Zusammenfassung
Szenen gelten mittlerweile als „juvenile Gesellungsgebilde“, die sich sehr altersheterogen zusammensetzen. Dies gilt insbesondere für Szenen, die seit vielen Jahrzehnten existieren. In der Jugendkultur-/Szeneforschung wurde aber bislang die Frage der inter- und transgenerationalen Aushandlungen nur marginal thematisiert. Daher skizziert der Beitrag aufbauend auf eine dreijährige Grounded-Theory-Studie zu Punk-Zines 1) den Wert des Generationen-Konzepts für die Darstellung von Szenegeschichte(n) und 2) die ambivalenten, spannungsreichen (inter- und transgenerationalen) Beziehungen, die sich entlang elementarer Szeneaushandlungen zu (Streit-)Themen wie Musik und Politik dokumentieren. Plädiert wird für die Berücksichtigung komplexer generationaler Bezugnahmen, um ein differenzierteres Verständnis von Szeneentwicklungen zu gewinnen sowie die Erforschung von Szenemedien als Alternative zu dominanten ‚Oral History‘-Darstellungen.
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Dem unterliegt die Vorstellung von einer emerged adulthood (Arnett 2000), d. h. dass in der Jugendzeit erstmalige Erfahrungen gemacht würden, sich Eindrücke bildeten und dadurch Haltungen artikulierten. Damit sei verbunden, dass Jugendliche sich erstmals ‚hypothetisch‘ innerhalb (sozialer) Relationen/Negationen und Alternativen (kritisch) positionieren würden.
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Zu den rhetorischen Merkmalen zählen: überindividuelle Adressierungsformen und „Stilprogramme“; Versuche der Integration (vermeintlich) geteilter Inhalte aus der Politik; die Reklamation eines (geteilten) ästhetischen Stils oder einer technischen Innovation. Ebenso finden sich Integrationen von Kollektivsymbolen und Generationenstars, z. T. sogar ganze „Generatiografien“, bei denen ‚Ich‘ und ‚Wir‘ zu einem unscharfen ‚generationellen Wir‘ verwischen (Bohnenkamp 2011, Kap. 5 und 6).
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Teil der Analyse war nicht die Materialität, die wir dezidiert auch mit der Berücksichtigung stofflicher Artefakteigenschaften verbinden würden. Unser Sample zeigte diesbezüglich keine substanziellen Ansatzpunkte – weder hinsichtlich des Fanzine-Papiers noch des Formats. Unser Eindruck ist, dass behauptete Materialitätsanalysen bei näherem Hinsehen oftmals die Rekonstruktion stofflicher Eigenschaften zugunsten rein symbolischer Zuschreibungen in Bezug auf Gegenstände vernachlässigen (Eisewicht 2016).
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Um Verwirrungen bzgl. der Szenebezeichnungen vorzubeugen: Das, aus einem Punk-Fanzine entlehnte, Beispiel zeigt, dass die szeneseitigen Etikettierungen mitunter fließend sind: der Text wechselt zwischen ‚Punk‘, ‚Hardcore‘ oder auch ‚Hardcore-Punk‘.
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Quellen (Bestand Archiv der Jugendkulturen e. V.)
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Plastic Bomb #1 (1993).
Trümmerhaufen #0 (1986).
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Mey, G., Dietrich, M. (2019). Szenen der (Un)Ordnung – eine Grounded-Theory-Analyse zu generationaler Ambivalenz im Punk. In: Böder, T., Eisewicht, P., Mey, G., Pfaff, N. (eds) Stilbildungen und Zugehörigkeit. Erlebniswelten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21661-0_5
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