1 Einleitung

Der vorliegende Beitrag geht davon aus, dass Wirtschaftsunternehmen und unternehmerische Zusammenschlüsse (z. B. Kammern und Wirtschaftsverbände) über eigene Positionierungsstrategien, Stadt- und Regionalentwicklungskonzepte oder durch die Mitwirkung in öffentlichen Gremien zunehmend den Regelungsbereich der hoheitlichen Planung bei Fragen der Raumentwicklung beeinflussen. Das Engagement privatwirtschaftlicher Akteure bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes ist dabei keinesfalls neu (vgl. Heinz 2006; Pesch 2006), allerdings scheinen sich strategische Entscheidungen von Unternehmen mittlerweile nicht nur auf den eigenen Unternehmensbereich zu beziehen. Vielmehr haben sie einen wesentlich größeren Wirkungsbereich – bezogen auf den Gegenstand (themenübergreifend) und den räumlichen Zuschnitt (gesamtstädtisch oder stadtregional) – im Blick.

Der Beitrag verfolgt daher das Ziel, anhand verschiedener stadtregionaler Entwicklungsprozesse zu hinterfragen, welche Interessen überregional agierende Unternehmen in Bezug auf den lokalen oder regionalen Standort verfolgen: Orientieren sich privatwirtschaftlich beeinflusste Entwicklungsprozesse eher an betriebswirtschaftlichen Motiven und richten sich die Fähigkeiten und Ressourcen des Unternehmens ausschließlich an betrieblichen „Nutzenpotenzialen“ (z. B. Gewinnorientierung) aus? Oder sehen sich Unternehmen und Wirtschaftsverbände moralischen Maßstäben verpflichtet und übernehmen uneigennützig Verantwortung für die Gesellschaft bzw. den lokalen oder regionalen Standort, indem sie eigene Ressourcen für das Gemeinwohl einsetzen? Kann in diesem Zusammenhang – in Anlehnung an „Corporate Social Responsibility“ – sogar von einer Corporate Spatial Responsibility gesprochen werden?

Im Folgenden werden zunächst unterschiedliche Motive und Herangehensweisen für die von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden beeinflussten Entwicklungsprozesse dargestellt sowie der Ansatz der Corporate Spatial Responsibility theoretisch hergeleitet und zur besseren Einordnung von anderen Privatisierungsformen abgegrenzt (Kapitel 2 und 3). Anhand ausgewählter Fallbeispiele werden verschiedene privatwirtschaftlich beeinflusste Entwicklungsprozesse auf gesamtstädtischer bzw. stadtregionaler Ebene analysiert (Kapitel 4). Hierfür wird auf Fallstudien zurückgegriffen, die in der Literatur bereits ausführlich dargestellt wurden und die einen eindeutigen Bezug zur Fragestellung erkennen lassen. Ziel ist es, das Engagement und die Motivation für privatwirtschaftliches Engagement in einer Analysematrix zu systematisieren (Kapitel 5) und in Bezug auf die Qualitäten einer zunehmend privatwirtschaftlich initiierten räumlichen Entwicklungspolitik sowie Vor- und Nachteilen einer möglichen Corporate Spatial Responsibility kritisch zu reflektieren (Kapitel 6). Dabei geht es v. a. um die Frage, ob und mit welchen Zielen private Unternehmen oder korporative Wirtschaftsakteure Ansätze von Placemaking oder policy making (vgl. Fürst/Lahner/Zimmermann 2004; Massey 2004) nutzen und welche Folgen eine mögliche Überlappung oder Konkurrenz öffentlicher und privater Raumentwicklung und entsprechender strategischer Konzepte für die Stadt- und Regionalentwicklung hat.

2 „Corporate Spatial Responsibility“ oder „Corporate Spatial Strategy“: Motive für Privatwirtschaftlich Beeinflusste Entwicklungsprozesse

Dem strategischen Engagement von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden kommt in Bezug auf Stadtentwicklung eine steigende Bedeutung zu, wie aktuelle Prozesse in Wolfsburg (Wolfsburg AG), Köln und Hamburg (Masterplan bzw. Entwicklungskonzept, federführend von der Industrie- und Handelskammer bzw. der Handelskammer erstellt) oder der Metropolregion Rhein-Neckar (Metropolregion Rhein-Neckar GmbH) zeigen. Strategische Planung wird dabei als „disziplinierte Anstrengung zur Herbeiführung fundamentaler Entscheidungen“ verstanden (Byrson 1995: 4 f.) und umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen und Instrumenten, die privatwirtschaftliche, gemeinnützige und öffentliche Organisationen zur erfolgreichen Organisationssteuerung in einer komplexen und dynamischen Umwelt einsetzen (Wiechmann 2010: 24). Die Produktion von Raum (place making) kann dabei als „strategische Komponente von Prozessen der raum- bzw. ortsgebundenen Identitätsbildung“ in Stadtentwicklungsprozessen verstanden werden (Bürkner 2005: 5).

Es stellt sich jedoch die Frage, warum Unternehmen und Wirtschaftsverbände Raum „gestalten“, Plandokumente entwickeln oder strategische Maßnahmen zur raum- bzw. ortsgebundenen Identitätsbildung ergreifen. Die Motive der privatwirtschaftlichen Akteure können dabei in die zwei Extrempositionen „Markt“ und „Moral“ unterschieden werden. Hinsichtlich der Position „Markt“ wird unterstellt, dass die „Raumproduktion“ der Umsetzung unternehmerischer Zielsetzungen dient. Das räumliche Engagement von global (oder zumindest überregional) agierenden Unternehmen könnte dann unter dem Begriff „Corporate Spatial Strategy“ zusammengefasst werden. Unternehmen setzen (räumliche) Strategien in diesem Kontext bewusst ein, um bestimmte Unternehmensziele (z. B. Umsatzsteigerung, besseres Marketing, Produktivitätssteigerung) zu verwirklichen. Strategische Planung ist hier in erster Linie gewinn- oder erfolgsorientiert und verfolgt damit eher wirtschaftlich-ökonomische Zielsetzungen (Schuh/Boos/Kampker et al. 2011: 66 ff.). Unternehmensstrategien können durchaus auch soziale und ökologische Interessen und Verpflichtungen enthalten, allerdings werden diese strategisch eingesetzt, um Wettbewerbsvorteile zu generieren (Jonker/Stark/Tewes 2011: 9 f.).

