Hintergrund

Der individuelle sozioökonomische Status (SES) ist ein Bündel von Merkmalen, das die Stellung in einer hierarchisch gegliederten Gesellschaftsstruktur kennzeichnet und die Verfügbarkeit von finanziellen Mitteln und Besitztümern charakterisiert [17]. Der SES steht im engen Zusammenhang mit Prestige und Wertschätzung in der Gesellschaft. Zur Messung des SES werden mehrdimensionale Indizes verwendet. Die klassischen (vertikalen) Sozialstrukturindikatoren umfassen die Bereiche Bildung, berufliche Stellung und Einkommen (Schichtindex nach Lampert [13]). Neuere Ansätze erfassen zusätzlich soziale (horizontale) Indikatoren wie Familienstatus, Ethnizität, Geschlecht, Wohnortgröße und Krankenversichertenstatus zur Differenzierung des SES [20].

Der individuelle SES beeinflusst in vielfältiger Weise das Gesundheitsverhalten und den Zugang zur Gesundheitsversorgung und hat erhebliche Bedeutung auf die Inzidenz, den Verlauf sowie das Outcome verschiedener kritischer Erkrankungen. Menschen mit einem niedrigen SES haben mehr Komorbiditäten und ein höheres Risiko, früher zu versterben, als Menschen mit einem höheren SES. Dieser inverse Zusammenhang zwischen SES und Gesundheit wurde durch zahlreiche Studien weltweit belegt [4, 6, 15, 19]. Die ECSSTASI-Studie belegte diese Beziehung erstmalig prospektiv für ein operatives Intensivpatientenkollektiv in Deutschland [2].

Im Rahmen der ECSSTASI-Studie wurden neben vertikalen Sozialstrukturindikatoren (SES) auch horizontale Parameter erfasst. In dieser zusätzlichen Analyse von ECSSTASI-Daten soll der Einfluss von Ethnizität, Geschlecht, Wohnortgröße und Krankenversichertenstatus im Kontext zu gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen, Intensivbehandlungs- und Beatmungsdauer, Erkrankungsschwere und sozialer Unterstützung durch Angehörige dargestellt werden.

Studiendesign und Methoden

Studiendesign

Nach Genehmigung durch die lokale Ethikkommission (Universität Regensburg, Nr. 09/072) wurden 1197 Patienten bzw. deren Angehörige auf der operativen Intensivstation des Universitätsklinikums Regensburg im Zeitraum vom Oktober 2009 bis September 2010 interviewt. Nach schriftlichem oder mündlichem Einverständnis zur Studienteilnahme erfolgte eine prospektive Erfassung verschiedener Parameter sozialer Charakteristika durch Befragung der Patienten (>18 Jahre) oder deren Angehörigen bei Aufnahme auf die Intensivstation. Das ausführliche Studienprotokoll ist in der Arbeit von Bein et al. [2] dargestellt.

Untersuchungsmethoden

Teil 1: Interviewbefragung

Im Rahmen des intensivmedizinischen Aufenthalts erfolgte ein auf einem Fragebogen basierendes strukturiertes Patienten- bzw. Angehörigeninterview, bei dem folgende Charakteristika erfasst wurden:

  • Krankenversicherungsstatus,

  • Familienstand,

  • Konfession,

  • Staatsangehörigkeit,

  • Anzahl der im selben Haushalt lebenden Personen,

  • Wohnortgröße (Einwohner, EW),

  • gesundheitsrelevante Verhaltensweisen (Rauchen, Alkoholgenuss, sportliche Aktivität),

  • SES nach Lampert (höchster Bildungsabschluss, höchste berufliche Qualifikation und monatliches Nettoeinkommen in Euro).

Teil 2: Erkrankungsschwere, Verweil- und Beatmungsdauer

Folgende relevanten Parameter wurden aus den Patientendatenmanagementsystemen SAP® und Metavision® erfasst:

  • Alter,

  • Geschlecht,

  • Body-Mass-Index (BMI),

  • „Simplified Acute Physiology Score II“ (SAPS II; 24 h nach Aufnahme auf die Intensivstation),

  • „Sequential Organ Failure Assessment Score“ (SOFA Score; 24 h nach Aufnahme auf die Intensivstation),

  • Behandlungsdauer auf der Intensivstation,

  • „28 ventilator-free days score“ (28-VFDS).

