Gerinnungsstörungen infolge schwerer Blutungen und Massivtransfusion sind ernst zu nehmende Komplikationen bei Operationen und Polytraumen, die als eigenständiger Risikofaktor für eine erhöhte Mortalität gelten [8]. Durch eine akute schwere Blutung treten eine Verlust- und Verbrauchskoagulopathie und auch eine Dilutionskoagulopathie durch Therapie mit Volumenersatzstoffen und Erythrozytenkonzentraten auf. Unverzügliche Diagnostik und sachgerechte Therapie dieser Gerinnungsstörungen sollten deshalb angestrebt werden. Neben Bestimmungen im Notfalllabor gewinnen patientennahe Messsysteme zunehmend Bedeutung bei der raschen und auch differenzierten Diagnostik. Während partielle Thromboplastinzeit (PTT) und Quick-Wert lediglich die Gerinnungszeit analysieren, erlaubt die Thrombelastometrie (Abb. 1) durch die Analyse von Gerinnungszeit (CT), Gerinnselbildungszeit (CFT) und Gerinnselfestigkeit (MCF) eine schnelle Differenzialdiagnose von Faktorenmangel, Thrombozytopenie, Hyperfibrinolyse und bestehender Heparinwirkung [2]. Als Screeningverfahren eignet sich der INTEM-Test (ROTEM®, Pentapharm, München), der die Gerinnungsfaktoren XII, XI, IX, VIII, X, V, II, Fibrinogen und Thrombozyten erfasst. Durch Hemmung der Thrombozytenfunktion im FIBTEM-Test lässt sich gezielt ein Mangel an Fibrinogen oder eine Fibrinpolymerisationsstörung nachweisen.

Abb. 1
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Schematisches Thrombelastogramm. Referenzbereiche der Messwerte in der Thrombelastometrie (ROTEM®). INTEM-Test: CT 100–200 s; CFT 30–160 s; MCF 50–70 mm, FIBTEM-Test: MCF 8–20 mm

Anhand von 2 Kasuistiken möchten wir diskutieren, dass die frühzeitige hochdosierte Fibrinogengabe zu einer schnellen Stabilisierung der Gerinnung bei Massivtransfusionen führen kann.

Kasuistik 1

Anamnese

Die 45-jährige Patientin (165 cm Körperlänge/75 kg Körpergewicht) wurde 7 Tage nach der Entbindung wegen seit 2 Tagen bestehender linksseitiger Oberbauchschmerzen in einem auswärtigen Krankenhaus vorstellig. Dort wurde sonographisch ein perisplenischer Flüssigkeitssaum festgestellt und die Patientin zur weiteren Überwachung stationär aufgenommen. Nach einigen Stunden kam es zu einem akuten Abfall von Blutdruck und Hämoglobin (Hb). Sonographisch zeigte sich jetzt freie Flüssigkeit im Abdomen. Es erfolgte umgehend eine Laparotomie. Intraabdominell fanden sich etwa 1 l freies Blut, eine ausgedehnte retroperitoneale Blutung sowie eine Blutungsquelle im Bereich des unteren Milzpoles. Es wurden eine Splenektomie und eine umfassende Blutstillung durchgeführt. Intraoperativ waren bei einem Blutverlust von rund 2 l insgesamt 4 Erythrozytenkonzentrate (EKs), 2 Beutel „fresh frozen plasma“ (FFP), 1200 IE Prothrombinkomplexpräparate (PPSB) und 6,5 l Elektrolytlösung verabreicht worden. Die Patientin konnte danach kreislaufstabil auf die Intensivstation verlegt werden. Eine Stunde postoperativ kam es zu einer erneuten Kreislaufinsuffizienz. Die sofort durchgeführte Relaparatomie zeigte eine chirurgisch nicht beherrschbare retropankreatische Blutung. Intraoperativ kam es zu einem Blutverlust von 10 l, der durch die Gabe von 25 EKs, 14 FFPs, 3 TKs, 6,5 l Elektrolyt- und 1,5 l Kolloidlösung behandelt wurde. Als Therapieversuch bei chirurgisch unstillbarer Blutung wurden außerdem 7,2 mg rekombinanter Faktor VIIa (NovoSeven®) verabreicht, allerdings ohne klinischen Erfolg. Es wurde daher ein „packing“ mit Bauchtüchern und temporärem Bauchdeckenverschluss sowie die luftgebundene Verlegung in die chirurgische Universitätsklinik München vorgenommen.

