Zusammenfassung
Das Thema Gewalt ist emotional und moralisch aufgeladen. Darüber zu forschen stellt daher besondere Anforderungen. Nicht selten wird versucht, um objektiv zu sein, eine „neutrale“ Position einzunehmen, aber diese gibt es nicht: Sobald die zu untersuchenden Phänomene „Gewalt“ genannt werden, ist eine Haltung dazu notwendig, und eine scheinbar neutrale Haltung wird das Gewaltgeschehen vom Blickwinkel des dominanten Teiles sehen. Zu vermeiden ist eine bewusste Stellungnahme nur, indem die Gewaltqualität des Geschehens ausgeklammert wird (und dies haben die Sozialwissenschaften lange getan, indem ungenau über „dysfunktionale Familien“ oder über „Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern“ geschrieben wurde). Dann aber wird eben nicht über Gewalt geforscht.
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Notes
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Der Einwand, „sexueller Missbrauch“ impliziere, dass es einen legitimen sexuellen Gebrauch von Kindern gibt, scheint mir oberflächlich, weder begriffsgeschichtlich erhärtet noch mit dem Gesetz und der Rechtsprechung heute zu belegen. Dass es verwerflich ist, Menschen als Mittel zum Zweck zu „gebrauchen“, hat schon Kant deutlich herausgearbeitet. Für die Opfer ist es zudem sehr wichtig, dass das, was ihnen widerfahren ist, gesetzeswidrig war und so benannt werden kann und soll. Auch der Begriff „Opfer“ ist aus ähnlichen Gründen unverzichtbar, da daraus Rechte folgen, die von der EU Victims‘ Direktive (2012/29/EU) gestärkt worden sind.
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Der erste Weltfrauenkonferenz fand 1975 in Mexico statt und war Auftakt zum UN Decade of Women 1976–1985; ein Hauptanliegen war die Entwicklung von CEDAW (Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, beschlossen 1979); Gewalt war kein explizites Thema der Konvention und rückte erst schrittweise in den zentralen Bereich der UN-Frauenpolitik.
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Dies geht auf eine Definition zurück, die von der Begleitforschung zum 1. Frauenhaus in Berlin vorgelegt wurde: „Als Misshandlung begreifen wir jeden Angriff auf die körperliche und seelische Integrität eines Menschen unter Ausnutzung einer gesellschaftlich vorgeprägten relativen Machtposition“; explizit einbezogen waren „sowohl das Machtverhältnis Mann/Frau wie auch das Machtverhältnis Erwachsene/Kind“ (Hagemann-White et al. 1981: 24).
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Zwar wird die Forschungsgruppe die Anonymität wahren, doch für Befragte, die im Interview das Erlebte neu erinnern und benennen, kann es ein dringendes Bedürfnis sein, mit anderen darüber zu sprechen.
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Für eine differenzierte Aufarbeitung des feministischen Parteilichkeitskonzepts vgl. Kavemann 1997.
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Die damalige Methodendiskussion ist in verdichteter Form nachzulesen bei Althoff et al. 2001, S. 39–96.
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Hagemann-White, C. (2016). Grundbegriffe und Fragen der Ethik bei der Forschung über Gewalt im Geschlechterverhältnis. In: Helfferich, C., Kavemann, B., Kindler, H. (eds) Forschungsmanual Gewalt. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06294-1_2
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