden sogar die zeitbegrenzte Indikationsstellung für und Durchführung von rein medizinisch nicht mehr sinnvollen Maßnahmen umfassen, wenn dies im Rahmen der Priorisierung von Werten in Bezug auf bestimmte Behandlungsziele angezeigt ist. Ein Beispiel hierfür ist die Gabe von Blut oder Blutprodukten bei einer transfusionsbedürftigen Anämie und unstillbaren Blutung oder die Fortführung einer Dialyse in der letzten Lebensphase, um beispielsweise noch eine letzte Begegnung mit einer im Ausland lebenden Tochter zu ermöglichen. Diese Reflexion erfordert jedoch vielfältiges Rüstzeug inklusive ethischer Kompetenz [34].

Patienten-Arzt-Verhältnis als Begegnung von Kunde und Dienstleister

Als Alternative zum kontrovers diskutieren Autonomie-basierten Modell der Patienten-Arzt-Beziehung wird auch die Klassifizierung von Patient als Kunde und Arzt als Dienstleister diskutiert. Hierbei wird Helfen zur Ware reduziert. In einer Anhörung im Deutschen Bundestag sagte Otmar Kloiber, Generalsekretär des Weltärztebundes im Jahr 2001: „Letztendlich dient das Gerede um den Kunden im Gesundheitswesen zu nichts anderem, als ihn zu einem Objekt des Geschäftsprozesses zu machen (…). Die Beziehung Patient-Arzt ist keine Geschäftsbeziehung. Der Arzt hat dem Patienten beizustehen, auch wenn dies seinen wirtschaftlichen Interessen entgegensteht. Dort, wo Kollegen versuchen, Patienten als Kunden zu sehen, wird aus der ärztlichen Tätigkeit ein Gewerbe, wird aus der Partnerschaft Patient-Arzt ein Kampf um materielle Interessen. Wir sollten uns weder durch eine Kommerzialisierungs- noch eine Autonomiedebatte beirren lassen. Patienten sind keine Objekte, an denen Wertschöpfung exekutiert wird, sondern Subjekte, die mit Leiden, Sorgen, Ängsten und Nöten den Rat und die Hilfe ihres Arztes benötigen.“ [35] Der Wunsch auch eines als Kunde verstandenen Patienten kann jedoch weder ethisch noch rechtlich als bedingungslos eigenständiger normativer Faktor in der Therapieentscheidung gesehen werden [36]. Eine qualitative und quantitative Untersuchung bei Medizinstudenten der Universität Freiburg hat gezeigt, dass Studenten das Konzept vom Patienten als Kunde eher bestimmten Bereichen in der Medizin zuordnen und zuerkennen, z. B. in der plastischen Chirurgie, oder etwa der Pharmazie. Begleitungs- und Fürsorgeaspekt unter Respektierung des Selbstbestimmungsrechts spielten für die Studenten im Verständnis ihrer Rolle mehrheitlich eine Rolle [37]. Im Case Management, das zunehmend in der Versorgung von Palliativpatienten etabliert werden soll, wird hingegen in Bezug auf die Nomenklatur der Terminus „Klient“ favorisiert, um Konnotationen des vornehmlich Bedürftigen, Schwachen und Unterlegenen zu vermeiden.

