Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • sind Sie in der Lage, die wesentlichen pharmakodynamischen und -kinetischen Eigenschaften von Propofol zu benennen.

  • können Sie die Häufigkeit unerwünschter Wirkungen, Gründe für Anwendungsbeschränkungen und die medizinischen Gefahren eines Off label use realistisch einschätzen.

  • kennen Sie den aktuellen Stand der Wissenschaft zu wichtigen Aspekten der Anwendung bei verschiedenen Patientengruppen.

  • vermögen Sie, die spezifischen Vorteile der Substanz im Vergleich zu den Alternativen gewinnbringend im klinischen Alltag einzusetzen.

Geschichte

Propofol (2,6-Diisopropylphenol; Abb. 1) wurde 1973 von der Fa. Imperial Chemical Industries im Rahmen einer Testserie mit verschiedenen Substituenten an Diethylphenol im Tiermodell entdeckt [1]. Die OH-Gruppe in Ortho-Position reduziert den proteindenaturierenden Effekt von Phenol und verleiht ihm die hypnotische Eigenschaft. Die bestmögliche Pharmakokinetik wird durch die Propylgruppen in Position 2 und 6 erreicht. Mehr als 8 C-Atome in den Substituenten führen zu längeren Erholungszeiten, verzögertem Wirkeintritt und letztendlich zum Verlust der anästhetischen Wirkung [2].

Abb. 1
figure 1

Strukturformel des Propofols

Vier Jahre nach Entdeckung fanden erste klinische Studien in Belgien statt. Im Jahr 1978 begannen multinationale Studien, die 1980 wegen eines ungünstigen Nebenwirkungsprofils (Anaphylaxie und Injektionsschmerz) gestoppt wurden. Hierfür konnte die initial verwendete Trägerlösung Cremophor verantwortlich gemacht werden. Sie wurde durch eine Soja-Öl-Emulsion ersetzt, die die gleichen Komponenten wie kommerziell erhältliche Fettemulsionen zur intravenösen Ernährung enthält [3]. In dieser Formulierung erfolgte 1986 die Marktzulassung in Großbritannien. Im Jahr 1988 wurde Propofol auch in Deutschland und 1989 in den USA zugelassen.

Die Eignung zur kontinuierlichen Anwendung bei kritisch Kranken und zur Narkoseaufrechterhaltung wurde 1987/1988 nachgewiesen [4]. Damit wurde das große klinische Potenzial des Wirkstoffs, das weit über das eines reinen Induktionsanästhetikums hinausgeht, schon früh erkannt. Bereits in den ersten Jahren konnten so Marktanteile der ehemaligen Wettbewerber Propanidid und Alphaxolon/Alphadolon – deren Probleme ebenfalls mit Cremophor zusammenhingen – sowie anderer heute noch gebräuchlicher Induktionsanästhetika übernommen werden [3].

Das Konzept der Target Controlled Infusion (TCI) erlangte 1996 Marktreife [4]. Aktuell sind 3 Konzentrationen (0,5 %, 1 % und 2 %) in unterschiedlichen Emulsionen von 6 verschiedenen Herstellern auf dem deutschen Markt erhältlich.

Pharmakodynamik, Bindungsrezeptoren und Wirkmechanismus

Propofol hat aufgrund seiner hohen Lipophilie einen raschen Wirkungseintritt und supprimiert global die elektrische und die metabolische Aktivität im Zentralnervensystem (ZNS). Dies führt dosisabhängig zu Anxiolyse, Amnesie und Bewusstlosigkeit [1]. Subhypnotische Dosierungen wirken außerdem traumfördernd, euphorisierend und sexuell enthemmend, was neben der leichten Zugänglichkeit bei medizinischem Personal zu einer relevanten suchtmedizinischen Inzidenz geführt hat [1, 5]. Propofol senkt den zerebralen Blutfluss und den intrakraniellen Druck [6]. Im Elektroenzephalogramm (EEG) werden Gamma- und Alpha-Aktivität zugunsten eines Delta- und Theta-Rhythmus reduziert bis hin zur „burst suppression“ [1]. Ohne Komedikation werden 50 % der maximalen EEG-Veränderungen bei einem Plasmaspiegel von 2,3 µg/ml erreicht; das Augenöffnen des Patienten auf Kommando gelingt bei etwa 1 µg/ml [2]. Üblicherweise werden zur Allgemeinanästhesie Plasmaspiegel von 2–4 µg/ml angestrebt [7].

Aufgrund ausgeprägter Reflexdämpfung werden laryngeale Reflexe und der Barorezeptorreflex supprimiert. Ersteres führt zu guter Toleranz pharyngealer und supraglottischer Instrumentierung (Larynxmaske, -tubus, Ösophagogastroduodenoskopie [ÖGD], transösophageale Echokardiographie [TEE]) sowie zu guten Intubationsbedingungen, auch ohne Muskelrelaxation [8]. Letzteres schwächt die kompensatorische Reflextachykardie bei Blutdruckabfall ab. Antiemetische und mögliche analgetische bzw. opioidsparende Effekte sowie ein rasches und zugleich sanftes Erwachen runden die Vielzahl an positiven Eigenschaften ab [9, 10].

Die Wirkung von Propofol resultiert aus der Interaktion mit zahlreichen Rezeptoren und Ionenkanälen [11]:

  • Propofol potenziert die inhibitorische GABAA- und GABAB-Rezeptor-Aktivität.