Verlauf und Therapie

Bei Ankunft im Schockraum betrug der Blutdruck 90/60 mmHg unter einer kontinuierlichen Gabe von 0,7 μg/kgKG*min Noradrenalin, die Herzfrequenz lag bei 120 Schlägen/min, die Körpertemperatur bei 31°C. Der Hb betrug unter kontinuierlicher Substitution 8,5 g/dl. In der sofort durchgeführten Thrombelastographie zeigten sich im INTEM eine deutlich verlängerte CT und CFT sowie eine massiv reduzierte MCF. Im FIBTEM konnte als Ausdruck eines schweren Fibrinogenmangels keine Fibringerinnselbildung mehr nachgewiesen werden (Abb. 2a). Die bei Aufnahme zeitgleich durchgeführte laborchemische Gerinnungsanalyse ergab eine deutlich eingeschränkte plasmatische Gerinnung, eine Thrombopenie mit 61 G/l und eine massiv reduzierte Fibrinogenkonzentration mit 46 mg/dl (Abb. 2a). Es erfolgte umgehend eine operative Revision des Abdomens. Es zeigten sich freies Blut im Bauchraum ohne Bildung von Blutgerinnseln und eine diffuse Blutungsneigung. Aufgrund der Befunde im Thrombelastogramm wurden umgehend 7 g Fibrinogen und 2 Thrombozytenkonzentrate (TKs) infundiert. Dadurch kam es klinisch sofort zu einer guten Gerinnselbildung von freiem Blut im Operationsgebiet, und die diffuse Blutungsneigung sistierte. Passend dazu kam es im Thrombelastogramm zu einer deutlichen Verkürzung der CFT und einer Zunahme der MCF, auch mit Ausbildung eines stabilen Fibringerinnsels im FIBTEM (Abb. 2b). Die laborchemische Gerinnungsanalyse zeigte jetzt einen Anstieg der Thrombozyten auf 116 G/l und der Fibrinogenkonzentration auf 200 mg/dl. Die Quick- und PTT-Werte blieben unverändert reduziert und spiegelten die Verbesserung der Gerinnung im Thrombelastogramm und der klinischen Situation nicht wider (Abb. 2b). Zur weiteren Gerinnungsstabilisierung wurden 8 in der Zwischenzeit aufgetaute FFPs verabreicht. Im Thrombelastogramm führte dies zu einer Verbesserung der CT, die MCF im INTEM wurde dadurch nicht wesentlich verbessert. Die laborchemische Gerinnungsanalyse ergab nun auch eine Normalisierung von Quick-Wert und PTT (Abb. 2c). Der Fibrinogenspiegel wurde durch die Verabreichung von 8 FFPs nur unwesentlich angehoben. Die chirurgische Exploration ergab letztlich eine Blutung aus dem Stumpf der A. lienalis, die umstochen wurde. Zum Ende der Operation war das Wundgebiet trocken. Insgesamt waren während der Operation 10 EKs zur Stabilisierung des Hb, sowie 1,5 l Vollelektrolyt- und 0,5 l Kolloidlösung (Hydroxyäthylstärke, HAES, 130/6%ig) verabreicht worden. Bei Verlegung auf die Intensivstation bestanden stabile Kreislaufverhältnisse ohne Katecholaminzufuhr. Die Patientin benötigte postoperativ noch für längere Zeit eine Intensivtherapie, da sie ein akutes Nierenversagen entwickelte.

Abb. 2
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Thrombelastogramme und laborchemische Gerinnungsanalyse der Kasuistik 1. a Bei Aufnahme im Schockraum erkennt man im INTEM eine verzögerte und stark reduzierte Blutgerinnselbildung, im FIBTEM eine fehlende Fibringerinnselbildung; b nach Gabe von 7 g Fibrinogen kommt es zu einer verkürzten Gerinnselbildungszeit und einer deutlich verbesserten Gerinnselfestigkeit, sowie im FIBTEM zu einer normalen Fibringerinnselbildung; c nach Applikation von 8 FFP kommt es zu einer Verkürzung der initialen Gerinnungszeit, die Gerinnselfestigkeit im INTEM wird jedoch nur minimal beeinflusst

Kasuistik 2

Anamnese

Bei einer 79-jährigen Patientin (150 cm Körperlänge/60 kg Körpergewicht) mit chronischem Infekt der Totalendoprothese der rechten Hüfte sollte die Prothese ausgebaut und ein Vacuseal-Schwamm zur Wundsanierung eingelegt werden.

