Die Messung des Blutdrucks wird neben den anderen Vitalparametern, Herzfrequenz und periphere Sauerstoffsättigung, als unabdingbarer Standard des Monitorings während einer Anästhesie vorausgesetzt [2]. Engmaschige Messung und Dokumentation der Blutdruckwerte allein verhindern allerdings nicht, dass perioperativ häufig ausgeprägte Blutdruckabfälle und -schwankungen vorkommen – dies erfordert ein entsprechendes Problembewusstsein der Anästhesiologen. In den letzten Jahren mehren sich Erkenntnisse, dass gerade niedrige Blutdruckwerte während Operationen mit Organschädigungen, postoperativen Komplikationen und ggf. erhöhter Sterblichkeit assoziiert sind [32, 51].

Ziel der Arbeit

In dieser Übersicht werden zunächst wesentliche Zusammenhänge und Definitionen aus der Kreislaufphysiologie in Bezug auf den Blutdruck in übersichtlicher Form wiederholt. Dann wird der Versuch unternommen, den Begriff der perioperativen Hypotonie zu definieren und zu differenzieren. Anschließend wird dargestellt, welche potenziellen Organschäden durch eine Hypotonie verursacht werden können, und welche perioperativen Blutdruckwerte basierend auf verfügbaren klinischen Daten ohne Gefährdung des Patienten akzeptabel sind.

Physiologische Aspekte des Blutdrucks

Der systolische arterielle Blutdruck („systolic arterial pressure“, SAP) ist der maximale im arteriellen Gefäßsystem gemessene Druck und entsteht während der systolischen Kontraktion des linken Ventrikels. Der SAP ist abhängig von Schlagvolumen (SV) des Herzens, Herzfrequenz, systemischem arteriellem Widerstand („systemic vascular resistance“, SVR) sowie der Dehnbarkeit der Aorta und der herznahen großen Arterien.

Der diastolische Blutdruck („diastolic arterial pressure“, DAP) ist der minimale im arteriellen Gefäßsystem gemessene Druck. Der DAP wird von SVR, „compliance“ des Gefäßsystems („Windkesselfunktion“ der Aorta) sowie der Dauer der Diastole (und damit der Herzfrequenz) bestimmt. Dieser Wert nimmt von zentral nach peripher geringfügig ab [55].

Der arterielle Mitteldruck („mean arterial pressure“, MAP) ist der durchschnittliche im arteriellen Gefäßsystem herrschende Blutdruck. Durch die Konformation der Blutdruckkurve entspricht der MAP herznah circa dem Mittel zwischen SAP und DAP, in peripheren Gefäßen nähert er sich hingegen weiter dem DAP an. Als Faustregel zur Berechnung gilt: MAP = DAP + 1/3 · (SAP − DAP). Der MAP ist der für den systemischen Perfusionsdruck („perfusion pressure“, PP) und damit für die Durchblutung der meisten Organe maßgebliche Druck. Der PP wird für den Gesamtorganismus berechnet als: PP = MAP − ZVD (ZVD: zentraler Venendruck).

Die für den Gesamtorganismus beschriebene Beziehung zwischen PP und MAP gilt analog für den PP und die Durchblutung einzelner Organe; anstatt des ZVD muss dann der jeweilige stromabwärts herrschende Druckwert in die obige Gleichung eingesetzt werden.

Die genannten Beziehungen stellen Vereinfachungen dar; Druck, Fluss und Widerstand verändern sich nicht unabhängig voneinander, sondern sind in physiologischen Regelkreisen voneinander abhängig [53]. Ziel der physiologischen Regulierung von Blutdruck und -fluss ist im Zusammenspiel mit dem Sauerstoffgehalt des arteriellen Blutes die Sicherstellung der Gewebeoxygenierung.

Der PP und der Blutfluss hängen nicht von der Druckdifferenz MAP − ZVD ab, wenn der stromabwärts herrschende Gegendruck nicht dem ZVD, sondern dem kritischen Verschlussdruck („critical closing pressure“, CCP) des jeweiligen Stromgebiets bzw. Gewebes entspricht [53]. Bestes Beispiel ist die Durchblutung des Gehirns: Bereits unter physiologischen Bedingungen errechnet sich der zerebrale Perfusionsdruck („cerebral perfusion pressure“, CPP) als MAP − ICP (ICP: „intracranial pressure“ [intrakranieller Druck]). Gleiches kann unter pathologischen Bedingungen auch in anderen Körperkompartimenten gelten wie z. B. in Muskellogen oder im Abdomen im Rahmen eines Kompartmentsyndroms.

In einigen Organen wird die Durchblutung innerhalb bestimmter MAP-Grenzwerte konstant gehalten; es besteht eine Autoregulation des Blutflusses. Zu diesen Organen zählen Gehirn, Rückenmark, Nieren und Herz [29]. Die Autoregulation funktioniert jedoch nur innerhalb bestimmter Blutdruckgrenzen: Für die Hirndurchblutung sind dies beim Gesunden MAP-Werte von circa 60–160 mm Hg, in denen der Blutfluss durch Anpassung des Gefäßtonus der zerebralen Arterien konstant gehalten wird.

Die Durchblutung der Nieren bleibt zwischen MAP-Werten von circa 70–130 mm Hg [11, 53] konstant; somit ist in diesem Druckbereich auch die glomeruläre Filtration unabhängig vom Blutdruck. Da die Nieren 2 in Serie geschaltete Kapillarstromgebiete aufweisen (glomeruläre und peritubuläre Kapillaren), kommt es bei Unterschreiten der MAP-Grenzwerte aufgrund der Vasokonstriktion des Vas efferens – diese dient der Aufrechterhaltung der glomerulären Filtration – zuerst zur Schädigung der Nierentubuli.

Die myokardiale Durchblutung ist innerhalb bestimmter Grenzen autoreguliert und wird für den linken Ventrikel maßgeblich vom diastolischen Druck in der Aorta bestimmt. Der koronare Perfusionsdruck – und damit die Myokarddurchblutung – wird allerdings nicht auf einem Wert konstant gehalten, sondern dem aktuellen myokardialen O2-Bedarf angepasst [16].