  • Propofol inhibiert N‑Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptoren.

  • Propofol moduliert Kalzium- und Natriumionenkanäle.

Im Tiermodell zeigt sich bei hohen Plasmakonzentrationen außerdem eine Inhibition von β‑Rezeptoren [12]. Propofol hemmt die Glutamatfreisetzung [11] und interagiert mit dem Endocannabinoidsystem, mit dem Dopaminsystem [5] und mit Glycinrezeptoren [13]. Bezüglich der analgetischen Wirkkomponente wird die Interaktion mit Cannabinoid-1 und Cannabinoid-2- und NMDA-Rezeptoren vermutet und die Beteiligung von δ‑Opioid-Rezeptoren postuliert [1, 10]. Individuelle Unterschiede in der zerebralen Empfindlichkeit können, kaschiert von der blutdrucksenkenden und bradykardisierenden Wirkung, zu intraoperativer Wachheit („awareness“) führen. Deswegen wird bei der Narkoseaufrechterhaltung mit Propofol ein EEG-basiertes Narkosetiefenmonitoring empfohlen [8, 9, 10].

Pharmakokinetik und Dosierung

Propofol wird nach i.v.-Injektion zu 98 % an Plasmaproteine gebunden, woraus ein hohes zentrales Verteilungsvolumen resultiert [2]. Die Verteilungs-Clearance erreicht mit 3–4 l/min etwa 60–80 % des Herzzeitvolumens [15]. Propofol hat in einer Dosierung von 1,5–2,5 mg/kgKG beim Erwachsenen zur Narkoseinduktion einen Wirkeintritt nach 30–60 s [1, 16]. Die Metabolisierung erfolgt hauptsächlich in Leber (60 %) und Nieren [17]. Dabei ist die metabolische Clearance mit 1,5–2,1 l/min nicht nur höher als der hepatische Blutfluss, sondern auch 10-fach höher als die von Thiopental [2, 15]. Nach Glucuronidierung und Sulfatierung werden die inaktiven Metaboliten zu 88 % renal eliminiert [2, 18].

Die Pharmakokinetik von Propofol lässt sich gut mit einem Dreikompartimentenmodell beschreiben, das ein zentrales Kompartiment (Herz, Lungen, Nieren, Gehirn), ein schnell äquilibrierendes Kompartiment (Muskulatur, innere Organe) und ein eher langsam äquilibrierendes Kompartiment (Fett, Knochen, das „tiefe“ Kompartiment) enthält [2]. Die terminale Eliminationshalbwertszeit (Eliminations-HWZ) ist wegen der großen Lipophilie mit einem extrem hohen und variablen peripheren Verteilungsvolumen und träger Rückverteilung aus dem tiefen peripheren Kompartiment mit 13–45 h relativ lang [2, 19, 20]. Nach 10 Tagen Sedierung kann sie bis zu 3 Tage betragen [6]. Wegen der kurzen Distribution-HWZ von 1–4 min ist die Wirkdauer zunächst kurz. Die Plasma-HWZ ist kontextsensitiv: Sie nimmt mit zunehmender Applikationsdauer zu, weil trotz der hohen Plasma-Clearance von 1,6–3,4 l/min die peripheren Kompartimente langsam gesättigt werden und eine zunehmende Rückverteilung stattfindet [6]. Dies muss bei der Narkoseaufrechterhaltung mit Propofol berücksichtigt werden, indem die initiale Infusionsrate nach etwa 10 und 20 min von 10 über 8 auf 6 mg/kgKG/h reduziert wird, um eine übermäßige Kumulation zu vermeiden.

Zwar wurde dieses Regime validiert, es besteht aber eine signifikante interindividuelle Variabilität bei den Volumina der Kompartimente und den resultierenden HWZ. Die kontextsensitive HWZ kann nach 4‑h-Steady-state-Infusion 8–25 min und nach 12 h 12–46 min betragen [16]. Bei Kindern nimmt sie stärker zu [7].

Für das TCI-Konzept wurden patientendatenbasierte Rechenalgorithmen entwickelt. Damit kann die Narkosetiefe analog zu den Möglichkeiten bei der Inhalationsanästhesie über die Zielkonzentration im Plasma bzw. im Gewebe gesteuert werden [20, 21]. Die eingestellte Konzentration im Zielkompartiment wird schnell und zuverlässig erreicht und dauerhaft aufrechterhalten. Darüber hinaus wird ein Aufwachzeitpunkt vorhergesagt [22]. Höhere Dosierungen als die oben genannten sind bei Kindern wegen ihres viel größeren zentralen Kompartiments und der schnelleren Umverteilung nicht nur für die Narkoseeinleitung (3–5 mg/kgKG), sondern auch für die Aufrechterhaltung nötig [7, 16]. Das Regime von Mc Farlan reduziert eine initiale Infusionsrate von 15 mg/kgKG/h in 4 Schritten auf 9 mg/kgKG/h [7]. In der Praxis werden aber eine deutlich größere Induktionsdosis als 2,5 mg/kgKG und dafür geringere Infusionsraten gewählt. Das pädiatrische TCI-System (Paedfusor) funktioniert gut für Säuglinge und Kleinkinder. Ab dem Alter von 6 Jahren ist das Schnider-Modell (ein TCI-Modell basierend auf Konzentrations- und Wirkungsmessungen von Propofol unter Berücksichtigung verschiedener Altersgruppen) besser geeignet. Jenseits des Säuglingsalters können EEG-basierte Systeme zur Narkosetiefenmessung sinnvoll angewendet werden [7].

