Der menschliche Organismus nutzt eine Vielzahl von ineinandergreifenden Regulationsmechanismen und -systemen, die bei bestimmten Belastungssituationen aktiviert werden können. Neben autonomen Regulationen, wie z. B. der Temperatur und Sauerstoffversorgung, sind besonders Regulationen der kognitiven Fähigkeiten individuell unterschiedlich und altersabhängig. Während Kinder in der Schule ihre Aufmerksamkeit oft nicht auf länger andauernde Prozesse (z. B. Unterrichtsstunde) ungeteilt richten können, so können Erwachsene meist stundenlang (z. B. bei der Bearbeitung einer Arbeitsaufgabe) hochkonzentriert verharren. Weiter ist spannend zu beobachten, wie selektiv die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte gerichtet werden kann – zu nennen ist an dieser Stelle das Phänomen der Blindheit durch Nichtaufmerksamkeit [19]. Jeder, der sich noch an seine Autofahranfänge erinnern kann, hat mit Sicherheit eine Flut an Eindrücken und Schildern vor Augen. An diesen Einflüssen hat sich heute nichts verändert, nur man selbst hat mit der Zeit erlernt, unbewusst alle akustischen und visuellen Reize und Ablenkungen zu selektieren und zu filtern und somit seine Aufmerksamkeit nur auf herausragende Ereignisse zu richten. Solche und ähnliche Beispiele lassen sich in allen Lebensbereichen finden. Für die Forschung von Interesse ist, ob und wie verschiedene Anforderungen bei Aufmerksamkeitstests mit Veränderungen physiologischer Beanspruchungsreaktionen einhergehen.

Hintergrund und Fragestellung

Haider [10] beschrieb in seinem Modell der Aktivierungsvorgänge [1] bereits verschiedene Aktivierungsstufen des Körpers, welche durch physiologische Anpassungsreaktionen ermöglicht werden:

  • Schlaf-Wach-Regulierung,

  • generelle, tonische Aktivierung und Desaktivierung,

  • lokalisierte, phasische Aktivierung und Desaktivierung und

  • differenzielle, selektive Aktivierung und Desaktivierung.

Während unter Ruhebedingungen die Regulationssysteme des Körpers überwiegend Kontrollfunktionen ausführen, so leiten diese bei Beanspruchung sog. Steuerungsprozesse ein und führen zur gewünschten Aktivierung des Organismus. Viele Forschungsansätze basieren auf dem Belastungs-Beanspruchungs-Konzept [14]. Dabei wird unter Belastung die Gesamtheit aller äußeren Einwirkungen definiert. Als Beanspruchung werden körperliche Reaktionen auf die stattgefundene Belastung betrachtet, die wiederum auf den Körper wie im Regelkreis zurückwirken können [17]. In den psychophysiologischen Untersuchungen erfolgt die Erfassung der Leistung und der Beanspruchung nach dem Mehrebenenkonzept nach Fahrenberg [8]. Entsprechend des Konzeptes werden objektive Leistungen (z. B. in den kognitiven Tests), objektive Beanspruchung anhand der physiologischen Parameter (z. B. Herzschlagfrequenz und Herzfrequenzvariabilität) und subjektives Erleben und Befinden analysiert.

Die Fragestellung der Pilotstudie war, inwieweit sich die Belastung bei Aufmerksamkeitsaufgaben in der Herzfrequenzvariabilität (HRV) als Beanspruchungsparameter widerspiegelt. Bei der Suche nach aussagekräftigen Beanspruchungsparametern bei kognitiven Anforderungen wurde weiterhin in dieser experimentellen Untersuchung geprüft, ob Zusammenhänge zwischen der kognitiven Leistung bei Aufmerksamkeitstests eines Probanden mit dessen objektiven Beanspruchungsparametern (Herzschlagfrequenz [Hf] und HRV-Parametern) sowie subjektiven Einschätzung seiner Beanspruchung bei der stattgefundenen kognitiven Belastung bestehen. Die betrachteten HRV-Parameter sind: zeitbezogene:

