1 Problemaufriss

Im IQB-Ländervergleich 2011 konnte für die Grundschule festgestellt werden, dass sich die Kompetenznachteile von Schüler/innen mit Migrationshintergrund nach Kontrolle des sozioökonomischen Status und Bildungshintergrunds der Eltern zwar verringern, sich jedoch die zu Hause gesprochene Sprache weiterhin in den Leistungen der Schüler/innen niederschlägt. Dies trifft besonders dann zu, wenn in der Familie selten oder gar nicht Deutsch gesprochen wird (vgl. Haag et al. 2013). Der außerschulische sprachliche Input bzgl. der deutschen Sprache scheint somit eine zentrale Einflussgröße für den schulischen Bildungserfolg zu sein. Gleichzeitig ist bekannt, dass sich die sprachlichen Anforderungen in der Schule von denen außerhalb der Schule unterscheiden (vgl. Feilke 2012). Besonders der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule scheint eine „sprachliche Sollbruchstelle“ zu sein (Wildemann 2015, S. 202 f.), wenn von den jungen Lerner/innen ad hoc schul- und bildungssprachliche Fähigkeiten erwartet werden. Dass damit eine Veränderung des Sprachgebrauchs zu Ungunsten der Kinder mit Deutsch als Zweitsprache einhergehen kann, konnten Röhner und Oliva Hausmann (2007) im Rahmen einer Längsschnittstudie aufzeigen. Danach ging die sprachliche Produktivität der DaZ-Kinder in den ersten zwei Jahren der Grundschule im Vergleich zum Kindergarten deutlich zurück. Röhner und Oliva Hausmann führen dieses Ergebnis vor allem auf die spezifisch schulische Kommunikationssituation zurück (ebd., S. 80). Zu einem ähnlichen Resultat gelangt Ahrenholz (2010), der im Sachunterricht der Grundschule beobachten konnte, dass Kinder mit Deutsch als Zweitsprache zwar engagiert teilnehmen, jedoch häufiger als ihre monolingualen Altersgenossen an den bildungssprachlichen Anforderungen scheitern. Er konstatiert jedoch auch, dass bildungssprachliche Begriffe sowohl für monolingual deutsche als auch für multilinguale Grundschüler/innen eine Herausforderung darstellen (ebd., S. 32).

Betrachtet man die hier skizzierten Forschungsergebnisse, so stellt sich die Frage, ob Vorschulkinder, die Deutsch als ihre zweite Sprache erwerben – auch im Vergleich zu ihren einsprachig deutschen Altersgenossen – bereits über bildungssprachliche Fähigkeiten verfügen und inwieweit sie diese in Lernsituationen verwenden. Dieser Frage wird im Zuge des vorliegenden Beitrags nachgegangen.

2 Theoretischer Hintergrund/Stand der Forschung

2.1 Bildungssprache

Bildungssprache ist ein Konstrukt, das zur Erklärung verschiedener Phänomene dient (vgl. Rank 2016). Zum einen wird ein Sprachregister beschrieben; dies bedeutet „eine Art und Weise Sprache zu verwenden, die bestimmte formale Anforderungen beachtet. Sehr grob charakterisiert, kann man sagen, dass Bildungssprache auch dann, wenn sie im Mündlichen vorkommt, an den Regeln des Schriftsprachgebrauchs orientiert ist“ (Gogolin und Lange 2011, S. 111). Zum anderen ist mit diesem Terminus ein Anspruch verbunden: Mangelnde Kompetenz in der Bildungssprache hingegen gilt als Grund für das Scheitern von Kindern und Jugendlichen. Dies betrifft v. a. Schüler/innen mit Deutsch als Zweitsprache, da der Erwerb der Bildungssprache wohl gerade für sie eine besondere Hürde darstellt (vgl. Gogolin und Lange 2011), und schließlich wird vermutet, dass bildungssprachliche Kompetenzen in der Schule implizit häufig als Voraussetzung gelten, was wiederum einen weiteren Aspekt des Gatekeepings sowie institutioneller Diskriminierung ausmachen könnte (vgl. Cummins 2008; Gomolla 2011).

