Zusammenfassung
Die Erweiterung bzw. Ergänzung des methodologischen Kosmopolitismus nach Ulrich Beck um einen methodologischem Lokalismus steht bei Knut Petzold im Zentrum seines Diskussionsbeitrags. So geht Beck in seinem Ansatz von einem mittlerweile realisierten Kosmopolitismus infolge von internationalem Terrorismus, entterritorialisierten Protestbewegungen und weltumspannenden Klimaveränderungen aus. Aufgrund dieser Entwicklungen, haben der Nationalstaat und modern-dichotome Kategorisierungen nach einer Entweder-Oder-Logik (global vs. lokal, national vs. international etc.) mehr und mehr an Bedeutung verloren. Dementsprechend müssen sich auch die Sozialwissenschaften methodologisch weg vom Nationalismus bewegen und stattdessen kosmopolitische Forschungsdesigns entwickeln, die einer empirisch nachweislichen sowohl-als-auch-Logik entsprechen. Petzhold weist diese Beck’schen Annahmen und Forderungen nach einem einseitigen Mehr an Kosmopolitismus unter Rückgriff auf aktuelle empirische Studienergebnisse und zwei empirisch-ironisch gemeinte Anekdoten zur Berliner Integrationsdebatte um die ‚schwäbische‘ Bevölkerung und die Kennzeichenliberalisierung zurück. Dazu schränkt er das Kosmopolitismus-Konzept in seiner empirischen Bedeutung ein und erweitert dieses um einen empirisch nachweislichen Lokalismus, der weiterhin dualistisch, hierarisierend und kategorial operiere. Diversitätserfahrungen können Petzold zufolge sowohl Kosmopolitismus als auch Lokalismus verstärken. Diesen Befunden liege die Dringlichkeit der Entwicklung eines methodologischen Lokalismus zu Grunde, der zum methodologischen Kosmopolitismus komplementär sein sollte und aus einer pragmatischen Perspektive heraus von den lokalisierten Subjekterfahrungen, einschließlich ihrer potentiellen entweder-oder-Logiken und ihrer dualistischen Referenzsysteme ausgehe.
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Notes
- 1.
Bei Altkennzeichen handelt es sich um Kennzeichen, die bereits vor der erneuten Änderung der Fahrzeugzulassungsverordnung vergeben worden sind.
- 2.
Vgl. Petzold 2013c, 164 ff.
- 3.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Streben nach positiver sozialer Identität, wie es die SIT behauptet wird, schon mehrfach kritisiert wurde. Dabei wird vorrangig darauf verwiesen, dass nicht zwischen der Gruppenidentifikation und deren strategisch-instrumenteller Aufladung, der so genannten Salience, unterschieden wird. So zeigen neueren Forschungen, dass der Einfluss der Gruppenzugehörigkeit auf eine Fremdgruppenabwertung stark durch die Salience mediiert wird (Skrobanek 2004).
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Petzold, K. (2016). Vom methodologischen Kosmopolitismus zum methodologischen Lokalismus. In: Behrens, M., Bukow, WD., Cudak, K., Strünck, C. (eds) Inclusive City. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09539-0_6
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