1 Einleitung

Montagesysteme sind Arbeitssysteme, in denen ein oder mehrere Beschäftigte und/oder Arbeits- und Betriebsmittel auf Basis der Informationen des Arbeitsauftrages Montageobjekte (Produkte) aus Komponenten und/oder Baugruppen zusammenbauen. Der Montageablauf beinhaltet Handhabungs- und Fügevorgänge, die um Justier‑, Kontroll- und verschiedene Hilfsvorgänge – wie etwa Reinigen, Drucken oder Markieren – ergänzt werden können (Lotter 2012; VDI-2860 1990). Werden solche Vorgänge ausschließlich oder überwiegend von Beschäftigten ausgeführt, wird von manueller Montage gesprochen. Dieser Montagetyp steht im Zentrum des vorliegenden Artikels. Er lässt sich nach verschiedenen Kriterien weiter ausdifferenzieren (Luczak 1986). Besondere Bedeutung hat das Kriterium der Einheitlichkeit bzw. der Variantenvielfalt von Montageobjekten. Neben dem Trend zur Mehrproduktmontage lassen sich weitere Entwicklungen beobachten. So werden immer mehr zusätzliche Funktionen in Produkte integriert, wodurch die Anzahl zu montierender Komponenten ansteigt (Brecher et al. 2011). Zudem werden mehr und mehr mechatronische Produkte entwickelt, was zur Folge hat, dass vermehrt elektronische Bauelemente bzw. Module zu montieren und dabei Vorschriften, etwa zum ESD-Schutz, einzuhalten sind. Ferner werden viele mechatronische Produkte in der Montage mit einer Firmware versehen oder umfangreichen Funktionsprüfungen unterzogen.

All diese Entwicklungen machen die manuelle Montage zu einer zunehmend komplexen Angelegenheit, die die Aufbereitung und Verarbeitung von zusätzlicher Information erforderlich macht und seitens der Beschäftigten zu höherer mentaler Beanspruchung oder wachsender Workload beiträgt. Empirische Studien belegen, dass eine solche Zunahme an Workload sich vielfach negativ auf die Arbeitsproduktivität auswirkt. So zeigten bereits MacDuffie et al. (1996) in einer breit angelegten und viel beachteten Studie in 70 Unternehmen eine signifikant negative Korrelation zwischen Komplexitäts- und Produktivitätsmaßen auf. Bestätigende Befunde liefern auch neuere Arbeiten von Falck et al. (2017).

2 Einsatzziele von informatorischen Assistenzsystemen: Mehr Komplexität bei möglichst geringer Workload beherrschen

Theoretisch steht damit die Schnittstelle von externen Anforderungen im Arbeitssystem und internen Ressourcen der Beschäftigten im Zentrum unserer Analyse (Hacker und Richter 1984; Bakker und Demerouti 2017). Dabei wird davon ausgegangen, dass 1) die zunehmende Variantenvielfalt zu komplexeren Anforderungen an die Beschäftigten führt, 2) dadurch die mentalen Beanspruchungen anwachsen und 3) über ein verbessertes, arbeitsplatzbezogenes Informationsmanagement einer Abnahme der Arbeitsproduktivität entgegen gewirkt werden kann. Zu diesen Verbesserungen des Informationsmanagements zählt potenziell auch die Einführung von informatorischen Assistenzsystemen.

2.1 Ansatzpunkte zur Verbesserung der informatorischen Gestaltung von Montagesystemen

Mit dem Trend einer steigenden Anzahl von Produktvarianten innerhalb von Montagesystemen geht eine Zunahme der Komplexität der Montagetätigkeit für die Beschäftigten einher. Die Anzahl und Kombination der zu montierenden Komponenten, der zu benutzenden Arbeitsmittel oder der anzuwendenden Arbeitsmethoden können von Produkt zu Produkt unterschiedlich sein. Daher steht jedes betroffene Unternehmen vor der Herausforderung, die der Montagetätigkeit zugrunde liegenden informatorischen Prozesse zu verbessern. Entsprechend dem von Wiedenmeier (2004) postulierten Phasenmodell zur informatorischen Gestaltung von manuellen Montageprozessen sind bei zunehmender Komplexität seitens des Beschäftigten mehr Informationen aus verschiedensten Kanälen mental zu erfassen und interpretierend zu verarbeiten, Sensorik und Motorik verstärkt zu koordinieren und ein erheblich höheres Maß an Tätigkeitskontrolle durchzuführen. Dabei sollte das Informationsmanagement nicht an den mentalen Ressourcen der Beschäftigten vorbei entwickelt werden. Damit verknüpft sich die generelle Forderung, alle informatorischen Bestandteile des Montagesystems so zu gestalten, dass den Beschäftigten die richtigen Informationen in der richtigen Menge, in der richtigen Reihenfolge, an der richtigen Stelle im Blickfeld und zur richtigen Zeit bedarfsgerecht übermittelt werden (Hinrichsen et al. 2018).

Empirische Untersuchungen in unterschiedlichen Bereichen der betrieblichen Praxis weisen allerdings auf vielfältige Defizite bei der informatorischen Gestaltung von manuellen Montagesystemen hin (Claeys et al. 2015). Hinrichsen und Bendzioch (2018) konnten verschiedene Defizitkategorien bei der Informationsbereitstellung in der manuellen Montage identifizieren: (1) Benötigte Informationen im Montagesystem fehlen, (2) es werden unnötige Informationen vermittelt, (3) Zeitpunkt und Menge der Informationsbereitstellung sind falsch gewählt, (4) Informationen sind nicht aktuell und (5) nicht so aufbereitet, dass diese einfach vom Beschäftigten aufgenommen und verarbeitet werden können. Konsequenzen sind Unterbrechungen von Montageprozessen, Suchvorgänge, Rücksprachen mit Konstrukteuren oder Korrekturen, die zu einer geringen Akzeptanz des Informationsmanagements führen.

