Zusammenfassung
Pädagogik, Politik und Ökonomie sind als Praxen der Freiheit mit einer Dynamik der menschengemachten Erderwärmung konfrontiert, die sich naturwissenschaftlich erklären lässt. Aus der Gegenüberstellung der gesellschaftlichen/gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen einerseits und der naturwissenschaftlichen Logik andererseits ergibt sich die fundamentale Frage für die Pädagogik, wie sie eine Praxis der Freiheit bleiben kann, die auf Zukunft bezogen ist, wenn das Fenster einer gestaltbaren Zukunft sich immer weiter schließt. Der Artikel arbeitet die Unterschiede der beiden Logiken heraus, die nicht vermischt und verwechselt werden dürfen, wenn angemessen über Praxen des Umgangs mit der Klimakrise diskutiert werden soll. Zentral ist es Pädagogik, Politik und Ökonomie als Praxen der Freiheit von den Bedingungen der Möglichkeit dieser Freiheit zu unterscheiden, die eben diesen Praxen vorausliegen und im Fall der Erderwärmung sich durch naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten (in den entsprechenden Unsicherheitskorridoren) erklären lassen, aber eben selbst nicht zur verhandelbaren Disposition stehen.
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Notes
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Die Frage, ob dieses inklusive „wir“ überhaupt angemessen ist, weil gerade diejenigen, die zuerst und am meisten unter der der Erderwärmung leiden, am wenigsten zu ihr beitragen, kann hier nur angedeutet werden.
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Damit wird eine andere Art Fragen gestellt, als die die Holfelder et al. (2021) stellen, wenn Sie „Erziehungswissenschaftliche Fragen im Zusammenhang mit der Bewegung Fridays for Future“ thematisieren.
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Roland Reichenbach macht deshalb an einer Stelle darauf aufmerksam, dass es ziemlich selbstoffenbarend ist, wenn wir mit Bezug auf Wahlforschung von „Wahlverhalten“ sprechen (Reichenbach 1998, S. 1).
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Eine kritische Reinterpretation der vieldiskutierten Experimente von Libet zum sogenannten Bereitschaftspotential u. a. bei Lindemann (2018).
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„Freiheit ist aber auch die einzige unter allen Ideen der speculativen Vernunft, wovon wir die Möglichkeit a priori wissen, ohne sie doch einzusehen, weil sie die Bedingung des moralischen Gesetzes ist, welches wir wissen.“ (Kant 1788/2000, S. 4.)
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„Nun soll eine Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung und mit ihr jeden Gegenstand des Willens ganz absondern, also bleibt nichts für den Willenübrig, was ihn bestimmen könne, als objectiv das Gesetz und subjectiv reine Achtung für dieses praktische Gesetz, mithin die Maxime, einem solchen Gesetze selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen Folge zu leisten.“ (Kant AA IV 1785, S. 400 f.)
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Was insofern revolutionär war, als er eine systematische Theologie von Lehnsätzen aus der Ethik herleitet und nicht aus dem Offenbarungszusammenhang heraus.
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Dass dabei übersehen wird, dass das Konzept der „unsichtbaren Hand“ im Smithschen Werk nur einen kleinen Teil einnimmt und sich dieses auch nicht auf eine globalisierte Ökonomie, sondern auf überschaubare regionale Märkte und als Kritik an absolutistischer Staatslenkung verstand, kann hier mit Blick auf seine Wirkungsgeschichte beiseite gestellt werden (vgl. Smith 1776).
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Weitere Beispiele bei Göpel (2020).
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„Zum Thema der Einführung von Neuerungen. Bezweifelt jemand allen Ernstes, dass der Wunsch, von Gott frei erschaffene Geister sollten sich zu Sklaven des Willens anderer machen, zu den schlimmsten Ärgernissen führen muss? Ebenso, dass Menschen leugnen sollen, was sie mit eigenen Sinnen wahrnehmen, und sich von einem anderen diktieren lassen, was sie sehen? Und wird zugelassen, dass Leute, die von einer Wissenschaft keine Ahnung haben, als Richter über die Wissenden urteilen? Mit der Autorität, die man ihnen gibt, haben sie die Vollmacht, alles so zu haben, wie sie es wollen. Das sind Neuheiten, imstande, Republiken zu ruinieren und Staaten umzustürzen. Achtung, ihr Theologen: Wenn ihr Sätze über den fixen Stand von Sonne und Erde zu Glaubenssätzen machen wollt, lauft Ihr Gefahr, schließlich diejenigen als Ketzer verdammen zu müssen, die erklären, dass die Erde feststehe und die Sonne ihren Stand wechsle. Ich sage ‚schließlich‘ und meine damit den Zeitpunkt, zu dem womöglich physikalisch oder logisch bewiesen werden kann, dass sich die Erde bewegt und die Sonne stillsteht.“ (Diese Seite seines Exemplars ist reproduziert in dem Buch „Galileo Galilei“ von Gino Loria aus 1938, hier zitiert nach Schröder 2003, S. 21.)
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Dabei können zuweilen auch Messfehler passieren, die den Effekt, den man nachweisen möchte, aufheben oder verstärken. So geschehen beim ersten Versuch des Nachweises der Einsteinschen Allgemeinen Relativitätstheorie 1919 (vgl. Hawking 2001, S. 49).
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Schluß, H., Klär, J. (2022). Naturgesetze haben keine Moral. Zur fundamentalpädagogischen Bedeutung der Klimakrise. In: Drerup, J., Felder, F., Magyar-Haas, V., Schweiger, G. (eds) Creating Green Citizens. Kindheit – Bildung – Erziehung. Philosophische Perspektiven. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-63376-2_6
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