1 Problemhintergrund

Ausgangspunkt für den vorliegenden Beitrag ist die anhaltende Unterrepräsentation von jungen Frauen in schulischen Leistungskursen und Studienrichtungen sowie in Berufsfeldern im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) (vgl. OECD 2013; Solga und Pfahl 2009). Zwar haben sich Bildungsbeteiligung und Bildungsabschlüsse zwischen den Geschlechtern angeglichen, der Angleichung im Quantitativen steht aber eine Stagnation im Qualitativen gegenüber. Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen werden vorwiegend von Frauen gewählt, während in MINT-Berufen nach wie vor eine Dominanz der Männer festzustellen ist. Zugänge von Frauen in Ausbildungsberufe des MINT-Bereichs bilden daher weiterhin die Ausnahme, v. a. in Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Österreich, Deutschland und der Schweiz (vgl. Gaupp et al. 2008; OECD 2013, S. 91–93).

Erklärungen für die beharrende Geschlechterdifferenz bei der Berufswahl und beim Zugang in die Arbeitswelt reichen von evolutionsbiologischen über sozialisationstheoretische bis zu ökonomischen Ansätzen (vgl. Ceci et al. 2009; Halpern 2006; Makarova und Herzog 2013). In der breit angelegten Forschungssynthese von Ceci et al. (2009) wird dem Entscheidungsverhalten der Frauen großes Gewicht beigemessen, wobei die Antizipation der Unvereinbarkeit zwischen persönlichen Interessen und Werten einerseits und einer männlich dominierten Berufswelt andererseits von besonderer Bedeutung scheint. Nach wie vor bestehen strukturelle Barrieren für Frauen, die einen Beruf wählen, dessen Ethos männlich geprägt ist, was im MINT-Bereich besonders ausgeprägt der Fall ist (vgl. Schwarze und Wentzel 2007; Solga und Pfahl 2009). Zieht man die Metapher der leaky pipeline bei, dann scheinen es in erster Linie Stellen nach der Schule (Berufsausbildung, Berufseintritt und Berufsfeld) zu sein, die zum Dropout der Frauen führen. Das kann aber nicht heißen, dass die Lecks, die am Anfang und in der Mitte der Pipeline liegen, d. h. in der Primär und Sekundärsozialisation, bedeutungslos wären oder nicht ebenfalls der ‚Reparatur‘ bedürften. Eingriffe pädagogischer Art dürften zudem einfacher realisierbar sein als strukturelle Veränderungen, die der politischen Konsensfindung unterliegen.

Der Studie, über die wir im Folgenden berichten, liegt daher die Annahme zugrunde, dass die Gestaltung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts einen möglichen Ansatzpunkt bietet, um den geschlechtstypischen Präferenzen junger Frauen bei der Berufswahl konstruktiv entgegenzuwirken (vgl. Eccles 1989; Herzog 1994; Willems 2011). Damit unterstellen wir nicht, dass pädagogische Maßnahmen nicht auch bei Jungen angezeigt wären. Denn offensichtlich ist der Fachkräftemangel, wie er sich in vielen europäischen Ländern in natur- und ingenieurwissenschaftlichen Berufen abzeichnet (vgl. BITKOM 2011, S. 15–18), auf ein generell schwindendes Interesse junger Menschen gegenüber Naturwissenschaften und Technik zurückzuführen (vgl. Taskinen 2010, S. 33–42).

Unsere Studie konzentriert sich auf junge Frauen, die eine duale Ausbildung in einem überwiegend von Männern gewählten Beruf im MINT-Bereich absolvieren und eine BerufsmaturitätsschuleFootnote 1 besuchen. Ziel unseres Beitrags ist es, im Rahmen eines multimethodischen Forschungsdesigns aufzudecken, wie weit der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht, den die jungen Frauen auf der Sekundarstufe I erlebt haben, ihre Lernmotivation gefördert und ihre Entscheidung für einen naturwissenschaftlich-technischen Beruf beeinflusst hat.