In der täglichen Routine wird der Blutdruck häufig als Surrogat für den Blutfluss herangezogen. Des Weiteren wird implizit aus Veränderungen des Blutdrucks auf mutmaßliche parallele Veränderungen des Blutflusses geschlossen. Es stellt sich daher die Frage, ob dies zulässig ist. Schon vor 75 Jahren konnte gezeigt werden, dass bei akutem Blutentzug (Hypovolämie) bei gesunden Probanden der Blutdruck bis zu einem Volumenentzug von circa 20 % des Blutvolumens nahezu stabil bleibt, wohingegen das Herzzeitvolumen (HZV) bereits nach geringem Blutentzug abzufallen beginnt [5]. Auch perioperativ kann aus Veränderungen des Blutdrucks nicht immer zuverlässig auf simultane Veränderungen des HZV geschlossen werden: Dies wurde bei 402 anästhesierten und beatmeten Patienten gezeigt, die sich aortalen (48 %), herzchirurgischen (40 %) und abdominalchirurgischen (12 %) Eingriffen unterzogen [21]. Jeweils unmittelbar vor und nach der Gabe eines Flüssigkeitsbolus von 500 ml kolloidaler Lösung über 10–20 min wurden die Blutdruckparameter SAP, DAP, MAP und PP sowie das HZV gemessen; als positive Reaktion auf die Volumenexpansion wurden HZV-Anstiege >15 % gewertet. Zwar stiegen die Blutdruckparameter bei Respondern stärker an als bei Nonrespondern, relative Veränderungen von SAP, DAP, MAP oder PP detektierten einen HZV-Anstieg >15 % aber nur mit einer Sensitivität und Spezifität von 52–79 %. Die relativen Druckveränderungen erlaubten somit bei annähernd der Hälfte der Patienten keine Aussagen über HZV-Änderungen. Ähnliche Ergebnisse konnten bei Patienten im septischen Schock gezeigt werden [34].

Für die klinische Bewertung von Blutdruck und -flusswerten gilt, dass diese immer im Zusammenhang mit Organfunktionen (z. B. Diurese) und metabolischen Parametern (z. B. Lactat, „base excess“) erfolgen muss (für weitergehende Ausführungen zum Zusammenhang zwischen Blutdruck und -fluss: [23, 24]).

Merke.

Aus Veränderungen des Blutdrucks kann nicht immer zuverlässig auf simultane Veränderungen des HZV geschlossen werden.

Intraoperative Hypotonie

Definition und Inzidenz

Intraoperative Blutdruckabfälle kommen fraglos regelmäßig vor. Die Ursache ist häufig multifaktoriell und umfasst u. a. die Grunderkrankung, die Wirkung von Anästhetika, die Dämpfung des sympathoadrenergen Nervensystems, eine vorbestehende antihypertensive Medikation oder Hypovolämie und Blutverluste.

Wie häufig eine solche intraoperative Hypotonie tatsächlich auftritt, lässt sich allerdings nicht genau angeben. Hauptgrund ist die erhebliche Variabilität der in klinischen Studien verwendeten Hypotoniedefinitionen: Hierzu wurden unterschiedliche Blutdruckgrenzwerte, verschiedene Blutdrücke (MAP oder SAP), relative und absolute Blutdruckveränderungen sowie unterschiedliche kritische Dauern der Hypotonie angewendet [8, 19]. Die Definition der intraoperativen Hypotonie hat entscheidenden Einfluss auf deren Inzidenz. An Daten von über 15.000 in Allgemeinanästhesie operierten Patienten konnte gezeigt werden, dass die Inzidenz der intraoperativen Hypotonie je nach verwendeter Definition zwischen 5 und 99 % schwankt [8].

Absolute vs. relative Grenzwerte

Absolute Grenzwerte: Aufgrund der Bedeutung des MAP für die Organperfusion (s. oben) wird als Grenzwert zur Intervention häufig ein Absolutwert von <65mmHg empfohlen [37, 53]. Allerdings sind abhängig von der Dauer der Hypotonie und bei bestimmten Risikokonstellationen höhere MAP-Werte bereits mit Organdysfunktionen, Morbidität und Letalität assoziiert, oder es werden niedrigere MAP-Werte ohne Folgeschäden toleriert (s. Organschäden und Sterblichkeit als potenzielle Konsequenzen).

Relative Grenzwerte: Nach physiologischem Verständnis erscheint es sinnvoll, die intraoperativen Blutdruckwerte innerhalb definierter Grenzen vom präoperativen Ausgangswert (z. B. ±20 %) konstant zu halten, um die adäquate Organperfusion beispielsweise auch bei Patienten mit chronischer arterieller Hypertonie zu gewährleisten. Jedoch ist unklar, welche Blutdruckwerte für den jeweiligen Patienten als Basis herangezogen werden sollen. In einer Studie mit 3660 nichtkardiochirurgischen Patienten im Alter über 60 Jahre wurden die während der Prämedikation erhobenen Blutdruckwerte mit denen unmittelbar vor der Narkoseeinleitung verglichen [48]. Bei 61 % der Patienten war der MAP unmittelbar vor der Narkoseeinleitung >10 mm Hg höher als während der Prämedikationsvisite. Weiter konnte kürzlich in einer prospektiven Observationsstudie mit 370 Patienten gezeigt werden, dass MAP-Werte, die direkt vor der Narkoseeinleitung gemessen werden, keine Aussagen über das Blutdruckprofil des einzelnen Patienten zulassen und daher nicht verlässlich als Surrogatwerte für das normale Blutdruckprofil herangezogen werden sollten [38].

