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Angst stellt ein normalpsychologisches Phänomen dar, das alle Menschen kennen. Sie tritt in Situationen auf, die als bedrohlich erlebt werden. Während und häufig auch vor solchen Situationen treten Angstgefühle auf, verbunden mit körperlichen Symptomen wie Schwitzen, Herzklopfen, „Kloß“ im Hals, Zittern. Unangenehme Gedanken wie „Hoffentlich schaffe ich es!“ oder „Das geht bestimmt schief!“ stellen sich oft ein und verstärken die emotional empfundene Angst weiter. Derartige Angst ist ein Warn- und Alarmsystem, das den Menschen bei drohender Gefahr in einen Zustand der erhöhten Wachsamkeit versetzt. Dies ermöglicht es ihm, sich gegen die Bedrohung besser zur Wehr zu setzen; sie stellt ein angeborenes, physiologisches Reaktionsmuster dar. Angst kann unter bestimmten Bedingungen jedoch auch ein pathologisches Ausmaß erreichen, sich verselbstständigen und damit eine dysfunktionale Bedeutung annehmen. Sie ist dann mit einem übergroßen Maß an subjektiver Beeinträchtigung und Leid verbunden und in der Regel auch mit mehr oder weniger deutlichen Beeinträchtigungen in unterschiedlichen Lebensbereichen (sozial, beruflich). Man spricht dann von einer Angststörung oder -erkrankung.

Diagnostik und Epidemiologie

Diagnostik

In der diagnostischen Einteilung finden sich die Angststörungen in der ICD-10, dem für uns verbindlichen Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation [1], im Abschnitt F4 „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“. Die hier enthaltenen Störungen haben die gemeinsamen Annahme einer bei ihrer Entstehung stärkeren Beteiligung von psychischen/psychologischen Faktoren im Vergleich zu anderen psychischen Störungen. Neben „klassischen Angststörungen“, bei denen phänomenologisch Angstsymptome im Vordergrund stehen, sind auch noch die Zwangsstörungen, Reaktionen auf schwere Belastungsstörungen, dissoziative Störungen sowie somatoforme Störungen in diesem Abschnitt enthalten. Zu den wichtigsten Angststörungen zählen die phobischen Störungen, unterteilt nach Agoraphobie [2], sozialen Phobien (heute auch als soziale Angststörung bezeichnet; [3]) und spezifische Phobien [4]. Weiterhin zählen zu den Angststörungen die Panikstörung [2] sowie die Generalisierte Angststörung (GAS; [5]).

Die Diagnostik von Angststörungen orientiert sich, wie bei anderen Störungen auch, an der Differenzierung zwischen Symptom-, Syndrom- und Diagnoseebene, hat jedoch eine Reihe von Besonderheiten, auf die nachfolgend hingewiesen werden soll.

Symptomebene: Bei den Symptomen der Angststörungen finden sich nicht die „klassischen“ psychopathologischen Symptome aus Merkmalsbereichen wie Wahn, Sinnestäuschungen oder formale Denkstörungen. Vielmehr stehen stärker körpernahe Symptome im Vordergrund (wie Schwitzen, Schwindelgefühle). Neben diesen sind zudem, je nach Subgruppe unterschiedlich relevant, Erleben, Kognitionen und/oder Verhalten von Bedeutung. Bei der Panik/Agoraphobie und spezifischen Phobien sind dies das Vermeidungsverhalten, bei der GAS die Kognitionen (Sorgen), bei der sozialen Phobie soziale Verhaltensaspekte.