  • Hf (1/min): mittlere Herzschlagfrequenz

  • SDHf (ms): Standardabweichung der Herzschlagfrequenz

  • NN (ms): Abstand zwischen zwei NN-Intervallen

  • SDNN (ms): Standardabweichung der NN-Intervalle

  • RMSSD (ms): Quadratwurzel des Mittelwertes der Summe aller quadrierten Differenzen zwischen benachbarten NN-Intervallen

  • NN 50: Anzahl der Paare benachbarter NN-Intervalle, die mehr als 50 ms voneinander abweichen

  • pNN 50 (%): Prozentsatz aufeinander folgender NN-Intervalle, die mehr als 50 ms voneinander abweichen

frequenzbezogene:

  • Peak LF (Hz): Frequenzgipfel im Low-frequency-Band; Baroreflex-Peak

  • Peak HF (Hz): Frequenzgipfel im High-frequency-Band; Respiratorischer Peak

  • LF (ms2): Leistungsdichtespektrum im Frequenzbereich von 0,04 bis 0,15 Hz

  • HF (ms2): Leistungsdichtespektrum im Frequenzbereich von 0,15 bis 0,40 Hz

  • TP (ms2): spektrale Gesamtleistung (Summe der Frequenzbänder VLF, LF und HF)

aus den nichtlinearen Analysen:

  • SD1 (ms): Standardabweichung der Punktabstände zum Querdurchmesser

  • SD2 (ms): Standardabweichung der Punktabstände zum Längsdurchmesser

  • Lmean (beats): Mean line length

  • Lmax (beats): Maximum line length

  • REC (%): Recurrence rate

  • DET (%): Determinism

  • ShanEn: Shannon Entropy

  • SampEn: Sample entropy, die die Regelmäßigkeit und Komplexität einer Zeitreihe misst

  • DFA α1: wird häufig als nichtlinearer Parameter für kurze NN-Intervall-Daten genutzt

  • DFA α2: wird häufig als nichtlinearer Parameter für NN-Intervalle längerer Aufzeichnungsdauer genutzt

  • D2: Korrelationsdimension, die die minimale Anzahl von Variablen schätzt, die zum Erstellen eines Modells der Systemdynamik erforderlich sind

Auf Grundlage der aktuellen Studienlage wurden folgende Arbeitshypothesen formuliert und geprüft:

H1.

Kognitive Belastung in Form von verschiedenen Aufmerksamkeitstests führt zur signifikanten Zunahme der objektiven Beanspruchung im Vergleich zur Ruhe- bzw. Erholungsphase. Dies kann mit der Steigerung der Herzschlagfrequenz und der Reduzierung der HRV objektiv nachgewiesen werden.

H2.

Die objektive und subjektive Beanspruchung ist abhängig von der Art und dem Grad der kognitiven Anforderung bei verschiedenen Aufmerksamkeitstests.

H3.

Es finden sich Zusammenhänge zwischen der erbrachten Leistung in Aufmerksamkeitstests und subjektiver Einschätzung der Anstrengung bei der kognitiven Belastung und der vegetativen Beanspruchungsreaktion darauf.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Die Pilotstudie wurde im psychophysiologischen Labor des Bereichs Arbeitsmedizin der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg von November 2017 bis November 2018 durchgeführt. Ein positives Votum der Ethikkommission (202/17) lag vor. An der Studie nahmen insgesamt 51 gesunde und freiwillige Probanden im Alter von 25,7 ± 7,52 Jahren (Min 21, Max 61 Jahre) teil, wobei 29 Teilnehmer (57 %) männlich (Alter: 25,6 ± 7,54 Jahre) und 22 (43 %) weiblich (Alter: 25,8 ± 7,66 Jahre) waren. Zum größten Teil handelte es sich um Studierende der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

Die Testbatterie für die kognitive Belastung bestand aus vier verschiedenen Aufmerksamkeitstests. Die computergestützte psychometrische Testbatterie, deren Bearbeitung ca. 45 min dauerte, setzte sich aus vier unterschiedlich langen (jedoch mindestens 5 min) Tests zusammen. Die Einordnung der Tests in diese Testbatterie erfolgte in randomisierter Reihenfolge, um Reihenfolgeeffekte und Adaptionsreaktionen zu vermeiden. Der Determinationstest (DT) und der Interferenztest (IT) wurden mit Hilfe des Psychodiagnostiksystems „Wiener Testsystem“ (Fa. Schuhfried, Mödling, Österreich) sowie der Daueraufmerksamkeitstest (DA) und der Test zur geteilten Aufmerksamkeit (GA) mittels Testsystem zur Prüfung der Aufmerksamkeit (TAP; Fa. Psytest, Herzogenrath, Deutschland) durchgeführt [22].

