Einleitung und Überblick

Die Erforschung kreativer Prozesse ist seit den Arbeiten von Guilford (1967) ein fester Bestandteil der differenziellen Psychologie und findet mittlerweile in zahlreichen Kontexten wie Literatur, Musik, Kunst, Religion und Politik Beachtung (für einen Überblick: Funke, 2000; Milgram, 1990; Sternberg, 1999; Sternberg & Lubart, 1999). In den letzten Jahren hat die Kreativitätsforschung einen zusätzlichen Auftrieb zu verzeichnen, dessen Ausgangspunkt in den Neurowissenschaften liegt (Csikszentmihalyi, 1999; Damasio, 2001). Mithilfe bildgebender Verfahren können diejenigen kognitiven Leistungen untersucht werden, die bei kreativem Verhalten eine Rolle zu spielen scheinen (Cabeza & Nyberg, 2000; Dietrich, 2004). Generell wird vermehrt der Ruf laut, kreatives Verhalten auch in ökologisch-validen Situationen zu analysieren (vgl. Lieberman, 2000; Runco & Sakamoto, 1999; Simonton, 2003), um zum einen Befunde aus intern validen Settings in extern validen Szenarien zu replizieren und zum anderen insgesamt mehr alltagsrelevantere Aufgabenstellungen zu thematisieren. Komplexe Situationen im Sport mit vielen Freiheitsgraden scheinen ein geeignetes Feld, um diesen Forderungen nachzukommen.

Die vorliegenden Arbeiten untersuchen aus verschiedenen Forschungsperspektiven (z. B. kognitionspsychologisch, bewegungswissenschaftlich, sozialpsychologisch), in welcher Form visuelle Aufmerksamkeitsleistungen („inattentional blindness“, Aufmerksamkeitsbreite) für das Zustandekommen von Kreativität im Sportspiel verantwortlich gemacht werden könnten, wie dieser Zusammenhang in Trainingsprogrammen abgebildet werden kann, welche Rahmenbedingungen bei der Entwicklung von Kreativität im Sport von Bedeutung sind, inwieweit mit neuronalen Netzen individuelle Prozessanalysen kreativer Verhaltensweisen möglich werden und motivationale Zustände Auswirkungen auf die Kreativität moderierende Variable Aufmerksamkeit haben.

Zunächst wird der Blick auf spezifische Wirkungsmechanismen gerichtet, die für die Entwicklung von kreativen Verhaltensweisen verantwortlich gemacht werden (Memmert, 2006a; Memmert, 2006b; Memmert, Simons & Grimme, 2009; Memmert, 2009; Memmert, 2010b). Diese eher grundlagenorientierte Forschungsphase beleuchtet den Zusammenhang zwischen (visuellen) Aufmerksamkeitsprozessen (u. a. „inattentional blindness“) und kognitiven Leistungen (z. B. Taktik, Kreativität). In Vorstudien wird zunächst empirisch belegt, dass „inattentional blindness“ nicht mit anderen Aufmerksamkeitskomponenten korrelativ zusammenhängt (Memmert, Simons & Grimme, 2009) und dass sportliche Expertise eine Rolle spielt (Memmert, 2006a). Zentral zeigen sich Verbindungen zwischen „inattentional blindness“, Expertise und kreativen Leistungen, sowohl allgemein als auch in sportspielspezifischen Settings (Memmert, 2006b; Memmert, 2009; Memmert, Baker & Bertsch, 2010).

In einer zweiten Forschungsphase wird, aufbauend auf den im letzten Abschnitt beschriebenen Untersuchungen, der Theorie-Praxis-Transfer durch längsschnittliche Treatment-Studien angestrebt. In Experimenten zum kognitiv-taktischen Entscheidungsverhalten wird zunächst gezeigt, dass durch einfachste Variation der Instruktionen der Aufmerksamkeitsfokus („inattentional blindness“) gezielt beeinflusst wird und dies unmittelbaren Einfluss auf die Qualität von taktischen Leistungen hat (Memmert & Furley, 2007; Furley, Memmert & Heller, 2010). Im Anschluss daran werden diese gewonnenen Erkenntnisse derart in neuartige Interventionen umgesetzt, dass die Kreativität im Sportspiel verbessert wird. Trainingsprogramme mit weniger aufmerksamkeitsbindenden Instruktionen führen dazu, dass diese eine größere Anzahl an ungewöhnlichen taktischen Antworten zeigen (Memmert, 2007). Dazu wurden entsprechende sportartspezifische Kreativitätstests entwickelt und validiert (Memmert, 2007; Memmert & Roth, 2007; Memmert, 2010a)

Weiter werden Untersuchungen beschrieben, die direkte und indirekte Umwelteinflüsse auf die Entwicklung von Sportspielern nachweisen, welche in der Lage sind, ungewöhnliche, aber adäquate Entscheidungen in komplexen Spielsituationen zu treffen. Erste experimentelle Feldstudien zeigen, dass das Wahrnehmen von vielen Situationen in verschiedenen Sportspielen (Fußball, Handball, Hockey) einen positiven Einfluss auf die Entwicklung origineller und variantenreicher Lösungen haben kann (Memmert & Roth, 2007). Zusätzliche Studien deuten darüber hinaus darauf hin, dass sowohl die Art („deliberate play“) als auch der Umfang des Trainings („deliberate practice“) in der Jugend die Kreativität von aktuellen Nationalmannschafts- und Bundesligaspielern beeinflusst haben (Memmert, Baker & Bertsch, 2010; Greco, Memmert & Morales, 2010).

In einer vierten Forschungsphase werden dynamische neuronale Netze entwickelt, die in der Lage sind, kreative Verhaltensweisen zu analysieren und zu simulieren (Memmert & Perl, 2005; Memmert & Perl, 2009a; Memmert & Perl, 2009b; Grunz, Memmert & Perl, 2009). Aus prozessorientierter Perspektive helfen adaptive Verfahren (Soft Computing), die die stochastischen Eigenschaften von kreativen Lernverläufen berücksichtigen (Dietrich, 2004; Martindale, 1999; Simonton, 2003), originelle Handlungen von Sportlern intraindividuell zu beschreiben, um qualitative Besonderheiten zu identifizieren.

Schließlich werden in einer fünften Forschungsphase erste Befunde über die Möglichkeiten und Chancen präsentiert, die sich der Sportwissenschaft bieten, motivational ausgerichtete Theorien beim Zustandekommen von sportlichen Leistungen zu berücksichtigen (Plessner, Unkelbach, Memmert, Baltes & Kolb, 2009; Memmert, Plessner & Maaßmann, 2009). Dazu werden aktuelle Ergebnisse präsentiert, die zeigen, dass die „regulatory focus theory“ von Higgins (1997) Auswirkungen auf die Kreativität moderierende Variable Aufmerksamkeit hat (Memmert & Cañal-Bruland, 2009; Memmert, Unkelbach & Ganns, 2010).

Dieses Forschungsprogramm wird umschlossen von einer zugrunde liegenden Rahmentheorie sowie theoretischen und sportpraktischen Implikationen der erhaltenen Resultate.

Theoretischer Ausgangspunkt

Ohne an dieser Stelle ausführlicher auf die Geschichte der Kreativitätsforschung eingehen zu können (Details bei Runco, 2007), muss bei der theoretischen Verortung meines Forschungsprogramms den Arbeiten von Sternberg besondere Beachtung geschenkt werden. In seinem Integrationsmodell „Investment approach to creativity: buy low, sell high“ (Sternberg & Lubart, 1991, 1992, 1995) gelang es ihm, verschiedene theoretische Konzeptionen in einem Rahmenentwurf zu vereinen (vgl. Abb. 1). Dazu zählen die Komponententheorie von Amabile (1983), der Systemansatz von Csikszentmihalyi (1988), das synektische Modell von Gordon (1961) sowie die triarchische Intelligenztheorie von Sternberg (1985). Darüber hinaus wurden Resultate aus Studien zur Persönlichkeit (Barron, 1965), zum Problemlösen (Getzels & Csikszentmihalyi, 1976), zu kreativen Stilen (Kirton, 1976) sowie zu verschiedenen Umwelteinflüssen (Simonton, 1988) einbezogen.

