1 Einleitung

Ein wesentliches Ziel bei der Konstruktion von Lernangeboten ist es, diese so anzulegen, dass sie (individuellen) Kompetenzaufbau möglichst gut unterstützen. Eine zentrale Annahme dabei ist, dass es auf die Passung der Angebote zum aktuellen Lernstand ankommt, um den Kompetenzaufbau in angemessen kleinen Schritten von einem Zwischenzustand im Lernprozess zum nächsten anzulegen (z. B. Konzept der „zone of proximal development“ bei Vygotsky 1978). Der Konstruktion einer in diesem Sinne passenden – kohärenten – Instruktion liegen (idealerweise) empirisch fundierte Progressionsmodelle zugrunde, die den im Zuge des Kompetenzaufbaus stattfindenden Fortschritt der Lernenden beschreiben. Gleichzeitig stellen kohärente Instruktionen eine wesentliche Voraussetzung für die empirische Fundierung solcher Progressionsmodelle dar, da sie den Aufbau der zu erfassenden Kompetenzen optimal anregen und somit (besser) empirischen Untersuchungen zugänglich machen.

Das hier beschriebene Spannungsfeld, in dem kohärente Instruktion zu einem Inhaltsbereich konstruiert werden soll, zu dem gleichzeitig noch wenig empirisch gesicherte Hinweise auf Kompetenzprogression vorliegen, stellt einen zentralen Ausgangspunkt unserer Arbeit dar. Am von uns adressierten Aufbau experimentbezogener Kompetenz (Fragen und Hypothesen formulieren, Untersuchungen planen, Daten auswerten; vgl. Emden und Sumfleth 2016) zeigen wir im ersten Teil des Beitrags, wie wir Kompetenzprogression zunächst losgelöst von einem konkreten Inhalt oder Kompetenzbereich modellieren und diese Modellierung mit Annahmen und Befunden zum fachbezogenen Lernen verbinden, um eine kohärente Instruktion zu konstruieren. Dem Beitrag liegt ein Forschungsvorhaben zugrunde, dessen Ziel es u. a. ist, die Wirkung zweier unterschiedlicher Instruktionsansätze auf den Aufbau experimentbezogener Kompetenz in einem quasi-experimentellen Prä-Post-Design zu vergleichen (Vorholzer 2016; Vorholzer et al. 2018). Im zweiten Teil des Beitrags fokussieren wir auf einen Ausschnitt aus diesem Vorhaben, in dem wir den Kompetenzaufbau von Schüler*innen analysieren, die den effektiveren Instruktionsansatz erhalten haben. Wir verfolgen darin die Frage, wie der Kompetenzaufbau im Prozess der Auseinandersetzung mit der Instruktion (Aufgaben, Informationen etc.) nachvollzogen werden kann. Dazu wird illustriert, wie mit unterschiedlichen Analyseverfahren individuelle Aktivitäten und Verständnisentwicklungen anhand der Prozessdaten erfasst und mit der gemessenen Veränderung von Kompetenz (Prä-Post-Testung) in Beziehung gesetzt werden können. Wir gehen darin auch der Frage nach, inwieweit sich die Angemessenheit der in die Instruktion hineingesteckten Konstruktionsüberlegungen zur Herstellung von Kohärenz mit unserem methodischen Vorgehen nachweisen lässt.

2 Stand der Forschung: Kompetenzbegriff und Annahmen zu Kompetenzprogressionen

Ein erster Blick auf die begriffliche Fassung von Kompetenz in der LiteraturFootnote 1 zeigt vergleichsweise große Einigkeit in drei zentralen Punkten:

  1. 1.

    Kompetenzen beschreiben „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2001, S. 27 f.; vgl. auch Diskussion in Hartig und Klieme 2006; Klieme et al. 2007). Der Schwerpunkt vorliegender Forschungsarbeiten liegt (immer noch) auf dem kognitiven Bereich von Kompetenz, obwohl sich in aktuellen Modellierungen von Kompetenz auch motivational-volitionale Aspekte finden lassen (z. B. Blömeke et al. 2015).

  2. 2.

    Es wird üblicherweise davon ausgegangen – jedoch nicht immer explizit formuliert –, dass Wissen, z. B. über fachliche Konzepte, Fakten oder Benennungen, Bestandteil von Kompetenz ist (vgl. Klieme et al. 2007; von Aufschnaiter und Hofmann 2014; Weinert 2000).

  3. 3.

    Kompetenzen werden häufig als themenübergreifend, aber domänenspezifisch (z. B. für die Domäne Physik) modelliert und können so von allgemeinen Konstrukten wie Intelligenz und Schlüsselqualifikationen abgegrenzt werden (z. B. Hartig und Klieme 2006).

Bei genauer Betrachtung der drei Punkte wird deutlich, dass mit der Einigkeit eine gewisse Unschärfe einhergeht, die sich auch auf Fragen der Modellierung von Progression und der Gestaltung von kohärenten Instruktionen auswirken kann. Unter der Annahme, dass Kompetenzen mindestens (a) Wissen, (b) kognitive Fähigkeiten und (c) Bereitschaften umfassen, müssten Modellierungen von kognitiven Kompetenzaspekten mindestens zwischen (a) und (b) systematisch unterscheiden und beides – auch in der Wechselwirkung – in den Blick nehmen. Die Betrachtung dieser Wechselwirkung ist einerseits entscheidend, da das zielgerichtete Entfalten von Fähigkeiten immer Wissen erfordert. Beispielsweise kann die Planung eines „fairen“ Experimentes nicht ohne ein Verständnis von Variablenkontrolle gelingen und das richtige Umstellen von Gleichungen ist nicht möglich, wenn Lernende nicht wissen, dass jede Rechenoperation „auf beiden Seiten“ der Gleichung ausgeführt werden muss. Andereseits kann Wissen ohne Fähigkeiten nicht existieren, denn es muss mindestens die Fähigkeit zur Wiedergabe vorhanden sein. Der Zusammenhang von Wissen und Fähigkeit ist zentral für die Planung von kohärenten Instruktionen (vgl. Abschn. 3; s. a. von Aufschnaiter und Hofmann 2014): Welches Wissen muss aufgebaut werden, um Voraussetzungen für Fähigkeiten zu schaffen? Der Zusammenhang ist auch für Testungen von großer Bedeutung: Unter der Annahme, dass Lernende über bestimmtes Wissen verfügen, was sollten sie dann damit „hinbekommen“?Footnote 2 Der zentralen Rolle des Zusammenhangs von Wissen und Fähigkeiten werden übliche Modellierungen von Kompetenz kaum gerecht, da sie typischerweise nur einen der beiden Aspekte adressieren (vgl. auch Vorholzer und von Aufschnaiter im Druck; Vorholzer et al. 2016).

Einigkeit findet sich auch in Überlegungen zu den Zwecken von Kompetenzmodellen (vgl. Schecker und Parchmann 2006). Sie können (i) der Beschreibung unterschiedlicher Ausprägungen einer Kompetenz dienen (z. B. Fachwissen, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung als Ausprägungen naturwissenschaftlicher Kompetenz; KMK 2005), (ii) Niveaus von Kompetenz modellieren, um qualitative Kompetenzunterschiede zu beschreiben, die aber nicht zwingend in dieser Reihenfolge im Lernen aufgebaut werden (z. B. Komplexitätsniveaus 1 Fakt, 2 Fakten, 1 Zusammenhang usw. in Wellnitz et al. 2012), und (iii) Stufen beschreiben, von denen angenommen wird, dass sie im individuellen Lernen nacheinander durchlaufen werden. Insbesondere Modellierungen, die sich auf Stufungen richten (iii), und damit Aussagen über Individuen machen, werden in der empirischen Forschung gegenwärtig überwiegend aus Querschnitten mit unterschiedlich fortgeschrittenen Lernern konstruiert (z. B. Arbeiten von Neumann et al. 2013; vgl. auch die Kritik an dieser Forschungsrichtung in Renkl 2012). Die Gestaltung kohärenter Instruktion erfordert jedoch (auch) empirische Evidenz zu der von Individuen durchlaufenen Kompetenzentwicklung, weil nur dann gewährleistet werden kann, dass sich Passung im Lernprozess einstellt. Wir benutzen für Modelle, die Fortschritt im individuellen Kompetenzaufbau abbilden sollen, den Begriff Progressionsmodell, um Verwechslung mit Modellierungen von Niveaus (ii) zu vermeiden und an das Konstrukt der Learning Progressions anzuknüpfen (u. a. Alonzo 2012).