Die Frage, ob eine intraoperative Hypotonie anhand absoluter (z. B. <MAP 65 mm Hg) oder relativer (z. B. −20 % vom Ausgangswert) Blutdruckgrenzwerte diagnostiziert werden sollte, ist derzeit nicht abschließend zu beantworten. Ein absoluter MAP-Grenzwert von 65 mm Hg kann allerdings als pragmatischer Ansatz, der im klinischen Alltag als Trigger für Therapiemaßnahmen leicht umsetzbar ist, gelten.

Merke.

Ob eine intraoperative Hypotonie anhand absoluter (MAP <65 mm Hg) oder relativer (MAP-Abfall >20 % vom Ausgangswert) Blutdruckgrenzwerte diagnostiziert werden sollte, ist derzeit nicht zu entscheiden. Ein MAP-Grenzwert von 65 mm Hg könnte für viele Patienten (Nichthypertoniker) ein pragmatischer und leicht umsetzbarer Trigger für therapeutische Interventionen sein.

Phasen

Pathophysiologisch liegen einer perioperativen Hypotonie verschiedene Mechanismen zugrunde. Hierzu zählen beispielsweise eine präoperativ bereits bestehende antihypertensive Dauermedikation (s. unten), Hypovolämie oder Herzinsuffizienz, die unmittelbare Wirkung der Anästhetika und des Anästhesieverfahrens auf den Sympathikotonus, den Vasotonus oder die myokardiale Kontraktilität sowie intraoperativ die Lagerung des Patienten oder akute Blutverluste. Eine intraoperative Hypotonie ist somit keine einheitliche Krankheitsentität, die nur während der Operation auftritt. Bereits nach Narkoseeinleitung und vor dem Beginn der Operation kommt es zu Phasen niedriger Blutdruckwerte, die als Posteinleitungshypotonie bezeichnet und pathophysiologisch von Phasen der Hypotonie während der Operation abgegrenzt werden können [26, 44]. Dieser Posteinleitungshypotonie kommt gerade deshalb große Bedeutung zu, weil sie mit postoperativen Organkomplikationen assoziiert ist [26], und weil deren Vermeidung oder rasche Therapie ausschließlich in der Hand der Anästhesiologen liegt. Hypotonie tritt auch postoperativ auf; Hypotonie am Tag der Operation und während der ersten Tage danach ist ebenfalls mit Organkomplikationen assoziiert [41]. Inwieweit eine postoperative Hypotonie – die im klinischen Umfeld der Normalstationen aufgrund nur intermittierender und grobmaschiger Kontrolle der Vitalparameter häufig übersehen wird [47] – mit intraoperativer Hypotonie zusammenhängt, ist Gegenstand aktueller Forschung.

Merke.

Hypotone Phasen nach einer Narkoseeinleitung und vor einer chirurgischen Stimulation sind mit postoperativen Organkomplikationen assoziiert. Ihre Vermeidung liegt ausschließlich in der Hand des Anästhesiologen.

Risikofaktoren

Als Risikofaktoren für intraoperative Hypotonie (MAP-Abfall >30 % für mindestens 10 min) ergaben sich in einer Analyse der Schweizer Anästhesiedatenbank mit 147.000 Patienten aus 21 Krankenhäusern ein höheres Alter, eine höhere ASA-Klassifikation, die Kombination aus Allgemein- und Regionalanästhesie (vs. einem von beiden Verfahren allein), eine lange Operationsdauer (>2–3 h vs. < 15 min) und stationäre Eingriffe (vs. ambulante) [46]. Eine retrospektive Studie mit 2037 Patienten in Allgemeinanästhesie zeigte, dass die Risikofaktoren und die der intraoperativen Hypotonie zugrunde liegenden pathophysiologischen Veränderungen sich in verschiedenen perioperativen Phasen unterscheiden [44]. Eine Hypotonie in den ersten 20 min nach Narkoseeinleitung und eine frühe intraoperative Hypotonie (bis 30 min nach Hautschnitt) waren mit niedrigem SAP vor Narkoseeinleitung, höherem Alter und Notfalleingriffen assoziiert; die zusätzliche Anwendung einer Peridural- oder Spinalanästhesie, männliches Geschlecht sowie ASA-Status IV prädestinierten zu früher intraoperativer Hypotonie.

Eine antihypertensive Dauermedikation begünstigt das Auftreten intraoperativer Hypotonie. Insbesondere unter der Einnahme von Angiotensinkonversionsenzym(ACE)-Inhibitoren, Angiotensin(AT)-II-Antagonisten (Sartanen) sowie hochdosierten β‑Rezeptoren-Blockern und α2-Agonisten (z. B. Clonidin) treten perioperativ vermehrt hypotensive Episoden auf, die mit kardiovaskulären Komplikationen und z. T. erhöhter Sterblichkeit assoziiert sind [12, 13, 36]. Die aktuellen europäischen Leitlinien zum perioperativen Management kardialer Risikopatienten empfehlen daher für Patienten mit Herzinsuffizienz und linksventrikulärer Dysfunktion, ACE-Hemmer und Sartane perioperativ weiterzugeben oder sogar neu anzusetzen – dann allerdings mindestens eine Woche präoperativ. Ein Absetzen sollte hingegen erwogen werden, wenn diese Substanzen ausschließlich zur Therapie einer chronischen Hypertonie verabreicht werden [20, 35]. Diuretika, die zum Management einer chronischen Hypertonie eingenommen werden, sollten bis zum Operationstag fortgeführt und postoperativ oral wieder angesetzt werden. Die Anwendung von Diuretika, die zur Therapie einer Herzinsuffizienz eingenommen werden, sollte ebenfalls bis zum Operationstag fortgeführt und postoperativ oral wieder angesetzt werden; allerdings sollte die Dosis abhängig von den Symptomen der Herzinsuffizienz ggf. erhöht oder gesenkt werden [20].

Organschäden und Sterblichkeit als potenzielle Konsequenzen

Was sind nun aber die Folgen einer intraoperativen Hypotonie? Von besonderem Interesse sind aufgrund der zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen und der potenziell schwerwiegenden Komplikationen das Myokard, die Nieren und das Zentralnervensystem (ZNS).