Der Determinationstest ist ein komplexer Mehrfachreiz-Reaktionstest, bei dem Farbreize und akustische Signale ausgegeben werden, auf die mit Tasten bzw. mit Fußpedalen zu reagieren ist [11]. Der Interferenztest nach Stroop ist ein sensomotorischer Test, der die schnelle Tempoleistung beim Lesen von Wörtern und der Benennung von Farben erfasst [13]. Der Daueraufmerksamkeitstest [22] verlangt dem Probanden eine 15-minütige Fokussierung auf verschiedene Reizdimensionen ab. Die Anforderung an den Probanden besteht darin, sich sowohl die Farbe als auch die Form (z. B. Kreis, Rechteck, Kreuz) von verschiedenen Objektiven zu merken. Im Test zur geteilten Aufmerksamkeit müssen die Probanden auditive und visuelle Aufgaben gleichzeitig erledigen [22].

Die Tests waren alle computergesteuert, die Instruktion lag in einheitlicher elektronischer Version vor, und der Versuchsleiter wechselte nicht. Vor jeder Testphase wurde nach der Instruktion jeweils ein kleiner Demotest durchgeführt. Dadurch wurde eine hohe Durchführungsobjektivität gewährleistet. Darüber hinaus erfüllten alle Aufmerksamkeitstests die Gütekriterien Reliabilität und Validität [18, 22].

Während die Probanden die kognitiven Aufgaben absolvierten, wurde bei ihnen eine EKG-Aufnahme mittels Holter-EKG medilog AR12plus (Fa. SCHILLER Medizintechnik GmbH, Obfelden, Schweiz) vorgenommen. Anschließend wurden mithilfe der Software medilog DARWIN2 (Fa. SCHILLER Medizintechnik GmbH) die Daten der EKG-Aufzeichnungen für die weitere Verwendung in der HRV-Analyse und ggf. auf klinische Auffälligkeiten durch medizinisches Fachpersonal geprüft. Anschließend erfolgte der Export der NN-Intervall-Reihe für die weitere HRV-Analyse, die mithilfe der Software Kubios HRV Version 2.0 (Biosignal Analysis and Medical Imaging Group, Universität Kuopio, Finnland) durchgeführt wurde. Nach internationalen und nationalen Empfehlungen [7, 15] zur HRV-Analyse erfolgte eine Artefaktkorrektur mit den Einstellungen custom und 0,3 ohne Veränderung der trend components. Für die Frequenzanalyse wurde eine Fast-Fourier-Transformation (FFT) mit einer Fensterbreite von 300 s und 50 % window overlap (Fensterüberlappung) für die 5‑Minuten-Intervalle berechnet. Aufgrund der 5‑Minuten-Phasen wurden die in Tab. 4 dargestellten frequenzbezogenen Parameter verwendet.

Nach jedem kognitiven Test wurden die Probanden gebeten, anhand der Borg-Skala [5] ihre Anstrengung bei dieser Aufgabe einzuschätzen. Die Borg-Skala wurde ursprünglich für verschiedene Arten körperlicher Beanspruchung entwickelt, wird jedoch auch in einigen psychophysiologischen Beanspruchungsuntersuchungen eingesetzt [2, 12].

Zusätzlich wurden die Probanden aufgefordert, eine Ruhezeit von 10 min sowohl vor (Ruhephase) als auch nach der Aufmerksamkeitstestbatterie (Erholungsphase) einzuhalten, um eine Baseline für die kardiophysiologischen Parameter zu ermitteln.

Noch vor Beginn des Versuchs wurden die Probanden über das Ziel und den Ablauf der Pilotstudie informiert und gebeten, eine Einwilligungserklärung zu unterzeichnen. Sie erhielten die Möglichkeit, Fragen zur Untersuchung oder zum Datenschutz zu stellen. Weiter wurden sie darüber aufgeklärt, dass ihre Daten vertraulich behandelt und ausschließlich zu Forschungszwecken verwendet werden. Die Namen der Probanden wurden durch ein Pseudonym (institutsinterne 6‑stellige Probandennummer) verschlüsselt und zur späteren Datenanalyse den Datenschutzbestimmungen entsprechend verwendet.

