Hintergrund

Der Fachkräftemangel in der deutschen Krankenpflege hält an, Tendenz steigend. Folgen dieses Personalmangels sind trotz Pflegestellenförderprogramme bereits jetzt schon abzusehen und reichen von Arbeitsverdichtungen für das verbleibende Personal über steigende Unzufriedenheit und höheren Fluktuationsraten bis hin zu sinkender Qualität der Patientenversorgung. Dabei stellt der Fachkräftemangel nicht nur die deutsche Krankenpflegelandschaft vor ein Problem. Die meisten Länder in der EU sehen sich zusehends einer wachsenden Pflegekrise bei steigendem Patientenaufkommen gegenüber. Eine der größten internationalen Pflegestudien der letzten Jahre ist die RN4Cast-Studie (Nurse Forecasting: Human Resources Planning in Nursing), die sich vergleichend in 12 Ländern die pflegerische Arbeitsumgebung, die Arbeitsbelastung, die Arbeitszufriedenheit, die Versorgungsqualität und den Personaleinsatz (Personalbesetzung und Ausbildung/Weiterbildung) angeschaut hat. Sie zeigte, dass durchschnittlich mehr als 25 % der europäischen Pflegekräfte aus Akutkrankenhäusern mit ihrem Job unzufrieden sind, wobei sich die Ergebnisse zwischen den Ländern zum Teil gravierend voneinander unterscheiden: So zeigen sich z. B. in Deutschland 37 % Pflegekräfte unzufrieden mit ihrem Job. Diese Unzufriedenheit resultierte bei 20–50 % der europäischen Pflegekräfte (in Deutschland bei 36 %) sogar in dem Wunsch, den Arbeitsplatz innerhalb des nächsten Jahres verlassen zu wollen, sowie bei 9 % darin (in Deutschland 16 %), den gesamten Pflegeberuf aufzugeben und sich einen Job außerhalb der Pflege zu suchen [2, 18]. Als signifikante Gründe für diese hohe Wechselbereitschaft deutscher Pflegekräfte hat die RN4Cast-Studie folgende Faktoren (im Folgenden als „Pushfaktoren“ bezeichnet) identifiziert:

  1. 1.

    eine unzureichende Personalbesetzung,

  2. 2.

    Burn-out,

  3. 3.

    eine schlechte Arbeitsumgebung,

  4. 4.

    fehlendes Lob & Anerkennung,

  5. 5.

    schlechte Zusammenarbeit zwischen Ärzte und Pflege,

  6. 6.

    fehlende Entscheidungsbefugnisse und

  7. 7.

    unattraktive Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen.

Die Herleitung dieser Pushfaktoren sind in [39] beschrieben.

Die Pushfaktoren lassen sich ebenfalls in einer Reihe von internationalen Pflegestudien bestätigen, die sich mit der sinkenden Attraktivität des Pflegeberufs, hohen Fluktuationsraten und Strategien für erfolgreiche Retention auseinandergesetzt haben [4, 11, 33]. Dabei taucht besonders die fehlende Arbeitszufriedenheit als starker, konsistenter Einflussfaktor für erhöhte Wechselbereitschaft und Fluktuation auf neben psychosozialen Dimensionen der Arbeitsumgebung (besonders bei jüngeren Pflegekräften) sowie der fehlenden Identifikation mit dem Arbeitgeber und dem beruflichen Umfeld [25, 26, 37, 38]. Da die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz jedoch nicht nur von externen Faktoren abhängt, wie z. B. der Arbeitsumgebung oder einem schlechten Arbeitsklima zwischen Kollegen oder Berufsgruppen, sondern vielfach auch von individuellen Gründen, z. B. karrierespezifischen, ethischen und generations-, alters- und lebensstilspezifischen, ist Fluktuation mit allgemeingültigen Strategien oft nur bis zu einem gewissen Grad vermeidbar [11, 13, 21]. Aus diesem Grund raten immer mehr Studien zu einem Bündel an Maßnahmen, das flexibel auf die individuellen Probleme in den jeweiligen Krankenhäusern eingehen kann und damit Rahmenbedingungen in der Pflege schafft, die den Wunsch zu einem Wechsel gar nicht erst aufkommen lassen [23, 38].

Die Ursachenforschung betrachtet demnach das „Warum“ sowohl des Pflegemangels als auch unzufriedener Pflegekräfte und leitet daraus Handlungsempfehlungen für die Praxis ab. Was allerdings zu großen Teilen noch fehlt ist das „Wie“ im Sinne von in der Praxis erfolgreich erprobten Lösungsstrategien, die nachhaltig das pflegerische Arbeitsumfeld in den Krankenhäusern verbessern können und somit die Zufriedenheit der Pflegekräfte erhöhen.

Zielstellung

Eine Möglichkeit dieses „Wie“ zu adressieren besteht darin, Erfolgsfaktoren aus attraktiven Krankenhäusern mit niedriger Fluktuation und zufriedenen Pflegekräften zu identifizieren und zu analysieren. Dafür werden die in der RN4Cast-Studie anhand quantitativer Analysemethoden ermittelten Pushfaktoren im Rahmen des Vertiefungsmodells [24] mithilfe von leitfadengestützten Experteninterviews hinterfragt und mit dem Ziel analysiert, Einblick in die dem Erfolg bzw. Misserfolg zugrunde liegenden Personalstrategien zu erhalten, um daraus praxisrelevante, übertragbare Erfolgsfaktoren abzuleiten.

Daten & Methode

Als Forschungsmethode wurden leitfadengestützte Experteninterviews gewählt. Damit sollten die quantitativ ermittelten Pushfaktoren, eingebettet in die jeweiligen krankenhausbedingten Strukturen, die organisatorischen Kontextbedingungen sowie die individuellen Erfahrungen der Experten, möglichst umfassend rekonstruiert werden [12]. Geeignete Interviewpartner stellten Vertreter des Pflegemanagements als Repräsentanten der Pflegeführungsebene dar.

Stichprobe

Die RN4Cast-Studie hat im Zeitraum von 2009 bis 2012 in einer groß angelegten Querschnittstudie in 12 europäischen Ländern Befragungsdaten von insgesamt 33.659 Pflegekräften aus 488 Akutkrankenhäusern untersucht [34]. Die für vorliegende Analyse zugrunde liegende Stichprobe umfasst 49 deutsche Akutkrankenhäuser mit 217 inneren und chirurgischen Stationen sowie Aussagen von 1512 Pflegekräften. Für die Interviews wurden die Krankenhäuser in attraktive und unattraktive Krankenhäuser unterteilt, basierend auf den Ja-Nein-Antworten des Fragebogenelements „Wenn Sie die Möglichkeit hätten, würden Sie innerhalb des nächsten Jahres Ihr jetziges Krankenhaus aufgrund von Unzufriedenheit am Arbeitsplatz verlassen?“ Jeweils 5 Krankenhäuser beider Kategorien wurden 2013 zur Teilnahme an den Experteninterviews eingeladen, von denen final 7 Krankenhäuser zusagten (Abb. 1). Aus Krankenhaus H4 würden laut RN4Cast 25 % der Pflegekräfte den Arbeitsplatz aufgrund von Unzufriedenheit verlassen. Da ein Anteil von einem Viertel nicht unerheblich ist, gleichzeitig aber auch nicht vergleichbar mit den hohen Werten in den unattraktiven Krankenhäusern (s. Abb. 1), wird H4 ein mittlerer Attraktivitätsgrad zugeordnet. Die Krankenhäuser wurden aufgefordert eine geeignete Person aus der Führungsebene für das Interview zur Verfügung zu stellen, die zu den damaligen Studienergebnissen Stellung nehmen konnte. Die Gesprächspartner in 6 Krankenhäusern waren Vertreter der jeweiligen pflegerischen Direktionsebene sowie in einem Krankenhaus die Abteilungsleiterin der Pflegeentwicklung. Bei der Analyse und Diskussion der Ergebnisse sollten folgende Besonderheiten beachtet werden: In 3 Krankenhäusern hatte das Pflegedirektorium in der Zeit zwischen den RN4Cast-Befragungen und den Interviews gewechselt (H1, H4 und H7), zusätzlich betreut der Pflegedirektor von H4 nach einer Fusion 2 weitere Standorte mit insgesamt 650 Personen in der Pflege. In H4 und H7 gab es während der Zeit der RN4Cast-Studie Umstrukturierungen, die das jeweilige Antwortverhalten mit beeinflusst haben könnte.