Teil 3: Häufigkeit von Angehörigenkontakten

Während der intensivmedizinischen Behandlung wurde die Anzahl der täglichen Angehörigenkontakte (Anrufe bzw. Besuche) durch die behandelnden Stationsärzte bzw. das Pflegepersonal mittels Strichliste dokumentiert.

Statistik.

Zu Datenerfassung und Auswertung wurde Microsoft Office Excel 2007® und das Statistikprogramm SAS®, 9.2 Software verwendet. Die „odds ratios“ (OR) wurden als 95 %-Konfidenzintervalle (95 %-KI) dargestellt. Ergebnisse mit p < 0,05 wurden als statistisch signifikant gewertet.

Mithilfe von multivariaten adjustierten logistischen Regressionsanalysen wurde der Zusammenhang zwischen sozialen Charakteristiken und Outcome (Krankheitsschwere, Verweildauer auf der Intensivstation, 28-VFDS, Besuchs‑/Telefonatdichte) untersucht. Die Regressionsanalyse verwendet ein Modell, das den Zusammenhang zwischen der Zielvariablen und den verschiedenen Einflussvariablen vereinfacht in einer mathematischen Form beschreibt (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Formel zur Regressionsanalyse

Dieses kommt bei der Untersuchung des Einflusses erklärender Expositionsvariablen X auf eine Outcome-Variable Y (dichotom: Ereignis ja/nein) zur Anwendung (Tab. 1).

Tab. 1 Beschreibung einer Auswahl der Expositions- und Outcome-Parameter

Aus dem Regressionskoeffizienten β einer logistischen Regression kann direkt die OR berechnet werden durch OR = exp(β). Die Adjustierung, ein statistisches Verfahren zur Reduzierung des Effekts einer oder mehrerer Störvariablen auf den interessierenden Effekt, wurde für folgende Faktoren durchgeführt:

  • Alter (stetig),

  • Geschlecht (männlich, weiblich),

  • Familienstand (nie verheiratet, verheiratet, getrennt lebend/geschieden, verwitwet),

  • Wohnortgröße (<1000, 1000–4999, 5000–9999, 10.000–99.999, >100.000 EW),

  • Versichertenstatus (gesetzlich, privat),

  • Rauchen (nie, früher, aktuell),

  • Alkoholkonsum (nie, selten, regelmäßig),

  • BMI (<20,0; 20,0–24,9; 25,0–29,9; >30,0 kg/m2),

  • Sport (nie, früher, aktuell).

Ergebnisse

Im Zeitraum vom Oktober 2009 bis September 2010 wurden insgesamt 1197 Patienten bzw. deren Angehörige nach Aufnahme auf die operative Intensivstation des Universitätsklinikums Regensburg interviewt. Es wurden 201 Patienten von der Studie aufgrund von Ablehnung der Studienteilnahme (n = 96), vorzeitiger Krankenhausentlassung (n = 24), Delir und fehlenden Angehörigen (n = 36) und sonstigen Gründen (n = 45) ausgeschlossen. Letztendlich konnten 996 Patienten (64 % männlich) eingeschlossen werden. Von diesen verstarben 56 Patienten (5,6 %) während der intensivmedizinischen Behandlung. Der Einfluss des SES auf die Erkrankungsschwere und die soziale Unterstützung der Patienten wurde bereits veröffentlicht [2] und wird im Folgenden nicht betrachtet.

Interviewbefragung

Die deskriptiven Charakteristika des Patientenkollektivs (n = 996) anhand der Interviews sind in Tab. 2 dargelegt.

Tab. 2 Soziodemografische Charakteristika des Patientenkollektivs (n = 996)

Gesundheitsrelevante Verhaltensweisen

Alkohol‑/Nikotinkonsum.

Im Vergleich zu Frauen hatten Männer häufiger einen aktiven Nikotin- und Alkoholkonsum angegeben (Rauchen aktuell: 24 % vs. 14 %, regelmäßiger Alkoholkonsum: 47 % vs. 12 %). Privat krankenversicherte Patienten hatten aktuell einen geringeren (15 % vs. 21 %), aber häufiger einen früheren Nikotinabusus (48 % vs. 42 %) als gesetzlich krankenversicherte Patienten. In Bezug auf die Wohnortgröße zeigten sich keine Unterschiede im Alkohol- und im Nikotinkonsum.

Sportliche Aktivität und Body-Mass-Index.

