Übergewicht bei Kindern: Hintergrund und Fragestellung

In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich der Anteil übergewichtiger Kinder weltweit deutlich erhöht. Heute sind über 30% aller Kinder in Europa übergewichtig oder adipös [1]. Die Fettleibigkeit und ihre Folgen beeinträchtigen zunehmend Gesundheit und Lebensqualität der Menschen [2], weshalb Regierungen weltweit die Erforschung der vielfältigen Einflussfaktoren sowie wirksamer Präventions- und Interventionsstrategien fordern und fördern. Neben den individuellen Konsequenzen verursacht eine zunehmend adipöse Gesellschaft auf Makroebene direkte Gesundheitskosten und Folgekosten durch eine sinkende Arbeitsproduktivität [3]. Aufgrund der gesellschaftlichen Dimension der Übergewichtsproblematik ist heute der Kampf gegen Übergewicht auch Ziel nationaler und supranationaler Nachhaltigkeitsstrategien, die neben ökologischen Zielen auch soziale Kohäsion und ökonomische Nachhaltigkeit anstreben [4].

Der Stand des Wissens über die einzelnen Einflussfaktoren ist unterschiedlich hoch, teilweise widersprechen sich die Ergebnisse sogar, und viele Zusammenhänge, Wirkungsketten und Feedbackschleifen sind noch unklar. Man nimmt heute an, dass die Weichenstellung für Übergewicht bereits im Mutterleib und frühen Kindesalter erfolgt. Übergewichtige Kinder haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, im Erwachsenenalter übergewichtig zu werden, als normalgewichtige [5]. Eine effektive Prävention und Intervention sollten daher früh ansetzen und die gesamte Lebenswelt der Kinder und ihrer Familie umfassen [6]. Diese Erkenntnis spiegelt sich mittlerweile in fast allen nationalen und supranationalen Aktionsprogrammen gegen Übergewicht wider [4].

Der vorliegende Beitrag gibt eine kurze Einführung in die wichtigsten theoretischen Ansätze und empirischen Ergebnisse über die Einflussfaktoren für Übergewicht bei Kindern aus Sicht der verhaltenswissenschaftlichen Konsumforschung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Altersgruppe der Zwei- bis Zehnjährigen. Auf Grundlage eines humanökologischen Ansatzes wird zum einen die Rolle der Sozialisationsagenten – Familie, Kindergarten und Schule sowie Medien und Werbung – untersucht; zum anderen wird dem Einfluss externer Faktoren – Warenwelt und Kaufkraft, Lebensmittelangebot sowie Lebensumfeld und statusspezifischer Lebensstil – nachgegangen. Auf dieser Basis werden abschließend Implikationen und Forderungen für Gesellschaft und Politik formuliert.

Theorie und Empirie der Einflussfaktoren aus Sicht der Konsumforschung

Übergewicht entsteht, wenn die Kalorienaufnahme langfristig den Energiebedarf übersteigt. Die Energiebilanz ist eine Frage des Lebensstils, insbesondere der Ernährungs- und Bewegungsmuster – Faktoren, die grundsätzlich und zuvorderst der Handlungs- und Entschließungsfreiheit des Einzelnen unterliegen. Forschungsergebnisse aus der Verhaltens- und Neuroökonomik zeigen jedoch, dass selbst gut informierte Erwachsene ihr Verhalten keineswegs grundsätzlich nach „rational-vernünftigen“ Motiven ausrichten, sondern regelmäßig gegen ihre eigenen Handlungsabsichten verstoßen: Die meisten Menschen bevorzugen das Jetzt vor dem Später [7], unterliegen der Macht der Angebote ihres Umfelds, lassen sich von Gewohnheiten und Emotionen treiben, machen systematische Entscheidungsfehler und sind wenig diszipliniert in der Umsetzung ihrer Intentionen [8]. Wenn schon die Handlungs- und Entschließungsfreiheit Erwachsener so begrenzt ist, dann wird deutlich, wie viel weniger Kinder zwischen zwei und zehn Jahren für ihre Energiebilanz verantwortlich gemacht werden können. Vielmehr sind sie abhängig vom Kontext und den Stimuli, die das Sozialisationsumfeld ihnen bietet [9]. Auch wenn Kinder gerade im Ernährungs- und Freizeitbereich mit zunehmendem Alter mitbestimmen, so sind doch Eltern und Erzieher letztlich als „Gatekeeper“ für Ernährungsangebot, Mediennutzung und Freizeitgestaltung verantwortlich.