Abb. 1
figure 1

Selektion der Krankenhäuser für die Experteninterviews. Attraktive Krankenhäuser sind grün (H1–H3), unattraktive rot (H5–H7) und Krankenhäuser mit mittlerem Attraktivitätsgrad blau (H4) markiert

Alle Interviews wurden telefonisch geführt, jeweils unter gleichen äußeren Bedingungen. Die Teilnehmer wurden im Vorfeld über den Zweck der Interviews aufgeklärt und stimmten einer Aufnahme per Aufnahmegerät zu. Ein Tag vor den Interviews wurde allen teilnehmenden Gesprächspartnern deren Auswertungsergebnisse der RN4Cast-Studie noch einmal zugeschickt, allerdings ohne die Information, ob sie zu den „attraktiven“ bzw. „unattraktiven“ Krankenhäusern der Studie gehören würden. Sie wurden ebenfalls gebeten, sich nicht auf die Interviews vorzubereiten, sondern intuitiv aus ihrer Praxis auf die Fragen zu antworten. Die Interviews wurden per Aufnahmegerät aufgenommen und transkribiert. Zusätzlich wurden einige wenige handschriftliche Notizen erstellt. Die Teilnehmer waren an keiner Stelle der Studie irgendeiner Art von Gefahr ausgesetzt und hatten das Recht, das Interview jederzeit abzubrechen oder Fragen nicht zu beantworten.

Leitfaden

Der Interviewleitfaden orientierte sich zum großen Teil an den Pushfaktoren und deren zugrunde liegenden Frageelementen (Tab. 1) und besteht aus 3 Teilen. Der erste und umfassendste Teil diskutierte die krankenhausindividuellen Ausprägungen der Pushfaktoren, z. B. wie realistisch diese Zahlen zum Zeitpunkt der Studie eingeschätzt wurden, wie mit den jeweiligen Ergebnissen umgegangen wird/wurde und ob und was sich seit Ende der Studie geändert hat. Der zweite Teil bezog sich auf das Thema Leadership, welches – angeregt durch die wachsende Zahl an Studien über den Einfluss von Leadership auf erfolgreiche Retention – in den Leitfaden integriert wurde [10, 36]. Der dritte, freie Teil gab den Interviewpartnern Raum, für sie wichtige Aspekte anzusprechen. Zur Validierung des Leitfadens wurde dieser im Vorfeld mithilfe einer Pflegeexpertin (Pflegedirektorin eines deutschen Universitätskrankenhauses) validiert und verfeinert.

Tab. 1 Operationalisierung der Pushfaktoren

Auswertung

Die Auswertung erfolgte mittels thematischer Analyse, die laut Boyatis „einen Prozess darstellt, qualitative Informationen zu kodieren“ [7]. Vom Vorgehen her steht die thematische Analyse („thematic analysis“) den Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse nahe [29] und soll dabei helfen, einen wichtigen Moment zu erkennen (sehen), ihn zu verschlagworten (ihn als etwas zu sehen), um ihn zu interpretieren (ihn zu verstehen). Laut Boyatis geht es darum, „the hidden obvious“ zu sehen, also in der Lage sein zu können, ein wiederkehrendes Thema oder Muster in Informationen zu erkennen und als solches wahrzunehmen. Es wurde ein „coding framework“ entwickelt, das teilweise deduktiv und teilweise induktiv war. Die deduktiven Codes wurden auf Grundlage der Pushfaktoren erstellt. In der Auswertung wurde das Datenmaterial zuerst mithilfe von paraphrasierten Textstellen in jedem Interview zu Einheiten („meaning units“) zusammengefasst, dann anhand der Codes thematisch zusammengestellt und anschließend interviewübergreifend verglichen. Erst danach wurden die Interviewaussagen den beiden Krankenhausgruppen (Krankenhäuser mit hoher oder niedriger Wechselabsicht) zugeordnet. Zusätzlich wurden neue Themen, die auf Erfolgsfaktoren hindeuteten, induktiv gebildet. Bei der Bildung der induktiven Codes wurden ausschließlich Themen, die beide Krankenhausgruppen exakt voneinander unterschieden, in Codes überführt [7]. Analyseeinheiten bezogen sich auf ein Thema, daher wurden Textpassagen ab Einzelwort bis hin zu ganzen Paragrafen codiert.

Das vorliegende Papier wurde in Alleinautorenschaft verfasst. Um die Qualität und Validität der Analyse zu erhöhen, wurde das Datenmaterial dennoch von zwei Wissenschaftlern unabhängig codiert. Während der Transkription wurden die Krankenhausnamen pseudonymisiert, um eine neutrale Bewertung der Aussagen zu gewährleisten. Die Codierergebnisse des ersten Interviewtranskripts wurden im Anschluss einer kritischen Prüfung unterzogen und weiter verfeinert. Beide Wissenschaftler codierten anhand des gleichen „coding frameworks“. Im Anschluss wurden die Ergebnisse miteinander verglichen und diskutiert [5].

Ergebnisse

Die Interviews dauerten im Durchschnitt jeweils 60 min und konnten ohne Unterbrechungen durchgeführt werden. Zur besseren Einordnung der Interviewaussagen gibt Tab. 2 einen Überblick über die Krankenhausstichprobe, sortiert nach Attraktivitätsgrad, zusammen mit den Ausprägungen der krankenhausindividuellen Pushfaktoren in der RN4Cast-Studie. Die jeweils besten (+++), zweitbesten (++), drittbesten (+) und schlechtesten Werte (−) sind gekennzeichnet. Beim Vergleich der Bettenanzahl fällt auf, dass die besseren Ergebnisse zwar in den kleineren Häusern zu finden sind, dies im Umkehrschluss allerdings nicht bedeutet, dass alle kleinen Häuser gute Ergebnisse haben (s. den Vergleich zwischen H1 und H7 in Tab. 2).

Tab. 2 Darstellung der Pushfaktoren und deren Ausprägungen in den einzelnen Krankenhäusern (Werte gerundet). Zusätzlich sind die Rücklaufquoten (RL) der einzelnen Krankenhäuser in % und totaler Anzahl angegeben. (Quelle: Ergebnisse der RN4CAST-Studie [Zahlen z. T. aus Zander et al. [39]])

Ergebnisdarstellung der deduktiven Codes

Es konnte allen deduktiven Kategorien Aussagen zugeordnet und somit die quantitativ erhobenen Pushfaktoren zur Arbeitsplatzwechselbereitschaft vertieft und diskutiert werden. Zudem war es möglich – besonders bezüglich der beiden Pushfaktoren „Emotionale Erschöpfung“ und „Lob und Anerkennung“ – Erfolgsfaktoren zu extrahieren. Es stellte sich heraus, dass besonders bei diesen beiden Pushfaktoren die direkte Einflussnahme seitens der pflegerischen Leitung deutlich hervorging. Daneben wurde bereits früh in den Interviews der Einfluss von unterschiedlichem Führungsverhalten deutlich, weswegen zusätzlich zwei induktive Codes eingeführt wurden, um diese Beobachtungen zu vertiefen und validieren. Die induktiven Codes werden im Anschluss an die deduktiven Codes vorgestellt.

Personalbesetzung

Im Durchschnitt empfanden in den 7 betrachteten Krankenhäusern lediglich 22 % der Pflegekräfte die Stellenbesetzung als ausreichend, um gute Pflege leisten zu können. Durchschnittlich kümmerte sich zu dem Zeitpunkt der Befragung eine Gesundheits- und Krankenpflegekraft um 12 Patienten (Tab. 2). Die überwiegende Anzahl der Interviewpartner beurteilte die Einschätzung der Pflegekräfte als realistisch sowohl bei besonders schlechten Werten (H5): „Diese subjektiv empfundene Personalbesetzung hat auch aus meiner Sicht ein adäquates Gegenüber im Objektiven“ als auch bei guten Werten (H1): „Ich schätze unsere Besetzung auch als ziemlich gut ein“. Ein Krankenhaus distanzierte sich von den Aussagen seiner Pflegekräfte (H7): „Wenn ich als Pflegekraft in dieser Mühle drin bin auf Station, dann nehme ich das natürlich anders wahr als jetzt jemand wie ich, der von außen drauf guckt.“ Als verantwortlich für die schlechte Personalsituation wurden zum Teil Fusionen, wirtschaftliche Krisen und/oder höhere Auslastungen bei gleichbleibendem bzw. sinkendem Personal gemacht. Krankenhaus H6 konnte in der Zwischenzeit seinen Personalschlüssel von 1:14 auf 1:10 durch Ausdifferenzierung von Arbeitsbereichen, wie z. B. der Speisenversorgung, herunterkorrigieren, im Gegensatz zu H4 und H5, in dem sich die Personalsituation seit Ende der Studie verschärft hat bzw. gleichblieb. Der subjektiven Einschätzung des Pflegepersonals wurde das jeweilige objektive Pflegekraft-zu-Patienten-Verhältnis gegenübergestellt, das sich aus der Anzahl der Patienten auf der Station und der Anzahl der examinierten Pflegefachkräfte – Nachtschichten ausgeschlossen – berechnete. Beim Vergleich beider Werte scheint die subjektive Wahrnehmung bzgl. eines ausreichenden Personalbestandes oft nicht mit dem tatsächlich vorhandenen Personalverhältnis übereinzustimmen (besonders H1 und H3). Daraus könnte sich die Vermutung ableiten, dass es Strukturen gibt, die verhindern, dass trotz hoher Patientenzahl keine negativ wahrgenommenen Effekte auf die Versorgungsqualität spürbar sind (vgl. H1), bzw. begünstigen, dass das Personal sich trotz vergleichsweise guter Personalbesetzung als nicht ausreichend aufgestellt empfindet (vgl. H3). Als Beispiel kann H5 herangezogen werden. Es berichtete von schlechter Integration ausländischer Pflegekräfte in den Pflegeteams und einer daraus resultierenden Belastung statt Entlastung: „[In den Abteilungen], wo die Belastung sehr hoch ist, da sind sie ganz schlecht angeleitet und auch nicht gut integriert.“ Ebenfalls wurden Gründe, wie z. B. fehlende Abstimmungen zwischen Arzt und Pflege bei der Visite, für die schlechten Bewertungen angeführt sowie fehlende Verlässlichkeit bei Hol- und Bringdiensten oder Lagerbeständen, was dazu führt, dass sich die Pflege personell nicht einstellen kann (H2, H4).

