1 Einleitung

Mädchen und Frauen haben weniger Interesse an MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik), beteiligen sich weniger an entsprechenden Bildungsangeboten und sind folglich in MINT-Leistungskursen und MINT-Berufen unterrepräsentiert. Trotz vieler Forschungsbemühungen in diesem Feld hat sich in den letzten Dekaden nur wenig daran verändert, was „das Phänomen der weiblichen Unterrepräsentanz im MINT-Bereich allenfalls noch rätselhafter“ werden lässt (Ziegler et al. 2010, S. 9; s. a. Jungwirth 1994). Geschlechtstypische Selbstkonzepte (Wolter und Hannover 2014) und Überzeugungen, dass Mathematik eher etwas für Jungen als für Mädchen ist (Cvenkek et al. 2011), sind bereits früh nachweisbar, was insofern problematisch ist, als dass diese selbstbezogenen Kognitionen und Überzeugungen Motivation, Interessen, Handeln und schließlich Leistungen beeinflussen. Zur Erklärung geschlechtsstereotyper Selbstkonzepte werden mitunter sozialisationstheoretische Ansätze genutzt, die das Umfeld des Individuums beleuchten. In der vorliegenden Studie werden die Eltern als wichtige Sozialisationsinstanzen auf ihren möglichen Einfluss auf das Selbstkonzept von Drittklässler/innen untersucht.

Die Bedeutung elterlicher Merkmale für Schüler/innenleistungen und leistungsrelevante Variablen wird seit geraumer Zeit (z. B. Fuligni und Stevenson 1996) und anhaltend diskutiert (z. B. Kim und Hill 2015). In den Fokus rücken dabei vermehrt auch elterliche Prozessmerkmale, weil sich diese über strukturelle Merkmale hinaus als bedeutsam für Schüler/innenleistungen erwiesen haben (Baumert et al. 2003; Helmke et al. 1991; Lorenz und Wild 2007; Retelsdorf und Möller 2008). Die vorliegende Studie setzt hier an, indem das elterliche mathematische Selbstkonzept zur Selbstkonzeptentwicklung von Grundschulkindern in der Domäne Mathematik in Beziehung gesetzt wird. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass diese selbstbezogenen Kognitionen der Eltern bezüglich Mathematik häusliches Rückmelde- und Unterstützungsverhalten beeinflussen und sich damit auf das domänenspezifische Selbstkonzept der Kinder auswirken. An diese Überlegung anknüpfend wird die Frage untersucht, ob sich in Abhängigkeit des Geschlechts der Kinder Unterschiede in den vermuteten Zusammenhängen zwischen elterlichen selbstbezogenen Kognitionen und denen der Kinder zeigen.

2 Theoretischer Hintergrund

Mit dem Begriff Selbstkonzept wird „die mentale Repräsentation der eigenen Person“ bezeichnet (Möller und Trautwein 2009, S. 180). Die Begrifflichkeit geht auf James (1890) zurück, der mit seinen Arbeiten eine Theorie des Selbst vorstellte. Die Unterscheidung zwischen dem Subjekt des Erkennens und dem Objekt der Erkenntnis („self as knower“ vs. „self as known“) stellt die Grundlage der Selbstkonzeptforschung dar. Die selbstbezogenen Kognitionen können, so James Theorie, menschliches Erleben und Handeln auf unterschiedlichste Weise beeinflussen.

