1 Warum sich mit Hilfen als „Hilfen“ beschäftigen?

1.1 Der Begriff „Hilfe“: Allgegenwart und Randständigkeit

Der Begriff der „Hilfe“ führt in der Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit und in den Diskursen der Sozialpädagogik und Sozialarbeitswissenschaft ein sehr widersprüchliches Dasein.Footnote 1 Einerseits ist er allgegenwärtig; wohl kaum ein Fachgespräch in einem der vielen Felder der Sozialen Arbeit kann auf ihn verzichten, in den Sozialgesetzbüchern, vor allem zur Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), zur Sozialhilfe (SGB XII: Hilfe zum: Lebensunterhalt, Gesundheit, Pflege, zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten u. a.) dominiert er die Sprache. Andererseits spielt er in den einschlägigen Wissenschaften zur Sozialen Arbeit nur eine bescheidene Rolle. Die wenigen aktuellen Arbeiten zur „Hilfe“ finden sich meist in Handbüchern (vgl. Gängler 2004, 2001; Müller 2005; Thole und Hunold 2011); sie haben eher historisch rekapitulierenden Zuschnitt als systematische Bezüge, verweisen aber auf eine sehr bunte Geschichte des Begriffs (die hier nicht behandelt werden soll). Diese Randständigkeit ist umso erstaunlicher als aus erziehungswissenschaftlicher Sicht Hilfe als Begriff deklariert wurde, der die Differenzierung der Sozialpädagogik von der Allgemeinen Erziehungswissenschaft kennzeichne (vgl. Lenzen 1999). Die systemtheoretisch angelegten Arbeiten verwenden zwar den Begriff Hilfe, aber meist nur zur Benennung eines (sekundären) Funktionssystems Hilfe oder Soziale Hilfe in der Gesellschaft, dessen Diskussion und Differenzierung diese Theorielinie seit den Arbeiten von Baecker (1994) bestimmt.

Damit – so der Ausgangspunkt dieser Überlegungen – bleiben Möglichkeiten für die reflexive Verwissenschaftlichung Sozialer Arbeit ungenutzt. Eine Reihe von Entwicklungen in der Sozialpolitik wie auch in der praktischen Sozialen Arbeit legen nahe, das wissenschaftliche Potential des Begriffes der Hilfe stärker zu beachten; der Begriff der Hilfe verspricht gerade wegen seiner Breite und Offenheit für viele Formen und Aspekte sozialstaatlicher und bürgerschaftlicher Aktivitäten, mit denen Personen in unterschiedlichen Lebenssituationen und Lebenslagen unterstützt und gefördert werden, zu der sozialwissenschaftlichen Thematisierung dieses Geschehens beitragen zu können.

In der Sozialpolitik haben sich, unter der Ägide des „aktivierenden Staates“ in den letzten Jahren Formen der personenbezogenen Leistungserbringung neben die Leistungen über Rechte und finanzielle Unterstützung geschoben. Diese Leistungen werden immer häufiger an Kommunikation, an Angebote für Beratung, Aktivierung, Lernen gekoppelt. Damit wird auch den Erfordernissen Rechnung getragen, finanzielle Mittel, Qualifizierungsangebote u. a. in persönlicher Interaktion zwischen Fachkräften und AdressatenFootnote 2 an die Frau oder an den Mann zu bringen. Dazu dienen Maßnahmenpläne, Förderpläne, Entwicklungspläne, Integrationspläne, auch individuelle Bildungspläne in der Schule etc. Soziale Arbeit flankiert daneben auch zunehmend Institutionen; während es z. B. vor 30 Jahren im Freistaat Bayern gerade mal drei Projekte zur Schulsozialarbeit gab, bemühen sich heute fast alle Schulen um Hilfen aus diesem Bereich.

In der Sozialen Arbeit selbst zeigt sich eine Tendenz zur Entgrenzung von Hilfen. So etwa bei den Hilfen zur Erziehung: unter dem Stichworten Bedarfs-, Ressourcen- und Sozialraumorientierung findet sich seit Beginn der 90 Jahre eine Tendenz zur professionell auf einzelne Personen zugeschneiderte Hilfe. Auch die gegenläufigen Trends im Rahmen von Finanzkrise und Managerialismus haben die Ausrichtung von Angeboten auf persönlich zu fokussierende Leistungen nicht ausgehebelt. Sie ist in der Diversität der Situationen um Personen in deren Umwelt ebenso begründet wie im sozialpolitischen Postulat nach Effektivität und Wirksamkeit.