Emotionale Erschöpfung

Hierzu waren die Interviewinhalte sehr ergiebig, sowohl seitens der Krankenhäuser mit guten Werten als auch mit schlechten. Alle Gesprächspartner empfanden die Einschätzungen der Pflegekräfte als realistisch. Von einem Krankenhaus wurde jedoch die Qualität eines Burn-out-Screenings per Fragebogen angezweifelt (H6). Die Krankenhäuser mit schlechteren Ergebnissen gehörten in der Stichprobe überwiegend zu den größeren Krankenhäusern (Tab. 2), dennoch macht der Vergleich von H3 und H4 deutlich, dass die Größe der Krankenhäuser nicht unbedingt mit einer höheren Belastung einhergehen muss. Es wurde deutlich, dass das Symptom Burn-out ernstgenommen und als etwas erkannt wird, mit dem Pflege sich in der Praxis konfrontiert sieht. Laut zusammenfassender Aussagen der Interviewpartner trifft Burn-out hauptsächlich 3 Gruppen von Menschen: diejenigen, die schon eine Grunddisposition mitbringen, junge Leute, die von der Perspektivlosigkeit überwältigt werden, und jene, die tatsächlich überarbeitet sind. Über die Hälfte der Interviewpartner teilte dabei die Ansicht, dass „persönliche Geschichten mit reinspielen“ und sprachen auch von einem „bestimmten Typ Mensch“, der für die Pflege nicht gemacht ist und Burn-out bekommt (H2, H3, H6 und H7).

Als Gründe, die zu Burn-out führen, wurden häufige Führungswechsel genannt, fehlende Führungsfähigkeiten, ungeeignetes Personal, schlechte Atmosphäre in Teams, aber auch das „[…] Nicht-Gehört-Sein, […] Nicht-Mitgestalten- und Nicht-Mitentscheiden-Können“, welches zu einer „Ohnmächtigkeit“ und zu einer „Perspektivlosigkeit als Symptom“ führt. An der Geschichte eines der Krankenhäuser lassen sich Gründe, die zu einem Burn-out-Anstieg führen, besonders gut nachvollziehen (H4): Dieses vorher kommunale Haus mit sehr familiären Strukturen und einer Pflegedienstleitung, die immer vor Ort war, fusionierte mit 2 weiteren Häusern. Die Fusion führte zu Entlassungen und einem verschärften Druck auf das Personal, Mitarbeiter wurden versetzt. Direkte Folgen davon waren ein sprunghafter Anstieg von emotionaler Erschöpfung und Reha-Maßnahmen wegen psychischer Belastungen aufgrund der plötzlich fehlenden Strukturen. Gleichzeitig wurde eine Verschlechterung der Stimmung in den Teams sowie eine Zunahme von Patientenbeschwerden wahrgenommen.

Dem Thema Burn-out wird sich auf Krankenhausebene überwiegend in Krankenhäusern mit schlechten Ergebnissen gewidmet, in denen mit besseren Ergebnissen hingegen nicht. Präventionsmaßnahmen reichen dabei von Thematisieren in der Betriebszeitung und betrieblichem Eingliederungsmanagement über eigene Abteilungen mit Betriebsärzten, Prävention durch hausinterne Fortbildungen, Schulungen (auch über Krankenkassen), Gesundheitsförderung, Teamcoaching bei Konflikten bis hin zu externen Beratungen. Gleichzeitig wurde jedoch auch davon berichtet, dass den Vorständen aufgrund des permanenten Kostendrucks oft die Ideen fehlen.

Einzelbetrachtung der Ergebnisse der KH mit besseren Ergebnissen bezüglich Burn-out (H1, H2, H4).

In allen Interviews wurde deutlich, dass die Ansprechpartner sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sind und sich stark in der Verantwortung um das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter sehen, wodurch es ihnen gelingt, frühzeitig zu handeln. Sie erwarten von sich selbst und ihren Stationsleitungen, bei Problemen ansprechbar zu sein sowie auf die Mitarbeiter zu- und einzugehen: „[…] was ich wichtig finde ist, dass man den Blick auf den Menschen behält“ (H2). Probleme würden sie damit antizipieren, dass sie zu Teambesprechungen gehen, Personal direkt (oder über die Leitungen) ansprechen, sobald ihnen etwas auffällt, und ihnen damit suggerieren, dass sie für die Anliegen der Pflegekräfte offen sind. „Ich glaube, das kann man nur leben und dann nehmen die Mitarbeiter das auch wahr“ (H4). Ebenfalls wurde von einem Zusammenhang zwischen Burn-out und der Zusammensetzung von Pflegeteams gesprochen sowie deren Kollegialität und Loyalität untereinander. In diesen Häusern wird hoher Wert darauf gelegt, dass sie „[…] ein wirklich gutes Miteinander haben“ und „dass auch der eine für den anderen […] Aufgaben übernimmt oder für ihn einfach da ist oder ihn entlastet“ (H1). Personalgespräche werden gezielt genutzt, um vom Bewerber zu erfahren, was er unter „Team“ versteht und sich auch gegen Personen zu entscheiden, die nicht ins Team passen würden bzw. bei denen die Vorstellungen nicht übereinstimmen, wie man zusammenarbeitet, und das trotz höchster Personalnot und fachlicher Eignung.

Einzelbetrachtung der Ergebnisse der KH mit schlechteren Ergebnissen bezüglich Burn-out (H3, H5–H7).

Im Kontrast dazu war aus den Ausführungen der Krankenhäuser mit schlechteren Ergebnissen eine größere Distanz, aber auch Hilflosigkeit seitens der Pflegedirektion spürbar. Persönliche Gespräche würden eher den Stationsleitungen bzw. direkteren Vorgesetzten überlassen, da diese „als sehr persönlich empfunden werden“. Auf Nachfrage konnte allerdings nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, wie die direkteren Vorgesetzten mit den Teams verfahren, was an folgenden Aussagen deutlich wurde „[…] wenn denn dann da Dinge auftauchen wie häufiges Kranksein, wird auch schon mal gefragt“ oder „Ich denke, dass die Stationsleitungen genauso fragen wie wir auch […]“, „Mehr können wir dann aber auch nicht tun“. In diesen Krankenhäusern wurde dennoch auch der wichtige Einfluss der Führungskräfte auf die Belastung/Stimmung der Pflegekräfte bestätigt (H5–H7). Demnach gibt es Stationsleitungen „die sind präsent, die kennen die Mitarbeiter, die wissen an welchem Tag […] es kritisch [ist]“ und auch solche, die „kein Gefühl dafür [haben]“, was in den Bereichen los ist und immer erst dann merken, „dass irgendwas nicht in Ordnung ist, wenn alles zusammenbricht“. Auf schlechteren Stationen werden häufiger Kündigungen beobachtet, wenn Mitarbeiter es nicht mehr aushalten, statt sich Hilfe zu suchen. Als Gründe wurden u. a. fehlende Personalgespräche angeführt, die in belasteten Bereichen eher vernachlässigt werden und ein Management, das selbst aus Unerfahrenheit oder zu großer Verantwortungsbereiche belastet ist und damit für schlechte Stimmung und höhere Stresslevel sorgt. Letzteres wird häufig bei jungen Führungskräften beobachtet (H5, H7), „die selbst noch oft in ein Hamsterrad geraten und daher keine Sicherheit vermitteln können“. Diese Führungskräfte würden sich aus eigener Unerfahrenheit auch nicht trauen, Mitarbeiter anzusprechen. In diesem Zusammenhang wurde auch die Gefahr erwähnt, dass sich falsches Führungsverhalten verfestigt und an neue Generationen weitergegeben wird. Als Folge von unterschiedlichem Führungsverhalten würden heterogene Stationen hinsichtlich Stimmungsbilanz und Belastung des Pflegepersonals entstehen.