Zur Klärung und Untersuchung der Struktur des Selbstkonzeptes entwickelten Shavelson et al. (1976) ein mehrfaktorielles, hierarchisch organisiertes Modell mit dem allgemeinen Selbstkonzept auf der obersten Hierarchieebene. Mit diesem Modell wurde postuliert, dass das allgemeine Selbstkonzept sich in verschiedene Bereiche differenzieren lässt, und zwar auf der zweiten Ebene in ein nicht-akademisches sowie ein akademisches Selbstkonzept. Das akademische Selbstkonzept gliedert sich sodann in unterschiedliche Domänen, Bereiche innerhalb von Domänen und weiter in bestimmte Tätigkeiten sowie Komponenten innerhalb der Bereiche. Legt man nun die Annahme zugrunde, dass Selbstkonzepte die Wahrnehmung von Erlebnissen und Kognitionen beeinflussen, wird deutlich, weshalb dem akademischen Selbstkonzept im Schulkontext eine bedeutende Rolle zukommt. Akademische Selbstkonzepte können lern- und leistungsrelevante Erlebnisse, Erwartungen und Handlungen in der jeweiligen Domäne beeinflussen, was sich z. B. in einem engen Zusammenhang zwischen dem domänenspezifischen (akademischen) Selbstkonzept und den Leistungen in der entsprechenden Domäne ausdrückt (s. zsf. Hansford und Hattie 1982; Valentine et al. 2004). Für das Grundschulalter werden Korrelationen zwischen dem mathematischen Selbstkonzept und der Mathematikleistung von r = 0,19 bis r = 0,51 berichtet (Guay et al. 2003; Kammermeyer und Martschinke 2003, 2006; Renkl et al. 1997). Theoretisch wird davon ausgegangen, dass das Selbstkonzept mit der Lernmotivation und der Lernleistung deshalb in Zusammenhang steht (Wigfield und Eccles 1992), weil Wahrnehmungen den eigenen Lernprozess betreffend u. a. durch das Selbstkonzept beeinflusst werden. Dabei wird von einer reziproken Beziehung zwischen Selbstkonzept und Leistung ausgegangen (Guay et al. 2003; Marsh und Craven 2006; Marsh und O’Mara 2008). Neben individuellen oder sozialen Vergleichsprozessen kann auch das Verhalten von Sozialisatoren (Peers, Lehrpersonen, Geschwister, Eltern) Einfluss auf das Selbstkonzept von Kindern nehmen. Im Erwartungs-Wert-Modell (E-W-Modell; Wigfield und Eccles 2000) wird die Bedeutung elterlicher Merkmale für die Entwicklung der Kompetenzüberzeugungen bzw. des Selbstkonzepts von Kindern berücksichtigt. So haben sowohl die Überzeugungen und Verhaltensweisen von Sozialisatoren als auch deren Wahrnehmung durch die Kinder einen (indirekten) Einfluss auf das Selbstkonzept und die eigene Leistungserwartung. Es wird argumentiert, dass sich elterliche Einstellungen in Prozessmerkmalen (wie beispielsweise der Art des Unterstützungsverhaltens) ausdrücken und damit als Determinanten des Selbstkonzepts fungieren können (ebd.). Studien konnten Zusammenhänge, wie sie im E‑W-Modell postuliert werden, belegen. So berichten Ehmke und Siegle (2006), dass Eltern mit einer hohen intrinsischen Wertschätzung dem Fach Mathematik gegenüber ihre eigene mathematische Kompetenz höher einschätzen und dass jene Eltern, die sich als kompetenter wahrnehmen, auch weniger Leistungsdruck ausübten als diejenigen Eltern, die ihre mathematische Kompetenz weniger hoch einschätzten. Regressionsanalytisch liefern Ehmke und Siegle (2008) zudem Hinweise darauf, dass der Effekt elterlicher Mathematikkompetenz auf die Schülerleistung teilweise über häusliches lernförderliches Verhalten, wie beispielsweise autonomieunterstützendes Verhalten, mediiert wird. Nicht nur die tatsächliche Kompetenz der Eltern scheint die Leistungen der Kinder zu beeinflussen, sondern auch die von elterlichen Merkmalen beeinflussten Eltern-Kind-Interaktionen (s. a. Wild und Remy 2002).

Für die Domäne Lesen wurde von Retelsdorf und Möller (2008) an einer Stichprobe von über 1000 Fünftklässlern überprüft, welche Bedeutsamkeit zwei verschiedene häusliche Prozessmerkmale (elterliche Leseaktivität und gemeinsame sprachliche Aktivitäten zwischen Eltern und Kind) für Leseselbstkonzept, intrinsische Lesemotivation, Leseaktivität und Leseleistung haben. Unter Kontrolle des sozio-ökonomischen Status und der beruflichen Bildung der Eltern wurde ein Effekt der elterlichen Leseaktivität auf das Leseselbstkonzept der Kinder nachgewiesen. Dieser Effekt wird über das Interaktionsverhalten (gemeinsame sprachliche Aktivitäten) zwischen Eltern und Kindern mediiert. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die elterlichen Leseaktivitäten an relativer Bedeutsamkeit für die domänenspezifische Selbstkonzeptentwicklung des Kindes verlieren, wenn die gemeinsamen Aktivitäten von Kindern und Eltern innerhalb der Domäne zusätzlich betrachtet werden.

Ob sich häusliches Interaktionsverhalten auch in anderen Domänen in ähnlicher Weise auf die Entwicklung von Selbstkonzepten auswirkt, ist bislang nicht untersucht worden. Dabei kann vermutet werden, dass besonders im Fach Mathematik die häusliche Interaktion einen Effekt auf selbstbezogene Kognitionen hat, da die Wahrnehmung von Mathematik stark von individuellen naiven epistemologischen Überzeugungen (Baumert und Kunter 2006; Schmitt und Altstötter-Gleich 2010) beeinflusst sein kann (Blömeke et al. 2008; Levin et al. 2015). Besitzen Eltern beispielsweise Fachkenntnisse, messen einem Fach besonderen Wert bei und/oder zeigen Interesse daran, dürfte dies nicht nur zu einer elaborierteren und stärker wertschätzenden häuslichen Interaktion über das Fach führen, sondern könnte zusätzlich dazu beitragen, dass Eltern ihren Kindern konstruktiveres Feedback geben, wenn Probleme auftauchen und mehr Zutrauen in die Veränderbarkeit von Leistungen im jeweiligen Fach haben, was sich beispielsweise in variablen Ursachenzuschreibungen für Leistungen des Kindes niederschlagen könnte. Lynch (2002) konnte einen derartigen Zusammenhang für Kinder im Grundschulalter – allerdings auf das Lesenlernen bezogen – finden: Sind Mütter der Ansicht, ihren Kindern beim Lesenlernen gut helfen zu können, schätzen die Kinder ihre eigenen Kompetenzen in diesem Bereich auch höher ein.

