Einleitung

Patienten mit starker Inanspruchnahme, „Heavy-User“ (HU), oft auch als „Frequent-User“ oder „Drehtürpatienten“ bezeichnet, sind eine Personengruppe, die seit der Umgestaltung der psychiatrischen Dienste im Sinne der Entinstitutionalisierung, Dezentralisierung und Gemeindenähe große Bedeutung gewonnen hat.

HU bedürfen in vieler Hinsicht besonderer Aufmerksamkeit. Zumeist handelt es sich um Menschen, die

  • schwerere psychische Erkrankungen (vor allem Schizophrenie, bipolare Störungen, Persönlichkeitsstörungen, Komorbidität mit Substanz-bezogenen Störungen) haben,

  • geringere soziale Ressourcen (Partnerschaft, soziales Netzwerk, Beziehungen) haben und die Klinik oft auch diesbezüglich kompensatorisch nutzen,

  • geringere Motivation oder Fähigkeiten haben, von den gegebenen Behandlungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, wobei Noncompliance und fehlende Krankheitseinsicht besonders häufig zu finden sind,

  • oft aus bedrohlichen Situationen mit Selbst- und Fremdgefährdung, unter Polizeieinsatz und gegen ihren Willen nach dem Unterbringungsgesetz (UBG) zur Aufnahme kommen [15].

Die starke Inanspruchnahme (heavy use – HU) hat viele negative Implikationen: Sie führt zu hohen Kosten, und auch gut ausgebaute Versorgungsstrukturen sind überfordert [6, 7]; die Patienten erfahren einen besonderen Prozess der Sozialisation, der ihre Einbindung in Behandlungsstrukturen weiter erschwert [810]; die behandelnden Teams erleben sich als insuffizient und drohen auszubrennen, die therapeutische Beziehung zu den Patienten ist gefährdet [8, 7, 11].

Obwohl HU ein weitverbreitetes Phänomen ist, ist der Forschungsstand darüber unbefriedigend [11, 12]. Es gibt keine allgemeinverbindlichen Definitionen und die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen sind in vielen Aspekten kontrovers. Kritisch ist angemerkt worden, dass es wohl nicht richtig wäre, HU als eine homogene Gruppe zu betrachten, dass es aber wenig Untersuchungen gibt, die eine Differenzierung vornehmen [3, 6]. Man muss auch davon ausgehen, dass jede Untersuchung in hohem Ausmaß von den Besonderheiten des lokalen Versorgungssystems geprägt ist. Bestimmende Merkmale des Versorgungssystems können in dieser Hinsicht sein:

  • die Anzahl der verfügbaren psychiatrischen Betten,

  • die stationären Ressourcen außerhalb der Psychiatrie (in psychosomatischen Abteilungen, Rehabilitationskliniken, nicht-psychiatrischen Krankenhausabteilungen, …),

  • die Möglichkeiten der ambulanten Behandlung durch niedergelassene Fachärzte, psychosoziale Dienste, Ambulanzen, nachgehende Betreuung, usw.,

  • die Möglichkeiten für betreutes Wohnen in verschiedener Betreuungsintensität,

  • die Anzahl unversorgter Patienten in der Gemeinde und das Ausmaß der Toleranz dafür.

Ziel dieser Arbeit ist es, die Situation von HU in unserem Versorgungssystem quantitativ und qualitativ zu erfassen. Dies soll die Voraussetzungen dafür schaffen, Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation zu finden. Da nicht anzunehmen ist, dass HU eine homogene Gruppe darstellen, erschien uns eine Stratifizierung nach Diagnosegruppen sinnvoll [3, 13, 14].

Methodik

Die Abteilung

Die Abteilung Psychiatrie 1 der Oberösterreichischen Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg (LNK) ist für die Stadt Linz (189.000 Einwohner), Hauptstadt des Bundeslandes Oberösterreich, zuständig. Die Abteilung verfügt über 115 Betten (0,61/1000 Einwohner) und 12 tagesklinische Plätze.