Verlauf und Therapie

Während der Entfernung der zementierten Pfanne kam es akut zu einer massiven Blutung aus dem Strömungsgebiet der A. und V. obturatoria und der V. iliaca interna. Die Patientin wurde hochgradig kreislaufinstabil und benötigte eine hochdosierte Katecholamin- (max. 1,53 μg/kgKG*min Noradrenalin und 1,41 μg/kgKG*min Adrenalin) und Volumentherapie. Trotz Gabe von insgesamt 16 EKs, 15 FFPs, 2 TKs und 2000 IE PPSB konnte die infolge der vaskulären Blutung aufgetretene diffuse Blutungsneigung nicht adäquat therapiert werden. Der Blutverlust betrug bis zu diesem Zeitpunkt rund 6 l. Ein nun durchgeführtes Thrombelastogramm zeigte eine deutlich verlängerte CT und CFT sowie eine massiv reduzierte MCF. Im Labor waren Thrombozyten, Quick-Wert und PTT trotz fortlaufender Substitution stark erniedrigt (Abb. 3a). Daraufhin erhielt die Patientin 8 g Fibrinogen und 2 TKs, gefolgt von 11 FFPs, 1000 IE PPSB, 9 EKs und 1 g Tranexamsäure. Nun kam es sowohl klinisch als auch im Thrombelastogramm zu einer verbesserten Gerinnung. Alle Parameter in der Thrombelastographie lagen nun im Normbereich. Im FIBTEM zeigte sich ein stabiles Fibringerinnsel (Abb. 3b). Quick, PTT und die Thrombozytenwerte besserten sich ebenfalls. Nach weiterer Blutstillung und Einlage einer Tamponade ins Wundgebiet kam es unter der verbesserten Gerinnungssituation zum kompletten Sistieren der Blutung. Die Patientin konnte mit deutlich reduzierten Katecholamindosen nach einem Blutverlust von ca. 7 l und Volumenersatz mit 4 l Vollelektrolyt- und 5 l Kolloidlösung (HAES 130/6%ig) zur weiteren Intensivtherapie verlegt werden und erholte sich innerhalb weniger Tage vollständig.

Abb. 3
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Thrombelastogramme und laborchemische Gerinnungsanalyse der Kasuistik 2. a INTEM- und FIBTEM-Messungen nach akuter Blutung und initial nicht erfolgreicher Gerinnungstherapie mit 15 FFPs, 2 TKs, 2000 IE PPSB. Im INTEM zeigt sich eine verzögerte und stark reduzierte Blutgerinnselbildung, im FIBTEM eine fehlende Fibringerinnselbildung; b nach Gabe von 8 g Fibrinogen, 11 FFPs, 2 TKs, 1000 IE PPSB und 1 g Tranexamsäure kommt es im INTEM und FIBTEM zu einer normwertigen Blutgerinnselbildung

Diskussion

Bei der akuten, schweren perioperativen Blutung kommt es initial zu einer Verlust- und Verbrauchskoagulopathie. Die sofortige symptomatische Therapie der Blutung besteht in der Volumengabe zur Aufrechterhaltung der Normovolämie und der Verabreichung von EKs für den Erhalt der Sauerstofftransportkapazität. Durch diese Maßnahmen kommt es sekundär zusätzlich zu einer Dilutionskoagulopathie. In aller Regel erreicht in einer solchen Situation Fibrinogen als erster Gerinnungsfaktor kritische Werte [6]. Die Zufuhr größerer Mengen an Kolloiden führt außerdem zusätzlich zu einer Polymerisationsstörung von Fibrin, deren Ausmaß von der Konzentration im Blut und von der gewählten Kolloidsubstanz abhängig ist [7]. Gelatine und niedermolekulare HAES-Präparate interagieren hier deutlich weniger als hochmolekulare HAES-Präparationen [2].

Der Verschluss einer Blutungsquelle erfolgt durch ein Blutgerinnsel. An dessen Bildung sind hauptsächlich Fibrinmoleküle, die aus Fibrinogen durch Thrombin abgespalten werden, und Thrombozyten beteiligt. Daher ist eine ausreichende Konzentration dieser beiden Komponenten für eine adäquate perioperative Gerinnung essenziell. Die kritische Schwelle für Fibrinogen wird von den meisten Autoren bei 100 mg/dl und von Thrombozyten bei 50 G/l angegeben. Ab diesen Grenzwerten sollte beim blutenden Patienten immer substituiert werden [4]. Zu bedenken ist außerdem, dass im Plasma mit den üblichen Messmethoden in Anwesenheit von HAES-Molekülen konzentrationsabhängig falsch-hohe Fibrinogenkonzentrationen bestimmt werden [5].