Aus Sozialisations- und Lerntheorien ist bekannt, dass Kinder ihr Ernährungsverhalten sowie ihre Ernährungs- und Bewegungsmuster vor allem durch Nachahmung des Verhaltens und der Muster ihrer sozialen und kulturellen Umwelt erlernen [10]. In der verhaltenswissenschaftlichen Übergewichtsforschung wird daher meist eine Kombination aus sozialer Lerntheorie [11] und Bronfenbrenners Theorie der Ökosysteme [12] als theoretische Grundlage herangezogen [13]. Während Erstere die Interaktionen zwischen persönlichen Faktoren, Umweltfaktoren und Verhalten erklärt, integriert Letztere die verschiedenen „Schichten“ des humanökologischen Umfelds, das Kinder beeinflusst, und stellt sie zueinander in Beziehung. Welche der vielen hier wirksamen Faktoren die Entstehung von Übergewicht durch welche Wirkungsmechanismen und -schleifen fördern oder aber bremsen, ist eine der Hauptfragen der heutigen Übergewichtsforschung [2]. Auch der vorliegende Beitrag folgt dem humanökologischen Ansatz. Vier Einflussebenen für gesundheitsrelevantes Verhalten bei Kindern werden unterschieden [13]: die individuelle, die interpersonale, die Wohnumgebungs- und die Gesellschaftsebene (Abb. 1).

Abb. 1
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Die vier Einflussebenen für gesundheitsrelevantes Verhalten bei Kindern

Individuelle/intrapersonale Ebene

Die individuelle oder intrapersonale Ebene umfasst persönliche Faktoren wie Stressresistenz, Launenhaftigkeit, frühkindliche Traumata und Einstellungen, aber auch Lebensstilfaktoren wie Mahlzeiten- und Bewegungsmuster. Unregelmäßige Mahlzeiten, hoher Medienkonsum und geringe Bewegung stehen im Verdacht, Übergewicht bei Kindern zu fördern. Zudem beeinflussen individuelle Faktoren die Reaktionen auf Präventions- und Interventionsversuche [14]. Weitere individuelle Faktoren sind biologische Mechanismen wie die genetische Disposition, aber auch die Ausprägung von Hunger- und Sattheitsgefühlen [14] sowie sensorische Präferenzen, die jedoch außerhalb der hier betrachteten verhaltenswissenschaftlichen Konsumforschung fallen.

Interpersonale Ebene

Auf interpersonaler Ebene wird der Einfluss betrachtet, den das soziale Umfeld des Kindes – Familie, Freundeskreis, Schulkameraden, Erzieher und Lehrer – auf das Kind hat. Neben dem Lernen am Modell [10] ist hier auch die operante Konditionierung wirksam, beispielsweise wenn Eltern und Erzieher Essen oder Bewegungsangebote als Belohnung oder Bestrafung einsetzen [15].

Wohnumgebungsebene

Auf Wohnumgebungsebene wird untersucht, wie „Adipositas fördernd“ („obesogenic“) das Lebensumfeld eines Kindes ist, das heißt, ob und in welchem Ausmaß das Lebensumfeld übergewichtsfördernde Stimuli enthält [5]. Wichtige Faktoren sind hier die faktische Verfügbarkeit und leichte Erreichbarkeit gesundheitsfördernder Ernährungs- und Bewegungsangebote. Einige Studien haben gezeigt, dass ein erleichterter Zugang zu gesunden Ernährungsalternativen und zu Bewegungsangeboten deren Nachfrage steigert [16] und dass vor allem in armen Stadtgebieten die billige Fast-Food-Ernährung aufgrund knapper Haushaltsbudgets häufig die einzige Alternative darstellt [17]. Untersucht wird das Angebot im unmittelbaren Umfeld von Schulen und Kindergärten sowie in den Wohngebieten. Hierunter fallen beispielsweise Restaurants, Supermärkte, Grünflächen, Spielplätze und Radwege.

Gesellschaftsebene

Auf Gesellschaftsebene schließlich wird das Kind als aktiver Konsument in der Konsumgesellschaft beobachtet. Interessant sind sowohl Daten zum Kaufverhalten der Kinder selbst sowie zu ihrem Einfluss als Konsumentscheider in der Familie („Quengelfaktor“); auch ihre Konsum- und Medienkompetenz werden als wichtige Faktoren untersucht [18]. Medial vermittelte Vorbilder sowie die Werbung wurden in der Forschung als möglicher Einflussfaktor für Präferenzen ungesunder Ernährung identifiziert [6].

Je mehr über diese Faktoren und ihr Zusammenspiel bekannt ist, desto effektivere Präventions- und Interventionsstrategien können entwickelt werden. Nach Kenntnis der Autoren liegt jedoch bislang keine empirische Studie vor, in der solch ein holistisches Modell getestet wurde. Dies liegt in erster Linie an der begrenzten Datenlage der meisten Studien: Alle hier einbezogenen Studien konzentrieren sich auf den Zusammenhang zwischen einigen wenigen ausgewählten Einflussfaktoren und Adipositas im Kindheitsalter. Trotz intensiver Forschungsanstrengungen ist über den relativen Einfluss der einzelnen Faktoren und Ebenen noch wenig bekannt [19]. Im Rahmen eines vollständigeren Modells kann sich herausstellen, dass die Bedeutung einzelner Einflussfaktoren anders eingeschätzt werden muss als zuvor angenommen, da sie von Mediatoren beeinflusst sein können. Dies gilt auch für genetische Faktoren. Nach heutigem Wissensstand kann aber vermutet werden, dass der schnelle und starke Anstieg der Adipositas in einem biologisch kurzen Zeitraum nicht dafür spricht, dass genetische Faktoren allein entscheidend sind [20]. Stand der Forschung ist, dass eine „obesogenic environment“ – also eine Umwelt, die Übergewicht vielfältig fördert – der entscheidende Faktor ist.

