Zusammenfassung
Im Zentrum des Aufsatzes stehen ostdeutsche Generationenverhältnisse, die mit Hilfe familienbiografischer Interviews analysiert wurden. Geklärt wird, ob und in welcher Weise sich hier ein Generationenwandel vollzieht und welche Bedeutung in der Verhältnisbestimmung zwischen den Generationen religiöse und weltanschauliche Vorstellungen und Praktiken haben. Die Befunde legen es nicht nahe, von einer Generation Ost zu sprechen. Die größere Zustimmung junger Ostdeutscher zu religionsnahen Fragen, die in den Statistiken zum Ausdruck kommt, offenbarte sich in unseren Interviews häufig als experimentelle Denkbewegung, selten als explizites Bekenntnis, das zur Grundlage eines gruppenbildenden Wir-Gefühls im Sinne des Mannheim’schen Generationsbegriffs werden könnte. Allerdings zeigt sich, dass Positionierungen im religiös-weltanschaulichen Bereich nach 1989 zum Kristallisationspunkt von Prozessen familiärer Selbstvergewisserung und wechselseitigen Irritationen zwischen den Familiengenerationen wurden. Gerade bei den transzendenten Spekulationen der Jüngeren zeigt sich, dass hier in Dimensionen gedacht wird, die den Eltern oft fremd sind. Deutlich wird aber auch, dass es in Familien vielfältige Mechanismen gibt, diese potentiell problematischen Differenzen zu ‚entschärfen‘, um die familiale Einheit zu stabilisieren.
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Notes
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Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung von 2008 weist 32 % Kirchenmitglieder und 68 % Konfessionslose aus. Die Zahlen, die sich auf religiöse Vorstellungen – bspw. den Glauben an einen Gott oder ein Leben nach dem Tod – beziehen, fallen noch eindeutiger zuungunsten der Religion aus (Petzoldt 2009, S. 126).
- 2.
Die nächsthohe Zustimmung findet sich mit 34 % bei den 30- bis 44-Jährigen und mit knapp 22 % bei den 75- bis 89-Jährigen (ALLBUS 2012, V 209; eigene Berechnungen). Ein ähnlicher, wenn auch nicht so stark ausgeprägter Befund ergibt sich bei der Frage nach der Relevanz von Magie, Spiritismus und Okkultismus. Während hier die durchschnittliche Ablehnung bei 80 % liegt, fällt sie in der jüngsten Altersgruppe mit 62 % signifikant niedriger aus (ALLBUS 2012, V 171). Differenzen zeigen sich auch im Hinblick auf das Votum, man solle sich primär an dem orientieren, was man mit dem Verstand erfassen könne und alles andere auf sich beruhen lassen (ALLBUS 2012, V 140).
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Die Bedeutung des Generationsbegriffes liegt für Bude (2000, S. 187) nicht zuletzt darin, dass er ihn als einen der „letzten Bezugspunkte für einen Wir-Begriff des Einzelnen“ ansieht, der eine „horizontale Identität der Weltauffassung und Weltbewältigung“ behauptet und auf diese Weise eine Alternative zu Konzepten wie „Klasse“ und „Nation“ darstellt. Vor dem Hintergrund der neueren gesellschaftlichen und historischen Entwicklungen hält Bude letztere Begriffe für nicht mehr tragfähig. Inwiefern die Selbstverortung von Akteuren als Angehörige einer spezifischen Generation tatsächlich Milieu- bzw. Klassengrenzen überschreitet oder ob nicht eine Generationsgestalt in milieu- wie auch in geschlechtsspezifischer Hinsicht variiert, ist jedoch eine Frage, die letztlich nur empirisch geklärt werden kann.
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Gestützt wird ein solches Generationenverständnis auch von der Familienforschung, da sie primär an der Familie als Teil milieuspezifischer Zusammenhänge interessiert ist und damit häufig unausgesprochen das Verbindende, Kontinuitätsstiftende in den Blick nimmt. Hier dominieren vor allem Arbeiten zur Beziehungsqualität und -dichte zwischen familialen Generationen, zu den materiellen und immateriellen Transferleistungen, den Formen familialer Solidarität und zu den familialen Sozialisations- und Interaktionsprozessen (Bertram 2000; Keppler 1994; Kühnemund und Motel 1999; Oevermann 1979; Szydlik 2001) und lassen eine Zusammenschau beider Generationskonzepte oder gar deren Verknüpfung nicht naheliegend erscheinen.
- 5.
Die Vor- und Nachnamen der Familien wurden geändert.
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Transkriptionsregeln: natürlich = auffällige Betonung; F/ = Konstruktions- oder Wortabbruch; […] = Auslassung; (.) = kurze Pause; (1) = Pause mit Sekundenangabe; (xxx) unverständliche Passage; (mit) = unsichere Transkription; *wirklich* = leise gesprochen; #daher# = laut gesprochen; „Wort“ = wörtliche Rede.
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Auf die Konstruktionsprozesse kollektiver Identitäten und ihre sozialen Funktionen hat in den letzten Jahrzehnten vor allem die Nations- und Ethnizitätsforschung hingewiesen. In der Debatte um die vermutete ostdeutsche Identität haben solche theoretischen Bezüge allerdings keine Rolle gespielt (dazu Karstein und Schmidt-Lux 2006).
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Allerdings gab es in unserem Material auch Familien, die ganz offensiv mit generationellen Unterschieden umgingen. Dabei kam auch der Generationenbegriff zum Einsatz und fungierte als ein Unterbrechungsbegriff, der markieren sollte, dass die Angehörigen verschiedener Generationen durch ganz unterschiedliche Lebensbedingungen und Erfahrungen geprägt sind. Aber diese Differenz wurde nicht als problematisch empfunden. Der Verweis auf die Generationszugehörigkeit von Familienmitgliedern diente in diesen Fällen – gerade umgekehrt – dazu, Familienmitglieder gewissermaßen zu entlasten. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von der „Strategie der Externalisierung“ (Wohlrab-Sahr et al. 2009, S. 103–108). Sie diente bspw. in einem Fall dazu, die Verstrickungen des Großvaters in das NS-System zu entschärfen. Dabei wurde dessen individuelle Geschichte während des Gesprächs zu einer kollektiven gemacht: nicht nur der eigene Großvater, sondern der Großteil dieser „alten Generation“ sei entsprechend politisch geprägt worden, das sei „selbstverständlich“ gewesen. Diese Zuschreibung erfolgt hier nicht in kritischer Absicht. Vielmehr dient die Zuordnung zu einer Generation der Exkulpierung des Verhaltens während der Nazi-Zeit.
Literatur
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Karstein, U., Wohlrab-Sahr, M. (2016). Religiöser Wandel als Generationenwandel? – Betrachtungen zum Generationenkonzept am Beispiel ostdeutscher Generationenverhältnisse. In: Matthäus, S., Kubiak, D. (eds) Der Osten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06401-3_2
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