2 Stand der Forschung und Forschungsfragen

Die Tatsache, dass sich relativ wenige Frauen für eine naturwissenschaftlich-technische Berufslaufbahn entscheiden, hat verschiedene Ursachen (vgl. Ceci et al. 2009; Solga und Pfahl 2009). Neben antizipierten Problemen bei der Vereinbarkeit eines Berufs im MINT-Bereich mit persönlichen Lebensentwürfen sind Stereotype und Vorurteile, die nicht nur außerschulisch, sondern auch innerschulisch (z. B. durch ungleiche Darstellung der Geschlechter in Lehrmitteln) verursacht sein können (vgl. Good et al. 2010), für das geringe Interesse von jungen Frauen an Naturwissenschaften verantwortlich (vgl. Taskinen 2010, S. 37–39). Naturwissenschaftliche und technische Berufe werden von jungen Frauen auch nicht gemieden, weil sie diese für zu schwierig halten, sondern weil ihre Erfahrungen und Interessen anders liegen als diejenigen von jungen Männern (vgl. Ceci et al. 2009; Halpern 2006, S. 644; Watt 2006). Das fachliche Interesse der jungen Frauen richtet sich primär auf kontextuelle und instrumentelle Aspekte der betreffenden Disziplinen, wie deren Nutzen in Anwendungsbereichen in Medizin, Umwelt oder Energie, sowie auf personale Dimensionen, wie Biographien und wissenschaftliche Leistungen von Forscherinnen und Forschern (vgl. Holstermann und Bögeholz 2007; Miller et al. 2006).

Wiederholt wurde festgestellt, dass der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht den Interessen der Mädchen zu wenig gerecht wird (vgl. Hoffmann 2002; OECD 2009). Auch wenn sich ihre Leistungen von denjenigen der Schüler nicht unterscheiden, sind Schülerinnen Fächern wie Mathematik, Physik und Chemie gegenüber eher negativ eingestellt (vgl. Fredricks und Eccles 2002; Herbert und Stipek 2005). Selbst Schülerinnen im oberen Leistungsbereich zeigen ein geringeres Interesse an diesen Fächern als vergleichbar leistungsstarke Schüler (vgl. Prenzel et al. 2007). Es liegt daher nahe anzunehmen, dass nicht kognitive, sondern motivationale Faktoren für die beschriebenen Unterschiede bei der Berufswahl im MINT-Bereich verantwortlich sind (vgl. Herzog 1996; OECD 2013, S. 94; Rustemeyer 2009).

Diese Annahme ergibt einen konkreten Ansatzpunkt, wie der stereotypen Berufswahl einer Mehrzahl von jungen Frauen entgegengewirkt werden kann. Dieser liegt auf einen einfachen Nenner gebracht darin, die Schülerinnen durch adaptive Unterrichtsgestaltung motivational zu stützen. Insofern Interessen nach Auskunft der pädagogisch-psychologischen Interessentheorie von Schiefele (2009) und Krapp (1998, 2002) aus Person-Gegenstands-Beziehungen hervorgehen, dürften es Eigenheiten der außerschulischen Erfahrungswelt sein, die den Schülerinnen den Zugang zu Themen und Inhalten der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer erschweren. Wie eine Reihe von Studien zeigt, machen Mädchen im Vergleich zu Jungen aufgrund ihrer bevorzugten Tätigkeiten bei Spiel, Sport und Freizeit sowie bei ihrer Mithilfe im elterlichen Haushalt Erfahrungen, die wenig Bezug zu Phänomenen und Fragestellungen haben, die im naturwissenschaftlichen Unterricht von Bedeutung sind (vgl. Blakemore et al. 2009, S. 274–275, 352–355; Herzog 1996). Um den motivationalen Voraussetzungen der Geschlechter gerecht zu werden, empfiehlt sich daher, den differenten Erfahrungshintergrund der Schülerinnen und Schüler bei der Unterrichtsgestaltung stärker zu beachten.

Im Einzelnen lassen sich folgende Kriterien nennen, denen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht eine motivationsförderliche Wirkung zugesprochen werden kann:

  • 1. Orientierung über Berufsmöglichkeiten, welche die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer bieten. Dadurch lässt sich gezielt gegen die Stereotypisierung der Fächer als Männerdomäne angehen (vgl. Hannover 2010, S. 105).

