Mit dem modular aufgebauten M2XPro-Sensor hat Continental eine skalierbare Ortungseinheit entwickelt. Sie bestimmt laufend die Position und die Fahrdynamikdaten eines Fahrzeugs. Werden diese Positionsdaten mittels Car-to-X-Kommunikation im Nahfeld (Short Range) verfügbar gemacht, so ist ein frühzeitiges Erkennen von Gefahren möglich — und damit ein zusätzlicher Sicherheitsgewinn.

Motivation

Umfeldsensoren bilden heute einen wichtigen Teil der aktiven Fahrsicherheit: Aufbauend auf den Sensordaten können moderne Fahrerassistenzsysteme unterstützend eingreifen. Genau wie die sensorische Wahrnehmung des Menschen unterliegen allerdings auch Umfeldsensoren physikalischen Einschränkungen. Technische Eigenschaften des verwendeten Sensorprinzips, ungünstige Streckentopografien wie Kurven oder Kuppen sowie schwierige Licht- und Wetterbedingungen bewirken in der Summe, dass die Reichweite eines Fahrzeugsensors vielfach nicht über der des menschlichen Auges liegt.

Will man die Fahrsicherheit weiter steigern, so gilt es, diese Sichtweitenbeschränkung aufzuheben, um mehr Reaktionszeit für Informationen und Warnungen an den Fahrer sowie für ADAS-Eingriffe zu gewinnen. Integrierte Sicherheitskonzepte wie ContiGuard setzen deshalb auf einen erweiterten Horizont für ADAS-Funktionen. Die technische Grundlage dafür bietet die Car-to-X, Car-to-Car-beziehungsweise Car-to-Infrastructure-Kommunikation. Das Prinzip ist bekannt: Durch dynamische Vernetzung von Fahrzeugen können sicherheitsrelevante Informationen eines Fahrzeugs nahezu in Echtzeit an in der Nähe befindliche Fahrzeuge, an die Verkehrsinfrastruktur (zum Beispiel Ampeln) oder an internetbasierte Verkehrsdienste weitergemeldet werden, Bild 1.

BILD 1
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Car-to-X-Kommunikation

Der wesentliche Eckpfeiler eines solchen erweiterten Horizonts ist neben einer funktionierenden Car-to-X-Kommunikation die zuverlässige Fahrzeugortung. Continental nutzt dafür den „Motion Information to X Provider“ (M2XPro). Dieser Sensor baut teilweise auf Erfahrungen im Rahmen des simTD-Projekts auf (Sichere Intelligente Mobilität — Testfeld Deutschland), mit dem die Alltagstauglichkeit der Car-to-X-Kommunikation durch einen großen Feldversuch nachgewiesen wurde [1]. M2XPro stellt anderen Steuergeräten Positions- und Bewegungsinformationen des Ego-Fahrzeugs sowie eine präzise Zeitbasis zur Verfügung.

Ausgangssituation und Aufgabenstellung

Eine zentrale Herausforderung der Fahrzeugortung besteht darin, die gewünschte Information jederzeit zuverlässig zur Verfügung stellen zu können. Es genügt nicht, in wenigen, von zahlreichen Faktoren bestimmten Einzelsituationen konkrete Genauigkeitswerte zu erreichen. An der Spitze der Prioritätenpyramide steht die Zuverlässigkeit der Ortung, gefolgt von der Verfügbarkeit sowie der qualifizierten Genauigkeit der Positionsdaten. Viele der Daten, die für eine Ortung erforderlich sind, liegen im Fahrzeug bereits vor: Neben den Werten eines Global Navigation Satellite Systems (GNSS, beispielsweise GPS, GLONASS, Galileo, Beidou) gehören dazu die Fahrdynamikdaten der im Fahrzeug verbauten Sensoren. Als Mindeststandard kann man bei neuen Fahrzeugen die Sensoren voraussetzen, welche für die elektronische Stabilitätskontrolle benötigt werden.

Beide Datenquellen auf sich allein gestellt unterliegen folgenden Einschränkungen:

  • — Satellitengestützte Ortungsdaten sind nicht permanent verfügbar, denn in vielen Fahrsituationen besteht keine Sichtverbindung zu Satelliten. Tunneldurchfahrten sowie Innenstädte mit hoher, dichter Bebauung („Urban Canyons“) zählen zu den typischen Gründen für einen vorübergehenden Signalverlust. Für sich genommen liefern GNSS-Ortungen oft nicht die erforderliche Genauigkeit. Nur unter günstigen Bedingungen erreicht die GNSS-Ortung eine Genauigkeit im Meterbereich.