Einfluss der Sozialisationsagenten

Die Sozialisationstheorie unterscheidet vier Hauptsozialisationsagenten [9]: erstens Eltern und Familie, zweitens Erzieher und Lehrer, drittens den Freundeskreis und viertens die Medien. Die Konsumsozialisation findet in einem spezifischen soziokulturellen Umfeld statt, in dem Wissen, Fähigkeiten und Techniken, aber auch Normen und Werte sowie Ansprüche und Einstellungen vermittelt werden [9]. Basierend auf den Entwicklungstheorien von Piaget wird die Konsumsozialisation als Entwicklungsprozess verstanden, den Kinder von der Geburt bis zum Erwachsenenleben durchlaufen und der sie zu Mitgliedern der Konsumgesellschaft formt [9]: In den drei idealtypischen Phasen – Wahrnehmung (drei bis sieben Jahre), Analyse (sieben bis elf Jahre) und Reflexion (elf bis sechzehn Jahre) – werden unterschiedliche Stufen an Wissen, Konsumentscheidungskompetenz sowie Befähigung zur Beeinflussung erreicht. Durch Medialisierung, steigenden Werbedruck, Dominanz der Konsumkultur und frühe Verfügbarkeit über größere Geldsummen haben sich diese Entwicklungsphasen altersmäßig leicht nach unten verschoben, bleiben als solche jedoch erhalten.

Primärsozialisation in der Familie

Eltern sind die wichtigsten Sozialisationsagenten. Schon im Mutterleib werden Ernährungspräferenzen und -gewohnheiten von Kindern geprägt [6]. Die Prägung in der Familie geschieht neben der Exposition – dem reinen Anbieten vorselektierter Nahrungsmittel [16] – auch über die emotionale Färbung der sozialen Interaktion und Kommunikation bei Mahlzeiten und Freizeitaktivitäten, über Verstärkung und Belohnung im Rahmen der häuslichen Erziehung [8] sowie über die kognitive Vermittlung eigenen Wissens und eigener Einstellungen. Je jünger das Kind, desto stärker ist der Einfluss der Eltern. Studien in teilweise experimentellen (Untersuchungs-)Situationen haben gezeigt, dass das Anbieten gesunder Nahrung, gemeinsamer Familienmahlzeiten sowie regelmäßiger Frühstücke und eine bewusst ausgewählte Ernährung eine gesunde Ernährung von Kindern fördern [6]. Werden gemeinsame Mahlzeiten mit positiven Interaktionen und Gefühlen verbunden, so entstehen eher Präferenzen für die dort eingenommenen Nahrungsmittel [21]. Verbieten Eltern bestimmte Nahrungsmittel oder zwingen sie Kinder, bestimmte Nahrungsmittel zu essen, dann bilden sich gegen diese Reaktanzen [22].

Die Wirkung elterlicher Ernährungserziehung und damit der familiären Ernährungskommunikation ist jedoch grundlegend abhängig vom Erziehungsstil [23]. Im Gegensatz zu „permissiven“ Eltern ziehen eher „autoritative“ Eltern Grenzen bezüglich Nahrungsmittelwahl und Medienkonsum, kommunizieren und begründen diese (im Gegensatz zu „autoritären“ Eltern) und überwachen deren Einhaltung [21]. Einzelne Studien weisen darauf hin, dass Kinder aus „Laissez-faire-Familien“ eher übergewichtig sind [21]. Welchen dieser – idealtypischen – Erziehungsstile die Eltern anwenden, ist abhängig vom kulturellen und ethnischen Hintergrund, vom sozioökonomischen Status der Eltern [23, 24] sowie von Charaktereigenschaften der Kinder. Neben der unterschiedlichen Körperzusammensetzung von Jungen und Mädchen (Mädchen haben grundsätzlich eine höhere Fettmasse als Jungen) beeinflussen Alter und Geschlecht maßgeblich das Gewichtszunahmeprofil sowie die Wirkung externer Faktoren [25]. Eltern als erste Sozialisationsinstanz behandeln ihren Nachwuchs unterschiedlich, wenn es um Ernährungs- und Bewegungsfragen geht, was sich auf die Energiebilanz geschlechtsspezifisch auswirkt. Studien haben beispielsweise gezeigt, dass Jungen tendenziell häufiger zur körperlichen Bewegung ermuntert werden als Mädchen und sich tatsächlich signifikant häufiger in sportlichen Aktivitäten verausgaben [25].