Syndromebene: Auf der Syndromebene geht es vor allem um die Schweregradeinschätzung der Symptomatik, allgemein oder störungsspezifisch, meist mithilfe von Ratingskalen. Diese werden im Bereich der Psychiatrie differenziert nach Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren [6]. Da die klinisch relevanten Symptome bei Angststörungen vor allem der Selbstbeurteilung zugänglich sind, kann dieser Bereich hierfür als prototypisch angesehen werden. Zu allen Störungsgruppen existieren meist mehrere Verfahren [7]. In Tab. 1 sind die wichtigsten, auf Deutsch verfügbaren Verfahren aufgelistet. Die Skalen können zur Statusbestimmung (etwa zu Therapiebeginn) als auch im Verlauf zur Erfassung und Bewertung des Therapieerfolges eingesetzt werden [8].

Tab. 1 Angststörungen: Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren

In Bezug auf die Psychotherapie sollte die Diagnostik speziell für die Angststörungen um den Aspekt der therapiebezogenen Diagnostik erweitert werden, also Verfahren einbeziehen, die Informationen für die Therapieplanung, -durchführung und den Verlauf der Therapie liefern [7]. Therapiemanuale enthalten hierzu oft Materialien, wie in Tab. 2 exemplarisch für die soziale Angststörung aufgeführt.

Tab. 2 Angststörungen — therapiebezogene Verfahren und Methoden am Beispiel der sozialen Angststörung

Diagnoseebene: Erste Hinweise auf das Vorliegen einer Angststörung ergeben sich meist bereits aus der spontanen Schilderung der Beschwerden und Symptome im freien klinischen Interview. Hier ist zu beachten, dass Angstsymptome zunächst einmal nosologisch unspezifisch sind, also auch bei einer Vielzahl von anderen psychischen Störungen auftreten können (wie Depression, Schizophrenie). Ein freies klinisches Interview ist aber oft nicht zuverlässig genug, eine Diagnose zu erstellen, sodass strukturierte oder standardisierte Interviews wie das „MINI-International Neuropsychiatric Interview“ (M.I.N.I.) eingesetzt werden können [9]. Diese sind jedoch oft zeitaufwendig und bedürfen eines vorherigen Trainings. Da die Diagnostik von Angststörungen im Wesentlichen auf Selbstaussagen basiert, könnten alternativ die einfacher anwendbaren Checklisten zur Prüfung der diagnostischen Kriterien Anwendung finden. Im deutschen Sprachbereich sind dies die „ICD-10-Checklisten“ (IDCL; [10]). Ergibt sich der Verdacht auf das Vorliegen komorbider Störungen (wie Depressionen), sind allerdings strukturierte oder standardisierte Interviews zu empfehlen. In Abb. 1 und Tab. 3 ist die gegenwärtige Einteilung der Angststörungen gemäß der ICD-10 wiedergegeben.

Tab. 3 Klassifikation der Angststörungen in der ICD-10 [1] sowie weitere Kennzahlen
Abb. 1
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Überblick über die diagnostische Einteilung der Angsterkrankungen nach der ICD-10 [1].

© Volz/Stieglitz

Wenn Angst von Krankheitswert auftritt, sollte zunächst abgegrenzt werden, ob die Symptome an eine bestimmte Situation oder entsprechende Gedanken geknüpft sind (Phobien, unterteilt nach der Situation in Agoraphobie, soziale Phobie und spezifische Phobie) oder unabhängig von bestimmten Situationen, also unvorhersagbar auftreten (Panikstörung oder GAS). Solche zielgerichteten Fragen vermitteln dem Betroffenen bereits, dass es sich bei seiner Erkrankung um eine durchaus bekannte Störung handelt, dass sie abgrenzbar ist, dass der Arzt auch hierüber gut Bescheid weiß und wahrscheinlich helfen kann. Angststörungen sind sehr häufige Erkrankungen, die wichtigsten epidemiologischen Daten fasst Tab. 4 zusammen.