In der Literatur lassen sich vielfältige Ansätze zur Modellierung und Beschreibung von Progression identifizieren (z. B. Gut et al. 2014; Schecker und Parchmann 2006). Innerhalb dieser Vielfalt können aus unserer Sicht zwei Arten von Progressionen unterschieden werden, welche jeweils mit spezifischen Implikationen für die Anlage von kohärenter Instruktion verknüpft sind. Progressionen erster Art beschreiben den Prozess, in dem eine spezifische Fähigkeit (z. B. das Argumentieren, Osborne et al. 2016) bzw. ein spezifischer Wissensbestand (z. B. zu Energieformen oder zum Energietransfer, z. B. Neumann et al. 2013) erstmalig aufgebaut und in Wiederholungen stabilisiert wird. Am Ende einer Progression erster Art können die Lernenden eine bestimmte Fähigkeit bzw. ein Verständnis inhaltlich angemessen bzw. auf einem intendierten strukturellen Niveau relativ stabil (re)produzieren.

In Modellierungen, die wir der ersten Art zuordnen, können wir zwei unterschiedliche Herangehensweisen ausmachen: Es wird entweder der inhaltliche Fortschritt der jeweils adressierten Fähigkeit bzw. des Wissensbestandes beschrieben (y-Achse in Abb. 1, Achsenbezeichnung im Sinne eines rechtshändigen Koordinatensystems), oder der strukturelle Fortschritt, d. h., die Art und Weise, wie sich die Fähigkeit/der Wissensbestand aufbaut (x-Achse in Abb. 1). Beide Arten des Fortschritts können auch kombiniert betrachtet werden, was wir über Flächen in der x‑y-Ebene in Abb. 1 angedeutet haben. Entlang der y‑Achse beschreiben z. B. Alonzo und von Aufschnaiter (2018) Progressionsstufen zum inhaltlichen Fortschritt im Verständnis von Bewegungen ausgehend von der Schülervorstellung, dass Objekte einen natürlichen Bewegungszustand haben, über die Vorstellung, dass einem Bewegungszustand eine Geschwindigkeit als Tempo zugeordnet werden kann, bis hin zum Verständnis, dass Geschwindigkeit Betrag und Richtung hat sowie deren Änderung auf eine Beschleunigung (ebenfalls mit Betrag und Richtung) verweist (ähnliche Modellierungen des inhaltlichen Fortschritts des Verständnisses z. B. in Hadenfeldt und Neumann 2012). Bezogen auf eine Fähigkeit kann inhaltlicher Fortschritt (ebenfalls y‑Achse in Abb. 1) z. B. dadurch modelliert werden, dass Schüler*innen immer komplexere Probleme lösen (z. B. Argumente mit mehr Elementen und mehr Vernetzung konstruieren; Osborne et al. 2016; s. a. „Problemkomplexität“ in Gut et al. 2014, S. 2) oder Probleme immer eigenständiger („Eigenständigkeit“) oder stabiler lösen („Performanzstabilität“; Gut et al. 2014, S. 2). Modellierungen von strukturellen Progressionsstufen zu einer Fähigkeit/einem Wissensbestand (x-Achse in Abb. 1) beziehen sich z. B. auf das Fortschreiten des Konzeptualisierungsniveaus (von Fall über intuitiv regelbasiert zu expliziert regelbasiert, u. a. von Aufschnaiter und Rogge 2010a, 2010b) oder den Aufbau eines systemischen Verständnisses ausgehend von Fakten über Verbindungen und anschließend Relationen (Yao et al. 2017).

Abb. 1
figure 1

Heuristisches Modell zu Unterscheidung von Progressionen erster und zweiter Art. Die unterschiedlichen Graustufen der Flächen in der x‑y-Ebene sind ein Maß dafür, in welchem Umfang eine bestimmte inhaltliche bzw. strukturelle Progressionsstufe im Zuge der Erarbeitung und Stabilisierung entsteht (je dunkler desto häufiger)

Progressionen erster Art können in der ersten Erarbeitung vergleichsweise zügig erfolgen (einzelne oder mehrere, meist aufeinander folgende Schulstunden), sich aber auch über lange Zeiträume erstrecken und darin auch Rückschritte im Vergleich zu einem zuvor erreichten „semi-stabilen“ Zustand enthalten (z. B., wenn ein bestimmter Wissensbestand nach einem Jahr erneut aktiviert wird). Die Progressionen erster Art dauern auch deshalb u. U. lange, weil die Stabilisierung des intendierten Endzustandes mehrfache und ggf. deutlich zeitlich versetzte Möglichkeiten des Wiederholens erfordern, weshalb der „eindeutige“ Fortschritt empirisch schwer nachweisbar sein kann (vgl. entsprechende Befunde und Annahmen der Conceptual-Change-Forschung zur Veränderung des Status von lebensweltlichen und wissenschaftlichen Vorstellungen, z. B. Duit und Treagust 2003).

Progressionen zweiter Art beschreiben den Prozess, in dem Fähigkeiten bzw. Wissensbestände schrittweise erweitert werden (z-Achse in Abb. 1). Die Erweiterung kann z. B. darin bestehen, dass von den Lernenden zusätzliche Fähigkeiten oder Wissensbestände aufgebaut und diese ggf. mit vorher entwickelten Fähigkeiten/Wissensbeständen vernetzt werden. Damit geht häufig einher, dass mehr Situationsklassen bewältigt bzw. Wissensbestände in einem verbreiterten Verständnis subsummiert werden können. In diesem Sinne ist auch die Zusammenführung von zunächst unabhängig voneinander konstruierten Wissensbeständen eine Progression zweiter Art. Eine Beispiel hierfür bildet die von Alonzo und von Aufschnaiter (2018) beschriebene Zusammenführung von zwei Progressionen erster Art – eine zu Kraft und eine zu Bewegung – zu einer Progression zweiter Art, die deren Vernetzung beschreibt (Bewegung und Kraft sind faktisch das Gleiche → Kraft ist proportional zur Bewegung → Kraft ist proportional zur Geschwindigkeit → Kraft ist proportional zur Änderung der Geschwindigkeit bzw. zur Beschleunigung). Yao et al. (2017) deuten eine solche Progression an, indem sie für Energie die Formen, den Transfer, die Entwertung und die Erhaltung aufsteigend anordnen. Ein auf Fähigkeiten bezogenes Beispiel für eine Progression zweiter Art liefert das ESNaS Kompetenzmodell, das als aufeinander folgende kognitiven Prozesse „reproduzieren“, „selegieren“, „organisieren“, und „integrieren“ beschreibt (Wellnitz et al. 2012, S. 270). Auch die von Gut et al. (2014) als Steigerung des Transfervermögens bezeichnete „Richtung“ (S. 2) der Kompetenzprogression lässt sich im Sinne einer Progression zweiter Art deuten.

Die Unterscheidung zwischen Progressionen erster und zweiter Art ist eine für die Konstruktion kohärenter Instruktion hilfreiche Heuristik, weil wir davon ausgehen, dass gelingende Progressionen erster Art eine notwendige Voraussetzung für Progressionen zweiter Art darstellen. Hierbei ist zu bedenken, dass Progressionen erster und zweiter Art nicht streng nacheinander erfolgen, sondern miteinander verzahnt sein können (vgl. entsprechend angeordnete Abbildungen in Neumann et al. (2013, S. 169) bzw. Yao et al. (2017, S. 2367)) und dass der Fortschritt entlang der modellierten Achse(n) nicht streng linear verläuft (z. B. von Aufschnaiter und Rogge 2010a, 2010b). Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die Antwort auf die Frage, ob ein bestimmtes Modell eine Progression erster oder zweiter Art beschreibt, auch davon abhängt, was jeweils als eine Fähigkeit bzw. ein Wissensbestand betrachtet wird (Aspekt der grain size). Im Modell von Yao et al. (2017, S. 2365) haben wir das Fortschreiten von „fact-mapping-relation-systemic“ der strukturellen Achse (x-Achse, Abb. 1) der Progression erster Art zugeordnet, obwohl die Beschreibung der Autoren von „relation“ und „systemic“ die Vernetzung von Konzepten und die Verbreiterung auf verschiedene Kontexte beinhaltet. In unserer Annahme, dass es sich in jedem der vier modellierten Wissensbestände (Formen, Transfer, Entwertung und Enthaltung) um jeweils einen Wissensbestand handelt, ist die Vernetzung von darunter subsummierten Konzepten und der Übertrag auf verschiedene Kontexte Bestandteil des jeweiligen Wissensbestandes, weshalb wir von einer Progression erster Art ausgehen. Für den Aufbau jedes in einem Wissensbestand enthaltenen Konzeptes würde die x‑Achse jedoch zumindest zum Teil eine Progression zweiter Art modellieren, weil Konzepte zunehmend miteinander vernetzt, das Verständnis also erweitert wird. Damit wird auch deutlich, dass die von uns eindeutig der Progression erster Art zugeordnete strukturelle x‑Achse „fluid“ ist und je nach betrachteter grain size auch eine Progression zweiter Art beschreiben kann (ggf. also vier Dimensionen modelliert werden müssten).