Wichtige Transmissionsriemen sind damit das Lernen am Modell und das Einüben gesundheitsförderlicher Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten [26], der Erziehungs- und Kommunikationsstil sowie die elterliche Medien-, Taschengeld- und Freizeit“politik“ [23]. In diesem Lernprozess geht es nicht nur um Wissen und Fähigkeiten, sondern ebenso um Motivation und Einstellungen [11]. Kinder sind beispielsweise eher bereit, unbekannte Gerichte zu kosten, wenn die anderen Familienmitglieder dies ebenfalls tun und positiv kommentieren [27]. Begrenzungen sitzender Tätigkeiten (belegt bei: Fernsehen, Video) scheinen von den Kindern akzeptiert zu werden und sich positiv auf das Gewicht des Kindes auszuwirken [5]. Auf Basis dieser Kriterien können Familien eher einem „Adipositas fördernden“ („obesogenic“) Familientyp oder einem „Adipositas hemmenden“ („non-obesogenic“) Typ zugeordnet werden [5].

Sekundärsozialisation in Kindergarten und Schule

In der Sekundärsozialisation treten Erzieher(innen) und Lehrer(innen) als wichtige Rollenmodelle, Wissens- und Meinungsvermittler neben die Eltern und haben damit ebenfalls potenziellen Einfluss auf die Entwicklung von Übergewicht bei Kindern [10]. Auch wenn sich die Schulsysteme innerhalb Europas stark unterscheiden – und damit die Ernährungs- und Bewegungspolitikoptionen in der Fremdbetreuung –, verbringen doch die meisten Kinder der betrachteten Altersstufe den Großteil ihrer Tageszeit nicht bei den Eltern, sondern in Institutionen. In manchen Ländern (wie Skandinavien, Frankreich) gilt dies bereits ab dem Kleinkindalter. Gemeinsame Mahlzeiten haben hier neben der ernährungsphysiologischen Funktion auch wichtige soziale und gruppendynamische Funktionen [21]. Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass es sich lohnt, die Ernährungs- und Bewegungspraktiken, die in den Schulen und Kindergärten herrschen, auf Gesundheitsförderung auszurichten (zum Beispiel [10, 21]). Schon lange ist bekannt, dass eine rein kognitive Wissensvermittlung nicht ausreicht; wichtiger ist, das Angebot in Kantinen und Kiosken in und um die Schulen herum sowie die Bewegungsmöglichkeiten (wie Radwege, Spielplätze) in der Reichweite der Kinder entsprechend zu gestalten. Ebenso gelten die oben beschriebenen Regeln erfolgreicher Ernährungskommunikation natürlich auch für Lehr- und Erziehungspersonal [21].

Da Eltern oft die Problematik des Übergewichts ihrer Kinder nicht bemerken oder unterschätzen [10], können Lehrer und Erzieher mit ihrem realistischeren Außenblick eine wichtige Frühwarnfunktion übernehmen. Allerdings gestaltet sich die Kommunikation mit den betroffenen Eltern oft schwierig [21], und der Erfolg ist von der Einstellung und dem Vertrauen der Eltern zum Lehrpersonal in Bezug auf Gesundheitsthemen abhängig. Häufig fühlen sich Lehrer und Erzieher ohnmächtig und hilflos gegenüber dem Sog der Medien, dem Einfluss des Freundeskreises und der Ubiquität und Omnitemporalität des Lebensmittelangebots [10].

Sozialisation durch Medien und Werbung

Audiovisuelle Medien sind heute ständige Begleiter und wichtiger Sozialisationsagent schon kleiner Kinder. Dabei vermitteln Medien nicht nur Präferenzen für bestimmte Nahrungs- und Genussmittel, sondern auch Ernährungsstile wie das Nebenbeiessen sowie eine Präferenz für sitzende Lebensstile. Das Fernsehen ist für die Altersgruppe der Zwei- bis Zehnjährigen nach wie vor das wichtigste Medium, wenn auch der Computer- und Videokonsum bei Kindern ansteigt [28]. In Deutschland verbringen Kinder dieser Altersgruppe zwischen einer und zwei Stunden täglich vor dem Fernseher [29]. Dabei sind Eltern und Großeltern meist schlechte Vorbilder, da sie im Durchschnitt deutlich mehr fernsehen als ihre Kinder [29]. Für die Lebensmittelindustrie bleibt daher das Fernsehen bis auf Weiteres der wichtigste Werbekanal [30].

Je jünger Kinder sind, desto eher ahmen sie Ernährungs- und Bewegungsstile anderer nach und desto eher schenken sie Botschaften anderer Glauben [10]. Dies gilt auch für die medial vermittelten Botschaften, die bei jüngeren Kindern vor allem aus dem Fernsehen stammen, bei Kindern ab zehn Jahren zunehmend auch aus dem Internet und dem Freundeskreis [19]. Wie eng Konsumpräferenzen und -stile mit Mediennutzung zusammenhängen, hat die Konsumforschung längst gezeigt. Erhöhter Werbedruck, Medienkonversion und steigende Mediennutzung aufgrund der Ubiquität der Massenmedien verlangen heute von Kindern eine höhere Medienkompetenz als noch vor 20 Jahren [31].