Kommunikation mit Patienten und Angehörigen

Noch 1963 war es Ärzten verboten, Patienten über eine todbringende Erkrankung aufzuklären. Heute gilt es als Selbstverständlichkeit, dass Patienten nicht nur über ihre Erkrankung aufgeklärt, sondern aktiv mit in die Therapieentscheidungen eingebunden werden. Nicht nur in der Palliativmedizin erfordern Gespräche mit schwer kranken Patienten bzw. deren Angehörigen eine hohe fachliche, menschliche und kommunikative Kompetenz des Betreuenden. Häufig finden diese Gespräche in kritischen Situationen statt und beinhalten in der Regel sog. schlechte Nachrichten. Empirische Untersuchungen belegen, dass kommunikative Kompetenzen erlernt werden können, allerdings werden Ärzte bislang selten zu Themen der Ethik und Kommunikation bei der Aufklärung schwer kranker Patienten aus-, fort- oder weitergebildet [38, 39]. Kommunikative Kompetenz beinhaltet das Wissen, dass nonverbale Elemente in der Kommunikation wie ungestörte Atmosphäre, Gespräche im Sitzen auf gleicher Augenhöhe mit Augenkontakt, Körpersprache, aber auch Gesprächspausen neben der verbalen Übermittlung des Gesprächsinhalts einen wesentlichen Anteil der Gesprächsführung ausmachen. Durch Übung und Verinnerlichung hilfreicher Strategien kann selbst in einer Notfallsituation, wenn keine Möglichkeit besteht, optimale Voraussetzungen für ein Gespräch zu schaffen oder einen strukturierten Gesprächsablauf vorzubereiten, die Rolle als Begleiter gewahrt werden, anstatt in die eines autoritären Informanten zu wechseln.

Als Voraussetzungen für eine gelingende Kommunikation beschreiben Baile et al. speziell für die Überbringung schlechter Nachrichten bei Krebspatienten das sog. SPIKES-Protokoll, das sich auch als hilfreiches Gerüst für die Kommunikation in anderen Bereichen eignet [40]. Hierbei ist die Gestaltung der Gesprächssituation und des Gesprächs unter Beachtung von Körpersprache und Körperkontakt, dem unterstützenden Zuhören und dem Stellen offener Fragen sowie dem Reagieren, Wiederholen und Klären eine wesentliche Grundlage der Gesprächsführung (Situation). Ein weiterer Schritt beinhaltet zu ergründen, was der Patient bzw. Angehörige weiß und denkt, und zu erkennen, wie er sich ausdrückt und was er verstehen kann (Patientenwissen). Um mit dem Patienten oder seinem Angehörigen kommunizieren zu können, ist es notwendig herauszufinden, was und wie viel er erfahren möchte, und es auch zu akzeptieren, wenn er zu diesem Zeitpunkt nichts wissen möchte (Informationsbedarf). Die notwendigen Informationen müssen in für den Gesprächspartner verständlicher Sprache und nachvollziehbar gegeben werden. Gleichzeitig muss das Verständnis überprüft werden (Kenntnisvermittlung). Begleitend müssen Reaktionen und Emotionen des Gegenübers wahrgenommen und empathisch angesprochen werden (Emotionen wahrnehmen). Zum Ende sind ein Zusammenfassen sowie das Planen des weiteren Vorgehens und die Vereinbarung eines nächsten Termins für die Kommunikation hilfreich und erforderlich (Strategien und Zusammenfassung). Besonders wichtig ist es zu lernen, dass einerseits das Ansprechen von Ängsten, das Aushalten von Schweigen oder das Zulassen von Emotionen und andererseits auch Ehrlichkeit in Bezug auf eigenes Nichtwissen von Patienten und Angehörigen als extrem hilfreich wahrgenommen werden. Für die Lehre bei Medizinstudenten hat das Modellprojekt „Der Patient als Lehrer“ gezeigt, dass Begleitungen von Palliativpatienten schon während des Studiums tiefe Erfahrungen ermöglichen, die die Angst vor dem Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden reduzieren [41].