  • 2. Alltags- und Phänomenbezug des Unterrichts. Um dem Erfahrungshintergrund der Geschlechter gerecht zu werden, sind Beispiele und Anschauungsmaterialien nicht aus spezialisierten Tätigkeitsfeldern zu wählen, sondern Kontexten zu entnehmen, die Schülern und Schülerinnen vertraut sind (vgl. Meece et al. 2006; Ziegler et al. 2010).

  • 3. Verstehensorientierung des Unterrichts. Um den Schülerinnen gerecht zu werden, ist die Lehrperson gehalten, den Stoff (besonders) gut zu erklären, den Schülerinnen ausreichend Zeit zu geben, sich den Stoff anzueignen, und die Präsentationsformen adaptiv zu variieren, wenn Verständnisprobleme auftreten (vgl. Herzog 1996, 1998; Hoffmann et al. 1997; Murphy und Whitelegg 2006, S. 40 f.).

  • 4. Individuelle Förderung. Aufgrund der Unterschiede im außerschulischen Erfahrungshintergrund stellt die individuelle Förderung durch die Lehrperson eine wichtige Maßnahme zur Unterstützung der Lernmotivation dar. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass Schülerinnen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht an einer guten Beziehung zur Lehrperson viel gelegen ist (vgl. Eccles 1989, S. 51; Lee 2002).

Die vier Kriterien lassen ein Maßnahmenpaket schnüren, das es erlaubt, dem erfahrungsbedingt geringeren Interesse von Mädchen an mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern entgegenzuwirken. Dabei muss weder davon ausgegangen werden, dass ein Unterricht, der die außerschulische Erfahrungswelt der Schülerinnen stärker einbezieht, für die Schüler nachteilig ist (vgl. Herzog 1998; Hoffmann et al. 1997, S. 291), noch kann angenommen werden, dass sich das geringere Interesse der Mädchen an naturwissenschaftlichen Themen dadurch gänzlich beheben lässt. Jedoch bietet der Ansatz bei der Unterrichtsgestaltung den großen Vorteil, dass eine Verbesserung der Situation nicht von einem askriptiven Merkmal wie dem Geschlecht der Lehrperson erwartet werden muss.

Für unsere Studie ergeben sich damit die folgenden Forschungsfragen:

  1. 1.

    Lassen sich die Kriterien eines für Schülerinnen motivationsförderlichen mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts bei jungen Frauen, die sich für eine duale Ausbildung in einem MINT-Beruf entschieden haben, empirisch bestätigen?

  2. 2.

    Welche Bedeutung schreiben junge Frauen, die sich für einen MINT-Beruf entschieden haben, dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht auf der Sekundarstufe I für ihre Berufswahl zu?

3 Methode

Zur Beantwortung der Forschungsfragen nutzen wir Daten, die wir im Rahmen des Forschungsprojekts „Geschlechtsuntypische Berufs- und Studienwahlen bei jungen Frauen“ erhoben haben.Footnote 2 Dem Projekt lag ein kombiniertes Forschungsdesign zugrunde, das im Sinne der Triangulation quantitative und qualitative Erhebungsverfahren kombinierte (vgl. Flick 2011). Für die Erhebung der quantitativen Daten wurden in einer ersten Forschungsphase Schülerinnen von Berufsmaturitätsschulen mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens retrospektiv zu ihrem Unterricht auf der Sekundarstufe I befragt. Die qualitativen Daten wurden im Rahmen einer zweiten Forschungsphase bei einer selektiven Auswahl von Probandinnen der ersten Projektphase erhoben.