Kinder sind im Medienbereich häufig die „front runners“ und Konsumexperten der Familie [31]. Schon ab drei Jahren, also in der „Wahrnehmungsphase“, erkennen und präferieren Kinder Markenlogos [32]. Mit frühestens fünf Jahren erkennen sie den Unterschied zwischen Programm und Werbung, ohne jedoch den Zweck der Werbung zu verstehen [9]. Dies kann erst ab dem Schulalter – dem Beginn der „analytischen Phase“ – zwischen sieben und elf Jahren geleistet werden. Genau in diesen „formativen Jahren“ werden jedoch ebenfalls Markenpräferenzen und -einstellungen geformt [9]. Durch psychologisch ausgeklügelte und wiederholt gesendete Werbebotschaften werden Kinder für bestimmte Produkte „emotional konditioniert“, eine besonders effektive Sozialtechnik [33], deren Erfolg lebenslang anhalten kann. Ebenso wirksam sind Programme, die Lebensstile von Kindern oder kindlichen Helden zeigen.

Ergänzend zur Fernsehwerbung arbeiten Lebensmittelindustrie und Restaurantketten auch mit subtileren Formen der kommerziellen Kommunikation wie Produktplatzierung im Programmteil, Werbung im Internet (auf sozialen Netzwerken, in Spielen) oder im Rahmen von Schulsponsoring und Schulmarketing (Getränkeautomaten, Erstellung von Lehrmaterial) [34]. Gesundheitsaussagen und Nährwert spielen in der Kinderwerbung praktisch keine Rolle; verkauft wird über Spaß, Gruppennormen und Geschmack [35]. Markenwerbung scheint bei Kindern ihre erhoffte Wirkung zu entfalten, da sie Präferenzen zugunsten der beworbenen Marke verschieben kann [35].

Inwieweit Lebensmittelwerbung generell zur Übergewichtskrise beiträgt oder nicht, ist nicht geklärt. Die Werbebranche argumentiert, Werbung könne lediglich die Wahl innerhalb einer Kategorie (also beispielsweise Snacks) verschieben oder bestehende Präferenzen verstärken, nicht aber die Wahl grundsätzlich beeinflussen [36]. Die wichtigsten Synopsen, die aufgrund umfassender Literaturstudien zu dieser Forschungsfrage erstellt wurden [18, 35], konstatieren dagegen zumindest einen moderaten direkten Effekt der Werbung auf die kindlichen Ernährungspräferenzen. Die vermehrte Exposition gegenüber ungesunden Lebensmitteln scheint zur Wahl ungesünderer Lebensmittel zu führen [18]. Übergewichtige Kinder erkennen nicht nur beworbene Produkte häufiger als normalgewichtige, sondern konsumieren beworbene Produkte auch häufiger [37]. Wenn Kinder vermehrt Werbung für ungesunde Lebensmitteln sehen, führt dies auch zu einem geringeren Konsum von Obst und Gemüse [18]; werden dagegen gesunde Lebensmittel in der Werbung gezeigt, steigt dieser Konsum [38].

Unbenommen der letzten wissenschaftlichen Evidenz, ob und wie Werbung wirkt, sind Eltern und Erzieher gefordert, die Medien- und Werbekompetenz der Kinder zu fördern und Grenzen und Regeln für die Mediennutzung und Freizeitgestaltung aufzustellen. Regulierer sollten es ermöglichen, werbefreie Zonen für Kinder einzurichten – wie in Deutschland beispielsweise der Kinderkanal – und die Überwachung unerlaubten Sponsorings und Produktplatzierung in Kindersendungen zu gewährleisten.

Neben der Vermittlung überwiegend nicht gesundheitsfördernder Inhalte – die Mehrzahl der Fernsehwerbespots bewirbt süße, salzige oder fettige Snacks und Limonaden sowie Schnellrestaurants [19, 28, 35] – ist Medienkonsum überwiegend eine sitzende Tätigkeit, bei der wenig Energie verbraucht, aber nebenbei viel Energie aufgenommen wird: Schätzungsweise 20 bis 25% der Nahrungsmittelaufnahme von Kindern findet vor dem Fernsehen statt [39]. Dies ist problematisch, weil das „Nebenbeiessen“ Kinder vom Sättigungsgefühl ablenkt und sensorische und neuronale Körpersignale übergangen und gesundheitsförderliche Essensgewohnheiten verlernt werden [40]. Studien, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Fernsehdauer, Bewegungsarmut und Übergewicht beschäftigt haben, zeigen allerdings kein einheitliches Bild: Während einige Studien einen starken positiven Zusammenhang zwischen Übergewicht und Fernsehdauer gefunden haben [40, 41], ergaben andere keinen signifikanten Zusammenhang [42]. Diese Unterschiede scheinen in den Methoden begründet zu sein. Validere Aussagen zur Kausalität liefern experimentelle Studien. In einigen Experimenten hat eine Reduktion der Fernsehdauer zur Gewichtsabnahme der Probanden geführt [41], und zwar nicht aufgrund erhöhter körperlicher Aktivität, sondern aufgrund einer geringeren Energiezufuhr [43].

