1 Vorbemerkungen

In vielfältigen Situationen der fachdidaktischen Forschung und der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern werden die Beurteilung der Durchführung und die reflektierte Analyse von Unterricht virulent.

Allen Lehrkräften sowie den in Aus- und Fortbildung aktiven, in didaktischen Forschungen involvierten oder Bildungspolitik beheimateten Personen ist gemein, dass sie eine dezidierte Vorstellung davon haben, wann eine mathematische Lehr-Lernsituation als gut, fruchtbar und positiv erscheint und wann nicht. Dabei wird ein Zusammenhang von gutem Unterricht und positiven Effekten auf Lernerfolge impliziert (Helmke 2001; Klieme und Reusser 2003).

In etlichen Fällen ist diese Einschätzung auf Theorien gestützt, die der Analyse zu Grunde gelegt werden. In anderen Fällen kann jedoch vielfach nur eine Alltagstheorie oder eine langjährige und als tragbar empfundene Erfahrung zitiert werden, die nicht öffentlich, aber doch insgeheim, maßgeblich zu den Einschätzungen geführt hat.

Das vorliegende Papier möchte einen Ansatz darlegen, der es ermöglichen soll, mathematische Lehr-Lernsituationen des Anfangsunterrichts in theoretisch herausgearbeiteten und transparenten Dimensionen einzuschätzen. Dabei steht die Entwicklung des Instruments als Ergänzungsmodul eines vorliegenden dimensionen-basierten Instruments (Pianta et al. 2008) in diesem Beitrag im Fokus.

Allgemein sind derartige Instrumente zur Beobachtung und Analyse von Unterricht in der Forschung und Aus- und Fortbildung von Lehrkräften von zunehmender Bedeutung. Ihr Einsatz wird dabei aus unterschiedlichen Blickwinkeln und für verschiedene Ziele notwendig.

2 Einsatzbereiche von Unterrichtsanalyse-Instrumenten

Unterrichtsanalysen haben, wie oben angedeutet, in vielfältigen Bereichen der mathematikdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Forschung sowie in der Aus- und Weiterbildung eine Bedeutung. Dabei sind die Ausrichtungen und Ziele des Einsatzes durchaus wesentlich verschieden. Instrumente zur Unterrichtsbeobachtung und -analyse können in divergenten Forschungsansätzen fruchtbar gemacht werden. Dabei können mindestens die folgenden Einsatzbereiche identifiziert werden:

  • Forschungen, die Effektivität von Unterricht in den Blick nehmen, nutzen dabei z. B. Unterrichtsanalysen als ein Element, um die Rahmenbedingungen für Entwicklung der Lernzuwächse und Kompetenzentwicklungen von Schülerinnen und Schülern zu erfassen.

  • Forschungsansätze, die Fachkenntnisse, bildungswissenschaftliche Kompetenzen oder beliefs von Lehrkräften in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stellen, nutzen Unterrichtsanalysen als Indikatoren der Auswirkungen eben dieser vorab ermittelten Einstellungen und Kompetenzen der Lehrpersonen oder aber als Instrument zur Beobachtung von Veränderungen in Interventionsstudien, die z. B. auf beliefs Einfluss zu nehmen versuchen.

  • Forschungen, die Professionalisierung von Lehrpersonen und Expertise-Entwicklungen zum Thema machen, nutzen Unterrichtsbeobachtungen und -analysen als Instrument der Initiation von Reflexionsgesprächen mit den Lehrkräften selbst, um über Qualität und Fortentwicklung von Unterricht auf einer gemeinsamen Basis in die Diskussion zu kommen. Diese Praxis dient damit der Professionalisierung der Lehrpersonen im Sinne von Baumert und Kunter (ebd. 2006, S. 506): „Die Entwicklung von Expertise ist von systematischer und reflektierter Praxis über einen langen Zeitraum hinweg abhängig. Während ihrer Entwicklung ist sie auf Vorbilder, Coaching und diskursive Rückmeldungen angewiesen“.

  • In der ersten und zweiten Ausbildungsphase oder in Fortbildungen von Lehrkräften werden Unterrichtsanalysen zum einen im oben genannten Sinn der Professionalisierung genutzt und bieten vielfältige Diskussionsgrundlagen in Seminaren innerhalb der peers der Novizen, aber auch im Austausch mit den Dozierenden und Seminarleitungen. Sie dienen zum anderen Seminar- und Schulleitungen sowie der Schulaufsicht auch als Instrument für Leistungsbewertungen.

  • Bildungswissenschaftliche Forschung und Großstudien, die aus bildungspolitischen Gründen angeregt und in Auftrag gegeben werden, sind, sofern sie Unterrichtsqualität im weitesten Sinne mit in den Blick nehmen, ebenso auf Instrumente angewiesen, die ihnen Einschätzungen dieser Unterrichtsqualität ermöglichen.

Es zeigt sich in diesem stichpunktartigen Überblick, dass Analyse-Instrumente auch aus Sicht der Mathematikdidaktik, sobald die Beobachtung und Interpretation von Effektivität, Qualität oder Veränderung von Mathematikunterricht einbezogen wird, von großem Interessen sind. Der jeweilige Einsatz der Instrumente kann dabei Adaptionen, Erweiterungen oder Vereinfachungen des genutzten Instruments erfordern, die im Sinne des je gewählten Forschungsansatzes von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorgenommen werden.

3 Vorliegende Ansätze und Instrumente reflektierter Analyse von Lehr-Lernsituationen

Die Analyse von Mathematikunterricht wird derzeit durch unterschiedliche Instrumente und Ansätze ermöglicht.

Ein in der Alltagspraxis bekanntes Phänomen der ,Analyse‘ von Unterricht – insbesondere in der Reflexion durch peer-groups in Praktika und Seminaren – sind deskriptive Äußerungen, die sich vornehmlich auf die Einhaltung eines zuvor erstellten Zeitplans beziehen oder auf die vermeintliche Aufmerksamkeit der Kinder. Die emotionale Komponente der Beurteilung oder auch eine zunehmend in der Praxis geschulte Alltagstheorie stehen im Vordergrund. Die Auseinandersetzung über derartige Analysen gestaltet sich naturgemäß schwierig, da greifbare und kommunizierbare Kategorien der Urteilsfindung – außerhalb der Erfüllung von Struktur und Zeitplan – oftmals fehlen.

Demgegenüber stehen theoretisch fundierte und damit tragfähigere Analysen von Lehr-Lernsituationen schon immer im Fokus der pädagogischen und fachdidaktischen Forschung. Es gibt dabei Ansätze, die in der Praxis aus unterschiedlichen Gründen noch nicht verankert sind. In der bildungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Forschung wurden und werden verschiedene Ansätze bzw. Perspektiven verfolgt.

Sehr detaillierte, fachdidaktische Analysen von Unterricht sind zum einen Gegenstand der Forschungsrichtung ‚Interpretative Unterrichtsforschung‘ (z. B. Voigt 1995; Krummheuer und Naujok 1999; Schwarzkopf 2000; Steinbring 2005). Aufgrund von seit Jahren erprobten Theorien und in ständiger Überprüfung dieser sind durch die Analyse der Interaktion zwischen Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften auf einer mikroskopischen Ebene wesentliche Erkenntnisse für die Mathematikdidaktik erwachsen. Sie basieren auf didaktischen Konzeptüberlegungen, die „theoretisch gut fundiert und in einem konstruktivistischen und sozialkonstruktivistischen Lehr-Lern-Verständnis verankert“ (Klieme und Reusser 2003, S. 195) sind. In der Analyse von Unterrichtsausschnitten und im Fokus auf Teilaspekte können derartige Analysen auch in der Aus- und Fortbildung tragen. Hierzu bedarf es jedoch der fachlichen und fachdidaktischen Fundierung, die nur in intensiven Schulungen erreicht werden kann (z. B. Projekt von Steinbring zur Professionalisierung von Mathematiklehrern und -lehrerinnen ‘EInmaL – Epistemologische Interaktionsforschung mathematischer Lehr-Lern-Prozesse‘).

Zum anderen ist auf bildungswissenschaftlicher Ebene eine Richtung hoch aktuell, die in der Perspektive der Lehr-Lern-Effektivitätsforschung (z. B. Becker 2007) Kriterien aufstellt, die, so die Grundannahme, die Effektivität des Unterrichts und somit auch Lernchancen und Unterrichtsqualität optimieren können. So beschreibt Becker (2007, S. 19 in Bezug auf Walberg 1984, S. 24) folgende Handlungsmuster, die die „Effektivität des Unterrichts steigern, wenn die Lehrerin

  • die Schüler ermutigt, statt sie zu entmutigen,

  • sie den Unterricht flüssig gestaltet, den Lernvoraussetzungen und dem Lernvermögen der Schüler entsprechend,

  • den Schülern Lernhilfen und Hinweise gibt, die zum Lernen anregen,

  • den Schülern sagt, was sie richtig und falsch, was sie gut und weniger gut gemacht haben,

  • sie zielorientiert lehrt und lernen lässt, (…)

  • sie zur Zusammenarbeit auffordert und auf diese Weise das Lern- und Gruppenklima verbessert,

  • sie die Schüler anleitet, eigenständig Texte zu lesen und ihnen die bedeutsamen Informationen zu entnehmen,

  • sie versucht, auf die individuellen Lernbedürfnisse und Lernfähigkeiten der Schüler einzugehen,

  • sie die Hausaufgaben kontrolliert (…).“

Becker (2007, S. 19) resümiert: „Diese Handlungen können die Qualität der Lehre und die Lehr-Lern-Effektivität beträchtlich erhöhen.“ Als Gesichtspunkte der Prozessbeobachtung und -beurteilung beschreibt er als wesentlich die Aspekte der Prozesssteuerung, Wahrnehmungsleistungen, Prozessbegleitende Handlungen, Lehr-Lern-Situation, Situationsfolgen, Konfliktsituationen und Prozessorganisation (Becker 2007, S. 116 ff. und S. 124).