Durchführung der Untersuchung

Im Zeitraum von Februar bis Ende Oktober 2009 (=Re­krutierungszeitraum) wurde für jeden Patienten, der auf der Abteilung Psychiatrie 1 aufgenommen wurde, erhoben, wie oft und wie lange er oder sie in den 365 Tagen vor der aktuellen Aufnahme in der Klinik hospitalisiert war. Da die LNK der alleinige Anbieter stationärer psychiatrischer Leistungen im Raum Linz ist, konnte dies aus der Dokumentation der LNK erfolgen. Als Kriterien für HU wurden mindestens 3 stationäre Aufnahmen – ohne Indexhospitalisierung – (Frequenzkriterium) oder mehr als 100 stationäre Behandlungstage (Dauerkriterium) im Jahr vor der Indexepisode definiert. Vergleiche wurden hergestellt mit der Gruppe der anderen, während des Rekrutierungszeitraumes aufgenommenen Patienten, die das HU-Kriterium nicht erfüllten („Non-HU“). Sozialdaten wurden der Basisdokumentation der Klinik entnommen, wobei diese Dokumentation für alle HU und für 770 (63,3 %) der übrigen Patienten vorlag.

Darüber hinaus wurden alle HU durch eine geschulte Mitarbeiterin mittels eines Fragebogens befragt. Erhoben wurden dabei Sozialdaten, die in der Basisdokumentation nicht enthalten waren, sowie Daten zur Nutzung ambulanter Dienste vor der Aufnahme.

Als Instrumente wurden zur globalen Erfassung der Schwere und der Veränderung der Erkrankung die Clinical Global Impression Scale (Severity und Improvement) (CGI) [15], für die soziale Anpassung die Personal and Social Performance Scale (PSP) [16] und die Global Assessment of Functioning Scale (GAF) [17], sowie für die Krankheitseinsicht eine modifizierte Version des Schedule for Assessment of Insight (SAI) [18] verwendet. Die Compliance mit der Störungs-relevanten Medikation wurde für den letzten Monat vor der Aufnahme durch den behandelnden Arzt eingeschätzt und die eingenommene Medikation als prozentueller Anteil der verordneten Medikation erfasst. Die Zufriedenheit mit der außerstationären und stationären Behandlung wurde mit einer 5-teiligen Likert-Skala (1 = völlig zufrieden, 5 = überhaupt nicht zufrieden) erfasst. Bei der Entlassung wurden nochmals GAF, CGI und SAI und die Einschätzung der Compliance durchgeführt. Die Ratings wurden von den behandelnden Fachärzten durchgeführt. Ab der Entlassung der HU wurden für ein Jahr die weiteren stationären Aufnahmen erfasst.

Statistik

Zum Vergleich der HU mit Non-HU wurde für nominale Variablen Chi-Quadrat-Tests mit Kontinuitätskorrektur, für kontinuierliche Variablen Mann-Whitney-U Test verwendet. Für Vergleiche der 4 Diagnosegruppen untereinander wurde für kontinuierliche Variablen eine univariate ANOVA mit post-hoc Analyse nach Scheffé verwendet, mit einem globalen Signifikanzniveau von α gleich 0,05, 0,01 bzw. 0,001. Für nominale Variablen wurden Chi-Quadrat Tests mit Koninuitätskorrektur verwendet, wobei als Korrektur für multiples Testen ein lokaler α-Wert von 0,01 bzw. 0,001 verwendet wurde, was einer Bonferroni-Korrektur von einem globalen α-Wert von 0,06 bzw. 0,006 entspricht. Vergleiche von wiederholten Messwerten (Aufnahme – Entlassung; 1 Jahr vor Indexaufnahme – 1 Jahr nach Indexaufnahme) bei einer Person wurden mit t-Tests für gepaarte Stichproben, bzw. Wilcoxon Signed Rank Test (bei fehlender Normalverteilung) vorgenommen.

