Hausarztmangel — Initiativen und Konsequenzen

Im Frühjahr 1998 stimmten die Delegierten der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) für das „Initiativprogramm zur Sicherstellung der allgemeinmedizinischen Versorgung“, das von der Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) vorgelegt wurde [3]. Ziel des Programms ist die Verbesserung der hausärztlichen Versorgung, die Umkehrung des derzeit bestehenden Verhältnisses von 60% Spezialärzten zu 40% Hausärzten sowie eine verbesserte und einheitliche Qualifizierung der Hausärzte. Es wurde ermittelt, dass ein jährlicher Bedarf an mindestens 1500 neu weitergebildeten Allgemeinärzten pro Jahr besteht [4]. Die Bundesärztekammer, die KBV, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Krankenkassen wurden in die Sicherstellung und Finanzierung der Facharztweiterbildung im stationären und ambulanten Bereich eingebunden. Zunächst war das Programm auf 2 Jahre begrenzt [5]. Durch die rot-grüne Gesundheitsreform aus dem Jahr 2000 erhielt die hausärztliche Versorgung eine zentrale Bedeutung, um bei einer sich zunehmend komplexer differenzierenden Spezialisierung unterschiedlicher Leistungserbringer die Übersichtskompetenz in den Händen der Hausärzte zu sichern [15]. Die 74. Gesundheitsministerkonferenz der Länder vom 22.6.2001 bekräftigte, dass Ärzte für Allgemeinmedizin die Hausärzte der Zukunft sind; sie hielt die weitere Umsetzung des Initiativprogramms für dringend erforderlich [6].

Die 76. GMK der Länder beschloss im Jahr 2003, die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden zu bitten, einen Bericht zu den Rahmenbedingungen der Aus- und Weiterbildung sowie des Berufsbildes der Allgemeinärzte zu erstellen. Ziel war es, den Weiterentwicklungsbedarf für die Sicherstellung der langfristigen hausärztlichen Versorgung zu ermitteln. Es wurde daraufhin eine Projektgruppe, bestehend aus Vertretern der Länder Nordrhein-Westfalens, Thüringens und Bremens, Vertretern der Kultusministerkonferenz, des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Bundesärztekammer, der KBV, des Deutschen Hausärzteverbandes sowie der Wissenschaft, eingesetzt [7].

Hausarztmangel — Fakten und Ausblick

Die Projektgruppe gibt zunächst eine Einschätzung der gegenwärtigen Situation der hausärztlichen Versorgung in Deutschland. Es wird festgestellt, dass die Anzahl der hausärztlich tätigen Vertragsärzte seit 1990 stetig sinkt. Eine im Jahr 2005 erschienene Studie zur Altersstruktur- und Arztzahlentwicklung [2] zeigt, dass die Anzahl der Ärzte in der Gruppe der Hausärzte in Deutschland im Jahr 2002 um 1,3% abgenommen hat, im Jahr 2003 noch einmal um 0,2%. In den neuen Bundesländern sind die Arztzahlen für Hausärzte 2004 um 1,8% und im 1. Halbjahr 2005 erneut um 1,0% gesunken. Daraus resultieren Schwierigkeiten bei der Besetzung freier bzw. frei werdender Kassenarztsitze sowohl in den neuen als auch in den alten Bundesländern. In den neuen Bundesländern sind aktuell 609 Hausarztstellen nicht zu besetzen [8]. Die verbliebenen Hausärzte sind folglich stärkeren Belastungen ausgesetzt; dies führt zu beruflicher Unzufriedenheit und einer früheren Praxisaufgabe. Prognostisch werden in Deutschland bis zum Jahr 2010 insgesamt 15.600 Hausärzte in den Ruhestand gehen [7]. Von der zunehmenden Überalterung der Hausärzte sind die neuen Bundesländer stärker betroffen als die alten und ländliche Regionen stärker als Städte.