Derartige Überlegungen könnten für Mädchen in der Domäne Mathematik von besonderer Bedeutung sein: Relativ robust sind Befunde innerhalb der Pädagogischen Psychologie, wonach sich Mädchen in Mathematik weniger zutrauen als Jungen (z. B. Dickhäuser und Stiensmeier-Pelster 2003; Gabriel et al. 2011; Prücher 2002; Tiedemann 2000), was sich nicht nur auf Attributionsstile und auf die Motivation- und Interessenentwicklung (z. B. Kaiser-Messmer 1993) auswirken kann, sondern auch ursächlich dafür sein kann, dass Mädchen seltener als mathematisch begabt erkannt werden (Benölken 2014). Dementsprechend sind Erwartungshaltungen gegenüber Mädchen in Mathematik oft niedriger als gegenüber Jungen: Beispielsweise fallen elterliche Fähigkeits- und Leistungseinschätzungen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich unter Kontrolle tatsächlicher Leistung zuungunsten von Mädchen aus (z. B. Mösko 2010; Tiedemann 2000; zsf. Gunderson et al. 2012). In einer Studie von Eccles Parsons und Kolleg/innen (1982) zeigte sich, dass Eltern die Mathematikfähigkeit ihrer Kinder zwar nicht signifikant unterschiedlich in Abhängigkeit des Geschlechts einschätzen, sie jedoch trotzdem der Meinung sind, Mädchen müssten sich im Vergleich zu Jungen mehr anstrengen, um in Mathematik gute Leistungen zu erbringen. In dieser Studie konnte zudem die Kopplung zwischen elterlichen Fähigkeitswahrnehmungen in Bezug auf Mathematik und den späteren mathematischen Fähigkeitswahrnehmungen der Schüler/innen nachgewiesen werden.

Wenn – wie oben vermutet – Fachkenntnisse, Wertzuschreibungen oder Interesse ein weniger naives und dafür elaborierteres Verständnis von Mathematik bewirken können, dürften Mädchen in besonderer Weise davon profitieren, weil eine fundierte und wertschätzende häusliche Interaktion über Mathematik auch geschlechtsspezifischen Erwartungen entgegenwirken könnte. Es könnte also für Mädchen in doppelter Weise stärkend sein, wenn ihre Eltern Mathematik wert- und sich selbst als kompetent einschätzen. Aus der oben referierten theoretischen Betrachtung wie aus der zusammengefassten Befundlage ergibt sich die folgende übergeordnete Fragestellung:

Lässt sich die Entwicklung des mathematischen Selbstkonzepts von Grundschulkindern durch elterliche Selbsteinschätzungen bezogen auf das Fach Mathematik erklären?

Genauer soll überprüft werden, inwieweit das elterliche mathematische Selbstkonzept die Genese des mathematischen Selbstkonzepts in der Grundschule erklären kann und ob dieses Elternmerkmal sich in Abhängigkeit des Geschlechts des Kindes unterschiedlich auf dessen mathematisches Selbstkonzept auswirkt. Die oben dargestellten Befunde lassen die Annahme zu, dass ein höheres mathematisches Selbstkonzept aufseiten der Eltern sich positiv auf das mathematische Selbstkonzept der Kinder auswirkt (Hypothese 1), da sich die elterliche Zuversicht in häuslichem Interaktionsverhalten über Mathematik wiederspiegeln dürfte. Da selbsteingeschätzte Kompetenz zudem etwaigen naiven epistemologischen und/oder geschlechtsstereotypen Überzeugungen der Eltern entgegenwirken dürfte, kann ferner angenommen werden, dass das elterliche mathematische Selbstkonzept für die Selbstkonzeptentwicklung von Mädchen bedeutsamer ist als für Jungen (Hypothese 2).

3 Design

Stichprobe.

Zur Überprüfung der Hypothesen werden Daten aus der Längsschnittstudie PERLE (Persönlichkeits- und Lernentwicklung von Grundschulkindern) genutzt, im Rahmen derer die Schüler/innen über ihre Grundschulzeit hinweg fünf Mal (zu Beginn des ersten und jeweils am Ende des ersten, zweiten, dritten und vierten Schuljahrs) getestet bzw. befragt wurden (Lipowsky et al. 2013). Die Eltern der Schüler/innen wurden drei Mal (zu Beginn des ersten und jeweils am Ende des zweiten und vierten Schuljahrs) befragt. Für die vorliegende Untersuchung werden Schüler/innendaten des dritten und vierten Messzeitpunkts und Elterndaten aus der zweiten Elternbefragung genutzt. Die untersuchte Stichprobe beinhaltet Daten von N = 896 Schüler/innen (53,17 % Mädchen) und ihren Eltern. Zu Beginn der Studie waren die Kinder im Mittel sechs Jahre und sechs Monate alt. Am Ende des zweiten Schuljahrs beendeten einige Klassen ihre Teilnahme an der Studie und es wurden – um die Stichprobengröße zu erhalten – neue Klassen für die Teilnahme gewonnen. Für manche Schüler/innen liegen demzufolge nur Daten vom Ende des zweiten (fortan als t1 bezeichnet) respektive des dritten (fortan als t2 bezeichnet) Schuljahrs vor.

Bei der schriftlichen Elternbefragung wurde eine Rücklaufquote von 60 % erreicht. Rund 75 % der Fragebögen wurden von den Müttern, knapp 20 % von beiden Elternteilen und lediglich 7 % von den Vätern oder anderen Personen ausgefüllt. Das durchschnittliche Alter der Eltern lag bei M = 38,8 Jahren (SD = 5,1). Der HISEI (Highest International Socio-Economic Index; Ganzeboom et al. 1992) der Familien lag im Mittel bei M = 62,2 Punkten (SD = 16,0), womit die Familien, verglichen mit dem PISA 2009-Sample (M = 48,9; SD = 15,6; Ehmke und Jude 2010), einen überdurchschnittlichen sozioökonomischen Status aufweisen. Die Familien stammen vorwiegend aus den neuen Bundesländern (Lipowsky et al. 2013). Es kann demzufolge nicht von einer Repräsentativität der Stichprobe ausgegangen werden.