Im Patientenkollektiv gaben 40 % der Männer und 35 % der Frauen an, aktuell keinen Sport zu betreiben. Regelmäßig sportlich aktiv waren 25 % der Männer und 27 % der Frauen. Patienten aus kleinen Wohnorten (<1000 EW) zeigten die niedrigste aktuelle sportliche Aktivität (16 %). Diese war bei privat krankenversicherten Patienten höher, verglichen zu gesetzlich krankenversicherten Patienten (aktuell 32 % vs. 24 %, früher 35 % vs. 24 %). Es waren 39 % der gesetzlich Krankenversicherten noch nie sportlich aktiv. Der BMI war bei privatversicherten Patienten (25,6 kg/m2) tendenziell niedriger als bei gesetzlich Krankenversicherten (26,2 kg/m2). Der mittlere BMI lag bei beiden Geschlechtern im übergewichtigen Bereich (Frauen 26,1 kg/m2; Männer 26,2 kg/m2). Patienten aus kleinen Wohnorten (<1000 EW) zeigten die vergleichsweise höchsten BMI-Werte (26,8 kg/m2).

Erkrankungsschwere, Behandlungs- und Beatmungsdauer

Die Ergebnisse der multivariaten adjustierten logistischen Regressionsanalysen, die den Zusammenhang der sozialen Charakteristika und der Outcome-Parameter (Behandlungsdauer, Erkrankungsschwere, sozialen Unterstützung) untersuchen sollte, sind in Tab. 3 dargestellt. Anhand der Analyse zeigte sich, dass Frauen im Vergleich zu Männern ein signifikant erniedrigtes Risiko für eine höhere Erkrankungsschwere (SOFA Score ≥5) bei Aufnahme auf die Intensivstation hatten. Bei der Beatmungsdauer (28-VFDS <22) wurde nur in den für Alter und Geschlecht adjustierten Analysen ein signifikant erniedrigtes Risiko bei Frauen ermittelt (OR 0,56; 95 %-KI 0,36–0,89). In den multivariaten Analysen zeigte sich keine Signifikanz. In Bezug auf den SAPS II bei Aufnahme und bezüglich der Behandlungsdauer auf Intensivstation ≥5 Tage zeigten sich keine signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschiede.

Tab. 3 Ergebnisse der multivariaten adjustierten logistischen Regressionsanalysen („odds ratios“ (95 %-KI))

In den für Alter und Geschlecht adjustierten Analysen wiesen privat Krankenversicherte ein erniedrigtes Risiko für einen längeren Intensivaufenthalt (OR 0,85; 95 %-KI 0,58–1,25) und eine niedrigere Beatmungsdauer (28–VFDS <22: OR 0,90; 95 %-KI 0,50–1,61) auf. In den multivariaten Analysen blieb dieser Unterschied nicht signifikant bestehen. Auch in den Analysen für SAPS II und SOFA Score zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen gesetzlich und privat krankenversicherten Patienten.

In den für Alter und Geschlecht adjustierten multivariaten Analysen wurden Wohnorte mit <1000 EW (Referenzgruppe) mit den anderen Wohnortgrößen verglichen. Mit steigender Wohnortgröße nahm das Risiko einer Behandlungsdauer >5 Tage signifikant ab (p = 0,019). Patienten aus Städten >100.000 EW zeigten ein statistisch signifikant erniedrigtes Risiko für eine längere Behandlungsdauer auf Intensivstation. In Bezug auf SAPS II, SOFA Score und 28-VFDS wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen den verschiedenen Wohnortgrößen festgestellt.

Häufigkeit von Angehörigenkontakten

Durchschnittlich erhielten Patienten in unserem Studienkollektiv 0,62 Anrufe und 0,72 Besuche von Angehörigen/Tag [2]. Die Untersuchung auf Unterschiede in Anzahl der Angehörigenkontakte (Anrufe bzw. Besuche) war zwischen Männern und Frauen nicht signifikant. Privatversicherte Patienten, Patienten aus Haushalten mit ≥4 Personen und Patienten ohne deutsche Staatsbürgerschaft wurden signifikant häufiger besucht. In Abhängigkeit der Konfession zeigten sich bei muslimischen Patienten sowohl in für Alter und Geschlecht adjustierten als auch in multivariaten Analysen signifikant häufigere Angehörigenbesuche (multivariat adjustierte OR 1,74; 95 %-KI 1,04–1,93). Anhand der multivariaten Analysen wurden keine Unterschiede bezüglich der telefonischen Angehörigenkontakte ermittelt. Die Wohnortgröße der Patienten hatte ebenfalls keinen Einfluss auf die Häufigkeit der Angehörigenkontakte.