Der allgemeine Befund konstatiert somit einerseits zwar zunehmende Komplexität und höheres Informationsaufkommen in manuellen Montagesystemen, zeigt andererseits aber auch Mängel gerade bei der Gestaltung der informatorischen Rahmenbedingungen auf. Aus diesem Befund leitet sich dann eine doppelte Überlegung ab: Einmal ist eine kognitiv ergonomische Analyse der gegebenen Informationssysteme vorzunehmen und ihre Gestaltung weiter zu optimieren (Radüntz et al. 2014), sodann aber auch – und hier liegt aktuell der Schwerpunkt – sind Ansatzpunkte für den Einsatz geeigneter und auf den Bedarf zugeschnittener informatorischer Montageassistenzsysteme aufzuzeigen, von denen anzunehmen ist, dass sie einerseits die mentale Beanspruchung der Beschäftigten in der Summe reduzieren, andererseits aber auch die individuelle Arbeitsproduktivität steigern. Es wäre ein Fehler anzunehmen, dass jedes informatorische Assistenzsystem zu mentaler Entlastung beiträgt. Entscheidend ist, dass der reale Informationsbedarf identifiziert und ein anforderungsgerechtes Montageassistenzsystem konfiguriert wird. Eine Übersicht zu wesentlichen Gestaltungsparametern eines solchen Systems liegt in Form einer Morphologie vor (Hinrichsen et al. 2016).

2.2 Abstimmung von komplexen Arbeitsplatzanforderungen und mentalen Ressourcen

In manuellen Montagesystemen wird über Ausgabegeräte oder auf Papier Information im Sinne von externen Anforderungen an Beschäftigte übermittelt, die diese dann mental verarbeiten und in Montagetätigkeiten umsetzen müssen, um die Arbeitsaufgabe erfüllen zu können. Die Mehrproduktmontage zeichnet sich dabei durch ein höheres Aufkommen an belastender Information aus. Dabei darf das Konzept des Informationsaufkommens aber nicht eindimensional als ein quantitatives, sondern muss auch als ein qualitatives Mehr begriffen werden, wodurch auch die mentale Beanspruchung in neuartige Dimensionen übergeht (z. B. Wahrnehmung von Mustern, Erkennen von Interdependenzen, Rasmussen 1983).

Aus arbeitspsychologischer Sicht können die aufgezeigten Sachverhalte in einem einfachen zweidimensionalen Modell mit den hierarchisch angeordneten Ebenen Organisation, Arbeitsplatz und Individuum abgebildet werden, wobei zwischen diesen Ebenen keine einfachen Kausalbeziehungen anzunehmen sind (vgl. Abb. 1). Im horizontalen Verlauf des Modells wird der Zusammenhang von Komplexität des Montagesystems und Arbeitsproduktivität des einzelnen Beschäftigten erfasst. Die zentrale Annahme lautet hier: Mit zunehmender Komplexität der Anforderungen von Montageprozessen nimmt die Arbeitsproduktivität – etwa infolge von Suchzeiten, Montagefehlern oder Nacharbeit – tendenziell ab, weil das Ausmaß an zu verarbeitender Information ansteigt und dadurch Unsicherheiten und Störungen infolge mentaler Überforderung zunehmen. Dementsprechend wird dieser generelle Zusammenhang in vertikaler Richtung durch die Art der Informationsbereitstellung und -verarbeitung moderiert: Hohe Anforderungen an die Informationsverarbeitung, die die gegebenen Ressourcen der Informationsverarbeitung stark beanspruchen oder gar übersteigen, können durch eine geeignete technische Unterstützung reduziert werden.

Abb. 1 Fig. 1
figure 1

Modell der Informationsverarbeitung in der manuellen Montage

Information processing in manual assembly

Um den negativen Zusammenhang von abnehmender Produktivität infolge zunehmender Komplexität aufzulösen, bedarf es gerade in der Mehrproduktmontage einer Verbesserung der informatorischen Arbeitsbedingungen, die einerseits zu einer Anpassung der individuellen Ausführungskompetenzen und andererseits zu einer Minderung der hohen mentalen Beanspruchung führen. Diese Doppelfunktion können informatorische Assistenzsysteme übernehmen (Reinhart et al. 2013; Müller et al. 2014). Allerdings stellen sich nur dann die intendierten Erfolge ein, wenn externe Anforderungen und interne Ressourcen weitgehend ausbalanciert bzw. aufeinander abgestimmt sind. Adaptiv ausgelegt verfolgen informatorische Assistenzsysteme somit den Zweck, den Beschäftigten entsprechend ihrer Kompetenzen und aktuellen Beanspruchungen erforderliche Informationen zu übermitteln, um situative Unsicherheiten und eine zu hohe Workload zu vermeiden (nicht aber, um Beanspruchungen generell gering zu halten, was dann auch zur Unterforderung führen könnte). Auf längere Sicht ließe sich daraus ableiten, in Echtzeit aufgezeichnete Überbeanspruchungen während Montageprozessen aufzudecken und automatisch entsprechende Gegenmaßnahmen im Bereich der Anforderungen oder der Unterstützung einzuleiten (Hoover et al. 2012).

3 Zunehmende Komplexität der Montagetätigkeit

Abb. 2 zeigt drei in unseren Laboren aufgebaute Montagearbeitsplätze, in denen Beschäftigte einen maßstabsgetreu verkleinerten Metallhilfsrahmen für einen LKW mit aufzusetzendem Koffer (links oben) und Pneumatikbaugruppen (rechts oben) montieren. Die Montagetätigkeit wird in beiden Fällen durch informatorische Assistenzsysteme (AR-Brille (oben), In-Situ-Projektion (unten)) unterstützt. Diese beiden Montagearbeitsplätze geben aktuell den Hintergrund für abgestimmte empirische Laboruntersuchungen im Verbundprojekt Montexas 4.0 in Greifswald und Lemgo ab. Analysiert werden dabei vor allem die Auswirkungen zunehmender Komplexität der Montagetätigkeit auf mentale Beanspruchung und Arbeitsproduktivität bei Einsatz unterschiedlicher informatorischer Assistenzsysteme.

