Zusammenfassung
Die deutsche Rechtsterrorismusforschung hat sich in jüngerer Zeit aus zeithistorischer Perspektive mit Ereignissen, Akteur*innen und Gewaltpraxen der 1970er und 1980er Jahre befasst. Wenn auch noch wenig beachtet, sind auch zeitlich vorausgehende transnationale rechtsterroristische Phänomene wie die Gewaltwelle in Norditalien seitens des Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) oder die exilkroatische Gewalt in zahlreichen Staaten zum Verständnis des Rechtsterrorismus dieser Zeit von Bedeutung. Der Beitrag skizziert den historischen Kontext und die Spezifik exilkroatischer rechtsterroristischer Radikalisierung seit den 1960er Jahren und markiert deren transnationalen Charakter als eine spezifische Ausprägung.
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Notes
- 1.
Anlass für das Verbot war die Festnahme von vier HDO-Mitgliedern im März 1966, als diese versuchten, von Belgien über Luxemburg 40 Kilo Sprengmittel nach Deutschland zu schmuggeln.
- 2.
Die HOS waren ursprünglich Ende 1944 gegründet worden, aber im Mai 1945 in weiten Teilen von den jugoslawischen Streitkräften aufgelöst worden. Die wieder gegründete HOS sollte im Sinne eines globalen Netzwerkes funktionieren, dessen Untergliederungen von Pavelić-Vertrauten kontrolliert wurden (vgl. Tokić 2020; S. 27/28).
- 3.
Die Konkurrenz zwischen den Gruppen ging so weit, dass man Liquidationslisten erstellte und drohte, nach der Machtübernahme in einem unabhängigen Kroatien Anhänger der rivalisierenden Gruppe ins KZ zu stecken (vgl. Tokić 2020, S. 37–50).
- 4.
- 5.
In anderen Ländern, etwa den USA, sahen sich nationalistische und rechte Kroat*innen mit starken linken und antifaschistisch ausgerichteten Gruppen von Emigrant*innen konfrontiert (vgl. Tokić 2020, S. 32 ff.; Colic-Peisker 2008, S. 161 ff.). „The first wave of modern migrants had left Croatia in the nineteenth century, followed by greater numbers during the inter-war period and then again in the 1960s and 1970s. Many who settled in the West came into contact with liberal ideas for the first time and rejected the extremist claims of separatist groups.“ (Bellamy 2003, S. 94).
- 6.
Zu kroatischen Interpretationen Jugoslawiens und ‚der Serben‘ vgl. MacDonald (2002, S. 193–200).
- 7.
„Franjo Perčić and Rafael Medić received heavy punishments for, respectively, the murder of Popović and the organization of the attack itself, but the majority of the remaining two dozen defendants were released at the conclusion of the trial.“ (Tokić 2020, S. 102).
- 8.
Die Konkurrenz der Gruppen führte dazu, dass man drohte, die Anhänger*innen der anderen Gruppen zu töten (Tokić 2020, S. 42); von kroatischen Migrant*innen wurde mit gewaltsamen Mitteln materielle und logistische Unterstützung erpresst (vgl. Tokić 2009b, S. 8; Tokić 2020, S. 67 sowie für die USA: S. 163 f.).
- 9.
Im Mai 1978 wurden vier Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) in Jugoslawien verhaftet. Auf das Auslieferungsbegehren der Bundesrepublik Deutschland reagierte die jugoslawische Regierung mit der Forderung, acht jugoslawische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Deutschland auszuliefern. Darunter war auch Bilandžic, dem von jugoslawischer Seite vorgeworfen wurde, an der Planung einer der beiden Angriffe auf jugoslawisches Staatsgebiet, des Waffendiebstahls bei der US-Armee sowie des versuchten Mordes an dem jugoslawischen Vizekonsul Vladimir Topić am 28. Juni 1976 in Frankfurt/Main beteiligt gewesen zu sein (o.V. 1976). Bilandžic wandte sich an das Bundesverfassungsgericht, die Bundesregierung lehnte eine Auslieferung ab – nicht zuletzt aufgrund der Befürchtung, es werde eine neue Welle nationalistischer kroatischer Gewalt geben. Diese hatte auch der Rechtsanwalt von Bilandžic angekündigt. Um der Forderung nach Nichtauslieferung Nachdruck zu verleihen, hatte am 14. August 1978 eine Gruppe mit dem Namen ‚Croatian Liberation Force‘ jeweils eine Bombe in der Bibliothek der Vereinten Nationen und eine im Hauptbahnhof New Yorks gelegt, die allerdings von der Polizei entschärft werden konnten. Drei Tage danach stürmten die kroatischen Terroristen Božo Kelava und Mile Kodžoman das Konsulat der Bundesrepublik Deutschland in Chicago und nahmen sechs Konsulatsangestellte, darunter den Vizekonsul Werner Ickstadt, als Geiseln. Nach einem Telefongespräch mit dem in Köln in Haft sitzenden Bilandžic gaben sie auf (vgl. Tokić 2020, S. 160–162).
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Charles-Marie-Photius Maurras (20. April 1868 –16. November 1952) war ein rechtsextremer und antisemitischer französischer Politiker und langjähriger Herausgeber der 1899 gegründeten Zeitschrift Action Française (AF). Maurras trat für einen harten Kurs gegen das Deutschland der Weimarer Republik ein, rief 1925 zur Ermordung des französischen Innenministers Abraham Schrameck auf, weil dieser Jude war und die Entwaffnung rechtsextremer Organisationen betrieben hatte. Papst Pius XI. erklärte die Positionen Maurras’ 1926 als mit dem Katholizismus unvereinbar. 1936 bedrohte Maurras den französischen Ministerpräsidenten Léon Blum aus antisemitischer Motivation mit dem Tod; Maurras sympathisierte mit Mussolini, Franco und trat für eine Kollaboration mit dem Nazi-Regime ein (vgl. Carroll 1995; Winock 1998).
- 11.
Am 16. September 1972 verübten exilkroatische Terroristen in Sydney einen Anschlag, bei dem 16 Menschen verletzt wurden. Zeitgleich kam es in Schweden zur Entführung eines SAS-Verkehrsflugzeugs mit 86 Passagieren. Beides führte zu einem schärferen Vorgehen der westlichen Regierungen gegen den exilkroatischen Terrorismus: „But Western governments had long been willing to put the issue on the back burner so long as the violence remained firmly rooted within the Yugoslav community and rarely affected the country’s broader population. This indulgence, however, came to a swift end with the George Street bombings and Bulltofta highjacking. The redline the Croats held to before 1972 had been one the security services of the West tacitly accepted. When the former crossed the line, the latter had no choice but to act.“ (Tokić 2020, S. 142).
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Virchow, F. (2023). Exilkroatische Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland als transnationaler Rechtsterrorismus. In: Puls, H., Virchow, F. (eds) Rechtsterrorismus in der alten Bundesrepublik. Edition Rechtsextremismus. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40505-2_8
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