Diskussion

In der vorliegenden Arbeit wurden unizentrisch prospektiv soziodemografische (horizontale) Charakteristika (Geschlecht, Versichertenstatus, Wohnortgröße) von 996 intensivmedizinischen Patienten erfasst und deren Einfluss auf gesundheitsrelevante Verhaltensweisen, Erkrankungsschwere, Behandlungs- und Beatmungsdauer und soziale Unterstützung durch Angehörige untersucht. Die wesentlichen Ergebnisse stellen sich im Kontext aktueller Forschung, wie im Folgenden beschrieben, dar.

Interviewbefragung

Der Anteil von Patienten mit aktivem Nikotinkonsum im untersuchten Patientenkollektiv war bei beiden Geschlechtern (Männer: 24 %, Frauen: 14 %) niedriger als in einer Befragung des Robert Koch-Instituts in der deutschen Bevölkerung (♂: 32,6 %, ♀: 26,9 %; [14]). Das Durchschnittsalter des eingeschlossen Patientenkollektivs war mit 62 Jahren deutlich höher als das der Allgemeinbevölkerung und könnte den geringeren Nikotinkonsumanteil erklären. Entsprechend den Daten des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherung [11] ist der Anteil aktiver Nikotinkonsumenten in der Altersgruppe von 60 bis 65 Jahren bei Männern (18,1 %) und bei Frauen (11,8 %) niedriger als in untersuchten Patientenkollektiv. In Bezug auf regelmäßigen Alkoholkonsum war der Anteil der Männer im Studienkollektiv etwas höher (♂: 47 %, ♀: 12 %) als in der deutschen Repräsentativbevölkerung (♂: 41,6 %, ♀: 25,6 %; [7]). In Bayern betreiben 28 % der Männer und 18 % der Frauen in der Altersgruppe von 45 bis 65 Jahren einen riskanten Alkoholkonsum [12].

Neben dem Konsumverhalten von Genussmitteln spielt die sportliche Aktivität eine präventive Rolle in der Gesundheitsförderung. Daten des Robert Koch-Instituts von 2013 zeigen, dass altersadjustiert (60- bis 69-Jährige) 17,5 % der Männer und 14,3 % der Frauen keiner sportlichen Aktivität nachgehen. Der Anteil sportlich aktiver Männer (60- bis 69-jährig) beträgt 44,8 %, bei den 60- bis 69-jährigen Frauen 40,9 % [10]. Im Vergleich dazu waren die Patienten der operativen Intensivstation vor der Aufnahme deutlich weniger sportlich aktiv (kein Sport: ♂ 40 %, ♀ 35 %; regelmäßig Sport: ♂ 25 %, ♀ 27 %). Im engen Zusammenhang mit der sportlichen Aktivität steht der BMI [5], wobei Alter und Geschlecht berücksichtigt werden müssen. In der deutschen Bevölkerung (Umfrage des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2013 [16]) war der BMI bei den 60- bis 65-Jährigen (♂: 28,8 kg/m2, ♀: 28,5 kg/m2) höher als in unserer Patientenkohorte (♂: 26,2 kg/m2, ♀: 26,1 kg/m2). Des Weiteren zeigten sich im untersuchten Patientenkollektiv eine geringere sportliche Aktivität und ein höherer BMI für Patienten, die in Wohnorten mit <1000 EW lebten. In einer multivariaten Analyse regionaler Unterschiede des Gesundheitsverhaltens in Bayern 2008 haben Risikoregionen mit höherer Sterblichkeitsrate, zu denen ostbayerische Grenzregion und Oberfranken zählen, ungünstigere Werte hinsichtlich Rauchen, Übergewicht, Sport sowie Schulabschluss und Arbeitslosigkeit verzeichnet [8]. Deutschlandweit bestehen in ländlichen Gebieten ein objektiver Mangel an spezialisierten Fachärzten [21] und eine Stadt-Land-Disparität sowie soziale Ungleichheit im Sinne regionaler Deprivation beim hausärztlichen Versorgungszugang [1].