Ergebnisse

Aufnahmen und Personen im Rekrutierungszeitraum

Im 9-monatigen Rekrutierungszeitraum wurden 1812 Aufnahmen von insgesamt 1.217 Personen registriert, wovon 132 (10,8 %) als HU identifiziert wurden. Diese hatten im Jahr vor der Indexaufnahme durchschnittlich 3,95 Aufnahmen (Range 1–19) zu verzeichnen und in Summe 64,5 Tage (Range 3–324) im Spital verbracht. Nur 7 Patienten (5,3 %) wurden alleine wegen des Dauerkriteriums in die Untersuchung eingeschlossen, d. h. hatten weniger als 3 Aufnahmen im Jahr vor der Indexepisode zu verzeichnen. 21 (15,9 %) Personen verweigerten Teile des Interviews, so dass von ihnen keine kompletten Datensätze vorliegen.

Charakteristika der HU im Vergleich mit den übrigen Patienten („Non-HU“) (Tab. 1)

Im Rekrutierungszeitraum entfielen 487 (26,9 %) der 1812 Aufnahmen und 6.878 (22,1 %) der insgesamt 31.149 Behandlungstage auf HU. Die Dauer der Indexaufnahme war bei HU und den übrigen Patienten fast identisch, jedoch kamen HU wesentlich häufiger nach dem UBG zur Aufnahme.

Tab. 1 Charakteristika der HU (N = 132) verglichen mit den übrigen Patienten (Non-HU; Nmax = 1085)

Das Durchschnittsalter lag bei rund 42 Jahren, in beiden Gruppen überwogen Frauen. Bei den HU war die kumulative Aufenthaltsdauer im Jahr vor der Indexaufnahme bei den Frauen deutlich länger als bei den Männern (77,1 vs 45,6 Tage, p < 0,0005, Mann-Whitney-U Test), sodass insgesamt 71,6 % der konsumierten Tage im Jahr vor der Indexaufnahme auf Frauen entfielen.

HU wiesen gegenüber Non-HU signifikant häufiger eine höhere Schulbildung auf, jedoch standen nur 8 % in einem Arbeitsverhältnis, während mehr als 70 % eine Invaliditätspension bezogen. Sie hatten seltener eine Partnerschaft, lebten häufiger alleine oder in betreuten Verhältnissen.

Der Anteil der Patienten, die ohne Zuweisung zur Aufnahme kamen, war in beiden Gruppen hoch. HU wurden seltener (nur 5 %) durch einen niedergelassen Arzt und häufiger durch ein anderes Krankenhaus eingewiesen. Hochsignifikant häufiger wurden HU nach dem Unterbringungsgesetz gegen ihren Willen aufgenommen.

Charakteristika der HU nach Diagnosen

Zur besseren Übersichtlichkeit wurden die Diagnosegruppen mit geringer Patientenanzahl in dieser Auswertung nicht inkludiert: F0 (5 Patienten), F4 und F5 (2 Patienten) und F7 (1 Patient). In der Diagnosegruppe F2 fanden sich 57 Patienten (21 % der Patienten der Diagnosegruppe F2/43 % der HU), in F1 28 Patienten (9 %/21 %), in F3 23 Patienten (6 %/17 %) und in F6 16 Patienten (33 %/12 %). Tabelle 2 stellt die gesammelten Daten dar. Die Diagnosegruppen sind dabei nach Größe geordnet.

Tab. 2 HU nach Diagnosegruppen: (% beziehen sich auf den Anteil in der Diagnosegruppe, außer wenn anders angegeben)

Im Folgenden sollen die charakteristischen Merkmale der einzelnen Diagnosegruppen hervorgehoben werden.

F2 (Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen)

Dies ist die zahlenmäßig größte Gruppe und fast die Hälfte aller Spitalstage im Jahr vor der Indexaufnahme entfällt auf sie. Überwiegend handelte es sich um Patienten mit der Diagnose einer Schizophrenie (58 %) oder einer schizoaffektiven Störung (37 %), wobei bei letzteren manische und gemischte Episoden überwogen (80 %). Sie weisen die längste Krankheitsdauer, die geringste Erwerbstätigkeit (kein einziger Patient ist erwerbstätig!) und die höchste Rate von Invaliditätspensionen (fast 90 %) auf. Ihre soziale Funktionsfähigkeit gemessen am GAF und ihre Krankheitseinsicht bei Aufnahme und Entlassung werden am schlechtesten eingeschätzt. Von allen Gruppen weisen sie die deutlichste Verbesserung des Zustandes zwischen Aufnahme und Entlassung auf (CGI, GAF, Compliance).