Die linguistischen Eigenschaften der Bildungssprache wurden von verschiedenen Autor/innen (Butler et al. 2004; Schleppegrell 2004; Gogolin und Lange 2011) beschrieben. Fokussiert werden hierbei vor allem die drei linguistischen Felder „Lexikon“, „Morphosyntax“ und „Sprachhandlungen“, die wesentlich für die bildungssprachliche Entwicklung zu sein scheinen (siehe dazu auch Sterner et al. 2014). Als typische Elemente von Bildungssprache gelten im Bereich der Lexik z. B. differenzierende und abstrahierende Ausdrücke, im Bereich der Morphosyntax unpersönliche Satzkonstruktionen und Funktionsverbgefüge sowie im Bereich der Sprachhandlungen Begründen und Vermuten.

Morek und Heller (2012, S. 70) differenzieren drei Funktionen der Verwendung dieses Begriffs: „Bildungssprache als Medium von Wissenstransfer (Kommunikative Funktion), Bildungssprache als Werkzeug des Denkens (Epistemische Funktion) und Bildungssprache als Eintritts- und Visitenkarte (Sozialsymbolische Funktion)“. Mit dem zunehmenden Gebrauch bildungssprachlicher Mittel – rezeptiv und produktiv – zur Wissensrepräsentation, erweitern die Lerner dann ihr fachliches Können und damit wiederum ihre bildungssprachlichen Fähigkeiten. „Wer Bildungssprache adäquat verwenden kann, der ist auch in der Lage zu den damit in Zusammenhang stehenden komplexen kognitiven Operationen (wie z. B. Abstraktion, Verallgemeinerung, Kausalität)“, so Morek und Heller (2012, S. 75).

2.2 Bildungssprache im Vorschulalter

Aus der Sprachentwicklungsforschung ist bekannt, dass Kinder im Verlauf der primärsprachlichen Entwicklung bereits umfassende und zum Teil komplexe sprachliche Fähigkeiten aufbauen (siehe dazu Kauschke 2012). Anscheinend gestaltet sich aber das bildungssprachliche Kapital, über das Eltern verfügen und welches sie ihren Kindern mitgeben, als äußerst divergent. Dies betrifft vor allem die interaktiven Sprachhandlungen, die bereits „Charakteristika der Schulsprache“ (Juska-Bacher und Nodari 2015, S. 26) aufweisen. Sie werden vorwiegend von bildungsnahen Eltern realisiert, sodass die Kinder schon frühzeitig rezeptive und produktive (bildungs)sprachliche Kompetenzen ausbilden können (vgl. ebd.). Ausschlaggebend ist dabei zunächst weniger, in welcher Sprache basale Fähigkeiten entwickelt werden (siehe dazu Ehlich et al. 2008). Quintessenz bisheriger Studien ist, dass für den Erwerb der Erstsprache v. a. das kommunikativ anregende, interaktive und herausfordernde Verhalten in der frühen Eltern-Kind-Interaktion zentral ist (Selimi 2013; Weinert et al. 2012). Dies gilt ebenso für die Interaktion zwischen pädagogischer Fachkraft und Vorschulkindern; bekannt ist aus jüngeren Studien, dass hier Einflüsse auf die Entwicklung von Wortschatz und Grammatik zu verzeichnen sind: So konnten Weinert und Ebert (2013) belegen, dass sich soziale Disparitäten nicht allein im Wortschatz, sondern auch in den grammatischen Kompetenzen Dreijähriger abbilden, und dass dies über die Kindergartenzeit Bestand hat. Welche Folgen dies für den schulischen Einstieg in Bildungssprache hat, ist bislang allerdings noch nicht ausreichend empirisch geklärt.