Myokard und Nieren

Den Zusammenhang zwischen intraoperativer Hypotonie und Myokard- bzw. Nierenschädigungen nach nichtkardiochirurgischen Eingriffen untersuchten insbesondere große Kohortenstudien aus der Cleveland Clinic [1, 37, 50]. Akute Nierenschädigungen („acute kidney injury“, AKI) wurden als Konzentrationsanstiege des postoperativ bestimmten Serumkreatininwerts definiert (≥1,5 oder ≥0,3 mg/dl vom Ausgangswert; [10]). Als Zeichen akuter Nierenschädigungen („acute kidney injury“, AKI) wurden Konzentrationsanstiege des postoperativ bestimmten Kreatininwerts festgelegt (≥1,5 oder ≥0,3 mg/dl vom Ausgangswert; [10]). Für Patienten älter als 45 Jahre konnte klar gezeigt werden, dass MINS – definitionsgemäß Troponin-T-Konzentrationsanstiege aufgrund von Myokardischämien – Prädiktoren für eine erhöhte Dreißigtagesterblichkeit und perioperative Komplikationen und somit von klinischer Relevanz sind [10]. Bei jungen, gesunden Patienten hingegen sind isolierte, postoperativ nur moderate Troponin-T-Spiegelanstiege nicht immer mit einer ungünstigen Prognose assoziiert, und es werden nichtischämische Ursachen wie beispielsweise stressinduzierte Troponin-T-Freisetzung diskutiert [14].

Eine Kohortenstudie mit 33.330 nichtkardiochirurgischen Patienten ohne vorbestehende Niereninsuffizienz analysierte den Zusammenhang zwischen intraoperativem MAP und postoperativer Myokard- und Nierenschädigung [50]. Myokard- und Nierenschädigungen traten bei 2,3 % resp. 7,4 % der Patienten auf. Die Inzidenz von Schädigungen nahm für beide Organe bei MAP-Werten <55 mm Hg deutlich zu und war von der Dauer der MAP-Werte <55 mm Hg abhängig. Hervorzuheben ist, dass bereits kurze Phasen (1–5 min) intraoperativer Hypotonie (MAP <55 mm Hg) mit Nieren- und Myokardschäden einhergingen. Insbesondere eine lang andauernde Hypotonie (>20 min) war auch mit erhöhter Dreißigtagesterblichkeit assoziiert.

Merke.

Bereits kurze Phasen (1–5 min) tiefer intraoperativer Hypotonie (MAP <55 mm Hg) gehen mit Nieren- und Myokardschäden einher, lang andauernde (>20 min) auch mit erhöhter Sterblichkeit.

Eine weitere Kohortenstudie mit 57.315 nichtkardiochirurgischen Patienten untersuchte den Zusammenhang zwischen verschiedenen absoluten und relativen Definitionen der intraoperativen Hypotonie und dem Auftreten akuter Nieren- bzw. Myokardschädigungen [37]. Die MAP-Werte <65 mm Hg und relative MAP-Abfälle >20 % waren mit progredient fallendem Druckniveau und zunehmender Hypotoniedauer mit ansteigender Inzidenz von akuter Nieren- und Myokardschädigungen assoziiert. Diese Assoziation bestand für absolute und relative Blutdruckgrenzwerte gleichermaßen. Die Autoren postulierten daher, dass eine allgemeingültige Strategie, den MAP-Wert >65 mm Hg zu halten, genauso gut sei wie ein auf dem individuellen relativen Druckabfall basiertes Vorgehen.

Diese Schlussfolgerung lässt wichtige physiologische Grundlagen doch weitgehend außer Acht und führte zu einer kritischen Diskussion [39]. Insbesondere wurden die Nichtbeachtung von Faktoren wie individuelle Vorerkrankungen und chronische Hypertonie, deren Einfluss auf Autoregulationsmechanismen und die Beurteilung des Blutflusses kritisiert [39]. Ein für den individuellen Patienten adäquater Perfusionsdruck – nicht MAP – könne nicht anhand von Regeln bestimmt werden, die aus der Analyse großer Datenbanken abgeleitet wurden, sondern müsse unter Berücksichtigung physiologischer Aspekte individuell bestimmt werden [39].

In einer Post-hoc-Reanalyse einer vorherigen Kohortenstudie aus der Cleveland Clinic [37] wurde an einer Subgruppe von 23.140 Patienten mit intraarterieller Druckmessung (A. radialis) die Assoziation zwischen den verschiedenen Blutdruckkomponenten SAP, MAP, DAP sowie Pulsdruck und Myokard- bzw. Nierenschädigungen untersucht [1]. Für alle Blutdruckkomponenten bestand eine signifikanter Zusammenhang zwischen dem kumulativ für ≥5 min gemessenen niedrigsten Wert und der Inzidenz von Myokard- (6,1 %) bzw. Nierenschädigungen (8,2 %). Die kritischen unteren Blutdruckgrenzwerte für Myokard- bzw. Nierenschädigungen unterschieden sich nicht grundsätzlich und betrugen für den SAP <90 mm Hg, den MAP <65 mm Hg, den DAP <50 mm Hg und den Pulsdruck <35 mm Hg. Allerdings hatten SAP und MAP einen höheren prädiktiven Wert für postoperative Organschäden als der DAP. Hervorzuheben ist in dieser Studie, dass das individuelle Risikoprofil der Patienten (z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen) eine wesentlich größere prädiktive Aussagekraft für postoperative Myokard- und Nierenschädigungen hatte als eine intraoperative Hypotonie; Letztere ist aber im Gegensatz zu Ersterem durch das anästhesiologische Vorgehen beeinflussbar.