Zur Sedierung unter erhaltener Spontanatmung muss Propofol niedriger dosiert werden. Bei Kindern kann mit einem Initialbolus von 1 (–2) mg/kgKG begonnen werden, gefolgt von einer Infusion mit 4,5–12 mg/kgKG/h [14]. Soll die Spontanatmung erhalten bleiben, ist eine titrierende Vorgehensweise nötig, und eine Dosisanpassung bei Komedikation mit Midazolam, Opioiden oder Ketamin. Vorsichtig dosiert werden muss Propofol bei Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand, erhöhtem intrakraniellen Druck, Hypovolämie und Hypoproteinämie, bei schwerer Herz‑, Leber- oder Niereninsuffizienz und bei hohem Lebensalter. Aus toxikologischer Sicht hat Propofol ein bemerkenswertes Sicherheitsprofil: Die Dosis, bei der 50 % der Versuchstiere nach der i.v.-Applikation sterben (LD50), beträgt 42 bzw. 53 mg/kgKG bei Ratten bzw. Mäusen [6].

Nebenwirkungen

Injektionsschmerz

Injektionsschmerz tritt abhängig von der Größe der punktierten Vene mit einer Häufigkeit von 6–28 % lokal infolge einer Venenwandreizung auf [6]. Durch Veränderung der Lipidemulsion mit einem höheren Anteil mittelkettiger Fettsäuren und Reduktion der Konzentration auf 0,5 % konnte der Injektionsschmerz reduziert, aber nicht aufgehoben werden [23]. Eine Lidocainbeimischung (1 ml 1 %iges Lidocain ohne Konservierungsstoffe auf 20 ml Propofol) ermöglicht jedoch eine schmerzfreie Narkoseeinleitung, auch ohne Vorabgabe von Opioiden [24].

Hypotension und Bradykardie

Wesentliche und häufige hämodynamische Nebenwirkungen der Narkoseinduktion mit Propofol bestehen in Hypotension und Bradykardie. Der mittlere arterielle Blutdruck („mean arterial pressure“, MAP) fällt durch Sympathikolyse und Vasodilatation bei Applikation von 2 mg/kgKG um etwa 30 % ab [8]. Dabei sinkt zunächst die myokardiale Vorlast aufgrund von Venodilatation und bei höherer Dosierung die Nachlast wegen eines peripher vaskulären Widerstandsverlustes. Bei Fentanylkomedikation fällt der MAP sogar um 47 % [2]. Durch langsame Applikation und niedrigere Dosis kann der hypotensive Effekt gemildert, aber nicht aufgehoben werden [25]. Bradykardie und Hypotension sind nach Induktion stärker ausgeprägt als bei Thiopental [26]. Die myokardiale Kontraktilität wird stärker als durch Thiopental oder Etomidat beeinträchtigt [25], und die Herzfrequenz kann trotz Hypotension gleichbleiben oder sogar abfallen. Grund ist die Suppression des Barorezeptorreflexes [25]. Bei simultaner vagaler Stimulation oder paralleler Gabe von α‑Rezeptor-Agonisten kann es zu ausgeprägter Bradykardie kommen.

Apnoe und Hypopnoe

Apnoe und Hypopnoe sind dosisabhängige Phänomene und bei Narkoseinduktion zumeist irrelevant. Eine Ausnahme stellt wegen der Wirkdauer von Propofol der unerwartet schwierige Atemweg mit schwieriger Maskenbeatmung oder bei „rapid sequence induction“ (RSI) dar. Bei Sedierung unter Spontanatmung können Atemwegsobstruktion und zentrale Atemdepression störend sein. Sie führen zur Reduktion von Atemfrequenz, Tidal- und Minutenvolumen, inspiratorischem Fluss und funktioneller Residualkapazität (FRC; [14]).

Infektionsrisiko

Die in Deutschland verfügbaren Propofolformulierungen enthalten keine antimikrobiellen Konservierungsmittel. Da die Emulsion einen geeigneten Nährboden für Mikroorganismen darstellt, sollten die dezidierten Hygienebestimmungen der Fachinformationen eingehalten werden, um das Infektionsrisiko für die Patienten gering zu halten. Insbesondere darf aus hygienischen Gründen die Dauer der Anwendung aus einem Infusionssystem 12 h nicht überschreiten. Mit der Verabreichung muss unverzüglich begonnen werden, und etwaige Reste müssen nach der Narkoseinduktion verworfen werden [27, 28, 29]. In den USA wird als mikrobieller Hemmstoff der Chelatbildner Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) zugesetzt. Die Datenlage zu dieser Praxis ist allerdings nicht eindeutig [1].

Hypertriglyzeridämie

Hypertriglyzeridämie ist ein weiteres Problem, das aufgrund des Lösungsvermittlers auftritt. Daher ist 0,5 %iges Propofol für die Narkoseaufrechterhaltung und die Langzeitsedierung von kritisch Kranken nicht zugelassen. Handelsübliche Propofolemulsionen enthalten jeweils 10 % Sojaöl und damit 1,1 kcal/ml [30]. Hieraus ergibt sich eine Zufuhr von mehr als 700 kcal bei üblichen Tagesdosen, die in der Kalorienbilanz zu berücksichtigen sind.