Zur statistischen Auswertung wurde IBM SPSS Statistics 24 genutzt. Die Überprüfung der intervallskalierten Daten auf Normalverteilung erfolgte mit dem Kolmogorow-Smirnow-Test. Sowohl bei den HRV-Parametern als auch bei den Leistungsdaten wiesen nur vereinzelte Parameter eine Normalverteilung auf, sodass sich generell für die Durchführung von nichtparametrischen Tests entschieden wurde. Zum paarweisen Vergleich der HRV-Parameter von mehreren Messwiederholungen kam der Friedman-Test zur Anwendung. Um α‑Fehlerkumulierung zu vermeiden, wurde anschließend eine Bonferroni-Holm-Korrektur durchgeführt. Die Pearson-Korrelation kam zur Darstellung der Zusammenhänge zwischen kardiovaskulärer Aktivität und Leistung bei den kognitiven Aufgaben zur Anwendung. Spearman-Rangordnungskorrelationskoeffizienten wurden verwendet, um die Beziehung zu Daten der Borg-Skala (ordinalskalierte Variablen) darzustellen. Bei allen Berechnungen wurde mit dem Signifikanzniveau von 5 % gearbeitet. Mittelwerte werden mit MW und Standardabweichungen mit SD abgekürzt.

Um statistische Unterschiede in den Abbildungen deutlich zu machen, werden folgende Zeichen verwendet:

  • Signifikanter Unterschied p < 0,05: *

  • Sehr signifikanter Unterschied p < 0,01: **

  • Höhst signifikanter Unterschied p < 0,001: ***

Ergebnisse

Objektive Leistungsdaten

Aus der Tab. 1 wird ersichtlich, dass die Reaktionszeiten bei den 4 Aufmerksamkeitsaufgaben sehr unterschiedlich sind, da diese Tests unterschiedliche kognitive Anforderungen aufweisen. Die kürzeste Reaktionszeit und damit schnellste Reaktion erzielten die Probanden im Durchschnitt im Test zur geteilten Aufmerksamkeit (526,3 ± 65,24 ms), bei dem auf optische und akustische Reize reagiert werden muss, die langsamste Reaktion in der Testbatterie zeigte sich im Interferenztest – Lesen (890,4 ± 138,32 ms) bei dem auf die Farbe und den Inhalt des geschriebenen Wortes reagiert wird. Die Reaktionszeiten können aufgrund der unterschiedlichen kognitiven Anforderungen der Aufmerksamkeitstests nicht direkt untereinander verglichen werden, jedoch sprechen längere Reaktionszeiten für eine längere Informationsverarbeitung und somit für eine schwierigere Aufgabe.

Tab. 1 Darstellung der deskriptiven Ergebnisse aus verschiedenen Aufmerksamkeitsaufgaben (Prozentanteil richtiger Reaktionen und die Reaktionszeit)

Subjektive Beanspruchungsdaten

Die Werte der Borg-Skala (Tab. 2) sind eine rein subjektive Einschätzung der Anstrengung und der Schwierigkeit der gerade bewältigten Aufgabe. Während der Test zur Daueraufmerksamkeit die höchste Anstrengung (14,92 ± 2,02 Punkte) aufwies, so ist die niedrigste Anstrengung (11,59 ± 1,96 Punkte) beim Test zur geteilten Aufmerksamkeit zu finden. Dieses Bild wird auch in den Median-Werten deutlich. Somit wird der Daueraufmerksamkeitstest von den Probanden im Durchschnitt als „anstrengender“ eingeschätzt. Dagegen wird der Test zur geteilten Aufmerksamkeit eher als „leicht“ bis „etwas anstrengend“ von den Probanden bewertet.

Tab. 2 Ergebnisse der Borg-Skala

Signifikante Unterschiede (p < 0,001) nach Bonferroni-Korrektur ergeben sich zwischen allen Tests außer zwischen dem Test zur geteilten Aufmerksamkeit und dem Interferenztest sowie dem Daueraufmerksamkeitstest und dem Determinationstest.