Abb. 1
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Kreativitätstheorie von Sternberg und Lubart (1991; Amelang & Bartussek, 2006)

Wie Abb. 1 zeigt, unterscheiden die Autoren in ihrem Modell vier Ebenen: interagierende Ressourcen, bereichsspezifische kreative Fähigkeiten, ein Portfolio an kreativen Projekten sowie Bewertungen der kreativen Produkte. Ursprünglich zielt das Modell darauf, den kreativen Prozess vom Anfang (benötigte Ressourcen und Fähigkeiten) bis zum Ende (Bewertung des Produkts) abzubilden. Für das vorliegende Forschungsprogramm ist es aber ausreichend, sich den ersten beiden Modellebenen detaillierter zuzuwenden.

Sternberg und Lubart (1991) postulieren zunächst sechs Ressourcen (R1–6), die den drei Bereichen Kognition (Intelligenz, Wissen), affektiv-konativer Faktor (Persönlichkeit, Motivation) und Umwelt zugeordnet werden, wobei „intellektuelle Stile“ als „Mischressource“ zwischen den ersten beiden Kategorien betrachtet werden. Sternberg und Lubart (1991, S. 5) nehmen an, dass alle Ressourcen in einer komplexen Art und Weise und in Abhängigkeit von der Aufgabenstellung bei der Generierung von bereichsspezifischen kreativen Lösungen (Ebene 2; C1–n) miteinander in Zusammenhang stehen. In einer ersten multivariaten Validierungsstudie (n=48) konnten die Autoren zeigen, dass die fünf Ressourcen – der Umweltfaktor wurde nicht berücksichtigt – die kreativen Leistungen (hier Summen-Score aus Zeichnungen, Geschichten, wissenschaftlichen Problemlösungen etc.) hinreichend genau prädiktieren; der multiple Korrelationskoeffizient beträgt dabei R=0,81. Gemessen wurden die kognitiven und affektiv-konativen Ressourcen über eine umfangreiche Testbatterie (vgl. ausführlicher Sternberg & Lubart, 1991). Dabei schwankten die Interkorrelationen der Prädiktorvariablen (R1, R2, … R6) zwischen 0,09 und 0,68 (Mdn =0,32).

„Because creativity is moderately domain-specific, it needs to be measured in specific domains, and through meaningful domain-related activities“ (Sternberg & Lubart, 1992, S. 5). Dieser Forderung der beiden Autoren folgend, werden im vorgestellten Forschungsprogramm kreative Leistungen aus einer bestimmten Domäne unter Berücksichtigung der einzelnen Ressourcen von Sternberg und Lubart (1991) untersucht. Wie anfangs beschrieben wird die Domäne „Sport“ ausgewählt, da damit komplexe und ökologisch-valide Situationen (vgl. Lieberman, 2000; Runco & Sakamoto, 1999; Simonton, 2003) analysiert werden können.

In einem allgemeinen, wissenschaftlichen Kontext definieren Sternberg und Lubart (1999, S. 3) Kreativität als „the ability to produce work that is both novel (i. e. original, unexpected) and appropriate (i. e. useful)“. Im Bereich der Sportspiele wird, in Abgrenzung zu sog. spielintelligenten Bestlösungen (=konvergentes taktisches Denken), unter Kreativität (divergentes taktisches Denken) die überraschende, originelle und flexible Produktion von taktischen Antwortmustern verstanden (Roth, 2005). „Das Niveau des divergenten Denkens wird als Basis für die spielerische Kreativität angesehen“ (Roth, 2005, S. 343). Bedeutsam für das Generieren von Entscheidungsmöglichkeiten und für das Suchen originärer Lösungsideen ist es, dass ein Spieler in der Lage ist, alle wichtigen Informationen aus seiner Umwelt (Mit- und Gegenspielerpositionen, unerwartet auftauchende Spieler etc.) wahrzunehmen, um sie in seinem Handlungsplan zu berücksichtigen. Mit dem Entwickeln von vielfältigen, z. T. auch außergewöhnlichen Lösungsideen (divergentes taktisches Denken) wurde eine bedeutsame bereichsrelevante Fähigkeit im Sportspiel erkannt (C1), die als abhängige Variable im Forschungsprozess fungieren kann.

Das Komponentenmodell von Sternberg und Lubart (1991) bildet nun den Rahmen der durchgeführten Einzelstudien. In ihnen wird versucht, weniger nach (weiteren) komplexen Zusammenhangsmustern zwischen allen Ressourcen zu fahnden, sondern vielmehr – relativ isoliert – diejenigen Prozesse und Bedingungen zu analysieren, die für das Zustandekommen von kreativen Lösungen insbesondere im Sportspiele verantwortlich gemacht werden können. Dieses Vorgehen ist motiviert durch die Überlegungen von Neumann (1992, S. 92):

Wenn man einen Mechanismus verstehen will, muss man zunächst klären, was seine Aufgabe sein könnte und unter welchen Einschränkungen er arbeitet. (…) Das allgemeine Problem (…) lässt sich in eine Reihe von Teilprobleme zerlegen, die komplexe Organismen lösen müssen. Man kann diese Teilprobleme herauszufinden versuchen, indem man fragt, welche Aufgaben der Organismus zu bewältigen hat und unter welchen Bedingungen er dabei steht.

Einen ersten wichtigen Schritt gehen m. E. die Arbeiten von Ward, Finke und Smith. Sie wiesen mit originellen Untersuchungsdesigns nach, welche Prozesse bei der Entstehung von kreativen Leistungen eine Rolle spielen. Beispielsweise konnten sie zeigen, dass die Kombination verschiedener, zunächst getrennt gespeicherter Konzepte für kreative Lösungen mitverantwortlich ist. Zudem scheint der Einfluss von Wissen verschiedener Komplexitätsgrade bzw. Abstraktionsebenen bei divergenten Denkprozessen eine bedeutsame Rolle zu spielen (vgl. ausführlich Ward, Finke & Smith, 2002).

Nachfolgend werden die durchgeführten Studien zu den Ressourcen Intelligenz (R1+R2⇒C1), Umwelt (R2+R6⇒C1; R6⇒C1), Stile (R3+R6⇒C1) sowie Motivation (R1⇔R4⇔R5) vorgestellt. Dabei werden jeweils einzelne Facetten aus den verschiedenen Ressourcen herausgegriffen. R3 wird beispielsweise nach der Klassifizierung von Sternberg und Lubart (1992, S. 3) mit sportartbezogenen, intraindividuellen Handlungsplänen in Verbindung gebracht. Oder Aufmerksamkeitsprozesse werden in Analogie zu der Strukturierung von Sternberg und Lubart (1991, S. 8) R1 zugeordnet. R2 wird in Kombination von R1 und R6 diskutiert. R6 wird in drei Abschnitten thematisiert, da bei einigen Studien auch Umwelteinflüsse in Form von Trainingseinflüssen eine Rolle spielen. Zusätzlich wird die Beziehung zwischen den drei Ressourcen R1, R4 und R5 in allgemeinen und sportrelevanten Kontexten angesprochen.

Kreativität, Expertise und Blindheit durch Unaufmerksamkeit (R1+R2⇒C1)

Neben bedeutsamen Aufmerksamkeitsfähigkeiten (z. B. „sustain attention“, „focus attention“) sowie verschiedenen perzeptiven Fertigkeiten (z. B. „advance visual cues“) hat sich das „inattentional blindness“-Paradigma („Blindheit durch Unaufmerksamkeit“; Mack & Rock, 1998) in der psychologischen Forschungslandschaft etabliert (vgl. für einen Überblick Most, Scholl, Clifford & Simons, 2005). Es beschreibt das Phänomen, dass nur dann, wenn die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Bereich gerichtet wird, diese Information auch bewusst aufgenommen und verarbeitet werden kann. Bewusste Wahrnehmung scheint somit Aufmerksamkeitsprozesse zu benötigen.