Analysen und Umgang mit fehlenden Werten.

Zur Überprüfung der Hypothesen wird ein Strukturgleichungsmodell aufgebaut und mit dem Programm Mplus 7 (Muthén und Muthén 1988–2015) geschätzt. Die Schätzung geschieht mit dem robusten maximum-likelihood estimator (MLR) unter Berücksichtigung der geclusterten Datenstruktur. Fehlende Werte werden mit dem full-information maximum likelihood (FIML)-Algorithmus geschätzt. Zur Beurteilung des Modellfits werden mit dem root mean square error of approximation (RMSEA), dem comparative fit index (CFI) und dem Tucker Lewis index (TLI) gängige Gütekriterien herangezogen (Schermelleh-Engel et al. 2003). Aufgrund des eher explorativen Charakters der Studie werden Effekte als bedeutsam interpretiert, sofern sie eine Irrtumswahrscheinlichkeit von unter 10 % aufweisen. Etwaige Unterschiede in den Effekten für die Subgruppen (Mädchen und Jungen) werden geprüft, indem die Koeffizienten anhand ihrer Standardfehler nach der Formel von Cohen und Kolleg/innen (2003, S. 46) auf signifikante Unterschiedlichkeit innerhalb eines Konfidenzintervalls von 90 % getestet werden.

Erfassung der Schüler/innenmerkmale.

Das mathematische Selbstkonzept wurde mittels eines Fragebogens zu t1 sowie zu t2 erfasst. Dabei wurde ein selbstentwickeltes Instrument eingesetzt (Poloczek et al. 2011), das sich an bestehenden Instrumenten anlehnte. Insgesamt sechs Items sollten von den Kindern auf einem dreistufigen Antwortformat eingeschätzt werden (Beispielitem: „Wie viele Fehler machst Du beim Rechnen?“, Antwortmöglichkeiten: keine – ein paar – viele). Die Items fokussieren die kognitiv-evaluative Komponente des Selbstkonzepts. Zu t2 wurden die Items mit einer grafischen Unterstützung administriert, zu t3 wurde auf diese grafische Unterstützung verzichtet.

Die grafische Unterstützung zu t2 bestand aus drei Figuren, welche mit jedem Item gezeigt wurden (siehe Abb. 1). Die drei Figuren symbolisierten das jeweilige Antwortformat. Die Testleiter/innen forderten die Kinder auf, jene Figur anzukreuzen, die ihnen am ähnlichsten ist. Die sechs Items wurden in gleicher Weise vorgetragen. Zunächst wurde das Item vorgelesen, z. B.: „Wie viele Fehler machst du beim Rechnen?“ Dann wurde auf einer Instruktionsfolie auf das erste Kind gezeigt und hierzu gesprochen: „Kind Nr. 1 macht keine Fehler beim Rechnen.“, darauf auf Kind Nr. 2 („Kind Nr. 2 macht ein paar Fehler beim Rechnen“) und schließlich auf Kind Nr. 3 („Kind 3 macht viele Fehler beim Rechnen“). „Welches Kind ist dir am ähnlichsten?“

Abb. 1
figure 1

Instruktionsbeispiel für die Selbstkonzepterhebung

Dieses Fragebogenformat wurde vor der eigentlichen Testsituation am Beispiel „Spinat essen“ erläutert (s. Abb. 1). Um sicherzustellen, dass die Kinder sich während der Testsituation immer auf der richtigen Seite des Fragebogens befinden, wurde ein Leitsystem mit Tiermotiven und Ziffern (vgl. Abb. 2) entwickelt. Die Testleiter/innen teilten vor jeder Frage mit, auf welcher Seite mit welchem Tiermotiv sich die Frage befindet. Auf dem Fragebogen selbst befanden sich keine Fragen in Textform. Die Items wurden von den Testleiter/innen vorgelesen und die zu bearbeitende Seite wurde unterstützend von ihnen hochgehalten.

Abb. 2
figure 2

Beispielseite aus dem Instrument zur Selbstkonzepterhebung am Ende des zweiten Schuljahrs

Ab t2 fanden die Erhebungen des Selbstkonzepts ohne diese visuellen Unterstützungen statt. Die Kinder lasen die Items ab diesem Messzeitpunkt selbst und kreuzten dann im Fragebogen die ausgewählte Antwortkategorie direkt an. Itemwortlaut und Antwortformat veränderten sich nicht.

Deskriptive Analysen verdeutlichen gute Reliabilitäten (αt1 = 0,88, αt2 = 0,89) und Mittelwerte, die oberhalb des theoretischen Skalenmittels liegen (M T1 = 2,33, SD T1 = 0,48, M T2 = 2,24, SD T2 = 0,47). Die Messäquivalenz der Daten für die beiden Geschlechter wurde vorab simultan für beide Messzeitpunkte getestet: Mit einer Modellanpassung von χ2 /df = 2,58 (p < 0,001), RMSEA = 0,061, CFI = 0,939 und TLI = 0,935 können die Annahmen strikter Invarianz zwischen den Geschlechtern für die betrachteten Messzeitpunkte angenommen werden (Meredith 1993). Die Tab. 1 enthält Ergebnisse univariater Varianzanalysen, mit denen Mittelwertunterschiede zwischen den Geschlechtern getestet worden sind. Die Jungen weisen sowohl am Ende des zweiten als auch am Ende des dritten Schuljahrs ein höheres mathematisches Selbstkonzept auf als die Mädchen (t1: F(1; 735) = 69,65 (p < 0,001); t2: F(1; 558) = 42,43 (p < 0,001)). Die Messäquivalenz über die Zeit wird innerhalb des hypothesenprüfenden Modells geprüft (siehe Abb. 3).

