1 Einleitung

Städte, aber auch ländliche Regionen sind durch globale Güter-, Kapital- und Zeichenströme in einen permanenten Fluss geraten (Brenner 1997; Hall/Hesse 2013) und scheinen dadurch ihrer Eigenart entkleidet zu werden: Das Städtische wuchert in den ländlichen Raum und implodiert zugleich im Inneren, lässt mal im Kern Leere entstehen, mal in der Peripherie Zentren wachsen. Die Ränder verdichten sich, das Urbane und Rurale wird transnational rekonfiguriert, Metropolregionen, entleerte Räume, schrumpfende Städte und boomende Stadtregionen lösen Differenzen nicht nur sprachlich und kulturell auf, sondern verschmelzen auch in Bau- und Siedlungsstrukturen, Architekturen und Fachkategorien (vgl. Sieverts 1997; Kurath 2011; Heiler 2013). Welche Bedeutung hat die Vermischung ehemals typisierbarer Unterschiede von Stadt und Land hin zu regionalen StadtLandschaften für die lebensweltliche Raumerfahrung? Verschmelzen mit ihr auch die einst so unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven, so dass die Unterscheidung von Stadt und Land im Zuge von Homogenisierungsprozessen obsolet wird? Oder werden weiterhin auseinander laufende Raumdynamiken wirksam, die fragmentierend auf die Raumerfahrung wirken?

Raumforschung und Raumtheorie befassen sich mit dem Hybriden – Zwischenstadt, StadtLandschaften, „Rurbanism“. Der Befund ist nicht neu. Die sozialwissenschaftliche Raumtheorie ist geradezu bewegt von der Erfahrung fluider Grenzen und strittiger Abgrenzungskonzepte. Viele diskursprägende Autoren nehmen die wachsende Homogenisierung sozialer Räume seit den 1970er Jahren zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen (beispielsweise Henri Lefebvre, David Harvey, Manuel Castells, Edward Soja). Anders als die jüngere deutsche Raumsoziologie, in der räumliche An-Ordnungen und Platzierungsprozesse (spacing) wesentlich als Ergebnis einer raumkonstitutiven Praxis in der Dualität von Raumhandlung und Raumstruktur begriffen werden (Löw 2001), geht es in der materialistisch geprägten Raumtheorie um die wirtschaftliche Determiniertheit von Räumen und Raumrelationen: Die moderne Raumproduktion wird in ihrer Prägung durch globale Kapitalströme und ein zunehmend finanzgetriebenes Akkumulationsregime mit zugleich homogenisierenden und fragmentierenden Wirkungen untersucht. Ihr Verlauf wird damit weniger als Resultat der planerischen Gestaltung und kulturellen Aneignung denn als Produkt einer rastlosen Verwertungslogik interpretiert.

Vor diesem Hintergrund verstehe ich unter regionalen StadtLandschaften bauliche und kulturelle Mischwesen, in denen sich unter postindustriellen Bedingungen die Merkmale des städtischen und ländlichen Raums jenseits der überkommenen Raumkategorien vermischen.Footnote 1 Baulich wird es schwieriger, zwischen hoch verdichteten Gebieten mit eher vertikal orientierter Bebauung und wenig Freiräumen auf der einen und gering verdichteten Gebieten mit horizontal orientierter Bebauung und höherem Freiraumanteil auf der anderen Seite zu unterscheiden. Und gesellschaftlich sind ländliche Gebiete längst vom Nebeneinander individualisierter und kulturell gleichgültiger Bürgerinnen und Bürger geprägt, so dass traditionelle Rollen, Rhythmen und Biographien in den Hintergrund treten (Schmied 2005b: 161), während in urbanen Räumen der Wunsch nach „Verdörflichung“ und „Regrounding“ keimt (Rauterberg 2013: 73). So kommt es, dass ‚Verstädterung‘ als Folge globalisierter Akkumulations- und Konsumregime entsteht und doch lokal zu ortsspezifischen Raumerfahrungen und Raumaneignungen führt. Weil die raumbezogene Transformationsforschung seit jeher von Verschränkungen zwischen gebauten Infrastrukturen, räumlichen Handlungsarenen und soziokulturellen Symbol- und Deutungsmustern ausgeht, kann die folgende Betrachtung hybrider Raummuster als regionale StadtLandschaften von den gleichen kritischen Analyse- und Gestaltungsperspektiven profitieren, die auch die Auseinandersetzung mit urbanen Protestbewegungen und Transformationsinitiativen inspirieren (Mayer 2013; Hahne 2014).

Ziel der Diskussion in diesem Beitrag ist es, die Dynamiken einer postindustriellen Raumproduktion nachzuzeichnen und zwar aus der Perspektive lebensweltlicher Erfahrungen, die für Henri Lefebvre „den Zusammenhang zwischen der Ökonomie und der Lebenspraxis“ bilden (Ronneberger 2014: I). Dazu wird eine Typologie postindustrieller Raumerfahrungen entworfen. Sie soll zum einen verdeutlichen, dass die alten Unterschiede von Stadt und Land in regionalen StadtLandschaften durch neue Unterschiede überformt werden. Zum anderen soll sie helfen, die Bedeutung lokaler, ortsbezogener Transformationsinitiativen und ihrer Motive mit Bezug auf die zugrunde liegenden Raumerfahrungen besser einschätzen zu können. Denn während Politik und Verwaltung den postindustriellen Dynamiken immer weniger entgegenzusetzen haben, lassen sich jenseits der politisch-administrativen Befassung mitunter Ansätze ihrer Problematisierung aus lebensweltlicher Perspektive beobachten. Sie machen Konflikte um Raumentwicklung und alternative Perspektiven auf Raumpraxen diskutabel. Der Wert der vielfältig inszenierten Gegenräume lässt sich im Rückgriff auf die typisierten Muster der Raumerfahrung besser beurteilen: Ihre administrativ teils nur zugelassenen, teils auch unterstützten Raumexperimente unterlaufen die Diagnose der „postpolitischen Stadt“ (Swyngedouw 2013), derzufolge Stadt- und Regionalentwicklung in einen Verwaltungsmodus der „organisierten Unverantwortlichkeit“ (Blühdorn 2013: 265) gedrängt seien und nolens volens Partizipationsprozesse zu affirmativen Veranstaltungen der Akzeptanzbeschaffung vereinnahmen, ohne urbane Konflikte und Gegensätze sichtbar zu machen (Swyngedouw 2013; Kropp 2013).

Demgegenüber entstehen in den kreativen Nischen von regionalen StadtLandschaften „gelebte Räume“, die als alltagspraktische Imagination und innovative Umkodierung der gesellschaftlichen Raumproduktion durch „Selbstorganisation“ (Matthiesen 2013: 154) lesbar werden. Beispielsweise reagieren urbane Landwirtschaft und Gemeinschaftsgärten in der Stadt oder offene Werkstätten, Bürgerenergiegenossenschaften und Kulturzentren auf dem Land als lokale Ansätze der Ortsgestaltung und der widerständigen Raumproduktion auf die postindustriellen Typen der Raumerfahrung. Sie stellen bewusst die gegebenen Raumkategorien (wie beispielsweise „Zentren“, „Ergänzungsräume“, „Verflechtungsräume“, „Peripherien“) und die mit ihnen einhergehenden Bewertungsschemata infrage. Stattdessen bemühen sie sich um eine Sichtbarmachung lebensweltlicher Raumerfahrungen und zumindest punktuell um deren künstlerische oder subkulturelle Repräsentation und Mitgestaltung. Wenn man so möchte, geht es um eine ortsbasierte Erfindung „dritter Räume“ (Soja 1996).

Um die Forschung für solcherlei ortsbasierte Formen der zivilgesellschaftlichen Raumaneignung zu sensibilisieren, sondiert das nachfolgende Kap. 2 die Strukturmuster der postindustriellen Raumproduktion, denen sich eine per se grenzenlos gewordene Verstädterung als Lebensstil wie als Raummuster verdankt. Besondere Aufmerksamkeit liegt dabei auf Homogenisierungs- und Fragmentierungsprozessen, die Unterschiede einebnen und mit der gleichen Wucht verursachen. Deshalb skizziere ich im dritten Kapitel im Rückgriff auf die von Henri Lefebvre geprägte Raumtheorie vier unterschiedlich wirksam werdende Raumdynamiken – Homogenisierung, Polarisierung, Fragmentierung und Diversifizierung – und im vierten Kapitel deren mögliche alltägliche Erfahrung. Diese Skizze geschieht anhand einiger neu geordneter Raumbeschreibungen aus der Fachdebatte sowie aufgrund empirischer Befunde aus Gruppendiskussionen und Interviews, die ich im letzten Jahrzehnt im Rahmen von Forschungsprojekten zum Umgang mit den gesellschaftlichen Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung ausgewertet habe.Footnote 2 Die Entwicklung von Mustern der Raumerfahrung jenseits planerischer und wirtschaftlicher Aufmerksamkeitskriterien soll im Sinne einer Forschungsperspektive dazu beitragen, die Raumforschung für die weitgehend unsichtbar bleibenden, ‚gelebten Räume‘ zu sensibilisieren, in denen Gewinner und Verlierer der postindustriellen Raumproduktion mit alternativen Formen der Raumaneignung experimentieren. Sie ergänzen die objektiven Kriterien der Raumbeobachtung, wie beispielsweise Bevölkerungswachstum, Flächenverbrauch und Beschäftigungsentwicklung, um subjektive Beobachtungsdimensionen mit einem stärkeren Fokus auf Handlungsspielräume und Lebensqualität (vgl. Kühnel 2014: 178).

2 Raumproduktion in der postindustriellen Moderne

(Europäische) Städte sind seit jeher Orte der Projektion und Realisierung vielfältigster Möglichkeiten. Im Selbstverständnis heben sie sich selbstbewusst als ein Reich der Freiheit von den Notwendigkeiten ländlicher Zwänge ab. Sie lassen sich in ihrer geschichtlichen Entstehung und als Bezugsraum des Politischen meist gut rekonstruieren. Dabei erscheinen sie sowohl als Stein gewordenes Ergebnis der historischen Nutzung topographisch gegebener Möglichkeiten als auch als Verkörperung je geltender Vorstellungen, wie die gesellschaftliche Ordnung im Raum auszusehen hat. Sie können gleichermaßen Kontroll- und Herrschaftsvisionen zum Ausdruck bringen wie Projektionsraum für neue Gesellschaftskonzepte sein und sie sind der moderne Kristallisationspunkt ökonomischer Entwicklung, sozialer Integration und ökologischer Emanzipation – mit allen damit verbundenen Zukunftsfragen.