Im Jahr nach der Indexaufnahme verzeichnen sie pro Person die meisten Tage unfreiwilliger Behandlung nach dem UBG: bezogen auf die Gesamtgruppe der HU im Jahr nach der Indexepisode entfallen auf sie 55 % aller Spitalstage und 70 % der Tage nach dem UBG.

F1 (Störungen durch psychotrope Substanzen)

Diese Gruppe besteht überwiegend aus Alkoholabhängigen (82 %). Es ist dies die einzige Gruppe, in der Männer überwiegen. Die kumulative Aufenthaltsdauer vor der Indexepisode ist nur halb so lang wie die der anderen Gruppen. Die Compliance bei Aufnahme wird am niedrigsten eingeschätzt. Sie erhalten die wenigsten Empfehlungen für Nachbehandlung im sozialpsychiatrischen Versorgungssystem, auch am wenigsten oft zu Psychotherapie, hingegen wird bei zwei Drittel der Patienten eine alkoholspezifische Behandlung empfohlen. Im Jahr nach der Indexepisode zeigen diese Patienten die geringste Änderung ihres HU-Verhalten und verbringen als einzige Diagnosegruppe mehr Tage im Spital als im Jahr davor. Trotzdem sind diese Patienten hochzufrieden mit der Behandlung in der Klinik (1,2 auf einer 5-teiligen Likert-Skala, 1 = völlig zufrieden).

F3 (affektive Störungen)

Die meisten dieser Patienten (82 %) hatte die Diagnose einer unipolar depressiven Störung. Sie haben den höchsten Anteil von Erwerbstätigen (17% und werden bezüglich Compliance und sozialem Funktionsniveau besser bewertet als die Patienten der Gruppe F2. Sie weisen die längste Aufenthaltsdauer bei der Indexaufnahme auf. Im Jahr nach der Indexaufnahme sinken sowohl die Anzahl der Aufnahmen als auch die kumulative Hospitalisierungsdauer signifikant ab.

F6 (Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen)

Bei dieser Diagnosegruppe handelt es sich ausschließlich um Frauen, zu 60 % mit Borderlinestörungen (F60.31). Sie sind signifikant jünger als die anderen, haben eine kürzere Erkrankungsdauer, aber die längste kumulative Aufenthaltsdauer im Jahr vor der Indexepisode. Sie haben weniger oft eine Invaliditätspension und waren vor der Indexaufnahme häufiger in psychotherapeutischer Behandlung. Die Erkrankung und soziale Beeinträchtigung wird weniger schwer und die Compliance besser eingeschätzt als bei anderen Diagnosen. Sie erhalten am häufigsten eine Empfehlung zur Psychotherapie. Die Besserung zwischen Aufnahme und Entlassung wird am geringsten eingeschätzt.

Diskussion

Das verwendete Kriterium für HU orientiert sich an ein in der Literatur häufig verwendetes Maß für die Häufigkeit der Aufnahmen (≥ 3 Aufnahmen/Jahr) [3, 1921], kombiniert mit einem Kriterium für die kumulative Dauer (≥ 100 Tage/Jahr), um auch sehr lange Aufenthalt erfassen zu können. Mit diesen vergleichsweise strengen Kriterien fanden wir bei unseren Patienten rund 11 % HU. Unsere Untersuchung zeigt auch, dass der Status eines HU bemerkenswert stabil ist: nur 25 (19 %) der Patienten kommen in dem der Indexaufnahme folgenden Jahr nicht mehr zur Aufnahme. Jene, die neuerlich zur Aufnahme kommen, verzeichnen gleich viele Aufnahmen pro Person wie vor der Indexepisode und die Zahl der pro Person durchschnittlich in der Klinik verbrachten Tage sinkt nur unwesentlich ab (von 64,4 Tagen auf 59,6).