Dass patienteneigene Risikofaktoren die Auswirkung einer intraoperativen Hypotension auf das Risiko postoperativer Nierenschädigungen stark modifizieren, verdeutlicht eine jüngst publizierte multizentrische Datenbankanalyse mit 138.021 nichtkardiochirurgischen Patienten [28]. Starke Risikofaktoren für eine postoperative Nierenschädigung waren insbesondere eine vorbestehende chronische Nierenerkrankung (≥Stadium 3), ein höherer ASA-Status (≥ASA 3), eine moderate (Hämoglobin [Hb] ≤12 g/dl für Frauen bzw. ≤13 g/dl für Männer) bis schwere (Hb <10 g/dl) Anämie, Eingriffe mit hohem operativen Risiko (intrathorakale, -abdominelle und große gefäßchirurgische Eingriffe) sowie eine lange Anästhesiedauer (>1 h). Mithilfe eines auf Basis dieser und weiterer Risikofaktoren entwickelten Risiko-Scores für die postoperative AKI konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit niedrigem Ausgangsrisiko keine Assoziation zwischen intraoperativer Hypotonie und postoperativer Nierenschädigung bestand. Hingegen gingen bei mittlerem Ausgangsrisiko eine schwere Hypotension (MAP <50 mm Hg für >10 min) und bei hohem bis sehr hohem Ausgangsrisiko bereits eine milde Hypotension (MAP <65–60 mm Hg für >10 min) mit einem erheblichen Risiko für postoperative Nierenschäden einher. Die Ergebnisse unterstreichen, dass bei Hochrisikopatienten auch eine milde Hypotension (MAP <65 mm Hg) nicht toleriert werden sollte.

Merke.

Patienteneigene Risikofaktoren modifizieren die Auswirkungen einer intraoperativen Hypotonie auf das Risiko postoperativer Nierenschädigung. Bei Patienten mit hohem Risiko für eine postoperative Nierenschädigung sollte bereits eine milde Hypotension (MAP <65 mm Hg) nicht toleriert werden.

Bei Patienten mit chronischer Hypertonie kann aufgrund der zu höheren Blutdruckwerten hin verschobenen Autoregulationsgrenzen erwogen werden, höhere Grenzwerte einzuhalten [53]. In einem Hochrisikokollektiv mit präoperativ hypertensiven MAP-Werten über 100 mm Hg konnte gezeigt werden, dass ein Abfall des MAP >30 % vom Ausgangswert bereits Myokardschäden zur Folge haben kann, wenn die Hypotonie kumulativ über 30 min andauert [49]. Dies bedeutet, dass für diese Patienten intraoperative MAP-Werte von 60 mm Hg bereits zu gering sein können, um ischämische Organschäden (Herz) zu verhindern [49]. Auch AKI traten bei chronisch hypertensiven Patienten nach abdominalchirurgischen Eingriffen seltener auf, wenn intraoperativ MAP-Werte von 80–95 mm Hg aufrechterhalten wurden [56].

Merke.

Bei Patienten mit chronischer Hypertonie können aufgrund der zu höheren Blutdruckwerten hin verschobenen Autoregulationsgrenzen intraoperative MAP-Werte von 60 mm Hg zur Verhinderung von Nieren- und Myokardschäden bereits zu niedrig sein.

Zentrales Nervensystem

Potenzielle Schädigungen des ZNS aufgrund zu niedriger intraoperativer Blutdruckwerte können als anatomisches Korrelat zerebrale Insulte oder als funktionelles Korrelat die Störung kognitiver Funktionen oder das Auftreten eines postoperativen Delirs sein.

Zerebrale Insulte.

Postoperative zerebrale Insulte treten weit häufiger auf als bisher vermutet. In der kürzlich erschienenen NEUROVISION-Studie, in der 1114 elektive, nichtherzchirurgische Patienten postoperativ mithilfe Magnetresonanztomographie (MRT) untersucht wurden, fanden sich bei 7 % der über 65-Jährigen klinisch inapparente zerebrale Infarkte, die mit der Entwicklung eines postoperativen Delirs und kognitiver Defizite ein Jahr postoperativ assoziiert waren [33]. Der häufigste Pathomechanismus in der Genese postoperativer Schlaganfälle sind Embolien aus dem Herzen oder den großen Gefäßen. Den Zusammenhang zwischen intraoperativer Hypotonie und postoperativem Schlaganfall untersuchte eine Fallkontrollstudie mit 48.241 nichtkardio- oder neurochirurgischen Patienten [7]. Die 42 Patienten (0,09 %), die von klinisch diagnostizierten, postoperativen ischämischen Schlaganfällen betroffen waren, wurden mit entsprechenden Kontrollpatienten verglichen. Nach Adjustierung für potenzielle Störfaktoren war nur die Dauer intraoperativer MAP-Abfälle >30 % vom Ausgangswert mit dem Auftreten postoperativer Schlaganfälle assoziiert. Eine retrospektive Analyse von Fällen postoperativer posteriorer Grenzzoneninfarkte fand ebenfalls Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten zerebraler Infarkte und intraoperativer Hypotonie [6]. Auch die Daten der POISE-Studie, in die 8351 Patienten mit Risikofaktoren für oder mit manifesten arteriosklerotischen Erkrankungen eingeschlossen wurden, weisen auf einen Zusammenhang zwischen intraoperativer Hypotonie und Schlaganfall hin: Patienten unter β‑Rezeptoren-Blockade (Bisoprolol 100 mg 2–4 h präoperativ) hatten intraoperativ vermehrt hypotensive Episoden und postoperativ mehr Schlaganfälle als Patienten der Kontrollgruppe [13]. Eine schwere intraoperative Hypotonie kann somit die Entstehung von postoperativen Schlaganfällen begünstigen.

Einen Sonderfall stellen herzchirurgische Operationen mit kardiopulmonalem Bypass dar. In einer retrospektiven Kohortenstudie mit 7457 Patienten, von denen 1,5 % einen postoperativen Schlaganfall erlitten, stieg das Schlaganfallrisiko signifikant, wenn während kardiopulmonalem Bypass MAP-Werte von 65 mm Hg für länger als 10 min unterschritten wurden [45].

Merke.

Eine schwere intraoperative Hypotonie kann die Entstehung von postoperativen Schlaganfällen begünstigen.

Funktionelle zerebrale Störungen.