Am eindrucksvollsten gelang die Präsentation von „inattentional blindness“ den Autoren Simons und Chabris (1999). Sie präsentierten ihren Probanden dazu ein 23 Sekunden langes Video, in dem sich sechs Personen untereinander zwei Basketbälle zuspielten. Wenn die Probanden nun beispielsweise die Anzahl der Pässe der weiß gekleideten Spieler untereinander zählen sollten, übersahen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Person in einem Gorillakostüm, die nach der Hälfte der Zeit als unerwartetes Objekt das Bild durchquerte. In einer eigenen Studie konnte nachgewiesen werden (Memmert, Plessner & Maaßmann, 2009), dass es keine korrelativen Zusammenhänge zwischen dem bewussten Wahrnehmen unerwarteter Objekte („inattentional blindness task“; Simons & Chabris, 1999) und Leistungen in Tests zum peripheren Sehen („functional field of view task“; Green & Bavelier, 2003) und zur Aufmerksamkeitsverteilung („multiple-object tracking task“; Alvarez & Franconeri, 2005) gibt.

In weiteren Vorstudien konnte zunächst gezeigt werden, dass zum einen Blindheit durch Unaufmerksamkeit keine perzeptive Invariante darstellt, sondern durch Erfahrung (Expertise) beeinflussbar ist, und dass zum anderen auch Alterseffekte auftreten, was für die Strukturierung von zielgruppenspezifischen Trainingskonzeptionen von Bedeutung ist (Memmert, 2006a). Insgesamt 112 Probanden (Faktor 1: Basketball, Experten – Novizen; Faktor 2: 3 Altersstufen) sahen das oben beschriebene „Basketballvideo“ von Simons und Chabris (1999), wobei die Pässe der weiß gekleideten Spieler zu zählen waren (Primäraufgabe). Die Resultate zeigen signifikante Unterschiede zwischen Basketballspielern und Novizen. Experten haben zu mehr als 60% das unerwartete Objekt bewusst wahrgenommen. Unabhängig vom Expertisestatus gibt es Alterseffekte zwischen Kindern und Jugendlichen/Senioren, aber nicht zwischen den im Schnitt 14- bzw. 22-jährigen Sportspielern. Bei Kindern sinkt die Wahrscheinlichkeit, den Gorilla zu bemerken, auf unter 10%.

In der Hauptstudie (Memmert, 2010b) wurde nun direkt ein Zusammenhang zwischen „inattentional blindness“, Expertise und Kreativität hergestellt. Dazu haben in einem querschnittlichen Design 116 trainierte und untrainierte Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Altersklassen vier standardisierte PC-Testaufgaben absolviert. Einerseits haben sie eine generelle und eine sportspezifische „inattentional blindness“-Aufgabe bearbeitet. Dies war die computergesteuerte „inattentional blindness“-Aufgabe von Most et al. (2005) sowie der handballspezifische „inattentional blindness“-Test von Memmert und Furley (2007; 4:4, Offensiv-Aktionen). Andererseits wurden ihnen ein genereller und ein sportspezifischer Kreativitätstest vorgelegt. Zum Einsatz kamen ein Subtest des Kreativitätstests für Vorschul- und Schulkinder (KVS-P; Krampen, 1996) als eine Facette des divergenten Denkens sowie ein handballspezifischer Kreativitätstest (4:4, Offensiv-Aktionen) in Anlehnung an Johnson und Raab (2003). Die Ergebnisse zeigen, dass die trainierten Jugendlichen, die die Fähigkeit besaßen, den freien Spieler wahrzunehmen, auch originellere Lösungen in der handballspezifischen Situation benennen konnten als die 13-Jährigen, die blind gegenüber dem offenen Mitspieler waren.

An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass der im Sport berichtete Effekt auch domänenübergreifend gefunden wurde (Memmert, 2009). Hier haben die untrainierten Jugendlichen, die bessere Leistungen in der allgemeinen „inattentional blindness“-Aufgabe erzielten, auch besser in dem generellen Kreativitätstest abgeschnitten im Vergleich zu den Probanden, die das unerwartete Objekt nicht benennen konnten.

Wie wichtig Aufmerksamkeitsleistungen und nachweislich auch „inattentional blindness“ für die Entstehung von kreativen Prozessen sein können, hat eine Kontrollstudie mit hochbegabten Kindern (Intelligenzquotient >130) zusätzlich bestätigt (Memmert, 2006b). Zunächst lassen sich signifikante Unterschiede zwischen hochbegabten und nichthochbegabten Kindern bei der Bewältigung der bereits in anderen Experimenten eingesetzten „inattentional blindness“-Aufgabe von Most et al. (2005) nachweisen. Dies muss als ein Grund diskutiert werden, warum sich hochbegabte Kinder im Gegensatz zu zwei Kontrollgruppen (nichthochbegabte Kinder/hochbegabte Kinder ohne Treatment) hinsichtlich ihrer divergenten taktischen Leistungen über sechs Monate hinweg signifikant verbessert haben.

Kreativität, Instruktionen und Training (R6⇒C1)

In Anlehnung an die Resultate des „inattentional blindness“-Paradigmas von Mack und Rock (1998) sowie Most et al. (2005) wurde in einer Reihe von Vorstudien zur Aufmerksamkeitsfokussierung zunächst der Einfluss bestimmter Instruktionen auf das taktische Entscheidungsverhalten von Sportspielern analysiert (Memmert & Furley, 2007; Furley et al., 2010). Vermutet wurde, dass die Spieler durch geringe zusätzliche Instruktionen nicht immer die optimalen taktischen Lösungen finden, da ihr Aufmerksamkeitsfokus zu eng ist. Oder wie es Roth (2003, S. 10) formulierte: „Frühe taktische ‚Leseinstruktionen‘ führen zu Wahrnehmungseinschränkungen. Spieler, die sofort mit taktischen Regeln konfrontiert werden, werden ‚blind‘ für relevante Aspekte der Situation.“ Für eine Reihe aufeinander aufbauender Experimente wurden komplexere, sportaffine PC-Aufgabenstellungen konstruiert.

In Experiment 1 (aus Memmert & Furley, 2007) mussten Jugendliche in einem handballspezifischen PC-Entscheidungstest (4:4, Offensiv-Aktionen) die optimale taktische Lösung (freier Mitspieler) angeben (Primäraufgabe: „Wo befindet sich dein Gegenspieler?“). 45% der Versuchspersonen gaben den freien Mitspieler nicht als optimale Lösung an. Dieser Befund konnte in basketballspezifischen Situationen (5:5, Offensiv-Aktionen), präsentiert in Videosequenzen über eine große Leinwand, bei Erwachsenen bestätigt werden (Furley et al., 2010). Völlig freistehende Mitspieler werden von etwa 40% der männlichen Basketballspieler übersehen. Auch in realistischeren Kontexten mit motorischen Antwortaktionen sowie mit einer feldnäheren Primäraufgabe (Dreifachwahlaufgabe) blieb dieser Effekt unverändert (Studien 2 und 3 aus Furley et al., 2010). Alle Resultate in den sportaffinen Settings liegen in einem ähnlichen Bereich wie in den Studien von Most et al. (2005).

In Experiment 2 (aus Memmert & Furley, 2007) hatten andere Probanden bei der gleichen Aufgabe im Vorfeld entweder mehr oder weniger taktische Instruktionen bezüglich der Entscheidungsfindung bekommen (enger/breiter Aufmerksamkeitsfokus). Die Ergebnisse zeigen, dass die Instruktionen im Vorfeld zu schlechteren taktischen Entscheidungen führen. Experiment 3 (aus Memmert & Furley, 2007) verlief wie Experiment 1, mit dem Unterschied, dass bei der kritischen Videosequenz der freie Mitspieler mit den Händen seine Anspielbereitschaft signalisiert hatte. Nur ein Jugendlicher hat dabei den freien Mitspieler nicht erkannt.

