Zusammenfassung
Das Fach Politik wird so oft fachfremd unterrichtet wie kaum ein anderes Schulfach. Und obwohl fachfremder Unterricht in der politikdidaktischen Diskussion oftmals aufgrund der fehlenden fachlichen und fachdidaktischen Kompetenz der Lehrer*innen problematisiert wird, wissen wir fast nichts darüber, wie diese Lehrer*innen arbeiten und Politikunterricht gestalten. In diesem Beitrag wird diese Forschungslücke aufgegriffen und Ergebnisse aus einer explorativen Untersuchung der Handlungsorientierungen von fachfremd unterrichtenden Politiklehrer*innen dargestellt. Damit wird ein erster Einblick in das implizite, handlungsleitende Wissen dieser Lehrer*innen gegeben. Grundlage dafür sind vier Interviews mit Lehrer*innen aus dem Sample meines Dissertationsprojektes, das sich mit der Frage der Orientierungen von Politiklehrer*innen zu Demokratie und Demokratie-Lernen beschäftigt.
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Notes
- 1.
D. h., es wurden keine autobiografisch-narrativen Interviews geführt, sondern an das Verfahren angelehnte themenzentrierte, narrative Interviews. Damit wird eher auf die Ursprünge der Methode zurückgegriffen: da wie Riemann (2011) erklärt, die Methode im Kontext einer Studie zur Erforschung von Gemeindemachtstrukturen entwickelt wurde. Dort wurden die Politiker*innen gebeten, die Geschichte des Streits zur Gebietsreform in ihren Gemeinden zu erzählen.
- 2.
Nohl (2009) hat eine Adaption der dokumentarischen Methode der Interpretation für verschiedene Interviewverfahren herausgegeben. Dargestellt wird dort die Auswertung narrativer Interviews und von Experteninterviews. Mensching arbeitet beispielsweise sowohl mit Gruppendiskussionen als auch themenzentrierten, narrativen Interviews, die sie mit der dokumentarischen Methode auswertet (Mensching et al. 2004, 2015).
- 3.
Der Begriff des „Orientierungsdilemmas“ wurde von Nentwig-Gesemann et al. (2011) im Rahmen der dokumentarischen Interpretation von berufsbiografischen Interviews entwickelt. Er bezeichnet dort eine vom Subjekt selbst als belastend erlebte Diskrepanz zwischen den eigenen berufsethischen Vorstellungen und Orientierungen und der gelebten Handlungspraxis. Nentwig-Gesemann (2013) macht darauf aufmerksam, dass Orientierungsdilemmata auch zu Handlungskrisen führen können, wenn Pädagog*innen dauerhaft entgegen den eigenen Überzeugungen und Idealvorstellungen arbeiten und keinen Raum für deren Entfaltung haben.
- 4.
Es werden hier lediglich Ergebnisse der dokumentarischen Interpretation stark komprimiert dargestellt. Die Zitate dienen der Illustration der Fälle. In der Transkription wurde zur Markierung des Sprecherwechsels jeweils ein Kürzel zugeordnet (Interviewerin Y, Lehrer*in Dm, Gm, Lw). Die Kürzel wurden dem Alphabet nach chronologisch entsprechend dem Erhebungszeitpunkt der Interviews vergeben; das nachgesetzte m bzw. w steht für das Geschlecht des Interviewpartners bzw. der -partnerin. Es gelten die Transkriptionsregeln nach Bohnsack (2010, S. 236 f.).
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Kessler, S. (2017). Fachfremder Politikunterricht – Ein explorativer Blick in die Handlungsorientierungen fachfremd unterrichtender Lehrer*innen im Fach Politik. In: Manzel, S., Schelle, C. (eds) Empirische Forschung zur schulischen Politischen Bildung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16293-1_6
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