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Dr. med. Bernd Oliver Maier MSc, St. Josefs-Hospital, Medizinische Klinik III, Wiesbaden

_ Die Palliativversorgung ist nur dann erfolgreich, wenn die einzelnen Behandlungsschritte und -wege möglichst gut verknüpft und abgestimmt werden. Flexibilität und Kreativität sowie Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit sind umungänglich. Ziel der S3-Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“ war es, neben der Beschreibung situationsunabhängiger, immer gültiger Grundsätze der Palliativversorgung auch Fragen nach der Wirksamkeit spezifischer Versorgungsstrukturen zu beantworten [1].

Grundsätze der Palliativversorgung

Komprimiert in zwei Statements und sechs Empfehlungen wird die grundsätzlich einzunehmende Haltung skizziert, um unabhängig vom eigenen Tätigkeitsschwerpunkt, Spezialisierungsgrad oder der Berufsgruppenzugehörigkeit Patienten in der Palliativsituation zu begleiten und zu behandeln. Die Lebensqualität der Betroffenen wird als das wichtigste Therapieziel benannt, und die Selbstverpflichtung zur multiprofessionellen und interdisziplinären Kooperation betont.

Es gibt konkrete Empfehlungen, wie jeder Einzelne seine Rolle im multiprofessionellen und interdisziplinären Palliativversorgungskonzept gut ausfüllen kann. Wichtige Voraussetzung dafür ist es, den betroffenen Patienten und seine Angehörigen als Menschen in ihrer physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Dimension wahrzunehmen. Dabei gilt es insbesondere, respektvoll mit ihren Wünschen, Vorstellungen und Entscheidungen umzugehen, Sorgfalt und Transparenz in Fragen der weiteren Diagnostik und Indikationsstellung walten zu lassen sowie den Themen Sterben, Tod und Trauer in angemessener Weise Raum zu geben.

Die Bereitschaft der im Palliativfeld Tätigen, sich selbst aktiv weiterzuqualifizieren, aber auch Selbstfürsorge zu praktizieren, gehört ebenso dazu wie die Empfehlung, zur Erfolgskontrolle der Palliativversorgung patient reported outcomes (Instrumente zur Erfassung als Patientenselbstauskunft) einzusetzen. Diese Grundsätze bilden das Fundament der Palliativversorgung.

Flexibilität und Kreativität sind unumgänglich

Palliativmedizinische Versorgungsstrukturen

Palliativmedizinische Versorgungsangebote sollen in ihrer Gesamtheit garantieren, dass allen Patienten, die mit der Diagnose einer unheilbaren Krebserkrankung konfrontiert sind, zu jedem Zeitpunkt eine verlässliche Unterstützung gewährt wird. Es muss ein Repertoire von Versorgungsangeboten bestehen, das nach Versorgungsintensitäten abgestuft, variabel vom Ort der Leistungserbringung (stationär oder ambulant) und variabel vom Zeitpunkt der Einbeziehung den Bedürfnissen gerecht werden soll. Eine gute Koordination all dieser Angebote ist von zentraler Bedeutung (Abb. 1).

Abb. 1
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Behandlungspfad für Patienten und Angehörige

Mod. nach [1]

Der individuelle Versorgungsbedarf ist systematisch zu erfassen. „Bei Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung soll die Komplexität der Situation wiederholt eingeschätzt werden; dies schließt ein: die Patienten- und Angehörigenbedürfnisse [in der physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Dimension], den Funktionsstatus des Patienten und die Krankheitsphase“ [1].

Komplexität beschreibt dabei das Nebeneinander und Ineinanderwirken unterschiedlicher Belastungen. Als Beispiel sei die Schmerzbelastung zweier Patienten angeführt, die von der Intensität und dem Muster her vergleichbar ist. Der eine wohnt gut sozial eingebunden bei seiner tatkräftigen Familie im Haus, die ein 24-stündiges Präsenzsystem etabliert hat, um schnell bei Schmerzspitzen intervenieren zu können. Der andere wohnt alleine mit seiner dementen Ehefrau, die teilweise die Medikamente der Eheleute durcheinander bringt. Es ist klar, dass sich die Komplexität der beiden Fälle erheblich unterscheidet und die isolierte Erfassung der Schmerzbelastung allein keine ausreichende Bedarfsanalyse der Betroffenen erlaubt.

Anhand der Bedürfnisse und der Komplexität lässt sich klären, ob der Situation des Betroffenen mit allgemeiner (bei niedriger oder mittlerer Komplexität) oder spezialisierter Palliativversorgung (bei hoher Komplexität) am besten entsprochen werden kann. Entsprechend wird ein Betreuungs- bzw. Behandlungsangebot formuliert und bei Zustimmung des Patienten umgesetzt.

Breites Angebot in Deutschland

Angeboten werden in Deutschland sowohl stationäre als auch ambulante Interventionen der allgemeinen (APV) und spezialisierten Palliativversorgung (SPV) (Abb. 1). Kennzeichen der APV sind z. B., dass Behandelnde ihr Haupttätigkeitsfeld nicht in der Palliativversorgung haben, eine niedrige bis mittlere komplexe Patientensituation besteht und daher keine spezifischen strukturellen Voraussetzungen benötigt werden. Bei der SPV sind die Behandelnden besonders qualifiziert, haben ihr Tätigkeitsfeld ausschließlich oder überwiegend in der Palliativversorgung, sind in Teamstrukturen eingebunden und gewährleisten eine 24-h-Erreichbarkeit. Die Leitlinie empfiehlt, dass „ein SPV-Kernteam aus Mitgliedern von mindestens drei Berufsgruppen (Arzt, Pflege, weitere Berufsgruppe) bestehen soll, von denen zumindest Arzt und Pflege die spezialisierte palliativmedizinische Qualifikation aufweisen“ (A/1-) [6, 12, 16, 17, 19, 20, 21].

Die Unterscheidung zwischen APV und SPV darf aber nicht als Differenzierung zwischen guter und schlechter Versorgung verstanden werden. Sie dient vielmehr dazu, den Aufwand für eine angemessene Behandlung darzustellen.

Nach einem vereinbarten Zeitraum muss der Erfolg der Intervention kontrolliert und je nach Ergebnis die Behandlungsintensität (allgemein oder spezialisiert) angepasst werden. Dieses mehrschrittige Modell garantiert eine koordinierte Planung der Versorgung.