Die klinische Erfahrung legt nahe, HU nach Diagnosen getrennt zu betrachten. Bei weitem am größten ist die Gruppe F2, wo 43 % aller HU zu finden sind, gefolgt von F1 (21 %). Betrachtet man den Anteil von HU an der Gesamtzahl der Patienten jeder Diagnosegruppe, so findet man HU am häufigsten in der Diagnosegruppe F6 (33 %), gefolgt von F2 (21 %). Diese Verteilung der Patienten stimmt gut mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen überein [2, 3, 2123].

Im Vergleich mit den übrigen Patienten („Non-HU“) weisen HU eine etwas bessere Schulbildung auf, ansonsten sind ihre Voraussetzungen in alle anderen sozialen Merkmalen ungünstiger: nur bei 30 % besteht eine Partnerschaft, 60 % leben alleine, nur 8 % bezieht ein Einkommen durch Erwerbstätigkeit, fast drei Viertel haben eine Invaliditätspension. Wohnungslosigkeit (9 %) und Hafterfahrungen (3 %) sind etwas häufiger als bei den übrigen Patienten, allerdings kommt ihnen keinesfalls die überragende Bedeutung zu, wie sie vor allem in Untersuchungen in den USA gefunden wurde [1, 9, 20, 24, 25]. Mehr als 50 % werden nach CGI als schwer krank oder extrem schwer krank eingeschätzt, der Mittelwert des GAF ist 40. Generell kommen HU nur ganz selten (5 %) mit einer Zuweisung durch den niedergelassenen Arzt zur Aufnahme, fast die Hälfte (47 %) kommen ohne Zuweisung. HU weisen im Rekrutierungszeitraum zu fast 50 % Aufnahmen nach dem Unterbringungsgesetz auf. Bemerkenswerter Weise werden von den HU, die ohne Einweisung zur Aufnahme kamen, mehr als die Hälfte (54 %) nach dem Unterbringungsgesetz behandelt. Dies kann einerseits dadurch erklärt werden, dass ein Teil dieser Patienten von der Exekutive bei „Gefahr in Verzug“ ohne Einweisung in die Klinik gebracht wird, andrerseits sind viele Patienten, die selbständig kommen, in so schlechter Verfassung, dass es trotzdem zu einer Unterbringung kommt. Die sozialen Beziehungen nach dem PSP werden bei zwei Drittel der Patienten als stark beeinträchtigt eingeschätzt. Insgesamt ergibt sich das Bild von schwer erkrankten Personen, die unter prekären Verhältnissen leben. Im Gegensatz zu anderen Untersuchungen [1, 3, 5, 20, 26, 27] war Komorbidität mit Substanzkonsum (F1 und F3 jeweils unter 20 %) nicht von großer Bedeutung, auch Probleme mit körperlichen Krankheiten spielten bei unseren Patienten keine dominierende Rolle. Komorbiditäten mit Persönlichkeitsstörungen wurden nicht erhoben.