Abb. 2 Fig. 2
figure 2

Beispiele für Montageassistenzsysteme aus den Laboren der Universität Greifswald und der Hochschule Ostwestfalen-Lippe

Informational assistance systems in experimental settings at the University of Greifswald and University of Applied Sciences Ostwestfalen-Lippe

3.1 Informationsdichte in der Montage nimmt zu

Komplexität wird in enger Verbindung zur Informationshaltigkeit von Systemen thematisiert. Information wird dabei als ein Muster von Materie und Energie gedacht, welches auf andere Systeme einwirkt und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Veränderung bewirkt (Schlick et al. 2018). In dem Sinne gilt ein Montagesystem als informationsreich, wenn es besondere Aufmerksamkeit, mehr geistige Anstrengungen, zahlreiche Entscheidungen und die stetige Auswahl unterschiedlicher Handlungsmuster erfordert (Frese 1987).

Information wird dadurch als Beziehung zwischen Sender und Empfänger konzipiert. Der Informationsgehalt eines Systems hängt jedoch auch immer davon ab, von welchem Empfänger Informationen aufgenommen und verarbeitet werden. Für den Empfänger, der über viel Wissen, Kompetenz oder Erfahrung verfügt, hält das sendende System dann entsprechend weniger Information bereit als für den unwissenden, inkompetenten oder unerfahrenen Beschäftigten. Von daher erscheint es auch unerlässlich, informatorische Assistenzsysteme zumindest grob auf die mentalen Ressourcen der zukünftigen Nutzer abzustimmen.

Vergleichbar fällt die Einproduktmontage mit einem repetitiv zu fertigenden Produkt weniger informationshaltig bzw. komplex aus als die Mehrproduktmontage, wo in ungewisser Reihenfolge nacheinander verschiedene Modelle etwa einer Pneumatikpumpe mit ganz unterschiedlichen Teilen montiert werden. Dabei ist auch zu beachten, ob die zu montierenden Produktvarianten oder -typen gleich oder ungleich verteilt sind (z. B. 60 % Typ 1, 20 % Typ 2 und jeweils 5 % Typen 3 bis 6).

Das Maß des erwarteten Informationsgehalts einer Menge von disjunkten Ereignissen beschreibt die Entropie. Sie wird als objektive Unsicherheit vor dem Eintreten des nächsten Montageauftrags interpretiert. Diese Unsicherheit betrifft z. B. die Frage, welche Alternative dieser Pumpe als nächste mit welchen unterschiedlichen Teilen und Werkzeugen zu montieren ist. In diesem Sinne ist jede Art der Komplexitätssteigerung mit einer zumindest vorübergehenden Zunahme an Verunsicherung verbunden, wobei nicht direkt zu erkennen ist, wie stark diese ausfällt, wie sehr sie mental beanspruchend ist und wie sehr sie durch informatorische Unterstützung kompensiert werden kann. So können starke Verunsicherungen in Versagensängste umschlagen oder in lange Prozesse des Abwägens, Nachfragens und Absicherns einmünden, was dann zu umfangreichen Verteilzeiten und damit zu mangelnder Arbeitsproduktivität beiträgt.

3.2 Montagetätigkeit: Entscheidungen zwischen verschiedenen Alternativen unter Unsicherheit treffen

Zhu et al. (2008) beschreiben den komplexen Prozess der Montagetätigkeit als eine Abfolge von verschiedenen Auswahlprozessen auf einer Zeitachse, in denen Beschäftigte bis hin zum Abschluss der Montage stets Entscheidungen zwischen verfügbaren Alternativen z. B. von Varianten, Teilen oder Werkzeugen zu treffen haben. Der Montageprozess wird bei ihnen dadurch als „choice process“ konzipiert und die Komplexität des Prozesses als „operator choice complexity (OCC)“ bestimmt. Angenommen wird, dass mit zunehmender Unsicherheit infolge zahlreicher Auswahlentscheidungen Verzögerungen auf der Zeitachse, Fehlgriffe hinsichtlich von Teilen und Werkzeugen oder Fehler bei der Fixierung am jeweiligen Zwischen- oder Endprodukt der Montagetätigkeit verbunden sind. Die mentalen Routinen werden unterbrochen; kognitive Automatismen müssen zurückgedrängt werden (Stork und Schübo 2010; Fast-Berglund et al. 2013). In diesem Sinne ist es zeitraubender und auch fehleranfälliger, aus ökonomischen Gründen z. B. einen LKW-Rahmen aus unterschiedlich langen Trägern mit unterschiedlichen Ausrichtungen und unterschiedlich farbigen Schraubsystemen montieren zu lassen, weil bei jedem Rahmen auf der Basis von Auftragsinformationen immer wieder andere Auswahlentscheidungen zwischen Trägern und Farbkombinationen zu treffen sind. Je mehr solcher Entscheidungen vorzunehmen sind, desto größer ist die objektive Unsicherheit, desto höher ist die mentale Beanspruchung und desto mehr Zeit wird benötigt.

Was in der Praxis mehr Zeit benötigt, gilt oftmals als schwierig. In dem Sinne wird das Entropiemaß der Unsicherheit häufig in Richtung auf die Schwierigkeit der Ausführung einer Montagetätigkeit interpretiert (Samy und ElMaraghy 2010). Eine schwierige Montagetätigkeit wird dabei erneut mit einem höheren Maß an mentaler Leistung z. B. im Sinne von Konzentration und damit auch Beanspruchung geknüpft. Empirische Befunde von Rodriguez-Toro et al. (2002) bestätigen diese Annahme: Schwierig auszuführende Tätigkeiten erfordern mehr Zeit, führen zu mehr Fehlern und zu Verlusten an Arbeitsproduktivität.