Pankreatitis

Ein möglicher Zusammenhang zwischen Propofol und Pankreatitis ist ungeklärt und in nur wenigen Fallberichten beschrieben. Eine Assoziation zur Hypertriglyzeridämie wird diskutiert [3]. Gegen die Anwendung bei der endoskopisch retrograden Cholangiopankreatikographie (ERCP) bestehen keine Bedenken. Zur Sedierung von Patienten mit Pankreatitis gibt es keine Empfehlungen [31].

Myokloni

Exzitatorische Phänomene im ZNS können zu Myokloni und laut Fachinformation zu Krampfanfällen bei anfälligen Personen führen. Erklärt werden diese Phänomene mit unterschiedlichem Wirkungseintritt bei exzitatorischen und inhibitorischen zentralen Strukturen [31, 32].

Propofolinfusionssyndrom

Das Propofolinfusionssyndrom (PRIS) ist ein sehr seltenes, äußerst vielgestaltiges und schwierig zu diagnostizierendes Krankheitsbild mit häufig schwerwiegendem oder fatalem Verlauf. Die Letalität des PRIS beträgt insgesamt ca. 50 % mit abnehmender Tendenz in den letzten Jahren. Die Inzidenz des PRIS ist nach Anpassung der Fachinformationen 2001 und 2006 zwar gleichgeblieben, seine Ausprägung hat sich jedoch verändert, von letalen Verläufen hin zu milderen Verläufen bei aktuell niedrigeren Infusionsraten [33, 34]. Initial wurde das PRIS bei Kindern insbesondere im Zusammenhang mit hohen Dosierungen beschrieben [35]. Es kann jedoch auch bei Erwachsenen und bei Infusionsraten unter 4 mg/kgKG/h auftreten [33, 35]. Hohe Infusionsraten, längere Applikationszeiträume und Fieber sind unabhängige Risikofaktoren für letale Verläufe.

In der ersten prospektiven Multizenterstudie betrug die Inzidenz des PRIS auf Intensivstation 1,1 %. Die betroffenen Erwachsenen hatten im Median 3 Tage (1 bis 6) lang Propofol erhalten. Zwei von 11 Patienten entwickelten das PRIS innerhalb von 24 h und 10 von 11 innerhalb von 3 Tagen [34]. Typische dosisabhängige Frühsymptome sind metabolische Azidose (86 %) und Herzversagen (88 %). Spätsymptome wie Rhabdomyolyse, Arrhythmien und andere EKG-Veränderungen sind offenbar eher abhängig von der Dauer der Applikation. Weitere Symptome sind Hypotension, Bradykardie, kardiogener Schock, Asystolie, Hyperkaliämie, Hypertriglyzeridämie, Steatosis hepatis, Hepatomegalie, Leber- und Nierendysfunktion und Verfärbung des Urins [33, 35].

Aussagen zur Pathogenese haben derzeit teilweise noch hypothetischen Charakter. Aufgrund seiner strukturellen Ähnlichkeit zu Koenzym Q wird vermutet, dass Propofol die Atmungskette entkoppelt oder inhibiert [36]. Dafür sprechen tierexperimentelle Daten und Befunde von Muskelbiopsien bei Patienten mit PRIS. Ein weiterer Pathomechanismus, insbesondere für die Spätsymptome des PRIS, ist die Inhibition der Fettsäureoxidation [35]. Neben den genannten Faktoren sind pathogenetisch eine gesteigerte Lipolyse, mitochondriale Dysfunktion, kritische Krankheit und Komedikation mit Katecholaminen und Glukokortikoiden beteiligt. Begünstigende Faktoren können (subklinische) Mitochondriopathie, Status epilepticus, Sepsis, Schädel-Hirn-Trauma, hoher Stresslevel und entleerte Kohlenhydratspeicher sein [33, 35].

Bisher existiert keine spezifische Therapie für das PRIS. Daher ist die einzige Möglichkeit, eine weitere Verschlechterung oder den Tod des Patienten zu verhindern, eine frühzeitige Diagnose und die sofortige Unterbrechung der Propofolzufuhr [33, 35]. Schroeppel et al. konnten in einer Multizenterstudie zeigen, dass durch regelmäßige Kontrolle der Kreatin(phospho)kinase (CPK) mit einem „Cut-off“-Wert von 5000 U/l die Inzidenz des PRIS bei Traumapatienten auf der Intensivstation um den Faktor 10 gesenkt werden kann [37].

Kontraindikationen und Anwendungsbeschränkungen

Mitochondriopathien

Da Propofol durch zahlreiche Mechanismen den mitochondrialen Metabolismus beeinflusst, läge es nahe, bei Patienten mit gesicherten oder wahrscheinlichen Mitochondriopathien auf seine Anwendung zu verzichten [33, 35]. In mehreren Fallserien konnte allerdings gezeigt werden, dass eine Induktionsdosis nicht zu kritischen Ereignissen bei Patienten mit gesicherter Mitochondriopathie führte [38], weshalb die Autoren gegenüber einer solchen Praxis keine Vorbehalte haben. Auf kontinuierliche Anwendung von Propofol sollte bei derart vulnerablen Patienten verzichtet werden.

Kreislaufschock

Wegen der teilweise ausgeprägten Kreislaufdepression ist ein Kreislaufschock jeglicher Ursache eine wichtige Kontraindikation [31].