Die stationäre Behandlung scheint erfolgreich zu sein – nur bei 12 % wird keine Besserung (nach CGI-Improvement) festgestellt. Die durchschnittliche Behandlungsdauer für die Indexaufnahme ist nicht geringer als die der übrigen Patienten, so dass die manchmal gemachte Beobachtung [1, 28], dass HU kürzer als andere Patienten behandelt werden, nicht zutrifft. Überraschend sind die Angaben zur Nutzung von Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten vor der Aufnahme: Während man meinen sollte, dass diese schwer kranken Personen, die schon im letzten Jahr oft und lange in der psychiatrischen Klinik gewesen sind, auch eine intensive ambulante Behandlung erfahren, legen unsere Daten nahe, dass dies eher nicht der Fall ist: Im Monat vor der Aufnahme haben fast 40 % keinen Arzt besucht, nur je ein Viertel war in einer Psychotherapie oder eine Beratungsstelle. Mehr als ein Viertel hatte überhaupt keine Form von Betreuung wahrgenommen. Das steht im Gegensatz zu anderen Untersuchungen, die fanden, dass HU auch im außerstationären Bereich überdurchschnittlich viele Ressourcen verbrauchen [14, 29, 30]. Allerdings ist im Rahmen unserer Untersuchung kein direkter Vergleich mit dem Nutzungsverhalten der Non-HU möglich. Auch überrascht, dass diese schwer kranken und psychosozial benachteiligten Patienten nur sehr spärlich Empfehlungen für soziotherapeutische Angebote bekommen: nur bei 17 % wird eine Betreuung durch eine Beratungsstelle, bei 4 % eine Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation und bei 8 % eine tagesstrukturierende Maßnahme empfohlen. Diese Zurückhaltung liegt höchstwahrscheinlich in einer negativen Erwartung des Arztes begründet, wie z. B. dass die Patienten nicht hingehen möchten/werden, dass das Angebot für sie nicht geeignet ist oder dass in absehbarer Zeit keine Ressourcen zur Verfügung stehen. Kurz gesagt, wir vermuten, dass die Patienten wenige Empfehlungen erhalten, weil es keine passende Angebote für sie gibt.

So ist es auch nicht weiter überraschend, dass die wenigsten HU über das medizinische bzw. sozialpsychiatrische Versorgungssystem in die Klinik kommen: Fast die Hälfte kommen ohne ärztliche Einweisung zur Aufnahme, 20 % über andere Krankenhäuser (die sie wahrscheinlich meist ebenfalls ohne Einweisung aufgesucht haben), rund 15 % kommen vom Amts- oder Polizeiarzt und nur 5 % mit einer hausärztlichen Einweisung. Der Impuls zur Aufnahmen entspringt somit nicht einer sorgfältigen Überlegungen innerhalb eines ambulanten Betreuungssystems, sondern eher einer Notsituation, wobei die Patienten oder ihre Angehörigen in Eigeninitiative Hilfe in der psychiatrischen Klinik oder in anderen Krankenhäusern suchen.

Alles in allem weist unsere Untersuchung darauf hin, dass unter dieser Gruppe von HU viele Personen sind, die außerhalb der Klinik nicht ausreichend Betreuung finden oder diese nicht in Anspruch nehmen wollen und dies durch häufige stationäre Aufnahmen kompensiert wird. Dies korreliert mit Merkmalen der Situation in Oberösterreich: Während es ein recht gut ausgebautes sozialpsychiatrisches Angebot im Bereich Wohnen und Arbeit gibt, gibt es

  1. 1.

    in Oberösterreich, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, keine leistungsstarken psychosozialen Dienste, in denen auch fachärztliche psychiatrische Behandlung angeboten wird und die sich für „schwierige“ Patienten verantwortlich fühlen,

  2. 2.

    gibt es kein systematisiertes Angebot für Patienten mit geringer Behandlungsmotivation, wie etwa Assertive Community Treatment [31],

  3. 3.

    ist die Zahl niedergelassener Fachärzte, die in Österreich, verglichen etwa mit Deutschland oder der Schweiz, ohnehin sehr nieder liegt, in Oberösterreich noch einmal besonders niedrig [32].

  4. 4.

    Dafür verfügt die Region Linz mit 0,61 Betten/1000 Einwohner verglichen mit anderen Regionen über eine relative große Anzahl von Betten.