  • — Fahrdynamikdaten liegen in vielen Fahrzeugen in unterschiedlichem Umfang und/oder überlappendem Informationsgehalt vor. Anders als bei der Umfeldsensorik, wo eine Fusion der Daten unterschiedlicher Sensoren (zum Beispiel Radar und Kamera) als gemeinsame Informationsgrundlage für unterschiedliche ADAS-Funktionen bereits üblich ist, fehlt bei Fahrdynamikdaten eine übergeordnete Auswertung. De facto sind die verwendeten Messprinzipien nicht nur teilweise redundant, sondern darüber hinaus auch heterogen und über mehrere unabhängige Sensoren verteilt. Damit ergeben sich sensorspezifische Verzugszeiten zwischen Messzeitpunkt und Bereitstellung der Daten. Bereits heute dienen Fahrdynamikdaten bei GNSS-Signalverlust dazu, die Fahrzeugposition weiterhin zu bestimmen (Dead Reckoning), indem vom Zeitpunkt des Signalverlusts an die gemessenen Beschleunigungen und Drehraten des Ego-Fahrzeugs zur Berechnung der Positionsveränderung genutzt werden. Je länger der Verlust des Satellitensignals anhält, desto größer kann die Abweichung der errechneten von der tatsächlichen Position werden.

Systembeschreibung und Bestandteile

Vor diesem Hintergrund ermöglicht die modulare Architektur des M2XPro den Aufbau einer echtzeitfähigen Fusion und Qualitätsbeschreibung der Ortungs- und Fahrdynamikdaten. Der Sensor kann modellspezifisch konfiguriert und damit passgenau in eine bestehende Fahrzeugarchitektur integriert werden:

  • — Sind keine Fahrdynamiksensoren im Fahrzeug vorhanden, so kann M2XPro mit einer 6D-Inertialmesseinheit ausgerüstet werden. Sie erfasst sowohl die Beschleunigung entlang jeder Raumachse als auch die Drehrate um jede Raumachse (longitudinal, lateral und vertikal).

  • — Sind im Fahrzeug Fahrdynamiksensoren verbaut, beispielsweise für ESC, so werden diese verwendet.

  • — Informationen der Raddrehzahlsensoren und von einem Lenkwinkelsensor werden ebenfalls verarbeitet, Bild 2.

  • — Die verwendeten Satellitendaten stammen von einer intelligenten GNSS-Antenneneinheit.

  • — Ein Algorithmus leistet die eigentliche Datenfusion aus Fahrdynamikdaten, GNSS-Code- und Trägerphasenmessung sowie Odometriemessungen (zurückgelegte Strecke berechnet aus gemessenen Radwinkelimpulsen). Bei dieser Fusion werden die unterschiedlichen Verzugszeiten der jeweiligen Sensoren kompensiert und mit einem einheitlichen Zeitstempel, basierend auf der GNSS-Zeit, versehen. Durch die Fusionierung der Daten und die dabei genutzte Möglichkeit zur wechselseitigen Plausibilisierung und Korrektur steigt die Genauigkeit der Ortung, Bild 3.

  • — Falls im Fahrzeug keine Infrastruktur für die Car-to-X-Kommunikation vorhanden ist, kann der M2XPro mit einer Einheit für die hybride drahtlose Kommunikation (Automotive WLAN und UMTS/LTE) mit anderen Fahrzeugen, mit der Verkehrsinfrastruktur und dem Internet kombiniert werden. Das Modul entspricht in seinem Funktionsumfang in etwa der von Continental im Rahmen von simTD entwickelten Communication Control Unit.

BILD 2
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Aktuell berück sichtigte Datenquellen für M2XPro

BILD 3
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Schematische Darstellung des Fusionsverfahrens bei M2XPro

Signalqualität der Ortung und Beispiel

Aufgrund eigener Forschung und Entwicklungsarbeit sind die hohen Anforderungen an die Ortung eines Fahrzeugs bei Continental im Detail bekannt. Daher wird zusätzlich zur berechneten Fahrzeugposition die Dimension und Lage einer Ellipse ausgegeben, innerhalb der sich mit einer Konfidenz von 95 % die wahre Fahrzeugposition befindet, Bild 4. Diese Ortung sollte mit einer Frequenz von beispielsweise 10 Hz erfolgen und sich auf eine Zeitbasis von wenigen Millisekunden Genauigkeit beziehen [2].