Allergie

Laut den aktuellen Fachinformationen darf Propofol (0,5 %, 1 %, 2 %) nicht angewendet werden bei Allergie oder Überempfindlichkeit gegen Propofol, Soja, Ei oder Erdnuss. Bei Lebensmittelallergien gibt es allerdings keinen durch Allergietestung belegten Fall von propofolinduzierter Anaphylaxie und daher kontroverse Expertenmeinungen. Ei-Lecithin wird in Propofol in hochgereinigtem Zustand verarbeitet. Es wird aus Eigelb extrahiert und gehört nicht zu den bekannten Allergenen bei Vorliegen einer Eiweißallergie. Alle Versuche, einen Kausalzusammenhang zwischen einer Eiweißallergie und einer Reaktion auf Propofol herzustellen, blieben bisher negativ oder wiesen auf eine andere Genese der Anaphylaxie hin. Ähnlich verhält es sich bei der Sojaallergie: Raffiniertes Sojaöl, wie es in Propofol vorliegt, ist sicher für Patienten mit Sojaallergie, weil die allergen wirksamen Proteine während des Reinigungsprozesses entfernt werden und somit nicht in ausreichender Konzentration vorliegen, um eine Reaktion auszulösen. Kutane Prick-Testungen mit Sojaöl und Propofol waren negativ bei Patienten mit Sojaallergie. Auch bei Erdnussallergie ist die Anwendung von Propofol unbedenklich, weil die Bedenken lediglich auf einer möglichen Kreuzreaktion mit Sojaeiweiß beruhen [39]. Anaphylaktoide Reaktionen durch Histaminliberation kommen bei den aktuellen Emulsionen nicht vor [25].

Epilepsie

In den Fachinformationen wird Epilepsie als Kontraindikation angegeben. Dies ist umstritten, da bisher bei Myoklonien unter Propofol keine Krampfpotenziale abgeleitet werden konnten und Propofol eine hohe antikonvulsive Potenz besitzt [30, 32].

Intensivbehandlung

Bei Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren ist Propofol zur Sedierung im Rahmen einer Intensivbehandlung kontraindiziert. Für die Anwendung bei Früh- und Neugeborenen ist Propofol nicht zugelassen [27, 28, 29]. Propofol, 0,5 %ig, ist kontraindiziert zur Aufrechterhaltung einer Narkose, bei Kindern zur Sedierung bei diagnostischen und chirurgischen Maßnahmen und allgemein zur Sedierung auf einer Intensivstation [27]. Bei erwachsenen Patienten soll zur Sedierung auf der Intensivstation eine Dosis von 4 mg/kgKG und eine Applikationsdauer von 7 Tagen nicht überschritten werden [28, 29].

Degradation

Die Propofolemulsion darf wegen der Gefahr der beschleunigten Degradation (Abb. 2) nicht mit anderen Infusions- oder Injektions-Lösungen gemischt werden. Degradation ist ein stufenweiser Prozess, bei dem kleine Öltröpfchen mit der optimalen Größe von 0,15–0,3 µm zu immer größeren Tropfen verschmelzen, bis schließlich die Phasen getrennt sind [3]. Durch die Verschmelzung verkleinert sich die Gesamtoberfläche der Öltröpfchen und die Freisetzung von Propofol wird verlangsamt. Außerdem kann es zu Konzentrationsunterschieden innerhalb einer Spritze oder zur Fettembolisation kommen [3].

Abb. 2
figure 2

Schematische Darstellung der Degradation. Die Vergrößerung zeigt den Ausflockungsprozess vor der Verschmelzung. (Mod. nach Baker und Naguib [3])

Die wichtigste Ausnahme bildet die Mischung mit konservierungsmittelfreier 1 %iger Lidocainlösung im Verhältnis 20:1 zur Prophylaxe des Injektionsschmerzes kurz vor Applikation. Je nach Hersteller sind weitere Ausnahmen möglich: Glucoselösung 5 %ig, NaCl-Lösung 0,9 %ig (auch in Kombination) und Alfentanil. Die Muskelrelaxanzien Atracurium und Mivacurium sollen nicht ohne vorheriges Spülen über denselben venösen Zugang verabreicht werden [1]. Die natürliche Degradation beginnt direkt nach der Herstellung und beschleunigt sich bei falscher Lagerung (<4 °C oder >22 °C) oder Mischung erheblich [3].

Indikationen, Zulassungserweiterung

Propofol (0,5 %ig und 1 %ig) verfügt seit einigen Jahren über eine sehr breite Zulassung:

  • für die Einleitung und Aufrechterhaltung einer Narkose bei Erwachsenen und Kindern im Alter über einem Monat;

  • für die Sedierung bei chirurgischen und diagnostischen Maßnahmen bei Erwachsenen und Kindern im Alter über einem Monat;

  • für die Sedierung von Patienten im Alter über 16 Jahre im Rahmen der Intensivbehandlung. Hierbei ist zu beachten, dass Propofol maximal 7 Tage verabreicht werden darf.

Propofol, 2 %ig, darf erst bei Kindern über 3 Jahre angewendet werden [29].

Spezifische Vorteile und Anwendungsgebiete

Ambulante Anästhesie

Zahlreiche Vorteile von Propofol erklären v. a. seine Beliebtheit in der ambulanten Anästhesie:

  • Die mittlerweile geringen Arzneimittelkosten für Propofol und die Tatsache, dass das Vorhalten inhalativer Anästhetika, einschließlich Vaporen und Gasabsaugung, auch für die Aufrechterhaltung der Narkose nicht zwingend erforderlich ist. Es resultieren insgesamt geringere Kosten, einfachere Logistik und fehlende Arbeitsplatzbelastung [16].