Eine ähnliche ,Liste‘, die als ,Merkmale guten Unterrichts‘ beschrieben werden, findet sich bei Meyer (2009):

  1. 1.

    Klare Strukturierung des Unterrichts

  2. 2.

    Hoher Anteil echter Lernzeit

  3. 3.

    Lernförderliches Klima

  4. 4.

    Inhaltliche Klarheit

  5. 5.

    Sinnstiftendes Kommunizieren

  6. 6.

    Methodenvielfalt

  7. 7.

    Individuelles Fördern

  8. 8.

    Intelligentes Üben

  9. 9.

    Transparente Leistungserwartungen

  10. 10.

    Vorbereitete Umgebung

Obwohl hier auch die ,Inhalte‘ innerhalb der Kriterien benannt werden, muss Meyer aus seiner Perspektive fachunspezifisch bleiben. So werden zwar allgemeine Aspekte der Art und Weise des intelligenten Übens etc. ausgeführt, aber eine Spezifikation bzgl. der Anforderungen des Faches wird naturgemäß nicht gesucht. Ähnliches gilt auch für Helmke (2006, S. 45), der ebenso zehn Kriterien aufzeigt:

  1. 1.

    Effiziente Klassenführung und Zeitnutzung

  2. 2.

    Lernförderliches Unterrichtsklima

  3. 3.

    Vielfältige Motivierung

  4. 4.

    Strukturiertheit und Klarheit

  5. 5.

    Wirkungs- und Kompetenzorientierung

  6. 6.

    Schülerorientierung, Unterstützung

  7. 7.

    Förderung aktiven, selbstständigen Lernens

  8. 8.

    Angemessene Variation von Methoden und Sozialformen

  9. 9.

    Konsolidierung, Sicherung, Intelligentes Üben

  10. 10.

    Passung

Es steht außer Frage, dass Kataloge der obigen Natur in sich eine große Gefahr bergen, da sie scheinbar einen Absolutheitsanspruch aufstellen und zudem, wenn als Checklisten missverstanden, die Komplexität der unterrichtlichen Interaktionsmuster, die, wie ebenso oben ausgeführt, als wesentliches Moment der fachdidaktischen Forschung erkannt wurden, zu negieren scheinen: „Solche ‚Listen‘ bergen allerdings die Gefahr in sich, dass sie sich verselbständigen und (…) als ‚Handlungsvorschrift‘ missverstanden (‚Genau so muss man unterrichten!‘) und banalisiert werden“ (Helmke 2006, S. 44).

In Anbetracht der vorliegenden Ansätze wird deutlich, dass die feingliedrigen Kriterienkataloge fachdidaktische Elemente derzeit vermissen lassen, fachdidaktische Analysen in Sinne der Interaktionsanalysen hingegen in ihrer Spezifik nur mit Expertenwissen durchführbar sind und zudem nicht den Unterricht als Ganzes thematisieren.

Der hier diskutierte Vorschlag möchte demnach eine Brücke schlagen. Die Entwicklung und Gestaltung einer Erweiterung eines bildungswissenschaftlichen Instruments durch mathematikdidaktische Kriterien wird hier als eine Ansatzmöglichkeit erkannt. Das Instrument sollte dabei die aufgezeigten Nachteile der nicht kommunizierbaren Kategorien der Alltagsbewertung sowie die Notwendigkeit von langwierigen Schulungen mildern. Es möchte im Gegensatz dazu, auch Novizen ermöglichen, sinnvolle, transparente Kriterien an die Hand zu bekommen, Unterrichtsqualität in zwar wesentlich weniger Details als z. B. im Ansatz der Interaktionsforschung, aber dennoch in theoretisch abgesicherter Form in wesentlichen Dimensionen näher zu kommen. Die Betonung des Vorschlagscharakters versteht sich unter der Prämisse, dass es die Kriterien auch für den kleinen Ausschnitt des mathematischen Anfangsunterrichts nicht geben kann. „Es handelt sich also nicht darum, die ‚richtigen‘ Merkmale zu finden, sondern um Konstruktionsleistungen unter Bewertung des Forschungsstandes“ (Helmke 2006, S. 44).

4 Konstruktionsbasis der Entwicklung der Qualitätsdimensionen

Fachunspezifische Kriterien für guten Unterricht und effektive Lehr-Lernsituationen liegen, wie oben skizziert, in ausgearbeiteter Form in diversen Perspektiven vor. Demgegenüber ist aus der Perspektive der Fachdidaktik die Ergänzung bzw. partielle Vertiefung derartiger Kriterienkataloge noch wenig ausgeprägt. Einige erste Ansätze finden sich aktuell bei Schütte (2008), die die ‚Qualität der Unterrichtskultur‘ an den Aspekten Unterrichtsklima und Umgang mit Fehlern, Entdecken und Üben, Eigenproduktionen und Lösungsideen, Mathematische Gespräche und Methodische Organisation festmacht. Der vorliegende Beitrag möchte einen weiteren Vorschlag, konkretisiert für den mathematischen Anfangsunterricht, unterbreiten.

Als Basis der Entwicklung und Konstruktion dieses Vorschlags wird das amerikanische Instrument Classroom Assessment Scoring System, kurz CLASS, von Pianta et al. (2008) ausgewählt, das mit Videoanalysen von je mindestens vier Zyklen à 20 min in kategoriellen Scores aufgrund von Indikatoren arbeitet. CLASS ist ebenso wie die drei bereits oben beschriebenen Ansätze nicht fachspezifisch motiviert, sondern beschreibt allgemeine Dimensionen der ‚Classroom Quality‘. Hierbei werden drei Bereiche der unterrichtlichen Unterstützung, die in ihrer Ausprägung in die Beurteilung einfließen, unterschieden (Tab. 1).

Tab. 1 Dimensionen der ‚Classroom Quality‘ nach Pianta et al. (2008)

Die im Folgenden dargelegten Dimensionen zur Einschätzung des mathematischen Anfangsunterrichts sind als homogene Ergänzung der allgemeinen, fachunspezifischen Dimensionen nach Pianta et al. (2008) konstruiert. Der Einsatz und die Darstellung der für den mathematischen Anfangsunterricht als Additiv entwickelten Dimensionen folgen exakt dem Vorbild des Classroom Assessment Scoring System (CLASS), um als tatsächliche Ergänzung parallel einsetzbar zu sein.

Dimensionen sind dabei die als bedeutsam erkannten, herausgearbeiteten Bereiche der Unterrichtsgestaltung. Sie sind als Handlungsrepertoire der Lehrpersonen formuliert, da diese im Fokus der Beobachtung stehen. Die Handlungen werden je Dimension wiederum durch markante Unterpunkte der Dimension (Indikatoren) spezifiziert.

Zudem werden die Ausprägungen in drei groben Bereichen des hohen, mittleren und niedrigen Niveaus durch eine beispielhafte, typisierte und im Fall des hohen Niveaus idealisierte Beschreibung der Handlungen und des Verhaltens der Lehrperson illustriert, d. h. es werden fiktive Handlungen beschrieben, die als Exempel dienen, aber keine vollständige Operationalisierung aller denkbaren Handlungen darlegen.

Die Einteilung der hier vorgelegten Dimensionen in Scores orientiert sich ebenso wie die grundgelegte Beobachtung in Zyklen am CLASS nach Pianta et al. (2008). Der Score wird für jede Dimension vergeben und repräsentiert das Ausmaß, in dem diese Dimension für die spezifische Lernsituation charakteristisch ist. Dabei steht 1 (für am wenigsten charakteristisch) bis 7 (für im hohen Maße charakteristisch). Im Gegensatz zu der Niveaubeschreibung, die drei Bereiche kennzeichnet, ist der Score also differenzierter. Er ermöglicht es somit, sofern dies gewünscht wird, die Ausprägung der Dimensionen zu untergliedern und kann somit anzeigen, dass z. B. ein mittleres Niveau erkannt wurde, dieses aber eine Tendenz in Richtung des niedrigen Niveaus aufweist. Die Beobachtung erfolgt möglichst über Videoaufnahmen, die eine Einschätzung durch mehrere Personen im Nachhinein ermöglichen. Dabei sollten Zyklen beachtet werden. Ein Zyklus umfasst 20 Minuten Beobachtung von Lernsituationen. Um eine Aussage über Qualitätsdimensionen glaubhaft treffen zu können, sind im Minimum vier Zyklen durchzuführen.

