Zusammenfassung
„Yes, we gähn“: Mit dieser Entlehnung titelte die Bild-Zeitung am 14. September 2009, also dem Tag nach dem sogenannten TV-Duell zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier – einer Fernsehdebatte, die nach Meinung vieler Kommentatoren den Erwartungen einer lauen, lustlosen Konfrontation der beiden Spitzen der damaligen großen Koalition nur allzu gerecht wurde. Ein wenig „Ehen vor Gericht“ (Kamps 2009, S. 24) war es schon, nur fehlte die weltliche Würze. Beide Seiten resümierten die gemeinsam regierte Legislaturperiode und empfahlen sich – in welcher Konstellation auch immer – für neue Taten: Sinniger Höhepunkt eines „softigen Flausch-Wahlkampfs“, in dem das Streiten so schwer fiel, weil man es sich „in vier Jahren harmonischer Koalition ordentlich weggearbeitet“ hatte (Süddeutsche Zeitung vom 27.09.09). Der Wettbewerbscharakter der (in Deutschland stark parteipolitisch verhafteten) repräsentativen Demokratie, das öffentliche Beharken, Vorwerfen, Entgegnen und Absprechen, so der Grundtenor einer unisono von den Kampagnen 2009 gelangweilten politischen Publizistik, schien irgendwie abhanden gekommen zu sein.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Vgl. dazu das Interview mit Kurt Imhof in diesem Band sowie seinen Beitrag zusammen mit Patrik Ettinger.
- 2.
Vgl. hierzu auch den Beitrag zum Policy-Campaigning von Heike Scholten in diesem Band.
- 3.
So wird ein erheblicher Teil der Gesetze im Bundestag mit Zustimmung aller Fraktionen verabschiedet; (vgl. Marschall 2007, S. 145).
- 4.
Vgl. z. B. http://blogs.wsj.com/law/2007/09/27/the-origins-of-justice-stewarts-i-know-it-when-i-see-it/; ob der Satz so wörtlich gefallen ist oder die Legende der Zuspitzung etwas nachgeholfen hat, ist umstritten; als Bild mag es hier dennoch zitiert werden dürfen.
- 5.
Doch fügen wir gleich hinzu, dass Kommunikation „wohl in sehr vielen Fällen eine notwendige, aber nur selten eine hinreichende Bedingung für substanzielles politisches Geschehen, für die Ergebnisse von Politik ist“ (Saxer 1998, S. 22), dass also machtpolitische, ideologische oder auch ökonomische und soziale Faktoren eine wichtige Rolle spielen.
- 6.
So würden auch Gespräche in der Familie über Gesetze darunter fallen; wo aber genau der „erste Zugriff“ liegt, mag im Einzelnen schwer zu bestimmen sein; fraglich etwa auch, inwiefern Peer-Group-Kommunikation z. B. von Jugendlichen im Internet, die vordergründig nicht Politik als Thema hat, aber vielleicht die Formulierung von Verbindlichkeiten innerhalb der Gruppe, nicht auch schon aus einer Sozialisationsperspektive als Form politischer Kommunikation zu verstehen ist. Eingrenzen lässt sich politische Kommunikation also schwer – nicht nur ob des universellen Gestaltungsanspruchs der Politik, sondern auch wegen eines „long tail“ an (proto-)typischen Verhaltensweisen, denen man mittel- bis langfristigen Einfluss auf politisches Verhalten in engerem Sinne zusprechen mag; vorläufig lösen wollen wir das, wie im Fließtext geschehen, allein durch die Setzung und der Zuschreibung eines Objektbereichs, dessen Sinnhaftigkeit nur plausibel argumentiert werden kann.
- 7.
In der Bundesrepublik geschieht dies durch die Kommunikationsfreiheiten in Art. 5 GG; in der Schweiz über die Art. 16 (Meinungs- und Informationsfreiheit) und Art. 17 (Medienfreiheit) der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
- 8.
Man kann sich dies auch gut als Dreieck vorstellen, dessen Endpunkte durch die Modelle markiert sind. Nach der theoretischen Vorstellung von Hallin und Mancini liegen nun einzelne Länder wahrscheinlich nicht genau auf einem dieser Pole, sondern in der Nähe; vor allem aber sagt ihre Typologie, dass es höchst unwahrscheinlich sei, Länder zu finden, die in der Mitte dieses Dreiecks zu positionieren wären.
- 9.
Dabei ist das eigentliche Handeln einzelner Akteure lediglich eine Vorbedingung, nicht Kern der Analyse; diesen Kern macht vielmehr das aus, was dem einzelnen Handeln in Form von handelndem Zusammenwirken folgt; Schimank (Schimank 2007, S. 122) hat das einmal wie folgt illustriert: „Für sich genommen interessiert also beispielsweise nicht, warum ein Sportjournalist einen Dopingfall aufgreift und auf bestimmte Weise in einem Zeitungsartikel darstellt – oder warum er es unterlässt. Interessant ist vielmehr, wie dieser Artikel im Spektrum anderer die öffentliche Meinung mitprägt und daraus vielleicht über etliche Zwischenschritte bestimmte Entscheidungen der Sportverbände hervorgehen – oder warum das nicht passiert“.