  • Die Unterdrückung laryngealer und bronchialer Reflexe, die das unproblematische Platzieren einer Larynxmaske erlaubt, und notfalls auch eine Intubation ohne zusätzliche Anwendung eines Muskelrelaxans [8]. Im Gegensatz zu Thiopental und Etomidat fällt die hämodynamische Antwort (Tachykardie und Hypertension) auf die Laryngoskopie deutlich milder aus [2].

  • Das angenehme und sanfte Erwachen betrifft alle Altersgruppen. Propofol reduziert aber besonders im Kindesalter die Inzidenz des Aufwachdelirs, verglichen mit Inhalationsanästhetika, deutlich [40, 41].

  • Bei Sedierung gibt es weder „bad trips“ noch Dysphorie beim Aufwachen, im Vergleich zu Ketamin. Auch findet sich keine paradoxe (Kinder) bzw. delirogene (Greise) Wirkung, verglichen mit Midazolam [14, 42, 43].

  • Die antiemetische Wirkung reduziert die Inzidenz von postoperativer Übelkeit und Erbrechen (PONV) und damit die Verweilzeiten im Aufwachraum und ungeplante Hospitalisierung. Die Patientenzufriedenheit ist – verglichen mit volatilen Anästhetika – höher [10].

  • Im Vergleich zu inhalativen Anästhetika ist der postoperative Analgetikabedarf reduziert [1, 10].

  • Nahezu uneingeschränkte Anwendbarkeit im ambulanten Patientenkollektiv: Sicherheit bei maligner Hyperthermie (MH), Porphyrie, Nieren- und Leberinsuffizienz sowie bei allen ambulant behandelbaren Risikogruppen gemäß der Klassifikation der American Society of Anesthesiologists (ASA) und Altersgruppen, Eignung als Hypnotikum für prozedurale Sedierung unter Spontanatmung bis hin zur Intubationsnarkose [1, 14].

Stationärer Bereich

Auch im stationären Bereich und bei Patienten höherer ASA-Klassen wird Propofol aufgrund zahlreicher positiver Eigenschaften häufig eingesetzt.

Neurochirurgie

In der Neurochirurgie erfreut sich Propofol sowohl zur Induktion als auch zur Aufrechterhaltung der Narkose großer Beliebtheit. Dies ist durch neuroprotektive Effekte begründet, die sich u. a. aus der Reduktion des zerebralen O2-Metabolismus, des intrakraniellen Blutflusses und des intrakraniellen Drucks ergeben [6]. Außerdem hat Propofol durch seine strukturelle Ähnlichkeit mit Radikalfängern auf Phenolbasis wie Vitamin E antioxidative Wirkung. Es erhöht die Konzentration von Glutathion im Gewebe und reduziert die Lipidperoxidation [6, 11]. Durch eine Hemmung der Glutamatfreisetzung und eine verstärkte Glutamataufnahme in die Zellen verringert Propofol dessen Exzitotoxizität an postsynaptischen Rezeptoren, die durch exzessiven Kalziumeinstrom die Zellen schädigt. Sowohl die GABAerge hemmende Wirkung auf die synaptische Transmission als auch die Hemmung der Glutamatwirkung auf NMDA-, AMPA- und Glutamat-Rezeptoren spielen hierbei eine Rolle [11]. Propofol moduliert außerdem in hypnotischer Dosierung in günstiger Weise für die Apoptoseregulation zuständige Proteine [6, 11].

Propofol supprimiert die Produktion proinflammatorischer Substanzen wie Prostaglandin E2, Thromboxan B2, Zyklooxygenase, Tumor-Nekrose-Faktor-α, Interleukin(IL)-1β und IL-10 in Mikroglia [11]. Auch eine Down-Regulation von Aquaporin 4 und die konsekutive Reduktion eines Reperfusionsödems konnten gezeigt werden [11].

Im Tiermodell reduzierte Propofol die neuronale Schädigung, das Infarktvolumen und die Schwellung nach vorübergehender globaler oder fokaler zerebraler Ischämie [6]. Insbesondere terminiert Propofol sehr effektiv den therapierefraktären Status epilepticus [6] und kann zur Burst suppression im EEG verwendet werden [30]. Ein wesentlicher Vorteil ist, dass Propofolkonzentrationen, die ein isoelektrisches EEG hervorrufen, unter denen liegen, die die myokardiale Kontraktilität verringern [15].

Traumatologie

In der Traumatologie gelten insbesondere bei begleitendem Schädel-Hirn-Trauma die zuvor gemachten Aussagen bezüglich der neuroprotektiven Wirkung. Hier ist das Ziel der gesamten Therapie und auch der Sedierung, eine sekundäre Hirnschädigung zu vermeiden. Eine wesentliche Kontraindikation stellt allerdings ein Kreislaufschock jeglicher Ursache dar [15]. Dies schmälert die Verwendbarkeit von Propofol beim Polytraumatisierten.

Lungenchirurgie und Bronchoskopie

In der Lungenchirurgie und bei der Bronchoskopie ist die totale intravenöse Anästhesie (TIVA) mit Propofol das Mittel der Wahl [44, 45]. Wesentliche Gründe sind die fehlende Beeinflussung der hypoxisch pulmonalen Vasokonstriktion (HPV), fehlende Operationsfeldbelastung, bessere Steuerbarkeit bei „chronic obstructive pulmonary disease“ (COPD; unzuverlässige endtidale Gasmessung), Kompatibilität mit Jet-Ventilation, brochodilatative Wirkung, gedämpfter Hustenreflex bei erhaltener mukoziliärer Clearance, geringere Stressantwort und geringere Expression proinflammatorischer Zytokine [44]. Bei Sedierung mit Propofol wird außerdem das Gefühl der Dyspnoe supprimiert [45].

