Zusammenfassung
Nach innerstaatlichen Gewaltkonflikten stehen fragile Staaten vor der Herausforderung, die Aufarbeitung dieser Konflikte zu organisieren, um deren dauerhafte Befriedung zu erreichen. Die Möglichkeiten, den Aufarbeitungsprozess zu gestalten, sind vielfältig. Ausgehend von der Kontingenz des Aufarbeitungsprozesses innerstaatlicher Gewaltkonflikte werden Bewältigungsstrategien des Transitional Justice-Konzepts diskutiert. Hieran wird herausgearbeitet, dass in diesem Konzept Normen und Institutionen für die Aufarbeitung vorab gesetzt werden. Um diese normative Festlegung zu vermeiden, wird ein Vorschlag für die Analyse von Aufarbeitungsprozessen innerstaatlicher Gewaltkonflikte entwickelt, der von Kontingenz als Grundannahme ausgeht. In diesem Vorschlag wird die Leistung von Institutionen für den Aufarbeitungsprozess als Initiierung eines kontingenten Abstimmungsprozesses unter den Konfliktbeteiligten beschrieben. An der Aufarbeitung des 1994 verübten Genozids in Ruanda wird die vorgeschlagene Analyse diskutiert.
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Notes
- 1.
Siehe hierzu die gängigen Theorien der Strafe zu ihrer abschreckenden und/oder präventiven Wirkung (Frister 2013, S. 19 ff.).
- 2.
Luhmann argumentiert, dass die Entscheidung wegen der Konsensfiktion unabhängig vom tatsächlichen Konsens der Beteiligten ist (2017, S. 108 f.). Dies setzt jedoch einen (fingierten) Konsens über die Erwartungsstruktur voraus, der in Postkonfliktgesellschaften fehlt. Am Fallbeispiel Ruandas wird dies im vierten Abschnitt verdeutlicht.
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de Vries, H. (2021). Die Kontingenz im Aufarbeitungsprozess innerstaatlicher Gewaltkonflikte: Das Beispiel Ruanda. In: Leonhard, N., Dimbath, O. (eds) Gewaltgedächtnisse. Soziales Gedächtnis, Erinnern und Vergessen – Memory Studies. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32142-0_8
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