Insgesamt haben es also die Wissenschaften, die auf den Sozialen Bereich bezogen sind, mit vielen unterschiedlichen Formen von Hilfeangeboten zu tun: mit Fallarbeit von Hilfen zur Erziehung, die nach den Vorgaben des § 36 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes und den unterschiedlichen kommunalen Verfahren bearbeitet werden; mit den Angeboten, die über das von der Bundesregierung geplante Bildungspaket in Form von Gutscheinen für Nachhilfe, Mittagessen an Schulen und Mitgliedschaften in Sportvereinen gewährt werden sollen, mit den wachsenden neuen (und zugleich alten) Formen bürgerschaftlicher Hilfe in Form der Tafeln u. v. m. Die sozialstaatlich begründete Soziale Arbeit bewegt sich in einer bunten Landschaft von „Hilfen“.

1.2 Hilfen als Interaktionsprozesse: ein Zugang

Die sozialpädagogischen Diskurse nehmen diese Vielfalt auf mehreren Ebenen auf, so auf der Ebene makrotheoretischer, gesellschaftspolitischer Ansätze, auf der Ebene von Personen wie die psychologisch geprägten Ansätze, die sich mit einzelnen Adressatengruppen und effektiven Interventionen befassen. Soziale Arbeit unter der Perspektive der Hilfe zu sehen, bringt die Interaktionsprozesse zwischen Adressaten und Fachkräften in ihren jeweiligen Situierungen stärker ins Spiel. Dies eröffnet einen Zugang zu den Wirklichkeiten der Sozialen Arbeit auf deren Hinterbühnen (vgl. Goffman 1983); hinter der Vorderbühne der Leitideen, Programme und oft auch Qualitätssicherungsaktivitäten. Hilfe als Interaktionsprozesse zu sehen eröffnet ein eigenes empirisches Feld. Hilfeprozesse verbinden, vor allem in den sozialstaatlichen Formen der Hilfe, Personen und Institutionen, Familien und Jugendämter ebenso wie die Professionen, die darin tätig sind. Man kann das am Thema „Beratung“ verdeutlichen. Beratungsprozesse sind durch ihre institutionellen Settings gerahmt, aber nicht determiniert. Sie haben eigene „Logiken“ und eine eigene Professionalität. Ähnlich wohl Hilfe; die Organisationsformen der Sozialpolitik und Sozialen Arbeit, die neoliberalen Strömungen in der Sozialpolitik, der Managerialismus, die Formen der Vergesellschaftung des Menschen im Digitalkapitalismus rahmen und beeinflussen Hilfeprozesse, ohne dass dadurch die Eigenheiten und Eigendynamiken dieser Prozesse schon hinreichend thematisiert wären. Was zwischen den in Lebenslagen und Biografien eingebetteten Personen und den in den Krisen der europäischen Wohlfahrtsstaaten gebeutelten sozialpolitischen Programmen und sozialen Diensten geschieht, ist ein eigener, im Schatten der großen Themen der sozialpädagogischen Diskurse wohl eher vernachlässigter Wirklichkeitsbereich.

Ein Zugang über den Interaktionsbereich zielt auch auf eine Aufwertung des Sozialen im wissenschaftlichen Sinn. Viele Texte in und zu der Sozialen Arbeit offenbaren in der Sprache eine Ideologie der Machbarkeit: Es wird unterstützt, gefördert, gestärkt, „empowert“, Vertrauen aufgebaut. Es werden Soziale Netze hergestellt, dass es nur so eine Freude ist. Diese Metaphern, denen eine nahezu handwerkliche Vorstellung über die Machbarkeit des Sozialen eigen ist, umschreiben allenfalls das Soziale. Sozialwissenschaftlich fundierte Nüchternheit tut da not. Der Machbarkeitsideologie entspricht auf der Seite der Adressaten eine Illusion der Autonomie, der Souveränität. Sie lehnt sich an die Idealisierung des „Kunden“ wie auch des „Staatsbürgers“ an. Politisch gesetzte Normativität kann hier zwar Geltung beanspruchen, geht an der Wirklichkeit der vielen Hilfeprozesse jedoch vorbei. Fragen von Eigen- und Fremdbestimmung sind auch an sozialwissenschaftlich rekonstruierbare Prozesse zu binden, um zu differenzierten Antworten zu kommen.