Vor diesem Hintergrund können letztlich auch viele sog. Komplexitätstreiber als Faktoren angesehen werden, die jede Montage erschweren (z. B. häufiger Produktwechsel, häufiger Einsatz neuartiger Betriebsmittel) und die Wahrscheinlichkeit von Unsicherheit und dadurch bedingtem zusätzlichen Zeitaufwand, von Abweichungen bzw. von Fehlern und daraus abgeleiteten weiteren ökonomischen Indikatoren erhöhen (Zeltzer et al. 2012; Falck et al. 2017). Eine umfassende Übersicht zu Komplexitätstreibern liefern Schuh et al. (2015). Sie eruieren bereits im Vorfeld der Montageplanung, wie unnötige Komplexität und damit verknüpfte mentale Beanspruchung vermieden werden können. Sie unterscheiden fünf Klassen von Komplexitätstreibern (Produkt, Prozess, Netzwerk, Organisation, Personal), denen 11 differenzierende Dimensionen und 26 konkrete Treiber zugeordnet sind. Diese können auch als operationalisierte Parameter für empirische Untersuchungen bestehender Systeme genutzt werden. Ausführliche Erörterung findet dabei auch der Komplexitätstreiber „Person“. Er wird vornehmlich über interne Ressourcenmerkmale wie unzureichende Qualifikation, mangelnde Motivation und geringe Kooperationsbereitschaft operationalisiert, wobei anzunehmen ist, dass der kognitive Aufwand für einen weniger qualifizierten Mitarbeiter größer wird. In Sender-Empfänger-Beziehungen ist also nicht einseitig die Technik ein entscheidender Komplexitätstreiber, sondern auch die unzureichende Einstellung des Anwenders, die es erschwert, technische Möglichkeiten effektiv zu nutzen.

3.3 Bestimmung der Komplexität von Montageprozessen

Es ist fast eine Selbstverständlichkeit anzunehmen, dass viele Montageprozesse in Branchen wie dem Maschinen- oder Fahrzeugbau eine hohe Komplexität aufweisen. Allerdings bleibt oftmals unklar, was genau unter Komplexität zu verstehen ist und wie man sie messen kann. Bei einem sehr einfachen, standardisierten Prozess gibt es keine Variation, alles läuft immer gleich nach festen Routinen ab. Bei einem sehr komplexen Prozess erfolgt jede Montage nach einem höchst variablen Programm, es gibt hier nicht nur ein, sondern viele Muster, aus denen man wählen muss. Die variantenreiche Montage lässt sich auf diesem Kontinuum zweifelsohne eher im Bereich komplexer Montage einordnen, da sie mit kontinuierlichen mentalen Prozessen des Auswählens und Entscheidens zwischen vorgegebenen Alternativen und einer entsprechend variablen Regulation der Tätigkeit verknüpft ist. Zusätzlicher Zeitdruck erhöht die mentale Beanspruchung (Lindblom und Thorvald 2014; Young et al. 2015).

Wenn man sich nun in der Praxis fragt, ob die gegebene Komplexität eines Montageprozesses den Einsatz von informatorischen Assistenzsystemen erforderlich macht, so impliziert dies die Vorstellung, das Ausmaß der Komplexität eines Montageprozesses exakt bestimmen und sogar eine Grenze festlegen zu können, jenseits derer Unterstützung erforderlich ist. Diese Vorstellung ist in beiderlei Hinsicht noch nicht durch Forschungsbefunde abgesichert.

Es werden immer wieder drei abgestufte Wege der Bestimmung von Komplexität erörtert, die im Kern allesamt auf ausgefeilten Prozessanalysen und zugeordneten Kennzahlen zum Auftreten von Fehlerhäufigkeiten oder Wartezeiten basieren. Mentale Beanspruchungen spielen dabei überwiegend nur eine hypothetische Rolle. Grob lassen sich diese Wege auf einem Kontinuum von objektiven und subjektiven Verfahren ansiedeln:

  • Ein erstes objektives Verfahren (objektive Entropie) verläuft über die Bestimmung der informationellen Entropie, die sich auf den gesamten Prozess oder nur auf Teilprozesse bezieht (z. B. die Part Assembly Complexity bei Samy und ElMaraghy 2010; oder die Teile‑, Werkzeug- und Fixations-Komplexität bei Zhu et al. 2008). Dem Detaillierungsgrad sind dabei keine expliziten Grenzen gesetzt. Es geht letztlich darum, für jeden einzelnen Prozessabschnitt die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit oder Zufälligkeit zu bestimmen, dass angesichts verschiedener Auswahlmöglichkeiten verzögerte oder falsche Entscheidungen getroffen werden, die dann Produktivitätseinbußen verschiedenster Art erzeugen. Mentale Prozesse finden hier keine direkte Erwähnung, allerdings werden immer wieder stabile Befunde zur Reaktionszeit als Plausibilitätsbelege zitiert (Zhu et al. 2008).

  • Ein zweites Verfahren (Montagekomplexität) verläuft über Maße, die das potenzielle Scheitern einzelner Montagetätigkeiten wie das Greifen nach zu montierenden Teilen oder das Anbringen einer Komponente mittels einer Schraube beschreiben. Zentrale Faktoren eines potenziellen Scheiterns sind dabei die Schwierigkeit des Handlings von Teilen (weil sie großflächig, nicht gut unterscheidbar oder schwer sind) und des Anbringens der Teile am Montageobjekt (z. B. weil Sicht eingeschränkt ist, weil erforderliches Werkzeug schwer zu handhaben ist). Für jedes Merkmal wird ein durchschnittlicher Schwierigkeitswert bestimmt, der dann mit der Anzahl der komplexen Merkmale in Verbindung gebracht wird. Basierend auf dieser Idee beschreiben Samy und ElMaraghy (2010) die Berechnung der dynamisch konzipierten Product Assembly Complexity. Eine hohe Komplexität – ausgedrückt über einen produktbezogenen Komplexitätsindex – liegt letztlich dann vor, wenn die Teile nicht nur schwierig zu montieren sind (und die Montage dadurch viel Konzentration erfordert), sondern auch der Anteil einzigartiger Teile an dem kritischen Produkt hoch ist (wodurch viel Aufmerksamkeit gebunden wird und wenig Routine eingebracht werden kann).