3 Konzeptionelle Überlegungen zur Entwicklung kohärenter Instruktion

Die Herstellung kohärenter Instruktion erfordert im Kern, einen fachlichen Gegenstand so zu sequenzieren, dass sowohl den Lernvoraussetzungen der Schüler*innen (z. B. Schülervorstellungen) als auch den empirisch nachgewiesenen bzw. theoretisch modellierten Annahmen zur Progression erster und zweiter Art Rechnung getragen wird. Diese Art der wechselseitigen Bezugnahme einer fachlichen Perspektive und einer auf die Lernenden gerichteten Perspektive mit dem Ziel der didaktischen Strukturierung von Instruktion wird im Modell der didaktischen Rekonstruktion beschrieben (z. B. Duit et al. 2012), welches das konzeptionelle Fundament für die Entwicklung unserer Instruktionen darstellt (vgl. Vorholzer 2016, im Druck).

In Anlehnung an das Modell der Didaktischen Rekonstruktion haben wir zunächst den Gegenstand unserer Instruktion – experimentbezogene Kompetenz – geklärt. Dabei wurde in einem ersten Schritt erfasst, wie experimentbezogen Kompetenz üblicherweise modelliert wird (zsfd. z. B. in Emden und Sumfleth 2016) und daraus drei für die Instruktion zentrale Teilkompetenzen rekonstruiert: Fragen und Hypothesen formulieren (FH), Untersuchungen planen (UP) sowie Daten auswerten und interpretieren (AI). In einem zweiten Schritt wurden die fachmethodischen Fähigkeiten zu diesen Teilkompetenzen erfasst und die jeweils zugehörigen Wissensbestände als „fachmethodische Konzepte“ (Verallgemeinerungen)Footnote 3 formuliert. In Tab. 1 sind für die Teilkompetenz FH exemplarisch Fähigkeiten und Konzepte aufgelistet, deren Kenntnis wesentlich für eine zielgerichtete – nicht nur zufällige – Entfaltung der Fähigkeiten ist (umfassend in Vorholzer 2016; Vorholzer et al. 2016). Deutlich wird dies z. B. im Kontext des Stellens von Fragen: Es handelt sich zunächst um eine alltägliche Fähigkeit, die keine besonderen Konzepte zu benötigen scheint. Das zielgerichtete Stellen einer naturwissenschaftlichen (und nicht nur irgendeiner) Frage, erfordert aber, dass bekannt ist, was das Spezifische an naturwissenschaftlichen Fragen ist, bzw. warum eine Frage der Art „Schmeckt Mineralwasser mit Kohlensäure besser als ohne Kohlensäure?“ nicht naturwissenschaftlich ist.

Tab. 1 Exemplarische Darstellung von Fähigkeiten und zugehörigen Konzepten zur Teilkompetenz FH

Die Erfassung der Schülerperspektive bildete den zweiten zentralen Ausgangspunkt für die Vorbereitung der Sequenzierung. Wir haben sowohl Befundlagen zu Schülervorstellungen (im Sinne von Konzepten) und Kompetenzen zum Experimentieren zusammengestellt (u. a. aus Hammann et al. 2006) als auch Kompetenzmodelle und zugehörige Befunde (u. a. aus Grube 2011; Wellnitz et al. 2012) gesichtet. Zudem wurden Überlegungen der fachbezogenen Lehr‑/Lernforschung gesichtet und zusammengefasst, die Ansatzpunkte für die Gestaltung lernförderlicher Instruktionen liefern (z. B. zum Umgang mit Schülervorstellungen und zum Aufbau fachlicher Konzepte, vgl. u. a. von Aufschnaiter und Rogge 2010a, 2010b, 2012; Duit und Treagust 1998).

Die in diesen beiden Schritten entstandenen Überlegungen wurden vor dem Hintergrund des mit der Schule für die Instruktionsdauer vereinbarten Zeitfensters, eine Einzel- und zwei Doppelstunden im Abstand von je einer Woche (s. unten), zusammengeführt (ausführlich in Vorholzer 2016). Dabei wurden Teilkompetenzen und Konzepte ausgewählt, die fachlich von großer Relevanz sind und bei denen auf der Basis der verfügbaren Befundlagen (und Modellierungen) davon auszugehen ist, dass die anvisierte Altersgruppe – Schüler*innen der Einführungsphase – sie nicht oder nicht hinreichend beherrschen (z. B. Identifikation und Kontrolle von Variablen, vgl. Arnold et al. 2014).

Der Aufbau experimentbezogener Kompetenz findet immer in einem fachinhaltlichen Kontext statt, z. B. weil Fragestellungen und Hypothesen zu einem bestimmten Phänomen formuliert, oder Experimente zur Untersuchung einer bestimmten Gesetzmäßigkeit geplant werden. Wir haben deshalb die oben genannten Schritte auch für das von den Lehrkräften anvisierte Themenfeld Mechanik durchlaufen, um dort fachliche Inhalte auszuwählen, die den Schüler*innen gut vertraut sein sollten und auch auf fachlich niedrigem Niveau bearbeiten werden können, damit der angestrebte Aufbau fachmethodischer Kompetenz nicht von ge- bzw. misslingenden fachinhaltlichen Lernprozessen oder fehlender fachinhaltlicher Kompetenz beeinflusst wird (vgl. ausführlich in Vorholzer 2016, im Druck).

3.1 Progression zweiter Art: Sequenzierung von Lernzielen

Um eine kohärente Instruktion zu entwickeln, wurde zunächst die Progression zweiter Art in den Blick genommen und darauf bezogen eine Reihung der nacheinander aufzubauenden Fähigkeiten und zugehörigen Konzepte vorgenommen (vgl. Tab. 1). Die Teilkompetenzen wurden entlang der verschiedenen Schritte eines (idealisierten) Prozesses der Erkenntnisgewinnung angelegt (erst FH, dann UP, danach AI), was auch aus lernlogischer Sicht plausibel scheint; die Lernenden sollen nicht nur zur sachangemessenen Umsetzung der einzelnen Schritte selbst, sondern auch zur Herstellung wechselseitiger Passung zwischen den Schritten (geplante Experimente müssen die Untersuchung der Forschungsfragen erlauben usw.) befähigt werden. In ähnlicher Weise werden in jeder Teilkompetenz Fähigkeiten, die auf die Herstellung von Passung gerichtet sind, später thematisiert (in Tab. 1 exemplarisch von oben nach unten).

In der Sequenzierung der zu einer Fähigkeit thematisierten Konzepte wurde geklärt, welche Konzepte für die Lernenden eher naheliegend sind, weil dazu anschlussfähige Vorerfahrungen vermutet werden können, oder in der Literatur dokumentiert sind. Das betrifft auch solche Konzepte, die sich direkt aus Beobachtungen und eigenem Handeln ableiten lassen (phänomenbasierte Konzepte) gegenüber solchen, die hinter den Beobachtungen bzw. Erfahrungen liegenden Konstrukte beschreiben (modellbasierte Konzepte, vgl. von Aufschnaiter und Rogge 2010a, 2010b).

Uns ist wichtig zu betonen, dass unsere konstruktionsleitenden Annahmen zur inhaltlichen Sequenzierung zwar bereits relativ differenziert, vor dem Hintergrund real anzunehmender Lernprozesse aber immer noch eher schlicht sind. Es fehlt z. B. die Vorbereitung einer Binnendifferenzierung im Sinne der Adressierung bestimmter Teilkompetenzen/Konzepte für Lernende mit spezifischen Charakteristiken. Wir haben zudem bei der Auswahl und Anordnung von Teilkompetenzen und Konzepten keine anzunehmenden motivational-volitionalen und sozialen Faktoren berücksichtigt (z. B. fachliche Interessen, Selbstkonzept, Fähigkeit und Bereitschaft zum selbstbestimmten Arbeiten). Punktuell haben wir dieses Fehlen zwar in der Instruktion abgefangen (Einbau von Hilfen, Zusatzaufgaben für schnelle Lernende), dies kann jedoch grundsätzliche und die Instruktion systematisch vorbereitende Überlegungen nur in Ansätzen kompensieren.