BILD 4
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Schematische Darstellung der 95-%-Konfidenzellipse

Deshalb bestand von Anfang an ein Entwicklungsziel darin, eine Metrik zur Beschreibung der Signalqualität zu entwickeln. Realistisch gesehen hängt die Ortungsgenauigkeit von derart vielen Einflussgrößen ab, dass es wesentlich wichtiger ist, qualifizieren zu können, welche Qualität das Signal aktuell hat, als einzelne Spitzenwerte zu beziffern. Folgeanwendungen können so selbst „entscheiden“, ob sie ihre Funktion noch ausführen, oder die Entscheidung an den Fahrer abgeben müssen. Dies ist im Hinblick auf die Entscheidung über einen autonomen Systemeingriff oder eine automatisierte Fahrzeugführung relevant.

Um Verbesserungen der Genauigkeit und auch der Fehlererkennung in der Ortung zu erzielen, kommen umfangreiche Filterfunktionen und Plausibilitätsprüfungen sowie gegebenenfalls Korrekturdaten (GNSS) zum Einsatz. Für alle bereitgestellten Daten wird eine Beschreibung der Signalqualität in seiner Integrität und Genauigkeit mitgeliefert:

  • — Eine hohe Integrität bedeutet dabei, dass die Messwerte und Filterzustände konsistent sind. Zusätzlich wird für als konsistent betrachtete Messdaten ein Vertrauensmaß für den maximalen Fehler der fusionierten Daten berechnet. Tritt dagegen eine Inkonsistenz auf, so wird eine definierte Irrtumswahrscheinlichkeit ausgegeben.

  • — Das Genauigkeitsmaß beziehungsweise Konfidenzintervall beschreibt, wie groß der Fehler des ausgegebenen Wertes höchstens ist.

Um die Funktionsweise der Datenfusion im M2XPro-Algorithmus in der Fahrpraxis zu prüfen, wurden umfangreiche Fahrtests absolviert. Zu den ausgewählten Testfällen gehört eine Durchfahrt durch den sogenannten Theatertunnel in Frankfurt am Main, Bild 5. Zusätzlich zu der vollständigen Abschattung der GNSS-Signale im Tunnel kommt hier als Erschwernis hinzu, dass auch nach der Tunnelausfahrt noch eine kurze Phase der Störung durch Hochhäuser besteht. Eine Positionskorrektur aus dem GNSS geht daher nur mit sehr schwacher Gewichtung in die Fusion ein. An der unter diesen Umständen erreichten Ortung lässt sich ablesen, wie wirksam das Fusionsverfahren mit seinen Plausibilisierungsroutinen bereits ist. Natürlich stellt dieses Messergebnis nur einen isolierten Einzelwert dar, für den die oben gemachten Einschränkungen gelten. Es zeigt aber das Potenzial in einer Ortungssituation, die als Worst Case gelten kann.

BILD 5
figure 5

Testszenario der Durchfahrt durch den Frankfurter Theatertunnel

Fazit und Ausblick

M2XPro ermöglicht eine zuverlässige und sichere Lokalisierung mit hoher Verfügbarkeit und hohem Integritätsmaß. Durch Fusion von GNSS-Daten mit Lenkwinkel- und Fahrdynamiksensoren (Raddrehzahl, Beschleunigung und Drehrate) wird eine Ortung auch bei schlechtem oder fehlendem Satellitenempfang möglich. Die Zusatzinformation über die Integrität und Genauigkeit der Ortung ermöglicht es Folgeanwendungen, fundiert über Regelgrenzen zu entscheiden. Gegenüber der heute üblichen Optimierung der Ortung zum Zweck der Makronavigation (Zielerreichung) ermöglicht M2XPro den Einstieg in die Mikronavigation, mit der eine Längs- und Querführung des Fahrzeugs ohne Kollision oder Abkommen von der Fahrbahn erreicht werden soll. Im Zuge der weiterlaufenden Entwicklung wird M2XPro auch für das automatisierte Fahren wichtige Informationen über die Fahrzeugposition und -bewegung liefern. Um die heute noch unvermeidlichen Positions- und Heading-Fehler bei längerem Dead Reckoning weiter zu verringern und eine stets fahrstreifengenaue Ortung zu ermöglichen, können langfristig weitere Datenquellen in die Fusion einbezogen werden. Eine vielversprechende Option ist die Plausibilisierung der aktuellen Position und Bewegung durch kamera- und/oder radarbasierte Umfeldmodelle mit objektbasierten Informationen und Map-Matching. Durch den modularen Aufbau des M2XPro-Sensors ist die Architektur dahingehend auf verschiedene Systeme mit unterschiedlichen Sensorkonfigurationen erweiterbar.

Diese erweiterte Fusion kann helfen, auch bei schlechtem oder fehlendem Satellitensignal eine hohe Lokalisierungsgenauigkeit zu ermöglichen.