Auch Leseman et al. (2007) konnten den Einfluss des elterlichen Sprachverhaltens und der familiären Lesepraxis auf die Entstehung emergenter bildungssprachlicher Fähigkeiten (emergent academic language) nachweisen. Dazu ließen sie vierjährige Kinder (N = 68) eine Geschichte nacherzählen und analysierten die Narration der Kinder hinsichtlich erster bildungssprachlicher Elemente. Demnach sind bereits Kinder in diesem Alter in der Lage, bildungssprachliche Register wie beispielsweise kohäsive Mittel, Konnektoren und explizite Verweise zu produzieren. Als erklärende Variable erwiesen sich dabei der Bildungsgrad der Eltern – mediiert durch das elterliche Sprachverhalten – und das kindliche Arbeitsgedächtnis, wobei vom elterlichen Sprachverhalten deutlich höhere Effekte auf die bildungssprachlichen Fähigkeiten des Kindes ausgingen als vom sozioökonomischen Status. Leseman et al. (2007) konnten zudem feststellen, dass sich die familiäre mündliche Sprachpraxis vor allem auf lexikalischer Ebene, schriftbezogene Interaktionen hingegen vor allem auf morphosyntaktischer und textueller Ebene auswirken. Becker et al. (2013) konnten wiederum (für Kinder mit einem türkischen Sprachhintergrund) belegen, dass ein gutes elterliches Inputverhalten positive Einflüsse auf die kognitiven, sprachlichen und kulturellen Fähigkeiten bei Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren mit Deutsch als Zweitsprache hat.

Damit liegen zwar bereits einige Studien zur Verwendung allgemein- und bildungssprachlicher Muster im Vorschulalter vor – es fehlen jedoch Studien, die die Verwendung von Bildungssprache in vorschulischen unterrichtsnahen Situationen erfassen, um zu überprüfen, inwieweit hier schon vor Schulbeginn Unterschiede und damit Benachteiligungen für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache existieren.

3 Fragestellungen

Aus den bisherigen Befunden ergeben sich folgende Fragestellungen:

  1. 1.

    Unterscheiden sich Vorschulkinder mit Deutsch als Erstsprache (DaE) und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) a) bezogen auf ihre allgemeinsprachlichen Kompetenzen im Deutschen sowie b) in Bezug auf die Verwendung von Bildungssprache in einer naturwissenschaftlichen Lehr-Lern-Situation?

  2. 2.

    Wie sehr hängt die Verwendung von Bildungssprache in einer naturwissenschaftlichen Lehr-Lern-Situation mit der allgemeinsprachlichen Kompetenz der Kinder im Deutschen zusammen, und welchen Effekt haben andere Faktoren?

4 Methodik

4.1 Design

Zur Untersuchung dieser Fragen wurden die Daten der Easi Science-L (Early Steps Into Science and Literacy, Laufzeit 2013–2016) verwendetFootnote 1. Ziel dieses Projekts ist die Untersuchung sprachlicher Bildungswirkungen naturwissenschaftlicher Bildungsangebote. Die Stichprobe bestand aus 58 pädagogischen Fachkräften mit jeweils vier Vorschulkindern. Jede Fachkraft wurde gebeten, immer zwei Mädchen und zwei Jungen auszuwählen, wobei zwei der Kinder einsprachig mit Deutsch als Erstsprache und zwei mit Deutsch als Zweitsprache aufgewachsen sein solltenFootnote 2. Diese Zuordnung wurde weitgehend eingehalten; die Stichprobe setzt sich aus 222 Vorschulkindern zusammen, von denen 121 Deutsch als Erstsprache (DaE) und 101 Deutsch als Zweitsprache (DaZ) sprechen (Alter M = 5;4 Jahre SD = 0;5 min 3;11; Max. 7;3, 119 Mädchen, 103 Jungen). Die Gruppen unterscheiden sich in Alter und Geschlecht nicht. Von den Kindern mit DaZ sprachen etwa die Hälfte (n = 53) bereits in den ersten drei Lebensjahren Deutsch in Kombination mit einer anderen Sprache (mit slawischen Sprachen wie russisch, serbisch, bosnisch n = 16, mit romanischen Sprachen wie italienisch, französisch, spanisch n = 12, mit albanisch n = 5, mit türkisch n = 4), alle anderen DaZ-Kinder sprachen in den ersten drei Lebensjahren ausschließlich andere Erstsprachen (größtenteils slawische Sprachen n = 16 und türkisch n = 14). Insgesamt wurden von den Eltern 44 verschiedene Sprachen genannt. Von diesen Kindern sprechen zwölf mit der Mutter und 13 mit dem Vater ausschließlich und 15 (Mutter) bzw. 18 (Vater) meistens nicht Deutsch.

