Zusammenfassung
Dieser Aufsatz zeichnet aus einer ordonomischen Perspektive nach, wie das Revival der Tugendethik seit den späten 1950er-Jahren eine philosophische Literatur tugendethischer Marktkritik hervorgebracht hat, die von Ökonomen argumentativ zurückgewiesen und in Form einer Tugendethik des Marktes konstruktiv überboten worden ist. Besonders betont wird, inwiefern diese Entwicklung – die Rehabilitierung der Tugendethik innerhalb der ökonomischen Theorie – dazu beitragen kann, die doppelte Herausforderung des Kommunitarismus besser zu bewältigen. Diese besteht darin, auf die Gesellschaftsfähigkeit von Gemeinschaften ebenso zu achten wie auf die Gemeinschaftsfähigkeit der modernen Gesellschaft.
Dieser Aufsatz basiert auf einer Trilogie – vgl. Pies (2015a), (2016a) und (2017a) – sowie auf der leider erst nach Fertigstellung der Trilogie erfolgten Lektüre des außerordentlich empfehlenswerten Buches von Brennan und Jaworski (2016). Aus Platzgründen wird nur die wirtschaftsethische Renaissance der Tugendethik behandelt. Auf die unternehmensethische Renaissance der Tugendethik kann hier nur kurz hingewiesen werden. Vgl. z. B. Pies et al. (2014). Dort geht es um die Tugenden von Organisationen: um ihre moralische Integrität als korporative Akteure und um ihr politisches Engagement als Corporate Citizens.
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Notes
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Für eine kurze und präzise Darstellung tugendethischen Denkens vgl. Russell (2013). Zur antiken Tugendethik allgemein vgl. Kamtekar (2013). Einen instruktiven Vergleich zwischen der europäischen Tradition von Tugendethik und der chinesischen Tradition des Konfuzianismus liefert Ivanhoe (2013). Zur Entwicklung der Tugendethik im Mittelalter vgl. Porter (2013). Für einen Überblick zum historischen Niedergang der Tugendethik vgl. Frede (2013).
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Ein wichtiges Charakteristikum der ordonomischen Theorieperspektive besteht darin, dass sie vom Grundsatz her nicht eine, sondern zwei Fragen stellt, die sich spiegelbildlich zueinander verhalten. Zum einen fragt die Ordonomik nach der Moraltauglichkeit der modernen Gesellschaft(sstruktur). Zum anderen fragt sie nach der Gesellschaftstauglichkeit der modernen Moral(kommunikation). Diese doppelte Fragestellung zieht sich wie ein roter Faden durch den vorliegenden Artikel. – Buchpublikationen zur Ordonomik umfassen Pies (2008, 2009a, b, 2012a, 2015b) und (2016b). Für einschlägige Übersichtsaufsätze vgl. Pies (2014, 2015c, 2016c, d, 2017a, b, c, d).
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von Hayek (1988/1996, S. 15, H.i.O.). Aufbauend auf von Hayeks Problemdiagnose, haben die Ökonomen Clark und Lee (2011/2015a) in einem grundlegenden Aufsatz – für die deutsche Übersetzung vgl. Clark und Lee (2011/2015b) – einen gerade in kommunitarischer Hinsicht interessanten Ansatz entwickelt, der zwei Moralen unterscheidet: die auf den Mikrokosmos zugeschnittene Helfermoral und die auf den Makrokosmos zugeschnittene Marktmoral. Vgl. hierzu ausführlich Pies (2015a). Bedeutsam ist diese Unterscheidung, weil sie die übliche Frontstellung radikal verändert. An die Stelle von „Markt versus Moral“ tritt „Moral versus Moral“. Damit wird ein ethisches Kompatibilitätsproblem in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt: nämlich eben jene Diagnose Hayeks, dass es moralisch darauf ankomme, gleichzeitig in zwei Welten zu leben.
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Sandel (2013/2016b, S. 13 und 15).
- 11.
Sandel (2012a, S. 18).