Auf die Frage nach Burn-out-Prävention oder Maßnahmen berichteten sie davon ihren Mitarbeitern „Hilfen an die Hand zu geben, wie sie [die Pflegekräfte] ihre Zeit managen sollen“ (H3). Führungskräfte erhalten ebenfalls Coaching und Supervision, die ihnen Sicherheit vermitteln sollen, um „den persönlichen Gesprächen gewachsen“ und „gewappnet [zu] sein“ und auch um sie aufzufangen (H7). Es wurde in einem der schlechteren Häuser ebenfalls der Zusammenhang zwischen Teamzusammensetzung und Burn-out festgestellt (wie in den Häusern mit guten Ergebnissen) und in diesem Haus begonnen, die natürliche Fluktuation zu nutzen, um Pflegekräfte mit anderen Profilen einzusetzen (H7).

Entscheidungsbefugnisse/Mitbestimmung

Die Aussagen in den einzelnen Krankenhäusern fielen sehr unterschiedlich aus. Die Gründe dafür wurden von Gesprächspartnern teilweise darin gesehen, dass die dem Pushfaktor zugrunde liegenden Fragen auf verschiedene Art und Weise interpretierbar waren: ob Pflegekräfte von betrieblichen Planungen und Entscheidungen ausgingen oder jenen, die das Tagesgeschehen sowie Fort- und Weiterbildung betreffen.

Laut Interviewaussagen ließen sich 3 grundsätzliche Fragen identifizieren: (1) Lässt das Krankenhaus Mitbestimmung überhaupt zu, hinsichtlich Größe, Trägerschaft, etc.? (2) Fördert die pflegerische Führungsebene Mitbestimmung seitens der Pflegekräfte? (3) Ist die Pflegekraft bereit Verantwortung zu übernehmen?

  1. 1.

    Krankenhäuser mit hohem und mittlerem Attraktivitätsgrad (H2–H4) berichteten überwiegend von Pflegekräften, die Spaß daran hätten sich weiterzuentwickeln und etwas für ihren Arbeitsprozess zu tun, sofern Stellen durch die „Pflegeentwicklung“ dafür geschaffen werden. Auf der Ebene der betrieblichen Entscheidungen würden zwar auch Vorstellungen kommuniziert, allerdings sei hier die Motivation der Pflege aufgrund fehlender Mitbestimmungsmöglichkeiten eher niedrig, da die Chefarzt-/Oberarztgremien oftmals die letzte Instanz bilden (H3, H4, H6): „Also wenn die [pflegerischen] Führungskräfte nichts entscheiden können, dann kann der Mitarbeiter auch nichts entscheiden.“ Besonders deutlich tritt dies in Krankenhäusern mit Obrigkeitsstrukturen und einhergehender starker Hörigkeit und Gottesfürchtigkeit zutage (H7). Es wurde aber auch von vorhandenen Strukturen wie dem Vorschlags- und/oder Beschwerdewesen berichtet sowie dem ausdrücklichen Wunsch – auch von Seiten des Klinikdirektors – um Einbringung der Mitarbeiter, was aber wenig genutzt wird (H5).

  2. 2.

    Das Interesse und die Fähigkeit der direkten Vorgesetzten, die Mitarbeiter einzubinden bzw. ihnen die Befugnisse zur Mitbestimmung weiterzugeben, wurde als unterschiedlich wahrgenommen (H2, H6): „Bloß weil sie der zweiten Ebene Entscheidungsbefugnisse geben, heißt ja noch lange nicht, dass die weitergegeben werden.“ In diesem Zusammenhang wurden Stationsleitungen als „Königinnen“ bezeichnet und sich gefragt, ob „[…] die auch in der Lage (sind) Entscheidungen und Entscheidungsbefugnisse weiterzureichen“.

  3. 3.

    Eine weitere wichtige Voraussetzung ist die tatsächliche Bereitschaft der einzelnen Pflegekräfte zur Verantwortungsübernahme. Es wurde angemerkt und z. T. kritisiert, dass die Pflege Entscheidungen einfordert, aber nicht bereit ist, die Verantwortungsübernahme auch in der Konsequenz zu leben, z. B. sie gegenüber Patienten und Team sichtbar zu machen (H1, H4, H6, H7). „[…] Entscheidung heißt auch Verantwortungsübernahme und das ist, glaube ich, im Pflegebereich ein großes Problem.“ In diesem Zusammenhang wurde auch der Vergleich zu den Hebammen und ihrem größeren beruflichen Selbstverständnis herangezogen, da diese in ihrer Arbeit nicht auf Ärzte angewiesen sind (H4).

Lob und Anerkennung

Auch hier empfanden die Gesprächspartner die relativ schlechten Einschätzungen der Pflegekräfte als realistisch und räumten krankenhausübergreifend ein, dass der Pflege Feedback für ihre Arbeitsleistung (sowie Interesse bei der Personalentwicklung) fehlen würde: „[…] in der Situation zu sagen, ‚Kommt, das haben wir gut gemacht!‘, [ein] ‚Schulterklopfen‘.“ Dennoch waren sich alle einig, dass „Lob […] letztendlich das [ist], was fundamental wichtig […] für die Arbeitsmotivation [ist]“, auch wenn kontrovers diskutiert wurde, ob das Feedback von der Pflegeleitung oder den Ärzten fehlen würde.

Betrachtung der Einzelergebnisse in den Krankenhäusern.

In den Krankenhäusern mit guten Ergebnissen (H1 und H2) wird eine Lobekultur gelebt (z. B. die Expertenstufen von Benner). Dem Management ist es wichtig, in guten und schlechten Situationen, wie z. B. Belegungsspitzen, vor Ort zu sein, um mit den Mitarbeitern zu sprechen, sich für gute Arbeit zu bedanken, sie zu trösten, wenn etwas nicht geklappt hat, und den Frust in schlimmen Situationen herauszunehmen. H3 nähert sich dem Thema eher über sog. Kerndaten, z. B. dem Würdigen von Jubiläen, Patientenbefragungen, die sie an die Stationen weiterleiten und auch, in besonderen Situationen wie bei Schwerverletzten es „[auch] schon mal vor[kommt], dass wir hingehen, aber das ist nicht die Regel“. Von H7, einem Krankenhaus mit schlechteren Ergebnissen, die allerdings in den 1,5 Jahren vor den Interviews sehr viel in dieses Thema investiert haben, wird nun auch eine Lobekultur auf Geschäftsführungsebene ernstgenommen, indem z. B. bei Fortbildungen, absolvierten Projekten etc. Anerkennung gezollt wird: „Es gibt ein schickes Essen. Das Ganze wird in unserer Klinikzeitung publiziert.“

Im Vergleich zu den Pflegeverantwortlichen aus den Häusern mit guten Ergebnissen wirken die Aussagen der Krankenhäuser mit schlechteren Ergebnissen (H4–H7) distanzierter: „[Ich] rege dazu an, dass die Führungskräfte [das] im mittleren Führungsmanagement […] praktizieren, aber das kann nur langsam wachsen“ (H4). „[Loben ist] eine Kulturfrage und eine Menschenfrage“ (H6). Die Größe der Häuser wurde als Grund genannt, der ausreichendes Loben erschweren würde, ebenso bestimmte Strukturen wie kirchliche Träger mit Ordensschwestern und Chefarzthoheit sowie die oberste Führungsebene (H5–H7). Ebenso wie bei Burn-out wurde auch hier die Wichtigkeit angesprochen, das Leitungspersonal aufzufangen, besonders da Nachwuchsführungskräfte „ja aber selber auch nachgeordnete Mitarbeiter [sind] und […] genau das, was sie erleben, teilweise ungefiltert nach unten weitergeben“ (H5).

Von wem wünschen sich die Pflegekräfte Lob und Anerkennung?

Die Mehrheit der Interviewpartner machten die Ärzte für die schlechten Noten der Pflege verantwortlich, besonders die Chef- und Oberärzte, deren Lob als wertvoller eingeschätzt wurde als das der Kollegen, Stationsleitungen und Pflegedienstleitungen (H2–H4, H7). Ebenso fehle dem Pflegepersonal die Anerkennung aus der Öffentlichkeit, denn „[…] das trägt ja nun auch nicht dazu bei, der größten Berufsgruppe einzuimpfen – ohne euch geht es nicht“. Es wurde allerdings auch von Lob, Anerkennung und Dank der Patienten als ein wesentlicher Faktor für berufliche Zufriedenheit gesprochen: „Wenn ich das vom Chef nicht kriege, dann gibt es mir wenigstens der Patient“ (H6).