Das Patienten-Arzt-Verhältnis und medizinisch-ethische Herausforderungen

Ärztliches Ethos, Selbstbestimmungsrecht des Patienten, Lebenserhaltungsprinzip, Lebensqualität, Behandlungsauftrag und Verantwortung für Leben und Sterben – dies sind einige Schlagworte, die das Spannungsfeld der medizinisch-ethischen Herausforderungen markieren. Die Beurteilung, ob der Sterbeprozess eines Menschen bereits begonnen hat und ob Maßnahmen eine Verlängerung des Sterbens oder des Lebens bedeuten würden, ist häufig schwierig [13]. Im Grenzbereich zwischen Leben und Sterben bedarf es insbesondere im Spannungsfeld von medizinischen Möglichkeiten, sozialen Interessen, gesellschaftlichen Prioritäten und individuellen Erwartungen einer Orientierungshilfe. Für schwierige Therapieentscheidungen in der Palliativmedizin sind hier die 4 medizinethischen Prinzipien (Autonomie, Benefizienz, Non-Malefizienz und Gerechtigkeit) hilfreich [42]. In der Palliativmedizin wird ihre Ausbalancierung unter die übergeordneten Prinzipen „Schutz des Lebens“ und „Akzeptanz des Sterbens als natürlicher Prozess“ gestellt, da die Prinzipien vom Ursprung her eher utilitaristisch verortet sind, sie jedoch vom Selbstverständnis der Palliativmedizin her nicht rein utilitaristisch interpretiert werden sollen. Diese Prinzipien werden durchaus kontrovers diskutiert, bieten in der Praxis jedoch eine gute Basis, um überhaupt ins Gespräch über ethische Fragestellungen zu kommen, da jeder bereits Vorstellungen über die Bedeutung dieser Begriffe hat [43].

Palliativmedizin bejaht das Leben. Die gezielte vorzeitige Herbeiführung des Todes stellt, wie von der Bundesärztekammer und fast allen nationalen palliativmedizinischen Fachgesellschaften in Europa betont, kein Behandlungsziel bzw. keine therapeutische Option in der Palliativmedizin dar und ist unter anderem auch in Deutschland verboten [44, 45]. Die ärztliche Beihilfe zum Suizid unterliegt hierzulande standesrechtlicher Ächtung und komplexen rechtlichen Regelungen. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher ethischer Positionen in einer pluralistischen Gesellschaft wird es durchaus auch als Absage an ärztliche Begleitung gesehen, Patienten mit Wunsch nach einem beschleunigten Tod nicht zu dieser Beschleunigung zu verhelfen, wie sowohl Umfragen unter Ärzten als auch in der Bevölkerung zeigen [46, 47, 48, 49, 50]. Letztlich muss jeder Arzt für sich selbst entscheiden, inwiefern er das Selbstverständnis der palliativmedizinischen Fachgesellschaften mitträgt, inwieweit er sich zur Einhaltung rechtlicher und standesrechtlicher Vorschriften gehalten sieht und welche Handlungen in einer konkreten Patienten-Arzt-Beziehung unter Begleitung zu subsumieren sind.

Palliativmedizinische Optionen wie Therapieverzicht, Einfrieren der Therapie oder Therapieabbruch bedeuten nicht das Ende therapeutischer Maßnahmen, sondern erfordern Schmerztherapie und Symptomkontrolle sowie psychosoziale und ggf. spirituelle Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen. Entscheidungen zu diesen Optionen erfordern weit mehr als medizinisches Wissen. Sie können nur nach sorgfältiger Prüfung der aktuellen Situation und sollten bei nicht entscheidungsfähigen Patienten wenn möglich im Konsens der Behandelnden mit den Betreuenden und Angehörigen eines Patienten erfolgen. Bei schwieriger Entscheidungsfindung bietet das Instrument der ethischen Fallbesprechung die Möglichkeit einer interdisziplinären und -professionellen ethischen Beratung mit allen an der Therapie beteiligten ärztlichen und nicht-ärztlichen Mitarbeitern. Grundlage für die Urteilsbildung sind die gleichwertige Betrachtung medizinischer, pflegerischer, psychosozialer und ethischer Gesichtspunkte sowie die Berücksichtigung standesethischer und rechtlicher Bestimmungen.