  • Das dritte Verfahren (subjektiver Schwierigkeitsindex) basiert auf der Berechnung von sog. heuristischen Indizes. Sie beruhen auf der Gewinnung von mehr oder weniger subjektiven Eindrücken von der Schwierigkeit der Montagetätigkeit oder einzelner Montageschritte an verschiedenen Montagearbeitsplätzen. Dazu werden in der Regel verschiedene Schwierigkeitskriterien benannt, über deren Ausprägung dann jeweils ein Komplexitätsindex für einen Montageprozess oder -arbeitsplatz berechnet wird. Typische Kriterien sind etwa die informatorische Unterstützung oder das Layout von Werkzeugen (Mattsson et al. 2012), die Anzahl von erforderlichen Werkzeugen oder die Variantenzahl (Zeltzer et al. 2012) oder die schlechte Zugänglichkeit zu Behältern und die schlechte Handhabbarkeit von Betriebsmitteln (Falck et al. 2017). Alle diese Kriterien werden Beschäftigten zur Einschätzung auf typischen Likert-Skalen vorgelegt (z. B. CXI von Gullander et al. 2012). Ermittelt werden so vornehmlich vergleichbare Schwierigkeitseinschätzungen für verschiedene Montagearbeitsplätze, aus denen dann spezifische ergonomische Gestaltungsmaßnahmen oder auch ein Bedarf an informatorischen Assistenzsystemen für den jeweiligen Prozess abgeleitet werden.

Tab. 1 stellt noch einmal die Stärken und Schwächen der drei aufgezeigten Ansätze zusammen.

Tab. 1 Table 1 Stärken und Schwächen der Ansätze zur Bestimmung von KomplexitätDetermination of Complexity: Strengths and weaknesses

Die Tabelle gibt zu erkennen, dass die drei Komplexitätsmaße in unterschiedlich ausgeprägtem Maße der Informationstheorie und der damit verbundenen Vorstellung von diversen Auswahlentscheidungen verhaftet sind. Komplexität wird mehr und mehr auf Schwierigkeiten unterschiedlichster Art bei der Montage beschränkt und zudem vornehmlich auf die stärker motorisch geprägte Handhabung von Komponenten reduziert. Die subjektiven Maße geben kaum mehr direkte Bezüge zu einer zunehmenden und differenzierteren Informationsverarbeitung zu erkennen. Die Liste der Kriterien ist dadurch letztlich unbegrenzt erweiterbar. So schlagen etwa Brinzer und Banerjee (2017) vor, auch die Einarbeitungszeit für neue Mitarbeiter oder die Anlagenauslastung als Indikator der Komplexität zu verwenden. Auf diese Weise verliert das Konzept der Komplexität mehr und mehr an Spezifität.

4 Montage als organisiertes System von energetischen und informatorischen Belastungen

Arbeitssysteme in der Montage dienen der Bearbeitung von Montageaufträgen und stellen somit Anforderungen an Beschäftigte. Diese müssen sich auf der Grundlage ihrer eigenen Ressourcen mit diesen Anforderungen auseinandersetzen. Dadurch ist ein Verhältnis von externen Belastungen und internen Beanspruchungen thematisiert, welches ausführlich von Hacker und Richter (1984) im Auftrags-Auseinandersetzungs-Konzept behandelt wird und auch der revidierten Fassung der DIN EN ISO 10075-1 (2018) zugrunde liegt. Diese Fassung berücksichtigt stärker als die ältere Fassung aus dem Jahr 2000 gerade die psychischen und damit auch die mentalen Belastungen und Beanspruchungen.

4.1 Belastungen und Beanspruchungen am komplexen Montagearbeitsplatz

Die komplexe Variantenmontage erfordert ein höheres Maß an Informationsverarbeitung, an Auswahl- und Entscheidungsprozessen sowie an Konzentration und Wachsamkeit. Dies impliziert, dass dieser Montagetyp einmal im quantitativen Sinn stärker belastend ist als die traditionelle Einproduktmontage und dass es zum Zweiten im qualitativen Sinn eine Verschiebung weg von mehr energetischen und hin zu mehr informatorischen Belastungen gibt. Der Montagearbeitsplatz gilt damit wie jeder Arbeitsplatz zwar als Konglomerat verschiedener Belastungsformen, jedoch gehen die physisch-energetischen Formen in der Tendenz weiter zurück, während mental-informatorische Anteile zunehmen. Dabei gilt für beide Formen, dass je nach verfügbaren Ressourcen die resultierenden Beanspruchungen ganz unterschiedlich hoch ausfallen. Wer über viel Ressourcen, Kompetenzen und Erfahrung verfügt, kann auch die zunehmende informatorische Belastung besser bewältigen und ist weniger beansprucht (Ma et al. 2012).

Dabei gilt zunächst einmal generell, dass Informationsaufnahme und -verarbeitung kapazitativ limitiert sind (Wickens 2008), was über kurz oder lang zu einem Flaschenhals in der Informationsverarbeitung und zu zunehmenden Reaktionszeiten führt. Jede mentale Beanspruchung als Folge einer Belastung könnte damit als Folge eines Überangebots an zu verarbeitender Information betrachtet werden, wodurch die subjektiven Ressourcen (z. B. das Erkennen und Differenzieren von Reizen, das Denken oder die Entscheidungsfindung) überbeansprucht werden. Als gut belegt gilt die Annahme, dass mit zunehmender Komplexität von Anforderungen im Labor zunächst der kognitive Ressourcenverbrauch dynamisch ansteigt, um dann in ein Plateau überzugehen, welches rasch mit deutlichen Leistungsabfällen einhergeht (Young et al. 2015).

Damit stellen sich zentral zwei Fragen: Kann man solche mentalen Beanspruchungen auch am Arbeitsplatz erfassen und quantifizieren, Obergrenzen der Beanspruchbarkeit festlegen und Fehlbeanspruchungen zum Gegenstand von Gefährdungsanalysen machen? Falls diese Frage positiv beantwortet wird, wäre sodann zu fragen, wie eine variantenreiche Montage unter Aspekten der kognitiven Ergonomie besser gestaltet werden kann.