Erkrankungsschwere, Behandlungs- und Beatmungsdauer

In der vorliegenden Arbeit wurden keine signifikanten Zusammenhänge zwischen sozialen Charakteristiken und erhöhtem SAPS II oder erhöhtem SOFA Score dargestellt. Im Vergleich zu einer Untersuchung des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2015 [22] war die durchschnittliche intensivmedizinische Behandlungsdauer des vorliegenden Patientenkollektivs fast doppelt so lang (5,9 vs. 3,7 Tage). Ein Grund könnte sein, dass Patienten mit sehr kurzer Liegedauer (<24 h) meist nicht rechtzeitig interviewt und in die Studie eingeschlossen werden konnten. In Bezug auf die Wohnortgröße zeigten Patienten aus Städten mit >100.000 EW eine signifikant kürzere Behandlungsdauer. Der Zusammenhang zwischen niedrigem SES bei geringer Wohnortgröße und einem längeren Intensivaufenthalt wurde bereits beschrieben [2].

Angehörigenkontakte

In einer prospektiven Untersuchung in Schweden zu Angehörigenbesuchen auf Intensivstationen einer Universitätsklinik zeigte sich, dass 25 % der Intensivpatienten überhaupt keine Besuche bekamen. Es bekamen 47 % der Intensivpatienten weniger als 0,5 h Besuch/Tag, 36 % bekamen Besuch zwischen 0,6 und 2 h sowie 17 % länger als 2 h/Tag. Am häufigsten wurden Intensivpatienten von ihren Ehepartnern besucht [3]. In dieser Arbeit waren folgende soziale Charakteristiken mit höherer Besuchsintensität assoziiert: Haushalt mit 4 Personen aufwärts, nichtdeutsche Staatsangehörigkeit, privater Versichertenstatus und muslimische Religionsangehörigkeit. Kohls zeigte in einer Untersuchung zu Morbidität und Mortalität von Migranten in Deutschland, dass ausländische Personen über ein größeres soziales Netzwerk und höheren familiären Zusammenhalt verfügen [9]. Auch amerikanische Studien belegen, dass Migranten von den familiären und sozialen Netzwerken profitieren und im Zielland ihre eigene ethnische Gemeinschaft besitzen [18]. Inwieweit das signifikante Ergebnis zur höheren Besuchsdichte bei muslimischen Patienten relevant ist, bleibt aufgrund der zu geringen Anzahl von muslimischen Patienten im Studienkollektiv fraglich. Betrachtet man die 3 großen Patientengruppen: katholisch, protestantisch und ohne Konfession, zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit von Angehörigenbesuchen auf der Intensivstation, sodass davon auszugehen ist, dass im Hinblick auf Besuchsdichte die Religionszugehörigkeit eher eine untergeordnete Rolle einnimmt.

Soziodemografische Indikatoren wie Geschlecht, Konfession, Versichertenstatus und Wohnortgröße von intensivmedizinisch behandelten Patienten haben einen Einfluss auf gesundheitsrelevante Verhaltensweisen, Erkrankungsschwere, Behandlungsdauer und Angehörigenkontakte. Eine zunehmende Wohnortgröße und der private Versichertenstatus scheinen den intensivmedizinischen Behandlungsverlauf positiv zu beeinflussen. Weiterführende (prospektive) Untersuchungen sind notwendig, um den Einfluss soziodemografischer Faktoren auf die Erkrankungsschwere von Patienten und deren therapeutische Verläufe zu bestätigen.

Limitationen

Diese Studie hat einige Limitationen. Wir haben die Mortalität als Outcome-Parameter in unserer Studie nicht untersucht, weil die Anzahl der Verstorbenen bei den interviewten Patienten zu klein war. Zweitens berichten wir Daten von einem einzelnen Universitätskrankenhaus in Deutschland, was eine Verallgemeinerung unserer Ergebnisse einschränkt.

Fazit für die Praxis

  • Neben dem SES beeinflussen weitere soziodemografische Merkmale des einzelnen Patienten den intensivmedizinischen Behandlungsverlauf.

  • Bei Intensivpatienten ergeben sich Hinweise auf einen höheren Anteil von gesundheitsriskanterem Verhalten im Vergleich zur deutschen Allgemeinbevölkerung.

  • Das Ausmaß sozialer Unterstützung durch Angehörige hängt von interkulturellen und individuellen Patientenmerkmalen ab.

  • Eine zunehmende Wohnortgröße mit mutmaßlich einfacherem Zugang zur (haus-)ärztlichen Versorgung und der private Krankenversichertenstatus können den Behandlungsverlauf positiv beeinflussen.