Durch die Resultate der Vorstudien wurde deutlich, dass einfachste Instruktionen dazu führen, dass der Aufmerksamkeitsfokus verengt wird und dadurch wesentliche Merkmale von Situationen (z. B. freie Mitspieler) bei der Entscheidungsfindung unberücksichtigt bleiben. Darauf aufbauend konnte in einer Trainingsstudie der Frage nachgegangen werden, ob verschiedene Aufmerksamkeitsfoki direkte Auswirkungen auf die Generierung einer Vielzahl auch ungewöhnlicher taktischer Lösungen im Sportspiel haben. Eine sechsmonatige feldnahe Treatmentstudie vergleicht die unterschiedliche Akzentuierung von Instruktionen der Trainer während der Übungseinheiten und deren Einfluss auf die Entwicklung divergenter Denkfähigkeiten (Memmert, 2007). Kontrastiert wurde ein instruktionsarmes Trainingsprogramm sowohl mit einem instruktionsreichen Trainingsprogramm (AN-TP) als auch mit einer Kontrollgruppe. Beim erstgenannten waren die Übungsleiter dazu angehalten, auf jegliche Rückmeldung (taktische Hinweise, bedeutsame Aufmerksamkeitsbereiche) während der Durchführung von Spielformen (vgl. Kröger & Roth, 1999) zu verzichten, um den Kindern einen breiten Aufmerksamkeitsfokus zu gewähren. Beim zweitgenannten, das exakt die gleichen Spielformen enthielt, sollte indes durch gezielte Instruktionen im Vorfeld als auch explizite Rückfragen im Anschluss an das Spiel die Aufmerksamkeitsbreite der Kinder verkleinert werden. Dazu wurden u. a. Instruktionen und Fragen eingesetzt, die dem „Teaching games for understanding“-Ansatz von Griffin, Mitchell und Oslin (1997) entsprechen. Tatsächlich waren es nur die Kinder aus der instruktionsarmen Trainingsgruppe, die signifikante Zuwächse bei ihren divergenten taktischen Denkleistungen zeigten. Dies weist darauf hin, dass ein breiter Aufmerksamkeitsfokus notwendig ist, um auch unerwartete Objekte wie freie Mitspieler sehen zu können, die Ausgangspunkt von originellen Lösungshandlungen sein können. In zukünftigen Studien könnte noch experimentell direkter der Zusammenhang zwischen Instruktionen und Aufmerksamkeitsfoki geklärt werden.

Kreativität, Expertise und Bewegungserfahrung (R2+R6⇒C1)

In einer feldnahen Längsschnittstudie konnte gezeigt werden, dass das Wahrnehmen von und das Agieren in vielen unterschiedlichen Sportspielsituationen einen positiven Einfluss auf die Entwicklung divergenter taktischer Denkfähigkeiten haben (Memmert & Roth, 2007). Dazu wurden sportspielübergreifende und sportartspezifische Schulungskonzeptionen im Anfängertraining des Sportspiels evaluiert. Insgesamt 135 Kinder nahmen an sportspielübergreifend handball-, fußball- und hockeyspezifisch trainierenden Treatmentgruppen sowie an einer Kontrollgruppe teil. In diesem 15-monatigen Feldexperiment wurden als abhängige Variablen die bereichsübergreifende, die bereichsspezifische und die bereichsunspezifische Kreativität erfasst (vgl. Memmert & Roth, 2007; Memmert, 2010a). Zunächst verbesserten sich alle Trainingsgruppen in den Gebieten (z. B. Fußball, Handball, Hockey) signifikant, in denen sie trainiert haben. Dies kann als Beleg für bereichsspezifische Trainingseffekte herangezogen werden („deliberate practice“).

Allerdings muss diese Interpretation durch klare Transfereffekte hinsichtlich der taktischen Kreativität relativiert werden. Sportspielübergreifende Erfahrungen („deliberate play“) scheinen damit eine vielversprechende Alternative zu spezifischen Trainingskonzepten zu sein. Ähnlich wie bei motorischen Fähigkeiten scheint es möglich, das Generieren von ungewöhnlichen Lösungsvarianten unabhängig von der sportlichen Technik zu trainieren. Insgesamt kamen die Autoren zum Schluss:

(…) non-specific and specific concepts are on a more or less similar level in terms of creativity development. As the comparisons of the percentage increase of the treatment phases have shown, the non-specific approaches can even prove to be more workable in the long term. (Memmert & Roth, 2007, S. 1429)

Mit Bewegungsbiographiestudien konnte bestätigt werden, dass spätere hochkreative Sportspielkünstler (z. B. Mehmet Scholl, Magnus Wislander) in ihrer Kindheit die Möglichkeit hatten, zahlreiche unterschiedliche Sportarten auszuüben (Hamsen, 2000). Damit haben sie Bewegungserfahrungen in verschiedenen sportspielaffinen Situationen sammeln können (vgl. auch Baker, 2003; Baker, Côté & Abernethy, 2003).

Da in der beschriebenen Treatmentstudie (Memmert & Roth, 2007) auch positive Effekte von spezifischen Trainingskonzepten beobachtet wurden, kontrastiert eine aktuelle Bewegungsbiographiestudie den Sportspielzugang von kreativen Sportspielkünstlern mit weniger kreativen Spielern (Memmert, Baker & Bertsch, 2010). Jeweils drei von ihnen wurden von den jeweiligen Basketball-, Fußball, Handball- bzw. Hockeytrainern der beteiligten Nationalmannschaften, Bundesligamannschaften (1. oder 2. Liga) ausgewählt. Die Resultate belegen, dass kreative Spieler im Gegensatz zu weniger originellen Ballsportlern sowohl mehr „deliberate practice“ (Ericsson, Krampe & Tesch-Römer, 1993) als auch mehr „deliberate play“ (Côté, Baker & Abernethy, 2003) in ihrer Kindheit (bis 14 Jahre) erfahren haben. Dabei verweist „deliberate play“ auf das unangeleitete Agieren in spielorientierten, auf den ersten Blick eher unstrukturierten Situationen. Hingegen werden beim „deliberate practice“ instruktionsbasierende, übungszentrierte und zielführende Trainingsprogramme angeboten.

Eine Replikation dieser Ergebnisse gelang mit einer experimentellen Feldstudie (Treatment: 18 reale Trainingseinheiten) im Basketball (Greco et al., 2010). Hier zeigte sich, dass ein „deliberate-play“-Trainingsprogramm im Gegensatz zu einer Placebogruppe zu größeren Verbesserungen sowohl in der konvergenten als auch in der divergenten taktischen Denkfähigkeit führte. Während die „deliberate-play“-Gruppe unangeleitet in relativ unstrukturierten Unterzahl/Überzahl-Situationen (1×2, 2×3, and 3×4) oder Situationen mit neutralem Spieler (1×1+1, 2×2+1, 3×3+1, 4×4+1) agierte, übte die Placebogruppe in traditionellen basketballspezifischen Übungsformen mit genauen Richtlinien (Lumsden, 2001).

Kreativität, Training, Individualität und neuronale Netze (R3+R6⇒C1)

Zur Kennzeichnung individueller Stile, sprich typischer personenbezogener Handlungspläne, können qualitative Auswertungsmethoden herangezogen werden. Dazu bietet sich das Verfahren der neuronalen NetzeFootnote 1 idealtypisch an, da auf intraindividueller Ebene kreative Verhaltensweisen als Zufallsprozesse verstanden werden müssen (z. B. Dietrich, 2004; Martindale, 1999; Simonton, 2003). Dies bedeutet, dass divergentes Denken durch unsystematische Schwankungen und eher chaotische Zustände, die eine größere Zahl von losen assoziativen Verknüpfungen zwischen Neuronenverbänden zulassen, charakterisiert werden kann. Martindale (1995) konnte zeigen, dass verschiedene Verhaltensmodelle und kognitive Theorien weitgehend identisch sind, wenn man sie als neuronale Netztheorien ausdrückt. Mit zahlreichen Beispielen (cf. assoziative Hierarchien, Aufmerksamkeitsfokus, „arousal“) belegte er, dass die Mehrzahl der Kreativitätstheorien mühelos in neuronale Netzwerke transferiert und mit konnektionistischen Ansätzen modelliert werden kann. Derartige Ansätze scheinen eine plausible und gewinnbringende Möglichkeit zu sein, kreative Leistungen zu modellieren, ohne a priori Annahmen treffen zu müssen (vgl. Boden, 2003). Zusammengenommen scheinen netzgestützte (qualitative) Verfahren ein lohnender Ausgangspunkt zur intraindividuellen Analyse kreativer Leistungen zu sein, da die Einbettung in mehrdimensionale Bewertungslandschaften wertvolle prozessbehaftete Zusatzinformationen bereitstellen können.