Literatur
Almond, Gabriel, Sidney Verba. 1963. The civic culture: political attitudes and democracy in five nations. Princeton.
Bentele, Günter. 1998. Politische Öffentlichkeitsarbeit. In Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, Hrsg. U. Sarcinelli, 124–145. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Bernhard, Laurent, und Hanspeter Kriesi. 2011. Coalition formation. In Political communication in direct democratic campaigns. Enlightening or manipulating?, Hrsg. H. Kriesi, 54–68. London: Palgrave.
Burgert, Denis. 2009. Politisch-mediale Beziehungsgeflechte. Ein Vergleich politikfeldspezifischer Kommunikationskulturen in Deutschland und Frankreich. Münster: LIT Verlag.
Dahl, Robert A. 1959. Democracy and its critics. New Haven: Yale University Press.
Dahrendorf, Ralf. 1974. Aktive und passive Öffentlichkeit. Über Teilnahme und Initiative im politischen Prozess moderner Gesellschaften. In Zur Theorie der politischen Kommunikation, Hrsg. W. R. Langenbucher, 97–109. München: Piper Verlag.
Donges, Patrick. 2002. Rundfunkpolitik zwischen Sollen, Wollen und Können. Eine theoretische und komparative Analyse der politischen Steuerung des Rundfunks. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Donges, Patrick, und Otfried Jarren. 1999. Politische Öffentlichkeit durch Netzkommunikation? In Elektronische Demokratie? Perspektiven politischer Partizipation, Hrsg. K. Kamps, 85–108. Wiesbaden: Opladen.
Eichmann, Sarnhetal. 2011. Die Kommunikation in der Gesundheitspolitik. Netzwerk, Formel, Strategien. Universität Erfurt (Qualifikationsschrift).
Esser, Frank. 2010. Komparative Kommunikationswissenschaft. Working Paper No. 41. Zürich: National Centre of Competence in Research (NCCR).
Esser, Frank, und Barbara Pfetsch. 2004. Comparing political communication. Theories, cases, and challenges. Cambridge: Cambridge University Press.
Gerhards, Jürgen. 1994. Politische Öffentlichkeit. Ein system- und akteurstheoretischer Bestimmungsversuch. In Öffentlichkeit, öffentliche Meinung und soziale Bewegungen, Hrsg. F. Neidhardt. In Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 34:77–105. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Gerhards, Jürgen, und Friedhelm Neidhardt. 1990. Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit. Fragestellungen und Ansätze. Discussion Paper. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung GmbH.
Gurevitch, Michael, und Jay G. Blumler. 2004. State of the art of comparative political communication research: poised for maturity? In Comparing political communication. Theories, cases, and challenges, Hrsg. B. Pfetsch, 344–366. Cambridge: Cambridge University Press.
Habermas, Jürgen. 1992. Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag.
Hallin, Daniel, und Paolo Mancini. 2004. Comparing media systems. Three models of media and politics. New York: Cambridge University Press.
Hanitzsch, Thomas, und Josef Seethaler. 2009. Zur Wahrnehmung von Einflüssen im Journalismus. Komparative Befunde aus 17 Ländern. In Medien & Kommunikationswissenschaft 57 (4):153–173.
Jarren, Otfried, und Patrick Donges. 2002. Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag.
Kamps, Klaus. 2007. Politisches Kommunikationsmanagement. Grundlagen und Professionalisierung moderner Politikvermittlung. Wiesbaden: VS Verlag.
Kamps, Klaus. 2009. Ein überschätztes Ritual. politik & kommunikation 7(09):24–26.
Kamps, Klaus, und Heike Scholten. 2010. Kampagnen-Kommunikation von Verbänden: ein deutsch-schweizerischer Vergleich. In Handbuch Verbandskommunikation, Hrsg. R. Stahl, 275–292. Wiesbaden: VS Verlag.
Kaase, Max. 1998. Demokratisches System und die Mediatisierung von Politik. In Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft, Hrsg. U. Sarcinelli, 24–51. Bonn: Westdeutscher Verlag.
Koch-Baumgarten, Sigrid, und Katrin Voltmer. 2009. Policy matters – Medien im politischen Entscheidungsprozess in unterschiedlichen Politikfeldern. In Politik in der Mediendemokratie, Hrsg. B. Pfetsch, 299–319. Wiesbaden: VS Verlag.
Kriesi, Hanspeter. 2011. Political communication in direct democratic campaigns: enlightening or manipulating? Basingstoke: Palgrave.
Kriesi, Hanspeter, Laurent Bernhard, und Regula Hänggli. 2007. Political strategies in direct-democratic campaigns. Working Paper No. 8. Zürich: National Centre of Competence in Research (NCCR).
