Zusammenfassung
Der Beitrag skizziert, wie globalisierende Wettbewerbsstrukturen und unternehmerische Stadtpolitiken ineinandergreifen und zu urbaner Peripherisierung und Privatisierung bzw. Kommerzialisierung öffentlicher Räume beitragen. In Gentrifizierungsprozessen, die maßgeblich über das Inwertsetzen von öffentlichen Räumen verlaufen, verbindet sich das unumstrittene Aufwertungsparadigma mit ordnungspolitischen Strategien, die oftmals zur Kriminalisierung und der direkten Ausschließung der ‚unerwünschten Anderen‘ führen. Der Zuzug von statushöheren Gruppen kann dabei über Distinktionsprozesse zu hierarchisierenden Nachbarschaften beitragen, die in eine indirekte Verdrängung aus dem Quartier mündet. Diese weitreichende Transformation von urbanem Leben und öffentlichen Räumen bedeutet für Aufsuchende Soziale Arbeit nicht nur dynamisch polarisierende Einsatzgebiete, sondern auch tief greifende Verschiebungen in fachlichen Ansätzen, professionellen Standards und sozialen Interventionsweisen.
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Notes
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Die Studie fand in enger Kooperation mit der Toynbee Hall, einem Nachbarschaftszentrum im Londoner Eastend und Teil der Settlementbewegung, statt. Viele Aktivistinnen arbeiteten bei der Erhebung und Auswertung der Studien mit, z. B. Clara Collet, Frauenaktivistin und Sozialreformerin, oder Beatrice Potter, Sozialforscherin und Mitbegründerin der London School of Economics and Political Science. Siehe https://booth.lse.ac.uk/.
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Die Festivalisierung der Großstadt über Konzerte, Kunsthandwerk, Sportevents, Weihnachtsmärkte etc. findet an zentralen Plätzen und Freiräumen statt, dort wo sich das Publikum versammelt und die Symbolkraft einer besonderen Urbanität weit über Stadtgrenzen hinaus strahlen kann.
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Kritisch ist festzuhalten, dass die Begriffe ‚Pionier*innen‘ und ‚Gentrifier*innen‘ des sogenannten „Invasions- und Sukzessionszyklus der Gentrifizierung“ bereits einer kolonial inspirierten Terminologie der Landnahme entspringt.
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Aus Perspektive der Wohnungslosenhilfe siehe auch Harner 2019.
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Das Konzept der ‚sozialen Durchmischung‘ fungiert als raumideologische Figur der Ausgrenzung, indem eine drohende ‚Abwärtsspirale‘ des Quartiers unterstellt wird, die mittels einer Heterogenisierung der Wohnbevölkerung und des Zuzugs statushöherer Gruppen beantwortet werden könnte. Über das Narrativ von abgehängten oder devianten Lebensführungen, von mangelnder Arbeits- und Bildungsmotivation oder von einer eingeschränkten ‚Wohnfähigkeit‘ werden benachteiligende Lebenssituationen über die Kopplung von Quartier bzw. Wohnanlage und Bewohner*innen lokalisiert und zu selbstverschuldeten Problemen seiner Bewohner*innen umgedeutet. In dieser Rede von endogenen Problemen werden gesellschaftliche Ursachen sozialer Ungleichheit verschleiert und de-thematisiert. Es ist die Bewertung der Segregationstendenzen als massiv und ihrer Folgewirkungen als desintegrierend für die betroffene Bevölkerung, über die der verstärkte Zuzug von leistungsorientierten und einkommenshöheren Gruppen sowie kontrollierende Interventionen legitimiert werden. Es sei hier darauf hingewiesen, dass der ‚Erfolg‘ von Durchmischungspolitiken wissenschaftlich kritisiert wird und der Nachweis, ob Dekonzentrationstendenzen die Lage ärmerer Bevölkerungsgruppen entscheidend verbessern können, nicht gelingt (vgl. z. B. Steinberg 2010, S. 215–220).
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Diebäcker, M. (2020). Städtewachstum und Gentrifizierung: Die Verräumlichung sozialer Ungleichheit und die Transformation öffentlicher Räume. In: Diebäcker, M., Wild, G. (eds) Streetwork und Aufsuchende Soziale Arbeit im öffentlichen Raum. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28183-0_2
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