Die Pflegekräfte wurden in Ihrer Forderung nach mehr Anerkennung allerdings auch kritisiert und aufgefordert, ihr Selbstbild von Grund auf zu ändern (H2, H4, H6): „[…] wenn ich in meinem beruflichen Verständnis immer auf das Lob des anderen hoffe, dann werde ich wohl meine Abhängigkeit an dem Punkt auch nie auflösen“ (H6). „[…] Anerkennung hat immer auch ganz viel damit zu tun, wie erkenne ich mich denn auch selber an“. Pflege solle sich daher ihrer Rolle und Aufgaben bewusst sein und dementsprechend argumentieren (H4), da sie „eben nicht mehr nur der Erfüllungsgehilfe des Arztes [ist], sondern […] ein sehr eigenständiges Berufsbild [hat]“. Die Studiengänge wurden als Lösungsansatz genannt, um evidenzbasierte Pflege präsenter zu machen, ebenso die Einführung von Konzepten, wie z. B. dem Primary-Nursing-Modell oder Pflegeexperten, die eine Höherqualifizierung der Pflege bzw. Ausdifferenzierung nach oben nach sich ziehen würde und dadurch zu steigender Emanzipation führen, einhergehend mit einem höherem Pflegeverständnis und mehr Unabhängigkeit (H6, H7).

Enge Zusammenarbeit zwischen Arzt/Pflege

In allen Krankenhäusern wurde das Thema Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflege besser bewertet als Lob und Anerkennung (Tab. 2). Eine der Ansprechpersonen vermutete hierzu, dass gute Zusammenarbeit auch ohne die Anerkennung durch die Ärzte auskommen würde. Dennoch wurde in fast allen Interviews – unabhängig von den Ergebnissen – deutlich (H1–H4, H7), dass bessere Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflege gewünscht wird und es noch zu oft „um die Befindlichkeiten der einen oder auch der anderen Berufsgruppe“ gehe, was das Entstehen von Vertrauensverhältnissen erschwere. Die Schuld dafür wurde von dem überwiegenden Teil der Interviewpartner ausdrücklich bei den Ärzten gesehen, durch das mangelhafte „Verzahnen der Prozesse“ in der Patientenversorgung, wie z. B. abgesprochener Visitezeiten, sowie ärztlicher Strukturen „ohne vernünftige Pfade, Patientenaufnahmesysteme, Einbestellwesen sowie Terminierung und Abläufe“ (H1, H2, H4, H7): „Man muss die Ärzte an viele Dinge erinnern […], die sollen ihre eigene Arbeit machen“. Ein Interviewpartner äußerte seinen Frust recht deutlich mit der Aussage, „dass einfach die Zusammenarbeit in Krankenhäusern hundsmiserabel ist an den meisten Stellen“. Es wurde auch der Generationenkonflikt in der Medizin angesprochen. So würden z. B. alte Chefärzte noch Wundmanagement ablehnen bzw. auf althergebrachte Methoden setzen und Vorschläge von Pflegekräften zurückweisen, wodurch sich die Pflege zurückgesetzt fühlt und still abwartet, bis der Arzt im Ruhestand sein würde (H1, H7). Auch wurde berichtet, dass die Pflege bei Streitigkeiten, z. B. zwischen den Ärzten, aufgrund fehlender Gleichberechtigung instrumentalisiert und aufgefordert wird, Stellung zu beziehen, was die Zusammenarbeit zusätzlich belastet (H1). Außerdem würden Initiativen für bessere Zusammenarbeit häufig von den Pflegenden ausgehen, aber von den Ärzten boykottiert, wodurch als Konsequenz die Bereitschaft zur Zusammenarbeit sinkt (H2, H4, H7). Die Gesprächspartner wünschten sich daher „eine klare, vernünftige Führung“ von der Geschäftsführung, die den Chefärzten einen Rahmen vorgibt, in dem sie ihre Freiheiten ausleben können und Strukturen, in die sie sich einfügen (H4). H6 äußerte sich positiv zur Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen durch „langjährige Teams mit langjährigen Binnenbeziehungen, die das Ergebnis erklären“. H5 berichtete aufgrund der Besonderheit des Universitätskrankenhausstatus ebenfalls von weniger Problemen hinsichtlich Akzeptanz und Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen sowie H3, das die guten Beziehungen zwischen Pflegekräften und Assistenzärzten für das Ergebnis verantwortlich zeichnet.

Arbeitsumgebung

Die Gespräche zum Thema Arbeitsumgebung waren weniger ergiebig, vielleicht weil der Aspekt „Arbeitsumgebung“ für die Gesprächspartner zu unkonkret zu erfassen war. Die Arbeitsumgebung wurde von einem Interviewpartner als das beschrieben, „was so schwingt im täglichen Miteinander“ (H7). Als Gründe für schlechte Ergebnisse wurden z. B. strukturelle Veränderungen genannt, fehlende Nähe der Mitarbeiter zur Führungsebene und finanzielle Ängste durch Fusionen (H4). Auch wurde aufgrund unterschiedlicher Stationsergebnisse in einem Krankenhaus der Einfluss des jeweiligen Führungsverhaltens erkannt: „Das ist ein Punkt, den muss ich mir irgendwie auf die Fahnen schreiben, weil da habe ich Handlungsbedarf“ (H2).

Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten

Bei diesem Thema wurde die Zeitspanne sehr deutlich, die seit Befragungsende verging, da es in vielen Krankenhäusern seit 2009/2010 deutliche Veränderungen hinsichtlich strukturierter Fort- und Weiterbildung gegeben hat (besonders H3, H6, H7). Deswegen wurden in den Interviews vorrangig aktuelle Entwicklungen statt der damaligen diskutiert und die generelle Überlegung geteilt, ob sich die bewertete Zufriedenheit tatsächlich auf den Nutzen der Angebote bezieht oder lediglich auf das Vorhandensein der Angebote selbst (H3, H5).

Es wurde zum Teil deutlich, dass dem Thema Fort- und Weiterbildungen trotz Vorgaben durch den Gesetzgeber viele Jahre zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde im Sinne von fehlenden Bildungsbedarfsanalysen oder Bildungsprogrammen, was sich allerdings in den meisten Krankenhäusern zum Teil grundlegend geändert hat. Dennoch berichten einige der Krankenhäuser immer noch von bestehenden Hürden, wie z. B. der kurzfristigen Absage von Programmen wegen akutem Personalmangel (H5), oder, dass besonders in kleinen Häusern die Gefahr besteht, sich nur bis zu einem gewissen Punkt weiterentwickeln zu können, da hauptsächlich Fortbildungen angeboten werden, die später in der Praxis auch angewendet werden können (H7). Daneben wurde Kritik am Pflegepersonal geübt, da wegen deren Desinteresse Angebote ebenfalls oftmals abgesagt werden müssen (H5): „Die Haltung, dass man sein Examen macht und dann erstmal 40 Jahre nix, muss aufweichen. Es muss Lust da sein, sich weiterzuentwickeln“ (H4).

Das Führungsmanagement wurde als wichtiger Einflussfaktor auf die Pflegekräfte bzgl. Fort- und Weiterbildungen gesehen (H1–H3, H5). Es wurden zwei Typen von Führungskräfte identifiziert. Solche mit der Philosophie: „je mehr Leute wissen, desto besser können sie arbeiten und desto zufriedener sind sie auch“ (H5), die ihre Weiterbildner während der Weiterbildung begleiten und unterstützen (z. B. Hausarbeiten gegenlesen, Auszeichnung mit Foto in Krankenhauszeitung, Präsent). Sowie solche, die selbst keine Sicherheit haben in dem, was sie tun, und daher nur schwer akzeptieren können, dass die Pflegenden „unter ihnen“ immer besser werden.

Aus den Gesprächen ließen sich folgende Erfolgsfaktoren bzw. Lösungsvorschläge hinsichtlich erfolgreicher Fort- und Weiterbildung herausfiltern:

  • Die Aufstellung von transparenten Teamübersichten, aus denen die jeweiligen Fortbildungswünsche der einzelnen Pflegekräfte ersichtlich werden. Der Vorteil davon liegt zum in einem möglichen Multiplikatoreffekt und zum anderen in gezielterem Fort- und Weiterbilden der Pflegekräfte (H5).

  • Das Bilden von Arbeitsgruppen, die sich mit Pflegestandards auseinandersetzen und gezielt Fortbildungsangebote nachfragen, sowie Wellnessangebote, bei denen keine Inhalte an erster Stelle stehen, sondern Entspannung (H1, H2).

  • Die Analyse der Mitarbeiterprofile mithilfe von Portfolios zur optimalen Teamzusammenstellung (H2).

  • Das Formulieren von Zielen und Maßnahmen (Bsp.: auf der Intensivstation sollen mind. 50 % über bestimmte Weiterbildung verfügen) und Überlegungen, wie man in 5 Jahren aufgestellt sein möchte (H1).