Tab. 4 Wichtigste epidemiologische Kennzahlen der Angsterkrankungen (modifiziert und ergänzt nach [31])

Ein wichtiger Punkt — gerade bei Angststörungen — ist die Komorbidität. Es ist nahezu die Ausnahme, dass der Patient ausschließlich an einer bestimmten Form einer Angststörung leidet. Oft sind weitere psychiatrische Erkrankungen beteiligt, am häufigsten eine (oder mehrere andere) Angststörungen, Depressionen und/oder substanzgebundene Störungen (Tab. 5). Die eventuell vorhandene Komorbidität ist bei der Auswahl der Pharmakotherapie zu berücksichtigen.

Tab. 5 Komorbidität bei Angststörungen (nach [32])

Phobien

Agoraphobie mit und ohne Panikstörung: Als erste Störung bei den Phobien (ICD-10: F40) wird die Agoraphobie (F40.0) aufgeführt. Hierbei werden Menschenmengen, öffentliche Plätze, allein reisen oder Reisen mit weiterer Entfernung von zu Hause als angstvoll erlebt, wobei sowohl körperliche Symptome (wie Schwitzen, Zittern, Herzrasen) als auch psychische Angstsymptome auftreten. Bei schweren Verlaufsformen können zusätzlich Panikattacken, also schlagartig einsetzende heftige Angst mit deutlicher Betonung der körperlichen Symptome auftreten, man spricht dann von einer Agoraphobie mit Panikstörung (F40.01). Das zusätzliche Auftreten von Panikattacken wird als Schweregradparameter verwandt.

Soziale Phobien: Das Auftreten sozialer Phobien (F40.1) ist insbesondere an soziale Situationen wie Reden in der Öffentlichkeit, Begegnung mit Menschen in der Öffentlichkeit gebunden und von bestimmten Angstsymptomen wie Erröten, Zittern oder Angst, zu erbrechen, begleitet. Personen mit derartigen Angststörungen erleben Situationen mit sozialem Aufforderungscharakter respektive deren Antizipation mit starken Angstgefühlen. Soziale Situationen können weiter danach differenziert werden, ob sie sich auf Leistungssituationen wie öffentliches Sprechen oder auf Interaktionssituationen wie einen Partybesuch beziehen.

Spezifische (isolierte) Phobien: Isolierte Phobien (F40.2) beziehen sich auf ein einziges phobisches Objekt oder eine phobische Situation. Hiernach können diese Störungen auch subtypisiert werden (wie Spinnenphobie, Schlangenphobie, Hundephobie, Flug- und Höhenphobie). Angst tritt nur in dieser bestimmten Situation oder bei Antizipation derselben auf.

Angststörungen ohne spezifische Auslösesituationen

Panikstörung: Hauptmerkmal der Panikstörung (F41.0) ist das Auftreten von Panikattacken. Eine Panikattacke ist gekennzeichnet durch ein intensives Gefühl von Angst oder Unbehagen. Sie beginnt abrupt, erreicht innerhalb weniger Minuten ihr Maximum und dauert mindestens einige Minuten an. Daneben müssen vier Symptome, die entweder vegetativ (wie Palpitationen, Herzklopfen, erhöhte Herzfrequenz, Schweißausbrüche, Tremor, Mundtrockenheit), thorakal oder abdominell (wie Atembeschwerden, Beklemmungsgefühl, Thoraxschmerzen/-missempfindungen, Nausea oder abdominelle Missempfindungen), psychisch (wie das Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit, eine Derealisation oder Depersonalisation, Angst vor Kontrollverlust, Angst vor dem Sterben) oder allgemein sind (wie Hitzegefühl, Kälteschauer, Gefühllosigkeit oder Kribbelgefühle), vorhanden sein.

Generalisierte Angststörung (GAS): Die GAS zeichnet sich durch das Auftreten einer Besorgnis, einer diffusen Angst aus, die anders als bei der Panikstörung nicht schlagartig einsetzt und über einen längeren Zeitraum (sechs Monate) fortbesteht. Das klinische Bild ist geprägt von einem ungewissen Gefühl der Anspannung und Besorgnis sowie von Befürchtungen hinsichtlich alltäglicher Ereignisse und Probleme. Die Erkrankung manifestiert sich häufig langsam und schleichend, meist ist ein Zusammenhang mit bestimmten Stress- und Belastungssituationen erkennbar. Die Patienten suchen den Arzt in der Regel später als bei den übrigen Angsterkrankungen auf, dabei stehen anfangs zumeist andere Beschwerden im Vordergrund, wie körperliche Symptome, Depressionen oder Schlafstörungen.