3.1 Stichprobe und Datengrundlage der quantitativen Teilstudie

Für die Stichprobe der quantitativen Erhebung, die im Frühjahr 2011 durchgeführt wurde, wurden Schülerinnen aus 62 Berufsmaturitätsschulen in 11 Kantonen der deutschen Schweiz, die sich zu dieser Zeit in einer drei- oder vierjährigen Ausbildung im dualen System befanden, rekrutiert. Insgesamt konnten 361 Schülerinnen aus 103 Klassen mittels eines standardisierten Fragebogens befragt werden. Die Schülerinnen waren zum Zeitpunkt der Befragung durchschnittlich 18.7 Jahre alt (SD = 1,8). 185 Schülerinnen absolvierten eine Ausbildung in einem MINT-Beruf und verteilten sich etwa gleichmäßig auf die vier Ausbildungsjahre (1. Jahr: 28,4 %, 2. Jahr: 21,9 %, 3. Jahr: 26,7 %, 4. Jahr: 23,0 %). Die von den Schülerinnen genannten Berufe wurden gemäß der ISCO-88(COM) Klassifikation der Europäischen Union codiert. Entsprechend der Eidgenössischen Volkszählung 2000 weisen alle diese Berufe einen Anteil von weniger als 30 % Frauen auf (BFS 2010). Die in der Teilstichprobe der 185 Berufsmaturitätsschülerinnen vertretenen Berufe werden in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 MINT-Berufe der Berufsmaturitätsschülerinnen

Die im Fokus der Studie stehenden Konstrukte orientieren sich an den im Abschn. 2 erwähnten Kriterien eines für Schülerinnen motivationsförderlichen mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die verwendeten Skalen und den Summenscore. Die quantitativen Analysen beinhalten deskriptive Berechnungen sowie Korrelationen zur Darstellung der Beziehungen zwischen den interessierenden Konstrukten.

Tab. 2 Operationalisierungen im Rahmen der quantitativen Studie

3.2 Stichprobe und Datengrundlage der qualitativen Teilstudie

Im Anschluss an die erste Forschungsphase wurden im Frühjahr 2012 mit 71 Berufsmaturitätsschülerinnen mit MINT-Berufswahl, die an der ersten Forschungsphase teilgenommen haben, leitfadengestützte Interviews durchgeführt. 29,2 % der Probandinnen befanden sich im 1. Ausbildungsjahr, 26,4 % im zweiten, 30,6 % im dritten und 13,8 % im vierten Ausbildungsjahr. Die Auswertung der Daten erfolgte in Anlehnung an die zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2008, S. 58) mittels der Software MAXQDA. Die motivationsförderliche Wirkung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts auf der Sekundarstufe I wurde mit der folgenden Fragen erhoben: „Was hat Sie im Mathematik- bzw. Naturwissenschaftsunterricht bei dieser Lehrperson besonders angesprochen?“ Der Einfluss des Unterrichts in Mathematik bzw. Naturwissenschaften auf die Berufswahlentscheidung wurde mittels folgender Frage erfasst: „Hat es in diesem Unterricht etwas gegeben, was Sie in Ihrer Entscheidungsfindung für den gewählten Beruf beeinflusst hat?“

Die Aufbereitung der Daten erfolgte anhand eines Kategoriensystems, das deduktiv ermittelt und nach der ersten Materialdurchsicht induktiv angereichert wurde. Alle Haupt- und Unterkategorien wurden anschließend in einem Kodierleitfaden mit Ankerbeispielen festgehalten, der den geschulten Kodiererinnen als Grundlage zur Materialbeurteilung diente. Die Interrater-Reliabilität wurde anhand von 14 der 71 Interviews überprüft; es konnte eine durchschnittliche Übereinstimmung in der Codevergabe von 75 % festgestellt werden. Das Kategoriensystem ist in Tab. 3 dargestellt.

Tab. 3 Kategoriensystem zur Unterrichtswahrnehmung der Schülerinnen

4 Ergebnisse

4.1 Quantitative Befunde

Wie der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht auf der Sekundarstufe I von den Probandinnen unserer Studie wahrgenommen wurde, lässt sich den Variablenmittelwerten der verwendeten Konstrukte entnehmen (vgl. Tab. 2). Es zeigt sich, dass junge Frauen, die einen MINT-Beruf mit geringem Frauenanteil gewählt haben, über ihren Unterricht in Mathematik und Naturwissenschaften auf der Sekundarstufe I insgesamt ein positives Urteil fällen. Besonders hoch schätzen die Probandinnen die Vermittlungskompetenz ihrer Lehrperson (M = 2,92) und die individuelle Förderung, die sie durch diese erfahren haben (M = 2,81), ein. Der Alltags- und Phänomenbezug des Unterrichts (M = 2,33) wird als leicht über dem Durchschnitt liegend beurteilt. Als eher gering erachten die Probandinnen die Orientierung über MINT-Berufe (M = 1,43).