Zum anderen können privatwirtschaftlich beeinflusste Entwicklungsprozesse, in Anlehnung an das Konzept einer „Corporate Social Responsibility“ als „Corporate Spatial Responsibility“ beschrieben werden. Bei Corporate Social Responsibility folgen Unternehmen moralischen Grundsätzen (vgl. z. B. Backhaus-Maul/Biedermann/Nährlich et al. 2010) und interessieren sich für „gesellschaftliche Problemzusammenhänge …, die nicht in einem direkten Kausalzusammenhang mit ihrer ökonomischen Tätigkeit stehen und in diesem Sinne außerhalb ihrer Wertschöpfungskette liegen“ (Hiß 2006: 41). Ökologische und soziale Belange werden hier freiwillig in die Unternehmenstätigkeit integriert. Damit handelt es sich bei Corporate Social Responsibility nicht um einen Ersatz für rechtliche, festgelegte Regelungen, sondern um die freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen zu verantwortlichem und gesellschaftlichem Handeln (Hiß 2006: 24; Jonker/Stark/Tewes 2011: 5). Corporate Spatial Responsibility greift diese Zusammenhänge auf. Der Begriff „Spatial“ verdeutlicht dabei – unter der Prämisse, dass das gesellschaftliche Engagement eines Unternehmens über die engeren betriebswirtschaftlichen Interessen hinausgeht – ein freiwilliges räumliches Engagement für einen Standort oder eine Region.

3 Privatisierung von Stadt- und Regionalentwicklung: (k)ein neues Feld?

Das Spannungsfeld zwischen unternehmerischem Interesse und gesellschaftlicher Verantwortung sowie die damit verbundene räumliche Aktivität von Unternehmen sind keinesfalls neu. Unternehmen wie Ford in den USA, Krupp im Ruhrgebiet oder BASF/I.G. Farben in Ludwigshafen griffen bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts durch Gesundheitsprogramme oder das Bereitstellen von Wohnungen für Arbeitskräfte in die Gestaltung ihres unternehmerischen Umfeldes ein (Bassen/Jastram/Meyer 2005: 231; Becker 2011: 78). Für die Arbeiter bestand der Vorteil darin, Wohnungen zu erhalten, die günstiger waren und eine bessere Ausstattung aufwiesen als Wohnungen auf dem freien Markt (Kieß 1991: 374). Das Ziel von Unternehmern wie Krupp war es, die Arbeiter durch die Kopplung des Mietverhältnisses an das Arbeitsverhältnis an einen Standort oder an eine Zeche zu binden und eine feste Belegschaft aufzubauen. Insgesamt waren die Motive der Unternehmen also weniger sozial als ökonomisch begründet. Dies wird auch daran deutlich, dass durch die ergriffenen Maßnahmen die umfassende Kontrolle der Arbeiter möglich war, deren Loyalität gefördert wurde sowie Streiks verhindert wurden (Kieß 1991: 376 ff.). Diese Beispiele zeigen einen eindeutigen Bezug zu Corporate Spatial Strategies, allerdings können Unternehmen wie Ford und Krupp in Teilbereichen ihrer Motivation durchaus auch als „organisierte Bürger“ verstanden werden, die zur Verwirklichung gesellschaftlicher Zielsetzungen und Grundsätze beigetragen haben (vgl. z. B. Backhaus-Maul/Biedermann/Nährlich et al. 2010). Die Motivation der BASF/I.G. Farben zu Beginn des 20. Jahrhunderts kann unter anderem auch dadurch erklärt werden, dass in der Region nicht ausreichend Wohnraum vorhanden war und BASF/I.G. Farben diesen „Mangel“ beheben wollte (Becker 2011: 78 f.).

Im Spannungsfeld zwischen „Markt“ (Corporate Spatial Strategy) und „Moral“ (Corporate Spatial Responsibility) bewegen sich auch Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP), die im Rahmen der „unternehmerischen Stadt“ (vgl. Brenner/Heeg 1999; Redak 2000; Sinning 2006), zusammen mit der Einführung einer schlanken und effizienten Verwaltung sowie der Privatisierung öffentlicher Leistungen und städtischen Eigentums, eingeführt wurden. Im Gegensatz zu Corporate Spatial Responsibility konzentrieren sich Öffentlich-Private-Partnerschaften aber auf Einzelprojekte und auf die Bearbeitung definierter Aufgaben der öffentlichen Hand in einer bestimmten Zeitspanne, z. B. Planung, Bau, Erneuerung, Management und Betrieb von Einrichtungen und Gebäuden der öffentlichen Infrastruktur (Heinz 2004). Dabei stehen für Unternehmen und privatwirtschaftliche Akteure betriebswirtschaftliche Motive im Vordergrund, unter anderem mittel- bis langfristige Planungssicherheit, Mitgestaltungsmöglichkeiten bei öffentlichen Aufgaben und ggf. eine Imageverbesserung durch die Übernahme ehemals öffentlicher Aufgaben (Bieker/Knieling/Othengrafen et al. 2004: 47). Allerdings ist bei dieser Form der Zusammenarbeit von Kommunen und Wirtschaftsvertretern – neben der Mobilisierung privaten Kapitals und Know-Hows – mit einer Einschränkung der kommunalen Handlungsfreiheit, thematischer Selektivität und dem Ausschluss bestimmter Akteure zu rechnen (Budäus/Grüning 1997: 62; Heinz 2006: 157 f.).

Ähnliches trifft auch auf die Konzepte der „Business Improvement Districts“ (BID) und „Housing Improvement Districts“ (HID) zu, bei denen privatwirtschaftliche Akteure (Grundeigentümer, Geschäftsinhaber etc.) und öffentliche Institutionen in einem bestimmten Quartier zusammenarbeiten (vgl. Kreutz 2008; Brenner 2010). „Angetrieben durch negative Auswirkungen des wirtschaftlichen Strukturwandels wie bspw. einen ausgedünnten Branchenmix oder leer stehende Ladenlokale“ (Wiezorek 2010: 7) konzentrieren sich Business Improvement Districts vornehmlich auf innerstädtischen Einzelhandel und haben das Ziel, die Attraktivität von Einzelhandels- und Dienstleistungszentren zu erhöhen sowie eine Gewinnsteigerung des Einzelhandels und eine verbesserte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu erreichen (Häußermann/Läpple/Siebel 2008: 293).