Tab. 1 Deskriptive Statistiken für Mädchen und Jungen und Ergebnisse univariater Varianzanalysen
Abb. 3
figure 3

Strukturgleichungsmodell zur Überprüfung des Effekts des elterlichen mathematischen Selbstkonzepts auf die Selbstkonzeptentwicklung der Kinder. Die eingetragenen Parameter gelten für die Gesamtstichprobe/Jungen/Mädchen. Modellfit: χ2/df = 2,06, p < 0,001, RMSEA = 0,034, CFI = 0,975 und TLI = 0,969

Die Mathematikleistung wurde mit einem Instrument erfasst, welches schwerpunktmäßig arithmetische Leistungen der Schüler/innen testete. Der Test umfasste Aufgaben zur Addition und Subtraktion, zum Verdoppeln und Halbieren, zur Division und Multiplikation, zum Rechnen mit Geld sowie Aufgaben zum räumlichen Vorstellungsvermögen. Er wurde zu t1 als 50-minütiger Gruppentest durchgeführt. Bei der Entwicklung des Tests wurde auf bestehende Instrumente, wie beispielsweise die DEMAT-Verfahren (Krajewski et al. 2004) sowie den TEDI-MATH (Kaufmann et al. 2009) zurückgegriffen. Die Aufgaben wurden durch Eigenentwicklungen ergänzt (Greb et al. 2009; Karst et al. 2011). Der Test enthielt sowohl eher leichte als auch eher schwere Aufgaben, um das gesamte Leistungsspektrum zu erfassen. Die Mathematikleistung zu t1 wurde mittels des eindimensionalen dichotomen Rasch-Modells skaliert (Range WMNSQ von 0,76 bis 1,09; EAP/PV-Reliabilität = 0,94). Für N = 812 Schüler/innen liegen WLE-Schätzwerte für die mathematische Leistungen vor (M = −0,09, SD = 1,87; Karst et al. 2011). Diese fallen für die Mädchen mit F(1; 810) = 30,90 (p < 0,001) signifikant niedriger als für die Jungen (s. Tab. 1).

Erfassung der Elternmerkmale.

Das elterliche mathematische Selbstkonzept wurde mit drei Items erfasst. Diese lehnen sich eng an die Skala Mathematik in der Familie (Rakoczy et al. 2005) an. Die Items weisen ein vierstufiges Antwortformat auf (1 = trifft nicht zu bis 4 = trifft voll zu; M = 3,3 5, SD = 0,49). Sie lauten „Wir glauben, in Mathematik wissen wir so gut Bescheid wie der Lehrer unseres Kindes“, „Wenn unser Kind Fehler im Fach Mathematik gemacht hat, können wir erklären, was es falsch gemacht hat“ und „Wir sind zu Hause fit in Mathematik“. Die interne Konsistenz ist noch zufriedenstellend (α = 0,62). Wie die Ergebnisse des Mittelwertvergleichs zwischen Eltern von Jungen und Eltern von Mädchen zeigen (s. Tab. 1), unterscheiden sich die Eltern im Mittel in ihren Selbsteinschätzungen nicht voneinander (F(1; 438) = 0,05 [p = 0,817]).

4 Ergebnisse

Bevor die strukturellen Zusammenhänge im Strukturgleichungsmodell geprüft werden, sollen die Interkorrelationen der Konstrukte betrachtet werden. Wie aus Tab. 2 ersichtlich ist, bestehen zwischen den Variablen für die Stichprobe der Mädchen substantielle Zusammenhänge in erwarteter Richtung. Für die Stichprobe der Jungen deutet sich ein Unterschied an, da das elterliche mathematische Selbstkonzept nicht mit den Schülermerkmalen korreliert.

Tab. 2 Bivariate Korrelationen zwischen den untersuchten Konstrukten für Mädchen und Jungen

Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse der hypothesenprüfenden Analysen vorgestellt. Abb. 3 stellt das Modell dar, wie es zur Beantwortung der Fragestellungen spezifiziert wurde. Die Abb. 3 enthält sowohl die Parameter für die Gesamtstichprobe als auch für die beiden Teilstichproben. Die Parameterschätzung fand unter der Modellannahme strikter Messinvarianz für die Selbstkonzeptdaten über die Zeit statt. Das Modell weist mit χ2 /df = 2,06 (p < 0,001), RMSEA = 0,034, CFI = 0,975 und TLI = 0,969 einen guten Datenfit auf.