Hausarztmangel — im Osten schlimmer als im Westen

Das Durchschnittsalter der Hausärzte in den neuen Bundesländern betrug zum Stichtag 30.6.2005 52,4 Jahre [1]. Aus Altersgründen werden bis zum Jahr 2010 41,4% der Hausärzte in Brandenburg, 39,8% in Mecklenburg-Vorpommern, 38,5% in Sachsen und 40,9% in Thüringen ihre Zulassung zurückgeben [8], in Sachsen-Anhalt sogar 48,6% [1]. Im Jahr 2004 wurden in Sachsen-Anhalt 41 Praxen aufgegeben, 20 Praxen konnten an einen Nachfolger übergeben werden. 2005 wurden 42 Praxen aufgegeben und 26 an einen Praxisnachfolger übergeben. Schon jetzt liegt der allgemeinärztliche Versorgungsgrad in den Kreisen Altmarkkreis-Salzwedel, Jerichower Land, Halberstadt, Bernburg und Dessau unter 90%, im Kreis Saalkreis unter der kritischen Grenze von 75% [1]. Nur in den Städten Magdeburg und Halle/Saale ist der Zulassungsbereich für Allgemeinmediziner gesperrt, ansonsten gibt es für Hausärzte in Sachsen-Anhalt Niederlassungsfreiheit.

Das Interesse für die Hausarztmedizin muss an den Universitäten frühzeitig geweckt werden

Die obigen Darlegungen verdeutlichen, dass es dringend erforderlich ist, den medizinischen Nachwuchs mehr denn je für die Allgemeinmedizin zu interessieren und gerade diese Weiterbildung zu fördern. Zunächst müssen an den Universitäten die Rahmenbedingungen für die allgemeinmedizinische Forschung und Lehre verbessert bzw. Lehrstühle und Institute für Allgemeinmedizin an allen medizinischen Fakultäten aufgebaut werden. Derzeit gibt es an 8 Universitäten einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin, davon in den neuen Bundesländern nur in Halle-Wittenberg/Magdeburg. Außerdem gibt es nur an 6 Universitäten diesbezügliche C3-Professuren, an den anderen (über 20 Universitäten) existieren lediglich Lehrbereiche mit Lehrbeauftragten, teilweise als Honorarprofessuren [9]. Das Institut für Allgemeinmedizin der Universitäten Magdeburg und Halle-Wittenberg wurde erst im Jahr 2005 im Rahmen der Vergabe einer Stiftungsprofessur für Allgemeinmedizin gegründet. Ziel dieses Projektes ist es, Studierenden die Bedeutung der Allgemeinmedizin deutlich zu machen und ihr Interesse an einer künftigen hausärztlichen Tätigkeit zu wecken [10].

Der medizinische Nachwuchs muss mehr denn je für die Allgemeinmedizin interessiert werden

Die personelle, finanzielle und Sachmittelausstattung der Allgemeinmedizin an den medizinischen Fakultäten ist sehr unterschiedlich, meistens jedoch unzureichend. Die neue Approbationsordnung fördert zwar das Lehrangebot in der Allgemeinmedizin, es klafft aber eine Lücke zwischen dem politischen Wollen, die Allgemeinmedizin an den Universitäten als Hauptfach zu etablieren, und der praktischen Umsetzung. Das politische Ziel ist es, den Studierenden durch Einführung von Blockpraktika einen guten Einblick in die Tätigkeit des Allgemeinmediziners zu geben und sie zu motivieren, den Hausarztberuf zu ergreifen. In Sachsen-Anhalt gibt es an den Universitäten Halle-Wittenberg und Magdeburg jeweils 80 bzw. 130 Hausärzte, die bereit sind, Studierende im Blockpraktikum zu unterrichten. An beiden Universitäten werden den Studierenden Vorlesungen und Seminare in Allgemeinmedizin sowie allgemeinmedizinische Abschnitte in Querschnittsbereichen angeboten. Auch ist ein allgemeinmedizinisches Blockpraktikum mit ca. 35 Stunden innerhalb von 2–3 Wochen zu absolvieren. Den Studierenden bietet sich auch die Möglichkeit, während des Praktischen Jahres in der Allgemeinmedizin ein Tertial zu belegen; nach Vorstellung der GMK wäre es jedoch wünschenswert, das Fach Allgemeinmedizin neben der Inneren Medizin und der Chirurgie in einem von 4 Quartalen als Pflichtfach zu etablieren.