2 Zur Konstruktion einer Hilfetheorie

2.1 Theorieverständnis: ein kategoriales Modell von Hilfe

Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist ein Projekt über Hilfeplanbeteiligung von Eltern (vgl. Schefold et al. 1998), in dem auf der Grundlage narrativer Interviews Hilfeprozesse in Richtung eines sozialwissenschaftlich differenzierten und empirisch fundierten Gerüstes von Begriffen analysiert wurden, wie auch andere Projekte zu den Hilfen zur Erziehung (vgl. Schefold 2004).

Zuerst ist zu klären, wann es Sinn macht, von einem Hilfeprozess zu sprechen und welche wichtigen, gleichsam konstitutiven Merkmale in diesem Definitionsakt zusammenkommen. Im rekonstruktiven Blick verschiebt sich die Frage „Was ist Hilfe?“ dahingehend: was wird von wem wann und wozu etc. als Hilfe bezeichnet? Das ist keineswegs banal. In der oben genannten Studie ist z. B. herausgekommen, dass die Mütter sich teilweise gar nicht bewusst waren, dass das, was mit ihnen geschah, unter dem Skript „Hilfeplan“ lief, als Hilfe gedacht war.

Handlungs- und Interaktionssequenzen können durch Formulierungen in Gesetzen, durch die detaillierten Skripten der Hilfeplanverfahren in den Kommunen, aber auch ad hoc im Alltag als Hilfeprozesse konzipiert werden. Alle beteiligten Akteure können Prozesse als Hilfe definieren, ex ante, ex post, in strategischen Überlegungen, in der Reflexion dessen, was geschehen ist, gegenseitig oder einseitig, offen oder verdeckt, konsensuell erarbeitet oder oktroyiert. Die Etikettierung mag auf Prozesse bezogen sein, oder auf deren Folgen, auf Wirkungen oder Funktionen für andere. Eine Seite mag etwas als Hilfe bezeichnen, die andere nicht. Beide Seiten – um Hilfe vereinfachend in einer dyadischen Beziehung zu sehen – mögen das Geschehen unter dem Label „Hilfe“ ratifizieren, es nach einem Skript „Hilfe“ gestalten und deuten. Das gilt für alle Formen von Hilfe, die Luhmann (1973) in seiner frühen Arbeit entwickelt hat: bei Hilfen auf Gegenseitigkeit oder aus einem caritativen Motiv heraus wie in den modernen Hilfen nach Programm.

Hilfe ist bei allem eine soziale Interaktion; das Spezifische dieser Interaktion liegt in deren Sinnbezügen. Sie können unter dem Etikett „Hilfe“ sehr vielfältig sein. Für analytische Zwecke ist eine normative Setzung fruchtbar. Sie liegt in der – empirisch sich dann vielleicht als kontrafaktisch erweisenden – Unterstellung einer basalen Sinngebung des Helfens: eine Seite deutet das Interaktionsgeschehen als Hilfe, als positives Geschehen im Rahmen ihrer Lebensbewältigung bzw. ihrer professionellen Arbeit oder moralischen Selbstverpflichtung. Diese Deutung wird in den Situationsdefinitionen derart aufgenommen, dass das Geschehen aus der Perspektive beider Seiten dahingehend verstanden und gedeutet wird, dass es (und wie und warum etc.) Hilfe sei. Eine wissenschaftliche Arbeitsdefinition von Hilfe hat somit einen weiten Bogen von den Intentionen der Helfer bis hin zu der Bedeutung der Hilfe für eine bessere Lebensbewältigung der „Geholfenen“Footnote 3 zu schlagen.

Der (einseitige) Sinn von Hilfe liegt natürlich auch in der Aufrechterhaltung sozialer Ordnung, in sozialer Kontrolle, der Selbstpräsentation von Akteuren u. v. m. Insbesondere der Zusammenhang Hilfe und Kontrolle ist oft betont worden. Ohne dies zu übergehen, sei gestattet, nach „wirklicher“, gleichsam durch reflektierten Konsens über Interaktionsgeschehen demokratisch ratifizierter Hilfe zu fragen. Wie Hilfe offen und subtil Kontrollpotentiale entfaltet, lässt sich dann in elaborierten Hilfeprozessanalysen detailliert zeigen.