3.2 Progression erster Art: Unterstützung von Erarbeitungsprozessen

Mit Blick auf die Progression erster Art ist der Frage nachzugehen, wie eine bestimmte Fähigkeit oder ein bestimmtes Konzept erstmalig aufgebaut und anschließend stabilisiert werden kann. Wir konnten kein Modell finden, das experimentbezogenen Konzeptaufbau beschreibt, da die Modelle typischerweise auf Fähigkeiten gerichtet sind. Dort wiederum liegen kaum empirisch gesicherte Annahmen zu Progressionen erster Art vor. Für den Konzeptaufbau haben wir uns deshalb an Annahmen und Befunden zum fachinhaltlichen Lernen orientiert, und darin vor allem Befunde und Annahmen zur strukturellen Progression (x-Achse in Abb. 1) im konzeptuellen Verständnis als transferierbaren Bezugsrahmen genutzt. Ausgehend von diesen Befunden wurde Konzeptaufbau entlang der Exploration konkreter Fälle (Beispiele, Erlebnisse, Erfahrungen; Stufe I) hin zu intuitiv (Stufe II) und explizit erfassten Konzeptualisierungen im Sinne von Verallgemeinerungen (Stufe III) strukturiert (vgl. von Aufschnaiter und Rogge 2010a, 2010b, 2012). Zentral ist somit, dass wir von den Lernenden immer erst relativ spät im Lernprozess verlangt haben, Konzepte selbst auszuformulieren (Stufe III). Es wurde deshalb auch darauf verzichtet, den Lernenden Konzepte vor der ersten Auseinandersetzung mit Aufgaben mitzuteilen, da nach bisherigen Befunden zum fachinhaltlichen Lernen davon auszugehen ist, dass diese Konzepte ohne erste Vorerfahrungen häufig nicht in der intendierten Weise verstanden werden (vgl. Modellierung in Neumann et al. 2007, die „übergeordneten Konzepte“ explizit als höchste Entwicklungsstufe annehmen). Mit Blick auf Stabilisierung wurde angenommen, dass die Progression nicht linear, sondern iterativ erfolgt, d. h. Lernende auch nach der eigenständigen Explizierung eines Konzepts (Stufe III) dieses erneut durch Explorationen erfassen müssen (Stufe I; von Aufschnaiter und Rogge 2010b). Nach dem erstmaligen Konzeptaufbau wurden deshalb im weiteren Verlauf der Instruktion Aufgaben gestellt, die zur wiederholten Exploration und/oder Anwendung eines Konzepts anregen. Erarbeitung und Wiederholungen sind hierbei durch zeitliche Lücken getrennt, in allen Phasen werden jedoch die gleichen Fähigkeiten und Wissensbestände thematisiert.

Für jede angestrebte Fähigkeit wurde geprüft, ob sie im Sinne einer Progression erster Art graduierbar ist und entsprechende Graduierungen beschrieben werden (z. B. im Sinne einer Graduierung kognitiver Anforderungen; Wellnitz et al. 2012). Die Fähigkeit, vorliegende Fragen, Hypothesen o. ä. im Hinblick auf ein Merkmal zu unterscheiden (z. B. präzise vs. allgemeine Fragen, Vermutungen vs. Hypothesen), ist z. B. weniger anspruchsvoll, als sachangemessene Fragen selbst zu formulieren oder die getroffene Unterscheidung zu begründen. Sowohl für das Unterscheiden als auch für das Formulieren ist es ausreichend, dass die Lernenden zugrundeliegende Konzepte intuitiv erfasst haben, für die Begründung einer Unterscheidung wird hingegen ein explizites Verständnis dieser Konzepte benötigt (vgl. von Aufschnaiter und Rogge 2010b). Entsprechend diesen Überlegungen haben wir die adressierten Fähigkeiten (vgl. Tab. 1 für FH) fortschreitend eingefordert.

Wie auch für die Sequenzierung entlang der Progression zweiter Art ist uns wichtig, die Beschränkung unserer Überlegungen zu betonen. Sie sind noch so wenig empirisch fundiert, dass unklar ist, unter welchen Randbedingungen das Abweichen von der beschriebenen Progression das Lernen der Konzepte möglicherweise stärker befördert. Konzepte, die auf Benennungen orientiert sind („Die Variable, die verändert wird, heißt unabhängige Variable“), lassen sich z. B. nicht sinnvoll durch Explorationen „finden“. Auch andere Konzepte werden u. U. schneller erfasst, wenn sie Explorationen vorangestellt bzw. „nur“ mit einem Beispiel verbunden werden (vgl. Wittwer und Renkl 2010). Zudem ist für uns empirisch und theoretisch noch vergleichsweise unklar, wie Konzept- und Fähigkeitsaufbau im Kompetenzaufbau miteinander verzahnt werden; dies ist eine inhaltliche Kernfragestellung des Forschungsprojektes, an der wir gegenwärtig arbeiten. In die instruktionale Ausgestaltung müssen ferner weitere Überlegungen einfließen, die sich nicht im Sinne einer (fachbezogenen) Progression beschreiben lassen, dennoch aber die Effektivität der Instruktion beeinflussen werden. Dazu gehört, neben der oben bereits angeführten Binnendifferenzierung, z. B. die Auswahl der fachinhaltlichen Beispiele (die sich auch an motivational-volitionalen Faktoren orientieren könnte bzw. sollte), Umfang und Art der Ausgestaltung textlicher und mündlicher Anweisungen sowie der eingeforderten Sicherungen.

3.3 Umsetzung der Instruktion

Ausgehend von den oben skizzierten Überlegungen wurden im Projekt zwei Varianten einer aus theoretischer Perspektive kohärenten Instruktion entwickelt (explizite und implizite Variante; s. unten). Für die Untersuchung von Fragen der Kohärenz beziehen wir uns im Folgenden nur auf den expliziten Ansatz, der sich, hypothesenkonform, als der wirksamere Ansatz erwiesen hat (vgl. Vorholzer 2016). Der Vergleich der beiden Varianten spielt für die hier vorgestellte Untersuchung nur eine untergeordnete Rolle (hierfür hätte auch eine Variante gereicht). Es werden dennoch kurz Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Varianten vorgestellt, um dem Kontext der analysierten Daten offenzulegen sowie die Einordnung unserer Ergebnisse und der darauf bezogenen Diskussion zu erleichtern.

Beide Varianten der Instruktion folgen den oben beschriebenen Progressionsüberlegungen und nutzen darin Prozesse des angeleiteten Experimentierens als Grundlage für Explorationen zum Aufbau und zur Stabilisierung intuitiv und explizit regelbasierter fachmethodischer Konzepte (Progression erster Art). In expliziten Variante der Instruktion werden nach ersten Explorationsphasen die angestrebten experimentbezogenen Konzepte den Lernenden mitgeteilt, an Beispielen erläutert (auf Informationskarten; z. B. Abb. 2 unten links und Abb. 8) sowie deren Anwendung in vielfältigen Aufgaben geübt (siehe Merkmale expliziter Instruktion, z. B. in Alfieri et al. 2011; Kalthoff et al. 2018; Vorholzer und von Aufschnaiter, 2019). In der impliziten Variante werden den Lernenden die Konzepte nicht mitgeteilt, sie werden jedoch durch die beiden Varianten zugrundeliegende inhaltliche Strukturierung systematisch dabei unterstützt, die Konzepte selbst zu „finden“ (vgl. discovery-based learning; z. B. Alfieri et al. 2011). Es werden z. B. alle naturwissenschaftlichen Fragen, zu denen weiterführende Überlegungen oder Untersuchungen angestellt werden sollen, unter Nennung der abhängigen und unabhängigen Variablen präzise formuliert (im Sinne von Tab. 1; vgl. die Beispiele in Abb. 2). Beide Varianten fordern gleichermaßen zur intensiven und selbstbestimmten Auseinandersetzung mit Aufgaben auf, fokussieren auf die gleichen experimentbezogenen Teilkompetenzen und nutzen die gleichen fachinhaltlichen Kontexte und Experimente. Die kleineren Zeitunterschiede durch das Fehlen der von Informationen zu fachmethodischen Konzepten werden durch erweiterte, aber für den anvisierten Kompetenzaufbau irrelevante, fachinhaltliche Arbeitsaufträge kompensiert. Beide Varianten bestehen aus drei Teilen: FH (45 min, Kontext: Schwerdruck in Flüssigkeiten), UP (90 min, Kontext: Freier Fall und Luftreibung) sowie AI (90 min, Kontext: Senkrechter, waagerechter und schiefer Wurf).

