Zusammenfassung
Der Beitrag behandelt, wie in der Universität – adressiert als eine zentrale demokratische Organisation – Konflikte rund um die akademische Redefreiheit prozessiert werden. Leitende These ist, dass sich die Organisation dabei zwischen Theorie und Praxis bewegt – dass ideelle Selbstverständigungen und organisationale Entwicklungsprozesse eng aufeinander bezogen sind. Die sich hier zeigenden Spannungsverhältnisse werden in ein Verhältnis zur Entwicklung der Universität seit der Bildungsreform gesetzt und unter dem Stichwort der „postdemokratischen Verhältnisse“ diskutiert.
„Was ich beobachte, ist, dass wir in einer Gesellschaft der Erregung leben. Das heißt, in einer Gesellschaft, in der Emotionalisierung rationale Meinungsbildung und Rationalität überlagert und häufig unmöglich macht und in der die Grenzen der Toleranz ins Wanken geraten und die Schwellen auch immer höher werden, was die Bereitschaft angeht, auf Andersdenkende zuzugehen und ihnen zuzuhören. Ich glaube, dass die Wissenschaft den sehr vornehmen und wichtigen Auftrag hat, diese Kultur des Miteinander[s] zu pflegen und zu sichern, weil die wissenschaftliche Auseinandersetzung gerade eben von solchen Aggressionen und Emotionalisierungen frei sein sollte.“
Peter-André Alt
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Notes
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In dem Projekt „Akademische Redefreiheit im universitären Bildungsraum“ sind Anke Engemann, Judith Mahnert und Johanna Weckenmann als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen tätig. Als studentische Hilfskräfte sind Lenz Koppotsch, Clara Paulus und Sören Meyer beschäftigt (gewesen). Der gemeinsamen Arbeit in diesem Projekt verdanke ich viel.
- 2.
Erwartbar ist, dass daraus wiederum Enttäuschung und Versagen resultieren, die häufig pädagogischen Akteuren zugeschrieben wird (Ricken 2007).
- 3.
Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass eine vorausgehende Resolution des DHV zur erodierenden Streit- und Debattenkultur aus dem Jahr 2017 das Problem ebenfalls an den Studierenden und dem Drang nach Political Correctness festmacht.
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Radikale Freespeech-Aktivist*innen sehen übrigens die Prozesse der Verrechtlichung und Micromanagement an Universitäten selbst äußerst kritisch. Der britische Soziologe Frank Furedi (2016) beispielsweise sieht darin eine Bedrohung der Redefreiheit der Universität „von innen“.
- 5.
Pasternack kommt in seiner zusammenführenden Analyse auf das Professorinnenprogramm des BMBF zu sprechen und beschreibt die Verschiebung des Anspruchs von Geschlechtergerechtigkeit zur Konkurrenz um entsprechende Programmgelder (Pasternack et al. 2018, S. 182).
- 6.
Den Fall selbst werde ich nicht beurteilen oder kommentieren.
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Weitere Materialien und Dokumente
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Thompson, C. (2023). Zur Organisation der Unstimmigkeit. In: Mensching, A., Engel, N., Fahrenwald, C., Hunold, M., Weber, S.M. (eds) Organisation zwischen Theorie und Praxis. Organisation und Pädagogik, vol 32. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-39690-9_1
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