Patienten-Arzt-Beziehung und Teamgedanke

In manchen Settings arbeiten Palliativmediziner in festen Teams – etwa auf einer Palliativstation –, in anderen, z. B. als palliativmedizinisch tätiger Hausarzt, entweder allein oder in bestimmten Kooperationen. Zwar trägt der jeweilige Arzt letztlich die Verantwortung für die palliativmedizinische Behandlung, jedoch sollte er sich – gleich, in welchem Setting – immer zugleich als Teil eines Teams bzw. eines Netzwerks sehen. Dies hat verschiedene Auswirkungen auf sein Verständnis als Begleiter:

  • Er integriert nicht nur andere Personen bzw. Dienste und Einrichtungen in sein Tun, sondern auch deren Wissen über Patienten, deren Lebenssituation und Bedürfnisse.

  • Er reflektiert die Grenzen seiner Rolle als Begleiter.

  • Er delegiert Teile der Begleitung an andere, deren Kompetenzen die eigenen komplementär ergänzen.

Zum Teil werden Ärzte auch erst von anderen Akteuren (z. B. palliativmedizinisches Konsilteam, Arzt im ambulanten Palliativteam) als Interimsbegleiter in eine Patientenversorgung hineingeholt. Da Palliativmedizin eine Subspezialisierung ist, arbeiten nicht wenige Palliativmediziner in nicht genuin palliativmedizinischen Settings, sondern sind Teammitglied, zuweilen das einzige mit dieser Zusatzausbildung, etwa in der Intensivmedizin, Onkologie, Anästhesie, Inneren Medizin oder Geriatrie, und/oder sind auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Dies hat zunehmend auch Auswirkungen auf Begleitungskonzepte in anderen Fachbereichen. Dort – wie in der Palliativmedizin – verbringen Ärzte zumeist weit weniger Zeit mit den Patienten als andere involvierte Begleiter. Um den Erkenntniszuwachs für eine ärztliche Begleitung durch die Integration z. B. der formell und informell Pflegenden oder von Physiotherapeuten und Sozialarbeitern nutzen zu können, bedarf es daher generell eines differenzierten Verständnisses von Hierarchie mit wertschätzender Integration anderer bis hin zur Begegnung auf Augenhöhe. Relativ neu ist dabei sicher auch, pflegende Angehörige als Partner in das Begleitungsteam zu integrieren und dabei gleichzeitig auch als zu Begleitende wahrzunehmen.

In der Begegnung mit schwer kranken Patienten sollte der Anspruch, dass alle Begleiter einschließlich des Arztes sich in einem Team um den Patienten herum sehen, transparent werden. Dies kann die Beziehung zwischen Arzt und Patient im Sinne einer Entmystifizierung entlasten, ohne ihre Bedeutung zu schmälern.

Fazit

In der Palliativmedizin ist der Arzt der Begleiter des Patienten und seiner Angehörigen in einer Zeit hoher Belastungen und unter Umständen schwieriger medizinischer und ethischer Entscheidungen. Die ärztliche Kompetenz reicht jedoch für eine Begleitung am Lebensende nicht aus. Begleitungskonzepte der Palliativmedizin können nur im multidisziplinären Team umgesetzt werden. Für eine Begleitung spielen die Faktoren Zeit, Vertrauen, fachliche, ethische, kommunikative, soziale und emotionale Kompetenz sowie die Haltung von Patienten und Ärzten bzw. anderen professionell Involvierten eine bedeutsame Rolle. Aus palliativmedizinischer und hospizlicher Sicht sind die Enttabuisierung des Sterbens und eine differenzierte Behandlung existenzieller Fragen in den Medien, eine sensible Verankerung dieser Themen schon in der vorschulischen und schulischen Bildung und eine Stärkung der mitverantwortlichen Begleitung Sterbender durch Familie und Zugehörige wünschenswert. Es ist eine große Herausforderung, gesellschaftlich Rahmenbedingungen zu entwickeln und zu sichern, die der Angst vor einem Sterben unter würdeverletzenden Umständen in unserer Gesellschaft so begegnen, dass das palliative Verständnis von Begleitung beim – aber nicht zum – Sterben noch größere Akzeptanz findet.