Das mathematische Selbstkonzept zu t2 wird am stärksten durch das Selbstkonzept zu t1 (β = 0,518, p < 0,001) determiniert. Auch die Mathematikleistung übt mit β = 0,350 (p < 0,001) einen Einfluss auf das mathematische Selbstkonzept zu t2 aus. Literaturkonform zeigt sich mit r = 0,573 (p < 0,001) ein hoher querschnittlicher Zusammenhang zwischen der Mathematikleistung und dem mathematischen Selbstkonzept zu t1. Die Mathematikleistung der Schüler/innen steht auch in einem Zusammenhang mit dem elterlichen mathematischen Selbstkonzept (r = 0,132, p < 0,05). Was querschnittliche Zusammenhänge, die normative Stabilität des Selbstkonzepts und den Einfluss der Leistung auf das spätere Selbstkonzept anbelangt, lassen sich damit erwartbare Zusammenhangsstrukturen finden, womit Hypothese 1 bestätigt werden kann. Bemerkenswert ist allerdings, dass in der Gesamtschau das elterliche mathematische Selbstkonzept – querschnittlich betrachtet – nicht mit dem Selbstkonzept der Kinder zusammenhängt (r = 0,101, p = 0,986).

Zur Überprüfung differentieller Effekte in Abhängigkeit des Geschlechts wird das Modell auch für Mädchen und Jungen getrennt betrachtet. Einen bekannten Befund stellt dabei der (im Vergleich zu Jungen) für die Mädchen geringer ausfallende Effekt der vorherigen Mathematikleistung auf das mathematische Selbstkonzept dar (βM = 0,269, p < 0,001; βJ = 0,480, p < 0,01). Mädchen scheinen ihre vorherige Leistung weniger für ihre Selbsteinschätzung zu nutzen als Jungen dies tun.

In Übereinstimmung mit Hypothese 2 zeigen sich auch unterschiedlich hohe Effekte des elterlichen mathematischen Selbstkonzepts auf die Selbstkonzeptentwicklung der Jungen und Mädchen. Wie sich in den bivariaten Korrelationen bereits andeutete, ist der Effekt des elterlichen mathematischen Selbstkonzepts auf die Selbstkonzeptentwicklung nur für Mädchen signifikant (βM = 0,260, p < 0,01; βJ = 0,093, p = 0,320). Auch querschnittlich betrachtet zeigen sich diese Unterschiede in den Zusammenhangsstrukturen: Das Selbstkonzept der Mädchen zu t1 hängt mit dem elterlichen mathematischen Selbstkonzept zusammen, das der Jungen jedoch nicht (r M = 0,230, p < 0,05; r J = 0,002, p = 0,986). Prüft man diese Unterschiede in den Ausprägungen der Koeffizienten nach der Formel von Cohen und Kolleg/innen (2003) auf Signifikanz, zeigt sich, dass es sich gemessen am 90 %-Konfidenzintervall teilweise um substantielle Unterschiede handelt (s. Tab. 3): Während die berechneten Konfidenzintervalle für die Differenzen von drei Parametern die Null einschließen und die Parameter damit als nicht verschieden angesehen werden können, ergeben sich für die folgenden drei Parameter signifikante Unterschiede: Der Effekt des elterlichen mathematischen Selbstkonzepts auf die Selbstkonzeptentwicklung (emSK → mSK3), der Effekt der Mathematikleistung auf die Selbstkonzeptentwicklung (mLeist → mSK3) sowie der Zusammenhang zwischen elterlichem mathematischen Selbstkonzept und dem Selbstkonzept der Kinder zu t1 (emSK ←→ mSK2) unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern. Damit kann auch Hypothese 2 bestätigt werden, welche – im Vergleich zu Jungen – eine stärkere Abhängigkeit des mathematischen Selbstkonzepts der Mädchen vom elterlichen mathematischen Selbstkonzept postulierte.

Tab. 3 Ergebnisse der Prüfung auf signifikante Unterschiedlichkeit der Effekte und Zusammenhänge zwischen Mädchen und Jungen

5 Diskussion

Die grundlegende Frage dieses Beitrags war, ob elterliche Merkmale, die das Interaktionsverhalten zwischen Eltern und Kind in Bezug auf mathematische Inhalte beeinflussen dürften, die Selbstkonzeptentwicklung von Grundschulkindern in der Domäne Mathematik erklären können und ob sich für Mädchen und Jungen unterschiedliche Zusammenhangsmuster ergeben. In der vorliegenden Studie wurde als entsprechendes elterliches Merkmal das mathematische Selbstkonzept der Eltern auf seine Prädiktionskraft untersucht. Die im E‑W-Modell postulierten Annahmen können mit den vorgelegten Ergebnissen bestätigt werden: So zeigt sich unter Kontrolle der Mathematikleistung zunächst ein Effekt des elterlichen mathematischen Selbstkonzepts auf die Selbstkonzeptentwicklung der Kinder. Die Ergebnisse legen nahe, dass Kinder davon profitieren, wenn ihre Eltern ihre eigene Kompetenz hoch einschätzen. Ähnlich wie in der Studie von Retelsdorf und Möller (2008) zeigt sich ein Effekt elterlicher Prozessmerkmale auf die Selbstkonzeptentwicklung. Allerdings kann in der vorliegenden Studie lediglich gemutmaßt werden, dass ein höheres mathematisches Selbstkonzept der Eltern die häusliche Kommunikation über das Fach und über die fachlichen Leistungen der Kinder beeinflusst, da den Eltern keine entsprechenden Fragen gestellt worden sind. Diese Lücke sollte in Ergänzungsstudien geschlossen werden. Plausibel scheint, dass unterstützendes Feedbackverhalten der Eltern (z. B. in Form interessierter, gezielter und fundierter Nachfragen und Rückmeldungen zu Fragen oder Leistungen der Kinder) wahrscheinlicher ist, wenn Eltern sich als kompetent einschätzen und sich für das Fach begeistern können (s. a. Lynch 2002). Mithilfe von Elterninterviews ließen sich hier interessante weiterführende Einblicke gewinnen.