Die Eltern der untersuchten Kinder füllten eine veränderte Version des Elternfragebogens aus dem Projekt BiSpra 1 (Heppt et al. 2016) aus. Enthalten waren dort Fragen zum eigenen Leseverhalten (fünf Items, α = 0,826, Beispielitem: „Ich verbringe meine Freizeit gern mit Lesen“), zur häuslichen „Literacy-Anregung“ der Kinder (vier Items, α = 0,575, Beispielitem „Wie oft werden Buchstaben oder Wörter geschrieben?“) sowie zum Bildungshintergrund der Eltern (hier wurde ein Index, bestehend aus Bildungsabschluss, Berufsausbildung und Buchbesitz gebildet; α = 0,777). Zudem wurde die nonverbale Intelligenz der Kinder von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der Forschergruppe mithilfe des CFT 1-R (Weiß und Osterland 2012) getestet (Tab. 1).

Tab. 1 Beschreibung der Stichprobe: Hintergrundvariablen

Die Werte zeigen zwei erwartbare Unterschiede zwischen den zwei Gruppen (vgl. die Ergebnisse der IGLU-Studien, Bos et al. 2012). Zum einen ist der Bildungshintergrund der Eltern bei den Kindern mit DaZ signifikant niedriger, zum anderen berichten die Eltern der einsprachig aufgewachsenen Kinder ein signifikant häufigeres Leseverhalten. Die berichtete Literacy-Anregung unterscheidet sich dagegen nicht. Die Intelligenzwerte der Kinder liegen mit einem Mittelwert von 95,57 (SD 11,67) (ebenfalls erwartbar) etwas unter dem Normwert für den Beginn des ersten Schuljahres; dabei gibt es keine überzufälligen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Gleiches gilt mit Blick auf das Alter der Kinder. Auch wenn die Stichprobe durch die Untersuchungssituation natürlich nicht repräsentativ ist, kann sie aufgrund dieser Daten unseres Erachtens jedoch dennoch als aussagekräftig gelten.

Die Kinder besuchten gemeinsam mit ihrer pädagogischen Fachkraft ein Labor an der Universität Karlsruhe oder Heidelberg. Dort führten sie ein von der Fachkraft gestaltetes Experiment zum Thema „Schwimmen und Sinken“ durch. Die Fachkräfte erhielten dabei folgende Instruktion „Bitte gestalten Sie eine kleine Lehr-Lern-Einheit zum Thema Sinken und Schwimmen von Objekten mit den Kindern und verwenden Sie dafür ausschließlich das im Raum befindliche Material. [Dieses war den Fachkräften bekannt.] Sie haben insgesamt 30 min mit den Kindern Zeit. Die Situation wird dabei aufgezeichnet. Weil wir uns besonders für die Reaktionen der Kinder auf Ihr Förderangebot interessieren, bitten wir Sie, allen Kindern ausreichend Möglichkeit zu geben, sich sprachlich zu äußern.“ Die Lehr-Lern-Einheiten wurden videographiert und transkribiert.