Landschaften entstehen hingegen als Ergebnis einer sinnlich-ästhetischen Auffassung. Sie scheinen sich dem Gestaltungsanspruch eher zu entziehen und wirken durch ihre naturräumliche Prägung gegenüber Städten und Stadtprojekten als sekundär und beständig. Sie verkörpern noch heute Braudels „Trägheit des Raums“ (Piltz 2008: 84) gegenüber modernen Mobilisierungs- und Managementphantasien. Nicht zuletzt deshalb genießen sie geringere planerische Aufmerksamkeit.

Regionale StadtLandschaften als Stadt-Land-Hybride vermischen konzeptionell beide Potenzialitäten: Wir sehen sie als das Ergebnis eines uneindeutigeren Zusammenwirkens von gesellschaftlichen und natürlichen, geplanten und unplanbaren, endogenen und exogenen Kräften (Megatrends), die nicht als typisch ‚städtisch‘ oder ‚ländlich‘ unterschieden werden können, aber polyvalent sind (vgl. Kühne 2012: 149). Seit Lefebvres diskursprägender Schrift „La Production de l’Espace“ (Lefebvre 1974) konzeptualisiert eine daran orientierte Raumtheorie sie als Ergebnis von gesellschaftlichen Produktions- und Austauschverhältnissen, in denen vormoderne Unterscheidungen und Traditionen kaum noch Bedeutung besitzen. Stattdessen schreiben sich immer stärker Konsummuster mit ihren alltäglichen Raumpraktiken in sie ein, und wo diese infrage gestellt werden, können auch utopische Ansprüche zum Vorschein kommen (Lefebvre 2014 [1970]Footnote 3). StadtLandschaften sind selten expliziter Gegenstand der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung, womit der hier verwendete Begriff von den Anstrengungen abzugrenzen ist, die sich auf die Errichtung städtischer Parks bzw. auf die Freiraumgestaltung beziehen. Wie entstehen sie dann?

Im Folgenden werden die Merkmale der postindustriellen Raumproduktion und die mit ihnen einhergehenden Bedingungen der Raumerfahrung sondiert. Dafür beziehe ich mich auf die Theorie sozialer Räume nach Lefebvre (1974), dem die Unterscheidung in ländliche und städtische Räume angesichts des weltweit gesellschaftsprägenden Prozesses der Urbanisierung im Zuge des modernen „Neu-Kapitalismus“Footnote 4 nicht länger fruchtbar erschien. Vielmehr sah Lefebvre die globale Urbanisierung „aus der Industrialisierung“ einen neuen Gesellschaftstyp hervorbringen – die moderne „verstädterte Gesellschaft“ (Lefebvre 2014: 7).Footnote 5 In ihr verschwinden die Dichotomien städtischer und ländlicher Lebens- und Wirtschaftsweisen, aber auch die Unterschiede zwischen einzelnen Städten und Regionen aufgrund einer entfremdenden Dynamik, die zugunsten der immer schnelleren Zirkulation des Kapitals möglichst alle räumlichen Hindernisse beseitigt und – wie David Harvey im Hinblick auf entsprechende Infrastrukturen präzisiert (spatial fix) – „der Kapitalakkumulation den Boden bereitet“ (Harvey 2005: 35; vgl. Harvey 1985). Diese Infrastrukturen und ihre Verknüpfung mit übergeordneten Finanz- und Produktionsnetzwerken sind jedoch räumlich ungleich verteilt bzw. verdichtet. Um die durch ungleiche Infrastrukturen erzeugte, merkwürdige Gleichzeitigkeit von einerseits globalen Homogenisierungstrends und andererseits sich verschärfenden räumlichen Trennlinien als Hintergrund für zivilgesellschaftliche Rauminnovationen zu verstehen, greife ich im zweiten Schritt auf die zweidimensionale Betrachtung räumlicher Entwicklungspfade von Klein/Fontan/Tremblay (2009) zurück.

Die triadische Raumkonzeption von Lefebvre (1974) eignet sich besonders, um das Phänomen regionaler StadtLandschaften als Produkt globaler Akkumulationsregime zu betrachten und dabei die Wechselwirkung von ‚wahrgenommenen‘, ‚konzipierten‘ und ‚gelebten‘ Räumen in Mustern der Raumerfahrung in den Blick zu nehmen. Der französische Philosoph konzipierte „(sozialen) Raum“ als ein „(soziales) Produkt“ (Lefebvre 1991: 26), dessen gesellschaftliche Erzeugung sich in je kontextspezifischen, wechselseitig konstituierenden Raumpraktiken, Raumrepräsentationen und Repräsentationsräumen untersuchen ließe. Die rekonstruierten raum-zeitlichen Konfigurationen geben Aufschluss über die Gesellschaft in ihrer Geschichtlichkeit und Temporalität sowie über ihren Wandel (Schmid 2005: 329).

Bezugsgröße des Verstehens der modernen Gesellschaft ist für Lefebvre also nicht länger die Stadt als politischer Ideengeber oder als Antriebsmotor der fordistischen Produktion, der das Land nachläuft und die Landschaft konsumiert, sondern die moderne Raumproduktion (la production de l’espace), wenn man so möchte: die Analyse von StadtLandschaften. Raum betrachtet er dabei weder als vorgängige Ressource, (nur) als Produktionsmittel oder als räumlichen Container sozialer Verhältnisse noch als reine Projektionsfläche gesellschaftlicher Konflikte. Vielmehr versteht er Raum als das stets veränderliche, gesellschaftliche Produkt einer synthetischen Trias des materiell Gemachten, konzeptionell Verwalteten und utopisch Imaginierten (vgl. Dünne 2006: 297 f.). Die so gefassten Konfigurationen räumlicher Praxis, Repräsentation und Imagination (siehe unten) wirken ihrerseits auf die Gesellschaft zurück und markieren ihren Wandel. Demgegenüber kritisiert Lefebvre raumordnende Begrifflichkeiten wie die Unterscheidung in das Urbane, Peri-Urbane und Periphere als hierarchisierende Verwaltungskonzepte einer ‚kapitalistisch-affirmativen‘ Raumplanung. Sie stehen für ihn im Widerspruch zu den Alltagswirklichkeiten der materiellen Raumpraxis unter gegebenen Produktionsbedingungen, können diese weder synthetisieren noch transzendieren, sondern kontrollieren sie im Dienste der herrschenden Klasse. Die befreiende Überwindung moderner Raumerfahrungen auf dem Weg zu einer selbstbestimmteren, „urbanen Gesellschaft“ erwartet er hingegen am ehesten von der alltäglichen Lebens- und Wohnpraxis und von künstlerisch-symbolischen Raumaneignungen (Lefebvre 1991: 42, 116; vgl. Soja 1996).

Mit der Analyse der modernen Raumproduktion verbindet Lefebvre daher auch politische Ambitionen: „Are we talking about a political project? Yes and no. It certainly embodies a politics of space, but at the same time goes beyond politics inasmuch as it presupposes a critical analysis of all spatial politics as of all politics in general. By seeking to point the way towards a different space, towards the space of a different (social) life and of a different mode of production, this project straddles the breach between science and utopia, reality and ideality, conceived and lived. It aspires to surmount these oppositions by exploring the dialectical relationship between ‚possible‘ and ‚impossible‘, and this both objectively and subjectively“ (Lefebvre 1991: 60).

Lefebvre (1991: 33, 38 f.) schlägt also vor, die gesellschaftliche Raumproduktion als „trialektisches“ (Soja 1996: 67) Zusammenspiel dreier DimensionenFootnote 6 zu untersuchen, nämlich der sozialen Raumpraxis alltäglicher Raumnutzung und -wahrnehmung (espace perçu), der abstrakt-mentalen Raumrepräsentation durch Experten (espace conçu) und der davon zu unterscheidenden, aber synthetisch auf den ersten beiden Momenten aufbauenden symbolischen Repräsentationsräume (espace vécu):Footnote 7

Die soziale Raumpraxis zeigt und reproduziert den materiellen Raum durch Raumnutzungen entlang der durchgesetzten Produktions- und Reproduktionsverhältnisse: Die täglichen Wege und Raumerfahrungen der verschiedenen Bewohner, deren gruppenspezifische Allokation zwischen zentralem Stadtkern und ausgelagerten Trabantenstädten, die Lokalisierung von kleinen und großen Straßenzügen, Monumenten und Produktionsstätten, die finanzielle Ab- und Aufwertung verschiedener Orte, die Achsen der Verdichtung und Segregation können nach Lefebvre als räumlicher Ausdruck der zugrunde liegenden Produktions- und Reproduktionsverhältnisse gelesen werden, sie regulieren und reproduzieren diese zugleich. So entstehen beispielsweise die in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung wurzelnden Raumpraktiken von Produzenten und Konsumenten, Frauen und Männern, Alten und Jungen, Kapitalbesitzern und der aus den Zentren verdrängten Arbeits- und Mietbevölkerung.Footnote 8

Die soziale Raumpraxis wird fachlich geordnet und reproduziert durch Raumrepräsentationen, in deren Rahmen Experten aus Stadtplanung und Architektur beispielsweise von Mega-Städten und kleinen Zentren, von Schlafstädten, von Zwischenstädten, von Innen- oder Kernstädten, von ‚Siedlungsbrei‘ oder eben von StadtLandschaften sprechen.Footnote 9 Die Fachakteure stellen objektives, meist quantifizierendes Raumwissen (savoir) her (Lefebvre 1991: 352), das von Lefebvre (1991: 9) als „Ideologie“ im Dienste der durchgesetzten Raumpraxis diskutiert wird: Sie konzipieren (soziale) Räume sprachlich, in Plänen und Karten, die in baulichen Realisierungen konkret werden.