Über den Zusammenhang zwischen intraoperativer Hypotonie und kognitiver Funktion oder postoperativem Delir liegen nur wenige Daten vor.

In einer multizentrischen, prospektiven Observationsstudie mit 1218 Patienten älter als 60 Jahre ergab sich kein Zusammenhang zwischen dem Ausmaß oder der Dauer einer intraoperativen Hypotonie (MAP ≤60 % des Ausgangswerts) und dem Auftreten einer frühen (nach einer Woche) oder späten (nach 3 Monaten) postoperativen kognitiven Dysfunktion [30].

Unter älteren Patienten (n = 594, mittleres Alter 74 Jahre), die sich einem nichtkardiochirurgischen Eingriff in Allgemeinanästhesie unterzogen, entwickelten 30 % am ersten und 30 % am zweiten postoperativen Tag ein Delir (Confusion Assessment Method-[CAM] Test, [17]). Auch in dieser Studie waren weder ein SAP- oder MAP-Abfall >20–40 % vom präoperativen Ausgangswert noch absolute hypotensive Blutdruckwerte (MAP <50 mm Hg) noch die Dauer der Hypotonie mit dem Auftreten eines Delirs assoziiert. Hingegen gingen intraoperative Blutdruckschwankungen mit einem erhöhten Delirrisiko einher.

In einer jüngst publizierten Datenbankanalyse der Cleveland Clinic trat bei 35 % von 1083 Patienten, die unmittelbar nach einem nichtkardiochirurgischen Eingriff auf eine Intensivstation aufgenommen werden mussten, innerhalb der ersten 5 postoperativen Tage ein Delir auf (Confusion Assessment Method for the Intensive Care Unit, CAM-ICU). Im Unterschied zu den oben aufgeführten Studien waren bei diesen Patienten sowohl eine intraoperative (definiert als Ausmaß und Dauer eines MAP <65 mm Hg) als auch eine postoperative Hypotonie (definiert als niedrigster täglich gemessener MAP) mit dem Auftreten eines postoperativen Delirs assoziiert [25]. Möglicherweise ist bei Patienten mit per se hohem Delirrisiko wie z. B. kritisch Kranken eine perioperative Hypotonie ein weiterer pathogenetischer Faktor in der Genese des postoperativen Delirs – aber ein im Gegensatz zu den meisten anderen Risikofaktoren therapierbarer.

Merke.

Bei nichtkardiochirurgischen Patienten ließ sich bisher kein eindeutiger Zusammenhang zwischen intraoperativer Hypotonie und postoperativem Delir oder kognitivem Defizit zeigen. Möglicherweise ist aber eine intraoperative Hypotonie bei Patienten mit per se hohem Delirrisiko ein weiterer pathogenetischer Faktor in der Genese des postoperativen Delirs.

Widersprüchliche Ergebnisse fanden sich bei herzchirurgischen Patienten, die unter Anwendung eines kardiopulmonalen Bypass mit nichtpulsatilem Fluss operiert werden. In einer monozentrischen Observationsstudie mit 734 Patienten, von denen 13 % innerhalb der ersten 4 postoperativen Tage ein Delir entwickelten, fand sich kein Zusammenhang zwischen intraoperativer Hypotonie und postoperativem Delir – unabhängig davon, wie die intraoperative Hypotonie definiert wurde (MAP <50 oder 60 mm Hg, MAP-Abfall >30 oder 40 %, [52]). Hingegen waren in einer prospektiven Observationsstudie mit 491 kardiochirurgischen Patienten Perfusionsdrücke, die über der individuell bestimmten zerebralen Autoregulationsgrenze waren, während der Anwendung des kardiopulmonales Bypass mit postoperativem Delir assoziiert [18].

Einfluss auf die Sterblichkeit

Hat das Auftreten von perioperativen Hypotonien und der damit assoziierten Organdysfunktionen – die letztlich Surrogatparameter sind – auch Einfluss auf das postoperative Überleben? Die verfügbaren Erkenntnisse stammen im Wesentlichen aus großen Datenbankanalysen und nicht aus prospektiven Studien [22, 31, 32, 42, 46, 50, 54].

In einer monozentrischen, prospektiven Observationsstudie mit 1046 nichtkardiochirurgischen Patienten stieg die Einjahressterblichkeit um 3,6 % (relatives Risiko [RR] 1,036; 95 %-Konfidenzintervall 1,006–1,066), wenn der SAP für die Dauer nur 1 min unter 80 mm Hg fiel. Weitere unabhängige Prädiktoren für die Einjahressterblichkeit waren – erwartungsgemäß – die Komorbiditäten des Patienten (RR 16,116) und die kumulative Dauer „tiefer Narkosestadien“ (BIS <45; RR 1,244, [32]).

Da niedrige Blutdruckwerte und „tiefe Narkose“ normalerweise mit der „Minimal-alveolar-concentration“(MAC)-Dosis des applizierten volatilen Anästhetikums korrelieren, untersuchte eine Folgestudie mit 24.120 nichtkardiochirurgischen Patienten den Zusammenhang zwischen MAC-, BIS-Wert und intraoperativer Hypotonie [42]. Ein „triple-low state“ (BIS <45, MAC <0,8 und MAP <75 mm Hg) war mit einer Vervierfachung der Dreißigtagesterblichkeit assoziiert. Eine weitere retrospektive Observationsstudie, die Daten aus 3 klinischen Studien (13.198 Patienten) zusammenfasste und analysierte, erbrachte im Wesentlichen dieselben Ergebnisse [54].

Das simultane Auftreten von Hypotonie und niedrigen BIS-Werten bei gleichzeitig niedrigen MAC-Werten wurde als höhere Sensitivität gegenüber Anästhetika interpretiert. Bei der Bewertung der Hypotonie während einer Anästhesie muss – möglicherweise – die Interaktion zwischen „Anästhesietiefe“ (BIS als Surrogatparameter) und Anästhetikadosierung (MAC) berücksichtigt werden.