4.2 Erhebungsinstrumente

Die allgemeinsprachliche Kompetenz im Deutschen wurde bereits im Vorfeld mit LiSe-DaZ® (Schulz und Tracy in Verbindung mit der Baden-Württemberg Stiftung 2011) erhoben. Dieses Verfahren, in dem mit einer Bildergeschichte gearbeitet wird, unterscheidet Testaufgaben zur Sprachproduktion und zum Sprachverstehen (Tab. 2).

Tab. 2 Subtests in LiSe-DaZ®

Die Subkategorien Satzklammer (im Sinne von trennbaren Verben) sowie Modal- und Auxilliarverben weisen dabei eine stärkere Nähe zu bildungssprachlichen Strukturen auf. Allerdings sind sie nicht ausschließlich bildungssprachlich, sondern werden im Zuge der primären Sprachaneignung regulär erworben.

Die Einschätzung der bildungssprachlichen Performanz der Kinder erfolgte mit der für diese Studie entwickelten Ratingskala RaBi (vgl. ausführlich Tietze et al. 2016). Zur Einschätzung wurden zunächst sämtliche Sprechhandlungen der Kinder in der naturwissenschaftlichen Lehr-Lern-Situation transkribiert. Da die Kinder hier in einer medial mündlichen Situation agierten, wäre die Verwendung von Formen konzeptioneller Mündlichkeit grundsätzlich ausreichend gewesen; allerdings erforderte der Kontext durchaus komplexere sprachliche Kompetenzen, etwa Sprachhandlungen wie das Vermuten oder Fachbegriffe wie „sinken“. Die Transkripte wurden mithilfe eines Kategoriensystems zunächst dahingehend kodiert, inwieweit die Kinder lexikalische und morphosyntaktische Mittel verwendeten. Dies geschah in vier Abstufungen (0 = rudimentär, 1 = alltagssprachlich, 2 = alltagssprachlich mit bildungssprachlichen Elementen, 3 = bildungssprachlich). Diese Analyse wird ergänzt durch die Analyse der Sprachhandlungen. Die Abstufung bei den Sprachhandlungen ist eine Zweierabstufung (keine komplexe Sprachhandlung vs. komplexe Sprachhandlung), die aufgrund der einheitlichen Skalierung innerhalb der Skala in die Werte 0 (keine komplexe Sprachhandlung) und 3 (komplexe Sprachhandlung) kodiert wurde. Die an 23 Auswertungen berechnete Interrater-Reliabilität zeigt mit Werten von 0,757–0,807 (Cohens Kappa) ein gutes Maß an Übereinstimmung auf. Eine explorative Faktorenanalyse ergab für Items und Dimensionen der Lexik und Morphosyntax eine Zwei-Faktoren-Lösung (vgl. Tietze et al. 2016). Die RaBi-Skala bildet, wie oben theoretisch dargestellt, auf den oberen Niveaustufen Sprachkompetenzen ab, die als bildungssprachlich gelten und damit in ihrer Komplexität über basale Sprachkompetenzen hinausgehen. Für die folgenden Analysen wird mit dem Wert der Gesamtskala gerechnet (Tab. 3).

Tab. 3 Werte der RaBi

Die Reliabilität der Skalen ist mit Ausnahme der Sprachhandlungen zumindest akzeptabel. Da in der Subskala „Sprachhandlungen“ nur zwei Items eingehen und insbesondere das Item „erklären/begründen“ vermutlich auch durch das Wissen zum Thema „Schwimmen und Sinken“ mitbeeinflusst wird, sind die Befunde zu dieser Teilskala mit Vorsicht zu betrachten, sollen jedoch im Folgenden dennoch als vertretbarer Index berichtet werden.