Verlauf

Verglichen mit anderen psychischen Störungen (z. B. Depressionen) zeichnen sich Angststörungen durch einen relativ frühen Krankheitsbeginn aus. Sie können als spezifische Phobien bereits im Kindesalter auftreten. Insgesamt ist die Erstmanifestation einer Angststörung nach dem 40. Lebensjahr relativ selten. Im Geschlechtervergleich treten Angststörungen bevorzugt bei Frauen auf. Unbehandelt zeigen Angststörungen in der Mehrzahl chronische Verläufe; Spontanremissionen sind die Ausnahme.

Psychotherapie

Angststörungen werden seit jeher als prototypische Bereiche des Einsatzes von Psychotherapie angesehen [11]. Historisch gesehen orientierte sich auch die Entwicklung der Verhaltenstherapie vor allem an den Angststörungen. Eine Vielzahl von Psychotherapiestudien in den letzten 50 Jahren konnte vor allem die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) als einen zentralen Therapieansatz belegen. Demzufolge wird die KVT auch in den Richtlinien und Leitlinien als Methode der ersten Wahl in der Behandlung angesehen [12, 13].

Die KVT als eine Art „Rahmenmodell“ macht sowohl bezogen auf die einzelnen Subgruppen als auch im Einzelfall eine individuelle Ausgestaltung des therapeutischen Vorgehens notwendig. Bezogen auf die einzelnen Subgruppen sind jedoch auch gemeinsame Therapiekomponenten vorhanden. Hierzu zählen unter anderem die einzelfallorientierte Therapieplanung und Ableitung von Therapiezielen [14], wie auch die Psychoedukation. Dabei geht es neben der Entwicklung eines individuellen Erklärungsmodells der Störung vor allem um die Information über das Krankheitsbild im Hinblick auf Symptomatik, Verlauf und die möglichen Behandlungsoptionen. Hilfreich eingesetzt werden dabei oft Grafiken wie das Teufelskreismodell bei der Panikstörung [15] sowie die zahlreich vorhandenen Patientenratgeber (Tab. 6).

Tab. 6 Manuale und Therapieleitfäden sowie Patientenratgeber (Beispiele)

Auch wenn die individuelle Therapieplanung von großer Bedeutung ist, spielen hier manualisierte Therapieprogramme eine große Rolle. Darin sind die einzelnen Schritte systematisch dargestellt, also mehr oder weniger standardisiert hinsichtlich der Struktur (z. B. der Therapiephasen), des Ablaufs (wie Anzahl der Sitzungen) und des Inhalts (inklusive Interventionen). In den Anhängen der Manuale finden sich zudem meist therapierelevante Materialien ([16]; zur sozialen Angststörung in Tab. 6), Fallbeispiele erläutern in der Regel anschaulich das therapeutische Vorgehen. Zudem existiert eine Reihe von Therapieleitfäden, die in der Regel weniger stark standardisiert sind. Sie enthalten jedoch ebenfalls Zusammenstellungen therapeutischer Interventionen sowie allgemeine Erläuterungen zu den Störungsbildern (inklusive Diagnostik). In Tab. 6 sind exemplarisch die wichtigsten auf Deutsch verfügbaren Therapieleitfäden aufgeführt.