Es sollte darauf geachtet werden, dass im Allgemeinen nicht Einzelereignisse im Vordergrund des Ratings stehen, sondern eine möglichst charakteristische Gesamteinschätzung erfolgt. Nicht alle Beispiele aus den exemplarischen Erläuterungen müssen für die Vergabe eines bestimmten Ratings einer Dimension vorliegen. Die Beispiele geben nur eine Richtlinie für die Vergabe. Es müssen auch nicht zwingend alle Indikatoren des Ratingbereichs vorliegen. Eine Einordnung ist mitunter auch über weniger Detailbeobachtungen möglich (Tab. 2). Auch wenn nicht alle Beobachtungen zu einer bestimmten Kategorie gezählt werden können, sollte immer die Gesamtsituation ‚kompetenzorientiert‘, d. h. mit Fokus auf die vorhandenen Leistungen der Lehrkraft und nicht auf die Defizite, in ihrer Ausprägung betrachtet und gewürdigt werden.

Tab. 2 Auftreten der Indikatoren zur Zuordnung der Dimensionsausprägung

Die Dimensionen sind so weit möglich trennscharf formuliert. Es gibt jedoch einige Überschneidungen in den beobachteten Handlungen, die sich aus der natürlichen Lehr-Lernsituation ergeben, die gleichzeitig verschiedene Dimensionen abbilden kann. Dies ist bei der Beurteilung mit einzubeziehen.

Die Dimensionen und Erläuterungen der Niveaus sind im Fokus auf die Lehrkräfte und nicht auf die Lernenden formuliert. Sie unterstützen und verbildlichen Erwartungsmuster, die die besondere Bedeutung der Lehrperson und ihres Handelns in den Lehr-Lernsituationen verdeutlicht. Die Lehrperson nimmt bei der Ermöglichung von Lernen auch aus Fachperspektive eine vornehme Rolle ein: „Daher hängt die subjektive Sinnkonstruktion eng (…) zusammen mit dem eigenen Handeln und (…) an den als Vorbild wahrgenommenen relevanten Handlungen von Lehrer, Mitschüler und anderen Personen (sowie) an deren Kommentaren“ (Bauersfeld 1985, S. 15 in Hasemann 2003, S. 50).

Im Grundsatz möchte der Vorschlag ein Instrument zur weiteren Erprobung anbieten, das z. B., sofern dieser Einsatzbereich gewählt wird (vgl. Abschn. 2), fachspezifische Professionalisierungsprozesse anschieben und unterstützen helfen soll. Die ,Bewertung‘ des Unterrichts mündet bei diesem Ansatz in ein Gespräch mit der bewerteten Person, die somit ihr eigenes Handlungsrepertoire aus einen spezifischen Perspektive neu reflektieren kann. „Professionelles Wissen ist domänenspezifisch und ausbildungs- bzw. trainingsabhängig. (…) Professionelles Expertenwissen integriert Kontexte und erlaubt variantenreiches ‚opportunistisches Verhalten‘ “ (Baumert und Kunter 2006, S. 483). Die Arbeit mit dieser Form der Unterrichtsbeobachtung möchte in diesem Sinn dann auf die Bewusstheit der Lehrpersonen Einfluss nehmen. Nur die Handlungsformen und Routinen, die in der Reflexion aus der ad hoc Handlung heraustreten, können im Gespräch oder der eigenen Retrospektive im wahrsten Sinne überdacht und evtl. verändert werden.

Die Entwicklungsaufgabe erfordert nun, fachspezifische Dimensionen aufgrund von fachlichen Überlegungen auszuwählen, Indikatoren festzulegen und Ausprägungsniveaus zu beschreiben. Zunächst sollen jedoch noch einige Grundsatzüberlegungen für das Design der mathematikdidaktischen Dimensionen festgehalten werden.

5 Grundsätzliche Überlegungen zur Auswahl der fachspezifischen Dimensionen

Bei der Bestimmung und somit Auswahl der fachspezifischen Dimensionen zur Beobachtung und Bewertung des mathematischen Anfangsunterrichts wurden folgende Grundsatzüberlegungen beachtet:

  • Unterrichtsanalysen nach beobachtbaren Dimensionen

  • Ermöglichung der Beobachtungen durch Novizen

  • Transparenz der Beobachtungsdimensionen für Forschende und Unterrichtende

  • Diskussionsbasis für zielführende Unterrichtsreflexionen

Im Weiteren werden diese verschiedenen Zielsetzungen näher erläutert, die die hier vorgestellten Dimensionen mit beeinflusst und bestimmt haben.

5.1 Beobachtbare Dimensionen

Vielfältige Interaktionen und Prozesse, die Lernsituationen bestimmen, sind nicht ,nach außen‘ sichtbar oder in Videoaufnahmen zu fassen. Wichtige Denkprozesse, denen eher in Einzelinterviews nachgespürt werden kann, können z. B. in Klassensituationen nicht erfasst werden. Demzufolge wurden Indikatoren formuliert, die sich in Videodokumentationen oder Unterrichtsbesuchen sichtbar zeigen. In den Illustrationen bzw. auch den operationalisierten Beschreibungen von Handlungen kann nur erfasst werden, was ,offensichtlich‘ so zu sein scheint. Die Intention der Handlungen kann selbstverständlich von der als ,offensichtlich‘ erkannten abweichen. Diese Unschärfe sollte produktiv in der anschließenden Auswertung der Ergebnisse genutzt werden.

5.2 Beobachtungen durch Novizen ermöglichen

In diversen Forschungszusammenhängen sind die Projekte darauf angewiesen, Analysen von geschulten, aber Novizen in Bezug auf Mathematikdidaktik durchführen zu lassen. Dies bedingt, dass Darlegungen von Dimensionen in einer Art und Weise gemacht werden müssen, die von Fachsprache und in der Mathematikdidaktik intern gemachten Verabredungen von Begrifflichkeiten soweit Abstand nimmt wie notwendig. Das hat nicht zur Folge, dass die wesentlichen Aspekte nicht erfasst werden können, vielmehr sind die Beschreibungen darauf bedacht, soweit möglich allgemeinverständlich zu sein.

5.3 Transparenz der Dimensionen

Bei der Beurteilung von Leistungen der Lernenden im Unterricht wird zunehmend akzeptiert, dass die a priori Verabredung und Verständigung über Erwartungen und Aspekte der Leistung den Lernprozess positiv beeinflussen. Analog, so ist die Hoffnung der mit den Dimensionen angeregten Diskussion, ist davon auszugehen, dass Beurteilungen von Lehrsituationen nach vorab transparenten Kriterien und Dimensionen letztlich grundsätzlich die Qualität der kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen und beobachteten Unterricht erhöhen, sofern die Dimensionen in diesem Forschungsfokus eingesetzt werden.

5.4 Ergebnisse als Diskussionsbasis

Hier sind mindestens zwei verschiedene Aspekte der Diskussion von Unterrichtsqualität mitzudenken (vgl. auch Abschn. 2). Zum einen ist für die je beobachtete Lehrperson ein persönliches Feedback über die Einschätzung der Lernsituationen nach den dargelegten Dimensionen ein mögliches Moment der ganz persönlichen Reflexion über das eigene Handeln. Zum anderen sind größer angelegte Studien, die z. B. mithilfe repräsentativer Stichproben Schulalltag erfassen wollen, auf derartige Instrumente angewiesen. In der Analyse der Ergebnisse wird dann eine nicht individuelle, sondern bildungspolitische Diskussion in den bereits beschriebenen Einschränkungen (keine Vollständigkeit, spezifische Auswahl der Dimensionen) denkbar.

6 Fachdidaktische Grundlagen der Auswahl der Dimensionen

Einschätzungen der Qualität von Mathematikunterricht bzw. Qualitätsmessung sind, wie oben beschrieben, wesentlich abhängig von den zugrunde gelegten Kriterien. Komplexe Interaktionssysteme sind dabei grundsätzlich besonders schwer einzuschätzen. Eine Gesamteinschätzung oder auch nur ein solcher Versuch muss stets fehllaufen. Deshalb können sich auch Qualitätsaussagen über Unterricht immer nur auf dezidiert ausgewählte Elemente oder Dimensionen in genau abgesteckten Kriterien, die zur Messung transparent dargelegt werden, beziehen.

Demzufolge soll im Weiteren verdeutlicht werden, welche Grundlagen bei der Konstruktion und Entwicklung der Dimensionen der Unterrichtsbeurteilung des mathematischen Anfangsunterrichts eine wesentliche Rolle gespielt haben. Die Auswahl der hier vorgelegten Dimensionen der Beobachtung orientiert sich vornehmlich an fachdidaktischen, aktuellen Prinzipien sowie an den Forderungen der Bildungsstandards bzgl. der Ermöglichung der Entwicklung von Prozesszielen.