4.2 Mentale Beanspruchungen als Gegenstand von Messung und betrieblicher Gefährdungsanalyse

Beanspruchungen gelten als Folgen von Belastungen. Laut DIN EN ISO 10075-1 (2018) werden sie als unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und akut gegebenen Voraussetzungen beschrieben. Sie verweisen damit auf ein Missverhältnis von situativen Anforderungen und eingebrachten körperlichen und geistigen Leistungsvoraussetzungen seitens der Beschäftigten. All solche informatorischen Defizite sollten – unter der Bedingung konstanter interner Ressourcen – zu registrierbaren mentalen Beanspruchungen führen, die sich dann in physiologischen Reaktionen und verschiedenen Gefühlen z. B. der Überlastung oder Erschöpfung niederschlagen, aber auch zu absinkender Aufmerksamkeit oder zur Einschränkung des Sehbereichs sowie zu anschließenden Motivations- und Leistungseinbußen führen können. Hier zeigen sich in der Regel deutliche Parallelen zu den von Stab und Schulz-Dadaczynski (2017) aufgezeigten Auswirkungen zunehmender quantitativer und qualitativer Arbeitsintensität, wobei letztere über Merkmale der Komplexität und der Qualität bestimmt werden. Offen bleibt dabei allerdings, ob die mentale Beanspruchung allein aus der zu verarbeitenden Komplexität oder aber aus z. B. der Furcht oder Sorge resultiert, Fehlentscheidungen herbeizuführen und dadurch Produktivitätseinbußen zu erzeugen.

Die Messung mentaler Beanspruchung infolge zunehmender Komplexität erweist sich gerade in der Praxis generell als problematisch, zumal Komplexität etwa im Sinne der von Samy & ElMaraghy betonten Kriterien z. B. in der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA 2012) keine Erwähnung findet. Komplexität ist damit noch gar nicht als eigenständiger Belastungsfaktor erkannt. Dies dürfte seinen zentralen Grund darin haben, dass Arbeit immer noch vornehmlich im Kontext energetischer Belastung konzipiert wird. So wird etwa von Metz und Rothe (2017) der Belastungsfaktor „Arbeitsinhalt“ mit den Merkmalen der Vollständigkeit, der Variabilität oder des Handlungsspielraums immer nur danach bewertet, ob neben der körperlichen Arbeit auch z. B. planende, denkende oder selbstbestimmende Elemente gegeben sind. Diese Elemente implizieren dann sehr wohl mentale Leistungen oder „Arbeitsbelastungen des Gehirns oder Geistes“ (Reiser et al. 2018, S. 24), es werden aber keine Aussagen zu Form und Umfang dieser Leistung oder gar zur Überschreitung von möglichen Leistungsgrenzen gemacht. Grenzen zur informatorischen Überbeanspruchung etwa in der Variantenmontage existieren noch nicht. Betriebliche Gefährdungsanalysen reichen von daher oftmals auch nicht an mentale Beanspruchungen bei komplexer inhaltlicher Tätigkeit heran. Vielmehr sind sie allein auf die bekannten, aus der Logistik stammenden Aspekte des Informationsmanagements beschränkt (so erwähnt die GDA nur Merkmale wie vollständig, zeitgerecht, sicher wahrnehmbar und relevant, liefert aber keine expliziten Hinweise auf zu verarbeitende Informationsmengen oder die Anzahl der zu treffenden Entscheidungen zwischen unterschiedlichen Varianten).

Komplexität als Belastungsfaktor wird in der Praxis vornehmlich über subjektive Einschätzungen mittels Fragebogen erfasst. Erst in jüngster Zeit wird vermehrt der Versuch unternommen, physiologische Indikatoren der Beanspruchung – etwa die Herzratenvariabilität oder die Pupillendilatation – auch in Unternehmen näher ins Auge zu fassen (Chen et al. 2016). Das hat vornehmlich mit dem Aufkommen mobiler und tragbarer Messarrangements zu tun, die auch kontinuierlich am konkreten Arbeitsplatz zum Einsatz kommen können. Auf diese Weise lassen sich z. B. anforderungsbezogene Beanspruchungsspitzen in Montageprozessen erfassen, Verteilungen der Beanspruchung über unterschiedliche Varianten ermitteln oder die Häufigkeit der Orientierung an Informationsvorgaben aufzeichnen. Durch die Messung z. B. neurophysiologischer oder kardiovaskulärer Prozesse lassen sich Wahrnehmung und Informationsverarbeitung relativ direkt erfassen, wodurch Verzerrungen infolge von subjektiven Einschätzungen oder erst nachträglichen Beurteilungen vermieden werden. Einen umfassenden Überblick über verschiedene objektive Verfahren der Beanspruchungsmessung gibt das von Bornewasser und Wegge (2018) herausgegebene Heft der Zeitschrift Wirtschaftspsychologie.

5 Gestaltungsempfehlungen für informatorische Assistenzsysteme

Beide komplementären Analysen zur Komplexität und zur mentalen Beanspruchung zeigen auf, dass die informatorischen Arbeitsinhalte und Arbeitsbedingungen in Richtung auf eine Balance zwischen Belastung und Beanspruchung hin ausgerichtet werden können. Dies stellt das Kerngebiet der kognitiven Ergonomie dar, die als Reaktion auf die Zunahme der Informationsmenge, veränderte Informationsstrukturen und die Menge und Geschwindigkeit von zu treffenden Entscheidungen ins Leben gerufen wurde (Kretschmer et al. 2017). Die kognitive Ergonomie zielt damit darauf ab, die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit mentaler Informationsverarbeitungsprozesse zu analysieren und zu gestalten – diese reichen von der sensorischen Aufnahme über die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, das Arbeitsgedächtnis, die Entscheidung zwischen Alternativen bis hin zur Vorbereitung motorischer Tätigkeiten und der Rückmeldung von Leistungsresultaten. Kognitiv geprägte ergonomische Gefährdungen resultieren dabei aus z. B. unklaren Handlungsanweisungen, unzureichender Anordnung von Anzeigemonitoren und Schaltbildern, schlechter visueller oder akustischer Gestaltung von Signalen oder unzureichender farblicher Differenzierung von Teilen.