Ein kategoriales, analytisches Modell von Hilfe kann die Dimensionen benennen, welche einerseits Prozesse kennzeichnen, die man als Hilfeprozesse thematisieren will, andererseits wesentliche Kategorien für diese Thematisierung fixieren. Diese fokussieren jeweils eine Vielfalt von Sachverhalten, welche für sich und in ihren wechselseitigen Bezügen die Komplexität von Hilfeprozessen ausmachen. Hilfe ist so ein vielfältig situierter sozialer Interaktionsprozess zwischen mindestens zwei Akteuren mit unterschiedlichen Perspektiven und Interessen, in dem ohne unmittelbare Gegenleistung Ressourcen transferiert, Projekte realisiert werden; dies unter der Sinngebung, dem anderen Akteur die Bewältigung von Problemen, die durch diesen, durch Zweite oder Dritte definiert werden, zu ermöglichen.

2.2 Akteure

Diese forschungspragmatische „Arbeitsdefinition“ soll an einzelnen Punkten erläutert werden. Sie hat eine normative Richtung, die den Kern der pragmatischen Verwendung des Wortes aufnimmt. Er liegt in einer für den je anderen positiven, handfesten, „materiellen“ Zuwendung, die alltagspraktisch, lebenspraktisch wirksam ist.

Das hat einen kritischen Impuls. Differenzen von Sinngebungen und realen, empirisch rekonstruierbaren Prozessen sind für Hilfen wohl normal. Hilfe ist meist gut gemeint, weit seltener aus der Sicht der „Geholfenen“ wirklich gelungen. Das Interesse an gelingender Hilfe verlangt, beide Perspektiven, Helfer und Geholfene mit ihren unterschiedlichen Zeithorizonten in einem weiten Bogen bis hin zur Lebensbewältigung der „Geholfenen“ einzubeziehen. Die Arbeitsdefinition von Hilfeprozessen nimmt damit das Interesse an lebensgeschichtlicher Wirkung von Maßnahmen und Diensten in der Sozialen Arbeit auf; dies freilich in einer sehr fallbezogenen rekonstruktiven Weise, nicht mit dem Anspruch, wissenschaftlich fundiertes Wissen über antizipierte Wirkungen zum Kriterium für die Gewährung von Hilfen zu machen – eine mehr oder weniger latente Folge der „what-works“- Philosophie. Gerade die Prozesshaftigkeit von Hilfen macht es schwer, über Wissen und Handlungsstrategien ex ante Erfolg zu garantieren. Gelingende Hilfeleistungen werden aus der Sicht der Adressaten oft sehr überraschend beschrieben. In einem Projekt über „Hilfreiches Tun“ mit Fachkräften der Hilfen zur Erziehung in München kamen in den Fallerzählungen der Fachkräfte diesbezüglich überraschende Sachverhalte zu Tage; Hilfreiches Tun erhält eine sehr konkrete Ereignishaftigkeit; so wurde z. B. die „Hilfe“ einer Erziehungsbeistandschaft für einen Jugendlichen darin gesehen, durch outdoor-Aktivitäten den Eltern des Jugendlichen wieder Raum für eigene Interaktionen gegeben und so das Familiensystem revitalisiert zu haben.

Es scheint empirisch mühselig, Soziale Arbeit als ein im je gegebenen subjektiven Sinn hilfreiches Unternehmen zu sehen. Das beginnt mit der Rekonstruktion des Eingangsproblems für Hilfeleistungen: wer will ein Vorhaben (Projekt) wirklich, die Helfer, die Betroffenen selbst oder Dritte, Institutionen? Davon hängt der Verlauf eines Hilfeprozesses wesentlich ab. Die Typisierung von Hilfen in ressourcen-, projekt- und personenzentrierte Hilfen (siehe unten) nimmt darauf Bezug. In dieser Richtung sind z. B. die „subjektiven Hilfepläne“ zu berücksichtigen, die Adressaten für sich haben. Mütter von Kindern, die Hilfen zur Erziehung erhalten (vgl. Schefold et al. 1998) haben Vorstellungen, wie es aus ihrer Sicht besser werden könnte. Sie wollen etwas erreichen, das sie aus eigener Kraft nicht erreichen können. Das betrifft notwendige Ressourcen für die Unterstützung der Kinder. Sie suchen dafür Handlungsvorhaben, „Projekte“; manchmal differiert auch die persönliche Deutung der Situation von den Deutungen der Fachkräfte. Die genaue Ausarbeitung dieser Differenzen steht am Anfang eines Hilfeprozesses.