Einfluss externer Kontexte

Neben dem Einfluss der Sozialisationsagenten im unmittelbaren Umfeld des Kindes verweist das humanökologische Modell auf den Einfluss weiterer externer Faktoren, die sich als handlungsrelevanter Kontext auf das Konsumverhalten der Kinder auswirken [6]. Als besonders relevante Kontexte im Zusammenhang mit Übergewicht werden die Warenwelt und Kaufkraft des Kindes, das Lebensmittelangebot, das Lebensumfeld mit seinen Möglichkeiten sowie das soziokulturelle Umfeld des Kindes betrachtet.

Warenwelt und Kaufkraft

Kinder sind als Konsumenten in dreifacher Hinsicht interessant: als Nachfrager mit eigener Kaufkraft auf dem Markt für Kinderprodukte – wie Snacks und Süßigkeiten, Spielzeug, Zeitschriften –, als einflussreiche Einkaufs“berater“ der Eltern sowie als künftige treue Kunden, die es früh zu gewinnen und binden gilt [44]. Viele Kinder verfügen heute über Geld in nie da gewesener Höhe [33, 45]. Daher werden sie von der Werbung direkt als Zielgruppe angesprochen, auch gerade im Lebensmittelbereich [46]. Die hohe Kaufkraft scheint allerdings auch zu einer erhöhten Kalorienaufnahme zu führen [47], da Kinder vor allem für (Kinder-)Lebensmittel und Getränke Geld ausgeben [48]. Wenig überraschend geht mit den selbstständigen Kaufentscheidungen und den durch Werbe- und Peerdruck initiierten Produktwünschen der Kinder ein erhöhtes Konfliktpotenzial zwischen Eltern und Kindern einher [45].

Kinder beeinflussen im zunehmenden Maße die elterlichen Kaufentscheidungen [33] und sind mit ihrer „Quengelstrategie“ auch in ungefähr der Hälfte der Fälle erfolgreich [23, 45, 46]. Dies trifft auch für den Einkauf von Lebensmitteln in Supermärkten zu, weshalb viele Eltern den gemeinsamen Einkauf ganz vermeiden [45]. Der Einfluss von Werbung auf die Lebensmittelwünsche der Kinder wurde in mehreren Studien nachgewiesen [30]. Der Handel stellt seine „Point-of-Sale“-Gestaltung bewusst darauf ab. Hierzu zählt zum Beispiel die berüchtigte „Quengelware“ an den Ladenkassen. Eine weniger sichtbare, aber ebenso wirksame Kommunikation betreibt die Lebensmittelindustrie mit Marketinginstrumenten wie dem Schulsponsoring, der Freunde- und Meinungsführerwerbung sowie mit viralem Marketing.

Lebensmittelindustrie und Handel

Auch die Lebensmittelindustrie trägt ihren Teil zum „obesogenic“ Umfeld bei [6]. In den Industrienationen hat in den letzten vier Jahrzehnten das Angebot an industriell gefertigten Fertigprodukten stark zugenommen; diese enthalten im Durchschnitt mehr Kalorien pro Portion als frische Produkte [49]. Auch die Packungs- und Portionsgrößen sind in den letzten 20 Jahren größer geworden [6, 50], was zu mehr Konsum verführt [50]. Daran scheinen auch Energie- und Nährwertangaben auf den Packungen, die in Deutschland zunehmend von Herstellern und Händlern auf freiwilliger Basis aufgedruckt werden, nicht viel zu ändern.

Damit Konsumenten diese Angaben nutzen, müssen sie gut lesbar und verständlich sein [51]. Einzelne Studien haben gezeigt, dass Angaben über den Fettgehalt Konsumenten zur Wahl von Produkten mit weniger Fett motivierten. Allerdings existieren selbst innerhalb Deutschlands viele verschiedene Nährwertkennzeichnungssysteme, von der Vielfalt in Europa ganz zu schweigen. Diese Vielfalt an Kennzeichnungen – ausgewiesene Inhalte, Positivkennzeichen und Negativkennzeichen, mit oder ohne farbliche Unterlegung („Ampel“), absolute oder relative Angaben, spezifiziert für bestimmte Personengruppen und so weiter – führt eher zur Konsumentenverwirrung als zur Orientierung. Die dringend notwendige Einigung auf ein leicht verständliches System, das die relevanten Angaben umfasst, gut sichtbar auf der Packung angebracht, bei verschiedenen Lebensmittelkategorien anwendbar und weit verbreitet ist und dessen Einhaltung sinnvoll überwacht werden kann [52], ist jedoch schwierig: Unternehmerische Interessen und eine widersprüchliche wissenschaftliche Evidenz erschweren die politische Willensbildung: Während manche Studien zeigen, dass das einfache Ampelsystem für Konsumenten nützlicher ist als die Angabe des Tagesbedarf der wichtigsten Nährstoffe (GDA) [52], warnen andere Studien vor einer falschen Deutung der Farben durch die Konsumenten [51].

Über die tatsächliche Wirkung von Nährwertangaben auf die Energieaufnahme von Konsumenten ist letztlich immer noch zu wenig bekannt [51]. Gut belegt sind dagegen sogenannte „Sekundäreffekte“ von Nährwertangaben auf die Industrie: In Großbritannien wurden mit Einführung der Ampelkennzeichnung die Rezepturen vieler Produkte geändert, Transfette und Zucker ersetzt und Packungsgrößen verkleinert [52]. Dies ist eine positive Entwicklung, vor allem für Kinder, die in der Regel Nährwertangaben weder wahrnehmen noch verstehen.