Fibrinogenmangel kann durch FFP oder durch Fibrinogenkonzentrat ausgeglichen werden. Problematisch beim Einsatz von FFP ist die verzögerte Verfügbarkeit. Auch moderne Wärmegeräte benötigen zwischen 20- und 30-min-Auftauzeit. Weiterhin sind große FFP-Mengen notwendig, um den Fibrinogenspiegel gezielt anzuheben. In der ersten Kasuistik konnte der Fibrinogenspiegel durch die Gabe von 7 g Fibrinogenkonzentrat von 46 mg/dl auf einen Normbereichswert von 200 mg/dl angehoben werden. Bei einer durchschnittlichen Fibrinogenkonzentration eines FFP mit 200 mg/dl wären für die Zufuhr von 7 g Fibrinogen 15 FFPs notwendig gewesen. Der Einsatz eines Faktorenkonzentrats hat den Vorteil, dass Fibrinogen in hoher Konzentration innerhalb von Minuten verfügbar ist. Aus infektiologischer und immunologischer Sicht gelten Faktorenkonzentrate durch moderne Produktions- und Inaktivierungsverfahren ebenfalls als sehr sicher. Die Zufuhr von z. B. 7 g Fibrinogen in Form von 15 FFPs kostet etwa EUR 900, als Faktorenkonzentrat kostet sie EUR 2800. Der Vorteil des billigeren FFP muss aber durch eine deutlich verzögerte Verfügbarkeit und eine hohe Volumenbelastung erkauft werden. Der Einsatz von 90 μg/kgKG rekombinanten Faktor VIIa (NovoSeven®) bei einem 70 kg Patienten mit einer nicht beherrschbaren Koagulopathie würde Kosten von EUR 4700 nach sich ziehen und nur bei einer ausreichenden Fibrinogenkonzentration im Blut potenziell erfolgversprechend sein.

In einem Schweinemodell mit induzierter Leberblutung konnte gezeigt werden, dass durch die alleinige Gabe von Fibrinogenkonzentrat die MCF verbessert werden konnte und der Blutverlust signifikant niedriger ausfiel [3]. Berichte in der Literatur über die Anwendung von Fibrinogen bei akuten Blutungen beim Menschen finden sich nur bei angeborener Afibrinogenämie [9], aber nicht bei akuten perioperativen Blutungen.

Wie in der ersten Kasuistik geschildert, lässt sich der Effekt der hochdosierten Fibrinogengabe an den laborchemischen Gerinnungstests Quick und PTT nicht ablesen (Abb. 2b). Obwohl es nach Gabe von 7 g Fibrinogen klinisch und im Thrombelastogramm zu einer deutlichen Verbesserung der Gerinnung kam, blieb ein Ansprechen von Quick- und PTT-Werten aus. Daher eignen sich diese beiden Tests nicht zur Kontrolle der Gerinnung nach Fibrinogenzufuhr. Die Messung der Fibrinogenkonzentration zeigt an, ob es zu einem adäquaten Anstieg des Fibrinogens gekommen ist, kann aber keine Aussage über die Funktion des Fibrinogens machen. Moderne Analyseautomaten messen im Gegensatz zur Fibrinogenbestimmung nach Clauss abgeleitete Fibrinogenwerte, die nicht mit der Funktionsfähigkeit korrelieren [1]. Die funktionellen Folgen der Fibrinogengabe auf die Hämostase lassen sich daher am besten mit der Thrombelastographie bestimmen.

Fazit für die Praxis

Die hochdosierte Gabe von Fibrinogenkonzentrat mit bis zu 80–100 mg/kgKG kann bei schwerer Verlust- und Dilutionskoagulopathie (Fibrinogenwerte <100 mg/dl) und noch aktiver Blutung eingesetzt werden, um in sehr kurzer Zeit eine wesentliche Verbesserung der Gerinnungssituation zu erreichen. Eine deutlich reduzierte MCF im Thrombelastogramm (MCF INTEM <40 mm und MCF FIBTEM <8 mm) kann dabei als Triggerschwelle für die Fibrinogengabe herangezogen werden. Die Therapiekontrolle sollte ebenfalls mit der Thrombelastographie erfolgen, da sich im Gegensatz zu Quick und PTT mit diesem Testverfahren die funktionellen Effekte der Fibrinogenzufuhr auf die Gerinnselbildung effektiv messen lassen.