Abb. 2
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Gekürzter und leicht modifizierter Auszug aus der expliziten Instruktion (links zum Konzept „präzise Frage“) und entsprechende Aufgaben der impliziten Instruktion (rechts)

Beide Varianten der Instruktion sind so angelegt, dass sie in Kleingruppen von je 2–3 Schüler*innen selbstständig bearbeitet werden können. Dazu wurden sämtliche Arbeitsaufträge, Hinweise, Kontrollen, Erläuterungen usw. schriftlich auf Aufgabenkarten umgesetzt (vgl. Abb. 2), die typischerweise eine Aufgabe oder mehrere inhaltlich eng zusammenhänge Teilaufgaben beinhalten. Das gewählte Vorgehen minimiert Einflüsse der Lehrkraft und unterstützt damit auch die Vergleichbarkeit der Prozesse in verschiedenen Varianten.

4 Datenerhebung und -auswertung

Um individuellen Kompetenzaufbau nachvollziehen zu können, nutzen wir sowohl Prä-Post-Erhebungen als auch Videoaufzeichnungen. Letztere geben Aufschluss darüber, wie bzw. unter welchen Bedingungen, Wissensbestände und Handlungen miteinander verbunden werden und sich im Laufe von Lernprozessen weiterentwickeln. In diesen Prozessen zeigt sich auch, wie die Instruktion genutzt wird, woraus sich wiederum Hinweise auf vorhandene oder fehlende Kohärenz ergeben. Der Beitrag fokussiert im Schwerpunkt auf die Videoaufzeichnungen und deren Auswertung, um Potentiale und Herausforderungen prozessbasierter Analysen des Kompetenzaufbaus aufzuzeigen und Fragen der Passung zu (angenommenen) Progressionen zu diskutieren. Im Folgenden werden jedoch zunächst Ergebnisse eines schriftlichen Prä-Post-Vergleichs präsentiert, da diese zum einen Hinweise auf die grundsätzliche Eignung der Instruktion liefern und z. T. zur Vorauswahl der Videodaten genutzt wurden.

4.1 Datenerhebung

Die Studie ist in einem quasi-experimentellen Design angelegt, in dem ein schriftlicher Prä- und Posttest sowie Videoaufzeichnungen für die Erhebung von Daten genutzt wurden (vgl. Abb. 3). Die Instruktion war Bestandteil des regulären Physikunterrichts aller zwölf Klassen der Einführungsphase eines Gymnasiums (NGesamt = 222 Schüler*innen, Alter ca. 16–17 Jahre, 65 % weiblich); je sechs Klassen bildeten die Testgruppe (explizite Instruktion, N = 111, 63 % weiblich) und die Kontrollgruppe (implizite Instruktion).

Abb. 3
figure 3

Überblick über zeitlichen Ablauf der Datenerhebung. Die Prätestung wurde auf zwei Messzeitpunkte (MZP) verteilt, um eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit bzw. -bereitschaft der Schüler*innen durch lange Testungen zu vermeiden

Im zweiteiligen Prätest wurden die allgemeinen kognitiven Fähigkeiten, die fachinhaltlichen Vorkenntnisse, das fachbezogene Interesse und die fachbezogene Selbsteinschätzung der Lernenden erfasst, u. a. um die Vergleichbarkeit von Test- und Kontrollgruppe zu gewährleisten (ausführlich in Vorholzer 2016; Vorholzer et al. 2018). Die experimentbezogene Kompetenz der Schüler*innen wurden sowohl im Prä- als auch im Posttest mit dem Experimentelle Denk- und Arbeitsweisen Test (EDAWT; Vorholzer et al. 2016) erhoben. Mit Hilfe des Prä-Post-Vergleichs wurde untersucht, ob die aus unsere Sicht kohärent angelegte Instruktion zu einer messbaren Veränderung der Kompetenz geführt hat.Footnote 4 Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten Kompetenzzuwachs in der Test- und der Kontrollgruppe, der in beiden Gruppe einem großen Effekt entspricht (Testgruppe: t = 7,506, p < 0,001; η2 = 0,46; Kontrollgruppe: t = 4,806, p < 0,001; η2 = 0,26). Die Kovarianzanalyse zeigt zudem, dass der Kompetenzzuwachs in der Testgruppe signifikant größer ist als in der Kontrollgruppe (F(1, 127) = 9,77, p = 0,002), dieser Unterschied entspricht einem mittleren Effekt (ηp2 = 0,07). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die in Abschn. 3.1 beschriebenen Überlegungen zur Sequenzierung grundsätzlich zielführend sind und der Kompetenzzuwachs nicht allein auf die erneute Testung o. Ä. zurückgeführt werden kann (vgl. Vorholzer et al. 2018).

Zusätzlich zu den Testungen wurden pro Klasse ca. 4–5 Gruppen mit jeweils 2–3 Schüler*innen während der Bearbeitung der Instruktionen auf Video aufgezeichnet (NVideo = 121, 62,0 % weiblich, NTestgruppe = 74, 65,7 % weiblich). Die Aufzeichnung erfolgte mit einer festen Kamera und einem festen Mikrofon pro Schülergruppe (siehe Abb. 4). Die Zusammensetzung der Gruppen wurden nicht vorgegeben, um Kommunikationsprozesse in den Gruppen nicht durch eine erzwungene Zusammenarbeit zu behindern. Da sich nur ca. die Hälfte aller Schüler*innen einer Klasse mit einer Videoaufzeichnung einverstanden erklärt hat, war dies das einzige Auswahlkriterium, das angewendet wurde. Die etwas ungleiche Verteilung der aufgezeichneten Schüler*innen auf Test- und Kontrollgruppe ist dadurch bedingt, dass wir Gruppen nur dann aufgezeichnet haben, wenn alle Gruppenmitglieder einverstanden waren, was in der Kontrollgruppe etwas seltener der Fall war als in der Testgruppe. Zudem gab es bei den Aufzeichnungen in der Kontrollgruppe vereinzelt technische Schwierigkeiten, die zu Ausfällen bei der Aufzeichnung geführt haben.

Abb. 4
figure 4

Typische Kameraperspektive, in der die Schüler*innen bei der Bearbeitung der Instruktion gefilmt wurden. a Beim Experimentieren, b bei der Beantwortung von Fragen

4.2 Auswertung der Videodaten

Zur Illustration möglicher Ansätze der videogestützten Analyse des Kompetenzaufbaus von Lernenden fokussieren wir auf die explizite Instruktion, da diese zu besseren Lernergebnissen geführt hat und demzufolge eine höhere instruktionale Kohärenz aufweisen sollte. Aus den insgesamt 90 h Video der Testgruppe wurden für die Analyse zunächst die Videos der Gruppen ausgewählt, die sich im Hinblick auf den im Prä-Post-Vergleich gemessenen Kompetenzzuwachs besonders stark unterscheiden (Maximalkontrast). In einem ersten Zugang werden die verbalen und nonverbalen Aktivitäten der Schüler*innen bei der Bearbeitung der Instruktion kategoriengestützt analysiert. Ziel dieser Analyse ist es, zu erfassen, in welchem Umfang und wann z. B. über fachinhaltliche, fachmethodische oder organisatorische Aspekte gesprochen wird, unabhängig davon, um welchen fachmethodischen Inhalt es sich handelt. Hinweise auf Kompetenzfortschritt ergeben sich vor allem dadurch, dass fachmethodische Beiträge vermehrt in den Zusammenhängen auftauchen, in denen sie handlungsleitend sein sollten (z. B. im Planungsprozess eines Experimentes). Gleichzeitig kann zu Fragen der Kohärenz untersucht werden, ob Aufgaben, die fachmethodische Beiträge „provozieren“ sollen, auch zu solchen Beiträgen führen. Es handelt sich aber immer um einen relativ groben Zugriff auf den Kompetenzaufbau, da u. a. nicht geprüft wird, worauf die Äußerungen bezogen und ob sie sachangemessen sind. Die Einordnung der Ergebnisse in eine Progression erster oder zweiter Art ist daher kaum möglich. In einem zweiten Zugang werden deshalb ergänzend die Inhalte der Äußerungen analysiert, um die inhaltlichen Verständnisse zu einem bestimmten Konzept, z. B. den Merkmalen einer naturwissenschaftlichen Frage, sowie deren Entwicklung zu erfassen (Progression erster Art).

