Zusammenfassung
Die Gedächtnishaftigkeit musikkultureller Praxis dokumentiert sich im Sammeln, Archivieren und Verfügbarmachen musikalischer Erzeugnisse und in der intergenerationellen Weitergabe von Wissen, das für ihre Herstellung erforderlich ist. Gleichzeitig kommen in den situativen Arrangements der Musikausübung individuelle Gedächtnisleistungen zum Tragen. Der Beitrag stellt theoretische Konzepte vor und beleuchtet historische Entwicklungen, die den gedächtnissoziologischen Blick auf Musik schärfen und für Fragestellungen jenseits disziplinärer Grenzen sensibilisieren.
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Notes
- 1.
Nachfolgend sei angesichts der Begrenztheit eines Artikels der Fokus auf diesen künstlerisch-kulturellen Traditionszusammenhang gelegt. Zur Überlieferung von Musik in anderen geographischen und (erinnerungs-)kulturellen Räumen siehe etwa Bohlman (2013).
- 2.
Das Phänomen der musikalischen Repräsentation von Macht ist prinzipiell auf die kirchlicheSphäre übertragbar (siehe bspw. Pietschmann et al. 2012).
- 3.
Zum Verständnis von Medien als Institutionen siehe grundlegend Künzler et al. (2013).
- 4.
Vorliegend wird der erinnerungskulturelle Zusammenhang von bürgerlicher Lebenswelt und nationalistischer Orientierung anhand historischer Entwicklungen im deutschsprachigen Raum behandelt. Die kulturprogrammatischen Positionen, die mit ihm verknüpft sind, treffen im Grundsatz auf andere Sprachräume und Nationen zu (siehe Bohlman 2004).
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Tiefgreifende Auswirkungen hatten die neuen (Re-)Produktionstechniken nicht zuletzt auch auf die ästhetischen Erscheinungsformen der populären Musik, die noch heute untrennbar mit den Gestaltungsräumen verbunden sind, die durch moderne Medientechnologien eröffnet werden (vgl. Bennett 2018; Gracyk 1996; Michielse 2016).
- 6.
- 7.
Mit dem Vaporwave-Genre lässt sich gar ein Beispiel anführen, das wesentlich auf Onlinekommunikation aufbaut und sich in ästhetischer Hinsicht aus dem (zitierenden) Aufrufen vergangener Stilfigurationen speist (siehe Whelan 2020).
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Jost, C. (2021). Musik. In: Berek, M., et al. Handbuch Sozialwissenschaftliche Gedächtnisforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26593-9_72-1
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