Zusammenfassung
Ausgehend von theoretischen Annahmen und empirischen Befunden zur Familie werden zeithistorische Erkundungen zur Familiengeschichte schlaglichtartig akzentuiert und zeitcharakteristische Entwicklungen zum Wandel von Familie zusammentragen. Es wird herausgearbeitet, dass Familie in unterschiedlichen Konstellationen die Entgrenzung von Arbeit und privatem Leben organisiert: Sie passt sich den Erfordernissen von Politik, Recht und Wirtschaft an und verwehrt sich zugleich gegen öffentliche Eingriffe. Unterschiedliche Beziehungskonstellationen machen die Komplexität von Familien als eine besondere Beziehungs- und Lebensform sichtbar. Im Beitrag werden die Merkmale, die Familie als besondere Beziehungsform beschreiben, dargelegt: Es soll darum gehen, die Strukturmerkmale von Familie genauer zu betrachten und die Triade als theoretische Position auszuweisen. Kurz, es geht um eine strukturale Perspektive auf Familie, die auch in der erziehungswissenschaftlichen Forschung zu Familie einen bedeutsamen Bezugspunkt für pädagogisches Denken und Handeln darstellen sollte.
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Notes
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In diesem Text sind mit der Verwendung des generischen Maskulinums ausdrücklich Personen aller Geschlechter adressiert.
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Unter dem Stichwort Familienparadigma beschreibt David Reiss (1981), wie Familien ihr Verhältnis zu der sie umgebenden sozialen Umwelt gestalten. Er untersucht den „Zusammenhang zwischen individuellen Fähigkeiten und Problemlöseverhalten der Familien“ (Merz & Joraschky, 2000, S. 61) und zeigt, dass sich Familien darin unterscheiden, dass sie unterschiedliche „Konzepte über die Umwelt, ihrer Eigenwahrnehmung und ihrer Wahrnehmung und Aufnahme von Neuem aus ihrer Umgebung“ (ebd., S. 66) teilen und hinsichtlich dieser ihre Familiengrenzen entfalten.
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Zur Konstitution des Paares siehe Allert, 1998, S. 217 ff.
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Zur Figur des Dritten siehe Hessinger (2010) und Koschorke (2010, S. 16 ff.), der mit Verweis auf Buchholz akzentuiert, dass Familien „‚nicht im Quadrat [springen], sondern im Dreieck, und dies auch dann, wenn es mehr als drei Personen sind, sei es, dass weitere Geschwister hinzukommen, sei es, dass irgend jemand sonst noch in der Familie lebt‘. Einmal mehr zeigt sich hier, dass die Dreizahl das Einlasstor […] von Komplexität ist, nach dem Motto; eins, zwei, viele“ (ebd., S. 18).
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Buchholz (1993, S. 8) bringt es in seinen Überlegungen zur Familie auf den Punkt: „Wenn wir auf eine Familiengeschichte aus dem Blickwinkel der Mutter, des Vaters und des Kindes zugleich blicken, wenn wir eine Synthese dieser Perspektiven in unserem Kopf zustande bringen, dann können wir einigermaßen sicher sein, zu wissen, was diese Familie ausmacht. Wir bekommen auch eine Vorstellung davon, was eine Familie ist, wenn wir sie aus dem makrosoziologischen Blickwinkel des Wandels der Familienformen, der Mikrosoziologie der Interaktion und der unbewussten Beziehungsdynamik blicken – drei Perspektiven und diese zugleich“.
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Hierzu eine Anmerkung: Auch wenn ein Wandlungsruck in allen Lebensbereichen zu beobachten ist und sich Männer wie Frauen an normativen Implikationen und damit verbundenen Familienleitbildern (Schneider & Diabaté, 2020) abarbeiten, orientieren sie sich noch immer an traditionellen Bildern der ‚Versorgerehe‘, des Patriarchen und Alleinverdieners, der Hausfrau und ‚guten‘ Mutter, die sie durchspätmoderne Bilder vom ‚ganzheitlichen‘ Vater oder der ‚gleichberechtigten‘ Partnerin und Karrierefrau überzeichnen. Sie sind aufgefordert sich zu tradierten Normalitätsvorstellungen von Partnerschaft und Beruf, Elternschaft und Sorge zu verhalten und diese auf ‚familienspezifische‘ Weise in eine eigene Bewährungspraxis zu übersetzen.
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Schierbaum, A. (2023). Die strukturale Triade und ihre Relevanz für die erziehungswissenschaftliche Familienforschung. In: Schierbaum, A., Ecarius, J., Krinninger, D., Uhlendorff, U. (eds) Familie, wozu?. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41352-1_3
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