Unabhängig von den einzelnen Störungsgruppen finden sich in den Manualen und Leitfäden gemeinsame therapeutische Interventionen, wie sie für Angststörungen prototypisch sind, so Konfrontations-/Expositionsübungen, Entspannungsverfahren oder kognitive Techniken [17]. Die psychotherapeutische Behandlung von Angststörungen, die im Einzelsetting, zum Teil aber auch im Gruppensetting möglich ist, kann zudem auf einige zusätzliche Interventionsmöglichkeiten wie Selbsthilfemanuale, Möglichkeiten der virtuellen Realität oder auch Internettherapie zurückgreifen.

Selbsthilfemanuale gehen in ihrer Zielsetzung über Psychoedukation, emotionale Unterstützung und Orientierungshilfe zum Auffinden geeigneter Behandlungsmöglichkeiten hinaus. Sie enthalten konkrete und präzise Anleitungen zur selbstständigen Durchführung von therapeutischen Verfahren und Techniken [18]. Entsprechend der gut belegten Erfolge verhaltenstherapeutischer Verfahren bei Angststörungen finden sich in diesem Bereich besonders viele Angebote (unter anderem isolierte Phobien, Agoraphobie, Panikstörung, GAS, soziale Angst).

Speziell für Angststörungen bietet die virtuelle Realität neue Möglichkeiten. Es handelt sich dabei um Computersimulationen der Realität, die beim Patienten den Eindruck entstehen lassen, in einer virtuellen Welt tatsächlich präsent zu sein [19]. Ausgangspunkt der Entwicklung waren auch hier die Angststörungen, speziell die einfachen Phobien. Metaanalysen konnten zwischenzeitlich die Wirksamkeit belegen. Auch wenn noch nicht alle Probleme gelöst sind (wie etwa die Umsetzung sozialer Situationen), scheinen derartige Strategien die Versorgungssituation verbessern zu können und haben den Vorteil, etwa Expositionsübungen einfacher und genauer planen und vor allem auch einfacher wiederholen zu können [19].

Zu den neueren Entwicklungen, die ebenfalls zur Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgungssituation beitragen könnten, zählt auch die Internettherapie. Wie die virtuelle Realität, wurde die Entwicklung internetbasierter Verfahren durch die technologischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte begünstigt, die unter anderem auch die zunehmend standardisierten Methoden einfacher umsetzbar machten. Unter internetbasierten Interventionen werden nach Berger et al. [20, 21] alle psychosozialen Angebote subsummiert, die über Internetplattformen das Ziel verfolgen, Patienten bei der Bewältigung psychischer Probleme zu helfen (zu Problemen siehe [22]). Zwischenzeitlich lassen sich Unterscheidungen treffen hinsichtlich der Inhalte (etwa Internet-based cognitive-behavioral therapy), Art der Kommunikationsmittel (wie E-Mail) oder der Interventionsformate (wie angeleitete Selbsthilfeansätze). Von Berger et al. [23] wurde zum Beispiel ein aus acht Modulen bestehendes webbasiertes Selbsthilfeprogramm zur Behandlung verschiedener Angststörungen vorgeschlagen. Dabei sind die Inhalte und Interventionen ähnlich den traditionellen Vorgehensweisen.

Auch wenn für die virtuelle Realität und die Internettherapien inzwischen hinreichend Wirkungsnachweise vorliegen [19, 20, 22], ist die umfassende Implementierung im klinischen Alltag noch unbefriedigend.

Pharmakotherapie

Phobien

Agoraphobie mit und ohne Panikstörung: Für die isolierte Agoraphobie existieren keine medikamentösen Strategien mit nachgewiesener Wirksamkeit. Für die Agoraphobie mit Panikstörung gelten dieselben pharmakotherapeutischen Prinzipien wie bei der Behandlung der Panikstörung. Aus diesem Grunde wird auf die Ausführungen dort verwiesen.

Soziale Phobie: Für die soziale Phobie kommen in erster Linie Behandlungsansätze mit einem SSRI (selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer: Paroxetin oder Escitalopram), einem SSNRI (selektiver Noradrenalin- und Serotoninwiederaufnahmehemmer: Venlafaxin) oder mit einem reversiblen und selektiven Hemmer der Monoaminoxidase A (RIMA: Moclobemid) infrage. Bei allen Wirkstoffen handelt es sich um Antidepressiva. In Tab. 7 sind die wichtigsten Parameter dieser Medikamente dargestellt.