  • Festlegen von Jahresmottos, z. B. Akademisierung und Professionalität, sowie Kooperationen mit Universitäten und Krankenhäusern, bei denen das Personal sich auch mal andere Abteilungen anschauen könnte (H2, H4, H6, H7).

Ergebnisdarstellung der induktiven Codes

Die Aussagen zum Thema Führungsverhalten wurden in die Kategorien „Präsenz vor Ort“ und „Pflegende im Fokus“ eingeteilt und daraus attraktive und unattraktive Strategien abgeleitet. Das Verhalten der Interviewpartner von Krankenhäusern mit hohem und mittlerem Attraktivitätsgrad ähnelte sich inhaltlich sehr hinsichtlich der „Erfolgsrezepte“. Von allen wurden der Einfluss und die Wichtigkeit eines Führungsmanagements betont, das nicht von allein mitläuft, sondern „gezielt gesteuert oder eingesetzt werden muss“. Alle betonten präsent auf den Stationen zu sein, um positives Feedback geben zu können und sich im Konfliktfall dem Frust direkt auszusetzen sowie um die Mitarbeiter spüren zu lassen, dass ihnen der Rücken gestärkt wird.

Bei der Analyse des Führungsverhaltens wurde das jeweilige Größenverhältnis der Krankenhäuser berücksichtigt um der Annahme Rechnung zu tragen, dass es in kleineren Krankenhäusern einfacher sein könnte, Präsenz zu zeigen und Nähe zu den Mitarbeitern herzustellen. Anhand der Aussagen der Interviewpartner zeigte sich jedoch, dass die Größe nicht ausschlaggebend für ein gutes Führungsmanagement sein muss.

Präsenz vor Ort

Bei der reinen Präsenz des Pflegedirektoriums auf den Stationen (unabhängig von der Abteilungsleitungsstruktur) zeigte sich eine Korrelation zur Bettengröße. In den Häusern bis 350 Betten gaben die Ansprechpartner an, dass sie 1‑mal täglich bis 1‑ bis 2‑mal wöchentlich (H1–H4, H7) auf den Stationen unterwegs seien, wohingegen in den beiden Häusern mit über 650 Betten das Pflegedirektorium so gut wie nie über die Stationen gehen würde: „Also, Pflegedirektion ist eigentlich nie auf den Stationen, einmal an Weihnachten oder wenn es einen Riesenkonflikt gibt, aber dann eigentlich auch nicht“ (H5), bzw. dass es nicht zu ihren Aufgaben gehörte: „Das ist auch in meiner Rolle nicht angelegt, da über Station [zu] flirren [und] ohne Aufgabe kommen, finde ich immer schwierig“ (H6).

Die Interviewpartner der attraktiven Krankenhäuser sind sich klar ihrer Vorbildfunktion bewusst und achten darauf, dass ihr Führungsverständnis von den nachgelagerten Führungsebenen ebenso gelebt wird (H1, H2, H4): „Vorbilder sind die Leitungen und ich. Und meine Präsenz, nur wer präsent ist, kann ein Vorbild sein“ (H1). „Also, ich habe im Pflegedienst um die 650 Köpfe. Ich bilde mir ein, […] jeden Namen und fast jedes Gesicht zu kennen. Finde ich elementar wichtig“ (H4). „Sie müssen da vor Ort sein, sonst funktioniert das nicht“ (H2, H4). In H7 gab es seit der RN4Cast-Studie strukturelle Veränderungen sowie ein neues Pflegemanagement. Seitdem ist das Pflegedirektorium 1‑mal täglich auf allen Stationen, was anfänglich mit Argwohn betrachtet wurde, nach einer Anlaufzeit von 2,5 Jahren allerdings auf gute Resonanz stößt: „Und heute ist es so, dass Sie mich fragen, wenn ich mal nicht kann: ‚Wo waren Sie denn gestern, ich habe Sie vermisst!‘“

Neben der Präsenz auf den Stationen wird ebenfalls darauf geachtet bei – z. T. auch vertraulichen – Problemen jederzeit erreichbar und ansprechbar zu sein (besonders H1 und H2). Es wurde vom Führungsprinzip „Büro der offenen Tür“ berichtet (H1–H3), allerdings müssen bei Konflikten zuerst Lösungsversuche mit der betreffenden Person unternommen werden (H1, H2): „Da haben wir ja so eine Kultur entwickelt, dass man miteinander sprechen soll – nur sprechenden Menschen kann man helfen.“ Zusammengefasst sind die Pflegedirektoren der Häuser H1–H4 vor Ort, führen viele Mitarbeitergespräche und versuchen „schon immer da zu sein, wo es brennt“ und somit die Gefahr zu bannen, die sich durch eine Verantwortungsverlagerung (über mehreren Führungsebenen) ergibt, nämlich dass sich keiner mehr verantwortlich fühlt (H4).

In den unattraktiveren Krankenhäusern wurde viel über die Größe der Krankenhäuser in Zusammenhang mit der Aufgabenverteilung gesprochen, die strikter als in den kleineren (und besseren) Häusern sei und nicht vorrangig das Führen der Abteilungen, sondern die Mitwirkung in der Betriebsleitung (z. B. Gesamtbudget, fachliche Führung etc.) vorsieht. Aus diesem Grund würde der Einfluss der direkten Vorgesetzten auf die Pflegekräfte als größer eingeschätzt, z. B. durch Abteilungsleitungen auf den Stationen, die für die Führung freigestellt sind (H6). Dennoch konnten die Interviewpartner – im deutlichen Kontrast zu den attraktiven Krankenhäusern – nicht mit Bestimmtheit sagen, wie oft diese über die Stationen gehen würden oder ob sie in den direkten Austausch mit den Pflegenden treten: „[…] ich würde aus meiner Perspektive nicht sagen, dass dort, wo häufiger jemand ist, die Arbeitsatmosphäre besser ist oder das Klima entspannter.“

Pflegende im Fokus

H1–H4 berichteten von einem starken Vertrauensverhältnis und Loyalität sowohl zwischen den Leitungen und Teams als auch zwischen den Pflegenden untereinander. Sie fühlen sich in der Verantwortung, diese Atmosphäre zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Sie gaben an, nah an den Mitarbeitern dran zu sein, sie persönlich oder über die Stationsleitung(en) anzusprechen, mit denen ebenfalls regelmäßig Rücksprachen gehalten werden. Sie möchten ihr Team kennen und den Menschen darin das Gefühl geben, dass sie darauf achten, wie es ihnen geht. „Die [Leitungen] sind fast schon intim über ihre Mitarbeiter informiert – von den Mitarbeitern, so gut ist da der Draht“ (H1). Es wurde vom eigenen hohen Sicherheitsbedürfnis der Interviewpartner berichtet und, dass sie so, „wie sie behandelt werden will, […] auch ihre Mitarbeiter [behandelt]“. „Wenn ich irgendwann dahin komme, dass ich die Arbeitsplätze nicht besetzen könnte, dann wäre das für mich ein Indiz unbedingt zu fragen, ob ich noch richtig oder ob ich doch falsch bin“ (H2).

Die Interviewpartner waren sich sicher, dass dieses Führungsverständnis auch von nachgelagerten Führungsebenen so gelebt wird (H1–H4): „Die [Stationsleitungen] stehen auch hinter ihren Leuten, absolut!“ (H1). Dafür werden Mitarbeiter in Leitungspositionen direkt angesprochen, wenn sie deren Verhalten missbilligen: „Auf der Station XYZ kannste nicht arbeiten, weil die Stationsleitung so doof ist – geht nicht“ (H2). Dafür wurden z. B. Leitungsteams gebildet, die aus der pflegerischen Leitung und einer Stellvertretung bestehen, die unterschiedlichen Aufgaben nachgehen (Dienstplanhoheit/Verantwortung und Sicherstellung Praxisanleitung) und es damit ermöglichen, Wege kurz zu halten und Strömungen von beiden Seiten aufzugreifen. Dieser Führungsstil stieße allerdings auf Widerstände bei Ärzten (H2, H7): „Also eines kann ich Ihnen sagen, die Mediziner sind nicht so glücklich mit mir – […] aber selbst wenn Mitarbeiter das nicht wertschätzen, ist das mein Wert.“

Im Gegensatz war in den unattraktiveren Krankenhäusern mehr Distanz und Passivität in den Aussagen spürbar (vergleiche „Emotionale Erschöpfung“ und „Lob und Anerkennung“) sowie eine gewisse Hilflosigkeit, wie sie den Bedürfnissen der Mitarbeiter gerecht werden können: „Ich frage mich aber auch immer, was wird von wem [mir] erwartet? Von wem wollen die Pflegekräfte denn gelobt werden? […] wie will ich das denn [Lob] an die Frau und an den Mann bringen?“ Dennoch wurde erkannt, dass sich die Führung „[…] stark auf die Atmosphäre in den Teams aus[wirkt] und auch auf den Stressfaktor der Mitarbeiter“. Als Gründe für schlechte Werte wurden die Größe der Häuser und ungünstige Leitungsstrukturen genannt sowie unterschiedliche Charaktere, die aufeinandertreffen, ungeliebte Fachgebiete, unterschiedliche Führungsstile, fehlende Führung bzw. häufige Führungswechsel: „[…] je nach Führungsstil kommt auch Unterschiedliches bei raus“. Dennoch wird erwähnt, dass der Leitung keine Schuld gegeben werden solle, da sie selbst auch nachgeordnete Mitarbeiter sind, die das, was sie erleben, auch leben und teilweise ungefiltert nach unten weitergeben. Als verantwortlich wird das Krankenhausmanagement gehalten, an dessen Spitze oft „Autokraten sitzen, die dafür gar keine Sensibilität haben – und das nicht fördern können“ (H5).