4.3 Auswertungsverfahren

Um einen ersten Überblick über die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen DaZ und DaE in den allgemeinsprachlichen Kompetenzen zu geben, werden zunächst die Ergebnisse einfacher T‑Tests berichtet; in einem zweiten Schritt wurde dann in verschiedenen Regressionsmodellen überprüft, inwieweit es Zusammenhänge mit den erhobenen Hintergrundvariablen gibt. Zur Anwendung kamen immer (standardisierte) Rohwerte, die Regressionen wurden mithilfe des COMPLEX-Modells in Mplus (Muthen und Muthen 2010) durchgeführt, um der geklumpten Stichprobe angemessen Rechnung zu tragen. Dies war insbesondere bei den Fragestellungen zur Verwendung von Bildungssprache in der Lehr-Lern-Situation erforderlich, da es hier deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen gab (der ICC reichte von 0,086 bei Morphosyntax bis zu 0,213 in der Gesamtskala). Auch die Befunde zur allgemeinsprachlichen Kompetenz wurden analog dazu bzgl. ihrer Gruppenzugehörigkeit kontrolliert.

5 Ergebnisse

5.1 Allgemeinsprachliche Kompetenzen der Kinder

Betrachtet man die (durch LiSe-DaZ® erhobene) allgemeinsprachliche Kompetenz der Kinder im Deutschen, so zeigt sich ein uneinheitliches Bild (vgl. Tab. 4).

Tab. 4 Mittelwerte und Gruppenvergleiche über die einzelnen Bereiche der sprachlichen Kompetenz

Die Gruppen unterscheiden sich in den Variablen zum Sprachverständnis nicht signifikant. (Die z. T. deutlichen Unterschiede in den Prozenträngen sind durch die Tatsache begründet, dass sich diese bei bestimmten Messwerten auch schon bei kleinen Veränderungen der Rohwerte z. T. stark verändern.).

Im Bereich der Sprachproduktion sind die Kinder mit DaE in einigen Bereichen den Kindern mit DaZ überlegen, in anderen (Konjunktionen und Fokuspartikeln) ist es umgekehrt. Es zeigt sich, dass es in jenen Bereichen der Sprachproduktion, die nahe an die bildungssprachliche Kompetenz reichen (Satzklammer und Modal- und Hilfsverben), eine überzufällige Überlegenheit der Kinder mit DaE gibt. Beim Aspekt der Satzklammer findet sich allerdings bei beiden Gruppen ein in diesem Alter erwartbarer Deckeneffekt. Die eingeschränkte Nutzung von Verben deutet darauf hin, dass DaZ-Kinder Allzweckwörter wie „machen“ benutzen, denn die Wortklassen sind ansonsten unauffällig.

Betrachtet man die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Variablen mit der Subskala zur Sprachproduktion genauer, so wird deutlich, dass die Bedeutung der Spracherwerbssituation (die ohne die Kontrolle der Moderatorvariablen überzufällig ist, allerdings nur eine sehr geringe Varianzaufklärung besitzt) noch kleiner wird, wenn die weiteren Variablen im Modell berücksichtigt werden (vgl. Tab. 5). Zugleich zeigen diese Regressionsanalysen, dass Variablen auf Kindebene bedeutsam werden – zentraler ist jedoch der Bildungshintergrund der Eltern. Ein vergleichbares Ergebnis zeigt sich für die Subskala des Sprachverständnisses.

Tab. 5 Betagewichte der verschiedenen Variablen auf die Sprachproduktion der Kinder (als abhängige Variable dient die Skala „Sprachproduktion“ aus LiSe-DaZ®)