Es scheint also, dass die Behandlung diese schwer kranken Patienten vornehmlich im Spital erfolgt. Dies ist durch die gegebenen Betten möglich, und weil dies möglich ist, fehlt wohl auch der Anreiz, außerhalb der Klinik besser für sie vorzusorgen. Gerade HU brauchen maßgeschneiderte psychosoziale Angebote unter Berücksichtigung des regionalen Versorgungssystems [13, 27]. Mögliche Maßnahmen, die Situation zu optimieren, wären

  • Innerhalb der Klinik könnten längere Behandlungsdauern (bis zum Erreichen einer Stabilität) und optimierte Entlassungsplanung Strategien sein, die Zahl der HU zu vermindern [33]. Allerdings erscheint ersteres in Anbetracht des bestehenden Bettendrucks schwer durchführbar. Bemühungen HU besser in die außerstationäre Versorgung einzubinden, sollten über die bestehenden Kooperationen hinaus verstärkt werden. So wäre es sinnvoll, eine Plattform speziell zur Koordination der Behandlung von HU einzurichten.

  • Auf jeden Fall wäre eine größere Anzahl von Fachärzten für Psychiatrie erforderlich – im Rahmen von Kassenverträgen, Ambulanzen oder Psychosozialen Diensten, aber jedenfalls ohne Zusatzkosten konsultierbar – und mit so viel zeitlichen Ressourcen ausgestattet, dass sie auch diese „diffucult to treat“ Patienten suffizient behandeln können.

Diagnosenspezifisch lassen sich aus unseren Ergebnissen folgende Empfehlungen ableiten:

  • Die zahlenmäßig größte Gruppe sind die Patienten mit Psychosen (F2). 70 % werden nach dem UBG aufgenommen, fast die Hälfte von ihnen war im Monat vor der Aufnahme bei keinem Arzt gewesen. Diese Patienten zeigen in einem hohen Ausmaß auch im Folgejahr HU-Verhalten. Sie können grundsätzlich von einer Behandlung stark profitieren (der GAF nimmt durch die stationäre Behandlung um 10 Punkte und das Rating der Compliance von 45 auf 90 % zu), die Bedingungen außerstationär reichen aber offenbar nicht aus, um sie in Behandlung zu halten. Maßnahmen, die dies verbessern können, wie intensivere Verwendung von Depotmedikation [34], Angebote zur ambulanten Nachbetreuung durch die stationären Behandler [35]. Home treatment [30] oder Assertive Community Treatment [31] sollten in Betracht gezogen werden.

  • Die Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen (F1) sind kumulativ weniger als halb so lang hospitalisiert wie die der anderen Gruppen, haben am häufigsten eine Partnerschaft, den höchsten Anteil von Erwerbstätigkeit und einen relativ hohen GAF. Trotz dieser günstigen Merkmale zeigt sich bei ihnen aber im Jahr nach der Indexepisode die größte Persistenz des HU-Verhaltens und die Compliance wird bei der Entlassung am schlechtesten eingeschätzt. Hier zeigt sich auch ein prinzipielles Problem im Umgang mit HU: Während man von professioneller Seite geneigt ist, das Angebot der Klinik für insuffizient zu halten, sind die HU der Gruppe F1 mit der Behandlung in der Klinik hochzufrieden.

    Diese Patienten sind meist für konventionelle Angebote der Suchtmedizin, wie stationäre Entwöhnungskuren, nicht erreichbar, sei es wegen mangelnder Motivation oder weil sie derartige Maßnahmen schon mehrfach erfolglos absolviert haben. Für sie könnten intensivere suchtbegleitende Maßnahmen sinnvoll sein (z. B. Trinkmengenreduktion) [36].

  • Bei Patienten mit depressiven Störungen (F3) ist die Inanspruchnahme außerstationärer Hilfe höher als bei den beiden vorigen Gruppen, wobei der Schwerpunkt auf der Behandlung durch den praktischen Arzt liegt. Auffallend ist die geringe Anzahl von Personen mit einer Partnerschaft (22 %). Ansätze zur Verbesserung könnten darin liegen, dass derart chronisch depressive Personen vermehrt beim Facharzt in Behandlung sein sollten. Weiters ist ein intensiveres Angebot von Psychotherapie, vor allem in Form von depressionsspezifischen Methoden, wie z. B. CBASP [37], zu wünschen, sowie eine Intensivierung des sozialen Netzwerkes, wie z. B. durch Laienbetreuung oder Selbsthilfegruppen.