Wie die Konsumforschung gezeigt hat, sind neben der Lebensmittelkennzeichnung andere Kriterien des unmittelbaren Konsumkontextes sowie die Verfügbarkeit und werbliche Herausstellung gesünderer Alternativen am „Point of Sale“ entscheidend für die Präferenzen und Konsumwahl. Denn viele Präferenzen für Güter des täglichen Bedarfs bilden sich erst direkt am Einkaufsort (konstruierte Präferenzen) [8]. Wenn die ubiquitären Schnellimbisse und Fast-Food-Ketten [49] das Standardangebot sind und dabei noch billig – beispielsweise im Umkreis von Schulen –, ist ihr Erfolg leicht erklärbar.

Lebens- und soziokulturelles Umfeld

Eines der robustesten Ergebnisse der internationalen Übergewichtsforschung bei Kindern ist der positive Zusammenhang zwischen Übergewicht und niedrigem sozioökonomischem Status (SES) in Konsumgesellschaften [24, 53]. In der Konsumforschung wird dies mit der erschwerten Verfügbarkeit einer gesunden Ernährung und mangelnder Bewegung in ärmeren Bevölkerungsschichten erklärt [53]. Die Verfügbarkeit umfasst in der Konsumforschung das „triple A“: Affordablity (Erschwinglichkeit), Availability (Erhältlichkeit) und Access (Zugang). Des Weiteren führen ungesunde Lebensstile zu niedrigerer beruflicher Produktivität – ein Teufelskreis, den diese Familien nur schwer selbst durchbrechen können. Hier können Präventionsstrategien und Verbraucherberatung sinnvoll ansetzen. Kinder mit hohem und mit niedrigem SES haben jeweils die höchste Autonomie bezüglich ihrer Konsumausgaben. Kinder mit niedrigem SES haben aufgrund ihrer frühen Exposition relativ viel Konsumerfahrung [23]; es fehlt ihnen jedoch entweder das erforderliche Wissen über gesunde Alternativen oder die Kompetenz, dieses Wissen in die Praxis umzusetzen [53]. Familien mit höherem SES ernähren sich tendenziell gesünder und bewegen sich mehr als Familien mit niedrigem SES [53]. Kinder in Familien mit niedrigem SES trinken mehr Limonaden, essen weniger Obst und Gemüse und bewegen sich weniger [24]. Dafür ist auch das begrenzte Budget verantwortlich, das gesunde Alternativen nicht erlaubt, sondern eine Maximierung von Kalorien – vor allem Fett und Zucker – pro Ernährungseinheit favorisiert. Essen ist in der Regel derjenige Anteil an den privaten Ausgaben, an dem kurzfristig am ehesten gespart werden kann [54]. Hinzu kommt, dass das Wohnumfeld dieser Kinder weniger attraktive Bewegungsmöglichkeiten bietet [55] und teilweise auch weniger sicher ist. Ebenso sind die Preise für Obst und Gemüse in armen Wohngegenden 30 bis 40% höher, und es gibt eine geringere Auswahl als in wohlhabenderen Wohngegenden [56]; die Zahl der Schnellimbisse ist dagegen viermal so hoch [57]. Wie aus der Konsumforschung über einkommensschwache Haushalte bekannt ist, sind diese weitaus begrenzter in ihrem Mobilitätsradius, da sie auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, was oft die Beschaffung gesunder Lebensmittel erschwert [6].

Implikationen für Gesellschaft und Politik

Trotz aller Forschung ist die wissenschaftliche Evidenz im Bereich „Kinder und Übergewicht“ aus Sicht der Konsumforschung nicht ausreichend, um effektive und effiziente Politikstrategien abschließend zu entwickeln und zu empfehlen. Auch gibt es parallel zum wissenschaftlichen Diskurs eine Diskussion um politische Implikationen und Strategien.

Was aber die einzelnen Sozialisationsagenten heute dennoch bereits tun können und wie politische Instrumente aussehen könnten, wird im Folgenden skizziert.

Eltern

Den Eltern obliegt die größte Verantwortung für die Gesundheit ihrer Kinder; dies stellt auch die Europäische Kommission klar heraus [1]. Wie weit sie dieser nachkommen können und wollen, hängt jedoch von ihrer eigenen Konsum- und Ernährungskompetenz und diese wiederum von Faktoren wie dem sozialen Status ab. Wichtig ist das Bewusstsein, dass sie selbst Rollenmodelle für ihre Kinder sind, die durch Imitation und Beobachtung lernen (Lernen am Modell). Eltern führen ihre Kinder zudem in die Konsumgesellschaft und Warenwelt ein; hier gibt es viele Chancen, die notwendigen Konsumkompetenzen – wie Konsumreflexion, Werbekritik, Aufschieben von Belohnungen, Kenntnis von Nährwertangaben, Verstehen von Produktinformation – nebenbei im Konsumalltag zu vermitteln. Darüber hinaus vermitteln sie Einstellungen, Werte und Normen und kontrollieren den Zugang zu Medien, Produkten und Freizeitalternativen. Auch Lehrern und Erziehern obliegt diese Verantwortung.