Anspruch an Qualität formulieren die Bildungsstandards normativ. Er ist zudem in Bezug auf Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler formuliert, also auf den so genannten Output von Unterricht und gezielt nicht auf Unterrichtsgestaltung (z. B. Blum et al. 2005). Inhaltliche Kompetenzen und Prozesskompetenzen der Kinder werden für das Ende der Grundschulzeit, also nicht spezifisch für den Anfangsunterricht in Jahrgang 1 und 2 aufgelistet.

Lehrpersonen, denen die Ausbildung der in den Bildungsstandards aufgeführten Kompetenzen der Lernenden am Herzen liegt, sind dennoch durch eben diese Standards implizit aufgefordert, Unterrichtsmerkmale und -ausrichtungen derart zu gestalten, dass sich die Kompetenzen entfalten können und gefördert werden. Das Erkennen der Bedeutung der Ausbildung der Prozesskompetenz Argumentieren z. B. erzwingt ein Handlungsrepertoire der Lehrpersonen, das eben diesen Kompetenzerwerb zumindest zulässt und im besten Fall auch unterstützt und fördert (Walshaw und Anthony 2008). So fordern auch Baumert und Kunter (2006, S. 488) unter den Kompetenzfacetten der Unterrichtsführung die „Herstellung konstruktiv-unterstützender Lernumgebungen“.

Die Ermöglichung der Erfüllung der Bildungsstandards kann als ein Qualitätsmerkmal von Unterricht herangezogen werden (Walther et al. 2007). Da laufende Forschungsprojekte (z. B. PIK-AS, vgl. Marx und Selter 2010) die hohe Schwierigkeit der Verwirklichung und Implementierung dieser Ziele deutlich herausstellen, ergibt sich von selbst, dass die Dimensionen hier in der je höchsten Ausprägung ein Ideal darstellen, dem es nachzustreben gilt (vgl. Abschn. 8). Im vorliegenden Beitrag wird als Grundlage der Beobachtungsdimensionen auf die Ausbildung der allgemeinen Prozesskompetenzen bzw. die Gestaltung von Lehr-Lernsituationen, die eine Entwicklung und Förderung der Prozesskompetenzen ermöglichen, fokussiert.

Schon 1996 formulierten Radatz et al. Qualitätsmerkmale von Mathematikunterricht:

  • Lernen in Sinnzusammenhängen/Didaktik des Entdeckens

  • Anknüpfen an kindliche Vorerfahrungen/Weiterentwicklung der kindlichen Vorkenntnisse

  • Lernen auf individuellen Wegen/Lernen mit Selbstverantwortung

  • Fehler als Lernanlässe/Lernprozesskontrollen: Der Weg ist das Ziel (ebd., S. 7–8).

Diese Schlagwörter finden sich auch in späteren Veröffentlichungen quer durch die Mathematikdidaktik national und auch international immer wieder (z. B. NCTM 2000; van den Heuvel-Panhuizen 2001; Clements et al. 2004). Gerade die Bedeutung des aktiv-entdeckenden Lernens als wesentlich für die langfristige Lernentwicklung des Individuums, ist dabei Konsens; so z. B. Hasemann (2003, S. 49) „ ‚Lernen‘ bedeutet die Erweiterung oder Umstrukturierung des bestehenden Wissensnetzes.“

Diese aktuellen Grundprinzipien des mathematischen Anfangsunterrichts, die weitgehend in der Literatur geteilt werden (z. B. Hasemann 2003; Radatz et al. 1996, 1998; Schipper 2009), bilden deshalb den weiteren Theoriehintergrund und die Grundlage für die Gestaltung der hier im Vorschlag aufgeführten Dimensionen. Wesentlich beeinflusst sind sie von den Grundpositionen des Projekts mathe 2000 (Wittmann 2009; z. B. auch in Krauthausen und Scherer 2007) und den von Schipper formulierten Aufgaben und Zielen sowie Leitideen und Prinzipien des Mathematiklernen und -lehren (Schipper 2009). Im Weiteren können in der Darstellung der ausgewählten Dimensionen die jeweiligen Referenzen detailliert abgelesen werden.

Es darf noch einmal betont werden, dass die Auswahl der hier als relevant erkannten Dimensionen keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit oder Vollständigkeit – die sich aufgrund der betrachteten Komplexität von Unterricht von selbst verbietet – erhebt, sondern als ein erster Vorschlag verstanden werden soll, allgemeine Qualitätskriterien für Unterricht durch spezifische mathematikdidaktische Kriterien für den Anfangsunterricht zu ergänzen.

7 Dimensionen zur Analyse mathematischer Lehr-Lern-Situationen

Die Dimensionen bilden, wie oben bereits begründet, soweit möglich die aktuellen Ansätze fachdidaktischer Theorien ebenso wie die impliziten Forderungen der Bildungsstandards, die an den Mathematikunterricht in der Grundschule in Bezug auf die Chancen der Entfaltung prozessbezogener Kompetenzen abgelesen werden können (vgl. Abschn. 6) ab. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und auch nicht darauf, mathematische Lernsituationen in Gänze erfassen zu können.

Die Auswahl unterlag zudem den skizzierten Zielen (vgl. Abschn. 5), die z. B. einen Einsatz auch durch Beobachter erlauben, die keine Experten mathematikdidaktischer Forschung sind. Es handelt sich bei den ausgewählten Dimensionen um die Bereiche

  • Anschauung/Mentale Bilder

  • Aufgabenqualität/Problemstellungen

  • Denkfreiheiten/Kommunikation

  • Fehlerkultur/Leistungsbewertung

  • Ziele/Zieltransparenz

Die Bezeichnung der Dimensionen durch Schlagwörter geschieht in der Anlehnung an CLASS. Das vorliegende Instrument möchte dem Anspruch gerecht werden, als Zusatz (Additiv) zum CLASS auch gleichzeitig mit den allgemeinen, bildungswissenschaftlichen Dimensionen einsetzbar zu sein. Es versteht sich damit, den gleichen Stil der Bezeichnungen in Nomina zu übernehmen, auch wenn innerhalb der Dimensionen Handlungspotenziale von Lehrpersonen beschrieben werden.

Im Folgenden werden die einzelnen, hier zugrunde gelegten Dimensionen mitsamt den jeweiligen theoretischen Hintergründen für die Bedeutung eben dieser Dimension dargestellt. Zur IllustrationFootnote 1 werden in diesem Beitrag aufgrund des beschränkten Raums anschließend (Abschn. 8) bei drei zufällig ausgewählten Dimensionen beispielhafte Lehr-Lernsituationen und Verhaltensmuster der Lehrpersonen (Erläuterungen) je einmal im niedrigen, mittleren bzw. höheren Ausprägungsbereich bereitgestellt, um exemplarisch Einblick in diese Art der typischen Verbildlichung der Niveaus, wie auch CLASS sie nutzt, zu geben.

7.1 Dimension: Anschauung/Mentale Bilder

Mathematik als abstrakte Wissenschaft erzwingt den Umgang mit abstrakten Objekten. Nicht nur aber gerade im Anfangsunterricht ist die Bedeutung von Anschauung und Anschauungsmitteln zur Darstellung und Verdeutlichung des abstrakten mathematischen Wissens unbestritten. Die innere Repräsentation von mathematischem Wissen (Zahlkonzepten, Operationsvorstellungen etc.) kann nur in tragfähigen Grundvorstellungen und mentalen Objekten (Freudenthal 1983; vom Hofe 1995; Wartha und Güse 2009) gelingen. Da Mathematik nicht greifbar in konkreten Objekterfahrungen erlebt werden kann, kann Lernbegleitung demzufolge nur auf die Entwicklung von Bewusstheit zielen (Mason 1987). Im Weiteren werden Material, Anschauungs- und Darstellungsmittel grob vereinfachend synonym verwendet.

Diese Dimension greift ebenso – neben anderen – namentlich das Prozessziel der Bildungsstandards ‚Darstellen‘ (KMK 2004) auf. Die Kompetenz, wechselseitige Übersetzung von Darstellungen in mentale Vorstellungen (des Objekts, der Operation etc.) und umgekehrt leisten zu können, ist unterrichtlich zu fördern.

Da diese Übersetzungen je neuen Lernstoff darstellen, muss die Auswahl der Materialien durch die Lehrperson sehr genau nach fachlichen Kriterien überlegt sein (z. B. Lorenz 2007; Lorenz und Schipper 2007; Radatz et al. 1996; Wittmann 1993). Bei der Frage nach ,dem geeigneten‘ Material ist sich die Fachdidaktik nicht immer einig. Demzufolge wird in dieser Dimension keine konkrete Vorgabe bzw. Präferenz für das eine oder andere Material angegeben. Das kann als Manko empfunden werden. Die Dimension möchte zunächst einmal gezielt die grundsätzliche Bedeutung der Anschauung ansprechen und dieses Merkmal von mathematischen Lehr-Lernsituationen in die Diskussion mit den Lehrpersonen einbringen. Demzufolge ist die Unschärfe der Begriffe ‚geeignet‘ oder ‚adäquat‘ beabsichtigt, da sie Anlass zur Diskussion ist und zur weiteren Schärfung der eigenen Sicht beiträgt, ggf. auch durch vertiefte Auseinandersetzungen mit Literatur. Unabhängig von der konkret getroffenen Wahl geht das „Argument, den Kindern einer Klasse möglichst viele Veranschaulichungsmittel anzubieten, aus denen sie selbst das für sie entsprechende oder ansprechende auswählen könnten“ fehl (Lorenz 2007, S. 60). Die Auswahl der Veranschaulichungsmittel ist somit vornehmste Aufgabe der Lehrperson (ebd., S. 61).