Im Hinblick auf die unterschiedlichen Motive für privatwirtschaftlich beeinflusste Entwicklungsprozesse in den bisher angeführten Fällen von Öffentlich-Privaten-Partnerschaften, Business Improvement Districts und Housing Improvement Districts bleibt festzuhalten, dass sich das strategische Denken von Unternehmen, Eigentümern, Wohnungsbaugesellschaften, Geschäftsinhabern oder Investoren eher auf einen klar umgrenzten, kleinmaßstäblichen Raum bezieht und in erster Linie ökonomische (privatwirtschaftliche) Zielsetzungen verfolgt (Corporate Spatial Strategy). Beispiele wie Wolfsburg (Wolfsburg AG), Köln (Master Plan federführend erstellt von der Industrie- und Handelskammer) sowie der Metropolregion Rhein-Neckar (Metropolregion Rhein-Neckar GmbH) zeigen hingegen, dass privatwirtschaftliche Akteure zunehmend auch auf der gesamtstädtischen bzw. stadtregionalen Ebene strategisch tätig sind und dabei nicht nur einzelbetriebliche Interessen verfolgen (vgl. Kapitel 4). Dazu zählen insbesondere die Entwicklung von „Positionierungsstrategien“, in denen private Akteure bestimmte Themenfelder besetzen, die Einflussnahme über politische Prozesse sowie die Ko-Produktion von ehemals öffentlichen Aufgaben im Bereich der kommunalen Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung sowie der Stadtentwicklung. Inwiefern hierbei einzelne Unternehmen als „organisierte Bürger“ gesellschaftliche Interessen und Belange im Sinne einer Corporate Spatial Responsibility in den Vordergrund stellen („gesellschaftliche Raumproduktion“) oder doch eher einzelwirtschaftliche Interessen verfolgen, wird im folgenden Kapitel anhand ausgewählter Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum erläutert.

4 Beeinflussungsstrategien von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden auf städtischer und stadtregionaler Ebene

Dieses Kapitel gibt einen Überblick über verschiedene privatwirtschaftliche Strategien auf städtischer und stadtregionaler Ebene im deutschsprachigen Raum, die sich hinsichtlich ihrer Ausgangsposition sowie der Art der Einflussnahme durch Unternehmen und Wirtschaftsverbände unterscheiden. Die Auswahl erfolgte zunächst eher erratisch auf Basis der einschlägigen Literatur und beschränkt sich auf den Autoren zuvor bekannte Beispiele privatwirtschaftlicher Einflussnahme. Bei der Auswahl der Fallstudien wurde darauf geachtet, dass die von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden eingesetzten strategischen Maßnahmen ein breites Spektrum direkter und indirekter Beeinflussungsstrategien enthielten.

4.1 Siemens in Erlangen: Direkte Einflussnahme über strategisch ausgerichtete Lobbyarbeit

Als Beispiel für Lobbyarbeit, d. h. die direkte Einflussnahme von Unternehmen auf politische und planerische Entscheidungen, kann das Verhältnis des Siemens-Konzerns zur Stadtentwicklung Erlangens bezeichnet werden. Die Stadt wollte 1947 die Abwanderung des erst kurz zuvor aus Berlin zugewanderten Konzerns unter allen Umständen verhindern und stellte ein Gelände für den Bau eines repräsentativen Verwaltungsgebäudes zur Verfügung. Als Gegenleistung zu den städtischen Investitionen in die erforderliche Infrastruktur errichtete Siemens firmeneigene Wohnsiedlungen und unterstützte lokale Wohnungsunternehmen, um seiner Belegschaft Wohnraum anbieten zu können (vgl. z. B. Förster 1995a). Dafür investierte Siemens bis 1969 rund 130 Mio. DM in den Wohnungsbau (Feldenkirchen 2004: 149). Siemens veränderte damit nicht nur das städtische Erscheinungsbild, sondern auch die Wirtschafts- und Sozialstruktur Erlangens (vgl. Förster 1995b und 1995c). Die Einwohnerzahl verdreifachte sich innerhalb von drei Jahrzehnten von rund 36.000 (1939) auf über 100.000 im Jahr 1974 (Feldenkirchen 2004: 144 ff.).

Während der 1980er und 1990er Jahre kam es allerdings aufgrund der kommunalen Umweltpolitik zwischen der damals regierenden SPD und dem Konzern zu Konflikten über Expansionsmöglichkeiten und Zufahrtsstraßen, die dazu führten, dass Siemens Szenarien entwickelte, den Standort Erlangen teilweise oder ganz aufzugeben. Erst mit einem politischen Wechsel 1996 gab es wieder eine Annäherung zwischen der Kommunalpolitik und Siemens. Seitdem ist eine Kehrtwende in der Stadtentwicklungspolitik zu beobachten. Nun stehen eine „konstruktive Zusammenarbeit und schnelle Entscheidungsfindung von Stadtverwaltung, Unternehmen und Bürgern“ im Vordergrund (Büttner 2009: 136). Die Stadt scheint letztendlich die ‚Macht’ des global players Siemens zu akzeptieren und unterstützt die Unternehmensentwicklung, beispielsweise indem das sogenannte „Medical Valley“ als top-down verordnetes strategisches Projekt entiwickelt wird, bei dem die Siemens-Medizintechnik das Rückgrat ist. Die Abhängigkeit der Stadt bezüglich Steuereinnahmen und Arbeitsplätzen nimmt hierdurch allerdings weiter zu (Greiner 1995).

Lobbyarbeit wird hier oft konfliktpräventiv eingesetzt, um politische Entscheidungen in eine gewünschte Richtung zu beeinflussen. In Bezug auf die Produktion von Raum treten Unternehmen und ggf. auch Wirtschaftsverbände als (teilweise dominante) Mitspieler auf und beteiligen sich an der Beeinflussung der kollektiven Wahrnehmung von Raum in seinen Funktionen. Dies zeigen auch Entwicklungsprozesse in Hannover (IKEA am EXPO-Gelände), Basel (Novartis) und Lübeck (Dräger). Es wird versucht, den Standort des Unternehmens, d. h. die gesamte Stadt bzw. Region, mit dem Selbstverständnis und der Selbstdarstellung des Unternehmens zu verknüpfen, um die erwünschte Unternehmensentwicklung (z. B. Wachstum) realisieren zu können. Damit handelt es sich hier um eine Form von Corporate Spatial Strategy.

4.2 Privatwirtschaftlich initiierte Stadtentwicklungskonzepte mit Einfluss auf die Politik: Masterplan Köln

Eine andere Form privatwirtschaftlicher Einflussnahme auf die Stadtentwicklung findet sich im „Städtebaulichen Masterplan Innenstadt Köln“ aus dem Jahr 2008. Hier beauftragte ein Zusammenschluss von Unternehmen unter Federführung der Industrie- und Handelskammer Köln ein renommiertes Architekturbüro mit der Erarbeitung eines Konzepts für die Entwicklung der Innenstadt. Ziel war es, neue Impulse für die wirtschaftliche und städtebauliche Entwicklung der Stadt zu setzen, welche die Wirtschaftsvertreter von der städtischen Planung nicht erwarteten (Beste 2009: 29). Dieser Plan wurde im Nachhinein durch einen Ratsbeschluss bestätigt und ist inzwischen eine Art „offizielles“ Stadtentwicklungskonzept (Beste 2009; Streitberger 2009). Die Stadt Köln hat ein begleitendes Moderationsverfahren finanziert und „relevante Akteure“ an der Planaufstellung beteiligt (Unternehmer für die Region Köln 2008: 23); eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgte allerdings nicht. Dies war eine Bedingung der Unternehmer für die „Schenkung“ des Masterplans an die Stadt (Beste 2009: 29). Hier hat also eine wirtschaftlich einflussreiche Akteurskonstellation an den verankerten, demokratischen Beteiligungsverfahren vorbei ihre Vorstellungen für die zukünftige Innenstadtentwicklung durchgesetzt (Henning 2010). Gleichzeitig hat sie den Anspruch erhoben, die Umsetzung des „Regiebuchs“ für das zukünftige Handeln zu „überwachen“ (Bouwens-Adenauer/Soénius 2008: 7).