Lijphart, Arend. 1999. Patterns of democracy. Governement forms and performance in 36 countries. New Haven: Yale University Press.
Löffelholz, Martin. 1999. Perspektiven politischer Öffentlichkeit. Zur Modellierung einer system- und evolutionstheoretischen Perspektive. In Elektronische Demokratie? Perspektiven politischer Partizipation, Hrsg. K. Kamps, 263–279. Opladen, Wiesbaden: VS Verlag.
Luhmann, Niklas. 1970. Öffentliche Meinung. Politische Vierteljahresschrift 11(1):2–28.
Marschall, Stefan. 2007. Das politische System Deutschlands. Konstant.
Mayntz, Renate, und Fritz W. Scharpf. 1995. Der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus. In Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, Hrsg. F. W. Scharpf, 39–72. Frankfurt a. M.: Campus Verlag.
McNair, Brian. 1995. Political communication bundle: an introduction to political communication. New York: Routledge.
Neidhardt, Friedhelm. 1994. Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. In Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 34(46):7–41.
Neuberger, Christoph. 2007. Beobachten, Beeinflussen und Verhandeln via Öffentlichkeit: Journalismus und gesellschaftliche Strukturdynamik. In Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlagen und theoretische Innovation, Hrsg. C. Schlüter, 139–161. Wiesbaden: VS Verlag.
Pfetsch, Barbara. 2003. Politische Kommunikationskultur. Eine vergleichende Untersuchung von politischen Sprechern und Journalisten in der Bundesrepublik und den USA. Opladen: VS Verlag.
Pfetsch, Barbara. 2004. From political culture to political communications culture: a theoretical approach to comparative analysis. Comparing political communication. Theories, cases, and challenges, Hrsg. B. Pfetsch, 344–366. Cambridge: Cambridge University Press.
Pfetsch, Barbara, und Peter Maurer. 2008. Mediensysteme und politische Kommunikationsmilieus im internationalen Vergleich: Theoretische Überlegungen zur Untersuchung ihres Zusammenhangs. In Medien- und Kommunikationsforschung im internationalen Vergleich, Hrsg. G. Melischek, 99–119. Wiesbaden: VS Verlag.
Sabatier, Paul A., und Hank C. Jenkins-Smith. 1995. Policy change and learning: an advocacy coalition approach. Boulder: Westview Press.
Sarcinelli, Ulrich. 1998a. Legitimität. In Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch, Hrsg. U. Saxer, 253–267. Wiesbaden: VS Verlag.
Sarcinelli, Ulrich. 1998b. Repräsentation oder Diskurs? Zeitschrift für Politikwissenschaft 8(2): 549–569.
Saxer, Ulrich. 1998. System, Systemwandel und politische Kommunikation. In Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch, Hrsg. U. Saxer, 21–64. Wiesbaden: VS Verlag.
Schimank, Uwe. 2005. Differenzierung und Integration der modernen Gesellschaft. Beiträge zur akteurszentrierten Differenzierungstheorie 1. Wiesbaden: VS Verlag.
Schimank, Uwe. 2006. Teilsystemische Autonomie und politische Gesellschaftssteuerung. Beiträge zur akteurszentrierten Differenzierungstheorie 2. Wiesbaden: VS Verlag.
Schimank, Uwe. 2007. Handeln in Konstellationen: Die reflexive Konstitution von handelndem Zusammenwirken und sozialen Strukturen. In Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlagen und theoretische Innovation, Hrsg. C. Schlüter, 121–137. Wiesbaden: VS Verlag.
Schimank, Uwe. 2010. Handeln und Strukturen. Einführung in die akteurstheoretische Soziologie. Weinheim, München: Beltz Juventa.
Siebert, Fred S., Theodore Peterson, und Wilbur Schramm. 1956. Four theories of the press. The Authoritarian, Libertarian, Social Responsibility and Soviet Communist Concepts of what the press should be and do. Chicago: University of Illinois Press.
Weischenberg, Siegfried. 1992. Journalistik. Theorie und Praxis aktueller Medienkommunikation. Opladen: VS Verlag.
Wendelin, Manuel, und Maria Löblich. 2013. Netzpolitik-Aktivismus in Deutschland. Deutungen, Erwartungen und Konstellationen zivilgesellschaftlicher Akteure. Medien & Kommunikationswissenschaft 61(1):58–75.
Wuggenig, Ulf. 1993. Öffentlichkeit und öffentliche Meinung. Die soziologische Perspektive. In Konzepte von Öffentlichkeit. 3. Lüneburger Kolloquium zur Medienwissenschaft, Hrsg. W. Faulstich, 16–28. Lüneburg: Wissenschaftler-Verlag.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2014 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Kamps, K., Scholten, H. (2014). Politische Kommunikation in Wahl- und Referendumsdemokratien. In: Scholten, H., Kamps, K. (eds) Abstimmungskampagnen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93123-4_4
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-93123-4_4
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-16660-5
Online ISBN: 978-3-531-93123-4
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)