Objektive Beanspruchungsdaten

Die niedrigste durchschnittliche Herzschlagfrequenz (Hf) findet sich in der Erholungsphase (E; 72,6 ± 7,66 1/min; vgl. Abb. 1) und damit verbunden signifikante Unterschiede (p < 0,001) im Vergleich zur Ruhephase (R) und dem Interferenztest (IT). Auch die Hf im geteilten Aufmerksamkeitstest (GA; 72,8 ± 23,2 1/min) ist sehr niedrig. Hier können nach Post-hoc-Analyse nicht nur statistisch signifikante Unterschiede zur Ruhephase und zum Interferenztest festgestellt werden, sondern ebenfalls zum Determinationstest (DT) (p = 0,032). Unter den randomisierten Aufmerksamkeitstests weist der Interferenztest die höchste Hf (76,5 ± 8,35 1/min) und damit die höchste Beanspruchung auf.

Abb. 1
figure 1

Graphische Darstellung der Herzschlagfrequenz (Hf) in den einzelnen Versuchsphasen. R Ruhephase, GA geteilte Aufmerksamkeit, DA Daueraufmerksamkeit, DT Determinationstest, IF Interferenztest, E Erholungsphase

Insgesamt betrachtet, findet sich jedoch die höchste Hf (78,0 ± 9,54 1/min) in der Ruhephase, d. h. vor dem Beginn der Testung. Dieses Ergebnis spricht dafür, dass die Probanden zu Beginn des Versuchs aufgeregt sind. Für die folgenden Darstellungen wird als Vergleichswert zu den Aufmerksamkeitstests daher die Erholungsphase (E) verwendet.

Tab. 3, 4 und 5 zeigen die Hf und die HRV-Parameter im zeitbezogenen, frequenzbezogenen und nichtlinearen Bereich für die einzelnen Aufmerksamkeitstest und die Erholungsphase im Vergleich.

Tab. 3 Herzfrequenz und zeitbezogene HRV-Parameter in den einzelnen Versuchsphasen
Tab. 4 Frequenzbezogene HRV-Parameter in den einzelnen Versuchsphasen
Tab. 5 Nichtlineare HRV-Parameter in den einzelnen Versuchsphasen

In den zeitbezogenen HRV-Parametern (Tab. 3) konnten zwischen den Tests besonders häufig Unterschiede zwischen dem Test zur geteilten Aufmerksamkeit und dem Determinationstest und zwischen dem Test zur geteilten Aufmerksamkeit und dem Interferenztest ermittelt werden (jeweils 6). Zweimal konnte ein Unterschied zwischen dem Interferenztest und dem Daueraufmerksamkeitstest und einmal zwischen dem Test zur geteilten Aufmerksamkeit und dem Daueraufmerksamkeitstest gezeigt werden. Signifikante Unterschiede zwischen der Erholungsphase und dem Interferenztest zeigen sich 7‑mal sowie Erholung zum Daueraufmerksamkeitstest und Erholung zum Determinationstest jeweils 5‑mal. Ein signifikanter Unterschied ist zwischen der Erholung und dem Test zur geteilten Aufmerksamkeit zu erkennen.

Die zeitbezogenen Parameter zeigen überall eine geringere Beanspruchung in der Erholungsphase als in den Phasen der Aufmerksamkeitstests. Der Test zur geteilten Aufmerksamkeit zeigt überall die geringste Beanspruchung und geht damit Hand in Hand mit den subjektiven Einschätzungen mithilfe der Borg-Skala. Zwei Parameter (SDHf und SDNN) zeigen die höchste Beanspruchung im Determinationstest, alle weiteren Parameter zeigen die höchste Beanspruchung im Interferenztest. Diese Ergebnisse stimmen nicht mit den subjektiven Einschätzungen überein. Mithilfe der Borg-Skala wurde der Daueraufmerksamkeitstest als besonders beanspruchend bewertet.