Im Gegensatz zu den eher auf „Lobbyarbeit“ ausgerichteten Formen der Einflussnahme auf die räumliche Entwicklung stellt die Erstellung von gesonderten Stadtentwicklungsplänen und -konzepten durch Unternehmen und Zusammenschlüsse von wirtschaftlichen Akteuren ein neueres Phänomen dar. Hier wird zwar auch intensiv auf die Wahrnehmung und Interpretation von Raum eingewirkt, das Spektrum der privatwirtschaftlichen Beeinflussungsstrategien verschiebt sich dabei aber in eine Richtung, in der private Akteure bestimmte Themenfelder besetzen und damit die „Richtung“ und das „Tempo“ für politische Entscheidungen vorzugeben versuchen. Einzelbetriebliche Partikularinteressen spielen bei der Kooperation eine geringere Rolle (für Köln vgl. Beste 2009: 31 f. sowie Streitberger 2009: 44), allerdings gewinnt die wirtschaftliche Perspektive auf die Stadtentwicklung eine Art hegemonische Deutungshoheit, gegen die schlechter organisierte Interessen wenig entgegensetzen können.

4.3 Metropolregion Rhein-Neckar: Mitwirkung in stadtregionalen Gremien

Als weiteres Beispiel privatwirtschaftlich beeinflusster Entwicklungsprozesse kann die Mitwirkung von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden in städtischen bzw. stadtregionalen Gremien gelten, wie es bspw. in der Metropolregion Rhein-Neckar zu beobachten ist. Zwar handelt es sich hier um eine historisch gewachsene und schon seit Langem durch einen Verband getragene Kooperation (vgl. Schmitz 2005), doch die Anerkennung als „Europäische Metropolregion“ im Jahr 2005 erfolgte v. a. durch das beharrliche Bestreben der „Initiative Zukunft Rhein-Neckar-Dreieck“ und des damaligen Vorstands der BASF (vgl. Sarcinelli/König/König 2009: 164). Dieses außergewöhnliche Engagement eines einzelnen Akteurs bzw. Unternehmens und das Wohlwollen der beteiligten Ministerpräsidenten führte dann zur formalen Gründung der organisatorischen Strukturen der heutigen Metropolregion Rhein-Neckar (Schmitz 2005: 363; Mandel 2008: 134).

Die Metropolregion besteht aus dem „Verband Region Rhein-Neckar“ (VRRN) als öffentliche Körperschaft, der „Metropolregion Rhein-Neckar GmbH“ zur strategischen Umsetzung von regional bedeutsamen Projekten und dem gemeinnützigen „Verein Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar e. V.“ (ZMRN e. V.) als Forum des öffentlichen Dialogs. Dieses Organisationsmodell baut auf einer vom Raumordnungsverband Rhein-Neckar, der Handelskammer Rhein-Neckar und der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald beauftragten Studie auf (Schmitz 2005: 362). Damit wurden bereits die Anfänge der heutigen Metropolitan Governance nicht nur von Seiten der öffentlichen Akteure, sondern auch maßgeblich von Vertretern der Handelskammern und der BASF geprägt (Mandel 2008: 133; Zimmermann 2008: 155 f.). Auch heute sitzen in den Gremien der Metropolregion hochrangige Wirtschaftsvertreter, die die Entscheidungsorgane beeinflussen (können), so dass teilweise von der Existenz eines „potenziellen Eliten- bzw. Entscheiderkartells“ gesprochen wird (Sarcinelli/König/König 2009: 165 f.). Innerhalb der GmbH ist der Einfluss der öffentlichen Hand insofern gesichert, da die Anteile der GmbH zur Hälfte dem Verband Region Rhein-Neckar gehören, gegen dessen Willen keine Beschlüsse gefasst werden können (Sarcinelli/König/König 2009: 166). Durch diese enge Verknüpfung von öffentlicher Hand und Privatwirtschaft kann die Region auch „als regionale Public-Private-Partnership“ verstanden werden (Schmitz 2005: 362 f.; Mandel 2008: 131). Die Motivation der BASF, sich an der nicht projektgebundenen Grundfinanzierung der Metropolregion (der GmbH) zu beteiligen, liegt laut Vertretern aus der Region darin, dass die Industriestadt Ludwigshafen allein nicht das nötige Image bietet, um ausreichend hochqualifizierte Arbeits- und Führungskräfte anzulocken bzw. dauerhaft zu binden.

Das Beispiel Metropolregion Rhein-Neckar steht – zusammen mit anderen BeispielenFootnote 1 – für die Übernahme der Führungsrolle durch privatwirtschaftliche Akteure, die den Einfluss von Unternehmen und Wirtschaftszusammenschlüssen noch verstärkt. Es drohen der Verlust des Primats der Politik und eine Unterordnung öffentlicher Interessen unter eine demokratisch nicht legitimierte, ökonomisch bzw. betriebswirtschaftlich orientierte Kosten-Nutzen-Betrachtung räumlicher Entwicklung. Im Gegensatz zum Masterplan Köln geht es hier aber nicht um die Loslösung privatwirtschaftlicher Entwicklungsmaßnahmen von unternehmerischen oder betrieblichen Zielsetzungen. Unternehmen und Wirtschaftsverbände nehmen gezielt Einfluss auf die Bereiche Regionalmarketing und Wirtschaftsförderung. Allerdings zeigt die nicht projektgebundene Grundfinanzierung der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH, dass neben der Verwirklichung von Unternehmenszielen auch andere (gesellschaftliche) Motive eine Rolle spielen können, so dass hier von einer Übergangsform zwischen Corporate Spatial Strategy und Corporate Spatial Responsibility gesprochen werden kann.