Künstliche neuronale NetzeFootnote 2 können sowohl zur Analyse als auch zur Simulation von kreativen Lernprozessen eingesetzt werden. Zunächst konnten mit dem „Dynamically Controlled Networks“-Ansatz (DyCoN; Perl, 2004a) individuelle Lernverläufe von fußball- und hockeyspezifischen Kreativitätskennziffern typisiert werden, um spezifische Eigenschaften und Auffälligkeiten von Lernverläufen, wie etwa Schwingungsverhalten, besser verstehen zu können. Die Ergebnismuster deuten darauf hin, dass hinsichtlich der zeitlichen Entwicklung divergenter (taktischer) Verhaltensweisen fünf verschiedene individuelle Typen von Lernverhalten existieren (Memmert & Perl, 2009a). Mit dem Performance-Potential-Metamodell (PerPot, Perl, 2004b) konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass diese Lernfluktuationen systematisch als Einschwingvorgänge in antagonistischen Adaptationsprozessen auftreten und dort im Wesentlichen durch spezifische Parameter geprägt sind, die die Verzögerungen beim Neulernen und Wiedervergessen charakterisieren. Derartige adaptive Dynamiken waren Anlass für weitergehende Versuche, Lernverhalten mit neuronalen Netzen nicht nur im Sinne von Prozessmustern zu analysieren, sondern darüber hinaus im Ganzen als dynamische Prozesse zu simulieren.

Während es zunächst darum ging, mittels konventioneller neuronaler Netze vom Kohonen-Typ Zusatzinformationen aus konvergenten (Memmert & Perl, 2005) und divergenten taktischen Daten (Memmert & Perl, 2009a) zu generieren, wurde im Anschluss daran ein neuer Ansatz vom DyCoN-Typ entwickelt, der um den Aspekt „seltenes Ereignis“ erweitert wurde, um kreatives Verhalten zu simulieren (Memmert, & Perl, 2009b). Zu diesem Zweck konnte zum einen das von Fritzke (1997) entwickelte Konzept des „Growing Neural Gas“ (GNG), nach dem die Neuronenstruktur nicht durch eine Matrix fester Größe und Dimension, sondern durch einen Graphen mit variabler Knotenzahl und Topologie gebildet wird, verwendet werden, um so zeitdynamisch sich entwickelnde Neuronentopologien zu modellieren. Zum anderen wurde diese Topologiedynamik aber auch dazu verwendet, durch Modifikationen des Lernverhaltens, die denen von DyCoN entsprechen, die dynamische Generierung der Netztopologie von der Häufigkeit der auftretenden Reize abhängig zu machen. Dabei konnten durch die Einführung eines sog. Qualitätsneurons seltene und damit originelle Reize (z. B. seltene Schlüsselereignisse mit besonders hohem Informationsgehalt) dargestellt werden. Dieser neue „Dynamically Controlled Neural Gas“-Ansatz (DyCoNG; Memmert & Perl, 2009b) konnte mit Kreativitätsdaten einer sechsmonatigen Längsschnittstudie mit neun Messzeitpunkten validiert werden.

Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass der DyCoNG-Ansatz eine Unterscheidung zwischen quantitativen und qualitativen intraindividuellen Clustern leistet, Verbindungen zwischen Clustern generieren sowie zentrale personenbezogene Lernverläufe abbilden kann. Zum anderen erzielen simulierte im Vergleich zu realen – aus den Kreativitätstests von 43 Kindern ermittelten – (kreative) Lernprozessverläufen eine überraschend hohe Übereinstimmung (Konstruktvalidierung).

In einem weiteren Projekt werden individuelle Handlungsprozesse von Spielern im Fußball mit Hilfe neuronaler Netze zu typisieren versucht und die identifizierten Aktionsmuster hinsichtlich ihrer Wirksamkeit im fußballspezifischen Kontext überprüft (Grunz et al., 2009). Die fußballspezifischen Positionsdaten des WM-Finales 2006 Frankreich gegen Italien bilden hierbei die Datenbasis. Dabei wird durch Aktivierung eines Neurons die korrespondierende Spielhandlung unter unterschiedlichen semantischen Bewertungen wie Kreativität oder Erfolgswahrscheinlichkeit ausgewählt und gleichzeitig in den prozessualen Ablauf eingebettet.

Sportliche Leistung, Aufmerksamkeit und „regulatory focus“ (R1⇔R4⇔R5)

Verschiedene motivational ausgerichtete Theoriemodelle aus der Sozialpsychologie weisen darauf hin, dass kreative Leistungen direkt durch einfachste Instruktionen, die beispielsweise emotionelle Zustände der Probanden manipulieren, beeinflussbar sind („regulatory focus theory“, Higgins, 1997; „theory of personality systems interactions“, Kuhl, 2000). Nach Higgins (1997) gibt es zwei unterschiedliche Arten, um Vergnügen und Leid zu regulieren, also das Verhalten auf Annäherungs- bzw. Vermeidungsziele zu steuern. Es gibt einen „promotion focus“, der Vergnügen als Erreichen positiver Handlungsergebnisse und Leid als Abwesenheit solcher positiven Ergebnisse reguliert. Beim „prevention focus“ dagegen gilt als Vergnügen die Abwesenheit oder erfolgreiche Vermeidung unangenehmer, negativer Ergebnisse und als Leid deren Eintreffen. Grundsätzlich können beide Foki erfolgreich zum Erreichen eines Ziels beitragen. Ein Vorteil ergibt sich jedoch unter Umständen, wenn eine Person in eine Situation kommt, die ihrem chronischen Fokus entspricht. Dann kann ein sog. “value from fit“ zu besseren Leistungen führen (z. B. Keller & Bless, 2006).

In zwei Untersuchungen (Plessner et al., 2009; Memmert, Plessner & Maaßmann, 2009) konnte nachgewiesen werden, dass auch sportliche Leistungen (Trefferquote beim Elfmeterschießen; 3-Punkte-Wurf im Basketball) von einem „regulatory fit“ profitieren. Bei der experimentellen Studie (aus Plessner et al., 2009) mussten 20 Fußballspieler unter standardisierten Bedingungen hintereinander fünf Elfmeter schießen. Der einen Hälfte der Spieler wurde dazu diese Promotionsaufgabe in Form einer „promotion“-Instruktion erklärt, der anderen Hälfte in Form einer „prevention“-Instruktion. Im Vorfeld wurde ihr eigener chronischer regulatorischer Fokus mit Hilfe eines aus dem Englischen adaptierten Fragebogens gemessen (vgl. Lockwood, Jordan & Kunda, 2002). Eine regressionsanalytische Auswertung der Daten ergab u. a. ein signifikantes Gewicht für die Interaktion zwischen der Instruktion („promotion“ vs. „prevention“) und dem chronischen Fokus der Spieler („promotion“ vs. „prevention“). Damit hatte der „regulatory fit“ einen positiven Einfluss auf die Trefferquote der Spieler. In der Studie (aus Memmert, Plessner & Maaßmann, 2009) konnten diese Befunde im Rahmen einer Präventionsaufgabe und in der Sportart Basketball repliziert werden. Athleten in unteren bis mittleren sportlichen Leistungsbereichen erreichen einen höheren Punkte-Score beim 3-Punkte-Wurf unter „fit“- als unter „non-fit“-Bedingungen. Spitzensportler scheinen im Gegensatz dazu eher in der Lage zu sein, ihre sportlichen Leistungen auch unter „non-fit“-Bedingungen stabil reproduzieren zu können.