Nun hat das Ausgehen von den Adressaten in den Programmen der Sozialen Arbeit ebenso wie in den Leitlinien vieler Träger einen festen Platz. Die oben genannte Arbeitsdefinition übernimmt die Einsichten, die Oevermann (1996) in seinen Beiträgen zur Professionalität ausgearbeitet hat: dass Subjekten in professioneller Arbeit eine nicht hintergehbare „Autonomie der Lebenspraxis“ zukommt. Diese Vorstellung provoziert nun allerdings angesichts der sozialpolitischen Agenda des Neoliberalismus, welche die Verantwortung des Einzelnen für sein Leben gleichsam zur Ideologie erhoben hat, Widerspruch, da die lebenslange Rückgebundenheit dieser Lebenspraxis in die Sozialstruktur mit ihren Ungleichheiten und Belastungen und das Angewiesensein auf andere, vor allem und grundlegend auf sozialstaatliche Leistungen und Hilfen ausgeblendet wird. In der Analyse von Hilfeprozessen ist die Autonomie der Adressaten von Anfang an Thema. Das kann in seinen Widersprüchlichkeiten und Differenzierungen herausgearbeitet werden. Hilfeprozesse setzen wohl ein Minimum an Konsens und Kooperation voraus. Dies wird durch Interaktion, Kommunikation, Einfluss, Geschäfte auf Gegenseitigkeit erreicht, auch durch mittelbaren Zwang, der auf die asymmetrische Verfügung von Ressourcen zurückgeht. Sozialstaatliche Hilfen erfolgen zwar in der Regel auf der Grundlage von Rechten; aber auch subjektiv-öffentliche Rechte bieten keineswegs vollständige Skripte für Hilfeprozesse; je komplexer Hilfen werden, je mehr sie auf Nutzen hin sozialpolitisch finalisiert sind, desto stärker wird offene Kommunikation notwendig, damit auch Beteiligung prozessabhängig. Hilfen werden auch sehr selten schlicht oktroyiert; das Agieren gegen Willen und Absichten der Adressaten dürfte nur in Grenzfällen und da auch nur als Phase eines Prozesses, der als interaktiver Hilfeprozess gedacht werden muss, möglich sein. Damit werden stellvertretende Deutung und stellvertretendes Handeln in ihren Ambivalenzen in Hilfeprozessen ein zentrales Thema.

Das Problem, das in Konzepten wie Beteiligung und Teilhabe kontrovers diskutiert wird, rückt unter der Perspektive der Hilfe als prozessabhängiges Geschehen in den Vordergrund. Hilfeprozesse setzen Kooperation voraus. Was in Beiträgen zur Dienstleistungstheorie in einer gesellschaftstheoretischen Sicht als Koproduktion postuliert wird (vgl. Schaarschuch 1996), erweist sich bei näherem Zusehen als komplexes Geflecht von Interaktionen, in dem Scheitern und Gelingen nahe beieinander liegen. Hilfeprozesse verändern dabei auch die Handlungspotentiale und so letztlich das Selbst der Adressaten im Hinblick auf deren Autonomie; wohl in einer Weise die konzipiert und geplant, aber nicht unbedingt gesteuert werden kann. Hilfeprozesse haben so ihre eigenen „hidden curricula“; sie generieren im Interaktionsverlauf Haltungen der Beteiligten zu den anderen und sich selbst.

2.3 Unentgeltlichkeit

Hilfen werden notwendig, wenn Adressaten das was sie tun wollen (sollen) nicht durch Kauf oder eigenes Organisieren auf den Weg bringen und auf andere angewiesen sind. Das bringt eine fundamentale Asymmetrie in die Beziehungen. Auch wenn es naheliegt, Hilfen immer wieder als Tausch zu konzipieren, auch in der Sozialen Arbeit von Kunden zu reden, damit die Souveränität der Geholfenen zu betonen – Hilfen sind keine Kaufakte; ihre Eigenheiten werden gerade deutlich, wenn sie mit Kaufakten verglichen werden (vgl. Tab. 1) – eine unter anderen Möglichkeiten, durch Kontrastierung über Hilfe zu reflektieren.