4.4 Autostadt Wolfsburg: Volkswagen als Ko-Produzent der Stadtregion

Die wirkungsstärkste Form der Einflussnahme von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden auf Stadtentwicklungsprozesse findet sich bei Projekten wie der Wolfsburg AG. Dabei handelt es sich um eine Öffentlich-Private-Partnerschaft zwischen der Stadt Wolfsburg und der Volkswagen AG, bei der beide Parteien einen Anteil von jeweils 50 % besitzen. Ziel der Wolfsburg AG ist es, eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur sowohl im Interesse der Stadt als auch des Unternehmens zu entwickeln und die Lebensqualität in Wolfsburg zu erhöhen (Freier 2010: 115). Das Aufgabenspektrum der Wolfsburg AG konzentriert sich dabei nicht nur auf die Umsetzung städtebaulicher Projekte wie der „Autostadt“ und der „Erlebniswelt“, sondern umfasst auch Aufgaben der kommunalen Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung sowie der Stadt- und Regionalentwicklung. Mit der Wolfsburg AG entstand damit ein dritter Handelnder neben Stadt und Unternehmen, der stadtentwicklungspolitische Prozesse beeinflusst (Pohl 2005; Harth/Herlyn/Scheller et al. 2010). Die Verflechtung zwischen Konzern und öffentlicher Hand besteht, nicht zuletzt durch die Stadtgründung Wolfsburgs im Zuge der Errichtung des Volkswagenwerks, bereits seit den 1930er Jahren (Freier 2010: 110), hat aber 1999 mit Gründung der Wolfsburg AG eine neue Intensität erreicht (Harth/Herlyn/Scheller et al. 2010: 18, 37).

Ausgangspunkt und bis heute Kernstück der verschiedenen Projekte ist die Autostadt, die als „ausgesprochen weitreichende Art von Public Private Partnership“ bezeichnet werden kann (Harth/Herlyn/Scheller et al. 2010: 13). In diesem Zusammenhang kann sogar von einer Entscheidung des Konzerns, „die Stadt vom Charakter einer Werkssiedlung zu befreien und in Richtung einer Global City – genauer: eines einem Weltkonzern würdigen urbanen Umfeldes – umzugestalten“ (Pohl 2005: 642; Freier 2010: 114), gesprochen werden. Auf dem Weg zu einer stärker privat angestoßenen Stadtentwicklung haben Politik und Stadtverwaltung – trotz der formal gleichberechtigten Partnerschaft in der Wolfsburg AG – eher die Rolle eines „Zaungastes“, der am „goldenen Zügel“ geführt wird (Pohl 2005: 644). Allerdings konnte sich die Stadt Wolfsburg in dieser Partnerschaft in den Jahren 2005–2007 aufgrund personeller Veränderungen an der Spitze des Volkswagen-Konzerns und globaler Herausforderungen, die das Engagement von Volkswagen für die Stadt zurückgehen ließen, emanzipieren. Als Beispiel hierfür kann der in Eigenregie durchgeführte Bau des „Phaeno Science Center“ dienen, das als städtisches Gegengewicht zur Autostadt geplant wurde. Das Engagement des VW-Konzerns zielt inzwischen eher auf die gesamte Region Südostniedersachsen mit dem Oberzentrum Braunschweig (Harth/Herlyn/Scheller et al. 2010: 197). Dies relativiert die Befürchtung, der VW-Konzern könne über die Wolfsburg AG gleichsam zukünftig „bestimmen“, was in der Wolfsburger Stadtentwicklungspolitik zu geschehen habe. „Freilich hat es VW (mangels Interesse) auch nicht wirklich versucht und vermutlich auch nie vorgehabt; d. h. der Stadt blieben sehr viele Felder (auch innerhalb der Großprojektepolitik) überlassen, einfach weil das den VW-Konzern auch nicht wirklich berührte oder interessieren musste“ (Harth/Herlyn/Scheller et al. 2010: 227 f.).

Bei der Ko-Produktion von Stadt sitzen demnach Unternehmen und Vertreter der öffentlichen Hand gemeinsam und mehr oder weniger gleichberechtigt an einem Tisch. Strategische Entscheidungen der Stadt- bzw. Regionalentwicklung werden gleichermaßen von öffentlichen Stellen wie Unternehmen getroffen. Dies eröffnet einerseits die Möglichkeit, im Sinne von Öffentlich-Privater-Partnerschaft privatwirtschaftliche Ressourcen zu nutzen, andererseits bedeutet dies möglicherweise eine Einschränkung der öffentlichen Handlungssouveränität. Private Unternehmen sind in erster Linie ihren Unternehmenszielen verpflichtet, auch wenn sie als Gestalter der Stadtentwicklung auftreten. Private Akteure mögen daher zwar als Ko-Produzenten von Stadt mitwirken können, sie folgen aber einer anderen Handlungslogik als die öffentliche Planung.

5 Systematisierung privatwirtschaftlicher Strategien zur Beeinflussung räumlicher Entwicklung

In den beschriebenen Projekten versuchen Unternehmen und Unternehmensverbände auf vielfältige Art und Weise, Prozesse der Stadt- bzw. Regionalentwicklung und das kollektive Handeln von Akteuren mitzugestalten bzw. zu beeinflussen. Vor dem Hintergrund der Globalisierung geht es hierbei in erster Linie darum, lokalspezifische räumliche Qualitäten zu erkennen und Raumkonzeptionen zu entwickeln, die die Wettbewerbsposition einer Stadt bzw. Stadtregion sowie der dort ansässigen Unternehmen verbessern (vgl. Healey 1997; Frey/Hamedinger/Dangschat 2008). Dabei kommt der kontinuierlichen konzeptuellen Produktion und Reproduktion von Raum und Ort eine zentrale Bedeutung zu (Davoudi/Strange 2009: 35; vgl. auch Altrock/Huning 2006: 416).

Die Fallbeispiele zeigen aber auch, dass sich Unternehmen nicht nur auf die Entwicklung von Raumkonzeptionen beschränken (z. B. Masterplan Köln), sondern auch auf die konkrete Gestaltung des Raumes abzielen (z. B. Wolfsburg). Die Aneignung und Produktion von Raum durch Unternehmen und Unternehmensverbände wurde bislang – trotz der oftmals ausführlichen Untersuchungen der Einzelphänomene (z. B. Langzeitstudien zu Wolfsburg) – nicht systematisch oder übergreifend untersucht. Die folgende Analysematrix versucht deshalb auf Basis der theoretischen Ansätze des place making und policy making, eine Systematik zu entwickeln, die zur Klärung beitragen kann, ob Unternehmen und Wirtschaftsverbände bei der Gestaltung von Raum eher betriebswirtschaftliche (Corporate Spatial Strategy) oder eher gesellschaftliche Zielsetzungen (Corporate Spatial Responsibility) verfolgen (vgl. Kapitel 2 und 4). Die Analysematrix berücksichtigt dabei, dass die Aneignung und Produktion von Raum immer von gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen abhängig ist, so dass sich Raumentwicklungsstrategien nicht nur auf den vorhandenen (physischen) Raum fokussieren, sondern explizit auch subjektive bzw. individuelle Wahrnehmungen von Raum enthalten (Buser 2012: 3 ff.; Davoudi 2012: 431 f.). Durch die Unterscheidung von place making, place framing, policy making und policy framing (vgl. Tab. 1) ist es möglich, sowohl den institutionellen Kontext und die lokalen Kräfteverhältnisse zu berücksichtigen, in denen Raum gestaltet bzw. produziert wird, als auch die jeweiligen Plandokumente, Raumentwicklungsstrategien und Raumkonzeptionen zu betrachten (Davoudi/Strange 2009: 41 f.).