- 12.
Sandel (2012a, S. 25).
- 13.
Sandel (2012a, S. 28).
- 14.
Sandel (2012a, S. 28).
- 15.
Sandel (2012a, S. 31).
- 16.
Sandel (2012a, S. 31).
- 17.
Sandel (2012a, S. 32).
- 18.
Sandel (2012a, S. 32).
- 19.
Sandel (2012a, S. 33).
- 20.
Sandel (2012a, S. 33).
- 21.
Sandel (2012a, S. 34).
- 22.
Sandel (2012a, S. 34).
- 23.
Sandel (2012a, S. 35).
- 24.
Sandel (2012a, S. 36 f.).
- 25.
Sandel (2012a, S. 37).
- 26.
Sandel (2012a, S. 39).
- 27.
Sandel (2009, S. 6).
- 28.
Sandel (2009, S. 7).
- 29.
Sandel (2009, S. 7).
- 30.
Sandel (2009, S. 7).
- 31.
Sandel (2009, S. 7 f.).
- 32.
Sandel (2009, S. 8).
- 33.
Sandel (2009, S. 8).
- 34.
Gegen Kant und Rawls macht Sandel (2009, S. 9 f.) geltend, dass es in politischen Debatten stets auch um Tugenden geht: um das, was ein gutes Leben ausmacht – sowie um das, was ein gutes Zusammenleben ausmacht. Unter Verweis auf Aristoteles argumentiert Sandel, das gute Leben benötige eine gute Gesellschaft, wie auch umgekehrt eine gute Gesellschaft tugendhafter Bürger bedürfe. Und dieser moralische Aspekt dürfe bzw. könne – hier changiert Sandel in seinen Formulierungen – nicht unterdrückt werden. Insofern geht es Sandel um eine tugendethische (Re-)Moralisierung politischer Debatten. So schreibt Sandel (2009, S. 9 f.) mit Blick auf die Argumente, die üblicherweise in politischen Auseinandersetzungen verwendet werden: „It’s true that most of our arguments are about promoting prosperity and respecting individual freedom, at least on the surface. But underlying these arguments, and sometimes contending with them, we can often glimpse another set of convictions – about what virtues are worthy of honor and reward, and what way of life a good society should promote. Devoted though we are to prosperity and freedom, we can’t quite shake off the judgmental strand of justice. The conviction that justice involves virtue as well as choice runs deep. Thinking about justice seems inescapably to engage us in thinking about the best way to live.“
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Interessanterweise fehlt das entscheidende Argument auch bei Brennan und Jaworski (2016, insbes. Kap. 17, S. 158–168), obwohl sie ein ganzes Buchkapitel darauf verwenden, Sandels Überlegungen zugunsten von Warteschlangen mit zahlreichen Einwänden zurückzuweisen.
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Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass hier nur eine kurzfristige Analyse vorgenommen wurde. Langfristig ist es so, dass im Markt preisbedingte Anpassungshandlungen vorgenommen werden, die dazu führen, dass sich nach Verarbeitung des Schocks der alte Gleichgewichtspreis wieder einstellt.
- 37.
Vgl. Pies (2015d).
- 38.
In dieser Hinsicht besonders relevant ist die Analyse von Lee (2015, S. 588). Er rekurriert ebenfalls auf die Informations- und Anreizfunktion von Marktpreisen, mit folgender Pointe: Für ihn kommen Gesetze gegen Preiswucher einem Maulkorberlass gleich, der es ausgerechnet den in Not geratenen Menschen verwehrt, wirksam nach Hilfe zu rufen: „[D]isaster victims need help from millions of people they don’t know and who don’t know them, and only the most naïve would expect those strangers to be motivated or able to provide the help needed without the information and motivation of uncontrolled market prices.“ Und weiter: „When price increases are allowed to reflect consumer demands, producers receive the information needed to respond appropriately to these questions and are motivated to do so. Laws against „price gouging“ are gag orders that make it illegal for disaster victims to call out for help in the most effective way possible to those with the greatest ability to provide the help at least cost.“ Vgl. zusätzlich Munger (2007) sowie Zwolinski (2008).