Tab. 1 Gegenüberstellung Kauf und Hilfe

Nicht Tausch, sondern vielfältige Formen von Gegenseitigkeit spielen bei Hilfen eine Rolle. Sie werden interaktiv, in offenen und latenten Prozessen der (Selbst-)Präsentation, der Zustimmung und Ablehnung von Deutungen der Prozesse und Beziehungen konstruiert. Gegenseitigkeit wird mit zeitlichen, sachlichen, sozialen Verschiebungen erreicht: „Sie helfen mir jetzt, ich helfe Ihnen später“; „Sie helfen mir hiermit, ich helfe Ihnen damit“ oder schlicht: „Danke!“. Die Erstattung von Dank dürfte die einfachste und häufigste, zugleich die minimale Form sein, die soziale Konstruktion „Hilfe“ zu ratifizieren und Rollen anzuerkennen. Die Bestätigung der Selbstpräsentationen der Helferinnen und „Geholfenen“ im Rahmen der sozialen Ordnungen und Verfahren, in denen Hilfe stattfindet, ist umso bedeutsamer, je stärker die Selbstentwürfe, die in der Situation präsentiert werden, von den biografisch entstandenen Selbstbildern der Beteiligten differieren. Hilfen zu empfangen stellt dabei wohl – insbesondere für Männer – das größere Problem dar als Hilfen zu geben.

Der Ausgleich der sozialen Asymmetrien in Hilfeprozessen ist wenig geregelt, in der Situation offen, personenabhängig, wenig erwartbar. Die vielfältigen, polyvalenten Möglichkeiten des Mediums Geld wären hier z. B. zu thematisieren. Konstruktionen einer, wenn auch imaginären, Reziprozität, Wertschätzung, Verschiebung sind bedeutsam. Sie stabilisieren (oder destabilisieren) Hilfeprozesse, auch dann, wenn sie wie die sozialstaatlichen Hilfen durch eine von der Interaktion relativ unabhängigen Konstellation begründet sind.

2.4 Hilfe als Prozess

Hilfe ist ein eigener Prozess – das ist die wesentliche Begründung für einen Ansatz, der bezogen auf die Aggregatebenen der Gesellschaft die Interaktionsebene heraushebt bzw. dort ansetzt. Hilfeprozesse als Interaktionsprozesse beschränken sich keineswegs auf face-to-face-Interaktionen, auch wenn diesen eine besondere Bedeutung zukommt. Sie finden vielmehr in Anwesenheit und Abwesenheit der Beteiligten statt, in sozial unterschiedlichen Situationen, informellen wie den Erstbesuchen bei Familien in den Hilfen zur Erziehung, formellen wie den Hilfeplangesprächen. Sie laufen über unterschiedliche technische Medien und nutzen unterschiedliche Gedächtnisformen und Steuerungsverfahren; Formen der IT-Steuerung und Dokumentation sind prominent. Sie haben unterschiedliche Zeithorizonte, die auch mit den Ressourcenformen, in denen Hilfen geleistet werden, zusammenhängen (s. unten). Bei aller Vielfalt der Interaktionsprozesse bleibt der interaktive Charakter: Akte sind auf andere Akte bezogen und konstituieren so ein definierbares Projekt, einen Prozess „Hilfe“.

Für Prozesse ist die Dimension der Zeit konstitutiv. Hilfen brauchen Zeit, in der Zeit verändern sich Bedarfslagen, entstehen durch die Hilfe neue; verändern sich die sozialen Beziehungen zwischen den Akteuren, verändern sich Personen, zeigen sich in den Biografien Wirkungen.

Durch Hilfeprozesse laufen gleichsam verschiedene Zeiten: die im Lebenslauf organisierte Zeit, die zeitliche Ordnung des Lebens, die biografische Zeit, in der Hilfen lokalisiert sind; die Zeit der sozialen Einrichtungen, die Hilfen organisieren und deren Eigenrhythmen, bedingt durch Finanzierung; Vorstellungen von Effizienz und Effektivität, die auf Schnelligkeit zielen. Letztlich haben Hilfen eine „Eigenzeit“ – für das Entstehen einer sozialen Beziehung, von Vertrauen, für die Mobilisierung von Ressourcen, für ihren Transfer, für die Aneignung der Ressourcen, für Lernen und persönliche Entwicklung. Sie haben Phasen, die von der Organisation des sozialen Settings, einer „Verständigung“ über das Projekt, den Interaktionen selbst bis zur Definition eines Endes der Hilfen reichen. Die zeitliche Interpunktion dieser Prozesse ist ein Thema jedes konkreten Hilfeprozesses; in der wissenschaftlichen Betrachtung könnte diese Interpunktion sich stärker an den Interaktionsprozessen, weniger an den Strategien der Fachkräfte (und dem dahinter liegenden Modell zweckrationalen Handelns), wie dies in Modellen zur Fallarbeit üblich ist, orientieren.

