Zusammenfassung
Mit dem Haushaltsrecht beschäftigen sich die Landesverfassungsgerichte im Rahmen von Organstreitverfahren und Normenkontrollklagen. Die Organstreitverfahren haben eine mögliche Verletzung des parlamentarischen Budgetrechts zum Gegenstand. Sie sind ein Mittel der parlamentarischen Opposition mit dessen Hilfe sie ihre Rechte gegen die im parlamentarischen Alltag übermächtige Handlungseinheit von Parlamentsmehrheit und Regierung zu verteidigen sucht. Aufgrund der eher technischen Materien werden Organstreitverfahren – zumindest in den Ländern – weitgehend unbemerkt von der politischen Öffentlichkeit geführt und entschieden. In den Normenkontrollverfahren geht es um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Kreditaufnahme. Auch hier sind die möglichen politischen Konsequenzen der Urteile begrenzt – eine verfassungswidrige Kreditaufnahme scheint viele Wählerinnen und Wähler kaum zu bekümmern – genauso wie die unmittelbaren juristischen Folgen. In der Regel werden die Urteile erst nach Abschluss des betroffenen Haushaltsjahres gefällt, die verfassungswidrigen Kredite sind dann bereits aufgenommen und das Geld bereits ausgegeben. Von einer effektiven Begrenzung der Neuverschuldung durch die Landesverfassungsgerichtsbarkeit kann daher in der Vergangenheit nicht die Rede sein. Der Beitrag schließt mit einem skeptischen Ausblick auf die juristische Kontrolle der neu eingeführten Schuldenbremse.
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Notes
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Das Manuskript wurde im Februar 2019 abgeschlossen; Urteile und Entscheidungen, die nach diesem Datum gefällt wurden, gingen nicht in die Analyse ein.
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Das zuständige Finanzministerium konnte allerdings nicht, wie vorgesehen, überprüfen, ob die Garantieübernahme unter dem Notbewilligungsrecht zulässig ist, denn der Finanzminister wurde erst um 23 Uhr am Vorabend der Bewilligung vom Ministerpräsidenten in das geplante Geschäft eingeweiht (Müller 2011).
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Der herrschenden Interpretation zufolge umfassen die Einnahmen aus Krediten nur diejenigen Kredite, die nicht für die Anschlussfinanzierung auslaufender Kredite verwendet werden und daher als Staatseinnahmen zur Verfügung stehen.
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In den Bundesländern überstieg die Neuverschuldung zwischen 1991 und 2005 68 Mal die Investitionsausgaben (Kitterer und Groneck 2006, S. 561).
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Beispielsweise zog die schleswig-holsteinische CDU-Landtagsfraktion einen Normenkontrollantrag gegen das Landeshaushaltsgesetz 2003 unmittelbar nach dem Regierungswechsel im Mai 2005 zurück (Neidhardt 2010, S. 141).
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Vgl. zur Diskussion und den einschlägigen Entscheidungen, ob eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auch auf Ebene eines einzelnen Bundeslandes vorliegen kann: Neidhardt (2010, S. 110 ff.).
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Das Gericht akzeptierte auch nicht die von der Regierung dargelegte ernsthafte Störung des gesamtwirtschaftlichen Teilziels hoher Beschäftigungsstand. Der zur Begründung angeführte Maßstab der Vollbeschäftigung sei angesichts einer langjährigen hohen Arbeitslosigkeit ungeeignet. Zudem sei die Zahl der Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen auf den niedrigsten Stand seit 1992 gesunken (VerfGHNRW, Urt. vom 12.3.2013, Az. 7/11, 48).
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Die CDU-Fraktion vermutete deshalb, dass dem Haushaltsgesetzgeber weniger an einer Bekämpfung einer vermeintlichen konjunkturellen Störung gelegen sei als an einer Abmilderung der bundesstaatlichen Vorwirkungen der Schuldenbremse in kommenden Haushaltsjahren – gemäß Art. 143d GG müssen die Länderhaushalte so aufgestellt werden, dass die Schuldenbremse im Jahr 2020 eingehalten werden kann. Die Landesregierung bewies daraufhin, dass man den gleichen Sachverhalt auch wesentlich freundlicher ausdrücken kann: Die Vorsorgemaßnahmen des Nachtragshaushalts 2010 führten ihr zufolge keinesfalls zu einer Umgehung der Vorgaben der Schuldenbremse. Vielmehr entlasteten sie die künftigen Haushaltsgesetzgeber und trügen deshalb maßgeblich dazu bei, das Ziel kreditfreier Haushalte zu erreichen (VerfGHNRW, Urt. vom 15.3.2011, Az. 20/10, 18 f.).
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Auf Basis dieser Entscheidung erhielten Bremen und das Saarland von 1994 bis 2004 insgesamt 15,2 Mrd. EUR Bundesergänzungszuweisungen zur Haushaltssanierung (Hildebrandt 2009, S. 42).
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Diese Modifizierung des Kreditbegrenzungsgebots entwickelte das Gericht als obiter dictum, als eine Rechtsansicht, die nicht der Urteilsbegründung dient. Das Gericht entschied, dass das Berliner Haushaltsgesetz 2002/2003 verfassungswidrig sei, weil der Gesetzgeber nicht hinreichend dargelegt habe, inwiefern die erhöhte Kreditaufnahme dazu geeignet gewesen sei, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Darüber hinaus führte es an: „Soweit die Nichteinhaltung des Kreditbegrenzungsgebots für die Haushaltsjahre 2002 und 2003 auf eine bereits eingetretene extreme Haushaltsnotlage zurückzuführen sein könnte, hat der Haushaltsgesetzgeber die ihn diesbezüglich treffende Darlegungslast jedoch nicht erfüllt.“ (BerlVerfGH, Urt. vom 31.10.2003, Az. 125/02, Rn. 87)
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„Die innerhalb eines Schuldverhältnisses zu erbringende Leistung ist unmöglich, wenn sie vom Schuldner endgültig nicht erbracht werden kann […]. Bei der Unmöglichkeit einer Leistung ist zwischen objektiver U. (die L. ist niemandem möglich, z. B. die Sache ist untergegangen) und subjektiver U. (auch Unvermögen genannt, die L. ist nur dem Schuldner unmöglich, z. B. die Sache gehört einem Dritten) […] zu unterscheiden“ (Creifelds 1997, S. 1306).
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Die Berücksichtigung der konjunkturellen Lage sowie die Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen ist eine Kann-Bestimmung. Verzichten die Länder auf eine landesrechtliche Regelung, gilt für sie ab 2020 ein striktes Verbot der Neuverschuldung. Bis dato haben alle Länder bis auf Berlin, Brandenburg und das Saarland die Schuldenbremse in Landesrecht überführt.
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Die Produktionslücke ist definiert als die Unter- oder Überauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten, die Budgetsensitivität als Wirkung der Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Aktivität auf die Staatseinnahmen (Hildebrandt 2016, S. 117).
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Hildebrandt, A. (2020). Wen kümmert die Verschuldung? Landesverfassungsgerichte und Haushaltsrecht. In: Reutter, W. (eds) Verfassungsgerichtsbarkeit in Bundesländern. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28961-4_13
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