In diesem Zusammenhang wird auch erörtert, ob und wie informatorische Assistenzsysteme helfen, die manuelle Mehrproduktmontage für die Beschäftigten zu erleichtern. Generell wird angenommen, dass Überbeanspruchungen infolge hoher Komplexität durch unterstützende informatorische Assistenzsysteme teilweise oder gänzlich kompensiert werden können. Dabei kann unterschieden werden zwischen solchen Systemen, die automatisch Entscheidungen übernehmen und solchen Systemen, die lediglich Informationen bereitstellen, aber Entscheidungen überwiegend bei den Beschäftigten belassen. Fast-Berglund et al. (2013) stellen aufgrund betrieblicher Studien generell in Aussicht, dass längerfristig durch „cognitive automation“ ein „decrease of workload“ (S. 450) zu erreichen ist, falls die Dosierung der Information auf die Beschäftigten hinreichend abgestimmt ist. Dies impliziert aber nicht nur, die richtige Information den richtigen Beschäftigten zur richtigen Zeit in richtigem Ausmaß und in richtigem Format zukommen zu lassen (vgl. Hollnagel 1987), sondern auch die kognitiven Ressourcen der Beschäftigten als Regulativ zu beachten und Vorstellungen totaler Fremdbestimmung zu vermeiden. Einen Ansatz liefert das Operational Process Dashboard of Manufacturing (OPDM) (Gröger et al. 2013).

Abb. 3 zeigt in einem systematischen Modell die Wirkzusammenhänge wichtiger Größen. Dabei wird erneut wie in Abb. 1 davon ausgegangen, dass eine hohe informatorische Komplexität als unabhängige Variable zu einer hohen informatorischen Beanspruchung führt, die sich negativ auf die Arbeitsproduktivität auswirken kann. Diese Wirkungen lassen sich durch moderierende Variablen – in Abb. 3 grau dargestellt – abschwächen oder beseitigen, indem

  • erstens entsprechende Kompetenzen der Beschäftigten im Umgang mit der arbeitssystemspezifischen Komplexität entwickelt werden,

  • zweitens der Einsatz mentaler Ressourcen und der Verarbeitungsaufwand für die Beschäftigten durch ein benutzerzentriert gestaltetes Assistenzsystem reduziert werden,

  • drittens das Assistenzsystem in bestehende technische Systeme integriert wird, um etwa Medienbrüche und damit zusätzliche Belastungen zu vermeiden.

Abb. 3 Fig. 3
figure 3

Modell der informatorischen Gestaltung von manuellen Montagesystemen

Model of informational layout of manual assembly systems

Der Einsatz von informatorischen Assistenzsystemen kann in dem in Abb. 3 dargestellten Modell als moderierende Variable wirken. Positiv formuliert können Assistenzsysteme Sicherheit und Zutrauen vermitteln und die Performanz und Erfahrungsbildung unterstützen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Assistenzsysteme benutzerzentriert und kontextsensitiv gestaltet sind (Wölfle 2014), indem sich die Systeme über eine Benutzerverwaltung individuell konfigurieren lassen, möglichst eine multimodale Interaktion unterstützen und Informationen anforderungsgerecht – z. B. unter Berücksichtigung des Übungsgrades – darstellen (Kölz et al. 2015).

So ist es z. B. unter Einsatz von AR-Brillen möglich, dass der Beschäftigte durch Gesten oder ein akustisches Signal („Weiter“) selbst die Geschwindigkeit der Informationspräsentation steuert. Auf vergleichbare Art kann er auch zusätzliche Information in einem markierten Bild oder gar einem kurzen Video eingespielt bekommen, wenn eine Variante eine besondere Montagemethode erforderlich macht oder die Ausführung als besonders fehleranfällig und damit qualitätskritisch gilt. Umgekehrt kann ein erfahrener Beschäftigter auch bei einzelnen ausgewählten Varianten gänzlich auf eine Unterstützung verzichten (das unterstützt Befunde von Fast-Berglund et al. 2013, wonach in 60 % der Fälle auf Unterstützung durch Assistenzsysteme verzichtet und allein auf der Basis von Erfahrung montiert wurde). Die individuelle Konfiguration kann dann manuell in der Benutzerverwaltung der Software vorgenommen oder automatisch erfolgen, sie kann aber auch je nach Lernfortschritt oder aktuellem Befinden ad hoc vom Beschäftigten selbst erledigt werden.

Mit Blick auf die Gestaltung von informatorischen Assistenzsystemen ergeben sich fünf zentrale Empfehlungen:

Erstens sind Assistenzsysteme nur dort erforderlich, wo hinreichend große Informationsmengen (z. B. hohe Anzahl an Varianten und Komponenten), eine hohe Dynamik der Veränderung der Informationsbasis (z. B. durch neue oder veränderte Produktvarianten) und/oder besondere Anforderungen (z. B. Montage sicherheitskritischer Baugruppen, Menschen mit Behinderungen) vorliegen. Die in der Literatur vorliegenden Kriterien und Verfahren zur Bestimmung informatorischer Komplexität können Hinweise liefern, ob eine für den Einsatz eines Assistenzsystems hinreichende Komplexität gegeben ist. Forschungsbedarf besteht hinsichtlich der Entwicklung eines anerkannten Verfahrens, welches die Entscheidung über den Einsatz eines digitalen Assistenzsystems unterstützt. Dabei ist insbesondere die Kompetenz der Beschäftigten zu berücksichtigen. Wenn trotz hoher Kompetenz eine hohe mentale Beanspruchung vorliegt, die mit wiederkehrenden Fehlern und Qualitätseinbußen einhergeht, so erscheint die Einführung eines Assistenzsystems auch aus Sicht der Beschäftigten als hilfreich und nützlich. In diesem Fall bewirkt es eine effektive Reduktion der Beanspruchung, indem es das Informationsaufkommen besser steuern lässt und damit den Schwierigkeitsgrad der Montage nachvollziehbar vermindert.