Alltäglich bezeichnet und belebt werden Raumpraxis und Raumrepräsentation durch lebensweltliche und experimentelle, reflexive Repräsentationsräume, deren Symbolisierungen Lefebvre als espaces vécus, gelebte Räume, bezeichnet. „This is the dominated – hence passively experienced – space which the imagination seeks to change and appropriate“ (Lefebvre 1991: 39). Subkulturelle Imaginationen und ihr Niederschlag in symbolischen Zeichensystemen können die hinter den fachlichen Repräsentationen verborgenen sozialen Gegensätze und Widersprüche zum Ausgangspunkt für alltägliche und insbesondere künstlerisch-visionäre Projektionen alternativer Alltagswelten jenseits der industriellen Logik nehmen: In derart integrativem, eher qualitativem Raumwissen (connaissance) käme der „differentielle Raum“ einer vielfältigen Gesellschaft mit offenen Horizonten zum Vorschein, der Differenzen artikuliert (Lefebvre 1991: 52).

Der Begriff StadtLandschaften nimmt die triadische Konzeption der Produktion von materiellen Gegebenheiten, bürokratischem Wissen und sozial verankerten Lebenswelten als Ansatzpunkt, um nicht länger die bestehenden Unterschiede, Ungleichheiten und Gegensätze zu reifizieren, sondern stattdessen die verschränkten Mechanismen einer hybriden Raumproduktion, ihre Ursachen, Folgen und Möglichkeiten qualitativ einzufangen. Konzeptionell öffnet sich damit der Blick für lebensweltliche Raumerfahrungen und Raumwünsche, die im blinden Fleck der etablierten Raumbeschreibung liegen: Anstelle des ökonomisch und technisch-funktional beschriebenen Tauschwerts mit seinen quantitativen Kategorien werden die sozial differenten, lebensweltlichen Gebrauchswerte räumlicher Lage diskutabel (Brenner/Marcuse/Mayer 2009). Diesen widmet sich die Diskussion im dritten und vierten Kapitel.

Dabei dürfen Konzepte der Hybridisierung und Vermischung nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Druck globaler Raumaneignung unter kommodifizierendem Vorzeichen zugleich homogenisierend und fragmentierend wirkt (Lefebvre 1991: 355): Die ungleichen Konzentrationen der kapitalistischen Produktivkräfte Arbeit, Boden und Kapital sorgen für eine hierarchisierende Fragmentierung, „die von den untersten zu den edelsten Orten reicht, vom Tabuisierten zum Landesherrn“ (Lefebvre 1991: 282, eigene Übersetzung). Selbst wenn die Räume kaum mehr eindeutig abgrenzbar sind und baulich, funktional und ästhetisch ineinander übergehen, zementieren sie doch unterschiedliche Zuordnungen, ungleiche Zugänge, Ausschlüsse zwischen sogenannten Zentren und sogenannten Peripherien, zwischen Inkludierten und Ausgeschlossenen. Dem entspricht lebensweltlich, dass jeder weiß, dass ‚Innenstädte‘ symbolisch und materiell einen weit höheren Wert haben als ‚Schlafstädte‘. Auch wissenschaftlich liegt ein feines Raster zur Beschreibung der Ungleichheit vor, etwa Ein- und Auspendlerquoten, das Durchschnittsalter der Bevölkerung oder der baulichen Substanz. Vor allem die Infrastrukturen einer unsicherer werdenden öffentlichen Daseinsvorsorge verräumlichen Unterschiede: Weder ist die Versorgung mit öffentlichem Nahverkehr und Schienenwegen, mit Telekommunikationseinrichtungen, mit zukunftsfähigen Versorgungseinrichtungen für Wasser und Energie oder mit sozialen Einrichtungen gleichmäßig über die Fläche verteilt, noch ist ein Ende der Verdrängung störender oder benachteiligter Bevölkerungsgruppen aus begehrten Lagen absehbar. Auch wenn in Deutschland die Daseinsvorsorge (noch) überall elementar gesichert ist, sind auch hier Räume und Raumlagen Schicksalslagen. Das wissen die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, in den Pariser Vorstädten oder am Hindukusch meist besser als die in den Innenstädten, solange Letztere sich den Preisen gewachsen sehen.

Dabei genießt die Entwicklung der großen Städte, insbesondere der Zentren, die volle Aufmerksamkeit von Macht und Kapital – und neuerdings einer wieder erwachten Zivilgesellschaft (Harvey 2013). Städte sind Gegenstand höchster Kapitalverwertung (vgl. Harvey 2013: 65 ff.), aber auch der erste Bezugsraum des Politischen, die Polis, so dass Zöpel (2008) im Rückgriff auf Aristoteles Stadt- und Regionalentwicklung als „Antwort auf die Grundprobleme sozialer Verbände“ bezeichnet, in der „Politik als Möglichkeit kollektiven Handelns bei nicht vorauszusetzendem Konsens“ sichtbar werde (Zöpel 2008: 14). An dieser Erfahrung setzen auch urbane Proteste an, ob in Stuttgart, Kairo oder Istanbul. Bei deren Analyse gewinnt die Verwendung von Raumbegriffen umso mehr Bedeutung, je größer die Verunsicherung ist, wo moderne Gesellschaften heute gesteuert werden und wer die möglichen Subjekte der Gestaltung sind.

Brenner (1997) hat in diesem Zusammenhang auf den Doppelcharakter sozialer Räume unter Bedingungen eines globalen Kapitalismus verwiesen: Sie sind Rahmen und Entstehungsort sozialer Beziehungen und zugleich ein Produktivfaktor in der nun globalen Dynamik der Kapitalakkumulation. In ihnen können gesellschaftliche Utopien Gestalt annehmen – wie etwa im kommunalen Wohnungsbau im „roten Wien“, dessen Wohnbauprojekte eine sozial gerechtere Gesellschaft begründen wollten, im Freiburger Stadtviertel Vauban, das sich ökologisch und beteiligungsorientiert gibt – oder unter dem Motto „Eine andere Welt ist pflanzbar“ (vgl. Müller 2011). Aber auch diese Ansätze neuartiger und stärker lebensweltlich orientierter Raumentwicklung stehen im Kontext globaler Aneignungsprozesse. Es ist dennoch dieser „Möglichkeitsraum“, der Lefebvre, die Raumtheorie in seinem Gefolge und mich inspiriert: Auf der Basis von Analysen der historischen und gegenwärtigen Raumkonfiguration sollen Möglichkeiten denkbar und formulierbar werden, die gesellschaftliche Veränderung ihrerseits eröffnen (Lefebvre 1991: 59; Schmid 2005: 105; Mullis 2013: 59).

Klein/Fontan/Tremblay (2009) untersuchen deshalb die Möglichkeiten räumlicher Entwicklungsprozesse durch sozial-innovative, lokal oder teilregional eingebettete Akteursgruppen vor dem Hintergrund der Verwertungsinteressen der New Economy, die weniger durch industrielle Massenfertigung als durch die Angebote digital vernetzter Dienstleistungen (Informationsökonomie) geprägt ist. Dabei gehen sie von einer Vertiefung sozioökonomischer Unterschiede zwischen Zentren und Peripherien (territorial inequalities) und zwischen gut und schlecht vernetzten Gebieten (socio-territorial divide) aus. Erstere gehen auf die kapitalistische Raumverwertung mit der ihr inhärenten Tendenz der räumlichen Konzentration von Produktivkräften und den resultierenden Ungleichheiten in Bezug auf Investition und Ertrag zurück, durch die jenseits politischer Prioritätensetzungen Zentren und Peripherien entstehen und Wertschöpfungsmöglichkeiten räumlich ungleich verteilt sind (Lipietz 1977; Klein 2011). Letztere liegen in den Notwendigkeiten des erfolgreichen Wirtschaftens in der Informationsökonomie begründet, die beispielsweise als Zugang zu und Vertrautheit mit Finanzdienstleistungen und globalen Zeichensystemen und Standards definiert werden. Da sich die industriell geschaffenen Strukturen von Zentren und Peripherien nicht mit den postindustriellen Entwicklungen ungleicher Teilhabe an globalen Kommunikations-, Güter- und Personenströmen decken, entsteht eine Vierfeldertafel zur Analyse räumlicher Ungleichheiten zwischen ‚Gewinner- und Verliererregionen‘ (vgl. Tab. 1).

Tab. 1 Tabellarische Darstellung sozialräumlicher Spaltungen. (Quelle: Veränderte Darstellung nach Klein/Fontan/Tremblay (2009: 26))

Die Ungleichgewichte zwischen Zentren und Peripherien wurzeln historisch in ungleichen Investitionsprozessen und führten seit Beginn des Industriezeitalters zu räumlich ungleichen Zugängen zu Märkten und Dienstleistungen. Auf den Ausgleich der damit verbundenen, räumlich verankerten Benachteiligungen zielt eine am Grundsatz der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse (Art. 75 Nr. 4 GG) orientierte, regionale Strukturpolitik. Dieser „klassische Unterschied“ (Klein/Fontan/Tremblay 2009: 25, eigene Übersetzung) wird unter Bedingungen eines globalen Finanzmarktkapitalismus mit seinen neuartigen Kommunikations-, Produktions- und Konsumptionsnetzwerken entlang der Fähigkeit überformt, Teil eben dieser Netzwerke zu werden und von ihren Möglichkeiten zu profitieren – oder aber sukzessive abgehängt zu werden (vgl. Castells 2001; Häußermann/Kronauer/Siebel 2004). So entstehen beispielsweise in ehemaligen Industriezentren neben weiterhin florierenden Vierteln devitalisierte Bereiche, in denen die betroffenen Akteure und Branchen trotz fortbestehender Produktivität den Anschluss an die globale Ökonomie verlieren. Sie müssen eine Entwertung ihrer Wertschöpfungsprozesse hinnehmen, weil sie sich nicht erfolgreich in die globalen Netzwerke einbinden können. Umgekehrt entwickeln sich mitunter in Räumen, die im Vergleich zu alteingesessenen Zentren als ‚peripher‘ etikettiert werden, Knoten der Informationsökonomie, die attraktive Wohn- und Arbeitssituationen ermöglichen und Investitionen anziehen. In der Summe geschieht die gegenwärtige Raumproduktion in zwei Spannungsfeldern, nämlich zum einen zwischen den vor allem durch Investitionswerte definierten Zentren und Peripherien und zum anderen zwischen den vor allem digital und kommunikativ hergestellten Vernetzungen bzw. Ausschlüssen.