5.2 Verwendung von Bildungssprache in der naturwissenschaftlichen Lehr-Lern-Situation

Die Ratings zur Sprachverwendung in der naturwissenschaftlichen Lehr-Lernsituation zeigen, dass die Kinder im Durchschnitt auf einem eher alltagssprachlichen Niveau (Werte um 1,0) kommunizieren, wie es der Situation und dem Alter grundsätzlich angemessen ist. Es zeigt sich aber auch eine deutliche Streuung: 16 % der Kinder erreichen in der Gesamtskala einen Wert über 2, der frühe bildungssprachliche Kompetenzen repräsentiert. Betrachtet man die einzelnen Dimensionen, so werden bei den Sprachhandlungen 44 % der Kinder durchgehend im bildungssprachlichen Bereich geratet, 11,4 % im Bereich der Lexik und 9,6 % im Bereich der Morphosyntax. Dabei finden sich keinerlei Unterschiede zwischen den Kindern mit Deutsch als Erst- bzw. Zweitsprache. Dies trifft auf die Gesamtskala ebenso zu wie auf die einzelnen Dimensionen (Lexik, Morphosyntax und Sprachhandlungen) (vgl. Tab. 6).

Tab. 6 Mittelwerte und Gruppenvergleiche über die einzelnen Bereiche der Verwendung von Bildungssprache in der naturwissenschaftlichen Lehr-Lern-Situation

Berechnet man nun die verschiedenen Hintergrundvariablen mit ein (vgl. Tab. 7), so ergibt sich ein recht stabiles Ergebnis. Überzufällige Zusammenhänge gibt es ausschließlich mit Variablen, die auf der Ebene des einzelnen Kindes liegen. Auch der überzufällige Zusammenhang zur allgemeinsprachlichen Kompetenz verschwindet, sobald diese Variablen kontrolliert werden.

Tab. 7 Betagewichte der verschiedenen Variablen auf die Verwendung der Bildungssprache in der Lehr-Lern-Situation (als abhängige Variable dient der Mittelwert der Gesamtskala RaBi)

Auch unter Kontrolle der Spracherwerbssituation und der alltagssprachlichen Kompetenzen im Deutschen korrelieren sowohl die gemessene Intelligenz als auch das Alter sowie das Geschlecht der Kinder (mit besseren Werten bei älteren Kindern und Jungen) – damit zeigt sich nur von diesen Variablen aus ein Zusammenhang mit der Verwendung von Bildungssprache in der naturwissenschaftlichen Lehr-Lern-Situation.

Berechnet man die gleichen Modelle für die Teilskalen der RaBi, so ergibt sich im Kern das identische Ergebnis wie das oben bzgl. der Gesamtskala berichtete: Es gibt keinen Effekt der Spracherwerbssituation, und die Zusammenhänge mit den allgemeinsprachlichen Kompetenzen verschwinden, wenn die moderierenden Variablen auf Kindebene berücksichtigt werden. Mit diesen gibt es immer einen überzufälligen Zusammenhang.

6 Interpretation und Diskussion

Die Ergebnisse der Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Unterschiede zwischen Schüler/innen mit und ohne DaZ lassen sich bei der untersuchten Stichprobe nur bei einzelnen Aspekten der allgemeinsprachlichen Kompetenzen, die mit LiSe-DaZ® überprüft wurden, im Bereich der Sprachproduktion finden. Dabei zeigen die Kompetenzen, in denen die Kinder mit DaZ geringere Werte haben, eine Nähe zur Bildungssprache. Bedeutsam ist auch der Bildungshintergrund der Eltern.

Die Verwendung von Bildungssprache in der naturwissenschaftlichen Lehr-Lern-Situation ist schließlich nur durch Variablen auf Seite des Kindes zu erklären: Alter, männliches Geschlecht und Intelligenz korrelieren hier positiv. Bemerkenswert ist auch, dass letztlich keine Zusammenhänge zwischen allgemeinsprachlichen Kompetenzen im Deutschen und der Verwendung von Bildungssprache zu finden sind.

Allerdings konnten sowohl bei LiSe-DaZ® als auch bei RaBi nur 15 % bzw. 27 % der Varianz aufgeklärt werden. Es bleibt zu überlegen, welche sonstigen Einflussvariablen von Bedeutung sein könnten. In einer weiteren Auswertung wird nun überprüft, inwieweit die sprachliche Anregung durch die pädagogischen Fachkräfte eine Rolle spielt.