Verbraucherorganisationen

Des Weiteren leisten Verbraucherorganisationen einen wichtigen Beitrag mit ihren Informations- und Beratungsangeboten für Konsumenten, auch im Bereich Ernährungsberatung. Hierbei stehen vulnerable Verbrauchergruppen – wie Kinder – im Zentrum der Arbeit. Zudem vertreten sie die Verbraucherinteressen gegenüber der Politik und der Industrie, beispielsweise zum Thema „nützliche Nährwertkennzeichnungen“ oder „Werbung für Kinder“.

Regierungen

Für Regierungen ist der Kampf gegen Übergewicht längst ein veritables Wirtschaftsthema geworden, entstehen doch durch die Folgen enorme makroökonomische Kosten [3]. Investitionen in wirksame Präventions- und Interventionsstrategien sind auch ökonomisch nachhaltig. Wie diese aussehen können, ist jedoch nicht klar genug. Dies schränkt das politische Handlungsvermögen ein [58]. Vor allem ist unklar, ob das klassische Informationsparadigma zum „Empowerment“ der doch sehr jungen, unerfahrenen und leicht beeinflussbaren Konsumenten hier ausreicht oder ob nicht auch Regulierungen gefragt sind – beispielsweise in Bezug auf Rezepturen, Kinderwerbung oder Schulsponsoring –, um die drei strategischen Ziele: „Bewusstsein schaffen, Energiezufuhr reduzieren und Energieverbrauch erhöhen“ [47], zu erreichen. Vieles spricht dafür, dass das aktive „Stupsen“ („to nudge“) der Konsumenten [8] durch geschicktes Gestalten von Anreizdesign, Zugangsoptionen, Voreinstellungen und Umfeld („triple A“) die erfolgreichste Strategie bei minimaler Eingriffstiefe ist. Beispiele sind Schulen und Kantinen, die gesunde Ernährungsalternativen als Standard anbieten, Limonadenautomaten verbieten und die körperliche Bewegung in der Schule fördern.

Lebensmittelindustrie und Lebensmittelhandel

Auch Lebensmittelindustrie und -handel setzen sich mittlerweile in zahlreichen Gremien und vielfältigen Aktionen für die Reduktion von Übergewicht bei Kindern ein. Seit 2004 gibt es auf EU-Ebene eine Plattform zu Ernährung und Bewegung, in einigen Ländern, unter anderem in Deutschland, nationale Pendants. Ein ernsthafter freiwilliger Beitrag der Ernährungsindustrie könnte darin liegen, von eher kurzfristigen Ad-hoc-Maßnahmen zu längerfristigen strategischen Politikoptionen überzugehen, beispielsweise durch Veränderung von Rezepturen oder durch Verkleinern von Portions- und Packungsgrößen, durch Einigung auf eine einheitliche, umfassende und nützliche Nährwertkennzeichnung, durch Sicherstellen eines günstigen Angebots an Obst und Gemüse, durch Verzicht auf den Einsatz subtiler Werbemethoden bei Kindern sowie durch kommerzfreies Engagement in der Verbraucherbildung [1, 6, 28].

Alle diese Implikationen für die beteiligten Akteure wie Eltern, Verbraucherorganisationen, Regierungen und Lebensmittelindustrie und -handel sind vielversprechende Ansatzpunkte, um eine Entwicklung gegen den jetzigen Trend zur Fettleibigkeit zu erreichen. Sie können effektiv und effizient sein, wenn sie koordiniert und im Dialog durchgeführt werden.

Wissenschaft

Dabei bleibt es die dauerhafte Aufgabe der Wissenschaft, weitere empirische Evidenz zu schaffen, damit präventive Strategien und Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden können und sich nicht gegenseitig in ihrer Wirkung aushebeln. Trotz der Menge an Studien über Einflussfaktoren der Adipositas wird deutlich, dass die zukünftige Forschung noch mehr als bislang die Komplexität des Ernährungs- und Gesundheitsverhaltens erfassen muss. Bis heute existiert jedoch keine umfassende Datenbasis, geschweige denn eine entsprechende umfassende Studie, die die Komplexität der Adipositas erfasst. Die zwischen 2006 und 2011 laufende europäische „IDEFICS-Studie“ [59] wird dazu beitragen, diese Forschungslücke zu verringern. Hier wird bei zirka 16.000 Kindern in acht europäischen Ländern eine Vielzahl von Einflussfaktoren erhoben. Über Strukturgleichungsmodelle wird es möglich sein, die relative Bedeutung einzelner Faktoren zu identifizieren. Darüber hinaus bietet diese sich im Aufbau befindende Datenbank aufgrund ihrer Anlage als Längsschnittstudie die Möglichkeit, die Bedeutung der Faktoren im Zeitablauf zu testen.