Tabelle 4 stellt die Interkorrelationen der vier motivationsförderlichen Aspekte des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts dar, erweitert um das Geschlecht der Lehrperson, von der die Berufsmaturitätsschülerinnen auf der Sekundarstufe I unterrichtet wurden.

Tab. 4 Motivationale Förderung und Geschlecht der Lehrperson: Interkorrelationen

Alle vier motivationsförderlichen Aspekte der Unterrichtsgestaltung, die wir in unsere Untersuchung einbezogen haben, korrelieren signifikant (p < 0,01) miteinander. Lehrpersonen mit hoher Vermittlungskompetenz und hoher individueller Förderung, die ihren Unterricht alltags- und phänomenbezogen gestalten, orientieren ihre Schülerinnen und Schüler auch häufiger über berufliche Möglichkeiten im MINT-Bereich. Dabei erweist sich das Geschlecht der Lehrperson als unwichtige Determinante, steht es doch in keiner Beziehung zur retrospektiven Wahrnehmung der Kriterien einer motivationsförderlichen Gestaltung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts auf der Sekundarstufe I.

4.2 Qualitative Befunde

Die referierten Ergebnisse der Fragebogenerhebung werden durch die Analyse der qualitativen Daten im Wesentlichen bestätigt. So wird die individuelle Förderung durch die Lehrperson als sehr wichtig erachtet. Wie erwartet, wird eine gute Beziehung zur Lehrperson, die den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht auf der Sekundarstufe I erteilte, von vielen Berufsmaturitätsschülerinnen besonders positiv hervorgehoben. Begründet wird dies zum einen durch die persönliche Sympathie und zum anderen durch die Vertrauenswürdigkeit der Lehrperson. Wie eine der interviewten Frauen ihren Mathematiklehrer beschreibt: „Sehr sympathisch, man konnte gut mit ihm Probleme besprechen“ (Hochbauzeichnerin, ID4383). Rückblickend erscheinen auch die Unterstützung sowie die Ermutigung durch die Lehrperson als wichtige Aspekte eines für die Schülerinnen motivationsförderlichen Unterrichts. So führte eine der interviewten Berufsmaturitätsschülerin aus, dass es die Mathematiklehrerin war, die sie ermutigt habe, Informatikerin zu werden, denn das könne sie „schon noch packen“ (Zahntechnikerin, ID3248).

Bestätigt wird auch die Bedeutsamkeit der Vermittlungskompetenz der Lehrperson. Eine Probandin meinte: „Wir haben ihn immer einen super Lehrer gefunden, weil er so über alles etwas gewusst hat und irgendwie noch einen Zusammenhang hatte und irgendetwas erzählen konnte, das zum Thema passte“ (Zeichnerin, ID4045). Oder, in den Worten einer anderen Berufsmaturitätsschülerin: „Er hat einem Mathe so gezeigt, dass man daran Freude gehabt hat. Und darum habe ich nachher gedacht, irgendwie möchte ich etwas machen, wo ich das noch brauche“ (Polymechanikerin, ID3155). Dabei war die hohe Erklärungskompetenz der Lehrperson für viele der jungen Frauen der ausschlaggebende Faktor: „Wenn man etwas nicht verstanden hat, hat er versucht, es zu erklären – nochmals oder auf eine andere Art“ (Hochbauzeichnerin, ID3726). Oder: „Wenn jemand etwas nicht verstanden hat, dass sie [die Lehrerin] das mit anderen Worten noch einmal erklären konnte“ (Zahntechnikerin, ID3248). Oder dass die Lehrperson mit „verschiedenen Varianten, […] auch bildlich oder mit Schreiben oder Beispielen“ (Metallbaukonstrukteurin, ID3685), arbeitete.

Sprachen die Berufsmaturitätsschülerinnen von den methodisch-didaktischen Aspekten des Unterrichts, berichteten viele, dass der Unterricht dank eines starken Alltags- und Phänomenbezugs anschaulich gestaltet war. So wurde beispielsweise ein Flaschenzug nicht nur theoretisch erklärt, sondern real nachgebaut: „Wenn jetzt irgendwie der mit dem Flaschenzug so und so viele Kilo hochziehen will, wie viel muss er nachher ziehen?“ (Hochbauzeichnerin, ID4370). „Ja wir waren auch viel draußen und er hat uns Sachen erklärt. Ja, das, finde ich, war schon recht praxisnah“ (Hochbauzeichnerin, ID3635).