Diskussion

In der quantitativen Forschung ist das Überprüfen von Thesen die grundsätzliche Stoßrichtung, wohingegen in der qualitativen Forschung das Interesse des Entdeckens im Vordergrund steht [8]. Die Themen erhöhte Wechselbereitschaft unter dem Pflegepersonal und Fluktuation wurden bereits in einer Vielzahl von (inter)nationalen Studien aufgefasst, in denen Gründe extrahiert und Erfolgsstrategien abgeleitet wurden. Dennoch scheint sich die Dramatik dieses Problems, verstärkt durch den Fachkräftemangel und fehlendem Nachwuchs, kontinuierlich zu verstärken. Eventuell liegt es an der Fülle an gefundenen Gründen oder empfohlenen Strategien, die das Gefühl von Orientierungslosigkeit hervorrufen bzw. daran, dass Krankenhäuser nicht wissen, wie sie gewonnene Erkenntnisse erfolgreich umsetzen können. Die vorliegende Studie versprach an dieser Stelle einen Erkenntnisgewinn, indem sie bereits existierende Befragungsdaten aus 49 Akutkrankenhäusern mit Experteninterviews kombinierte und daraus Erfolgsstrategien identifizierte, die im Folgenden diskutiert werden. Derartige Studien sind im Allgemeinen aufgrund der fehlenden Möglichkeit zu randomisierten, kontrollierten Studien [10] schwierig zu implementieren.

Auf die Personalbesetzung können die pflegerischen Vorgesetzten in den wenigsten Fällen direkten Einfluss nehmen, weswegen sich die Suche nach Erfolgsstrategien in den Interviews hinsichtlich einer quantitativen Verbesserung der Personalbesetzung als schwierig gestaltete. Interessant wären Einsichten in die Erfolgsfaktoren derjenigen Krankenhäuser, die offensichtliche Diskrepanzen zwischen subjektiver Wahrnehmung der Pflegekräfte, ihrer Personalbesetzung und dem tatsächlichen Personalschlüssel aufweisen. Daher würde es sich anbieten, erneut eine geeignete Stichprobe anhand ähnlich gestalteter Interviews zu befragen, um diesbezüglich nach Strukturen zu fahnden.

Burn-out in der Pflege mit seiner Fülle an Implikationen, Ursachen und Begleiterscheinungen wird mit Besorgnis und gleichzeitiger Hilflosigkeit gesehen. Obwohl es bereits viele Studien und Untersuchungen zu diesem Thema gibt, zeigen die Interviews, dass es den involvierten Akteuren noch immer nicht klar zu sein scheint, wo dieser Kreislauf begonnen hat und wie sie ihn stoppen können. Laut persönlicher Meinung der Interviewpartner trifft es nicht nur überarbeitete Personen, sondern auch die mit einer Grunddisposition und junge Menschen, die noch keine Strategien haben entwickeln können. Auffällig war ebenfalls die weitgehende Übereinstimmung aller Krankenhäuser, dass Burn-out „mitgebracht“ und nicht im Krankenhaus erworben wird. Die Literatur bestätigt diese Beobachtungen teilweise und zeigt, dass die Persönlichkeitsstruktur auf die Wahrnehmung von Stress und Burn-out (in der Pflege) eine Rolle spielt [16], aber dass unabhängig davon posttraumatische Belastungsstörungen und Burn-out immer noch überproportional verbreitet unter Pflegekräften sind. Für das Problem der Anfälligkeit von jungen Leuten gaben die Interviewergebnisse keine ausreichenden Antworten her, außer mehr Perspektiven zu schaffen, besonders bezüglich Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und Entscheidungsbefugnissen, und sich die Gründe genau anzuschauen. Auch international wird Burn-out und Unzufriedenheit bei jüngeren Pflegekräften als ansteigendes Problem wahrgenommen und mit höherer Fluktuation in Verbindung gebracht [22, 38]. Als Lösung empfehlen Studien, der Rolle von Mentoren, Kollegen und Vorbildern bei der Formulierung von Karriereerwartungen und Berufswahlentscheidungen mehr Gewicht zu geben [9, 26, 28, 30, 32, 37]. Currie und Carr Hill, die 2012 in einem Review Schlüsselfaktoren von Fluktuation und Wechselbereitschaft analysierten, hoben neben der wichtigen Rolle von Mentoren ebenfalls breitere Entscheidungsbefugnisse, „aggressive“ Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, Fitnessprogramme sowie Kinderbetreuung hervor, um auch neue Pflegegenerationen mit ihren verschiedenen Erwartungen und Erfahrungen zu adressieren, z. B. junge Pflegekräfte sowie ältere, die kurz vor der Rente stehen oder sich bereits im Vorruhestand befinden [6, 11, 23, 27]. Auch in der Literatur wird auf den positiven Einfluss guter Teamstrukturen auf das Stresslevel des Einzelnen sowie des gesamten Teams verwiesen.

Fehlende Anerkennung schlägt sich negativ auf das Wohlbefinden und die Arbeitsleistung nieder und kann die Entstehung von Burn-out begünstigen [40]. Die Interviewpartner zeigten sich einstimmig von der Wichtigkeit des Lobens und Anerkennungzollens überzeugt. Dennoch wurde in einigen der Krankenhäuser deutlich, wie viel Zeit darauf verwendet wird, darüber nachzudenken „wie“ den Bedürfnissen der Mitarbeiter am besten beizukommen wäre, anstatt sich der Verantwortung zu stellen und auf den Stationen präsent zu sein, den Mitarbeitern gegenüber ein Interesse zu entwickeln, sie für gute Arbeit zu loben sowie in schwierigen Situationen deeskalierend zu wirken. Denn genau diese Strategie trennte die Häuser mit guten Ergebnissen von den schlechten, unabhängig von der Größe der Krankenhäuser, sowohl bei Burn-out als auch bei Lob und Anerkennung: dass die Leitungsebene Verantwortung für die Belange ihrer Mitarbeiter übernimmt und aktiv dafür sorgt, dass alle untergeordneten Führungsebenen genauso verfahren. Übernimmt sie diese Verantwortung nicht, kann sich das passive Führungsverhalten ebenfalls auf die nachgestellten Führungskraft übertragen, „denn etwas anderes bekommt sie von oben nicht gespiegelt“. In den Interviews wurden Pflegekräfte auch dafür kritisiert, von äußerer Anerkennung abhängig zu sein und kein Berufsverständnis zu entwickeln. Eventuell wäre es dafür in einem ersten Schritt wichtig, Anerkennung von außen zu bekommen, um dieses Selbstbewusstsein aufbauen zu können.

Die Zusammenarbeit mit den Ärzten wurde in den Interviews als überwiegend negativ beschrieben und deckt sich mit Ergebnissen aus anderen Studien, die besagen, dass schlechte bzw. fehlende Zusammenarbeit zwischen Pflege und Ärzten zu Unzufriedenheit, emotionaler Erschöpfung, schlechterer Qualität und höher Wechselbereitschaft führt [15, 40]. Um diese Problematik umfassend bearbeiten können, empfiehlt sich in einer Folgestudie die Ärzteseite mit anzuschauen, da es sonst – wie eine Interviewpartnerin treffend äußerte – „immer nur um die jeweiligen Befindlichkeiten der einzelnen Berufsgruppe gehe“.

Es schließt sich der Pushfaktor fehlende Entscheidungsbefugnisse an, der in 6 der 7 Krankenhäuser schlecht bewertet wurde. Die Aussagen der Interviews ließen – ähnlich wie bei der Personalbesetzung – nicht eindeutig Rückschluss auf Erfolgsfaktoren zu, möglicherweise weil der Einfluss der Pflegeleitung auf diesen Faktor als zu gering eingeschätzt wird. Die Antworten der Interviewpartner suggerierten allerdings die Vielschichtigkeit der Problematik: Es geht um Pflegende, die mehr Mitbestimmung fordern, die als Partner gesehen werden wollen und auch sollen, am Ende aber nicht bereit sind, sich dieser Verantwortung in aller Konsequenz zu stellen. Dabei spielten in den Interviews auch die Themen Sprachfähigkeit und Diskursfähigkeit der Pflegekräfte als wesentliche Herausforderung eine Rolle. Demgegenüber steht oft eine Führung, die mehr Mitbestimmung wünscht und sogar fordert, der es zum Teil allerdings an Bereitschaft mangelt, Entscheidungsbefugnisse weitergeben zu wollen.