Diese Bedingungen der Raumproduktion beschreibe ich als ‚postindustriell‘, weil von tertiarisierten Gesellschaften die Rede ist, in denen mehr und teils auch höher bewertete Arbeit im Wissens- und Dienstleistungssektor angeboten wird als im primären und sekundären Sektor. Im Hinblick auf die räumliche Entwicklung ging damit in den vergangenen Jahrzehnten die Auflösung des industriemodernen Normalarbeitsverhältnisses und damit verbunden auch die Wiederauflösung der dominanten Trennung von Wohn- und Arbeitsort hin zu neuen Wohnformen einher (vgl. Häußermann/Siebel 1996), weiter die Auflösung der sozial-moralischen Milieus und ihrer stabilen Konfliktlinien und Wählerschaften entlang der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zugunsten sozialer Bewegungen (vgl. Touraine 1972) und schließlich die Auflösung der integrativen Kraft des Glaubens an Fortschritt und Wachstum als Motor einer kontinuierlichen Verbesserung von Lebenschancen sowie der Abfederung und des räumlichen Ausgleichs sozialer Ungleichheit (vgl. Beck 1986). Obwohl ich damit viele der von Beck (1986) für die Beschreibung der Reflexiven Moderne genutzten Merkmale teile, verwende ich hier den Begriff der postindustriellen Gesellschaft, weil er erstens deutlicher macht, dass die heutige Raumproduktion auf den noch vielfach genutzten Selbstverständnissen und räumlichen Gegebenheiten der modernen Industriegesellschaft ansetzt, worauf auch Lefébvre (2014: 34) wiederholt verweist. Und zweitens, weil er auf die unter dem Stichwort „Reflexivität“ oft kultivierte Hoffnung verzichtet, dass diese Raumproduktion bereits gesellschaftlich reflektiert und problematisch werde. Das geschieht jedoch nur in kleinstem Umfang und noch ist ungewiss, welche Bedeutung diesen Initiativen gesellschaftlich zukommt (vgl. Segert/Zierke 2007).

Im Hinblick auf aktuelle Konflikte und Kontroversen ist zudem wichtig zu ergänzen, dass unter postindustriellen Bedingungen Profite weniger in der Realwirtschaft und den produktiven Formen der Wertschöpfung generiert werden als auf Finanzmärkten und durch die Investition von „überakkumuliertem“, „fiktivem“ Kapital in Immobilien (vgl. Harvey 2013: 88 ff.). Zugleich tritt an die Stelle des organisierten, industriellen Proletariats das Phänomen postindustrieller Prekarität, das gerade in mittleren Schichten Angst vor Teilhabeverlusten auslöst und die Sorge, vielleicht heute noch Profiteur und morgen schon Opfer der spekulativen Raumentwicklung zu werden (Vogel 2009). Schließlich tritt an die Stelle eines sozialen Leistungsstaates, der gleichwertige Lebensbedingungen durch Umverteilung verspricht, ein instrumentalisierter Gewährleistungsstaat, der aufgrund klammer öffentlicher Kassen und Fiskalzwänge zugehörige Infrastrukturleistungen beschneidet, aber immer öfter die Zivilgesellschaft vereinnahmt (vgl. Kersten/Neu/Vogel 2012; Mayer 2013). Damit sind die allgemeinen Rahmenbedingungen der postindustriellen Raumproduktion beschrieben, die im nächsten Abschnitt anhand von vier örtlich unterschiedlich wirksamen Raumdynamiken spezifiziert werden und konzeptionell unterscheidbare StadtLandschaften entstehen lassen.

3 Postindustrielle Raumdynamiken und ihre Wirkungen

Aus der zweidimensionalen Betrachtung von Klein/Fontan/Tremblay (2009) ergeben sich vier konzeptionelle Felder der sozialen Raumproduktion, die jeweils von einer postindustriellen Dynamik besonders geprägt werden. Sie liegen entlang von zwei Kontinuen ungleicher Entwicklungsbedingungen (vgl. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Raumdynamiken in postindustriellen StadtLandschaften. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Klein/Fontan/Tremblay (2009: 26))

Das erste Kontinuum reicht von einer hohen Zentralität, mit der aufgrund der Verdichtung von Menschen und Netzwerken und damit von technischen, sozialen und kulturellen Möglichkeiten in der Raumrepräsentation sogenannte Ballungsvorteile verbunden werden, bis zu einer gesellschaftlich produzierten Peripherie, die vor allem durch die Abwesenheit dieser Clusterchancen als „leer“ und „ausgedünnt“ beschrieben wird. Dabei wird die soziale Raumpraxis in zentralen Räumen durch die vielfachen Vernetzungen ‚globalisiert‘ und als in internationale Zeichen- und Austauschströme eingebunden wahrgenommen, während periphere Räume durch das Fehlen eben dieser Verknüpfung mit „global flows“ (vgl. Castells 2001; Hall/Hesse 2013) ‚lokalisiert‘ werden, so dass sich die Wahrnehmung räumlicher Gegebenheiten stärker auf die am Boden vorgefundenen Gelegenheitsstrukturen begrenzt. Die Raumforschung erfasst dieses Kontinuum vor allem durch quantitative Vergleiche, die Wachstums- bzw. Schrumpfungstrends teils ausdrücken, teils auch verursachen.

Das zweite Kontinuum reicht von infrastrukturell und kulturell integrierten Orten mit vielfältigen Lebenschancen zu ‚abgehängten‘ Räumen, die im internationalen Wettbewerb um Menschen, Investitionen und Möglichkeiten als losing regions gelten und von Exklusionsängsten geprägt sind. In Letzteren wird kulturelle Diversität oft eher als Konkurrenz erlebt und im schlechtesten Fall gewaltsam ausgeschlossen, während erstere die Vielfältigkeit möglicher Begegnungen leichter als Chance interpretieren und zu inkludieren verstehen. Mit den Begriffen von Inklusion und Exklusion möchte ich auf die Spannung zwischen einem vielfältigen Einbezug in soziale und funktionale Gesellschaftssysteme auf der einen und einem zumindest partiellen Ausschluss aus wichtigen Teilhabesystemen auf der anderen Seite verweisen, durch die räumliche Ungleichheit (re-)produziert wird (vgl. Harth/Scheller/Tessin 2000; Berger/Keller/Klärner et al. 2014). Bezüglich dieses Kontinuums wird mit Etiketten wie Segregation und Konzentration, aber auch places, place-making oder struggles hantiert, weil raumbezogene Aneignungsprozesse eine wesentliche Rolle spielen (vgl. z. B. Cools/Fürst/Zimmermann 2004).

Die beiden Achsen spannen vier konzeptionelle Felder mit erheblichen Divergenzen bezüglich der sozialen Raumproduktion und ihres materiellen Niederschlags auf. Sie umfassen so unterschiedliche Räume wie marginalisierte, devitalisierte Orte (vgl. Seidel-Schulze/Dohnke/Häußermann 2012), gut vernetzte Lokalitäten alternativer Entwicklungsprozesse (vgl. Glander/Hoßmann 2009; Faber/Oswalt 2013), im Transformationsprozess befindliche Provinzstädtchen bis hin zu hoch verdichteten „Weltstädten“ mit sehr ungleichen Lebenschancen in ihrem Inneren (vgl. Häußermann/Kronauer/Siebel 2004; Vogel 2009; Kronauer/Siebel 2013; Berger/Keller/Klärner et al. 2014). Um deren lebensweltliche Raumerfahrung besser zu verstehen, entwickle ich im Folgenden eine Beschreibung der je dominanten Raumdynamiken der postindustriellen Raumproduktion zwischen den Polen einer eher sozial-ökonomisch hergestellten Globalisierung bzw. Lokalisierung und einer eher sozial-politisch hergestellten Inklusion bzw. Exklusion. Die örtlich unterschiedlich dominant werdenden Dynamiken der Homogenisierung, Polarisierung, Fragmentierung oder Diversifizierung, so die hier vertretene These, bestimmen die soziale Raumpraxis und ihre Wahrnehmung wesentlich.Footnote 10 Betrachten wir die vier postindustriellen Raumdynamiken und ihre unterschiedlichen Wirkungen im Einzelnen:

Homogenisierung beschreibt Prozesse der räumlichen Vereinheitlichung als Ergebnis globaler Ströme der Raumproduktion. Lefebvre (2014: 8) bezeichnet als Homogenisierung generell die wirtschaftlich verursachte Auflösung der Stadt-Land-Dichotomie nach der Industrialisierung, die zugunsten einer umstandsloseren kapitalistischen Re-Organisation „bürokratisch gelenkter Konsumgesellschaften“ (Lefebvre 2014: 10) zu einer Partikularitäten abwertenden Normalitätsproduktion führe. Ähnlich galt Homogenisierung in den Sozialwissenschaften zunächst als räumlicher Ausdruck von Modernisierung und Globalisierung, die nahezu naturwüchsig auch zu einer weltweiten ‚McDonaldisierung‘ der Raumkultur führe. Die zugleich stattfindende Indigenisierung (Appadurai 1990: 297), im Rahmen derer globale Kultureinflüsse durch emblematische Objekte und Diskurse mit identitätsstiftender Funktion re-lokalisiert werden, aber auch die Glokalisierung als dialektische Verschränkung von globalen und lokalen Prozessen jenseits der Unterscheidung geographischer Ebenen (Swyngedouw 1997; Robertson 1998) wurde erst auf den zweiten Blick wahrgenommen. Hier wird als Homogenisierung die Vereinheitlichung von Architekturen wie von Finanz-, Mobilitäts-, Konsum- und Freizeitstilen als Ergebnis der globalen Ströme bezeichnet. Durch sie entstehen einerseits monofunktionale Plätze wie Einkaufszentren und Flughäfen als identitätslose „Nicht-Orte“ (Augé 2010), die eine nahezu hindernisfreie Bewegung der mobilen, global austauschbaren Eliten ermöglichen. Andererseits erzeugt sie den Druck zu distinktivem Stadtmarketing, um die High Potentials mit entsprechenden Bilderwelten von kreativen Räumen anzulocken (Dörfler 2011). Die dadurch geprägten urbanen Semantiken breiten sich als Signum einer zu erstrebenden, global erfolgreichen Inklusion aus und hinterlassen ihre materiellen Zeichen in einer homogenisierten Raumpraxis: Starbucks und verspiegelte Fassaden von Prestigeobjekten gehören dazu wie der Anspruch, überall bargeldlos und auf Englisch bedient zu werden. Homogenisierung prägt die Raumerfahrung in den Innenstadtlagen der Global Cities, normiert aber auch die globalisierten Servicezentren in ehemals abgelegenen Gebieten der sogenannten Dritten Welt.