Etliche der interviewten Frauen attestierten der Orientierung über MINT-Berufe ausschlaggebende Bedeutung für ihre berufliche Entscheidung. So berichtete eine Berufsmaturitätsschülerin: „Da konnte man auch ein Referat dazu machen und dann ist er noch auf einem eingegangen. Er hat sich auch mit MINT-Berufen auseinandergesetzt. Er hat uns Inputs gegeben, und das hat uns dann auch schon ziemlich geholfen, dass man schon etwas weiß, was braucht es denn dafür“ (Informatikerin, ID4443). Oder, wie eine weitere Schülerin erzählte: „Er hat auch einmal ehemalige Schüler, welche in der Lehre gewesen sind, kommen lassen und sie über ihre Berufe erzählen lassen. Dadurch haben wir einen besseren Einblick bekommen. Dann hat er uns auch immer sehr animiert zum Schnupperlehren machen“ (Hochbauzeichnerin, ID4031).

4.3 Zusammenführung der quantitativen und qualitativen Befunde

Die Triangulation der quantitativen und qualitativen Ergebnisse zeigt eine hohe Übereinstimmung in Bezug auf die Gestaltungskriterien eines mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts, der sich für Schülerinnen als motivationsförderlich erweist. Die Auswertung der quantitativen Daten zeigt, dass Berufsmaturitätsschülerinnen, die sich für einen Beruf im MINT-Bereich entschieden haben, den Unterricht in Mathematik und Naturwissenschaften auf der Sekundarstufe I retrospektiv weitgehend im Sinne der postulierten Kriterien eines für Schülerinnen motivierenden Unterrichts wahrgenommen haben. Insbesondere stehen die untersuchten Aspekte der Vermittlungskompetenz der Lehrperson, der individuellen Förderung durch die Lehrperson, des Alltags- und Phänomenbezugs des Unterrichts und der Orientierung über MINT-Berufe in positivem Zusammenhang.

Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen der Analyse der qualitativen Daten. So haben die jungen Frauen mit einer MINT-Berufswahl den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht retrospektiv dann als förderlich beurteilt, wenn die Lehrperson über eine hohe Vermittlungskompetenz verfügte, alltags- und phänomenbezogen unterrichtete, über MINT-Berufe orientierte und wenn sie sich individuell gefördert fühlten. In mehreren Fällen haben die interviewten Frauen zudem bestätigt, dass ihre Berufswahlentscheidung durch den auf der Sekundarstufe I erlebten mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht positiv beeinflusst wurde.

5 Diskussion

Ziel der vorliegenden Studie war es, anhand einer selektiven Stichprobe von jungen Frauen, die einen vorwiegend von Männern besetzten Beruf gewählt haben, nach der Gestaltung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts, den sie auf der Sekundarstufe I erlebt haben, zu fragen. Die Daten für die Studie wurden mittels eines standardisierten Fragebogens und qualitativer Einzelinterviews erhoben. Während die Fragebogendaten ermöglichten, die Mehrdimensionalität des Konstrukts eines für Schülerinnen förderlichen mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts zu überprüfen, erlaubten die Interviewdaten die Validierung der Dimensionen des Konstrukts sowie eine tentative Überprüfung des Zusammenhangs zwischen erlebtem Unterricht in Mathematik und Naturwissenschaften und der Entscheidung für einen MINT- Beruf.

Die quantitativen Ergebnisse zeigen, dass die Dimensionen eines motivationsförderlichen Unterrichts signifikant miteinander korrelieren, wobei der Alltags- und Phänomenbezug sowie die Orientierung über MINT-Berufe etwas tiefere Korrelationen mit den übrigen Dimensionen aufweisen. Dennoch steht die Berufsorientierung – als wesentlicher Aspekt der Berufswahlvorbereitung auf der Sekundarstufe I – in positiver Beziehung zur Unterrichtsgestaltung. Dieser Befund ist deshalb bedeutsam, weil gut bestätigt ist, dass das Interesse an Mathematik und Naturwissenschaften allein für eine Berufswahl im MINT-Bereich nicht hinreichend ist (vgl. Archer et al. 2012, S. 4; Herzog et al. 2006). Es empfiehlt sich daher, Kinder und Jugendliche möglichst früh, spätestens aber zur Zeit der Berufswahl über berufliche Möglichkeiten im MINT-Bereich zu informieren.