Weiterbildung — Ordnung für Vorgaben und Inhalte

Die Weiterbildungszeit für den Facharzt für Allgemeinmedizin beträgt seit 1.1.1999 5 Jahre. Obligate Bestandteile sind Abschnitte im stationären (Innere Medizin) und im ambulanten Bereich (Allgemeinmedizin) sowie Wahlfächer. Zu diesem Zweck müssen die Weiterbildungsassistenten die Weiterbildungsstätten wechseln. Der Aufbau von Weiterbildungsverbünden ist anzustreben, um den Assistenten eine sicherere Weiterbildungszeit zu garantieren und damit auch die „Abwerbung“ in andere Fächer zu vermindern [7]. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) hat einen Leitfaden „Verbundweiterbildung zum Allgemeinarzt“ herausgegeben [11].

Förderung der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin

Seit 1999 wird die Weiterbildung für Allgemeinmediziner nach dem GMK-Modell finanziell durch die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gefördert. Ziel der Weiterbildungsförderung ist die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung in der Zukunft durch die Unterstützung der Weiterbildungspraxen. Schon früher erfolgte in den einzelnen Bundesländern eine Förderung z. B. durch die KVen; Beispiel Niedersachsen: Finanzierung von zwei Drittel bzw. 50% des Weiterbildungsassistentengehalts indirekt durch alle Fachgruppen über den Sicherstellungsfond der KV. Die seit dem 1.1.1999 umgesetzte Weiterbildungsförderung [5] wird jeweils zu 50% durch die Krankenversicherungen (davon ein 7%iger Anteil der privaten Krankenversicherungen) und zu 50% durch die KVen gesichert. Sie ermöglicht den Weiterbildungsstätten in Klinik und Praxis pro Weiterbildungsassistenten eine Entlastung in Höhe von ca. 2000 Euro/Monat.

Insgesamt können deutschlandweit 3000 Weiterbildungsstellen pro Jahr gefördert werden. Die diesbezügliche Aufteilung auf die einzelnen KVen erfolgt jährlich nach Bedarfsermittlung. Im stationären Bereich besteht eine Vereinbarung zwischen den GKV-Spitzenverbänden und der Deutschen Krankenhausgesellschaft zur Förderung von Krankenhausstellen, die zu Weiterbildungsstellen für Allgemeinmediziner umgewidmet sind. Die Förderung in der Inneren Medizin umfasst ein Jahr, in der Chirurgie und in der Kinderheilkunde 6 Monate. Der kürzeste Förderungszeitraum beträgt 3 Monate. Ambulant werden Verträge zwischen dem zur Weiterbildung ermächtigten Arzt und der KV geschlossen. Die maximal zulässige Förderungsdauer für einen Weiterbildungsassistenten innerhalb einer Praxis umfasst 18 Monate.

In Deutschland haben 7700 Allgemeinmediziner eine Weiterbildungsbefugnis, davon 217 in Sachsen-Anhalt, 8900 Fachärzte sind zu einer fachspezifischen Weiterbildung von Assistenzärzten ermächtigt [7, 12]. Des Weiteren existieren seit 1999 Weiterbildungsstellen in Präventions- und Rehabilitationseinrichtungen.

Weitere Abnahme der hausärztlichen Niederlassungen trotz Förderung

Die Zahl der Gebietsanerkennungen im Fach Allgemeinmedizin variierte in den Jahren von 1998–2003 zwischen 1626 (im Jahr 2002) und 1917 (im Jahr 2002, Abb. 1). Diese Zahl hat sich zwischen 2000 und 2002 positiv entwickelt. Wurden im Jahr 2000 1626 Gebietsanerkennungen ausgesprochen, so waren es 2002 bereits 1917. Dies entspricht einer Steigerung von 17,9%, verglichen mit 3,6% bei der Grundgesamtheit aller Gebietsanerkennungen. Im Jahre 2003 konnten aber nur 1686 Gebietsanerkennungen erfasst werden. Der Rückgang erklärt sich durch die Einführung der 5-jährigen Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin, die erstmalig im Jahre 2003 statistisch relevant wurde.