Auch wenn „Triple-low“-Zustände mit erhöhter Sterblichkeit assoziiert sind, bleibt unklar, ob sie dafür als kausal anzusehen sind. In einer jüngst publizierten randomisierten, prospektiven Studie mit 36.670 Patienten konnte die Sterblichkeit durch ein automatisiertes Warnsystem, das in Echtzeit auf „Triple-low“-Zustände hinwies und entsprechende Gegenmaßnahmen (MAC-Reduktion, Vasopressorgabe) auslöste, gegenüber einer Kontrollgruppe ohne ein solches Warnsystem nicht gesenkt werden [43]. Retrospektive Analysen dienen der Generierung von Hypothesen – in der ersten prospektiven Studie konnte somit die primäre Hypothese der Prognoserelevanz des „Triple low“ von derselben Arbeitsgruppe nicht erhärtet werden.

Den Zusammenhang zwischen dem Schweregrad einer intraoperativen Hypotonie, der Dauer der Hypotonie und der Einjahressterblichkeit untersuchte eine prospektive Observationsstudie mit 1705 allgemein- und gefäßchirurgischen Patienten, die ein niedriges Risikoprofil aufwiesen (89 % ASA-Status I und II). Als Grenzwerte zur Definition der Hypotonie wurden verschiedene absolute (SAP <100 bis <70 mm Hg; MAP <70 bis <40 mm Hg) und relative Blutdruckwerte (Blutdruckabfall >10 bis >40 % vom Ausgangswert) sowie verschieden lange Hypotoniedauern untersucht (1–10 min, [9]). Der in den Rohdaten erkennbare Zusammenhang zwischen Hypotonie und Sterblichkeit konnte in diesem relativ gesunden Patientenkollektiv nach Adjustierung für Alter, Eingriffsart und -dauer sowie weiterer Faktoren nicht mehr belegt werden. Die Analyse der Daten zeigte jedoch, dass das Risiko zu versterben umso stärker zunimmt, je älter ein Patient ist sowie je länger der Eingriff und je länger die Hypotonie andauern.

Eine weitere große retrospektive Observationsstudie an einem deutlich kränkeren Patientenkollektiv (n = 18.756; 70 % der Patienten mit ASA-Status ≥III) stellte hingegen einen Zusammenhang zwischen dem niedrigsten intraoperativen Blutdruck, der Dauer der Hypotonie und der Sterblichkeit fest. Bereits kurzzeitige Blutdruckabfälle (>4–5 min) auf MAP-Werte unter ca. 50 mm Hg oder um >50 % vom Ausgangswert waren mit einem erhöhten Risiko, innerhalb von 30 Tagen zu versterben, assoziiert. Hypertensive Blutdruckwerte waren dagegen nicht mit der Dreißigtagesterblichkeit assoziiert [31]. Sehr tiefe intraoperative Blutdruckwerte (MAP <50 mm Hg, MAP-Abfall >50 % vom Ausgangswert) gehen – zumindest bei Risikopatienten (ASA-Status ≥III) – bereits nach sehr kurzer Dauer (<5 min) mit erhöhter Sterblichkeit einher.

Merke.

Sehr tiefe intraoperative Blutdruckwerte (MAP <50 mm Hg, MAP-Abfall >50 % vom Ausgangswert) gehen zumindest bei Risikopatienten (ASA-Status ≥III) bereits nach sehr kurzer Dauer (<5 min) mit erhöhter Sterblichkeit einher.

Auf Basis der aus Datenbankanalysen zur Verfügung stehenden Ergebnisse und in Anbetracht der Tatsache, dass es prospektive Studien zur Frage eines niedrigsten intraoperativ tolerablen Blutdrucks aus ethischen Überlegungen kaum geben wird, muss Folgendes geschlossen werden: Durch Tolerieren sehr niedriger intraoperativer Blutdruckwerte (MAP <50 mm Hg) steigt zumindest bei erhöhtem Risiko für Durchblutungsstörungen schon nach kurzer Hypotoniedauer (<5 min) die postoperative Sterblichkeit.

Postoperative Hypotonie

Dass nicht nur eine intra-, sondern auch eine postoperative Hypotonie ein Risikofaktor für kardiale Komplikationen und Sterblichkeit ist, zeigte eine Subanalyse der POISE-2-Studie [12] mit 10.010 kardiovaskulären Risikopatienten, die sich einem nichtkardiochirurgischen Eingriff unterzogen [40]. Intraoperative Hypotonie, Hypotonie am Operationstag sowie hypotensive Episoden während der ersten 4 postoperativen Tage waren gleichermaßen mit einer erhöhten Rate an Myokardinfarkten und der Dreißigtagesterblichkeit assoziiert. Auch eine postoperative Hypotonie, die sehr häufig vorkommt, ist somit nicht als unbedenklich anzusehen.

Merke.

Die postoperative Hypotonie ist mit einer erhöhten Rate an Myokardinfarkten und der Dreißigtagesterblichkeit assoziiert und somit nicht als unbedenklich anzusehen.

Perioperative Blutdruckschwankungen und Prognose

Zur Frage, ob neben dem Auftreten von Hypotonie auch perioperative Blutdruckschwankungen per se prognostisch von Bedeutung sind, liegen wenige Daten vor.

Anhand der Reanalyse von Blutdruckdaten von 1512 kardiochirurgischen Patienten aus einer vorherigen Studie [3, 4] wurde das Ausmaß von SAP-Abweichungen außerhalb zuvor definierter SAP-Bereiche über die Zeit quantifiziert. Es zeigte sich eine Assoziation zwischen der Dreißigtagesterblichkeit und den SAP-Abweichungen außerhalb einer intraoperativen Spanne von 75 mm Hg (minimal) bis 135 mm Hg (maximal) sowie einer prä- und postoperativen Spanne von 85–145 mm Hg.