Für die frequenzbezogenen HRV-Parameter (Tab. 4) sind zwischen den Aufmerksamkeitstests 4 Unterschiede erkennbar (3× zwischen GA und DT, 1× zwischen GA und IT). Die 4 Tests unterscheiden sich alle signifikant von der Erholungsphase (zu DT 3×, zu DA 3×, zu IT 3×, zu GA 2×). LF und HF zeigen die geringste Beanspruchung und TP die höchste Gesamtenergie in der Erholungsphase. LF und HF verdeutlichen die geringste objektive Beanspruchung im Test zur geteilten Aufmerksamkeit. Der Determinationstest und der Interferenztest zeigen die höchsten Beanspruchungswerte. Das Ergebnis zum Test der geteilten Aufmerksamkeit ist damit ähnlich zur subjektiven Einschätzung mithilfe der Borg-Skala. Die Ergebnisse zu den stärker beanspruchenden Tests finden sich in dieser Form nicht in der subjektiven Einschätzung wieder.

In den nichtlinearen Parametern (Tab. 5) existieren 5 signifikante Unterschiede zwischen dem Daueraufmerksamkeitstest und dem Interferenztest, 3 Unterschiede zwischen dem Test zur geteilten Aufmerksamkeit und dem Interferenztest, jeweils 2 zwischen dem Determinationstest und dem Interferenztest sowie dem Test zur geteilten Aufmerksamkeit und dem Interferenztest. Außerdem konnte ein signifikanter Unterschied zwischen dem Test zur geteilten Aufmerksamkeit und dem Daueraufmerksamkeitstest gefunden werden.

Wie in den frequenzbezogenen Parametern, unterscheiden sich alle 4 Tests signifikant von der Erholungsphase (zu DT 5×, zu DA 9×, zu GA 5×, zu IT 3×). Die geringste Beanspruchung zeigt sich in der Erholungsphase (durch SD1 und SD2). Diese zwei nichtlinearen Parameter beschreiben auch, dass der Test zur geteilten Aufmerksamkeit – bezogen auf die HRV – am wenigsten beanspruchend war. Der Determinationstest und der Interferenztest zeigen die höchste Beanspruchung. Die Ergebnisse lassen sich damit nur teilweise in der Borg-Skala wiederfinden.

Abb. 2 zeigt eine zusammenfassende Darstellung der Häufigkeiten signifikanter Unterschiede zwischen den Aufmerksamkeitstests und der Erholungsphase anhand der HRV-Parameter. Hier ist zu erkennen, dass im Vergleich der Erholungsphase und des Daueraufmerksamkeitstestes (DA) 70 % der HRV-Parameter signifikante Unterschiede aufweisen, bei dem Test zur geteilten Aufmerksamkeit (GA) sind es lediglich 35 %.

Abb. 2
figure 2

Häufigkeiten signifikanter Unterschiede (schwarz hinterlegt) zwischen den Aufmerksamkeitstests und der Erholungsphase. GA geteilte Aufmerksamkeit, DA Daueraufmerksamkeit, DT Determinationstest, IF Interferenztest, E Erholungsphase

Tab. 6, 7 und 8 zeigen die Differenzwerte der HRV-Parameter.

Tab. 6 Hf und zeitbezogene HRV-Parameter (Differenzwerte E – GA, E – DA, E – DT, E – IT)
Tab. 7 Frequenzbezogene HRV-Parameter (Differenzwerte E – GA, E – DA, E – DT, E – IT)
Tab. 8 Nichtlineare HRV-Parameter (Differenzwerte E – GA, E – DA, E – DT, E – IT)

In allen zeitbezogenen Parametern (Tab. 6) findet sich die geringste Auslenkung beim Test zur geteilten Aufmerksamkeit. Die größten Auslenkungen sind im Interferenztest zu erkennen. Die geringe Beanspruchung im Test zur geteilten Aufmerksamkeit findet sich auch in der Borg-Skala wieder. Die großen Auslenkungen im Interferenztest und die damit einhergehende höhere Beanspruchung spiegelt sich jedoch durch die Angaben in der Borg-Skala nicht wider.

In den frequenzbezogenen Variablen (Tab. 7) zeigen sich beim Determinationstest die höheren Auslenkungen. Signifikante Unterschiede zeigen sich insbesondere zum Test der geteilten Aufmerksamkeit mit den niedrigsten Beanspruchungswerten. Dies bildet sich auch mithilfe der Borg-Skala ab.