Abb. 1
figure 1

Entwicklung der Gebietsanerkennung im Fach Allgemeinmedizin. (Quelle: [1])

Allerdings werden nur ca. zwei Drittel der weitergebildeten Allgemeinmediziner in der vertragsärztlichen Versorgung tätig (Abb. 2) [7]. Aus einer geschlechtsdifferenzierten Analyse geht hervor, dass die Unterschiede zwischen den erteilten Gebietsanerkennungen und den Niederlassungen im Fach Allgemeinmedizin in erster Linie auf einen Ärztinnenschwund zurückzuführen ist (Abb. 3) [7].

Abb. 2
figure 2

Entwicklung der Gebietsanerkennung (linke Säulen) und Niederlassungen (rechte Säulen) im Fach Allgemeinmedizin. (Quelle: [1])

Abb. 3
figure 3

Entwicklung der Gebietsanerkennungen (linke Säulen) und Niederlassungen (rechte Säulen) im Fach Allgemeinmedizin [unterteilt in Ärztinnen (dunkelgrau) und Ärzte (hellgrau)]. (Quelle: [1])

Den möglichen Gründen für die Abwanderung junger Ärzte ins Ausland muss dringend nachgegangen werden

In den Jahren von 1999–2002 wurden 7395 Weiterbildungsassistenten gefördert, davon waren 59% Ärztinnen. Im stationären Bereich lag die Auslastung der förderungsfähigen Stellen in den neuen Bundesländern bei 73–97%, in den alten Bundesländern bei 44–88% [7]. In Sachsen-Anhalt wurden 2004 insgesamt 89 Anträge auf Förderung allgemeinmedizinischer Weiterbildungsabschnitte gestellt (42 für den ambulanten Bereich, 47 für den stationären Bereich). Insgesamt konnten ca. 75% der gesamten Förderkontingente sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich ausgeschöpft werden, was deutlich höher ist, als im Bundestrend [12]. Die Gesamtausschöpfung des Förderprogramms lag bundesweit im Jahr 2004 bei 63,3% [7]. Allerdings nahm der Anteil der Förderung der Niedergelassenen von 84% in den Jahren 1999 und 2000 kontinuierlich bis auf 57% im Jahre 2004 ab. Von 16.500 möglichen Förderstellen während dieses Zeitraums wurden lediglich 6582 Stellen beansprucht. Ursache für den geringen Ausnutzungsgrad von nicht einmal 40% ist wahrscheinlich eine Abwanderung der Förderungsnutzer im klinischen Teil der Weiterbildung in andere Fachgebiete oder auch in alternative Arbeitsbereiche primärärztlicher Tätigkeiten in anderen Nationen (GB, DK, S, N, NL ...). Den möglichen Abwanderungsmotiven sollte umgehend nachgegangen und über Anreizmodelle nachgedacht werden, um junge Ärzte zu motivieren, ihre allgemeinärztliche Weiterbildung auch gerade in schlecht versorgten Regionen fortzusetzen (ergänzende Daten KBV 09/2005, Tab. 1).

Tab. 1 Initiativprogramm Allgemeinmedizin gem. Artikel 8 GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz (GKV-Sol-G), Förderung der Jahre 1999–2004 laut KBV, Stand 14.9.05. (Quelle: [1])

In den Jahren 2000–2002 sind zwar insgesamt 3314 Bruttozugänge an Allgemeinmedizinern zu verzeichnen (77% aus geförderten Weiterbildungskandidaten). Dennoch wird sich aber in den neuen Bundesländern die hausärztliche Versorgungslage weiter verschlechtern, da dort die Bruttozugänge die Bruttoabgänge wegen des Überalterungsproblems nicht mehr kompensieren können. In Sachsen-Anhalt ging man daher in die Offensive. Im Oktober 2005 informierte z. B. die KV Ärzte in Magdeburg aktiv über Niederlassungsmöglichkeiten. Die Interessenten hatten die Möglichkeit, Praxen zu besichtigen und mit Vertretern der Gemeinden ins Gespräch zu kommen. „Wir müssen mit dem Jammern aufhören und auch mal das Positive rausstellen. Auch im Osten kann man gute Honorare erzielen“, sagt der KV-Vorsitzende John [14].