Homogenisierung kennzeichnet vor allem die Raumpraxis der zentralen Netzwerkgewinner in sogenannten network hubs bzw. „Weltstädten“, die als Knoten in die globalen Ökonomien eingebunden sind und diese mitgestalten (vgl. Sassen 1996). Sie bemächtigen sich mit dem Anspruch der auf „Anhäufung von Projekten und Produkten,… Menschenmassen, Leuten… [und] zusammengetragenen Objekten“ beruhenden „Zentralität“ des „Wesens der Verstädterung“ (Lefebvre 2014: 126) und bringen Hierarchie und Ungleichheit hervor Lefebvre 2014: 134 f.). Die dominanten Raumpraktiken gelten als Wachstumsmagneten im internationalen Wettbewerb, ziehen Investoren auf ihrer Suche nach profitablen Kapitalverwertungsmöglichkeiten an und machen Platz für gut gebildete, mobile Wissensarbeiter, deren Wohnwünsche betroffene Orte in die Höhe und Breite wuchern lassen. Vom globalen Austausch geprägt, sind die network hubs, für die stellvertretend meist Manhattan genannt wird, Teil dynamischer und globaler Medien- und Bildlandschaften (vgl. Appadurai 1990) und Fixpunkte gängiger Zukunftsvisionen – aber auch urbaner Apokalypsen: infrastrukturstarke, innovative und wettbewerbsfähige Gelegenheitsräume für wachstumsorientierte Entwicklungsprozesse, welche potenziell mit den ‚gelebten Räumen‘ alternativer Imaginationsräume konfligieren und sozial wie ökologisch riskante Entwicklungen mit sich bringen. Während die Raumrepräsentationen sie als prosperierende, ‚große Punkte‘ – meist im Netzwerk mit konkurrierenden Cities anderer Nationen – darstellen, zeigen sich die Repräsentationsräume dieser teuren Lage oft als Fluchträume einer erlebten Ungastlichkeit auf der Suche nach neuen Sozialbindungen und Absicherung (vgl. z. B. Frank 2013; siehe unten).

Polarisierung beschreibt Prozesse einer räumlichen Aufspaltung in Gegensätze als Ergebnis globaler, nicht zuletzt räumlich ausgetragener Konkurrenz. Mit Polarisierung wird „extern“ das „Auseinanderdriften von wachsenden und schrumpfenden Städten und Stadtregionen“ (Kronauer/Siebel 2013: 12) und „intern“ der Prozess einer Aufspaltung in ungleiche Gegensätze mit abnehmenden Mittellagen (Kronauer/Siebel 2013: 15) bezeichnet, durch den neben und in prosperierenden Zentren devitalisierte Quartiere entstehen (Kronauer/Siebel 2013: 12). „In ihnen sammeln sich die Marginalisierten, gleichsam die Restbestände der Bevölkerung, denen der Zugang zu anderen, stärker sozial gemischten Quartieren versperrt ist…. Diese Quartiere werden zu Orten sozialer Ausgrenzung, da es für ihre Bewohner kaum noch Möglichkeiten gibt, ihrer von Armut und Ausgrenzung geprägten Situation zu entgehen“ (Aehnelt/Göbel/Gornig et al. 2009: 408). Im globalen Wettbewerb werden sie als „Problemviertel“ marginalisiert und zunehmend unsichtbar, geraten in den Strudel einer räumlichen Entwertung trotz enger Nachbarschaft zu den boomenden Hubs. Von innen betrachtet können sie aber Orte eines vielfältigen und mannigfaltig auf die benachbarten Zentren bezogenen Lebens sein. Viele soziale Innovationen nehmen hier ihren nahraumbezogenen Ausgangspunkt (vgl. Moulaert/Martinelli/Swyngedouw et al. 2010: 408). Quartiersvereine, wie beispielsweise im Hamburger Gängeviertel oder in München-Giesing, ringen um die Artikulation von Differenz und die Ermöglichung ihrer Begegnung – als „ein freier Raum für alle“ (Interviewzitat).

Polarisierungsfolgen kennzeichnen die räumlichen Praktiken in ebenfalls zentralen und produktiven, aber schlechter vernetzten Lagen im Schatten der Metropolen oder in ehemaligen Industriezentren, in denen die Stadt als ‚Integrationsmaschine‘ versagt. Als Ergebnis räumlicher Segregationsprozesse beherbergen sie große Bevölkerungsanteile, die nicht Teil der New Economy sind, sondern eher die funktionsnotwendigen, niederen Dienstleistungen für die network hubs erbringen, das „postindustrielle Service-Proletariat“ (Blühdorn 2013: 75). In diesen residualisierten StadtLandschaften, die alles aufnehmen müssen, das in attraktiven Innenstädten keinen Platz findet, ist die Infrastruktur meist überlastet, staatliche Investitionen sind knapp, Besserverdiener wandern ab, Versorgungsleistungen werden lückenhaft, die sozialen Einrichtungen versprechen oftmals eher Abstieg als Aufstieg (Kronauer/Siebel 2013). Das Ergebnis sind devitalisierte Orte mit der Erfahrung, ‚nicht dazu zu gehören‘. Während die Raumrepräsentationen auf quantitative Unterschiede in Einkommen, Alterszusammensetzung, Bildungsabschlüssen verweisen, tragen die symbolischen Repräsentationsräume kosmopolitische Bezüge, sind von fehlenden beruflichen Perspektiven, aber auch von phantasievollem Widerstand geprägt. Sie werden in der Aneignung ausgelagerter Konsum- und stillgelegter Produktionszentren, in bunten Graffitis, umgenutzten Stadtbrachen auf der Suche nach neuen Orten der Begegnung sichtbar.

Fragmentierung bezeichnet Prozesse der Verinselung und bruchstückhaften Entwicklung als Ergebnis fortschreitender Exklusion. Fragmentierung thematisiert schon Lefebvre als dialektisches Gegenstück zu Homogenisierung, weil die „Entscheidungszentren“ sich in den Peripherien „halbe Kolonien“ schafften (Lefebvre 2014: 408: 180). Durch Peripherisierung und Lokalisierung werden aber nicht Verbindungen geknüpft und Projekte und Produkte aufgehäuft, sondern Zusammenhänge zerschnitten und Möglichkeiten reduziert. Fragmentierung führt über Polarisierung hinaus, weil die funktionale Trennung Exklusion mit sich bringt, die den sozialen Ausschluss räumlich zementiert. Eine Verbindung zu sozial und ökonomisch durchmischteren Lagen verlangte dann die Überwindung auch räumlicher Hindernisse. Was umgangssprachlich als „jwd“ (für „janz weit draußen“) stigmatisiert wird, nämlich abgelegene, inselgleiche Lagen ohne Verknüpfung mit den funktionellen Netzen der prosperierenden Zentren, ist das Ergebnis fortschreitender Abkoppelung, die nicht zuletzt durch austrocknende Infrastrukturen auch zivilgesellschaftliche Handlungsräume vernichtet (vgl. Kersten/Neu/Vogel 2012). Interessanterweise schlägt sich diese Fragmentierung auch in der Stadtplanung nieder: Während nämlich in zentralen, inkludierten Lagen große Planungsstäbe eine integrierte Stadtplanung unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs erarbeiten, kommen in abgehängten Lagen oftmals nur noch fragmentierte Fachplanungen zum Zuge mit erheblichen Koordinationsdefiziten (vgl. Scholich 2010): Zersiedelte Flächen und ‚Verspargelung‘ (durch Windkraftanlagen), aber auch der unkoordinierte Wegbruch von Versorgungsleistungen sind beispielsweise die Folge.

Fragmentierung betrifft insbesondere die Raumpraxis in abgekoppelten Bereichen, an denen die globalen Ströme (nun) vorbei gehen, so dass sie von wirtschaftlichen, sozialen und kommunikativen Netzwerken abgeschnitten sind. In der „Logik der internationalen Arbeitsteilung“, die ohne Berücksichtigung räumlicher Zusammenhänge „nur bestimmte nutzbare Bereiche“ in die Netzwerke inkludiert, wird eine „Restwelt“ fragmentiert und der Peripherisierung und Exklusion ausgesetzt (Willisch 2013: 65). So kommt es, dass in einigen ländlichen Regionen Ostdeutschlands beispielsweise, obgleich sie Produktionszentren „der boomenden Agrarwirtschaft oder der aufstrebenden heimischen Energiewirtschaft“ sind, dennoch die „Einbindung der Menschen“ sowie ihrer Sozial- und Siedlungsräume (Willisch 2013: 65) in übergreifende Netze der Wissens- und Wohlstandsgenerierung ausbleibt. In fragmentierten Räumen erlebt die Bevölkerung oftmals fortschreitenden Niedergang, Abwanderung und Marginalisierung. Die globalen Netzwerke, die das institutionelle Rückgrat erfolgreicher StadtLandschaften bilden, sind schwerer erreichbar und die Bewohner fühlen sich vom Recht auf gesellschaftliche Teilhabe ausgeschlossen (vgl. Willisch 2012; Willisch 2013). Das Versprechen gleichwertiger Lebensbedingungen wird an Orten mit viel Leerstand und ohne Bahnhof, Internet und ärztliche Versorgung nicht mehr als glaubwürdig erlebt. Eigentum ist das meistgenannte Motiv des Bleibens oder Rückkehrens. Es erleichtert zwar das Überleben, kann aber auch zur Falle werden: Sein Wert ist dann zu niedrig, um andernorts einen Aufbau zu ermöglichen, aber zu hoch für ein Wagnis im Ungewissen. Manchmal werden die Kosten des Erhalts auch zum Problem, wenn es schon zu spät ist.