Tab. 7 Pharmaka zur Behandlung von Angststörungen

SSRI und SSNRI sind, besonders in der Initialphase der Behandlung, bei einem Teil der Patienten durch ein Cluster von Nebenwirkungen gekennzeichnet, bestehend aus gastrointestinalen Nebenwirkungen (Magendrücken, Magengrummeln, Übelkeit, selten auch Erbrechen) sowie Unruhe und Nervosität (auch als serotonerge Nebenwirkungen bezeichnet). Insbesondere wenn die Patienten im Vorfeld der Behandlung nicht über diese möglichen Nebenwirkungen aufgeklärt worden sind (eine generelle Problematik bei der Pharmakotherapie aller Angststörungen), können diese initialen Nebenwirkungen von den Betroffenen als eine Zunahme der Angstsymptomatik missinterpretiert werden, was Compliance-Probleme nach sich ziehen kann.

Die Behandlung sollte langfristig über Jahre hinweg angelegt werden, dies ist eine für sämtliche Angststörungen gültige Regel. Sind dann die Symptome zufriedenstellend stabil kontrolliert, kann ein vorsichtiger, schrittweiser Reduktions- und anschließend Absetzversuch über mehrere Monate unternommen werden.

Spezifische (isolierte) Phobien: Für spezifische (isolierte) Phobien liegen keine systematischen Untersuchungen hinsichtlich einer geeigneten Pharmakotherapie vor. In der Regel ist auch keine Pharmakotherapie notwendig, da die klassische Verhaltenstherapie schon nach wenigen Sitzungen häufig sehr gute Erfolge zeigt.

Sonstige Angststörungen

Panikstörung: Bei leichteren Panikstörungen empfiehlt sich die langsam einschleichende Monotherapie mit einem Antidepressivum (am geeignetsten erscheinen Citalopram, Escitalopram und Venlafaxin). Bei schwereren Panikstörungen mit der Notwendigkeit einer raschen Symptomlinderung oder bei deutlichen initialen serotonergen Nebenwirkungen durch die genannten Medikamente kann primär mit einem Benzodiazepin wie Alprazolam, 1 – 4 mg/Tag, komediziert werden. Zur Dauer einer Pharmakotherapie bei einer Panikstörung liegen nur wenige Daten vor. Alles in allem gelten dieselben Regeln wie schon bei der sozialen Phobie dargestellt.

Generalisierte Angststörung (GAS): Zu den Medikamenten der ersten Wahl bei der Behandlung der GAS zählen SSRI, SSNRI sowie der Kalziumkanalmodulator Pregabalin. Es liegen auch gute Evidenzen für die Wirksamkeit von Benzodiazepinen (Diazepam, Alprazolam) sowie für das Azapyron Buspiron, den Sigmaliganden Opipramol und das Antihistaminergikum Hydroxizin vor. Somit haben wir als Substanzklassen Antidepressiva (trizyklische Antidepressiva [Imipramin], SSRI [Escitalopram, Paroxetin], SSNRI [Venlafaxin]), ein primäres Antikonvulsivum (Pregabalin), Benzodiazepine (Diazepam, Alprazolam) sowie Opipramol und Hydroxizin. Wie diese Aufzählung verdeutlicht, liegen für die GAS die meisten unterschiedlichen psychopharmakologischen Behandlungsansätze aller Angsterkrankungen vor.