Ein pädagogisch bedeutsames Ergebnis unserer Studie liegt in der Tatsache, dass das Geschlecht der Lehrperson in keiner Beziehung zur Gestaltung des Unterrichts steht. Nach dem Urteil unserer Probandinnen können Lehrerinnen mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer genauso motivationsförderlich unterrichten wie Lehrer. Damit widersprechen unsere Ergebnisse einem oft zu hörenden alltagspädagogischen Argument, wonach Mädchen und junge Frauen deshalb so wenig Interesse an naturwissenschaftlich-technischen Berufen hätten, weil ihnen weibliche Vorbilder fehlen würden. So plausibel die These scheinen mag, so resignativ ist sie. Denn was kann eine Lehrperson für die Förderung der Schülerinnen in Mathematik und Naturwissenschaften tun, wenn sie das falsche Geschlecht hat? Unsere Ergebnisse zeigen übereinstimmend mit anderen Studien (vgl. Lahelma 2000; Marsh et al. 2008; Schöps et al. 2006), dass nicht ein askriptives Merkmal wie das Geschlecht für einen das Lernen der Schülerinnen förderlichen mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht verantwortlich ist, sondern die adaptive professionelle Kompetenz der Lehrperson. Diese ist nach unserer Einschätzung nicht am Geschlecht als sozialer Kategorie orientiert, sondern an den situativen Umständen, die es Schülerinnen oder Schülern erschweren können, dem Unterricht angemessen zu folgen. Pädagogische Interventionen sollten weder mädchen noch jungenspezifisch, sondern geschlechtersensibel sein, womit eine Sensibilität gemeint ist, die die Umstände in Rechnung stellt, unter denen das Geschlecht verhaltensbestimmend wird. Insofern kommt das Konzept der reflexiven Koedukation unserem Verständnis eines geschlechtersensiblen mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts nahe (vgl. Faulstich-Wieland 2006).

Unsere Befunde unterliegen gewissen Einschränkungen. So wurde die Wahrnehmung des Unterrichts auf der Sekundarstufe I retrospektiv erfasst, was es mit sich bringt, dass die Aussagen der Schülerinnen auf Erinnerungen beruhen, die in Einzelfällen bis zu nahezu vier Jahren zurückreichen. Des Weiteren wurde die Unterrichtswahrnehmung ausschließlich in der Perspektive der Schülerinnen erfasst. In künftigen Studien wäre es wünschenswert, wenn auch die Lehrerperspektive einbezogen und andere Methoden, wie insbes. Unterrichtsbeobachtungen oder Videoanalysen, eingesetzt werden könnten. Nicht überprüfen konnten wir aufgrund der Selektivität der Stichprobe, ob ein für Schülerinnen förderlicher Unterricht den Schülern tatsächlich (wie wir aufgrund des Forschungsstandes vermuten) keine Nachteile bringt. Anzumerken ist schließlich, dass die Unterrichtsgestaltung lediglich einen Aspekt der Motivationsförderung umfasst, dem andere Aspekte zur Seite stehen, wie zum Beispiel die Geschlechterkonnotationen der Schulfächer (vgl. Herzog 1998) oder außerschulische Aspekte wie das familiäre Umfeld oder die Peerbeziehungen. Ein Gewinn der gewählten Triangulation von quantitativen und qualitativen Methoden liegt jedoch darin, dass ein mögliches Defizit hinsichtlich der Repräsentativität der Daten durch Aufdeckung von Kausalmechanismen kompensiert werden kann. Zudem haben die Probandinnen unserer Stichprobe ihre Berufswahl bereits abgeschlossen, womit nicht hypothetische Zusammenhänge postuliert werden mussten, sondern ein realer Prozess, wie er von den jungen Frauen wahrgenommen wurde, rekonstruiert werden konnte.