Diversifizierung bezeichnet schließlich Prozesse der Auffächerung und Vielfalt als Ergebnis lokaler Kämpfe um experimentelle Erneuerung und Eigenart. Diversität gilt als Ausdruck des urbanen Versprechens und hat im Rahmen der Inwertsetzung kultureller Semantiken auch im Ortsmarketing eine erhebliche Aufwertung erfahren (Lindner 2012). Als Diversifizierung bezeichne ich daher Prozesse, die Pluralität und Eigenart als Ergebnis lokaler, häufig selbstorganisierter Strategien zur Verbesserung der örtlichen Lebensqualität hervorbringen, etwa indem örtlich alternative Lebens- und Wirtschaftsformen erprobt werden oder eine Durchmischung extern hergestellt wird (vgl. Segert/Zierke 2007). Damit knüpft das Konzept perspektivisch an Lefebvres Konzept von vieldeutigen „Heterotopien“ an, als „der andere Ort und der Ort des Anderen, das ausgeschlossen und gleichzeitig einbezogen wird“ (Lefebvre 2014: 138). Diversifizierung kann auf zivilgesellschaftlichen Experimenten auf der Suche nach lebenswerten Räumen beruhen (vgl. Cools/Fürst/Zimmermann 2004; Kühnel 2014), kann auch auf öffentliche Regionalinitiativen oder eine Kooperation zwischen beiden Akteursgruppen zurückzuführen sein (vgl. Segert/Zierke 2007). Sie wird häufig gezielt gefördert, um einer wahrgenommenen Strukturschwäche entgegenzutreten.

Tatsächlich finden sich also auch in peripherisierten Räumen „winning and losing regions“ (Schmied 2005a). Dabei hängt die Vitalität ersterer mit der Fähigkeit zur Verknüpfung mit der globalen Werteproduktion zusammen. Diversifizierung kennzeichnet die Raumpraxis in gut vernetzten Gebieten, die zwar nicht in den sozioökonomischen Zentren liegen, aber mit diesen in funktionalem Kontakt stehen. Sie sind häufig von einer Branche, einer staatlichen Ansiedelungsentscheidung oder dem Bezug zu naturräumlich gegebenen Ressourcen geprägt – illustrativ wäre an Dessau oder die Bodenseeregion zu denken. Sie bieten Beschäftigungsmöglichkeiten und punktuelle Innovationskraft neben fehlenden Perspektiven. In diesen Räumen lässt sich die Entstehung gemeinwohlorientierter Wirtschaftsbetriebe und ortsbezogener Innovationen beobachten, aber die Arbeitsplatzdichte liegt unter der in zentralen Räumen, weshalb hier viele Pendler leben. Was hält die Bevölkerung vor Ort? Ebenfalls Eigentum, aber auch Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, die ihnen in den Zentren fehlen, wo die Nachbarschaften anonymer und die Experimentierräume teurer sind. Zudem spielt ein Gefühl der Zugehörigkeit (Inklusion) und Verantwortlichkeit für ‚ihren Ort‘ (sense of place) eine Rolle, das durch Beteiligungsangebote und eine Integration globaler und lokaler Bezüge genährt werden kann (Massey 1993: 67).

Auf dieser konzeptionellen Basis sondiere ich im letzten Schritt Muster der Raumerfahrung von regionalen StadtLandschaften im Sinne einer Forschungsskizze für die Betrachtung von räumlichen Erfahrungen, die von der klassischen Vorstellung klarer Unterschiede zwischen Stadt und Land nicht abgebildet werden und auch für eine räumliche Strukturpolitik entlang der etablierten Kategorien schwierig zu erfassen sind, aber dennoch mit unterschiedlichen Chancenstrukturen umzugehen haben.

4 Muster der Raumerfahrungen in regionalen StadtLandschaften – eine Forschungsskizze

Welche Herausforderungen werfen die nachgezeichneten Dynamiken für die örtliche Lebensqualität auf und mit welchen subjektiven Repräsentationsräumen reagieren die Bürger auf die diskutierten Trends? Die folgende Skizze von Mustern der Raumerfahrung stützt sich teils auf die Fachliteratur, teils auf die Sekundärauswertung von Gesprächen mit Befragten aus Fachplanungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Beteiligungsprozessen im Themenfeld nachhaltiger Entwicklung (vgl. Fußnote 2). Ohne also die entstehende Typisierung der räumlichen Erfahrung bereits empirisch absichern zu können, verknüpfe ich damit auf der Basis von Lefebvres triadischen Raumkonzepten die konzeptionelle Beschreibung der strukturell divergenten Raumpraxis mit gegenwärtig beobachtbaren Erfahrungs- und Imaginationsräumen als Ausgangspunkt der Neubelebung regionaler StadtLandschaften. Die referierten Einschätzungen gehen nicht auf eine systematische Beforschung von Raumerfahrungen zurück, die erst zu leisten wäre. Sie verdanken sich vielmehr dem Wunsch, die weitere sozialwissenschaftliche Raumforschung zu inspirieren.

Die subjektiven Raumwahrnehmungen folgen in Deutschland einerseits individuellen Vorlieben und Präferenzen, andererseits kollektiven Konstruktionen, die sich beispielsweise in einer Hitliste der beliebtesten Städte ausdrücken. Während individuelle Vorlieben meist in der Kindheit geprägt werden und den biographisch und beruflich nahe gelegten Handlungserfordernissen gehorchen (vgl. Münter 2012), gehört zu den meist geäußerten Wünschen, unter seinesgleichen zu wohnen, in einer Art städtischem Nebeneinander dörflich imaginierter Nachbarschaften. Die Deutschen schätzen ihren Wohnort dann am meisten, wenn er auf eigene Standortentscheidungen zurückgeht und leben am liebsten in Kleinstädten, in denen sich die Vorteile von Stadt und Land verbinden (Sturm/Walther 2011: 4). Diese Präferenz in meinen Interviews hat damit zu tun, dass die Handlungs- und Beteiligungsmöglichkeiten unter diesen Bedingungen am größten und die soziale Sicherheit in Kleinstädten als am stabilsten wahrgenommen werden. Tatsächlich leben heute rund 80 % der Deutschen in Städten, davon aber nur 17 % in Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern und knapp 60 % in Städten zwischen 10.000 und 500.000 Einwohnern. Damit leben in Deutschland heute weniger Menschen in großen Großstädten (17 %) als in kleinen Kleinstädten und Landgemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern (24 %).Footnote 11 Die quantitative Bedeutung kleinerer Städte unter 100.000 Einwohner, die 61 % der deutschen Bevölkerung beherbergen,Footnote 12 schlägt sich aber nicht in einer entsprechenden wissenschaftlichen Aufmerksamkeit nieder, die vor allem den großstädtisch geprägten Metropolen als ‚Zukunftsmodell‘ gilt.

Die folgenden Überlegungen verdichten die Vielfalt subjektiver Raumerfahrungen aus meinem empirischen Material und aus der Fachdebatte, die empirisch immer an konkrete Räume gebunden sind, zu Mustern der Erfahrung postindustrieller StadtLandschaften für die abstrakten, typisierten Räume unter dem Einfluss der je dominant gewordenen Raumdynamiken, die im vorhergehenden Kapitel konzeptualisiert wurden. Wie bei allen Idealtypen handelt es sich um überspitzte Wirklichkeitsdeutungen zugunsten der weiteren Theoriebildung, die so nicht ohne Weiteres in der Realität wiederzufinden wären. Der Fokus liegt dabei auf der sozialen Raumpraxis (espace perçu) und beobachteten Repräsentationsräumen (espace vécu). Die leitenden Motive sind in Abb. 2 schlagwortartig gegenübergestellt.

Abb. 2
figure 2

Muster der Raumerfahrung in postindustriellen StadtLandsch-aften

Zwischen unendlichen Möglichkeiten und wachsender Überforderung – so lassen sich die mitgeteilten Raumerfahrungen aus den globalisierten Zentren zusammenfassen: Sie sind typischerweise durch das dichte Zusammenleben kapitalstarker (Wirtschafts-)Eliten und gestresster Wissensarbeiter mit Alteingesessenen geprägt. Häufig sind Letztere mit der örtlichen Geschichte verbunden und beanspruchen die Tradierung einer gewachsenen Raumerinnerung. Erstere werden hingegen durch dichte Infrastrukturen und ein entsprechendes Stadtmarketing angezogen und suchen neuartige Experimentierfelder. Sie beleben als Vertreter flexibler Arbeitnehmermentalitäten, die Sennett (1998) in seinem Buch „Der flexible Mensch“ plakativ als „hochmobile Surfer“ und „transnationale Player“ beschreibt, diese Räume kulturell, werten sie ökonomisch auf und fordern die öffentliche Erbringung jener „Externalitäten“, die Konzerne sowie Bildungs- und Kultureinrichtungen lockt und deren Absenz schwächere Räume zu Verlierern stempelt (vgl. Dörfler 2011: 92).