Therapieresistenz

Bevor von Therapieresistenz gesprochen wird, ist eine sogenannte Pseudotherapieresistenz, ähnlich wie bei der Behandlung einer Depression, auszuschließen [24]. Wichtige Gründe für eine Pseudotherapieresistenz sind

  • eine zu niedrige Dosierung beziehungsweise zu niedrige Plasmaspiegel der verwendeten Substanz. Hauptursachen hierfür sind eine mangelnde Einnahmezuverlässigkeit des Patienten und/oder ein besonderer Metabolisierungsstatus (Ultra rapid metabolizer insbesondere für CYP2C19 und/oder 2D6).

  • Komorbide Erkrankungen: Hierbei sind psychiatrische Komorbiditäten (wie Persönlichkeitsstörung, Depression, Substanzabhängigkeit) von somatischen Komorbiditäten (etwa Hyperthyreose, Herzrhythmusstörungen) zu unterscheiden.

Liegt nach vier bis sechs Wochen kein ausreichender Therapieerfolg vor und ist eine Pseudotherapieresistenz ausgeschlossen, kann, wie in der antidepressiven Pharmakotherapie, auf die Substanz einer anderen Klasse gewechselt werden [12, 24].

Das weitere Vorgehen ist kaum durch Studien abgesichert, sondern zieht vor allem Einzelfallbeobachtungen und kleine Fallserien heran.

Zunächst kann Psychotherapie, falls nicht schon früher geschehen, zusätzlich durchgeführt werden. Für die soziale Phobie konnte eine große Studie [25] zeigen, dass die Hinzugabe des Benzodiazepins Clonazepam zu einer bestehenden Sertralin-Therapie zwar nicht zu einer erhöhten Response- oder Remissionsrate im Vergleich zu Placebo führte, allerdings wurde unter anderem die Symptomschwere abgemildert.

Bei der Panikstörung zeigt sich ein Trend zur Augmentation einer bestehenden SSRI- oder SSNRI-Therapie mit einem atypischen Antipsychotikum (in erster Linie Olanzapin oder Risperidon) [24].

Bei der GAS kann bei bestehender SSRI-/SSNRI-Therapie eine Augmentation mit Pregabalin versucht werden [24]. Jedoch ist ein Wechsel von der SSRI-/SSNRI- zur Pregabalin-Gabe zu überlegen, da SSRI und SSNRI wie auch Pregabalin eine Zulassung für Pharmakotherapie dieser Störung besitzen. Im Gegensatz dazu haben Quetiapin und Agomelatin hier keine Zulassung, aber eine gute Datenlage, sodass auch ein (Off-label-)Therapieversuch mit diesen Substanzen bei einer Therapieresistenz gerechtfertigt erscheint.

Rückblick und Ausblick

In der Diagnostik der Angststörungen hat sich seit Einführung der ICD-10 im Jahre 1992 nichts verändert. Nun steht die Einführung der ICD-11 im Jahre 2022 an. Hier werden sich einige grundlegende Veränderungen ergeben: Die bisher im Abschnitt F4 „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ enthaltenen Angststörungen werden in einem neuen, eigenen Bereich zusammengefasst, mit den gemeinsamen Merkmalen Angst und Furcht („Anxiety and fear-related disorders“). Einbezogen werden hier auch Störungen aus dem Kinder- und Jugendbereich. Zudem finden sich bei einigen Störungen inhaltliche Änderungen. Trotz dieser Änderungen wird eine Adaptation der vorhandenen diagnostischen Instrumente unproblematisch sein.

In der Psychotherapie, dem unverändert klassischen Bereich der KVT bei Angststörungen, sind einige innovative Weiterentwicklungen erkennbar (internetbasierte Intervention, virtuelle Realität), deren Implementierung in die klinische Praxis jedoch noch aussteht.

Bei der Pharmakotherapie war in den vergangenen Jahren die größte Neuerung die Zulassung von Pregabalin für die Pharmakotherapie der GAS. Für retardiertes Quetiapin und auch für Agomelatin liegen hier zwar überzeugende Studien vor, beide Substanzen wurden allerdings aus grundlegenden Überlegungen nicht für die Pharmakotherapie der GAS zugelassen. Insofern sind in den vergangenen beiden Jahrzehnten wesentliche Innovationen ausgeblieben. Das Feld der therapieresistenten Angststörungen wurde kaum systematisch beforscht, sodass hier deutliche Wissenslücken vorhanden sind, insbesondere zum strukturierten, evidenzbasierten Vorgehen.