In zwei aktuellen Studien wurde in einem weiteren Schritt zunächst versucht zu zeigen, dass insbesondere Aufmerksamkeitsfähigkeiten, die – wie in den vorherigen Abschnitten beschrieben – auch wichtig für das Generieren kreativer Lösungen sind, durch motivationale Zustände optimiert werden können. Im ersten Experiment (Memmert, Unkelbach & Ganns, 2010) wurden die Probanden vor der Lösung der „inattentional blindness“-Aufgabe von Simons und Chabris (1999) hinsichtlich ihrer motivationalen Ausrichtung beeinflusst. In Analogie zu den Arbeiten von Friedman und Förster (2001) wurden ihnen verschiedene Labyrinthe (Manipulationsbedingung) gezeigt: Bei dem einen musste der Weg gefunden werden, auf dem die Maus den Käse erreicht („promotion“-Fokus), während die anderen Probanden das Labyrinth lösen mussten, mit der Zielvorgabe, dass die Maus nicht von der Eule gefangen wird („prevention“-Fokus). Abschließend wurde wieder der chronische regulatorische Fokus ermittelt. In der „fit“-Bedingung haben signifikant mehr Probanden das unerwartete Objekt wahrgenommen als in der „non-fit“-Bedingung. In einer ähnlichen Studie konnte gezeigt werden (Memmert & Cañal-Bruland, 2009), dass „promotion“-ausgerichtete Probanden schnellere Reaktionszeiten in Aufgaben zur selektiven Aufmerksamkeitsfokussierung („cueing“-Paradigma von Posner, 1980) zeigen als „prevention“-manipulierte.

Insgesamt weisen die Ergebnisse beider Studien darauf hin, dass es ein lohnender Weg ist, nun auch in sportspezifischen Settings die abhängige Variable divergentes taktisches Denken im Rahmen der „regulatory focus theory“ von Higgins (1997) näher zu untersuchen.

Theoretische Implikationen und Perspektiven

Die dargestellten Einzelstudien mit ihren Ergebnismustern lassen sich nun abschließend in die Rahmentheorie von Sternberg und Lubart (1991) integrieren. Der Hauptbefund ist sicherlich ein erstes und zum jetzigen Zeitpunkt noch vorläufiges Ergebnis der Prüfung einzelner allgemeiner Ressourcen für kreative Leistungen in der Domäne Sport. Zusammenfassend wird deutlich, dass die Ressourcen R1, R2, R3 und R6 auch bei originellen Lösungen in komplexen Situationen des Sports von Bedeutung sind, zumal die beobachteten Wechselwirkungen zwischen R1, R4 und R5 in Zukunft Potenzial für die Optimierung divergenter taktischer Leistungen im Sport vermuten lassen.

Aus der Perspektive der Aufmerksamkeitsforschung liegt der Mehrzahl der beschriebenen Studien das „inattentional blindness“-Paradigma zugrunde. Dabei liefern die Befunde weiteren Erkenntnisgewinn bei der Beschreibung und Erklärung von „inattentional blindness“, indem das Paradigma Erweiterungen hinsichtlich Situationsmerkmalen (Komplexität, Instruktionen, motivationales „framing“) und Persönlichkeitsmerkmalen (Expertise, Alter, Hochbegabung, chronischer „promotion“/“prevention“-Fokus) erfährt. Schließlich gelingt auch die Verbindung zur Generierung origineller und variantenreicher Lösungsmöglichkeiten.

Darüber hinaus können aus den einzelnen Teilstudien jeweils weitere spezifische theoretische Implikationen im Rahmen der angesprochenen Ressourcen abgeleitet werden.

R1 („inattentional blindness“)

Zunächst konnte im Zuge des „inattentional blindness“-Pradigmas gezeigt werden, dass schon geringste Instruktionen in komplexen sportspielaffinen Situationen dazu führten, dass völlig frei stehende Spieler bei taktischen Lösungen nicht in den Entscheidungsraum von Sportspielern eingebunden werden (Memmert & Furley, 2007; Furley et al., 2010). Dieser Effekt verschwand aber nahezu vollständig, wenn exogene Stimuli (z. B. das Winken mit der Hand) als emotionale bzw. bedeutungsvolle Signale („meaningful exogenous stimuli“) bereitgestellt wurden (vgl. dazu auch die Ergebnisse aus Memmert & Cañal-Bruland, 2009; Memmert, Unkelbach & Ganns, 2010). Wenn Bewusstsein immer aus Aktionen eines Organismus resultiert – wie es die enaktiven Theorien annehmen (vgl. Varela, Thompson & Rosch, 1993), dann werden vor jedem Bewusstseinsstatus einige vorbewusste selbstorganisierende Aktivitäten im Kortex vorausgehen. Diese versuchen, den resultierenden Bewusstseinsstatus für den Zweck des Organismus zu optimieren. Dabei wird ein Selektionseffekt ausgelöst. Selbstorganisierende Prozesse beeinflussen die Aufmerksamkeitsrichtung, bevor bewusste Kenntnisse über das beobachtete Objekt vorliegen. Dies ist deshalb möglich, weil kognitive Funktionen bereits sehr frühzeitig mit emotionalen Gehirnarealen verbunden sind; d. h., nachdem die Informationen vom Sehnerv zum Thalamus gelangen, interagieren dieser und das limbische System, bevor V1 bis V4 integriert werden (z. B. Watt, 2000). Motivationale Faktoren kontrollieren damit die Aufmerksamkeitsrichtung und beeinflussen den Informationsprozess, bevor der Organismus den spezifischen Input bewusst wahrnimmt.

Ellis (2001) konnte die enaktiven Theorien zur Aufmerksamkeitsfokussierung sowohl durch Befunde aus der Neuropsychologie (vgl. Ellis & Newton, 2000) als auch durch die Resultate von Mack und Rock (1998) belegen. Beide Gruppen fanden – in statischen Settings – deutlich reduzierte „inattentional blindness“ bei emotionalen Stimuli (z. B. ☺ vs. O; 85% vs. 15%) oder bedeutungsvollen Wörtern. Im letztgenannten Experiment erkannten beispielsweise die Probanden ihren eigenen Vornamen als unerwartetes Objekt überzufällig häufiger als die beiden in Amerika am meisten benutzen Wörter „house“ oder „time“ (88% vs. 50%).

Zusammenfassend leitet Ellis (2001) aus den neuropsychologischen Befunden und den Erkenntnissen aus den „inattentional blindness“-Studien ein Drei-Stufen-Modell ab. Dieses sieht auf einer ersten Stufe vor, dass eine vorselektive Auswertung von Reizen durch motivationale Nützlichkeitskategorien bestimmt wird. Selbstorganisierte Prozesse dienen dabei als ein früher Schleusenmechanismus, der potenziell brauchbare oder emotional interessante Informationen für die weitere Verarbeitung favorisiert. Wenn Stimuli die Anfangsauswertung durchdrungen haben, werden sie auf einer zweiten Stufe verstärkt, verarbeitet und enkodiert. Erst auf einer dritten Stufe wird Bewusstsein durch Resonanz zwischen anterioren und posterioren Aufmerksamkeitsmechanismen erzeugt. Das bedeutet, dass emotionale Gehirnprozesse frühere Selektionsfunktionen für ankommende Stimuli darstellen, während die gleichen emotionalen Gehirnprozesse auch zu einem späteren Zeitpunkt bestimmen können, ob Informationen bewusst werden oder nicht. Dennoch: Ob Informationen einen bewussten Status erreichen, ist weitgehend auf einer frühen Stufe der Verarbeitung bestimmt worden. Enaktive Theorien erlauben also den Schluss, dass es frühe und späte Selektionsmechanismen gibt, die wirksam sind, und dass diese durch die gleichen subkortikalen und limbischen Prozesse kontrolliert werden.