Viele Weitergebildete erreichen die hausärztliche Praxis nicht

Es ist deutschlandweit ein nicht unerheblicher Ärztinnenschwund zwischen Facharztanerkennung und Niederlassung festzustellen. Ursache dafür sind die schwierige Vereinbarkeit von hausärztlicher Tätigkeit und Familie, finanzielle Risiken bei der Niederlassung, mangelndes Zutrauen, geringer finanzieller Anreiz, schwindendes Image und unsichere Zukunft der hausärztlichen Tätigkeit, Freizeitwert etc. Gesetzlich eingeschränkte Möglichkeit der Vertretung bei Schwangerschaft und mangelnde Möglichkeiten zur Teilzeittätigkeit (sei es in eigener Niederlassung oder angestellt) lässt es gerade Ärztinnen unattraktiv erscheinen, in der hausärztlichen Versorgung zu arbeiten.

Trotz des Förderprogramms

  • ist die Anzahl der geförderten Stellen nicht ausreichend, um den überalterungsbedingten starken Abgang an Hausärzten während der nächsten Jahre zu kompensieren,

  • werden die Förderstellen nicht voll ausgeschöpft,

  • wird der wachsende Bedarf an Hausärzten gerade in versorgungsschwachen Regionen nicht durch das Förderprogramm gedeckt werden können [7].

Die Projektgruppe der GMK sieht für diese Tatsachen verschiedene Ursachen. Zum einen wird für das Fach Allgemeinmedizin nicht rechtzeitig geworben, d. h. durch die Schwerpunktsetzung der Lehre auf spezialärztliche Fächer entscheiden sich die Studierenden für diese, und die Allgemeinmedizin wird häufig nur auf Umwegen erreicht. Des Weiteren gilt die Allgemeinmedizin als wenig imageträchtig, unter anderem aufgrund der schlechten Außendarstellung dieser Tätigkeit durch die Allgemeinmediziner selbst und durch die Medien [7]. Auch sollten die Motive für die Abwanderung aus und die mangelnde Niederlassungsbereitschaft in den unterversorgten Regionen Deutschlands schnellstmöglich erforscht werden.

Die gesetzlichen Regelungen für die Berufsausübung als Allgemeinarzt, die eine Niederlassung gerade für Frauen behindern, sind dringend zu überarbeiten. Es sollte möglich sein, einen Kollegen/eine Kollegin halb- oder vollbeschäftigt mit der Möglichkeit der Leistungsausweitung im vollen Umfang einzustellen, da derzeit eine Leistungsausweitung im Jobsharing-Modell nur bis zu 3% jährlich möglich ist. Vorteile wären:

  • für den Einzelnen würde sich die Arbeitslast reduzieren,

  • Ärztinnen könnten Praxistätigkeit und Familie besser miteinander verbinden,

  • die Berufszufriedenheit nähme zu,

  • junge Allgemeinmediziner könnten sich in Ruhe auf die eigene Praxisgründung konzentrieren bzw. im Laufe der Jahre die Praxis, in der sie angestellt sind, allmählich übernehmen.