Diese Dimension verdeutlicht den Einsatz und die Motive der Auswahl von didaktischem Material oder Abbildungen sowie die Wertschätzung der Ausbildung mentaler Bilder und Grundvorstellungen in mathematischen Lernsituationen.

Als Indikatoren dieser Dimension werden im Einzelnen vorgeschlagen:

  • Angebot von Anschauungsmitteln

  • Auswahl der Anschauungsmittel

  • Ausbildung von Grundvorstellungen

Die in diesem Beitrag im Folgenden immer nur in aller Kürze benannten Indikatoren sind im Material selbst ganz analog zu den CLASS Dimensionen jeweils bzgl. der drei Niveaustufen operationalisiert dargelegt. Beispielhaft kann dieses Vorgehen an Tab. 3 abgelesen werden. Ergänzend zu der operationalisierten Beschreibung der Indikatoren werden jeweils typische Handlungsmuster der Lehrpersonen in den Ausprägungsniveaus dargestellt (vgl. Abschn. 8), die mit exemplarischen Konkretisierungen der hier sehr kurzen Operationalisierung arbeiten und so die Beobachtung und Analyse, d. h. das Erkennen des Indikators in einem spezifischen Ausprägungsniveau, unterstützen.

Tab. 3 Darstellung der Ausprägungsbereiche der Indikatoren als operationalisierte Handlungen der Lehrperson

Es ist dabei zu beachten, dass, wie in der Entwicklungsbeschreibung zu den Dimensionen bereits dargestellt, nur die sichtbaren Interaktionen erfasst werden. Handlungsmuster sind demzufolge als ,offensichtlich‘ zu kennzeichnen, da sie lediglich die Performanz erfassen und die ggf. davon differente Intention der Handlung durch das vorgelegte Instrument selbst nicht ermittelt wird. Weitere Analysen wie Interviews mit den Lehrkräften, beliefs-Untersuchungen etc., die den Hintergründen der Handlungsperformanz auf die Spur kommen könnten, sind als Ergänzungen je nach Einsatz des Instruments selbstverständlich denkbar.

7.2 Dimension: Aufgabenqualität/Problemstellungen

In der Fachdiskussion der ‚neuen Aufgabenkultur‘ wird vielfach auf Anforderungsbereiche (KMK 2004) Bezug genommen. Es wird unterschieden zwischen Grundanforderungen bzw. Routinen bis hin zu Problemlösekompetenzen. Hier ist eine enge Verzahnung zum Prozessziel ,Problemlösen‘ zu erkennen. Blömeke und Müller (2008) weisen darauf hin, dass der kognitive Anspruch und eine differenzierte Anlage der Aufgaben positiv zusammenhängen. „Die Korrelation lasst die Tendenz erkennen, dass dem Einsatz anspruchsvoller und differenzierter Aufgaben eine hohe didaktische Qualifikation zugrunde liegt, die um den Wert beider Merkmale weiß“ (ebd., S. 250).

Selbstverständlich steht es außer Frage, dass Aufgaben zu Grundfertigkeiten und deren Übung im Unterricht nicht per se eine niedrige Qualität signalisieren. Die ausschließliche Nutzung von Routine-Abprüfungen als Aufgabentyp ist jedoch eindeutig ein Merkmal der Missachtung des Prozessziels Problemlösen und wird gleichsam dem Wesen der Mathematik als forschende und problemlösende Wissenschaft nicht gerecht. Vielmehr zeichnen sich Lernsituationen dadurch positiv aus, wenn die Übungsmöglichkeiten für Fertigkeiten und Kenntnisse – wenn immer möglich und sinnvoll – in Aufgaben integriert werden, die Erklärungen einfordern oder zumindest die Möglichkeit bieten, Entdeckungen zu machen. Dies kann sogar bei interessanten Zusammenstellungen von Einmaleins-Aufgaben gelingen.

Je ‚gehaltvoller‘ die Aufgaben angelegt sind, umso weniger können sie nach festgelegten und eingeübten Routinen abgearbeitet werden, sondern erfordern die Aktivierung neuer Strategien und eigener Überlegungen. Die kognitive Herausforderung der Lernenden durch geeignete Umgebungen und Fragestellungen steht in der Tradition der Aktivierung der Zone der nächsten Entwicklung (Zankov 1973; Vygotskij 1978). Die Ausrichtung von Unterricht soll dabei nicht am Mittel der Leistungsfähigkeiten der Schülerinnen und Schüler orientiert sein, sondern idealer Weise jedes Kind gezielt im Sinne des Förderns durch Fordern herausfordern. Dabei wird Mathematik als qualitatives ‚Mehr als Rechnen‘ (Steinbring 1995, 2004) angesehen.

Diese Dimension spiegelt die Anforderungsmerkmale der angebotenen Aufgaben und Problemstellungen unter Berücksichtigung von Kognitionsniveaus und den daraus resultierenden Lernchancen wider.

Als Indikatoren dieser Dimension werden identifiziert:

  • kognitive Herausforderung

  • Möglichkeiten der Entdeckung und Erklärung von Zusammenhängen

  • Bedeutung der Sicherung von Grundwissen und Routinen (Üben)

7.3 Dimension: Denkfreiheiten/Kommunikation

Seit über 20 Jahren sind in der theoretischen Diskussion von mathematisch relevanten Fragestellungen reine Rechenaufgaben und Routinen zugunsten von so genannten produktiven Aufgabenformaten (Wittmann und Müller 1990, 1992) mehr und mehr zurückgedrängt worden. Die Abkehr von ergebnisorientierter Sicht hin zur geistigen und prozesshaften Sicht mathematischer Tätigkeiten (Freudenthal 1982) ermahnt zu mehr Freiheiten in der Bearbeitung von mathematischen Problemen, da die individuellen kognitiven Strukturen sich auch in individuellen Denkweisen ausdrücken.

Im Vertrauen auf diese individuellen Denkstrukturen, treten auch ‚Eigenproduktionen‘ (Selter 1994) auf den Plan, die ein Höchstmaßan Individualisierung nicht der Vorgaben, sondern der tätigen Auseinandersetzung darstellen.

Die Produktivität der Aufgabenformate versteht sich hier vor allem in dem Sinn, Entdeckungen zu ermöglichen, die mathematische Beziehungen widerspiegeln. Diese gilt es zu erkennen, zu nutzen und in ersten Ansätzen zu begründen (Steinweg 4 2008). Die Auseinandersetzung erfolgt hierbei auch im sozialen Austausch, der eine zunehmende Rolle im Unterricht einnimmt. Die Kommunikation über die Entdeckungen und argumentative Auseinandersetzungen über Fortsetzungen von erkannten Mustern oder die Ursache der Entstehung bilden einen wesentlichen Teil des aktuellen Mathematikunterrichts. In den Bildungsstandards finden sie sich z. B. in den Prozesszielen Kommunizieren und Argumentieren manifestiert.

In der Auseinandersetzung variiert die Tiefe auf ganz natürliche Weise, wie es die ,Natürliche Differenzierung‘ vorhersagt. Dennoch arbeitet eine Gemeinschaft von Kindern oder auch die gesamte Klasse an einem Format, das in seinen Variationen eben diese Vielfalt an Tiefendimensionen der Auseinandersetzung erlaubt (Krauthausen 1995; Steinweg 2006).

Die kognitive Aktivierung der Lernenden zeigt sich dabei nicht nur in (Denk-)Handlungen, sondern in beobachtbaren Kommunikationen im Unterricht. In der aktuellen Unterrichtsforschung wird, da sich Lernprozesse der unmittelbaren Beobachtung entziehen, der Analyse der Aufgabenqualität neben der verbalen Interaktion große Bedeutung geschenkt (vgl. Blömeke und Müller 2008; Blömeke et al. 2006). Die Kommunikation wiederum unterstützt und begleitet die Denkentwicklung der Schülerinnen und Schüler durch ihr interaktives Moment: „Bauersfeld hat (…) die Bedeutung der Handlungen und Darstellungen für das Lernen von Mathematik herausgestellt, aber auch die des kommunikativen Prozesses: Der Sinn der Handlungen erschließt sich dem Individuum durch eigenes geistiges Tun in der Interaktion mit anderen“ (Hasemann 2003, S. 50). In aktuellen Forschungsansätzen wird die Bedeutung dieser kognitiv-aktivierenden Elemente des Unterrichts herausgearbeitet und empirisch überprüft (vgl. Krauss et al. 2004).

Die Dimension erfasst die zur Verfügung gestellte individuelle Freiheit und Tiefe der Auseinandersetzung sowie das Ausmaß der geistigen Aktivierung der Schülerinnen und Schüler innerhalb des Mathematikunterrichts. Sie umschließt dabei auch das Ausmaß der ernsthaften Kommunikation über verschiedene Lösungs- und Denkwege in bewusst gestalteten Phasen des Unterrichts.