Im Rahmen des „inattentional blindness“-Paradigmas wäre ein weiterer wichtiger Schritt zu zeigen, dass Blindheit durch Unaufmerksamkeit eine generelle Fähigkeit ist. Meines Wissens liegen bis jetzt dazu noch keine psychologischen Studien vor. Speziell für die Sportwissenschaft würde dies bedeuten, dass „inattentional blindness“ positionsunspezifisch nachzuweisen wäre. Zurzeit ist Blindheit durch Unaufmerksamkeit nur aus dem Blickwinkel des Rückraumspielers im Handball und des Spielmachers im Basketball belegt. Wie sieht dies aus der Perspektive eines Kreis- oder Außenspielers im Handball, eines Centers im Basketball und Torhüters im Fußball oder Hockey aus? Um „inattentional blindness“ nicht nur als spezifisches Wahrnehmungsphänomen zu begreifen, sondern als übergreifende Fähigkeit, ist es notwendig, empirisch die Situationsunspezifität von „inattentional blindness“ nachzuweisen.

R1 („breadth of attention“)

Die Aufmerksamkeitsbreite beschreibt die Anzahl der Stimuli, die zum gleichen Zeitpunkt bewusst wahrgenommen werden können. Die dargestellte Treatmentstudie lieferte deutliche Hinweise darauf, dass geringere Instruktionsgaben seitens der Trainer dazu führen, dass die Kinder durch einen größeren Aufmerksamkeitsfokus in den Trainingseinheiten überzufällig besser in der Lage waren, originelle und variantenreiche Lösungsmöglichkeiten zu generieren (Memmert, 2007). Dieser Befund lässt sich in eine mittlerweile beeindruckende Fülle von empirischen Evidenzen aus (intern validen) psychologischen Experimenten integrieren. Diese legen die Vermutung nahe, dass ein breiter Aufmerksamkeitsfokus das Erbringen von kreativen Leistungen erleichtert (Dewing & Battye, 1971; Friedman, Fishbach, Förster & Werth, 2003; Mendelsohn, 1966; Mendelsohn & Griswold, 1964, 1966; Martindale, 1999; vgl. im Überblick Kasof, 1997), weil verschiedene, räumliche weiter entfernte und vielleicht zunächst eher irrelevante Stimuli in die Aufgabenlösungen einbezogen werden können. Ein schmaler Aufmerksamkeitsfokus führt hingegen zu weniger originellen Lösungsansätzen, da nicht alle relevanten Informationen beachtet und damit nicht miteinander assoziiert werden. Martindale (1981, S. 372) erklärt diesen Sachverhalt wie folgt:

The more elements that a person can focus on simultaneously, the more likely it is that a creative idea will result. Why? Because the more elements that can be focused on, the more candidates there are for combination. Thus, with two elements – A and B – in the focus of attention, only one relationship – AB – can be discovered. With three elements – A, B, and C – there are three potential relationships – AB, AC, and BC – to be discovered. With four elements, there are six potential relationships, and so on.

R3

Mittels neuronaler Netze wurden divergente taktische Lernverläufe von Kindern intraindividuell analysiert (Memmert & Perl, 2009b). In Abhängigkeit verschiedener Trainingsprogramme konnten fünf Typen des Lernverhaltens unterschieden werden („individualization“). Nur zwei davon zeigten die erwartete unveränderte oder konstant verbesserte Leistung. Ein dritter Typ weist auf eine konstante Verschlechterung hin; die beiden letzten Typen charakterisierten Up-down- und Down-up-Fluktuationen; d. h., das Lernverhalten verbesserte sich zunächst, um dann wieder abzufallen bzw. es sank, bevor es später wieder anstieg. Insgesamt stehen diese Befunde in guter Übereinstimmung mit dem von Roth (1996) im Bereich des Spitzensports gefundenen Prinzip der Individualisierung.

Die Ergebnismuster lassen sich nun dazu nutzen, existierende Theorien aus der Sportinformatik weiterzuentwickeln. Beispielsweise zeigten unsere Ergebnisse, dass sich das ursprünglich für die Analyse physiologischer Adaptationsprozesse konstruierte Performance-Potential-Metamodel (PerPot; Perl, 2004b) auch auf das Lernen kognitiver Denkleistungen übertragen lässt (Memmert & Perl, 2005; Memmert & Perl, 2009a). Der Einsatz von PerPot basiert auf der Grundidee, dass kreatives Verhalten aktuell als dynamischer Adaptationsprozess verstanden wird (z. B. Boden, 2003; Simonton, 2003). Typische Konstraints der PerPot-Analyse sind die Verzögerungswerte „delay in strain“ (DS) und „delay in response“ (DR), die charakterisieren, wie der trainierte Organismus seine Leistung an den Belastungsimpuls des Trainings anpasst. Die fünf (empirisch) beobachteten Typen des Lernverhaltens korrespondierten mit einer überzeugenden Genauigkeit mit den PerPot-simulierten (theoretischen) Leistungsprofilen. Wenn DS kleiner ist als DR, dann wird zunächst die Belastung wirksam und bewirkt eine Leistungsreduktion, die später durch eine stärker verzögerte positive Entwicklung kompensiert wird (Superkompensations-Effekt, Down-up-Fluktuation). Wenn umgekehrt DR kleiner ist als DS, dann wird zunächst der positive Entwicklungseffekt wirksam, der später, abhängig von der verzögerten Wirkung der Belastung, stabilisiert oder reduziert werden kann (Up-down-Fluktuation).

R4 und R5

Theoretische Ergänzungen zu diesen beiden Ressourcen scheinen an dieser Stelle verfrüht. Es kann aber festgehalten werden, dass Persönlichkeitsvariablen in Verbindung mit motivationsbehafteten Instruktionen („promotion/prevention framing“) einen direkten Effekt auf sportliche (technisch-taktische) Leistungen ausüben (Plessner et al., 2009; Memmert, Plessner & Maaßmann, 2009). Das Potenzial solcher Überlegungen zur Optimierung divergenter (taktischer) Leistungen scheint vorhanden, wenn man bedenkt, dass eine Reihe von Experimenten aus der Sozialpsychologie vorliegen, die eindrucksvoll dokumentieren, dass Instruktionen, die eine fröhliche Stimmung („happy mood“) hervorrufen, kreative Leistungen begünstigen (im Überblick Isen, 2000), die Produktion von neuartigen Ideen anregen (Isen, Daubman, & Nowicki, 1987) sowie die Generierung ungewöhnlicher freier Assoziationen fördern (Hirt, Levine, McDonald, Melton, & Martin, 1997). Darüber hinaus haben Friedman und Förster weitere Studien vorgelegt, die den Einfluss der Einstellung auf das Erzielen positiver Erfolge („promotion focus“) auf kreative Leistungen zeigen (vgl. Friedman & Förster, 2001. Mehr originelle Lösungsideen werden beispielsweise generiert, wenn Probanden instruiert werden, ihre Hand während der Bearbeitung von etablierten Kreativitätstests von unten gegen eine Tischplatte (Armbeuge) und nicht von oben auf den Tisch zu drücken (Armstreckung; Friedman & Förster, 2000). In einer ganz aktuellen Studie konnte zum ersten Mal im Sport gezeigt werden, dass eine Promotion Manipulation zu kreativeren Lösungen in einer taktischen Entscheidungsaufgabe führt (Memmert, Hüttermann & Orliczek, 2012, accepted).

Es bleibt zu wünschen, dass auch die Sportwissenschaft in feldnahen Settings weitere Beiträge zur Weiterentwicklung von motivational ausgerichteten Theoriemodellen aus der Sozialpsychologie (z. B. „regulatory focus theory“, Higgins, 1997; „theory of personality systems interactions“, Kuhl, 2000), deren vergleichende Diskussion bzw. empirische Prüfung erst am Anfang steht (Aspinwall, 1998; Derryberry & Tucker, 1994; Fredrickson, 2001; Isen, 2000), leisten kann.