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Sandel (2009, S. 98).
- 40.
- 41.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 39).
- 42.
Bruni und Sugden (2013/2017a, S. 38).
- 43.
Bruni und Sugden (2013/2017a, S. 46).
- 44.
Bruni und Sugden (2013/2017a, S. 47 und 49, H.i.O.).
- 45.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 57 und 59).
- 46.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 61, H.i.O.).
- 47.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 61, H.i.O.).
- 48.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 63).
- 49.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 65).
- 50.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 67, H.i.O.).
- 51.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 71).
- 52.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 73 und 75).
- 53.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 75).
- 54.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 79, H.i.O.).
- 55.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 59).
- 56.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 63, H.i.O.).
- 57.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 73).
- 58.
Bruni und Sugden (2013/2017b, S. 81, H.i.O.). Dieses Argument hat bereits von Hayek (1976/1981, S. 131, H.i.O.) ausführlich ausgearbeitet: „Genau deshalb, weil wir alle im Kosmos des Marktes ständig Wohltaten empfangen, die wir in keinem Sinne moralisch verdient haben, sind wir verpflichtet, gleichermaßen unverdiente Einkommensminderungen ebenfalls hinzunehmen.“
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Zelizer (2011) liefert eine ganze Batterie höchst eindrucksvoller Beispiele, die das Vorurteil widerlegen, Geldgeschäfte führten zum Werteverfall. Interessanterweise hat auch Elizabeth Anderson (2004, S. 347) zu dieser Literatur einen wichtigen Beitrag geliefert. Sie macht darauf aufmerksam, dass die unpersönlichen Kreditmärkte moralisch als Fortschritt anzusehen sind: „[T]he capitalist transformation of creditor-debtor relations in the 18th century … enabled masses of people to obtain credit without moral opprobrium or social subordination.“ Während in vor-modernen Gesellschaften die Kreditnahme den sozialen Status des Kreditnehmers stark beeinträchtigte und ihn als Schuldner in ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis zum Kreditgeber brachte, begegnen sich die Vertragspartner auf einem modernen Kreditmarkt als Anbieter und Nachfrager auf gleicher Augenhöhe, ohne dass einer von ihnen durch dieses Geschäft als Person herabgewürdigt wird.
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Nussbaum (2010, S. xiii). Gegen Ende ihres Buches verweist Nussbaum (2010, S. 204 f.) auf einen historischen Lernprozess ihres Landes, in dem es gelungen ist, Ekelgefühle zu disziplinieren: „In race relations, we have made amazing and wonderful strides from the politics of disgust to the politics of humanity. I was brought up by a father … who seriously believed that it was unclean and contaminating for a white person to drink from a glass that had previously been used by a black person, or to use a toilet that had been used by a black person. Those ideas of contamination and taint, which once were enacted in law – in the Jim Crowe regime of separate drinking fountains, swimming pools, lunch counters – really do appear to have faded.“ Für eine Sammlung instruktiver Fallstudien, wie sich Prozesse des Wertewandels historisch vollzogen haben, vgl. Appiah (2010).
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- 62.
Brennan und Jaworski (2016, S. 221).
- 63.
Für das Argument, dass es eine wissenschaftliche Aufgabe ist, an Narrativen zu arbeiten, die eine konstruktive Kritik der modernen Gesellschaft ermöglichen, indem sie auf Lernprozesse zur wechselseitigen Anpassung von Ideen und Institutionen fokussieren, vgl. Pies (2017g).
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Pies, I. (2018). Die Rehabilitierung kommunitarischer Tugendethik in der ökonomischen Theorie – Eine ordonomische Argumentationsskizze. In: Reese-Schäfer, W. (eds) Handbuch Kommunitarismus. Springer Reference Geisteswissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16864-3_25-1
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