In den neuen Bundesländern ist die Niederlassung für viele Allgemeinmediziner besonders unattraktiv

Besonders in den neuen Bundesländern ist die Niederlassung für viele Allgemeinärzte nicht attraktiv. Im Durchschnitt muss ein Kollege hier ca. 36% mehr Patienten behandeln als in den alten Bundesländern, erhält aber pro Patient nur 72,8% der Vergütung [8]. Wirtschaftliches Arbeiten ist somit nur schwerer möglich. Der Abschlag Ost muss daher abgeschafft werden, um die Arbeit in den unterversorgten Regionen der neuen Bundesländer wieder attraktiver zu gestalten. Um dennoch Kollegen für die Niederlassung zu gewinnen, werden derzeit von den KVen Umsatzgarantien geleistet und Investitionspauschalen bereitgestellt. Dies vermittelt bei den geförderten Kollegen aber den Eindruck, sie bedürften der Subventionierung, da sie nicht selbstständig in der Lage seien, die eigene Praxis betriebswirtschaftlich zu führen. Die wahren Gründe, d. h. die ungleiche Honorierung für gleiche Leistungen, werden dadurch verschleiert. Die diskutierten Aspekte können zu Frustrationen führen und trotz der bisher gesetzten Anreize für eine hausärztliche Tätigkeit eher vor einer solchen zurückschrecken lassen.

Gründe gegen eine Niederlassung als Allgemeinarzt

Es muss festgestellt werden, dass der Beruf des Allgemeinmediziners in Deutschland zurzeit nicht attraktiv genug ist, um genügend Nachwuchs zu finden. Mithilfe des „Initiativprogramms zur Sicherstellung der allgemeinmedizinischen Versorgung“ haben die Weiterbildungsassistenten jedoch in den ambulanten und stationären Weiterbildungsabschnitten so gute Bedingungen, wie sie sie in keiner anderen Facharztweiterbildung finden. Ohne dieses Initiativprogramm würde ein wichtiger Teil der ambulanten medizinischen Versorgung, d. h. die Hausarztmedizin, Gefahr laufen, ihrem Sicherstellungsauftrag nicht mehr nachkommen zu können. Die Politik muss nun Maßnahmen ergreifen, die das Ansehen und die Attraktivität des Berufes des Allgemeinarztes langfristig heben, um mehr Kollegen zu motivieren, nicht in spezialärztliche Fächer bzw. in alternative Berufsbereiche bzw. andere Länder abzuwandern.

Dieses Ziel lässt sich nicht durch weitere Überreglementierungen oder kurzfristige finanzielle Anfangsunterstützung umsetzen. Die Aussichten für eine relativ sicher planbare Tätigkeit in der Praxis haben sich in den letzten 5 Jahren geradezu kontraproduktiv zur Weiterbildungsförderung entwickelt. Einige diesbezügliche Gründe sind im Folgenden zusammengefasst:

  • Bei einem weiterhin bestehenden begrenzten Honorarbudget und einer eher zunehmenden Nachfrage ärztlicher Tätigkeit infolge von Morbiditätsanstieg und demographischer Entwicklung wird das Honorar pro Leistung weiter sinken.

  • Die neue Gebührenordnung 2000 plus zeigt bei den ersten Abrechnungsergebnissen eine weitere mögliche Verminderung und Unsicherheit bei den Honoraren, besonders an bisherigen Brennpunkten der Versorgung z. B. im ländlichen Bereich.

  • Bürokratische Überbelastung, die zur Demotivierung führen kann, macht sich an der Kritik der durch die Arztpraxen zu erhebenden Praxisgebühr fest und auch z. B. am Dokumentationsaufwand der Disease-Management-Programme (DMP).

  • Die weiterhin bestehende finanzielle Haftung bei oft nicht selbst verursachter überdurchschnittlich hoher Arzneimittelverordnung gestaltet auch die individuelle Honorarsituation in Zukunft extrem unsicher.

  • Die pauschale und unrichtige Schuldzuschreibung für die finanzielle Misere im Gesundheitswesen an die Ärzte durch Medien, Krankenkassenvertreter bzw. Politiker ist als mangelnde Wertschätzung zu sehen und schafft massive Frustration.

  • Auch ein höheres Anspruchdenken der Leistungsnutzer besonders im Bezug auf neue, oft kostenintensive und durch Medien gelegentlich unkritisch vorgestellte Therapiemethoden schafft Druck auf Leistungserbringer und Budgets.