R6

Insbesondere die Bewegungsbiographiestudien zeigen, dass verschiedene Umwelteinflüsse und organisatorische Rahmenbedingungen das Entstehen origineller Denkleistungen begünstigen (Memmert & Roth, 2007; Memmert, Baker & Bertsch, 2010; Greco et al., 2010). Während die vorwiegend gesellschaftlich geprägten äußeren Umstände weitestgehend nicht direkt beeinflusst werden können, sind die Trainingsmöglichkeiten der Kinder gezielt und kontrolliert steuerbar. Somit fehlt den Kindern einerseits sicherlich die natürliche Straßenspielerfahrung in ihrer kreativen Entwicklung (Roth, 1996). Kompensiert werden kann diese andererseits durch einen sportspielübergreifenden Sportspielzugang (vgl. Kröger & Roth, 1999), wie er beispielsweise in der „Ballschule Heidelberg“ praktiziert wird (Roth, 2000). Gleichzeitig konnte nachgewiesen werden, dass kreative Ausnahmeathleten in Basketball, Fußball, Handball und Hockey in ihrer frühen Jugend (bis 14 Jahre) in vielen relativ unstrukturierten (komplexen) Sportspielsituationen („deliberate play“) weit mehr und damit intensiver als weniger originelle Mannschaftsspieler unangeleitet agiert hatten. Zudem haben sie aber auch deutlich länger in ihrer Hauptsportart zielgerichtet trainiert als weniger kreative Spitzensportler („deliberate practice“).

Diese Befundlage bietet damit zwei weit verbreitenden Forschungsprogrammen (Expertiseforschung, Kreativitätsforschung), die bislang noch nicht zusammen diskutiert wurden, eine Konvergenzbasis. Für die kreative Entwicklung von Sportspielern scheint auf der einen Seite die „deliberate practice“-Theorie von Ericsson, Krampe und Tesch-Römer (1993) von Bedeutung, die domänenspezifische Erfahrungen über eine große Zeitspanne (10 Jahre) für das Erbringen von (sportlichen) Höchstleistungen als notwendige Bedingung verantwortlich macht (Kalinowski, 1985; Monsaas, 1985; Helsen, Starkes & Hodges, 1998). Auf der anderen Seite legen aktuelle Theorien und zahlreiche empirische Evidenzen nahe (Csikzentmihalyi, 1999; Milgram, 1990; Kurtzberg & Amabile, 2000–2001; Martindale, 1990; Smith, Ward & Finke, 1995; Sternberg & Lubart, 1995), dass das Sammeln von verschiedenen, eben gerade nicht domänenspezischen Erfahrungen über einen langen Zeitraum einen fruchtbaren Boden für das Zustandekommen von Kreativität bietet.

Weitere theoretische Forschungsfragen bleiben zu klären. Neben der – bereits angesprochenen – notwendigen Durchführung weiterer Studien zum Zusammenhang zwischen Motivation und Kreativität wird der größte Erkenntnisgewinn in der zukünftigen Durchdringung und experimentellen Prüfung von Aufmerksamkeitstheorien vermutet. Welche motivationalen Nützlichkeitskategorien gibt es beispielsweise, die auf der ersten Stufe des Modells von Ellis (2001) wirksam werden? Welche zunächst vielleicht irrelevanten Stimuli tendieren dazu, sofort verarbeitet zu werden, und welche nicht, wenn ein Organismus bewusst Aufmerksamkeit einer Aufgabe zuwendet? In einem ersten Schritt benennt Ellis (2001, S. 314) drei Arten von – evolutionär gut begründbaren – Stimuli: a) emotional hervorstechende, b) bedeutungsvolle und c) aufgrund der menschlichen Hardware voreingestellte (z. B. lauter Lärm, plötzliche Lichter). Mit Hilfe solcher motivationalen Nützlichkeitskategorien könnte es gerade im Sportspiel gelingen, Spieler zu veranlassen bzw. zu „pre-tunen“, nach bedeutungsvollen Anhaltspunkten zu suchen, die es wert sind, dass man ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Der Organismus muss absichtlich die frontalen und parietalen Areale aktivieren, um nach emotional wichtigen Objektkategorien zu suchen, die der Thalamus in Verbindung mit dem limbischen System bereits dem Organismus als wichtig gemeldet hat. Diese Suchaktivitäten haben bereits begonnen, das visuelle bzw. konzeptionelle Image-Schema zu formen, bevor okzipitale Aktivität irgendeinen Effekt auf das perzeptive Bewusstsein hat.

Die Zukunft der Kreativitätsforschung wird m. E. nur zusammen mit den Neurowissenschaften zu leisten sein, um auch ein besseres Verständnis über mögliche neuronale Mechanismen unterschiedlicher Aufmerksamkeitsprozesse zu erlangen. Zurzeit werden bereits intensiv Kreativitätstests diskutiert, die auch bearbeitet werden können, wenn bildgebende Verfahren eingesetzt werden. Dazu ist ein Themenheft der Zeitschrift Methods (2007/42) erschienen.

Sportpraktische Implikationen und Perspektiven

Auf einer sportpraktischen Ebene haben sicherlich eine Reihe der aufgeführten Ergebnisse der verschiedenen Experimente Implikationen für die Gestaltung von taktisch ausgerichteten Trainingsprogrammen und Lehrplänen (Kröger & Roth, 1999; Memmert, 2006c; Memmert & Breihofer, 2006; Roth, Kröger & Memmert, 2002; Roth, Memmert & Schubert, 2006; Thumfart, 2006; Uhing, 2006). Einzelne Resultate untermauern empirisch die Vorschläge von Roth (2003) zum Kreativitätstraining im Sportspiel, während andere Ergebnisse diese Ideen ergänzen. Für das Kreativitätstraining im Sportspiel scheinen sich auf einer methodischen Ebene vier methodische Grundprinzipien One-Dimension-Games, Diversifikation, Deliberate Play und Deliberate Coaching – quasi die vier D’s der Kreativitätsförderung – zur Schulung von divergenten taktischen Denkfähigkeiten herauszukristallisieren, welche genauer in Memmert und König (2011) beschrieben sind.

Abschließend bedürfen diese ersten Resultate aller beschriebenen Studien der weiteren Absicherung und Hinterfragung. Welche Instruktionsstrategien zur Aufmerksamkeitsfokussierung müssen für das erfolgreiche Lernen von Gruppentaktiken eingesetzt werden, um auch unerwartete Lösungen bzw. neue und nichterwartete Situationen berücksichtigen zu können? Verändern sich die taktischen Entscheidungen der Spieler, wenn die Probanden mit motorischen Ausführungsformen die Spielkonstellation kreativ bewältigen müssen? Lassen sich die erhaltenen intern gültigen Ergebnisse auch im Rahmen von extern validen Spielkonstellationen replizieren? Dazu wären entweder Drehbücher für die beteiligten Akteure zu entwickeln oder reale Spielmitschnitte zu analysieren. Beim letztgenannten Verfahren könnten beispielsweise authentische Basketballsequenzen aus der Perspektive eines Rollenspielers mit relativ starren Vorgaben seitens des Trainers hinsichtlich origineller Lösungsvarianten ausgewertet werden.

Hinsichtlich der konstruierten neuronalen Netze ergeben sich bedeutsame Anwendungsfelder im Spitzensport. Insbesondere können solche taktischen Verhaltensweisen identifiziert werden, die Kreativität indizieren, also originelle, aber dennoch adäquate Lösungsvarianten beinhalten. Perspektivisch wird angestrebt, mit Hilfe von neuronalen Netzen die Wirkung alternativer und insbesondere kreativer Aktionen systematisch zu erforschen sowie zu simulieren und somit die Mannschaft besser auf den jeweiligen Gegner einzustellen. Dabei wird es auch von Bedeutung sein, taktisches Verhalten, kreative Aktionen und dynamisches Lernen im Sportspiel nicht nur im Nachhinein zu analysieren, sondern parallel zu generieren und so als gestalterische Elemente optimierend in die Spielplanung zu integrieren.