Tab. 1 Unterschiedliche Formen der Raumproduktion: place making und place framing, policy making und policy framing

5.1 Raumproduktion durch place making und place framing

Wie die Beispiele Siemens AG/Erlangen und Masterplan Köln gezeigt haben, nutzen privatwirtschaftliche Akteure verschiedene Strategien, um kollektive Raumentwicklungsprozesse über place making sowie place framing zu beeinflussen (vgl. auch Pierce/Martin/Murphy 2011). Raum wird hier als ein soziales Konstrukt gesehen, das durch die in ihm handelnden Akteure erzeugt und definiert wird: Individuen, Organisationen und Unternehmen bewegen sich in unterschiedlichen (Wahrnehmungs-) Räumen und eignen sich diese – wie alle dargestellten Beispiele zeigen – an. Unternehmen entwickeln einen eigenen Bezug zu einem bestimmten Raum, der mit der jeweiligen unternehmerischen Rationalität korreliert (vgl. auch Pierce/Martin/Murphy 2011). Dabei besteht die Aufgabe von place making darin, die Summe der Anforderungen zusammenzubringen und eine dauerhafte und von vielen (öffentlichen und privaten) Akteuren akzeptierte kollektive „meaning of place“Footnote 2 zu definieren (Schürmann 2006: 11 f.). Place making kann vor diesem Hintergrund auch als Prozess beschrieben werden, der einen (öffentlichen) Raum mit seinen Werten, Attributen und Regeln definiert bzw. bestehende Definitionen modifiziert (Fürst/Lahner/Zimmermann 2004: 38). Das Beispiel BASF/Rhein-Neckar zeigt, dass sich Unternehmen ‚ihren’ Raum auch regional passend definieren (Metropolregion Rhein-Neckar), um ggf. einer anderen Raumdefinition (hier: Industriestadt Ludwigshafen) zu entgehen. Wie die Beispiele Wolfsburg, Köln und Erlangen verdeutlichen, handelt es sich bei place making damit um die direkte Beeinflussung von konkreten gesamtstädtischen Räumen und der Wahrnehmung von Raum durch Unternehmen und Wirtschaftsverbände (vgl. Tab. 1). Eine besondere Rolle kommt dabei der „Raumproduktion durch ortsgebundene Identitätsbildung“ (Bürkner 2005: 5) zu, d. h., inwieweit durch die Identifikation mit dem Lebens- und Arbeitsstandort die räumliche Verantwortung für den Standort und das eigene Umfeld, die Stadt und die Region steigt (Massey 2004: 5 ff.).

Allerdings handelt es sich bei place making um einen iterativen Prozess, der nicht nur (physische) Räume definiert, sondern auch die Normen und Regeln beeinflusst, mit denen typische sozialräumliche Praktiken verstanden werden können. Diese Beeinflussung der Aushandlungsprozesse bzw. des (Werte-) Rahmens, in dem sie stattfinden, wird als place framing bezeichnet (Pierce/Martin/Murphy 2011: 60). Bei place framing steht die Beeinflussung von Images, (Wahrnehmungs-) Bedingungen und Leitlinien für place making durch privatwirtschaftliche kollektive Interessen im Vordergrund, ohne jedoch auf den Raum direkt einzuwirken (vgl. Tab. 1). Das Beispiel Wolfsburg zeigt, dass privatwirtschaftlich initiierte räumliche Entwicklungsprozesse nicht nur die Zielsetzungen strategischer Planungen bestimmen können, sondern auch die Entscheidungen der beteiligten Akteure (öffentliche Hand, weitere private Akteure etc.) hinsichtlich künftiger Investitionen und Maßnahmen beeinflussen (vgl. auch Healey 1997: 5; Wiechmann 2010).

5.2 Raumproduktion durch policy making und policy framing

Eine weitere Form strategischer Raumbeeinflussung stellt policy making dar. Dabei handelt es sich um kollektive Entscheidungsfindungsprozesse, in denen gesellschaftliche (und damit auch räumliche) Probleme und Herausforderungen gelöst werden sollen (vgl. Jann/Wegrich 2009; Schubert/Bandelow 2009). Wie das Beispiel Masterplan Köln zeigt, kann bereits die Phase der Problemwahrnehmung (Agenda Setting) die Raumaneignung bzw. -produktion in hohem Maße beeinflussen, da hier zentrale Vorentscheidungen im Hinblick auf thematische und räumliche Prioritätensetzungen sowie die Wahl geeigneter Umsetzungsstrategien erfolgen (vgl. Jann/Wegrich 2009: 86; Wiechmann 2008).

Bei der Durchführung bzw. Umsetzung zielt policy making auf die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung öffentlicher, privatwirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure zur Verwirklichung vorher festgelegter Zielsetzungen. Eine große Rolle spielen hierbei die den einzelnen Akteuren zur Verfügung stehenden Instrumente und Machtpositionen. Macht wird in diesem Zusammenhang nicht nur als unmittelbare Entscheidungskompetenz verstanden, sondern bezieht sich – in Verbindung mit dem Agenda Setting – auch auf die Fragen, wer öffentliche Debatten (an)führt und wer thematische und räumliche Zielsetzungen formuliert (van Tatenhove/Arts/Leroy 2000: 59). Hier können unter anderem privatwirtschaftliche Akteure aktiv werden, indem sie ihren arbeitsmarktpolitischen und fiskalischen Einfluss auf Fragen der Raumpolitik geltend machen (z. B. Volkswagen AG in Wolfsburg oder Siemens AG in Erlangen). Insgesamt handelt es sich demnach bei policy making um (privatwirtschaftliche) Entscheidungsfindungsprozesse, die (raum)politische Zielsetzungen, Prioritäten und Maßnahmen direkt beeinflussen sollen (vgl. Tab. 1).

Policy making unterliegt allerdings bestimmten „Spielregeln“ (van Tatenhove/Arts/Leroy 2000: 61 ff.), d. h. politischen, institutionellen, normativen, kognitiven und ideologischen Regeln (vgl. auch Schubert/Bandelow 2009: 4 f.). Diese Normen, Wertvorstellungen und Regeln bilden den Rahmen für einzelne Entscheidungsfindungsprozesse und werden als policy frames bezeichnet (Schön/Rein 1994: 23). Policy frames helfen z. B. den verschiedenen Akteuren, bestimmte Probleme und Sachverhalte durch ihre jeweilige ‚Brille’ wahrzunehmen und zu strukturieren (Sabatier 1998: 108 f.). Durch das Einbringen (unternehmerischer) kognitiver und normativer Elemente in Entscheidungsfindungsprozesse handelt es sich bei policy framing um eine weitere Strategie zur Beeinflussung von Prozessen der Raumaneignung und -produktion (z. B. Metropolregion Rhein-Neckar). Policy framing steht in diesem Zusammenhang für den Versuch, den Rahmen für raumpolitische Prozesse abzustecken sowie politische und gesellschaftliche Entscheidungsfindungsprozesse zu beeinflussen, ohne aber direkt an den Entscheidungen beteiligt zu sein (vgl. Tab. 1).