4.2.1 Kategoriengestützte Analyse von Aktivitäten

Bei der Entwicklung der Kategorien zur Erfassung von Aktivitäten haben wir uns an Vorarbeiten orientiert, in denen u. a. die Aktivitäten von Lernenden beim Bearbeiten fachinhaltlicher Aufgaben erfasst wurden (u. a. Rogge 2010). Ein erster Entwurf des Systems wurde anschließend in mehreren Iterationsschritten erprobt, ausgeschärft und um induktiv abgeleitete Kategorien ergänzt (siehe Tab. 2). Zentral ist die Unterscheidung zwischen fachmethodischen Beiträgen (z. B. „Du darfst nicht mehr als eine Variable zurzeit verändern“, „Hier ist die Fallhöhe die unabhängige Variable“), fachinhaltlichen Beiträgen (z. B. „Je schwerer ein Gegenstand, desto schneller fällt er zu Boden“) und Beiträgen zur manuellen Durchführung eines Experiments (z. B. „Halte das Lineal hier fest“, „Auf drei lassen wir los“).

Tab. 2 Übersicht über ausgewählte Kategorien des Kategoriensystems (ein vollständiger Kodierleitfaden kann bei der Autorengruppe angefordert werden)

Die Aktivitäten werden für jede*n einzelne*n Schüler*in eventbasiert kodiert. Jede Äußerung stellt ein Event dar; aufeinanderfolgende Äußerungen werden nur getrennt, wenn ihnen verschiedene Codes zugewiesen werden oder sie mehr als 3 s auseinanderliegen. Etwa 10 % des Videomaterials wurden doppelkodiert, um die Intercoderübereinstimmung der beiden eingesetzten Kodierer zu untersuchen. Die Übereinstimmung ist mit κ = 0,63 für verbale Aktivitäten und κ = 0,75 für nonverbale Aktivitäten als zufriedenstellend einzuschätzen.

4.2.2 Qualitative Analyse von inhaltlichen Verständnissen

Ausgehend von der Analyse der Aktivitäten werden zusammenhängende Sequenzen ausgewählt, die zum einen viele fachmethodische Beiträge der Schüler*innen beinhalten und zum anderen im Material als Erarbeitung (Progression erster Art) zu einem spezifischen experimentbezogenen Konzept konzipiert sind. Die ausgewählten Sequenzen dauern etwa 5 bis 10 min und umfassen Explorationen zum angestrebten Konzept, (mindestens) eine Mitteilung des angestrebten Konzeptes (Information) und Anregung zur Anwendung des Konzeptes. Daran anschließend werden Aufgaben innerhalb der gleichen und der folgenden Einheiten identifiziert, die das gleiche Konzept erfordern, um zu untersuchen, ob sich spezifische Verständnisse bzw. Nutzungsweisen (im Sinne von Fähigkeiten) stabilisieren und damit auf eine Veränderung von Kompetenz hindeuten.

Zur Erfassung der Verständnisse der Schüler*innen wird ein Verfahren eingesetzt, das an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (z. B. Mayring 2015) angelehnt ist. Dazu werden zunächst alle Schüleräußerungen und zentrale nonverbale Aktivitäten (z. B. experimentelle Handlungen, Umblättern der Aufgabenkarten) des Bearbeitungsprozesses transkribiert. Im ersten analytischen Schritt werden die Inhalte der Äußerungen zum ausgewählten experimentbezogenen Konzept auf der Ebene von einzelnen (Halb‑)Sätzen rekonstruiert. Für das Konzept zu Kennzeichen von naturwissenschaftlichen Fragen wurden beispielsweise Äußerungen gesucht, die sich als Antworten auf die Frage „Was kennzeichnet eine naturwissenschaftliche Frage?“ deuten lassen. Im Rahmen dieses ersten Schrittes wird auch die Richtigkeit aller Aussagen kodiert, die Entscheidungen dazu enthalten, ob eine Beispielfrage naturwissenschaftlich ist oder nicht. Außerdem wird kategorial erfasst, zu welcher Aufgabe sich die Schüler*innen äußern. In der Regel ist dies die Aufgabe, die vor ihnen lag und im Video gut zu erkennen ist (vgl. Abb. 4). Im zweiten analytischen Schritt werden (induktiv) inhaltliche Kategorien generiert, die die rekonstruierten Verständnisse in inhaltlich ähnliche Überlegungen bündeln. Wir haben bei der Bildung der Kategorien zunächst versucht, möglichst nah an den Äußerungen der Schüler*innen zu bleiben, um die vorliegende Varianz differenziert erfassen zu können. Tab. 3 gibt Beispiele für die generierten inhaltlichen Kategorien zu Kennzeichen naturwissenschaftlicher Fragen. Im Zuge der Auswertung wurden diese Kategorien später in einem weiteren Schritt zu übergeordneten Hauptkategorien aggregiert (vgl. Tab. 5).

Tab. 3 Beispiele für die generierten inhaltlichen Kategorien zu Kennzeichen naturwissenschaftlicher Fragen

Aufgrund des für die Transkription erforderlichen zeitlichen Aufwandes erfolgt die längsschnittliche Analyse von Bearbeitungsprozessen, die im Sinne einer Wiederholung zeitlich nach der Erarbeitung liegen (vgl. Progression erster Art, Abb. 1), direkt am Video. Aufgrund der jeweils intensiven vorlaufenden Auseinandersetzung mit den Daten im Kontext der Erarbeitung ist davon auszugehen, dass der Verzicht auf Transkription durch die Erfahrung mit den Schüleräußerungen zumindest in weiten Teilen kompensiert wird. Die generierten inhaltlichen Kategorien wurden zudem genutzt, um alle Informationen auf den Karten zu kodieren, sodass die Passung zwischen diesen Informationen und den Verständnissen der Schüler*innen untersucht werden kann.

5 Exemplarische Ergebnisse und Diskussion der videogestützten Analysen zum Kompetenzaufbau

Die Grundlage für die Analyse der Aktivitäten stellen, abhängig vom Instruktionsteil (FH, UP, AI), sieben bis zehn Gruppen der Testgruppe dar. Die Analyse der Verständnisse ist für eine Sequenz aus dem Bereich FH für sieben Gruppen der Testgruppe abgeschlossen. Obwohl die bisher durchgeführten Analysen nur einen Teil des Datensatzes und der Einheiten umfassen, haben sie relevante Ergebnisse hervorgebracht, aus denen deutlich wird, welche Art von Ergebnissen zum Kompetenzaufbau entsprechende Analysen hervorbringen können, welche Merkmale kohärente Instruktion auszeichnen und welche Herausforderungen sich (für die Interpretation der Ergebnisse) ergeben.

5.1 Kategoriengestützten Analyse von Aktivitäten

Für die analysierten Gruppen wurden die relativen zeitlichen Anteile der einzelnen verbalen und nonverbalen Aktivitäten an der gesamten Bearbeitungszeit berechnet und anschließend die Gruppen mit überdurchschnittlichem und die Gruppen mit unterdurchschnittlichem Kompetenzzuwachs miteinander verglichen. Abb. 5 zeigt exemplarisch einen solchen Vergleich zwischen 4 Gruppen mit über- und 6 Gruppen mit unterdurchschnittlichem Kompetenzzuwachs für den Instruktionsteil FH.

Abb. 5
figure 5

Mittlere prozentualer Anteil ausgewählter verbaler und nonverbaler Aktivitäten bezogen auf die gesamte Bearbeitungsdauer des Instruktionsteils FH

Die Ergebnisse für den Instruktionsteil FH zeigen u. a., dass der relative zeitliche Anteil fachmethodischer Beiträge bei Gruppen mit höherem Kompetenzzuwachs signifikant größer ist als bei Gruppen mit niedrigerem Kompetenzzuwachs (t = −3,656; große Effektstärke r = 0,57). Für Beiträge zur manuellen Durchführung verhält es sich umgekehrt (t = 2,210; mittlere Effektstärke r = 0,40). Werden nicht Gruppen, sondern einzelne Schüler*innen mit einem überdurchschnittlichen und einem unterdurchschnittlichen Kompetenzzuwachs verglichen, ergibt sich ein ähnliches Bild, allerdings sind die Unterschiede bzgl. der Aktivitäten nicht mehr signifikant. Diese ersten Befunde lassen vermuten, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen der Häufigkeit expliziter Konzeptualisierungen im Lernprozess und dem Kompetenzzuwachs gibt. Instruktionen sind in diesem Sinne dann kohärent, wenn sie solche Explizierungen provozieren (nachdem die Konzepte aufgebaut wurden). Die Tatsache, dass wir bei gleicher Instruktion deutliche Unterschiede auf der Gruppenebene finden, deutet aber gleichzeitig darauf hin, dass das „Provozieren“ nicht in gleicher Weise für alle Lernenden funktioniert und damit auch kein generelles Maß für Kohärenz ist.