Bei über 100.000 nichtkardiochirurgischen Patienten [27] wurde die MAP-Variabilität, u. a. anhand der durchschnittlichen Veränderungen der MAP-Werte von Messung zu Messung während des gesamten Beobachtungszeitraums, beurteilt. Im Ergebnis wurde deutlich, dass intraoperative MAP-Schwankungen zwar schwach mit der Dreißigtagesterblichkeit assoziiert waren, dieser statistische Zusammenhang aber klinisch nicht bedeutsam war. Eine wesentlich stärkere und klinisch relevante Assoziation bestand dagegen auch in dieser Studie zwischen dem über die Eingriffszeit gewichteten Mitteldruck (durchschnittlicher MAP/Fall; nach Dauer gewichteter durchschnittlicher MAP-Wert) und der Dreißigtagesterblichkeit: Unterhalb von MAP-Werten von 70 mm Hg stieg die Dreißigtagesterblichkeit um 32 % an, wenn der MAP-Wert für länger als 10 min um weitere 5 mm Hg sank. Intraoperative Blutdruckschwankungen sind somit im Vergleich zum intraoperativen Blutdruckniveau für die Prognose des Patienten von geringer Relevanz. Die Autoren folgern, dass Anästhesiologen ihr Augenmerk intraoperativ v. a. auf einen ausreichenden Mitteldruck (Perfusionsdruck) richten sollten.

Merke.

Anästhesiologen sollten ihr Augenmerk intraoperativ auf einen ausreichenden MAP richten, da intraoperative Blutdruckschwankungen im Vergleich zum intraoperativen Blutdruckniveau für die Prognose des Patienten klinisch von geringer Relevanz sind.

Hypotonie und postoperative Prognose: kausaler Zusammenhang?

Der, wie dargestellt, als gesichert anzusehende Zusammenhang zwischen perioperativer Hypotonie und postoperativen Organdysfunktionen sowie der Letalität legt den Schluss nahe, dass Hypotonien und die damit einhergehenden Komplikationen durch rechtzeitige Interventionen zur Blutdruckstabilisierung zu verhindern oder zumindest abzumildern sind.

Futier et al. prüften diese Hypothese in einer prospektiven Interventionsstudie mit 298 vorwiegend abdominal-chirurgischen Risikopatienten (hohes Risiko für postoperative AKI, [15]). Sie verglichen eine an individuellen Werten ausgerichtete strenge Blutdruckkontrolle (SAP ±10 % vom individuellen Referenzwert durch kontinuierliche Noradrenalininfusion) mit einer Standardtherapie (bei SAP <80 mm Hg oder SAP-Abfall >40 % vom Referenzwert zunächst Ephedrin 6 mg bis max. 60 mg, dann Noradrenalininfusion). Beide Therapiegruppen erhielten eine standardisierte Volumentherapie zur Aufrechterhaltung des Ausgangsschlagvolumenindex. Patienten, deren Blutdruck innerhalb dieser engen Grenzen konstant gehalten wurde, hatten im Vergleich zur Standardtherapiegruppe weniger postoperative Organdysfunktionen, insbesondere weniger postoperative Nierenfunktionsstörungen, weniger postoperative Bewusstseinsveränderungen und weniger septische Verläufe. Dies ist somit die erste Studie, die zeigen konnte, dass rechtzeitige Interventionen nicht nur perioperative Hypotonie vermeiden, sondern auch in deren Folge auftretende Organdysfunktionen reduzieren können. Darüber hinaus weisen die Ergebnisse darauf hin, dass eine individuelle, an der zugrunde liegenden pathophysiologischen Störung ausgerichtete Therapie womöglich einem Standardvorgehen überlegen ist. Die Verwendung unterschiedlicher Vasopressoren in der Studien- und Kontrollgruppe sowie eine ungewöhnliche Definition des primären Endpunkts („systemic inflammatory response syndrome“ oder Dysfunktion vordefinierter Organfunktionen) stellen wichtige Limitationen dieser Studie dar.

Merke.

Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass rechtzeitige Interventionen nicht nur perioperative Hypotonien vermeiden, sondern auch in deren Folge auftretende Organdysfunktionen reduzieren können, und dass eine individuelle, an der zugrunde liegenden pathophysiologischen Störung ausgerichtete Therapie womöglich einem Standardvorgehen überlegen ist.

Fazit für die Praxis

  • Eine intraoperative Hypotonie ist mit relevanten postoperativen Komplikationen in den Tagen und Wochen nach der Operation assoziiert. Das Tolerieren einer intraoperativen Hypotonie kommt somit dem Unterlassen einer indizierten therapeutischen Maßnahme gleich.

  • Der mittlerer Blutdruckwert („mean arterial pressure“, MAP) ist der für den Perfusionsdruck der meisten Organe entscheidende Parameter und sollte gemessen und dokumentiert werden.

  • In einigen Organen und unter pathologischen Bedingungen muss der kritische Verschlussdruck als effektiver, stromabwärts wirkender Druck beachtet werden (intrakranieller Druck [„intracranial pressure“, ICP], Kompartmentsyndrome).

  • Aus Änderungen des Blutdruckwerts kann nicht zuverlässig auf Änderungen des Blutflusses geschlossen werden.

  • Blutdruckwerte, die direkt vor Narkoseeinleitung gemessen werden, spiegeln nicht das normale Blutdruckprofil des betreffenden Patienten wider.

  • Bei Unterschreiten kritischer Blutdruckgrenzwerte (MAP <65 mm Hg) und mit zunehmender Dauer der Hypotonie (>5 min) steigt das Risiko postoperativer Organschäden (Myokard, Nieren, Zentralnervensystem [ZNS]) und der Sterblichkeit.

  • Die niedrigsten intraoperativ tolerablen Blutdruckwerte sind vom Risikoprofil des Patienten sowie von Grad und Dauer der Hypotonie abhängig.

  • Ältere Menschen und Hochrisikopatienten (z. B. Gefäßchirurgie) tolerieren niedrige Blutdruckwerte schlechter und kürzer.

  • Intraoperative Blutdruckwerte sollten individuell am präoperativen Blutdruckprofil des Patienten ausgerichtet werden.