Für die Zukunft wäre es wünschenswert, dass die Kombination zwischen Psycho- und Pharmakotherapie systematisch evaluiert wird, um so zu sinnvollen Kombinationsmöglichkeiten zu gelangen.

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Prof. Dr. med. Hans-Peter Volz

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Prof. Dr. phil. Rolf-Dieter Stieglitz

CME-Fragebogen

Angststörungen — Diagnostik, Psycho- und Pharmakotherapie

Welche Symptombereiche spielen bei Angststörungen kaum eine Rolle?

Körpernahe Symptome

Erlebenssymptome

Verhaltenssymptome

Formale Denkstörungen

Kognitionen

Welche diagnostische Verfahrensgruppe spielt bei Angststörungen die größte Rolle?

Fremdbeurteilungsverfahren

Verhaltensbeobachtungen

Selbstbeurteilungsverfahren

Diagnostische Interviews

Checklisten

Welche psychotherapeutischen Techniken spielen in der Behandlung der Angststörungen die größte Rolle?

Systemische Techniken

Tiefenpsychologische Techniken

Gesprächspsychotherapeutische Techniken

Kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken

Schematherapeutische Techniken

Welche therapeutische Intervention ist nicht prototypisch für die Behandlung der Angststörungen?

Konfrontationstechniken

Entspannungstechniken

Kognitive Techniken

Psychoedukation

Traumdeutung

Welche Ansprüche hat eine Psychoedukation nicht ?

Information über die Symptomatik

Entwicklung eines Erklärungsmodells

Ersatz einer Psychotherapie

Information über den Verlauf der Erkrankung

Information über Behandlungsmöglichkeiten

Welche Antidepressiva sind für die Pharmakotherapie von Angststörungen am besten geeignet?

Alle Antidepressiva

Nur trizyklische Antidepressiva

SSRI/SSNRI

Bupropion

Tranylcypromin

Mit welcher Tagesdosis von Escitalopram wird eine Generalisierte Angststörung behandelt?

Maximal 5 mg

10 – 20 mg

20 – 40 mg

Maximal 10 mg

Immer mindestens 20 mg

Welche Medikamente weisen eine gute Datenlage zur Behandlung der Generalisierten Angststörung auf, sind aber nicht in dieser Indikation zugelassen?

Tranylcypromin

Risperidon und Aripiprazol

Bupropion und Moclobemid

Tianeptin

Quetiapin retard und Agomelatin

Welche Aussage ist richtig?

Nur für die Pharmakotherapie der Panikstörungen sind Medikamente zugelassen.

Nur für die Pharmakotherapie der Generalisierten und der sozialen Angststörung sind Medikamente zugelassen.

Für die Pharmakotherapie der Panikstörung, der sozialen Angststörung und der Generalisierten Angststörung sind Medikamente zugelassen.

Für die Pharmakotherapie spezifischer Phobien ist eine Reihe von Medikamenten zugelassen.

Für die Pharmakotherapie der Generalisierten Angststörung gibt es keine zugelassenen Medikamente.

Welche Dosisangabe für die Pharmakotherapie von Angststörungen ist richtig?

Pregabalin nie höher als 100 mg/Tag

Venlafaxin mindestens 100 mg/Tag

Die Duloxetin-Maximaldosis für die Generalisierte Angststörung ist 60 mg/Tag.

Die empfohlene Tagesdosis für Sertralin für die Behandlung der sozialen Angststörung ist 50 – 150 mg.

Opipramol besitzt keine Zulassung für die Pharmakotherapie der Generalisierten Angststörung.