Werden Gruppen mit einem ähnlichen niedrigen Kompetenzzuwachs verglichen, weisen sie z. T. sehr unterschiedliche Aktivitätsprofile auf (Abb. 6, Vergleich von Gruppe A und Gruppe B). Gleichzeitig können Gruppen mit deutlich unterschiedlichem Kompetenzzuwachs nahezu identische Aktivitätsprofile zeigen (Abb. 6, Vergleich von Gruppe B und Gruppe C). Unter der Annahme, dass ein ganz bestimmtes Lernangebot nicht gleichzeitig für alle unterschiedlichen Lernenden kohärent sein kann, ist nicht verwunderlich, dass sich die Aktivitätsprofile von Gruppen mit hohem Kompetenzzuwachs und solchen mit niedrigem unterscheiden (A vs. C). Bemerkenswerter sind die Ähnlichkeiten zwischen Gruppen mit unterschiedlichem Zuwachs (B vs. C) bzw. die Unterschiede zwischen Gruppen mit gleichem Zuwachs (A vs. C). Diese Unterschiede verweisen darauf, dass mögliche Antworten auf die Frage nach Merkmalen kohärenter Instruktion komplex ausfallen werden. Darin wird es vermutlich auch auf eine für uns gegenwärtig nicht hypothetisch ableitbare Mischung aus eigenen Explizierungen und Mitteilungen aus dem Umfeld der Lernenden (Informationen in der Instruktion, Äußerungen von Mitschüler*innen oder Lehrkräften) ankommen. Dies allerdings wird nicht der einzige Faktor sein, den es zu bedenken gilt, bereits zur Untersuchung dieses Faktors ist jedoch eine differenziertere Betrachtung der Lernenden erforderlich, die über die Unterscheidung von Gruppen mit hohem und niedrigem Zuwachs hinausgeht.

Abb. 6
figure 6

Aktivitätsprofile (prozentualer Anteile ausgewählter verbal und nonverbaler Aktivitäten bezogen auf die gesamte Bearbeitungsdauer des Instruktionsteils FH) für Gruppen mit unterschiedlich hohem Kompetenzzuwachs

Ergänzend zu Analysen, die auf der Anzahl bzw. Dauer einzelner Kodierungen basieren, haben wir Analysen zu den zeitlichen Verläufen der Aktivitäten durchgeführt. Zugrunde liegt die Annahme, dass sich im Sinne einer Progression zweiter Art Kompetenzaufbau (auch) darin zeigt, dass Lernende vermehrt fachmethodische Beiträge dort generieren, wo sie handlungsleitend sind bzw. sein sollten. Die Annahme ist mindestens insofern stark vereinfacht, weil sich Fortschritt auch darin zeigen kann, dass Lernende es „einfach richtig machen“, ohne zu verbalisieren. Zudem ergibt sich die Herausforderung, dass gelingender oder misslingender Kompetenzaufbau (Progression erster Art) zu einer vorlaufenden Teilkompetenz sicher Einfluss auf den weiteren Kompetenzaufbau hat, wenn z. B. die nächste Teilkompetenz auf gleiche oder ähnliche Konzepte zurückgreift, um dieses zu erweitern (Progression zweiter Art). Aufgrund dieser Beschränkungen haben wir zunächst nur untersucht, ob sich überhaupt Zusammenhänge zwischen fachmethodischen Beiträgen und experimentbezogenen Aktivitäten zeigen, ohne daraus Aussagen zum Kompetenzaufbau ableiten zu wollen. Entsprechende Analysen geben aber zumindest Hinweise auf Kohärenz: Wenn fachmethodische Beiträge dort auftauchen, wo sie aus Sicht der Instruktion besonders passend oder erforderlich sind, dann könnte dies ein Hinweis auf Kohärenz sein.

Für die Analysen des Zeitverlaufs haben wir uns auf den Instruktionsteil UP konzentriert, weil dort ein Zusammenhang zwischen der Äußerung fachmethodischer Konzepte und dem Experimentieren aus instruktionaler Sicht besonders naheliegend ist. Es zeigt sich jedoch, dass vor und während des Experimentierens nur selten fachmethodische Beiträge geäußert werden. So finden sich z. B. im Verlauf der Aktivitäten einer Gruppe mit überdurchschnittlich hohem Kompetenzzuwachs in den 5 min vor Beginn der Experimentierphase (gekennzeichnet durch gehäufte nonverbale Experimentieraktivität und verbale Beiträge zur manuellen Durchführung) nur vereinzelte und kurze (<10 s) fachmethodische Beiträge (vgl. Abb. 7). Erst nach ca. der Hälfte der Experimentierphase werden fachmethodische Aspekte (etwas) ausführlicher diskutiert. Für uns stellt sich die Frage, ob die geringe Anzahl fachmethodischer Äußerungen vor einer experimentellen Handlung ein Hinweis auf geringe Kohärenz ist (d. h., bei geschickter angelegter Instruktion würden den Lernenden die Bezüge gelingen), oder ob es schlicht typisch für menschliches Handeln ist, dass das Nachdenken über die Handlung erst während oder nach der Handlung erfolgt (vgl. Diskussion der Dichotomie von Wissen und Handeln z. B. in der Lehrerbildung, Neuweg 2002). Um dieser Frage nachzugehen, muss jedoch nicht nur die zeitliche, sondern auch die inhaltliche Nähe zwischen den Äußerungen und den Handlungen der Lernenden untersucht werden: Haben z. B. die fachmethodischen Äußerungen in der Mitte der Experimentierphase in Abb. 7 tatsächlich etwas mit dem gerade durchgeführten Experiment zu tun?

Abb. 7
figure 7

Darstellung der Aktivitäten einer Gruppe im zeitlichen Verlauf vor, während, und nach einer Experimentierphase im zweiten Instruktionsteils (UP)

5.2 Qualitativen Analyse der inhaltlichen Verständnisse

Die zu den Merkmalen von naturwissenschaftlichen Fragen analysierte Sequenz umfasst sechs Aufgabenkarten sowie eine Informationskarte in der Mitte der Sequenz, auf der das Konzept zur Unterscheidung von naturwissenschaftlichen und nicht-naturwissenschaftlichen Fragen mitgeteilt und mit Beispielen verbunden wird (Abb. 8, zeitlich im Instruktionsteil FH nach der in Abb. 2 gezeigten Sequenz angeordnet).

Abb. 8
figure 8

Informationskarte, auf der das Konzept zur Unterscheidung von naturwissenschaftlichen und nicht-naturwissenschaftlichen Fragen mitgteilt und an einem Beispiel illustriert wird. Die Informationskarte befindet sich etwa in der Mitte der Erarbeitung

Die Verständnisse, die sich den Äußerungen der einzelnen Schüler*innen während der Bearbeitung der Sequenz zuweisen lassen, fallen inhaltlich sehr unterschiedlich aus; die zunächst gebildeten Kategorien (siehe Bsp. in Tab. 3) wurden zu insgesamt 11 Hauptkategorien zusammengefasst (Tab. 4). Für bestimmte Verständnisse zeigen sich schon vor der Informationskarte (Abb. 8) über die Gruppen hinweg Häufungen (Effekt, Fachbezug, Meinung und Nawi Eigenschaften, siehe die Zuweisungen auf individueller Ebene; Tab. 5), darüber hinaus weisen die Profile der Gruppen jedoch mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten auf. Innerhalb der einzelnen Gruppen ist die Varianz in den rekonstruierten Verständnissen etwas geringer. Besonders auffällig ist, dass sich für individuelle Schüler*innen bereits in dieser kurzen Sequenz eine Reihe unterschiedlicher Verständnisse rekonstruieren lassen (z. B. für S2, S18, S22 in Tab. 5).

Tab. 4 Überblick über die Kategorien für die Verständnisse zu Kennzeichen von naturwissenschaftlichen Fragen
Tab. 5 Überblick über zugewiesenen Kategorien für eine Sequenz aus sechs Aufgaben- und einer Informationskarte zu Kennzeichen naturwissenschaftlicher Fragestellungen

Werden die Aufgabenkarten einzeln betrachtet (in Tab. 5 aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht dargestellt), ergibt sich zu gleichen Aufgabenkarten über die Gruppen hinweg ein ähnlich heterogenes Bild: Zu einzelnen Aufgabenkarten können eine Reihe verschiedener Verständnisse rekonstruiert werden und auch hier gibt es Hinweise darauf, dass die Varianz zwischen den Gruppen groß ist und die Varianz innerhalb einzelner Gruppen übersteigt.