Eine genauere Betrachtung des Modells getrennt für Mädchen und Jungen offenbart allerdings ein stereotypes und theoretisch erwartbares Bild: Jungen nutzen im Vergleich zu Mädchen stärker ihre vorherige Mathematikleistung als Quelle der Selbstkonzeptgenese. Für die Entwicklung des mathematischen Selbstkonzepts von Mädchen scheint es wichtiger zu sein, wie ihre Eltern über Mathematik denken. Zusammengefasst gilt für die vorliegende Stichprobe in der Gesamtbetrachtung: Schätzen Eltern eines Mädchens ihre mathematischen Kompetenzen als hoch ein, wirkt sich dies positiv auf die Selbstkonzeptentwicklung der Mädchen aus. Dies gilt in der vorliegenden Untersuchung nicht für Jungen: Ihre Selbstkonzeptentwicklung scheint unabhängig von den elterlichen Kognitionen zu verlaufen.

Bei der Interpretation dieser Ergebnisse sollte zwar bedacht werden, dass die Unterschiede in den Effekten eher gering sind. Dennoch ist die mathematische Selbstkonzeptentwicklung der Mädchen stärker davon abhängig, wie Eltern und insbesondere die Mütter – in dieser Studie wurde der Elternfragebogen vorwiegend von den Müttern ausgefüllt – die mathematischen Kompetenzen im Elternhaus einschätzen. Erklärt werden könnte dies durch häufige und intensive Gespräche über Mathematik und ihre Relevanz. Wird dies – auch von Müttern – „vorgelebt“, scheint dies für Mädchen bedeutsamer zu sein als für Jungen. Vorstellbar ist, dass sich die Mädchen stärker mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil identifizieren und sich an diesem Modell orientieren (Bandura 1971). Im Sinne der Imitationstheorie (Trautner 2008) kann vermutet werden, dass Mädchen, deren Eltern bzw. Mütter sich für Mathematik begeistern und kompetent in Mathematik sind, sich in ihrem eigenen Verhalten anpassen und es übernehmen. Dies könnte in besonderer Weise auch für die affektive Komponente des Selbstkonzepts („Ich mag Mathematik.“) gelten. Inwieweit diese Komponenten empirisch voneinander trennbar sind, ist umstritten (s. zsf. Möller und Köller 2004). In der vorliegenden Untersuchung wurde bewusst nur die kognitiv-evaluative Komponente des Selbstkonzepts erfragt. Die Erfassung der affektiven Komponente selbstbezogener Kognition von Kindern und ihren Eltern könnte wertvolle Ergänzungen liefern, da auch diese Komponente die oben angesprochene häusliche Interaktion beeinflusst. Damit könnte auch die Frage untersucht werden, inwieweit sich Mädchen und Jungen in der affektiven Komponente des mathematischen Selbstkonzepts unterscheiden und ob hier ein weiterer Erklärungsansatz für differentielle Entwicklungen zu finden ist.

Vermutet werden kann zudem, dass Eltern von geschlechtsstereotypen Überzeugungen geprägt sind und sich – sofern vorhanden – möglicherweise von ihnen leiten lassen, wenn sie mit ihren Kindern interagieren (s. a. Mösko 2010; Eccles Parsons et al. 1982). In der Studie von Eccles Parsons und Kolleg/innen (1982) konnte gezeigt werden, dass der geschlechtsspezifische Unterschied in der elterlichen Fähigkeitseinschätzung am stärksten durch elterliche Überzeugungen darüber, wie sehr sich ihre Kinder anstrengen müssen, um in Mathematik gute Leistungen zu erbringen, erklärt wurde. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden die Eltern dahingehend nicht befragt. Die hier dargestellten Befunde können aber als ein Hinweis darauf verstanden werden, dass in Folgestudien derartige Merkmale erfasst werden sollten. In Verbindung mit den Ergebnissen von Mösko (2010) sollte in künftigen Studien auch gezielt überprüft werden, inwieweit elterliche Merkmale wie das Selbstkonzept oder das Interesse am Fach Mathematik mit geschlechtsstereotypen Überzeugungen zusammenhängen. Eventuell wirkt die eigene Kompetenzüberzeugung – insbesondere bei Müttern – als eine Art Resilienzfaktor gegenüber geschlechtsstereotypen Leistungseinschätzungen und damit auch gegenüber geschlechtsstereotypen Interaktionsmustern.

Methodische Limitationen.