5.3 Beeinflussung der Raumproduktion durch Unternehmen und Wirtschaftsverbände: Ein Systematisierungsversuch

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich das Engagement von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden bei Fragen der Stadt- und Regionalentwicklung nicht länger nur auf punktuelle Initiativen zur Umfeldaufwertung oder zur Durchsetzung spezifisch betrieblicher oder sektoral wirtschaftlicher Interessen beschränkt, sondern sich zunehmend auf die Entwicklung der gesamten Stadt oder Stadtregion ausweitet. Dabei begnügen sich Wirtschaftsakteure oft nicht mehr mit der üblichen politischen Einflussnahme durch Lobbying, sondern legen vermehrt aktiv eigene Pläne und Projekte vor (policy making), die unter Zuhilfenahme der öffentlichen Strukturen (und Legitimation) umgesetzt werden sollen. Darüber hinaus verdeutlichen die stadtregionalen Entwicklungsprozesse, dass die Ziele und Motive der privatwirtschaftlichen Akteure nicht nur auf der konkreten Projektebene und der direkten (ggf. baulichen) Beeinflussung des Raums (place making) liegen, sondern auch die indirekte Einflussnahme auf künftige Maßnahmen und politische Entscheidungen durch die Festlegung von Leitbildern bzw. Visionen, Zielsetzungen und Wertvorstellungen (place framing und policy framing) umfassen.

Tabelle 2 Footnote 3 gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Strategien, die Unternehmen und Wirtschaftsverbände zur Beeinflussung der räumlichen Entwicklung einsetzen. Dafür beschreibt die Matrix zunächst indirekte Formen der Einflussnahme auf die räumliche Entwicklung, bevor direkte (Mit-)Gestaltungsmöglichkeiten von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden vorgestellt werden. Die dargestellten Beispiele zeigen, dass Unternehmen auf verschiedene Weise in stadtregionale Entwicklungsprozesse eingreifen. Eine Mitverantwortung der Wirtschaft für öffentliche Aufgaben ist damit zwar erkennbar, allerdings liegt der Fokus – zumindest bei den betrachteten Entwicklungsprozessen – in erster Linie auf der Identifizierung und Verwirklichung wirtschaftsbezogener Partikularinteressen. Im Hinblick auf das Konzept der Corporate Spatial Responsibility muss jedoch festgehalten werden, dass die identifizierten Motive von privatwirtschaftlichen Akteuren noch einer ausführlicheren Analyse bedürfen, um empirisch belegen zu können, ob das privatwirtschaftliche raumbezogene Engagement primär unternehmerischen Interessen folgt oder inwieweit tatsächlich eine regionale Verantwortung erkennbar ist.

Aufgrund der hier betrachteten Beispiele kann aber festgehalten werden, dass die Agenda von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden (der „policy frame“) hinsichtlich Stadt- und Regionalentwicklungsprozessen nicht so umfassend ausgerichtet ist wie die der öffentlichen Hand. Gesellschaftliches und raumbezogenes Engagement von Unternehmen findet sich vorrangig dann, wenn es den Unternehmenszielen nicht entgegensteht und zur Steigerung des Betriebsergebnisses und zur Imageförderung bzw. Reputation des Unternehmens beiträgt (vgl. auch Hiß 2006: 95 ff.).

Aus der Tabelle lässt sich erkennen, dass eine aktive Mitgestaltung der Wirtschaft bei der Produktion von Raum in allen betrachteten Städten stattfindet, auch wenn die Art des Eingreifens variiert. Im Hinblick auf das Konzept der Corporate Spatial Responsibility kann gefolgert werden, dass Unternehmen und Wirtschaftsverbände bei der Aneignung und Produktion von Raum immer gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen beachten müssen, diese gleichzeitig aber auch beeinflussen können. Die Unterscheidung von place making, place framing, policy making und policy framing berücksichtigt dabei sowohl den institutionellen Kontext und die lokalen Kräfteverhältnisse, in denen Raum gestaltet bzw. produziert wird, als auch die jeweiligen Raumentwicklungsstrategien und Raumkonzeptionen.

Corporate Spatial Responsibility ist aber letztlich nicht als Gegensatz zum wirtschaftlichen Handeln von Unternehmen zu sehen, sondern vielmehr als ergänzender Aspekt des Handelns als „organisierte Bürger“ (vgl. z. B. Backhaus-Maul/Biedermann/Nährlich et al. 2010). Das gesellschaftliche und raumbezogene Engagement von Unternehmen ist also auch immer im Zusammenhang mit den betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Eigeninteressen zu betrachten. Gleichzeitig stellt der verschärfte internationale Standortwettbewerb zwischen Städten und Regionen, in Kombination mit der kommunalen Haushaltskrise, bisherige regionalpolitische Prioritäten und Verfahren in Frage. Nach Hiß (2006: 17) passen sich Unternehmen gerade in einer solchen, von Ungewissheit gekennzeichneten Phase (veränderten) gesellschaftlichen Erwartungen an: Durch die Folgen des verschärften Standortwettbewerbs und der Haushaltskrise steigt die gesellschaftliche Erwartung an Unternehmen und Wirtschaftsverbände, Verantwortung für ihr (direktes) räumliches Umfeld zu übernehmen. Dies könnte – wenigstens in Teilen – eine ergänzende Erklärung für das zunehmende raumbezogene Engagement von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden im Sinne einer Corporate Spatial Responsibility sein.

6 Corporate Spatial Responsibility als Strategie? Folgerungen für die planungstheoretische Diskussion

Wie die dargestellten Beispiele zeigen, sind raumkonzeptionelle Strategien nicht wirklich neu.Footnote 4 Allerdings scheint sich in den letzten Jahren eine Verschiebung anzudeuten, dass die Wirtschaft vermehrt derartige raumbezogene Strategien einsetzt. Dies umfasst v. a. die Entwicklung eigener Pläne, Konzepte und Strategien (place framing bzw. policy making) sowie die Beeinflussung künftiger Entwicklungen und politischer Entscheidungen durch die aktive Teilnahme an der politischen Entscheidungsfindung (policy making) oder die Festlegung von Rahmen setzenden Leitbildern oder Visionen, Zielkonzepten und Wertvorstellungen (place framing und policy framing).