Die beobachtete Varianz nimmt auch nach der Informationskarte (Abb. 8) kaum ab, obwohl die Verständnisse zunehmen, die dem auf der Informationskarte mitgeteilten (fachlich angemessenen) Konzept entsprechen („o“ in Tab. 5). Diese Zunahme deutet darauf hin, dass die schriftliche Mitteilung von Konzepten zum Kompetenzaufbau zwar beiträgt, gleichzeitig aber die bereits vor der Informationskarte aktivierten unangemessenen Verständnisse („x“ in Tab. 5) auch nach der Information aktiviert und lediglich durch das fachlich angemessene Verständnis ergänzt werden. Auch im wiederholten Aufgreifen scheint sich keine eindeutige Stabilisierung in Richtung fachlich angemessener Konzepte zu zeigen (vgl. ähnliche Befunde in der Conceptual-Change-Forschung zum fachinhaltlichen Lernen, u. a. Duit und Treagust 2003).

Die Varianz der Verständnisse (insgesamt, für einzelne Schüler*innen und für bestimmte Aufgaben), die nicht eindeutige Wirkung der Informationen und die kaum erkennbare Stabilisierung machen es uns schwer, Hinweise auf eine Progression erster Art abzuleiten. Es stellt sich zudem die Frage, welche Bündelung der Verständnisse (die wir mit den Hauptkategorien bereits vorgenommen haben) überhaupt theoretisch und empirisch zulässig ist, und wo eine stärkere Verdichtung wichtige Stufen in der Verständnisentwicklung verschwinden lässt.

Die Varianz der Verständnisse nach der Informationskarte deutet zudem darauf hin, dass sich zur Bearbeitung der verschiedenen Aufgaben nach der Mitteilung des Konzepts aus Sicht der Schüler*innen vielfältige Verständnisse als brauchbar erweisen. Die Instruktion ist also insofern nicht kohärent, als dass sie in den darauffolgenden Aufgaben zwar die Nutzung der Information anregt (Stabilisierung anstrebt), aber in diesen Wiederholungen zu wenig sicherstellt, dass die Schüler*innen kritisch prüfen können, ob ihre Konstruktionen sachangemessen sind, also tatsächlich zur Information passen.

Im Zuge der qualitativen Analyse wurden nicht nur Verständnisse rekonstruiert, sondern ergänzend auch die Richtigkeit von Aussagen kodiert, die Entscheidungen dazu enthalten, ob eine Frage naturwissenschaftlich ist oder nicht. Auffällig ist hier, dass die Schüler*innen in insgesamt 435 untersuchten Entscheidungsprozessen 372 mal die richtige Entscheidung treffen (50 mal falsch, 13 mal unklar). Gleichzeitig rekonstruieren wir jedoch aus mehr als 20 % der zugehörigen Verbalisierungen Verständnisse, die eher nicht sachangemessen sind. Hier deutet sich an, dass es mit Blick auf die Progression zweiter Art (vgl. Abb. 1) zentral ist, sowohl die Progression von Wissensbeständen (die wir in der Varianz nicht gut erkennen können) als auch die Progression in Fähigkeiten (die in Bezug auf das Identifizieren nahezu abgeschlossen scheint) zu modellieren, anzuregen und deren Wechselbeziehungen zu untersuchen.

6 Zusammenfassende Diskussion und Ausblick

Der Sequenzierung der in diesem Projekt genutzten Instruktion liegen umfassende Annahmen zur Progression erster und zweiter Art zugrunde, die neben theoretischen Überlegungen u. a. auf empirischen Befunden zur Förderung von experimentbezogener Kompetenz sowie auf Befunden zum fachinhaltlichen Lernen basieren. Der schriftliche Prä-Post-Vergleich hat gezeigt, dass die Instruktion zu einem deutlichen Kompetenzzuwachs führt und deutet damit auch darauf hin, dass unsere Überlegungen zur Herstellung instruktionaler Kohärenz grundsätzlich geeignet sind. Unsere Ergebnisse der Analyse von Bearbeitungsprozessen zeigen gleichzeitig, dass sich der Kompetenzzuwachs in den von uns ausgewerteten Daten und mit den von uns gewählten methodischen Zugängen weder eindeutig nachweisen noch systematisch auf Prozessmerkmale der Bearbeitung unserer Instruktion beziehen.

Es ist davon auszugehen, dass sich an der großen Varianz, die in den bisher ausgewerteten Daten identifiziert wurde, auch nach einer Vergrößerung der Fallzahlen nicht grundsätzlich etwas ändern wird. Es mag sich zwar z. B. eine Häufung von bestimmten Verständnissen zeigen, die Vielfalt der gezeigten Verständnisse kann mit einer Vergrößerung des Datensatzes jedoch nur stabil bleiben oder sogar weiter zunehmen. Im Anliegen der Konstruktion eines spezifischen (ggf. mehrdimensionalen) Progressionsmodells muss in der Varianz geklärt werden, an welcher Stelle für das Lernen wichtige Zustände abgebildet werden, die für die Konstruktion und empirische Untersuchung einer Progression bedacht werden müssen. Gleichzeitig muss die Varianz im Konstruktionsanliegen aber reduziert werden, damit ein für die Entwicklung von Instruktionen handhabbares Modell entstehen kann. Wir sehen in der Balance dieser beiden Überlegungen eine zentrale Herausforderung für die Entwicklung von Progressionsmodellen und letztendlich auch für die Möglichkeiten, mit ihnen in zu erwartender Varianz Kohärenz herstellen zu können.

Der Befund, dass wir auch nach der Mitteilung eines Konzeptes ein breites Spektrum an unangemessenen Verständnissen bei den Lernenden identifizieren, verweist einmal mehr auf die begrenzte Wirkung von Erklärungen (vgl. Wittwer und Renkl 2008). In dieser Deutlichkeit hat uns der Befund insofern überrascht, als dass wir – gemäß unseren bisherigen empirischen Ergebnissen (vgl. von Aufschnaiter und Rogge 2010a, 2010b) – vorlaufende Explorationsphasen systematisch angelegt hatten, um die Schüler*innen für die Information inhaltlich zu sensibilisieren. Im Sinne eines konstruktivistischen Grundverständnisses war unsere Annahme, dass die Lernenden dadurch bereits intuitiv einen ersten Zugang zu den fachlich angemessenen Konzepten entwickeln, so dass die Information zu diesem Verständnis passt und entsprechend verarbeitet werden kann. Die Suche nach Merkmalen von Kohärenz sollte sich deshalb auch darauf richten, insbesondere das Wechselspiel von eigenaktiven Arbeitsphasen und darauf bezogenen, ggf. wiederholt abgegebenen, Informationen zu untersuchen, da die damit einhergehende Progression erster Art zentral für das Weiterlernen im Sinne einer Progression zweiter Art ist.

In der Nutzung von zwei ganz unterschiedlichen Datenquellen (schriftliche Testungen, Videodaten) zur Erfassung des Kompetenzaufbaus ist uns sehr deutlich geworden, welche Herausforderungen sich für die empirisch gestützte Modellierung von Progression ergeben. Prä-Post Messungen geben Auskunft über Fortschritt und würden sich im Querschnitt auch anbieten, zu ersten Progressionsüberlegungen zu gelangen. Gleichzeitig aber deuten unsere Ergebnisse der Prozessanalysen (Aktivitäten, Verständnisse) klar darauf hin, dass sich dieser Fortschritt nicht eindeutig auf die Progressionsüberlegungen zurückführen lässt, die der Instruktion zugrunde lagen. Zudem konnten in den Analysen bisher keine neuen/anderen Merkmale identifiziert werden, die sich zur Beschreibung einer Progression eignen. Beides verweist darauf, dass weitere Prozesserhebungen erforderlich sind, um Modellierungen des Kompetenzaufbaus besser empirisch abzusichern. Eine Herausforderung wird dabei sein, methodische Zugänge zu finden, die die relevanten Prozessmerkmale hinreichend differenziert auflösen, gleichzeitig aber nur auf bestimmte Stellen in einem Datensatz zugreifen (also insb. nicht versuchen, den gesamten Arbeitsprozess abzubilden). Hier deutet sich an, dass geschickt angelegte Wiederholungen nicht nur für das Lernen wichtig sind, sondern auch forschungsmethodisch ein zentrales Instrument darstellen, weil sie Ankerstellen in Prozessdaten bilden können, an denen sich Progression besonders gut untersuchen lässt. Wir haben darauf bei der Instruktion nicht hinreichend geachtet, vermuten hier jedoch großes Potential für die Erfassung des Kompetenzaufbaus, und werden dies in zukünftigen Erhebungen stärker in den Blick nehmen.