Wie in vielen Studien, die Elternmerkmale erheben, handelt es sich auch bei der Elternbefragung in der vorliegenden Studie im strengen Sinne um eine Befragung von Müttern. Zwar sind im Vergleich zu beispielsweise Helmke und Kolleg/innen (1991) auch Väter unter den Befragten oder die Eltern haben den Fragebogen gemeinsam ausgefüllt, doch stammen rund 75 % der Angaben von Müttern. Hier stellt sich die Frage, ob bei balancierten Befragungen oder ausdrücklichen Väterbefragungen andere Ergebnisse zu erwarten wären. Jacobs (1991) fand, dass mütterliche Fähigkeitseinschätzungen vom Geschlecht des Kindes abhingen, die der Väter hingegen nicht. In der Studie von Tiedemann (2000) zeigte sich hingegen, dass sowohl die Einschätzung der Mütter als auch der Väter durch das Geschlecht beeinflusst sind. Um diese Limitation künftig zu vermeiden, sollten Studien beide Elternteile einladen, an der Befragung teilzunehmen (siehe u. a. Aunola und Kolleg/innen 2003). Damit wäre es möglich, nach Geschlechtern getrennte Analysen durchzuführen, da zwischen Vätern und Müttern durchaus Unterschiede in den Effekten elterlichen Unterstützungsverhaltens auf den Schulerfolg der Kinder bestehen können (Kim und Hill 2015). Allerdings fragen die genutzten Items der vorliegenden Studie ausdrücklich nach Elternpaaren und nicht nach individuellen Einschätzungen, sodass von weniger starken Verzerrungen ausgegangen werden kann.

Eine andere Einschränkung muss in Bezug auf den überdurchschnittlich hohen sozioökonomischen Status der Familien vermerkt werden. Ehmke (2009) fand, dass in höheren sozialen Lagen signifikant häufiger Eltern vertreten waren, die bildungs- und/oder naturwissenschaftsorientiert sind. Möglicherweise würden Untersuchungen mit einem repräsentativen Sample differente Ergebnisse liefern als die vorliegende, da den befragten Eltern durch den hohen HISEI eine vergleichsweise hohe Bildungsaspiration und, den Berichten von Ehmke (2009) folgend, auch eine höhere naturwissenschaftliche Orientierung unterstellt werden kann.

Ausblick und pädagogische Implikationen.

Neben repräsentativeren Samples sollten in Folgestudien weitere Quellen des Selbstkonzepts im sozialen Umfeld, wie z. B. Peers, Geschwister und Lehrpersonen betrachtet werden, da die Studie von Spinath und Spinath (2005) zeigt, dass Lehrpersonen im Laufe der Grundschulzeit an Bedeutung für die Selbstkonzeptentwicklung gewinnen. Wie Relich (1996) andeutet, unterscheiden sich Mathematiklehrpersonen in ihrer Unterrichtsgestaltung und in ihren Einstellungen zu Mathematik in Abhängigkeit von ihrem eigenen mathematischen Selbstkonzept. Die befragten Grundschullehrpersonen mit vergleichsweise niedrigem mathematischen Selbstkonzept äußerten zudem Geschlechtsstereotype. Diese, so vermutet Relich (1996, S. 192), könnten in einer geringen Selbstwirksamkeit begründet liegen und sich auch im unterrichtlichen Handeln widerspiegeln und so zuungunsten von Mädchen wirken. Für weiterführende Studien könnte es deshalb zielführend sein, neben Einstellungen und Fachwissen auch Selbstkonzepte von Lehrpersonen zu erfassen.

Ferner müssten Maße für die tatsächliche häusliche Interaktion zwischen Kindern und Eltern erhoben werden, damit die Bedeutsamkeit der – hier spekulierten – Schnittstelle genauer beleuchtet werden kann. Dabei wäre interessant, analoge Modelle zu dem hier präsentierten mit Variablen aus der Domäne Sprache aufzubauen. Studien haben wiederholt gezeigt, dass Jungen verglichen mit Mädchen hier weniger zugetraut wird (z. B. Frischknecht et al. 2014) und sie schlechtere Leseleistungen aufweisen (s. zsf. z. B. Naumann et al. 2010). Diese Befunde dürften durch ähnliche Zusammenhangsstrukturen erklärbar sein, wie sie in der vorliegenden Studie gefunden werden. Daher wäre gleichermaßen wichtig zu untersuchen, inwieweit differentielle Effekte von elterlichen Merkmalen in dieser Domäne auftreten, um Leistungsunterschiede genauer zu analysieren.

Die oben bereits angesprochene Ergänzungsstudie könnte auch in Bezug auf elterliche Geschlechtsstereotype weiterführende Ergebnisse liefern und zudem eine Basis für Elterntrainings darstellen (von denen Mädchen und Jungen profitieren können). Pädagogisches Personal könnte zunächst selbst für das Thema sensibilisiert und dann dafür geschult werden, kritische Äußerungen von Eltern und anderen Erziehungsberechtigten, welche Geschlechtsstereotype indizieren, zu hören, zu hinterfragen und offenzulegen, Damit werden etwaige geschlechtsstereotype Überzeugungen – auf das Kind, aber auch auf sich selbst bezogen – bewusster (Dresel et al. 2007). Werden Misserfolge (implizit oder explizit) auf das Geschlecht zurückgeführt, hemmt das die Motivation, sich künftig für Erfolge anzustrengen (s. für entsprechende Analysen in der Domäne Sprache z. B. Retelsdorf et al. 2015). In diesem Sinne müssten also auch Eltern Reattributionstrainings erhalten, wie sie Ziegler und Schober (2001) ursprünglich für Lehrpersonen entwickelt haben. Ziegler et al. (2010) betonen, dass die Nachhaltigkeit von Interventionsmaßnahmen in diesem Bereich auch daran scheitern können, dass Mädchen nach entsprechenden Trainings in ihr gewohntes Umfeld zurückkehren, das nicht trainiert worden ist. Hier könnten geschulte Pädagogen zu einem gewissen Grad Einfluss nehmen.