  • Nicht zuletzt sind heute lebensweltliche Aspekte (berufliches und persönliches Selbstbild sowie Freizeit- und Lebensgestaltung) für oder gegen eine weit reichende Bindung an eine Praxis bzw. an einen Ort von maßgeblicher Bedeutung.

Die oben genannten negativen Faktoren erfahren und erleben potenzielle Hausärzte bei ihren Hospitationen und Praktika sehr schnell. Entsprechend werden die Motivationsbemühungen universitärer und berufspolitischer Strukturen schnell durch die zu erwartende Realität im Praxisalltag zunichte gemacht. Aufgrund der aufgeführten Punkte erscheint das bisherige Initiativprogramm nicht weit reichend genug, um den zukünftigen Bedarf an Hausärzten zu decken. Die Autoren erachten weitere Anreize für notwendig.

Initiativprogramm — eine gute Idee mit Schwächen in der Umsetzung

Das „Initiativprogramm zur Sicherstellung der allgemeinmedizinischen Versorgung“ muss im Interesse aller über das Jahr 2006 hinaus fortgeführt und sogar erweitert werden. Doch die Akzeptanz des Programms ist bisher recht unterschiedlich. Aufgrund unbesetzter Förderstellen werden 14 Millionen Euro jährlich nicht genutzt (bei einer bisherigen Fördersumme von ca. 280 Millionen Euro in 5 Jahren). Mit den derzeit besetzten Förderstellen kann der bundesweite Bedarf an Allgemeinärzten, der bei jährlich 1500–2000 Stellen liegt, nicht gedeckt werden [14]. Es wäre zu überlegen, ob man (aufgrund der jetzt 5-jährigen Facharztweiterbildung) die Förderung des Weiterbildungsassistenten von derzeit 18 Monaten auf 24 Monate erweitert. Dies erhöht die Bindung an die Fachgruppe, d. h., die Zahl der Wechsler in spezialärztliche Fächer könnte dann möglicherweise weiter reduziert werden.

Hausarztmangel: Lösungen des Problems durch strukturelle Veränderungen

Ärztenetze werden zukünftig eine tragende Rolle in der medizinischen Versorgung spielen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Nachtdienste und Vertretungen leichter regeln, die Kommunikation zwischen den beteiligten Gruppen findet auf gleicher Ebene statt, der Konkurrenzgedanke tritt in den Hintergrund [13]. Räume, Personal und technische Geräte lassen sich gemeinsam nutzen, was zur Reduzierung der Praxiskosten für den Einzelnen beiträgt. Administrative Aufgaben können ausgelagert werden. Somit können sich die Ärzte besser auf ihre Patienten konzentrieren. Es bleibt mehr Zeit zur Qualifikation, Arbeitszeiten lassen sich gut regeln. Dies alles dürfte zu einer hohen Berufszufriedenheit führen und die Attraktivität des Fachs Allgemeinmedizin heben. Auch ist eine strukturiertere Begleitung der 5-jährigen Weiterbildung erforderlich, um eine ausreichende Qualifikation zu ermöglichen und die Bereitschaft zu stärken, sich den komplexer gewordenen Anforderungen eines modernen Hausarztes zu stellen [15].

Besondere Möglichkeiten der hausärztlichen Versorgung bieten zukünftig die integrative Versorgung und die Errichtung medizinischer Versorgungszentren (MVZ). Hier könnten sich angestellte Allgemeinärzte (besonders in unterversorgten Gebieten) ohne die finanziellen Belastungen einer Praxisgründung bzw. -übernahme auch mit niedrigen Wochenarbeitszeiten zwischen 10 und 20 Stunden gut organisiert an der kontinuierlichen Patientenversorgung beteiligen. Dies wäre mit Sicherheit besonders für junge Mütter und Väter ein starker Anreiz, sich in der hausärztlichen Versorgung zu engagieren. Auf diese Weise könnten ansonsten brachliegende Ressourcen besser genutzt und die berufliche Kompetenz auch während der Jungfamilienphase erhalten bzw. weiter ausgebaut werden.