Als Indikatoren dieser Dimension werden vorgeschlagen:

  • kognitive Aktivierung

  • individuelle Denkwege

  • (fachliche) Diskussion von Lösungswegen

7.4 Dimension: Fehlerkultur/Leistungsbewertung

Grundlage des heutigen Anfangsunterrichts ist die Orientierung am Vorwissen der Schülerinnen und Schüler (z. B. Spiegel 1992; Selter 1995; Selter und Spiegel 2003). Dabei sind in den aktuellen Diskussionen nicht nur die Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten zu Schulbeginn in ihrer Bedeutung erkannt worden, sondern vielmehr wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass Kinder in ihren jeweiligen subjektiven Erfahrungswelten (Bauersfeld 1983) Anknüpfungspunkte für den Unterrichtsgang mitbringen. Diese werden in so genannten Standortbestimmungen (z. B. Plackner 2008; Voßmeier 2008) zunehmend in ihrer Bedeutung wahrgenommen. Im Vertrauen auf das Prinzip der fortschreitenden Schematisierung (Treffers 1983) sollte der Unterricht demnach die individuellen Entwicklungsverläufe adäquat unterstützen und fördern.

Auch die Leistungsbewertung kann sich dieser Position nicht dauerhaft entziehen. So verwundert es nicht, dass in der Fachdiskussion von einer neuen ‚Fehlerkultur‘ gesprochen wird. Diese möchte in der kompetenzorientierten Sicht die Stärken der Kinder herausarbeiten und nicht in defizitorientierter Manier die Fehlleistungen rein quantitativ auflisten.

Es wird allgemein anerkannt, dass die kindlichen Tätigkeiten zunächst höchst individuell und singulär ausfallen können und erst in der sozialen Auseinandersetzung mit den regulären, mathematischen Vorgehensweisen in Beziehung gebracht werden müssen (Gallin und Ruf 2000). Grundsätzlich ist also die Relativierung von normativen Bezügen eine Konsequenz der Anerkennung der persönlichen Lernbiographien. Die Entdeckung individueller Bezugsnormen (Selter und Sundermann 2006) kommt hiernach nicht überraschend, sondern ermöglicht es, die Kompetenzen und Defizite der Kinder nicht ausschließlich in Bezug zur regulären Norm oder zur Sozialnorm zu bewerten. Individuelle Rückmeldungen erfordern den Diskurs der Regeln und des individuellen Sachstandorts des Kindes. Im weiteren Sinn findet sich auch hier das Bildungsziel ‚Argumentieren‘ wieder.

Die Dimension umfasst den Umgang der Lehrperson mit Verstehensproblemen und Fehlantworten. Sie berücksichtigt dabei auch die Ausprägung und Intention von Rückmeldungen sowie die Abgrenzung zu Bewertungen.

Indikatoren dieser Dimension sind Handlungsausprägungen bzgl.

  • Reaktion auf Fehler und Fehlvorstellungen

  • Beurteilungsmechanismen

  • Einbezug in individuelle Bewertung

7.5 Dimension: Ziele/Zieltransparenz

Unbestritten ist ein zielgerichtetes Arbeiten auf Seiten der Kinder um ein Vielfaches effizienter als ein durch Versuch und Irrtum oder die vermeintliche Lehrpersonenmeinung antizipierendes Raten. Gerade im Anfangsunterricht war die Meinung weit verbreitet, dass jedoch nur ‚kindgemäße‘ Einkleidungen einen Zugang zur abstrakten ‚Geheimwissenschaft‘ der Mathematik ermöglichen können. Demgegenüber zeigte bereits Dewey (1976) die Möglichkeit auf, wie die Bedeutung der Sache selbst in aller Klarheit die Auseinandersetzung für die Schülerinnen und Schüler wesentlich vereinfachen kann. Die Handlungen und Verhaltensweisen der Lehrperson sollten demzufolge auf diese Transparenz der mathematischen Ziele bestimmter Phasen bewertet werden.

Lernen erfolgt günstiger Weise in Sinnzusammenhängen, die von Anfang an transparent werden. Dabei ist es gleichwertig möglich, diesen Sinn in außermathematischen Zusammenhängen anzugeben oder in innermathematischen Strukturen, die erkannt und aufgedeckt werden können. Die Bearbeitung der in diesem Sinne ,sinnvollen‘ Probleme geschieht dabei immer in Vernetzung von inhaltlichen Zielen und allgemeinen Prozesszielen.

Bei der sachbezogenen Motivation, die in den Bildungsstandards unter dem Schlagwort ‚Modellieren‘ gefasst wird, gilt es, sich an mathematischen Grundideen (Wittmann 2001) zu orientieren. Die innermathematische Motivation nutzt die Mathematik als aktiv-entdeckende Wissenschaft der Strukturen und Muster (Wittmann 1995; Steinweg 2001).

Eingedenk der Bedeutung der transparenten Sinnhaftigkeiten ist es unerlässlich, sich von der Methodik der kleinen (hierarchischen) Schritte in den Angeboten an die Kinder zu verabschieden. Die Feingliedrigkeit von Teilzielen, verwässert den Blick auf die eigentlichen inhaltlichen und allgemeinen Ziele in der Wahrnehmung der Lehrperson. Auch den Lernenden wird die direkte Auseinandersetzung mit dem Inhalt – ebenso wie bei überbordenden, die Aufmerksamkeit bindenden, außermathematischen Einkleidungen – erschwert und mitunter unmöglich gemacht.

Das bedeutet jedoch nicht, dass alle stets immer alles gleichzeitig erfassen müssen. Vielmehr gehen die Lernenden selbst in ihren Lernwegen mitunter auch in kleinen Schritten voran. Diese ergeben sich jedoch auf natürliche Weise und werden nicht vorgegeben. Mathematische Grundideen werden in mehreren Durchgängen im Schuljahr und in der gesamten Lernzeit immer wieder aufgegriffen und nach dem Spiralprinzip der wiederkehrenden Themenbereiche (Bruner 1970, 1974) im Unterricht integriert.

Die Dimension spiegelt die Ausprägung von Vernetzungsgedanken und die Nutzung von Sinnzusammenhängen inner- und außerfachlich wider, die sich in Prozess- und Inhaltszielen darstellen, sowie die in den Lernsituationen genutzte Transparenz dieser Ziele.

  • Inhalts- und Prozessziele

  • Stiftung von Sinnzusammenhängen

  • Transparenz der Ziele

8 Exemplarische Darstellung der typisierten Illustration von Ausprägungsniveaus

Alle Dimensionen werden mit einer typisierenden Darstellung von Handlungsmustern in den drei Ausprägungsniveaus begleitet. Innerhalb dieses Beitrags soll dieses Vorgehen an drei zufällig ausgewählten Beispielen aufgezeigt werden. Dabei wird je einmal eine Illustration von Lehrhandlungen im hohen, im mittleren und im niedrigen Niveau aufgezeigt an verschiedenen Dimensionen angeboten (die weiteren typisierten Darstellungen können von der Autorin angefordert werden).

Die typisierten Illustrationen dienen der Schulung der Beobachterin bzw. des Beobachters ebenso wie den beobachteten Lehrpersonen selbst. In der Auseinandersetzung mit dem beschriebenen ‚typischen‘ Verhalten, können eigene Routinen entlarvt werden. Es sollte deutlich werden, dass die Beschreibungen einerseits niemals vollständig sind, d. h. es werden nicht alle möglichen Handlungsmuster exemplifiziert, andererseits die Verhaltensmuster in der dargestellten Form auch nicht exakt so in der Praxis auftreten. Beide Ansprüche werden nicht erhoben. Die Darstellung dient als Spiegel und exemplarisches Beispiel im besten Sinne, um die Nachteile einer Checkliste aus Überschriften und Indikatoren, die wie oben ausgeführt zweifach wirken könnten, zu mildern.

Mitunter scheinen sich Schwarz-Weiß-Formulierungen in den typhaften Erläuterungen der Dimensionen zu finden, die z. B. auch an Adverbien wie ,stets‘ oder ,immer‘ etc. ablesbar sind. Dies liegt an der Idee, zum einen mit Typisierungen zu arbeiten und zum anderen Idealformen (hohes Niveau) als Ideale dazustellen; sie sind als ‚Überzeichnungen‘ zu deuten und sollen herausfordern. „The high-end markers for each dimension reflect good teaching practice; however, to score in the high range a classroom does not have to be perfect. There may be one or two things that are less than ideal in a given observation, but if the overall classroom experience is characterized by the markers at the high end, the classroom should be scored that way. This may be an issue for observers using the CLASS as a professional development tool. Receiving a high score on a dimension does not preclude the usefulness of a discussion with the teacher being observed about her practice in that area. It is often the case that teachers are not aware of exactly what they are doing well; hearing the specifics of their successes might help them to be more intentional and consistent in implementing these practices in the future“ (Pianta et al. 2008, S. 13 f.).