Zweitens zeigen Praxisprojekte, dass es für den Einsatz eines Assistenzsystems zunächst einer Arbeitsmethodengestaltung bedarf, d. h. es ist zuerst der Arbeitsprozess unter ergonomischen und arbeitswirtschaftlichen Aspekten zu gestalten, bevor Informationen zu diesem entwickelten Prozessstandard digital in einem Assistenzsystem abgebildet werden.

Drittens ist eine benutzerzentrierte Assistenzsystemgestaltung eine wichtige moderierende Variable (siehe Abb. 3). Diese Benutzerzentrierung kann nur gelingen, wenn der Gestaltungs- und Einführungsprozess in hohem Maße partizipativ erfolgt, es ein zwischen den Betriebsparteien abgestimmtes Vorgehen gibt und in jeder Phase des Prozesses Erfolgsfaktoren Berücksichtigung finden (Kleineberg et al. 2017). Zu vermeiden sind Assistenzsysteme, die zu viel kognitive Anstrengung erfordern (z. B. wg. großer Distanz, kleiner Schrift, überladenen Bildern oder zu vielen Monitoren) oder den Arbeitsablauf unnötig unterbrechen (Parasuraman 2011).

Sodann beinhaltet die benutzerzentrierte Assistenzsystemgestaltung viertens die Konfigurierbarkeit des Systems, d. h. das Assistenzsystem muss sich so einstellen lassen, dass wichtige Anforderungen und Merkmale von Beschäftigten, insbesondere ihre Kompetenz, beachtet werden. Der Mensch steuert das Assistenzsystem und nicht umgekehrt. Dabei ist zu bedenken, dass jegliche Erfahrungsbildung damit einhergeht, dass die Montage an Komplexität und das Assistenzsystem an Funktionalität verliert, während der Grad der routinemäßigen Abspulung von mentalen Funktionen zunimmt. Dieser Effekt der Gewohnheitsbildung wird aber teilweise wieder aufgehoben oder gar konterkariert, wenn in immer kürzeren Abfolgen Neuprodukte eingeführt oder Produkt- bzw. Stücklistenänderungen vorgenommen werden. Erfahrung, Komplexität und Systemfunktionalität stehen somit in einem Spannungsverhältnis, welches jeder Beschäftigte nur autonom für sich gestalten kann. In dem Sinne sollte jedem Beschäftigten die Möglichkeit eingeräumt werden, das Assistenzsystem nach eigenen Bedürfnissen zu konfigurieren.

Eine letzte fünfte Empfehlung betrifft die organisatorisch-technische Integration des Assistenzsystems. Assistenzsysteme dürfen nicht als „Stand-Alone-Lösungen“ zur Belastung werden, indem etwa Daten aus anderen IT-Systemen mühsam von Beschäftigten in Eingabemasken übertragen werden. Vielmehr sind Assistenzsysteme möglichst weitgehend in die bestehende IT-Infrastruktur zu integrieren (siehe Abb. 3). Über eine direkte oder indirekte Schnittstelle zu einem ERP-System werden Auftragsdaten eingelesen, um zu einzelnen Aufträgen die richtigen Informationen dem Beschäftigten bereitstellen zu können. Neben dem automatischen Einlesen von Auftragsdaten und Rückmelden von fertig montierten Produkten bzw. Aufträgen kann es sinnvoll sein, eine Anbindung des Assistenzsystems an einen Produktkonfigurator oder ein Product-Lifecycle-Management-System (PLM) vorzunehmen, damit Montageinformationen dynamisch generiert werden können und Produktänderungen automatisch im Assistenzsystem berücksichtigt werden. Durch eine solche Integration des Assistenzsystems in die bestehenden IT-Systeme wird ein wichtiger Beitrag zur Gestaltung durchgängiger digital unterstützter Wertschöpfungsketten geleistet (Hinrichsen et al. 2018). Neben einer softwaretechnischen Integration des Assistenzsystems gilt es zudem, Montageequipment (z. B. Messvorrichtungen, Wlan-Schrauber, Kamera) in die Assistenzsystemsoftware einzubinden, um Dokumentationsanforderungen erfüllen und dem Beschäftigten eine direkte Rückmeldung zu seiner Arbeit geben zu können.

Aus arbeitswissenschaftlicher Sicht können informatorische Assistenzsysteme die zunehmend komplexer werdende Montagetätigkeit bei Beachtung der aufgezeigten Bedingungen hilfreich unterstützen. Mag dabei jeder einzelne Punkt einer solchen betrieblichen Empfehlung in der Umsetzung kritisch diskutiert werden, unbestritten ist jedoch aus der Sicht des hier zugrundeliegenden Modells, dass solche Systeme variabel auf die subjektiven Ressourcen der Beschäftigten abgestimmt sein müssen. Starre Vorgaben führen meist rasch zu Akzeptanzdefiziten und zu Nichtnutzung. Dies impliziert auch, dass diese Abstimmungen unter Beachtung der eigenen Handlungsspielräume erfolgen sollten, d. h. der Beschäftigte ist nicht nur ausführend tätig, sondern er kann das Assistenzsystem auch selbst steuern und dadurch zentrale Parameter der Montage oder der Tätigkeitsabfolge am eigenen Arbeitsplatz mit gestalten. Damit können informatorische Assistenzsysteme im Sinne der klassischen Ansätze zur Arbeitsplatzgestaltung durchaus einen Beitrag leisten, die Motivation von Beschäftigten über verstärkte Autonomie und Rückmeldung zu steigern (Hackman und Oldham 1976). Sie könnten zudem auch als Instrument genutzt werden, um klassische Konzepte – etwa der Rotation oder gar der teilautonomen Arbeitsgruppe – neu zu beleben. Was in der Vergangenheit meist an zu großen Arbeitsinhalten und Informationsumfängen in der Gruppe und auch am einzelnen Arbeitsplatz scheiterte (Haller et al. 1999), kann durch informatorische Assistenzsysteme auf bewältigbare Größenordnungen reduziert werden.