Ziel der Arbeit

Kann bei Erwachsenen mit Medulloblastom die Akuttoxizität einer kraniospinalen Strahlentherapie (CSI) mit Protonen bei gleicher Effizienz im Vergleich mit einer konventionellen Photonen-CSI verringert werden?

Patienten und Methode

Retrospektiv wurden 40 erwachsene Patienten mit Medulloblastomen, die in der Zeit von 2003 bis 2011 entweder mit konventioneller Photonen-CSI (n = 21) oder mit Protonen-CSI (n = 19) am MD Anderson Cancer Center der Universität Texas bestrahlt worden waren, ausgewertet [1]. Die mediane Dosis der CSI betrug 30,6 Gy, die mediane Gesamtdosis in der hinteren Schädelgrube 54 Gy. Das mediane Follow-up lag bei 57 Monaten (4–103 Monate) für Photonen-CSI-Patienten und bei 26 Monaten (11–63 Monate) für Protonen-CSI-Patienten.

Ergebnisse

Protonen-CSI-Patienten verloren weniger Gewicht als Photonen-CSI-Patienten (1,2 % vs. 5,8 %; p = 0,004). Verglichen mit den Photonen-CSI-Patienten hatten weniger Protonen-CSI-Patienten einen Gewichtsverlust > 5 % (16 % vs. 64 %; p = 0,004). Protonen-CSI-Patienten entwickelten seltener Übelkeit und Erbrechen vom Grad 2, verglichen mit den Photonen-CSI-Patienten (26 % vs. 71 %; p = 0,004). Photonen-CSI-Patienten benötigten öfter medizinische Maßnahmen zur Behandlung einer Ösophagitis als Protonen-CSI-Patienten (57 % vs. 5 %; p < 0,001). Protonen-CSI-Patienten hatten einen geringeren Abfall der peripheren Leukozytenzahlen sowie von Hämoglobin und Thrombozyten, verglichen mit Photonen-CSI-Patienten (Leukozyten 46 % vs. 55 %, p = 0,004; Hämoglobin 88 % vs. 97 %, p = 0,009; Thrombozyten 48 % vs. 65 %, p = 0,05). Die mittlere Dosis an den Wirbelkörpern korrelierte signifikant mit den Blutbildveränderungen.

Schlussfolgerung der Autoren

Dieser Bericht ist die erste Analyse des klinischen Ergebnisses der Behandlung erwachsener Medulloblastompatienten nach kraniospinaler Strahlentherapie mit Protonen. Patienten mit Protonen-CSI entwickelten weniger therapiebedingte Nebenwirkungen einschließlich der akuten gastrointestinalen und hämatologischen Toxizitäten.

Kommentar

Das Medulloblastom stellt aufgrund seiner embryonalen Genese eine häufige Tumorerkrankung bei Kindern (20–30 % der Hirntumoren bei Kindern), jedoch einen seltenen Tumor bei Erwachsenen dar. Die Therapiekonzepte für Erwachsene werden daher häufig aus Erfahrungen mit der Strahlentherapie bei Kindern hergeleitet und beinhalten als einen der wichtigsten Bausteine eine kraniospinale Strahlentherapie mit lokaler Boost-Bestrahlung. Für Kinder liegen zur kraniospinalen Strahlentherapie Langzeittoxizitätsuntersuchungen zur Photonentherapie sowie Planvergleichs- und Risikoabschätzungsstudien mit der Protonentherapie vor, die bei Letzterer auf deutlich geringere Organdosen und somit ein geringeres Risiko für chronische Toxizität inklusive Zweittumoren hinweisen [2]. Die CSI von Kindern ist daher eine akzeptierte Indikation für die Protonentherapie. Zentren mit entsprechender Ausstattung haben daher die Protonen-CSI in die klinische Routine in der pädiatrischen Radioonkologie implementiert.

Die Verbreitung dieser Therapieform ist jedoch limitiert durch die nicht ubiquitäre Verfügbarkeit der Protonenstrahlentherapie sowie durch die Komplexität der Technik mit mehrfachem Ansetzen von Bestrahlungsfeldern und der daraus resultierenden teils sehr langen Bestrahlungszeit. Trotz der Komplexität der Technik wird die Protonen-CSI aber an zunehmend mehr Protonentherapiezentren im klinischen Alltag angewandt, zumindest bei Kindern. Bei Erwachsenen, für die die Risikokonstellation für sehr späte Toxizität sicher geringer ist als bei Kindern und z. B. auf die Blutbildung in den großen Knochen konzentriert ist, wurde die Frage eines Vorteils der Partikelbestrahlung bisher nicht untersucht.