Kinderanästhesie

Für die Anwendung bei Früh- und Neugeborenen ist Propofol nicht zugelassen [27, 28, 29]. Wegen hochvariabler und nichtlinearer Veränderungen von Verteilungsvolumina und Plasma-Clearance aufgrund metabolischer Unreife, Senkung des MAP sowie Reduktion der Hirndurchblutung und der Gewebeoxygenation in dieser Patientengruppe wird von der Verwendung abgeraten [7, 16, 46]. Praktische Aspekte wie die Möglichkeit, einen venösen Zugang in Narkose zu etablieren, und eine lange erhaltene Spontanatmung bei ausreichender Narkosetiefe machen die inhalative Induktion bei Kleinkindern und Säuglingen attraktiv. Hinzu kommt die Vermeidung des Injektionsschmerzes, der auch bei 0,5 %igem Propofol auftritt und zu einem Sauerstoffsättigungsabfall infolge Luftanhaltens, Schreiens und erschwerter Maskenbeatmung oder zum Verlust des venösen Zugangs führen kann.

Allerdings hat Propofol auch wesentliche Vorteile bei Kindern, insbesondere die Reduktion des Aufwachdelirs im Alter von 6 Monaten bis 6 Jahren [7, 40, 41] und von PONV, das ab einem Alter von 2 bis 3 Jahren auftritt [7, 10]. Bei unklaren muskulären und neuromuskulären Erkrankungen ist eine Intubation mit Propofol ohne Muskelrelaxans möglich [8], und seine Verwendung bei Disposition zur malignen Hyperthermie (MH) ist unbedenklich [14].

Kardiologie und -chirurgie

In der Kardiologie und Kardiochirurgie steht der Erhalt einer stabilen Hämodynamik im Vordergrund. Die meisten Hypnotika und Opioide reduzieren den Sympathikotonus. Bei Propofol kommt verstärkend die oben besprochene, über Kalzium- und β‑Antagonismus vermittelte Bradykardie und Hypotension hinzu. Bei kardial vorerkrankten Patienten wird beides durch die oft bestehende antihypertensive, antiischämische und bradykardisierende Eigenmedikation akzentuiert. Weitere Nachteile von Propofol sind die im Tierversuch gut dokumentierte negativ-inotrope Wirkung [25] und die Abschwächung der koronaren Autoregulation, was bei Koronarstenosen zu Steal-Effekten und Ischämie führen kann [47]. Trotz dieser Nachteile findet Propofol in Kardiologie und Kardioanästhesie Anwendung [25, 48, 49].

Theoretische Vorteile von Propofol in der Reperfusionsphase nach Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine (HLM) beziehen sich auf seine kalziumantagonistische Wirkung und seine Eigenschaft als Radikalfänger. Diese Eigenschaften fanden allerdings bisher keinen Niederschlag in einem verbesserten klinischen Outcome. Im Gegenteil hebt Propofol den präkonditionierenden Effekt von inhalativen Anästhetika bei Ischämie/Reperfusion sogar auf [50]. In einer großen Metaanalyse wurde Propofol mit mehreren inhalativen Anästhetika zur Aufrechterhaltung der Narkose bei koronarer Bypasschirurgie verglichen. Im Vergleich zu Sevofluran wurden bei Propofol signifikant mehr Inotropika und Vasopressoren benötigt. Der Herzindex wurde unter Propofolnarkose signifikant stärker beeinträchtigt, und sogar die Letalität war, verglichen mit Sevofluran, höher [51]. Allerdings werden auch neuroprotektive Effekte von Propofol bei Operationen mit HLM betont [15, 25].

Schwangerschaft

Propofol ist das einzige Medikament auf dem Markt, das von der Food and Drug Administration (FDA) bei Schwangerschaft eine B-Klassifikation („relativ sicher“) bekommen hat. Es passiert die Plazentaschranke und erreicht fetale Konzentrationen von etwa 50–70 % der mütterlichen Plasmawerte [52]. Bisher wurde es nicht mit Fruchtschädigung oder Teratogenität in Verbindung gebracht. Übliche Induktionsdosierungen zur Sectio caesarea verursachen allerdings eine neonatale Depression und senken den mütterlichen Blutdruck stärker als Thiopental. Die Verwendung beider Medikamente zur Narkose bei Sectio ist bei üblicher Dosierung „off label use“. Thiopental führt häufiger zu mütterlicher „Awareness“ [53, 54].

Im Tierversuch inhibiert Propofol die Kontraktion der Uterusmuskulatur, was außer bei Sectio caesarea, einen Vorteil darstellt [52]. Volatile Anästhetika haben allerdings dosisabhängig den gleichen Effekt [55].

Stillzeit

Die Fachinformation und die Rote Liste empfehlen stillenden Müttern, ihre Milch über einen Zeitraum von 24 h nach Propofolgabe zu verwerfen. Wegen des geringen Milch-Plasma-Quotienten erhält der Säugling über die Milch aber nur 1 % der gewichtsbezogenen mütterlichen Dosis. Die orale Bioverfügbarkeit ist gering. Klinisch wird daher keine Stillpause empfohlen [31, 56].