Bei der Fort- und Weiterbildung hat sich innerhalb der letzten 5 Jahre sehr viel getan, weswegen die Diskussion damaliger Ergebnisse hinfällig wurde. Die Aussagen beförderten neben Erfolgsfaktoren aus einigen Krankenhäusern auch widersprüchliches zutage: Zum einen werden Pflegekräfte aufgefordert, sich weiterzubilden, ihnen wird aber gleichzeitig auch suggeriert, dass es doch keine Priorität hat, wenn wegen Personalmangels Weiterbildungen abgesagt werden.

Zusammengefasst kennzeichnen sich die guten Häuser durch ein Pflegemanagement, das Engagement zeigt, Vertrauen schafft und Verantwortung übernimmt. Durch diese 3 Elemente schafft die pflegerische Leitungsspitze über alle Führungsebenen hinweg, auf der Station Kontrolle darüber zu haben, was in ihrer Pflege geschieht. Die Ergebnisse der attraktiven Krankenhäuser werden bewusst durch Prägungen der Leitungen geschaffen, indem Leadership gezielt gesteuert und eingesetzt wird und damit hohe Zufriedenheitsraten unter dem Pflegepersonal sowie deren Identifikation mit dem Krankenhaus erreicht werden. In den schlechteren Häusern gibt es hingegen – besonders mit ansteigender Größe – viele unterschiedliche Führungsstile, trotz oft übergeordneter Führungsphilosophie und Führungskonzept. Es schien in den Interviews oftmals, dass es den Führungspersonen überlassen zu sein scheint, sich ihren favorisierten Führungsstil herauszusuchen. Um einen potenziellen Negativkreislauf einer Verantwortungsverlagerung auf die immer nächste Führungsebene zu unterbrechen, würde besonders in größeren Krankenhäusern ein transparentes Führungskonzept über alle Ebenen hinweg helfen, weitgehend Kontrolle zu erlangen. Dabei sollten Wege kurz gehalten und versucht werden, sinnvolle Zwischenstufen einzubauen, um aufmerksam für die Belange der Mitarbeiter bleiben zu können (s. H2).

Den in dieser Studie beobachteten Einfluss des Führungsverhaltens auf eine erhöhte Bereitschaft, das Krankenhaus zu verlassen (ob direkt oder indirekt), sowie die Beobachtung, dass Leadership mit Zufriedenheit, Retention und der Qualität der Arbeitsumgebung assoziiert wird, lässt sich auch in der Literatur finden [10, 11, 19, 31]. In einem umfassenden Review haben sich z. B. Cummings et al. zwischen 1985 und 2009 die Auswirkungen verschiedener pflegerischer Führungsstile auf die Pflege und deren Arbeitsumgebung angeschaut [10]. Sie identifizierten unterschiedliche Führungsstile, wie z. B. den aufgabenorientierten Führungsstil („task-focused leadership style“), der mit einer erhöhten Absicht das Krankenhaus zu verlassen assoziiert wurde, sowie den personenorientierten Führungsstil („relationally-focused leadership style“), der mit höherer Zufriedenheit, weniger Fluktuation und emotionaler Erschöpfung, höherer Arbeitsmotivation, besseren Teams sowie einer qualitativ besseren Patientenversorgung assoziiert wurde. Bei dem personenorientierten Führungsstil zeigen die Führungskräfte – ähnlich wie in den attraktiven Krankenhäusern – Empathie, gehen auf Teams und Pflegekräfte ein und schaffen Vertrauen und einen respektvollen Umgang miteinander. Andere Studien entdeckten ebenfalls protektive Zusammenhänge zwischen unterstützender Stationsleitung und den Arzt-Pflege-Beziehungen hinsichtlich Unzufriedenheit, Burn-out (inklusive Angst, emotionaler Erschöpfung und Stress), der wahrgenommenen Qualität von Pflege und Patienten bis hin zu vernachlässigten Pflegetätigkeiten und auftretenden Komplikationen [13, 14, 20, 35]. In den Interviews finden sich auch Hinweise auf eine nachhaltige Teamzusammensetzung als kosteneffektive und relativ einfach umsetzbare Stellschraube.

Dennoch gibt es einschränkend auch externe Faktoren, die bei der Einschätzung der Krankenhäuser zu beachten sind: Ländliche Krankenhäuser sind oftmals strukturell bevorteilt, woraus höhere Sesshaftigkeit der Mitarbeiter hervorgehen kann, einhergehend mit niedriger Fluktuation, überschaubarer Konkurrenz und geringen Besetzungsschwierigkeiten. Hingegen sehen sich Krankenhäuser in Ballungsgebieten oft von hoher Konkurrenz bedroht und haben Schwierigkeiten, geeignete Bewerber zu finden. Die Problematik von ländlichen versus urbanen Strukturen wurde ebenfalls in der internationalen Literatur aufgegriffen und vorgeschlagen, dass Retentions- und Rekrutierungsstrategien flexibel und auf die jeweiligen individuellen Umstände abzielen sollen, um trotz benachteiligter Strukturen die individuelle Arbeitsumgebungsqualität zu erhöhen. In diesem Sinne sollten z. B. ländliche Krankenhäuser bessere Fort- und Weiterbildung anbieten oder Universitätskrankenhäuser am Leadership arbeiten [4].

Limitationen

Die Studie zeigt einige Limitationen auf. Zum einen bildet die Stichprobe aus 7 interviewten Krankenhäuser nur einen kleinen Teil der Krankenhäuser in Deutschland ab. Die Ergebnisse lassen sich allerdings anhand internationaler Evidenz bestätigen und geben daher Anlass zur Annahme, dass sich die identifizierten Strategien auf andere deutsche Akutkrankenhäuser übertragen lassen. Von den 7 untersuchten Krankenhäusern haben 3 seit Ende der RN4Cast-Studie ein neues pflegerisches Führungsmanagement (vorrangig die weniger attraktiven Krankenhäuser), weswegen bei der Zuordnung der Interviewaussagen zu den damaligen Ergebnissen der RN4Cast-Studie abstrahiert werden musste. Es muss auch die Einschränkung erwähnt werden, dass die Krankenhäuser ihre Ergebnisse in der RN4Cast-Studie kannten, allerdings nicht ihre Zuordnung zu attraktiven oder unattraktiven Krankenhäusern, und daher für die Interviews ggf. Erklärungen für schlechte Ergebnisse vorbereitet haben.

Schlussfolgerung

Der Auftrag der Wissenschaft sollte es nicht nur sein – im Sinne einer positiven Wissenschaft – ihrer selbst wegen Zusammenhänge zu erforschen, sondern den gesellschaftlichen Hintergrund der eigenen Forschung im Fokus zu haben [17]. Der vorliegende Artikel sollte dazu beitragen und anhand qualitativer Forschungsmethoden dort ansetzen, wo quantitative Forschung oft an ihre Grenzen kommt, um die in einer Vorstudie erhobenen Befragungsdaten durch Interviews zu validieren und hinterfragen und auf dieser Basis praxistaugliche Erfolgsstrategien abzuleiten.

Zur Sicherung eines leistungsfähigen Gesundheitssystems sowie hochwertiger Patientenversorgung gehört die Sicherung einer leistungsfähigen pflegerischen Arbeitnehmerschaft. Die vorliegende Studie konnte den weitreichenden Einfluss eines zentral gesteuerten Führungsmanagements auf die Wechselabsicht beim Pflegepersonal zeigen. Entscheidungsträger in Krankenhäusern sollten daher Energie darauf verwenden, relationale Führungsstile zu fördern und bei Einstellungen, neben fachlichen Qualifikationen, stärker auf Soft Skills zu achten sowie das bestehende Personal ausreichend zu schulen. Die Ergebnisse zeigen im Einklang mit einschlägiger Literatur, dass die Lösung nicht in einem einzelnen Konzept liegt, z. B. mehr Pflegestellen zu schaffen, sondern in einem Bündel an Maßnahmen, abgestimmt auf die jeweiligen Bedürfnisse der Krankenhäuser. Die Frage, die jedes Krankenhaus individuell beantworten muss ist, ob es bereit ist sich mit der u. U. mühevollen Materie auseinanderzusetzen und an inneren nachhaltigeren Stellschrauben zu drehen oder die Problematik mit kurzfristigen, oft von außen eingekauften Maßnahmen in die Länge zu ziehen.