8.1 Typisierte Darstellung zur Illustration ‚Hohes Niveau‘ am Beispiel der Dimension Anschauung/Mentale Bilder

Im Idealfall bzw. in der höchsten Ausprägung dieser Dimension gelingt es der Lehrperson im Unterricht bezüglich der drei Indikatoren, Lernsituationen wie folgt zu gestalten:

Die Lehrperson bietet den Lernenden stets adäquate Anschauungsmittel zielgerichtet an.

Die Kinder nutzen ein bestimmtes, von der Lehrperson in dieser Unterrichtsphase als sinnvoll erkanntes Material. Dabei lässt sich die Lehrperson nicht von Einzelwünschen der Kinder abbringen, sondern thematisiert genau, warum dieses Material in diesem Fall geeignet ist.

Die Bedeutung der Anschauungsmittel wird auch in den begleitenden Erläuterungen und Hinweisen der Lehrkraft immer bewusst wahrgenommen. Sie nutzt das Material nicht nur für die ersten Schritte, sondern zielgerichtet auch für die Erklärung von mathematischen Entdeckungen.

Das Material wird damit herausgehoben aus der Position, nur für die Kinder da zu sein, die es noch nicht ohne können. Im Gegenteil spielen die Anschauung und die Verdeutlichung von Rechenoperationen und Phänomenen durchgängig eine wesentliche Rolle im Unterrichtsgeschehen. Gerade auch für die leistungsstarken Kinder, die mithilfe von Material mathematische Phänomene deuten und erklären sollen.

Sie verdeutlicht den Bezug der behandelten Themen zu diesem spezifischen Anschauungsmittel.

Diese Haltung zeigt sich konsequent dadurch, dass auch die Lehrperson selbst immer wieder zu einem bestimmten Material greift, wenn sie einen bestimmten Sachverhalt darstellen will. Sie nutzt dabei die Anschauungsmittel nicht nur, sondern benennt diese als günstig und effektiv für diese Art von Problemstellung bzw. fordert derartige Argumente von den Kindern ein.

Dabei grenzt sie das Vorgehen an diesem Material in der Diskussion mit den Kindern auch von anderem Material ab und verdeutlicht so die Vorteile des von ihr vorgegebenen Darstellungsmittels. Verschiedene Vorgehensweisen werden demnach von dem jeweils geeigneten Anschauungsmittel begleitet. Dabei werden die Vorgehensweisen selbst als gleichwertig anerkannt.

Sie legt offensichtlich viel Wert auf die Ausbildung von inneren Bildern und Grundvorstellungen durch die Vernetzung von Anschauungsmittel und Denkwegen.

Die Lehrperson stellt nicht nur Bezüge zu den gerade behandelten Themen und Sachverhalten und dem Material her, sondern sie verknüpft diese auch mit den bereits gemachten Erfahrungen z. B. aus dem vorangegangenen Schuljahr oder vergangenen Themengebieten. Sie ermöglicht es den Kindern somit durchgängig, die bereits entwickelten inneren Bilder zu bestimmten Rechenoperationen weiter zu vernetzen und auszubauen. Dies wird z. B. bei Analogien sehr deutlich, wenn beispielsweise die Aufgaben 34+5 mit der Aufgabe 4+5 in Beziehung gebracht wird – und zwar nicht auf der Ziffernebene, sondern in der Darstellung durch das Material (z. B. 34 als drei 10er-Stangen und 4 Einer, zu denen 5 Einer dazu kommen).

Die Lehrperson fragt stets nach den Vorstellungen der Kinder und bittet sie, diese z. B. aufzuzeichnen oder von ihnen zu berichten („Wie stellst du dir das vor?“ „Wie kann man das zeichnen?“). Sie berichtet auch selbst von ihren inneren Bildern, die ihr die Bearbeitung und das Verstehen von Zusammenhängen erleichtern helfen.

8.2 Typisierte Darstellung zur Illustration ‚Mittleres Niveau‘ am Beispiel der Dimension Aufgabenqualität/Problemstellungen

Lernsituationen, die in den verschiedenen Indikatoren einen mittleren Ausprägungsbereich charakterisieren würden, könnten typisiert wie folgt aussehen:

Die Aufgaben bieten manchmal Herausforderungen, die problemlösendes Bearbeiten fordern.

Die Lehrperson gibt normalerweise lange ausführliche Erklärungen, die die genaue Vorgehensweise und die Lösungswege zunächst darstellen, bevor die Schülerinnen und Schüler selbstständig Aufgaben aus Büchern oder Arbeitsblättern bearbeiten. In einigen Fällen wird von diesem Vorgehen abgewichen. Die Lehrperson gibt als Experiment einzelne Aufgaben zunächst in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit und bittet die Kinder, die Aufgaben soweit zu lösen, wie sie es können. Die natürlicherweise hierbei auftretenden Probleme werden manchmal im Vorfeld als normal oder „nicht schlimm“ angekündigt. Die Kinder werden ermutigt, bis zu einem gewissen Grad, die Unsicherheit bei der Bearbeitung auszuhalten.

Zumeist wird die Lehrkraft aber nach einer nicht allzu langen Phase des probierenden Lösens in die Bearbeitung eingreifen, d. h. sie versucht den Kindern zuzutrauen, dass sie sinnvolle Wege der Bearbeitung finden, greift aber schnell ein, wenn sie den Verdacht hat, dass die Kinder in zu verschiedene Richtungen ausbrechen. Sie beruhigt dann sich und die Kinder damit, dass die auftretenden Probleme durch eine gute Erklärung (Vormachen) gelöst werden können.

In dem Wissen, dass die Lehrperson ihnen auf Äußerungen, die deutlich machen, dass sie nicht weiter kommen, zumeist sehr schnell direkte Hilfen anbietet, geben die Kinder selbst nach nicht allzu großen Mühen zumeist auf, die Herausforderungen der Aufgaben zu meistern. Die gesamte Situation ist als „Ausnahmesituation“ bei allen Beteiligten kenntlich. Je höher diese Dimension ausgebildet ist, um so weniger „ungewöhnlich“ erscheinen derartige Arbeitsphasen, die Ausdauer, Mühe und Problemlöseverhalten einfordern, den beteiligten Kindern, die sich neugierig an die Arbeit machen, und der Lehrkraft, die auch einmal Unsicherheiten bei den Kindern aushält und immer weniger vermeintlich helfend beispringt.

Die Aufgaben bieten manchmal Gelegenheit, (mathematische) Entdeckungen zu machen und Zusammenhänge zu erklären.

Die dargebotenen Aufgaben in Phasen der Einführung oder Übung haben in zusätzlichen Anteilen, z. B. durch eine Teilaufgabe b) oder eine Zusatzfrage, Anteile, die deutlich machen, dass neben den rein mathematischen Lösungen (Ergebniszahl, Antwortsatz, Begriff) auch weitere Entdeckungen gemacht werden könnten. Diese Entdeckungen betreffen dabei vor allem mathematische Beziehungen (z. B. alle Ergebnisse sind Vielfache von 5/die Ergebnisse wachsen immer um 2 an etc.) Diese Zusatzaufgaben werden mitunter nur an die „schnellen“ Kinder gegeben. Die Wahrnehmung und Bedeutung dieser Lernchancen wird im Unterricht dadurch deutlich, wie viel Zeit für die Darlegung der gemachten Entdeckungen eingeräumt wird oder ob sie eher gar nicht oder nur am Rande thematisiert werden.

Grundwissen wird ab und zu integriert in Aufgaben, die neben Routinen auch Entdeckungen ermöglichen.

Die Aufgaben in den Übungsphasen zur Festigung des Grundwissens sind im Allgemeinen den Aufgaben des niedrigen Niveaus ähnlich (Die Lehrperson achtet auf die Quantität der bearbeiteten Aufgaben und Schnelligkeit der Lösungsfindung; Aufgaben werden nur im äußeren Erscheinungsbild variiert.). Ab und zu werden jedoch auch bei so genannten Übungseinheiten neben den bereits erlernten Routinen und dem Grundwissen auch Entdeckungsaufgaben mit einbezogen. Das kann z. B. bedeuten, dass Übungen zum Einmaleins auch einfache Beziehungen zwischen den Einzelaufgaben aufzeigen (2⋅5, 4⋅5, 6⋅5, 8⋅5…). Diese Entdeckungen können auch dadurch nachgefragt werden, dass die erkannten Beziehungen fortgesetzt werden müssen („Wie geht es weiter?“). So genannte substanzielle Aufgabenformate, bei denen mathematische Beziehungen integriert sind, wie z. B. bei Zahlenmauern, werden ebenso manchmal genutzt. Je deutlicher dann auf die Beziehungen und nicht nur auf die Lösungszahlen eingegangen wird, umso höher ist diese Dimension ausgeprägt.

8.3 Typisierte Darstellung zur Illustration ‚Niedriges Niveau‘ am Beispiel der Dimension Denkfreiheiten/Kommunikation

Lernsituationen, die für den niedrigen Ausprägungsbereich dieser Dimension charakteristisch erscheinen, könnten demnach wie folgt aussehen:

Der Lehrperson gelingt es nur, einzelne Kinder kognitiv zu aktivieren.