Die nichtlinearen Parameter (Tab. 8) verdeutlichen ebenfalls hohe Auslenkungen besonders für den Interferenztest und den Determinationstest. Es finden sich jeweils 4 Unterschiede zwischen dem Test zur geteilten Aufmerksamkeit und dem Determinationstest sowie dem Daueraufmerksamkeitstest und dem Determinationstest. Zudem finden jeweils 2 Unterschiede zwischen dem Test zur geteilten Aufmerksamkeit und dem Interferenztest sowie dem Daueraufmerksamkeitstest und dem Interferenztest. Drei Unterschiede werden zwischen dem Interferenztest und dem Determinationstest deutlich.

Zusammenhänge zwischen den Parametern mittels Korrelationsanalysen

Tab. 9 veranschaulicht die Zusammenhänge zwischen den HRV-Parametern, den Leistungsdaten und den subjektiven Einschätzungen. Die Übereinstimmung der objektiven und subjektiven Beanspruchung ist für den Daueraufmerksamkeitstest am besten.

Tab. 9 Übersicht der signifikanten Ergebnisse der Korrelationsanalyse zwischen HRV-Differenzwerten für den jeweiligen Test und der erbrachten Leistung (mit Korrelationskoeffizient nach Pearson) bzw. der subjektiven Beanspruchung (mit Korrelationskoeffizient nach Spearman)

Bei der erbrachten Leistung sind Korrelationen für den Daueraufmerksamkeitstest, den Test zur geteilten Aufmerksamkeit und den Interferenztest (Lesen) vorzufinden.

Diskussion und Ausblick

Neben der leichten körperlichen Belastung bei der Absolvierung einiger psychomentaler Aufgaben, bei denen Reaktionszeiten erfasst werden, führt auch die psychomentale, kognitive Belastung zu einer Beanspruchungsreaktion. Diese ist oft mit dem Anstieg der Herzschlagfrequenz verbunden. Eine Reihe psychophysiologischer Parameter wurde als Beanspruchungsparameter in den Studien bei der Analyse psychomentaler Belastungen eingesetzt [3, 4, 21].

Die vorliegende Pilotstudie untersuchte die Veränderungen der Herzratenvariabilität (HRV) als physiologische Beanspruchungsreaktion des Körpers bei verschieden Aufmerksamkeitsanforderungen. Zudem sollte geklärt werden, inwieweit sich die HRV als ein physiologischer Beanspruchungsparameter eignet, verschiedene Aufmerksamkeitsanforderungen zu bewerten. Auf Grundlage der dargestellten Ergebnisse wird abschließend die Überprüfung der Hypothesen zusammengefasst.

Dass kognitive Belastung in Form von verschiedenen Aufmerksamkeitstests zur signifikanten Zunahme der objektiven Beanspruchung, d. h. zur Steigerung der Herzschlagfrequenz und der Reduzierung der HRV im Vergleich zur Ruhe- bzw. Erholungsphase, führt (Hypothese 1) kann bestätigt werden, da in nahezu allen HRV-Parametern signifikante Unterschiede zwischen der Beanspruchung in der Erholungsphase und der Beanspruchung während der kognitiven Belastung in Form von verschiedenen Aufmerksamkeitstests gefunden wurde. Die objektive Beanspruchung während der Erledigung der Aufmerksamkeitstests war höher als während der Erholungsphase. Zudem zeigen einige HRV-Parameter deutliche Auslenkungen, die überwiegend mit der subjektiv eingeschätzten Schwierigkeit korrespondieren. Die Erholungsphase am Ende des Versuchs erlaubt zudem zuverlässigere Aussagen als die Ruhephase zu Beginn und eignet sich besser als Referenzwert, da die psychische Voraktivierung in der Ruhephase vor dem Test bei den Probanden hoch ist und mitunter eine Verzerrung der Ergebnisse herbeiführt.