Meine Gesprächspartner in expandierenden StadtLandschaften wettbewerbsstarker Metropolen schätzen das Leben mit Gleichgesinnten, die Gleichzeitigkeit von anregenden Szenen und Milieus, dichten Versorgungsstrukturen, zahlreichen Schnittstellen und privaten Orten des Rückzugs sowie das hohe Ortsprestige. „Hier ist immer was los und ich bin mittendrin“, fasst eine Teilnehmerin des lokalen Agendaprozesses in München ihre Raumerfahrung zusammen und fährt fort, „aber das hat seinen Preis: hier gibt es nichts für umsonst“. Als problematisch werden die hohen Mieten und Lebenshaltungskosten erlebt, die jede Zukunftsplanung belasten, und die permanente Überforderung durch zu viele Menschen, Angebote, Möglichkeiten und Konkurrenz. Vor diesem Hintergrund gewinnen Gemeinschaft und Sicherheit an Bedeutung. Immer öfter steigen Wohngenossenschaften in die soziale Quartiersentwicklung ein, Baugemeinschaften experimentieren mit integrativen Wohn- und Lebensformen (vgl. Elsen 2012). Die Suche nach ‚Gemeinschaft‘ jenseits wirtschaftlicher Funktionsorientierung motiviert beispielsweise altersübergreifend ein kollektives „Containern“ zur „Lebensmittelrettung“ (aus dem Abfall des Lebensmittelhandels), beeinflusst aber auch stärker ökologisch motivierte Experimente des so genannten DIY-(Do-it-yourself)-Urbanism auf dem Weg zur Transition Town. Zugleich entstehen abgegrenzte „Familienenklaven“ (Frank 2013: 69) mit kleinstädtischer Anmutung und auf der Suche nach „funktionierenden sozialen Netzwerken“ (Frank 2013: 71) als Folge der erlebten Überforderung sowie sozial distinktive Szenen und Milieus als Möglichkeit der Abgrenzung und Orientierung. In urbanen Bewegungen kämpfen engagierte Städter um lebenswerte Innenstädte, um den Erhalt identifikatorischer Gebäude und Einrichtungen, um Spielräume der Begegnung und gegen weitere Großprojekte im Dienste globaler Investoren. Letztere werden als Intensivierung der homogenisierenden Akkumulationsregime auf Kosten der örtlichen Wohn- und Lebensqualität wahrgenommen und oft mit explizitem Bezug auf Lefebvres Theorie kritisiert. Die hochverdichteten Räume sollen sich stattdessen für lebensweltlich definierte Nischen öffnen, ‚belebende‘ Mitgestaltung wird von Aktiven eingeklagt. Dabei gehen die Konflikte um Erneuerung und Bewahrung, um Verdrängung und Behauptung über die politische Gentrifizierungsdebatte hinaus, werden nicht selten eher symbolisch-kulturell ausgetragen. Da gilt die Bepflanzung von Baumscheiben oder das Überstricken von Straßenbarrieren bereits als „Guerilla-Initiative“ gegen die kalte Instrumentierung städtischer Räume zugunsten ihrer fürsorglicheren Nutzung. Explizit befragt, werden vor allem drei zentrale Herausforderungen für die Gestaltung großstädtischer StadtLandschaften benannt: bezahlbare Wohn- und Arbeitsräume auch in begehrten Lagen, sozial integrative Nutzungsmöglichkeiten der (knappen) öffentlichen Räume (auch für Ältere, für Sport, für das Experimentieren mit Alternativen) und eine kulturell anschlussfähige, lokale Einbindung globaler Entwicklungstrends und -zwänge. Allerdings haben Bürgerinitiativen oft exklusiven Charakter, sind von artikulationsstarken Schichten geprägt. Die symbolischen Zeichensysteme geben sich weltoffen und international.

Zwischen permanenter Konkurrenz und Verlust der Mitte – so stellt sich das Raumerleben an den polarisierten Rändern und in den Lücken der dichten Netzwerkzentren in Gesprächen dar. In den StadtLandschaften der Zwischenstädte scheinen sich die Menschen an den benachbarten Zentren mit ihren vielfältigen Möglichkeiten zu erfreuen und profitieren von einer gewissen Unsichtbarkeit, die auch halblegale Existenzweisen ermöglicht. Aber vor allem die Jüngeren und die Kreativen fühlen sich ‚hinausgeschoben‘, beklagen steigende Preise und fehlende Spielräume, denn hier leben pro Quadratmeter die meisten Menschen (und Kinder). In Agendaprozessen werden oftmals eine unzureichende Infrastruktur problematisiert – vom öffentlichen Verkehr bis zu den Kultureinrichtungen – und das geringere Ortsprestige bedauert. Verdrängungsängste durch Gentrifizierungsprozesse spielen ebenfalls eine große Rolle. Diese postindustriellen, oftmals als ‚gesichtslos‘ abgewerteten StadtLandschaften sind die Verlierer der allgemeinen Wertschätzung und nicht die abgelegenen Orte der Peripherie, und zwar unabhängig davon, ob es um Hochhauskomplexe oder Einfamilienhaussiedlungen geht.

Die hier lebenden Menschen müssen oft täglich lange Wege zurücklegen, um Anschluss an die Zentren mit ihren existenzsichernden Gelegenheitsstrukturen zu finden. Ob Wohnraum, Arbeits-, Lager-, Betreuungs- oder Parkplätze – es fällt den hier angesiedelten kapitalschwächeren Unternehmen und Haushalten angesichts einer überwältigenden Konkurrenz schwer, Angebot und Nachfrage zur Deckung zu bringen. So stellt sich ein Lebensgefühl des ‚permanenten Hinterherlaufens‘ ein, wobei sich das Ziel, die vermeintliche gesellschaftliche Mitte, als beweglich erweist. Geprägt von umkämpfter Aufmerksamkeit und vernachlässigter Infrastruktur, spricht einiges für die gehetzte Raumerfahrung von nachlaufenden „Driftern“ (Sennett 1998: 14 ff.), also von ‚Getriebenen‘, die unter der durch Flexibilisierung erzwungenen Bindungslosigkeit leiden und in ihren Räumen symbolisch darum ringen, kohärente Erzählungen herzustellen. Teils herrscht aber auch eine saturierte Genügsamkeit vor, in deren Rahmen vor allem das Erreichte bewahrt und verteidigt werden soll. Während in urbanen Gärten, die auf Stadtbrachen erkämpft werden, viel von Gemeinschaft, von einem Bezug zum „richtigen Leben“, „zur Natur“, zu „ursprünglichen Werten“ die Rede ist (Kropp 2011: 84), geht es in manch anderen Bürgerinitiativen vor allem um die Abwehr weiterer Neuankömmlinge oder neuer Versorgungseinrichtungen (etwa regenerativer Energie). Alternative Raumpraxen entstehen teils als sozial innovative Revitalisierungsprojekte (z. B. Bürgerstiftungen, Wohnungsgenossenschaften, Quartiersvereine; vgl. Moulaert/Martinelli/Swyngedouw et al. 2010), teils im Rahmen experimentierender Zwischenexistenzen, die vor allem zu eigenen Gunsten zu mehr oder weniger sozial und kulturell integrativen Projekten einer alternativen Quartiersentwicklung beitragen. Ziel ist die (Wieder-)Einbettung des eigenen Lebens in Begegnungsräume, der Erhalt von ortstypischen Qualitäten, die kulturelle Aufwertung der ökonomisch von Abwertung bedrohten oder betroffenen Gebiete. Die symbolischen Zeichensysteme arbeiten gelegentlich mit Lokalkolorit.

Zwischen Provinzialität und Selbstorganisation – die gelebten Räume der diversifizierten ‚kleinen Zentren‘, der herausgeputzten Landstädtchen mit ihren zahlreichen Vereinen und vielfältigen Bezügen haben demgegenüber Puppenstubencharakter und erstaunen zugleich durch die Weltläufigkeit ihrer Schlüsselakteure. Hier leben häufiger autochthone Bevölkerungsgruppen mit einer expliziten Raumbindung. Sie initiieren, mitunter auf einer ererbten finanziellen Basis, kreative Nachbarschaften und machen Platz für Sozial- und Kulturunternehmer (oftmals Rückkehrer oder Stadtflüchter), die als urban transformer nicht länger die ohnehin schon überteuerten Innenstädte gentrifizieren, sondern den Wiedererkennungs- und Wohnwert in diesen günstigeren Experimentierräumen erhöhen. Das Ziel ist, Infrastruktur zu erhalten, zu revitalisieren oder auch neu zu erfinden (vgl. Faber/Oswalt 2013). Im Rahmen enger sozialer Netzwerke und gleichzeitig vielfältiger überörtlicher Beziehungen gelingt es oftmals, globale Einflüsse geschickt mit lokalen Besonderheiten und Ansprüchen zu verknüpfen, von Förderprogrammen zu profitieren, für die eigenen Belange Gelegenheiten zu nutzen und im Vergleich mit den trägeren Verwaltungseinrichtungen größerer Städte schneller Richtungswechsel zu vollziehen. Im Alpenraum lassen sich beispielsweise im Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels oder der Energiewende Pioniergemeinden beobachten, die geschickt endogene Ressourcen mit überregionalen Unterstützungsmöglichkeiten kombinieren (vgl. Brickmann/Kropp/Türk 2012).

Diese rurbanen Zentren, StadtLandschaften mit ländlichem Flair, sind bei meinen Befragten die Gewinner bei den Wohnortpräferenzen. Dabei prägt ihre gelebten Räume eine eigentümliche Kombination aus fortbestehender Traditionsorientierung und überraschend unvoreingenommener Experimentierfreude. Viele begrüßen explizit das Leben unter Ähnlichen (eine Aussage, die nun auch ethnisch konnotiert ist), zugängliche Experimentierfelder und Mitsprachemöglichkeiten, die eine lebendige Zivilgesellschaft mit Kirchengemeinde und Vereinen bieten, sowie den örtlichen Wiedererkennungswert. „Eine Handvoll Engagierter reicht, man kennt sich Jahrzehnte, schätzt sich persönlich, und dann verbreitet sich die Überzeugung und viele, viele machen mit“, beschreibt ein Bürgermeister den Weg zur erfolgreichen Klimaschutzkommune. Dass vieles davon von außen ‚miefig‘ wirkt und meist für Teile der Bevölkerung mit dem Zwang zum Pendeln verbunden ist, nehmen meine Gesprächspartner gerne in Kauf. Ortsinnovationen gehen häufig auf Beteiligungsprozesse bzw. -erfahrungen zurück, verknüpfen ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle Anliegen, profitieren von persönlichen Beziehungen und beziehen sich meist explizit auf Zukunftsfragen. Die Zeichensysteme sind sehr unterschiedlich – Diversität ist das Motto.