Die vorliegende Auswertung von Patientendaten zeigt nun, dass eine Reduktion des bestrahlten Volumens durch die Protonentechnik bei Erwachsenen sowohl gastrointestinal als auch hämatologisch weniger toxisch ist. Der Vorteil bei der Strahlentherapieplanung für Erwachsene gegenüber Kindern liegt darin, dass ein steiler Dosisabfall innerhalb der Wirbelkörper erlaubt und gewollt ist, während er bei Kindern aufgrund der zu erwartenden Wachstumsstörungen und damit verbundenen späteren Deformierungen vermieden werden soll. Daher kann bei Erwachsenen der vordere Anteil der Wirbelkörper bei einer Protonen-CSI geschont und somit mehr blutbildendes Knochenmark geschont werden.

Einige wichtige Limitationen der Aussagekraft der Studienergebnisse müssen bei der Interpretation aber beachtet werden:

  • Die ausgewerteten Patientenkollektive sind zwar insgesamt gut vergleichbar, allerdings ist der Anteil der Patienten ohne Fernmetastasen (intraspinaler Befall) in der Protonengruppe höher als in der Photonengruppe. Durch eine Überlagerung mit Veränderungen, wie z. B. des Allgemeinzustands oder von Nebenwirkungen der Chemotherapie, könnte daher der Vorteil der Protonentherapie überschätzt werden.

  • Ein weiterer potenzieller Bias besteht durch die Patientenselektion. Patienten ab 2003 wurden mit Photonen, ab 2007 mit Photonen oder Protonen bestrahlt. Obwohl von den Autoren nicht diskutiert, kann die o. g. ungleiche Patientenverteilung möglicherweise auf die Selektion metastasierter und nichtmetastasierter Patienten ab 2007 für die Photonen- versus Protonenbestrahlung zurückgeführt werden.

  • Der Vergleich erfolgte mit der klassischen Photonen-CSI. Entsprechend ausgestattete Zentren nutzen heute die Tomotherapie zur Durchführung der CSI. Dies ist insbesondere der Tatsache geschuldet, dass die Bestrahlung langer Zielvolumina mittels Tomotherapie technisch leichter zu realisieren ist. Bei Kindern besteht gegenüber der konventionellen Photonentherapie eine bessere Möglichkeit zur Vermeidung starker Dosisabfälle innerhalb der Wirbelkörper als weiterer Vorteil. Dosimetrisch resultiert die helikale Tomotherapie in einer Reduktion der Hochdosis-Areale in gesunden Organen bei jedoch größeren Niedrigdosis-Volumina und einer höheren Ganzkörperdosis [3]. Inwieweit hieraus ein Unterschied in der Toxizität gegenüber einer klassischen Photonentherapie resultiert, ist bisher nicht ausreichend untersucht.

  • Naturgemäß fehlen derzeit noch Langzeitverlaufsdaten zur Protonentherapie, um eventuell doch noch auftretende Spättoxizitäten beurteilen zu können.

Die genannten Einschränkungen sind überwiegend der retrospektiven Natur des Vergleichs, der geringen Patientenzahl sowie der noch kurzen Nachbeobachtungszeit geschuldet. Wie bei einigen anderen Erkrankungen ist ein höheres Evidenzlevel z. B. durch den direkten prospektiven Vergleich erreichbar, jedoch bei der Seltenheit der Indikation und der Verfügbarkeit der Techniken wahrscheinlich nicht realisierbar [4]. Ein späterer „Matched-pair“-Vergleich akuter und chronischer Toxizitäten mit der besten verfügbaren Photonentherapie erscheint sinnvoll, würde jedoch eine noch größere Patientenzahl erfordern und wäre deshalb nur multizentrisch denkbar. Dabei wären Artefakte durch Center-Effekte zu berücksichtigen, die verstärkt werden durch die Tatsache, dass die wenigsten Zentren Patienten in beide Vergleichsarme einbringen könnten. Die vorliegende Studie stellt daher zum jetzigen Zeitpunkt die bestmögliche Art dar, die Effekte der Protonen-CSI zu erkennen.

Fazit

Die Protonentherapie sollte nach jetzigem Wissensstand entsprechend ihrer Verfügbarkeit auch bei Erwachsenen mit Medulloblastom erwogen werden. Dies trifft insbesondere für Patienten mit langer Lebenserwartung und somit höherem Risiko für sehr späte Toxizitäten zu.

Mechthild Krause und Michael Baumann, Dresden