Unterstützt durch den verwaltungswissenschaftlichen Diskurs über New Public Management wird dies von einer Neuausrichtung in der Organisationsentwicklung begleitet, in deren Rahmen Vertretern der Wirtschaft ein privilegierter Zugang zu Entscheidungsstrukturen gewährt wird, so dass sie unmittelbar oder zumindest mittelbar im Wege des Agenda Setting auf raumpolitische Prozesse einwirken können (policy making und policy framing). In der wissenschaftlichen Diskussion finden diese Veränderungen Schnittstellen in Theorieansätzen der kooperativen Planung (Ritter 1990; Benz 1994; Knieling/Fürst/Danielzyk 2003), der urban oder regional governance (Fürst 2003; Benz 2004; Blatter/Knieling 2009) oder von „soft spaces and fuzzy boundaries“ (Allmendinger/Haughton 2009; Haughton/Allmendinger/Counsell et al. 2010).

Bei näherer Betrachtung eröffnen die beschriebenen Konstellationen sowohl Chancen als auch Risiken für die Stadt- und Regionalentwicklung. Der Begriff Corporate Spatial Responsibility enthält folglich eine Pandora-ähnliche Zweischneidigkeit. Aus Sicht komplementärer Interessen von öffentlicher Hand und Wirtschaft, wie der Förderung von Stadt und Region als Wirtschaftsstandort oder als Lebens- und Wohnort für hochqualifizierte Arbeitskräfte, erscheint eine engere Zusammenarbeit naheliegend. Die Agenda der öffentlichen Stadt- und Regionalentwicklung ist allerdings deutlich weiter gefasst, so dass Politik und Verwaltung gewährleisten müssen, dass Entscheidungsprozesse die erforderliche Legitimation, Transparenz und Fairness garantieren. Folglich läuft die unmittelbare Mitwirkung der Wirtschaft in der Stadt- und Regionalentwicklung (Agenda Setting durch Unternehmen, bilaterale Verhandlungen zwischen Unternehmen und öffentlicher Hand etc.) Gefahr, diesbezügliche Qualitäten in Frage zu stellen sowie thematisch selektiv und akteursbezogen exklusiv zu wirken.

Eine weitere Diskussionslinie ergibt sich aus der in Analogie zur Corporate Social Responsibility abgeleiteten Begrifflichkeit einer Corporate Spatial Strategy. Beide Begriffe implizieren, dass die Wirtschaft entweder eine Verantwortung habe oder diese zumindest als ihre Aufgabe wahrnehme. Auch wenn derartige Gedankenkonstrukte sicherlich von einzelnen Vertretern der Wirtschaft bejaht würden, so können sie doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Unternehmen – gerade in den heutigen Zeiten von Rendite- und „Shareholder Value“-Orientierung sowie Internationalisierung der Unternehmensorganisation – in erster Linie ihrem unmittelbaren betriebswirtschaftlichen Ergebnis verpflichtet sehen (müssen). Somit beinhaltet der Begriff der Responsibility die Gefahr, primär ökonomisch begründete Interessen und Motive als gesellschaftliche Interessen zu verschleiern.

Vor dem Hintergrund dieser eher kritischen Einschätzung ergeben sich eine Reihe weiterführender Forschungsfragen, die dazu beitragen können, das Feld der unternehmensbezogenen Beeinflussungsstrategien in Bezug auf die Stadt- und Regionalentwicklung näher auszuleuchten und empirisch zu ergründen. Dazu zählen insbesondere Fragen, die sich auf die materielle Wirkung der Beeinflussungsstrategien, auf das Verhältnis von privaten und öffentlichen Akteuren sowie auf die Organisationsentwicklung und damit verbundene Fragen der räumlichen Abgrenzung und der Formalisierung beziehen.

Um die Evidenz der beschriebenen potenziellen Chancen und Risiken einschätzen zu können, wäre es wünschenswert, die entwickelte Analysematrix (vgl. Tab. 2) zur Systematisierung von Beeinflussungsstrategien durch weitere empirische Fallstudien zu überprüfen und ggf. ergänzende Beeinflussungsstrategien zu identifizieren bzw. eine vertiefende Differenzierung der Systematik (vgl. Kapitel 5) zu erreichen. Dabei ginge es zum einen darum, Komplementaritäten und Konkurrenzen zwischen öffentlichen und privaten Agenden sowie Selektivitäten in Bezug auf unterschiedliche Rationalitäten bzw. Handlungslogiken sowie auf das Themen- oder Akteursspektrum zu erkunden. Zum anderen wäre von Interesse, die Wirkungen unterschiedlicher Beeinflussungsstrategien und damit die Tragweite der Mitwirkung bzw. die Wirkungsmächtigkeit der Wirtschaftsakteure herauszuarbeiten.

Tab. 2: Privatwirtschaftliche Beeinflussung von Raumproduktion – ein Systematisierungsversuch

Bei der Analyse der Organisationsformen der Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und Wirtschaft stellt sich die Frage nach unterschiedlichen Rationalitäten bzw. Handlungslogiken der verschiedenen Akteure. Während sich öffentliche Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse oft über einen längeren Zeitraum hinziehen, wird der Wirtschaft die Präferenz kurzfristiger Erfolge unterstellt. Während die öffentliche Hand vorhandene administrative Räume als Abgrenzung und eine daran orientierte Formalisierung von Kooperation bevorzugt, agiert die Wirtschaft eher unabhängig davon und favorisiert funktionale Raumgrößen, welche die entsprechenden Zielhorizonte abbilden und im Zeitverlauf Flexibilität zulassen. Wie kann vor diesem Hintergrund eine Zusammenarbeit gelingen? Muss es nicht zwangsläufig zu Konflikten oder zumindest Disfunktionalitäten kommen? Allerdings könnte man auch Synergien vermuten, beispielsweise wenn die Wirtschaft neuere Managementmethoden einbringt, die zur Modernisierung des öffentlichen Verwaltungshandelns beitragen könnten.

Corporate Spatial Strategy ist ein Phänomen der neueren Stadt- und Regionalentwicklung. Wenn es gelingt, sich von verbreiteten normativen Vorfestlegungen zu befreien, dass Kooperation zwischen öffentlicher Hand und Wirtschaft per se gut oder schlecht sei, und die Analyse stattdessen nüchtern darauf ausgerichtet wird, die Konstellationen, Interessen, Rationalitäten und Wirkungsweisen privatwirtschaftlicher Beeinflussungsstrategien sowie Potenziale und Restriktionen der Zusammenarbeit zu untersuchen, kann ein Beitrag dazu geleistet werden, wie Corporate Spatial Strategy im Rahmen der Stadt- und Regionalentwicklung einzuordnen ist.