Zwischen Eigentümerstolz und Isolation – in den ausgedünnten Räumen der Abgehängten dominiert demgegenüber die Zukunftsskepsis. Wo offenbar Kapital- und Bildungsschwache sowie die Älteren zurückbleiben, sind bald nicht nur die Infrastrukturen gefährdet, sondern auch die zivilgesellschaftlichen Spielräume und der Wille zur zukunftsorientierten Investition (vgl. Kersten/Neu/Vogel 2012). Selbst lokal verwurzelte Arbeitgeber drohen im Moment des Generationenwechsels zu verschwinden und es fehlen Investoren, die sich vorstellen können, hier ein profitables, zukunftsfähiges Unternehmen zu gründen. Aber auch in diesen fraglos strukturschwachen Räumen bestimmt ein urban way of life den Alltag und führt zu gleichermaßen von Prekarität und Eigentum geprägten StadtLandschaften, wie sie Bude/Medicus/Willisch (2011) erkundet haben. Das bedeutet, dass globale Symbolwelten auch diese Orte erfasst haben und sich beispielsweise in überraschenden Architekturen, Discount- und Fachmarktzentren sowie deren reger Nutzung niederschlagen, ohne dass davon aber zukunftsorientierte Verknüpfungen und Impulse ausgingen.

In den von Schrumpfung, Abwanderung und Exklusion erfassten Orten beklagt man die sichtbaren Zeichen des Niedergangs (Leerstand, Rückbau von Versorgungseinrichtungen), schätzt aber das Leben im Vertrauten, dass Wohnungen und Häuser erschwinglich sind und man sich auch Garage und Gärtchen leisten kann. Es wird zwar selten angesprochen, dass das Eigentum an Wert verliert und die Daseinsvorsorge prekär wird, aber die Abwanderung der Jüngeren aufgrund fehlender Möglichkeiten ist ein schmerzliches Thema und immer wieder ist von „Orten der Traurigkeit“ die Rede. Wenn es hier gelingt, ortsbezogene Projekte auf den Weg zu bringen, gehen sie meist von innovativen Einzelpersonen aus, von „Raumpionieren“ (Faber/Oswalt 2013; Matthiesen 2013), und beschäftigen sich gezielt mit Infrastrukturfragen. Darunter werden allerdings weniger die Einrichtungen der technischen Daseinsvorsorge verstanden, die nach wie vor überall in Deutschland gegeben sind, sondern innovative Projekte ringen darum, im Kultur-, Bildungs- und Ökologiebereich „Neuland zu gewinnen“ (so die bemerkenswerte Förderung der Robert-Bosch-StiftungFootnote 13), also der räumlichen Erfahrung des angedrohten Niedergangs einen experimentellen Neuanfang entgegenzusetzen. Die Zeichensysteme dieser Repräsentationsräume erinnern an urbane Subkulturen.

5 Regionale StadtLandschaften und ihr Bezug zu ortsbezogenen sozialen Innovationen

Unterschiedliche Raumerfahrungen bestimmen nicht nur die Zeichenwelten der Repräsentationsräume und das ortsbezogene Träumen ihrer Bewohner. Sie lassen diejenigen, die sich kritisch in die gesellschaftliche Raumproduktion einmischen, auch unterschiedliche Strategien und Codes wählen. Auch wenn das wissenschaftliche Interesse an den von ihnen losgetretenen Transformationsprozessen, am zivilgesellschaftlich wieder auf die politische Agenda gesetzten „Recht auf Stadt“ (Lefebvre 1968) und den treibenden Raumpionieren in den letzten Jahren stark gewachsen ist (vgl. z. B. Klein/Fontan/Tremblay 2009; Harvey 2013; Faber/Oswalt 2013; Hahne 2014), fehlt noch weitge-hend eine Verknüpfung der eher sozialwissenschaftlichen Überlegungen mit der stärker planerisch ausgerichteten Raumforschung. Um diese Lücke künftig zu schließen und die in den verschiedenen Disziplinen entstehenden Kräfte im Umgang mit den großen demographischen und ökologischen Zukunftsfragen zu bündeln, wurde hier eine lebensweltliche Perspektive auf postindustrielle Raumerfahrungen entwickelt. Auch wenn sich die Sichtung der lebensweltlichen Raumerfahrungsmuster bisher nur auf abstrakte Raumtypen beziehen kann, erlaubt sie, sowohl die Proteste gegen bauliche Großprojekte als auch die Entstehung von Energiegenossenschaften und Gartenprojekten, von Quartiersvereinen und Regionalmärkten als ortsbezogenen Widerstand gegen eine uniformierende Raumproduktion zu lesen, die sich örtlich ungleich niederschlägt und weitere Ungleichheiten und Divergenzen produziert.

Die narrative Erkundung unterschiedlich geprägter Raumerfahrungen soll helfen, die gemeinsame Struktur von ortsbezogenen Innovationen zu verstehen, die zunächst sehr unterschiedlich aussehen. Denn es geht um meist zivilgesellschaftlich getragene Initiativen und Handlungsansätze, mit denen die Beteiligten um die Wiederaneignung ihrer zunehmend aus der Ferne definierten Handlungsräume ringen. Ob als Stadtstrände, community supported agriculture, ländliche Bürgerwindparks, Bürgerbahnhöfe, Bio-Regionen oder Transition Towns, in all diesen Formen wird die regionale Raumerfahrung postindustrieller StadtLandschaften zum Ausgangspunkt genommen, um den gesellschaftlichen Wandel im Kleinen umzukodieren. Globalen Verwertungsinteressen und einer funktionalisierten Raumentwicklung im Dienste von Akkumulation und Beschleunigung setzen sie alltagspraktisch die Signaturen stärker lebensweltlicher Bedeutungssetzungen mit all den Konflikten und Widersprüchen entgegen, welche die raum-zeitliche Konfiguration der vermittelnden Ebene (Schmid 2005: 314 f.) in StadtLandschaften mit sich bringt.

Unter postindustriellen Produktionsbedingungen mit flexiblen Finanz-, Kapital- und Beschäftigungsmärkten wird die klassische Differenz zwischen Zentrum und Peripherie auch weiterhin überformt werden von der örtlich verankerten Fähigkeit, Teil der weltumspannenden Netzwerke zu sein. Diese Fähigkeit ist keineswegs nur technisch zu betrachten, sondern hängt auch von der Artikulationskompetenz und einer sozial innovativen Kreativität und Offenheit ab, Verknüpfungen auch zu kulturell fremden Routinen und Wertsetzungen herstellen zu können (vgl. Klein/Roy 2013). Ortsbezogene soziale Innovationen, ihre Experimente und ihre Fähigkeit, „die verborgenen Möglichkeiten innerhalb des Umbruchs aufzuspüren und nutzbar zu machen“ (Willisch 2013: 68) sind dabei nicht weniger vielversprechend als technokratisch-administrative Innovationen, die als „Beschleuniger der Modernisierungslogik“ (Blühdorn 2013: 105) in vielen StadtLandschaften verheerende Folgen nach sich ziehen.

Das Urbane – als utopisches Potenzial (Vogelpohl 2011) – ist dabei der Ort der Konfrontation vielfältiger Möglichkeiten, Möglichkeitsräume und Möglichkeitssinne. Wenn die „postpolitische Stadt“ (Swyngedouw 2013) und die aktuell beispielsweise in den Technologiephantasmen zur Energiewende kenntlich werdenden Bestrebungen einer „Politik der Nicht-Nachhaltigkeit“ (Blühdorn 2013: 203) zugunsten alternativer Zukunftsräume überwunden werden sollen, muss es darum gehen, die räumlich konstitutiven, sozialen Unterschiede und Interessenkonflikte wieder sichtbar zu machen (vgl. Swyngedouw 2013: 14) und „potenzielle urbane Räume zu benennen“ (Swyngedouw 2013: 153). Ähnlich schreibt auch Walter Siebel in seiner Replik auf Statements zur Wiederveröffentlichung seines 1978 gemeinsam mit Hartmut Häußermann veröffentlichten Artikels zu den Aufgaben der Stadtsoziologie: „Themen wie soziale Polarisierung, Ausgrenzung, Integration, Renaissance der Städte und Schrumpfen sind auch Anzeichen dafür, dass sehr viel grundsätzlichere Phantasie gefordert ist, seit der klassischen Verteilungspolitik die Basis üppiger Wachstumsraten abhandengekommen ist“ (Siebel 2013: 152).

Raumplanung und Raumforschung können ihren Teil dazu beitragen, indem sie Raumerfahrungen sondieren, transparent machen und zur Debatte stellen, ja sogar „auf die Konstruktion großer neuer Fiktionen setzen, die echte Möglichkeiten für den Entwurf unterschiedlicher städtischer Zukunftsszenarien eröffnen“ (Swyngedouw 2013: 154). Da das „Erlebte“ sich „durch die theoretische Analyse nicht ausschöpfen“ lässt, sondern „immer ein Mehr, ein Rest, ein Residuum, in [Lefebvres] Augen das Wertvollste“ bleibt, „das sich nur mit künstlerischen Mitteln ausdrücken lässt“ (Schmid 2005: 317), muss verstärkt mit Methoden der lebensweltlichen Rekonstruktion und Konstruktion gearbeitet werden. Der vorliegende Beitrag ist ein Versuch, dafür Forschungsperspektiven zu entwickeln.

Befähigende Sozialräume, StadtLandschaften, die zur gemeinsamen Gestaltung differenter Horizonte einladen, aber auch Möglichkeiten der nahräumlichen Identifikation gewinnen dafür weiter an Bedeutung, auch wenn nicht übersehen werden darf, dass viele der räumlichen Aneignungsansprüche durchaus exklusiven Charakter haben. Beteiligungsmöglichkeiten und Beteiligungsprozesse erhalten deshalb in der Stadt- und Regionalentwicklung besondere Relevanz, sofern sie nicht „simulativ“ der Selbstillusionierung aller Beteiligten geopfert werden (Blühdorn 2013), sondern Mitsprache, Mitgestaltung und Mitwirkung trotz der übergroßen Komplexität der räumlichen Konfiguration von StadtLandschaften ermöglichen (Selle 2013: 13). Mit etwas Glück wird es im Rahmen echter Beteiligungsprozesse möglich, lebendige Zwischenräume zu entwickeln, „die das Ergebnis von Wahrnehmung und Vorstellungskraft sind, Räume, die real und imaginiert, materiell und metaphorisch, geordnet und ungeordnet zugleich sind“ (Swyngedouw 2013: 155) – eben regionale StadtLandschaften.