Geriatrische Patienten

Bei geriatrischen Patienten bestehen häufig eine antihypertensive und bradykardisierende Polymedikation sowie ein Volumenmangel. Die Induktion mit Propofol führt daher regelhaft zu ausgeprägter Kreislaufdepression. Das zentrale Verteilungsvolumen und die Gesamt-Clearance sind erniedrigt [2]. Daher ist zumindest eine deutliche Dosisreduktion indiziert. Bei zusätzlicher Hypoalbuminämie, die den freien und wirksamen Anteil von Propofol erhöht, können die hämodynamischen Auswirkungen unkalkulierbar werden [31].

Adipositas

Bei Adipositas sind wesentliche Parameter der Pharmakokinetik wie Verteilungsvolumina, Proteinbindungsverhalten, hepatische Metabolisierung und renale Clearance verändert. Zur Narkoseeinleitung sollte für Propofol das fettfreie Körpergewicht (entspricht Idealgewicht +20–30 %) zugrunde gelegt werden [57]. Eine aktuelle Studie zeigt, dass eine Titration der Induktionsdosis nach Bispektralindex (BIS) einer Berechnung nach „lean body mass“ (LBM) überlegen ist [58]. Eine Aufrechterhaltung der Narkose mit Propofol empfiehlt sich bei adipösen Patienten aber nicht, da hierfür wegen der stetigen Umverteilung ins tiefe langsame Kompartiment (Fettgewebe) nach dem tatsächlichen Gewicht dosiert werden müsste. Damit würde die Aufwachzeit wegen Rückverteilung unkalkulierbar verlängert [59]. Außerdem gibt es bisher keine validierten TCI-Algorithmen bei Adipositas [60]. Daher sind aus Sicht der Autoren trotz der hohen PONV-Inzidenz bei bariatrischer Chirurgie volatile Anästhetika zu bevorzugen.

Weiterentwicklung der Substanz

Einige wesentliche Nachteile von Propofol sind in der nötigen Lipidemulsion (Abb. 3) begründet: Injektionsschmerz, Infektionsrisiko, Hypertriglyzeridämie, Temperaturinstabilität, Instabilität bei pH-Wert-Veränderungen oder in Anwesenheit von zusätzlichen Elektrolyten und zahlreichen Medikamenten [3, 23]. Die meisten Anästhetika werden als Salze in wässriger Lösung verabreicht. Wegen des hohen pKa-Werts der OH-Gruppe von 11 ist dies bei Propofol nicht möglich [3]. Daher wurde zunächst versucht, die Lipidemulsion so zu verändern, dass einige Nachteile wegfallen. Die meisten Veränderungen haben allerdings zu erhöhter Inzidenz und Intensität von Injektionsschmerzen geführt. Eine deutliche Schmerzreduktion konnte durch die Erhöhung des Anteils von mittelkettigen Triglyzeriden (MCT) bei gleichzeitiger Reduktion des Propofolanteils auf 0,5 % bewirkt werden [23].

Abb. 3
figure 3

Schematische Darstellung der Lipidemulsion. (Mod. nach Baker und Naguib [3]). LCTs „long-chain triglycerides“ (langkettige Fettsäuren)

Durch Substitutionen an der OH-Gruppe konnten mehrere wasserlösliche Pro-Drugs, wie beispielsweise Fospropofol, synthetisiert werden. Letzteres trägt eine Methylphosphatgruppe und wurde als einzige Substanz von der FDA zur klinischen Anwendung zugelassen. Die Aktivierung erfolgt in vivo durch die alkalische Phosphatase, wodurch Propofol, Phosphat und Formaldehyd freigesetzt werden. Vorteile der Substanz sind:

  • Wasserlöslichkeit,

  • Sterilität und

  • geringerer Injektionsschmerz.

Nachteilig wirken sich späterer Wirkeintritt, längere Wirkdauer, Formaldehydfreisetzung und perineale Parästhesien oder Schmerzen bei Injektion aus. Bevor klinische Studien zur Induktion einer Allgemeinanästhesie beendet werden konnten, wurde 2010 die Produktion von Fospropofol eingestellt [23]. Aufgrund der zahlreichen Rückschläge bei den Weiterentwicklungen rückten die ehemaligen Wettbewerber Propanidid und Alphaxolon wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Problematisch war bei beiden Substanzen, wie eingangs erwähnt, v. a. der Lösungsvermittler Cremophor. Analoga der beiden Substanzen befinden sich derzeit in klinischer Erprobung [23]. Ketofol stellt eine 1:1-Mischung von Propofol und Ketamin dar, die die dissoziativ sedierende, analgetische und amnestische Wirkung von Ketamin mit der schnellen Kinetik und dem antiemetischen Effekt von Propofol verbindet. Mehrere Studien zeigten allerdings keine objektive Überlegenheit der fixen Mischung gegenüber den Einzelsubstanzen oder anderen Kombinationen [14, 61].

Fazit für die Praxis

  • Propofol ist das populärste und hinsichtlich Pharmakodynamik und -kinetik am besten charakterisierte Induktionsanästhetikum.

  • Die breite klinische Anwendung sowie intensive tierexperimentelle und klinische Forschung an speziellen Patientenkollektiven machen die Substanz auch medikolegal sicher, sofern der Anwender die wenigen Kontraindikationen berücksichtigt.