Die Annahme, dass die objektive und subjektive Beanspruchung abhängig von der Art und dem Grad der kognitiven Anforderung bei verschiedenen Aufmerksamkeitstests ist (Hypothese 2), kann ebenfalls bestätigt werden. Mithilfe der Borg-Skala zeigen sich signifikante Unterschiede im subjektiven Beanspruchungsempfinden zwischen den kognitiven Tests. Hier wird der Daueraufmerksamkeitstest als besonders anstrengend und der Test zur geteilten Aufmerksamkeit als eher leicht durch die Probanden eingeschätzt. In den HRV-Daten zeigt sich ebenfalls, dass der Test zur geteilten Aufmerksamkeit, verglichen mit den anderen drei Tests, die geringste Beanspruchung erzeugt. Der Determinationstest und der Interferenztest rufen die höchste objektive Beanspruchung bei den Aufmerksamkeitstests hervor. Angemerkt werden muss erneut, dass die Reaktionszeiten aufgrund der unterschiedlichen kognitiven Anforderungen der hier angewendeten Aufmerksamkeitstests nicht direkt untereinander vergleichbar sind.

Hypothese 3 kann bestätigt werden, da sich Zusammenhänge zwischen der erbrachten Leistung in den Aufmerksamkeitstests und subjektiver Einschätzung der Anstrengung bei der kognitiven Belastung und vegetativer Beanspruchungsreaktion darauf finden lassen. Zusammenhänge zwischen der objektiven und subjektiven Beanspruchung konnten nur beim Daueraufmerksamkeitstest und damit dem Test mit der längsten Dauer (15 min) gefunden werden. Zu beachten bleibt, dass sich hier nur geringe Korrelationen zeigen.

Als Ergebnis dieser Studie können für zukünftige Belastungs- und Beanspruchungsmessungen bei kognitiven Aufgaben die HRV-Parameter aus dem Zeitbereich empfohlen werden, da sie sich, im Gegensatz zu den Parametern des Frequenzbereichs, bei Aufmerksamkeitsbeanspruchung signifikant und trotz verschiedener Aufmerksamkeitsarten deutlich reduzieren. Möglicherweise spiegeln auch Parameter der nichtlineare HRV-Analyse den Grad der Beanspruchung wider. Weil sich jedoch auch einige Parameter der nichtlinearen Analyse zwischen dem geteilten Aufmerksamkeitstest und subjektiv gleich eingeschätzten anspruchsvollen Interferenztest signifikant unterscheiden, scheinen weitere Faktoren, wie z. B. die Art der Aufmerksamkeit (selektive Aufmerksamkeit, Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus, Daueraufmerksamkeit, Alertness oder geteilte Aufmerksamkeit) eine Rolle zu spielen und sollte in Folgeuntersuchungen mit einbezogen werden. Aus Studien ist bekannt, dass Aufmerksamkeit die Informationsverarbeitung verstärkt und sich dies in einer Steigerung der neuronalen Antwort zeigt [9] sowie dass zwischen präfrontalem Kortex und Herzfrequenz enge Zusammenhänge bestehen [20]. Der orbitofrontale Bereich des präfrontalen Cortex ist z. B. an der Regulation kardiovaskulärer Prozesse beteiligt. Schädigungen im orbitofrontalen Anteil führen zu sympathisch vermittelter Myokardschädigung und Arrhythmien [6].

Aufgrund dessen wäre es interessant, die physiologischen Korrelate für die Aufmerksamkeit, wie z. B. EEG-Aktivität und die Parameter der Herzratenvariabilität, simultan zu untersuchen. Kritisch sollte jedoch angemerkt werden, dass die physiologische Interpretation und Anwendungsszenarien der HRV-Parameter in der arbeitsmedizinischen Praxis bislang noch unzureichend dargestellt sind.

Später können diese ermittelten Parameter in Belastungs-Beanspruchungs-Analysen verwendet werden, um die Beanspruchung bei der Nutzung digitaler Assistenzsysteme genauer zu beschreiben und zu einer Arbeitsplatzoptimierung beizutragen.

Fazit für die Praxis

  • Es wird deutlich, dass eine multimodale Erfassung der Beanspruchung (subjektiv und objektiv) nötig ist, um ein detailliertes Bild der Gesamtbeanspruchung zu erlangen.

  • Zusammenhänge zwischen objektiver und subjektiver Beanspruchung zeigen sich deutlicher in Aufmerksamkeitstest mit höherer Dauer (>10 min).

  • Verschiedene Arten der Aufmerksamkeitstests rufen unterschiedliche Beanspruchungsreaktionen hervor.