Die Aktivierung der Schülerinnen und Schüler geht über fragend-entwickelnden Unterricht wie in einem Ping-Pong-Spiel nicht hinaus. Die Lehrperson gibt sich mit kurzen Antworten der Kinder zufrieden, die manchmal nur aus Zahlenwerten (Ergebniszahl) oder Begriffen (z. B. Dreieck) bestehen.

Der Großteil der Kinder ist in einer zuhörenden Rolle. Die Schülerinnen und Schüler, die aktiv werden, bearbeiten kurze Anweisungen der Lehrperson in Form eines Vormachen-Nachmachens.

Führt die Lehrperson zum Beispiel einen neuen Begriff oder ein Lösungsverfahren ein, so setzt sie nicht auf das Vorwissen der Kinder, sondern erklärt den Begriff von sich aus. Sie gibt keine Möglichkeit für ein Herantasten oder Probieren, sondern besteht auf einer bestimmten Möglichkeit der Erarbeitung.

Dies wird auch bei Rechenoperationen deutlich, die sie in einer einzigen, von ihr vorgegebenen Art und Weise vorführt und die Kinder zur Imitation dieses Vorgehens anhält.

Wenn überhaupt, bietet die Lehrperson den Lernenden kaum Gelegenheit, eigene Lösungswege zu suchen.

Die Lehrperson gibt hingegen die Lösungswege in Beispielen vor, die sie selbst oder einzelne Kinder an der Tafel oder auf einer Overhead-Folie vorführen. Sie scheint davon überzeugt, dass nur dieser eine Weg tatsächlich möglich ist. Dieser Denkweg der Lehrperson wird als eine Art Technik weitergegeben.

Wenn beispielsweise Rechnungen im Zahlenraum bis 20 mit einem 10er-Übergang gelöst werden sollen (7+6), so müssen alle Kinder den von ihr vorgezeichneten Weg (Teilschrittverfahren, 7+3=10 und dann noch einmal +3) nachgehen.

Gleiches gilt auch für Sachtexte, bei denen die Frage und die Antwort gesucht werden muss. Vielfach werden hier für die Bearbeitung sogar klare Schemata vorgegeben, die die Schülerinnen und Schüler ausfüllen müssen.

Sie initiiert keinen Austausch von Ideen in gemeinsamen Diskussionen (Partner/Gruppen/Plenum).

Von Beginn an werden die Schülerinnen und Schüler nicht nach möglichen, vielleicht anderen Lösungswegen gefragt. Die Kinder nehmen hingegen zumeist zuhörend die geforderten und vorgezeichneten Wege auf und dürfen diese in Arbeitsphasen nachmachen. Diese Haltung ist unabhängig davon, ob die Kinder in Einzelarbeit Aufgaben und Probleme lösen oder in Partner- bzw. sogar Gruppenarbeit „zusammenarbeiten“. Die Freiheit der Bearbeitung der Aufgaben variiert höchstens in der Reihenfolge, in der die Schülerinnen und Schüler die gestellten Anforderungen abarbeiten, oder in der Auswahl von verschiedenen Arbeitsaufträgen, nicht jedoch im Lösungsweg, der durch das vorgemachte Schema geprägt ist.

Ein Austausch nach derartigen Arbeitsphasen findet nicht oder kaum statt. Im besten Fall dürfen die Kinder ihre Ergebnisse vortragen.

9 Schlussbemerkungen

Der hier angebotene Vorschlag zur Erfassung von Qualitätsdimensionen ist stets unter der Prämisse zu lesen, dass eine doppelt interpretative Analyse erfolgt.

Zum einen gehört es zum Wesen der hier angeregten Diskussion, die Dimensionen und ihre Indikatoren transparent darzulegen. Die Auswahl ist begründet und dennoch in höchstem Maße eine Interpretation. In keiner Weise sollte suggeriert werden, dass es keine weiteren Dimensionen geben kann oder aber die natürliche innere Verflechtung der Dimensionen zu anderen Gruppierungen führen könnte.

Zum anderen ist die analytische Beurteilung von Unterrichtssituationen und Zyklen nach den vorliegenden Indikatoren stets ein interpretativer Akt. Es kann als Nachteil empfunden werden, dass die Zeitfenster der Beurteilung nicht kleiner gewählt wurden und somit die Analyse mit vielfältigen Eindrücken innerhalb der beobachteten 20 Minuten arbeiten muss. Die hoch inferenten Analysesysteme von Unterricht und Lernsituationen (Clausen et al. 2003; Hosenfeld et al. 2008) arbeiten in der Regel mit eher minutiösen Bewertungsrastern. Diese gaukeln jedoch nur eine Objektivität vor, die der systemischen Komplexität von Unterricht auch nicht abschließend gerecht werden kann.

Die hier zur Diskussion gestellten Dimensionen sind insbesondere für die Analyse von mathematischem Anfangsunterricht (Schulanfangsphase, Jahrgang 1 und 2) formuliert worden. Eine Ausweitung des Einsatzes, die in folgenden Projekten intensiv zu diskutieren wäre, kann Variationen, Adaptionen oder einen Ausbau der Dimensionen bedingen.

Ebenso ist anzumerken, dass die Verengung der beobachteten Ereignisse auf numerische Kenngrößen diskutabel bleiben sollte. Es geht nicht darum, eine Pseudo-Objektivität durch Zahlenwerte um jeden Preis anzustreben. Dennoch ist es in der Diskussion mit den beteiligten Lehrpersonen oder in bildungspolitischen Diskussionen mitunter hilfreich, durch grobe Richtwerte auf Besonderheiten aufmerksam machen zu können: Wird z. B. in einer Dimension über alle Zyklen ein stets gleichbleibender Wert erzielt, so zeigt sich eine gewisse Konstanz der Qualität in dieser Dimension (mit allen oben genannten Einschränkungen). Gibt es ‚Ausreißer‘ innerhalb einer Dimension über alle Zyklen oder aber auch im Durchschnitt in Bezug zur Ausprägung anderer Dimensionen in jedwede Richtung, lohnt sich vielleicht ein intensiver Blick in die Videodokumentation, um den Ursachen auf die Spur zu kommen und Handlungsalternativen zu diskutieren. Die ,Beurteilung‘ von Unterricht wird dann sinnvoll, wenn sie in eine produktive Auseinandersetzung, die zukunftsgerichtet agiert, mündet.

Im Hinblick auf die unter Abschn. 2 dargestellten, verschiedenen Einsatzbereiche, kann die Ergänzung des CLASS durch fachdidaktische Dimensionen einen Beitrag dazu leisten, Analysen von Mathematikunterricht, in den je verschiedenen Foki, noch umfassender zu ermöglichen. Effektforschungen, Fragen der Veränderung von Einstellungen und deren unterrichtlichen Auswirkungen, Design oder Wirkung von Fortbildungsmodulen können vom Einsatz des vorgelegten Additivs zum CLASS alleinstehend oder aber mitsamt dem allgemeinen System profitieren.

Im Bereich der Professionalisierungsforschung und -praxis sind die Videosequenzen als Beispiele z. B. im anekdotischen Ansatz nach Goffree und Dolk (1995) zur Förderung der Reflexionskompetenz einsetzbar: „A theoretical reflection is more than theory alone. The word ‚reflection‘ indicates the presence of a situation, which is then observed, recognized, pondered and analyzed with the help of one’s own experiences and knowledge. In a theoretical reflection, the educator demonstrates how the theory can help one understand the practice. Sometimes the educator is even able to make predictions after observing a phenomenon“ (ebd., S. 22). Auch Baumert und Kunter (2006) sehen die großen Chancen der Professionalisierung durch reflektierte Unterrichtsbeobachtung, indem sie deutlich machen, dass „Handlungskompetenz von Lehrkräften grundsätzlich Veränderungs- und Entwicklungsprozessen unterliegt und (…) Entwicklung und Vervollkommnung offen steht“ und mahnen an gleicher Stelle „aber die lange Zeit der Berufsausübung als vielleicht einflussreichste Lerngelegenheit dabei nicht [zu] ignorieren“ (ebd., S. 507). Auch in diesem Feld ergeben sich Einsatzmöglichkeiten der vorgelegten Dimensionen; so sind z. B. Variationen des Einsatzes von Videoanalysen nach Lee et al. (2007) auch im Bereich der Fortbildungen denkbar.

Ebenso sind Bewertungsszenarien in der ersten und zweiten Phase der Ausbildung vorstellbar, die auf die Dimensionen und Niveauausprägungen zurückgreifen. Dabei wird die Bewertungssituation als hilfreiches Rückmeldungselement verstanden, wie es auch die NCTM Prinzipien festhalten: „Assessment should support the learning of important mathematics and furnish useful information to both teachers and students“ (NCTM 2000).

Letztlich verbindet sich mit dem hier dargelegten Vorschlag die Hoffnung, Unterrichtsbeobachtungen und -analysen auf theoretisch fundierte und allen Beteiligten transparente Kriterien gründen zu helfen sowie damit die Diskussion über ,guten Unterricht‘, bereits erreichte Ziele und neu zu formulierende Veränderungen von Unterrichtsgestaltung im mathematischen Anfangsunterricht auf konkret individueller oder auch bildungspolitischer Ebene anzuregen.