  • Die HU mit Persönlichkeitsstörungen (F6) haben die höchste Anzahl von Aufnahmen und die längste kumulative Aufenthaltsdauer im Jahr vor der Indexaufnahme. Erstaunlicherweise erweisen sie sich hier in vielen Belangen als „gesünder“ und „disziplinierter“ als die anderen Gruppen: Sie haben die dichteste Betreuung vor der Indexaufnahme, werden bezüglich der Schwere der Erkrankung, der Krankheitseinsicht und der Compliance deutlich besser eingeschätzt als die anderen Diagnosegruppen und weisen keine vorzeitigen Entlassungen auf. Trotzdem haben sie relativ viele Tagen nach dem UBG zu verzeichnen, sowohl während der Indexaufnahme, als im Jahr danach. Diese Daten könnten dahingehend interpretiert werden, dass das Charakteristikum dieser Gruppe in den krisenhaften Situationszuspitzungen liegt, dass die Patientinnen aber außerhalb dieser Krisen relativ gut funktionsfähig sind. Eine Intensivierung des außerstationären Therapieangebots könnte ermöglichen, die Aufenthalte noch mehr auf den Zweck kurzfristiger Krisenintervention zu reduzieren.

Stärken und Schwächen der Untersuchung

Zu den Stärken der Untersuchung ist zu zählen, dass sie prospektiv geplant worden ist und wir mit jedem HU ein Interview führen und standardisierte Instrumente anwenden konnten. Die Daten zu den HU sind vollständig (abgesehen von verweigerten Interviews) und auch die Angaben zu früheren und späteren Aufenthalten sind vollständig, da die Abteilung die einzige stationäre Einrichtung in der Region ist. Unseres Wissens gibt es bislang keine Untersuchung aus Österreich, die sich ähnlich ausführlich mit dem Thema HU beschäftigt hätte.

Als Schwächen sind anzuführen, dass es nicht möglich war, diese ausführliche Datenerhebung bei allen Patienten zu machen und somit die Vergleichbarkeit mit den Non-HU nur bei einem Teil der Variablen möglich war. Dazu kommt, dass die Basisdokumentation für die Non-HU nur bei 63 % der Fälle vorlag. Die Verwendung standardisierter Instrumente musste auf kurze, einfach anzuwendend eingeschränkt werden. Die globale Erfassung der Compliance als geschätzter Prozentsatz der eingenommenen Medikation trägt dem Umstand Rechnung, dass jede retrospektive Erfassung von Compliance ungenau ist und auch durch eine differenziertere Erfassung nicht viel an Genauigkeit zu gewinnen wäre. Zur Erfassung der Nutzung außerstationärer Einrichtungen waren wir auf die retrospektiven Angaben der Patienten angewiesen. Als Diagnosen wurden die im klinischen Betrieb gestellten Diagnosen nach ICD-10 zurückgegriffen und Nebendiagnosen nicht berücksichtig. Wie immer bei derartigen Untersuchungen sind die Daten stark von lokalen Versorgungsgegebenheiten bestimmt und damit nur eingeschränkt generalisierbar.

Konklusion

HU sind ein wahrscheinlich unvermeidbarer Folgeeffekt des aktuellen Versorgungsparadigmas. Unsere Untersuchung zeigt, dass das Ausmaß des Problems groß ist, auch bei Anlegung eines strengen Kriteriums für HU, und dass es deutliche Diagnosen-spezifische Unterschiede gibt. Auf dieser Grundlage sind mögliche Maßnahmen im Rahmen des lokalen Versorgungssystems zu diskutieren.

Ethik

Die Studie wurde der Ethikkommission des Landes Oberösterreich vorgelegt und von dieser festgestellt, dass kein Einwand gegen die Durchführung besteht.

Informed consent wurde von allen befragten Patienten eingeholt.

Interessenskonflikte

Hans Rittmannsberger, Anke Sulzbacher, Christian Foff und Thomas Zaunmüller erklären, dass kein Interessenskonflikt besteht.