Bei Schuleintritt scheint die Fähigkeit, in einer Lehr-Lern-Situation Bildungssprache zu verwenden, zwischen Kindern mit DaE und DaZ noch sehr ähnlich zu sein, wenn auch auf einem eher niedrigen Niveau. Somit unterscheiden sich unsere Befunde von den Belegen, die einen Nachteil von Kindern mit DaZ bezogen auf Bildungssprache im weiteren Verlauf der Schulkarriere verdeutlichen (vgl. Bochnik und Ufer 2016). Andererseits bestätigt sich der Befund, dass schon im Vorschulalter der Bildungshintergrund im Elternhaus und die kognitiven Fähigkeiten der Kinder signifikante Einflussgrößen auf die Erlangung (bildungs)sprachlicher Fähigkeiten sind (vgl. Leseman et al. 2007). Das Fehlen eines Zusammenhangs zwischen allgemeinsprachlichen Fähigkeiten und der Verwendung von Bildungssprache gibt allerdings zu denken.

Die Ursache späterer Unterschiede liegt möglicherweise auch in den schulischen Anforderungen, sodass die Unterschiede zwischen alltagssprachlichen und bildungssprachlichen Kompetenzen erst dann wichtig werden. Die Tatsache, dass in der von uns untersuchten Lehr-Lern-Situation zwar Bildungssprache verwendet wurde, dies jedoch auf einem geringen Niveau stattfand, lässt vermuten, dass dieses Niveau nicht ausreichend ist, um den Anforderungen im schulischen Unterricht zu genügen. Dies gilt auch für den inhaltlichen Kontext der hier untersuchten Studie, dem frühen naturwissenschaftlichen Lernen. Befunde aus IGLU-E zeigen, dass die Leistungsunterschiede von Kindern mit türkischer Erstsprache hier noch größer sind als im Textverständnis (Holtappels und Heerdegen 2005). Diese Befunde deuten darauf hin, dass es im Sachunterricht der Grundschule eine hohe Erwartung der Lehrpersonen bzgl. der Verwendung und des Verständnisses von Bildungssprache gibt, welche dann von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache nicht mehr zu erfüllen ist – insbesondere dann nicht, wenn weitere günstige Voraussetzungen (hohe Intelligenz und ein hoher Bildungshintergrund der Eltern) fehlen.

Aus unseren Befunden ist demnach zu folgern, dass der Schnittstelle zwischen Kindertagesstätte und Schule eine wichtige Funktion zukommt. Die Kinder müssen an dieser Stelle gut „abgeholt“ und v. a. dann entsprechend gefördert werden, um eine Bildungsbenachteiligung der Kinder aus mehrsprachigen oder bildungsfernen Elternhäusern sowie der Kinder mit geringerer kognitiver Kompetenz möglichst zu vermeiden.

Unsere Studie weist einige Limitationen auf, die nicht verschwiegen werden sollen: Zum einen wurde die untersuchte Stichprobe von den Fachkräften ausgewählt. Es ist zu vermuten, dass keine Kinder teilgenommen haben, bei denen die Fachkräfte grundsätzliche oder große Schwierigkeiten, z. B. gar keine Sprachhandlungen, erwarteten. Zudem waren die Elternangaben v. a. zum Bildungshintergrund nicht vollständig. Aus diesem Grund haben wir verschiedene Modelle sowohl mit unterschiedlichen Stichproben als auch unter Ausschluss dieser Variable berechnet. Die Ergebnisse blieben dabei jeweils stabil und entsprechen den hier berichteten Befunden. Gleiches gilt für Berechnungen, die wir nur mit den Kindern durchgeführt haben, für deren Alter der CFT gedacht ist. Auch hier bleiben die Ergebnisse stabil.