Zeit ist der Rahmen, um Hilfeprozesse als „Projekte“ zu interpunktieren. Politik und Praxis haben ihre Verfahren, um Hilfen zeitlich, sozial und sachlich zu begrenzen. Dies stößt sich oft an den Zeithorizonten der Adressaten wie der Hilfeprozesse selbst. Hilfepläne im Rahmen des Hilfeplanverfahrens des SGB VIII enthalten wesentlich solche Begrenzungen. Darüber hinaus veranlasst die Vorstellung, dass Hilfen Anfang und Ende haben, die Konstruktion der Hilfen zu anderen biografischen wie sozialen Prozessen in Beziehung zu setzen. In der sozialpädagogischen Fallarbeit werden Lebensumstände der Adressaten meist ausführlich erhoben und dokumentiert und als Rahmenbedingungen von Hilfen reflektiert. Weniger ist dies im Bezug auf die Prozesse der Fall, auf die Hilfen stoßen, in die sie intervenieren, denen sie hilfreich oder störend sein können. Hier ist zunächst an die Biografien als „Durchlauf“ durch die mehr oder minder institutionalisierten Lebensläufe, an Übergangssituationen, Krisenbewältigung etc. zu denken. Hilfen werden von Prozessen in einer Biografie, einer Familie, einer Schulkarriere, einer abweichenden Karriere „begleitet“. Dies wird in sozialstaatlichen Hilfen weniger systematisch reflektiert als dies für Lebensbedingungen gilt. Prozesse müssen erschlossen werden, beschrieben und benannt; sie wirken als dynamische Kontexte und interagieren mit Hilfeprozessen. Für eine Fokussierung unterschiedlicher Prozesse auf der Handlungsebene der Adressaten bietet sich das Konzept der Lebensbewältigung an, das Böhnisch (2008) in vielen Beitragen differenziert und auf sozialpädagogisch relevante Problemlagen angewendet hat. Es hat den großen Vorteil, die „Gestaltung“ des Lebens weder institutionalistisch noch individualistisch zu vereinnahmen, vielmehr die Entgrenzungen von Lebenslaufmustern und Biografien in der Gegenwart zu berücksichtigen und damit auch der Offenheit von Hilfeprozessen gerecht zu werden.

Hilfen sind auch auf soziale Prozesse bezogen, die ihnen entgegen zu laufen scheinen: der Sicherung von Ordnung bzw. dem Überleben eines Lehrerkollegiums in einer Schule mit sozial sehr belasteter Schülerschaft, der Bewältigung einer sozialen Krise (vgl. Schefold et al. 2008), der Strategie einer Kommune, Auffällige unsichtbar zu machen u. v. m. Hilfen im Rahmen des SGB II stehen im Jahre 2011 unter dem Ziel der Bundesregierung, die Anzahl der schwer vermittelbaren Arbeitssuchenden deutlich zu reduzieren. Dies wird einigen zur Normalität von Erwerbsarbeit helfen, andere in Prozesse führen, welche die Situation der Erwerbsarbeitslosigkeit und Randständigkeit festschreiben.

Die Emergenz von Hilfeprozessen verdient hier besondere Betonung. Hilfeprozesse schaffen neue persönliche wie soziale Sachverhalte; dies ist nicht allein aus den Ausgangs- bzw. Rahmenbedingungen ableitbar. In den Projekten zu Hilfen zur Erziehung (vgl. Schefold et al. 1998; Neuberger 2004) sind solche Phänomene deutlich geworden, dazu einige Beispiele:

  • Hilfeprozesse zeitigen einen Regimewechsel. Die Führung der Interaktion geht im Hilfeprozess vom Empfänger auf den Helfer über; oder: Helfer übernehmen im Zuge einer durchaus spezifizierten Hilfe Aufgaben und Einfluss in anderen Bereichen der Lebensbewältigung der Adressaten.

  • Hilfeprozesse führen zu ihrer eigenen sozialen, sachlichen und zeitlichen Erweiterung. Dies geschieht oft, wenn die Rahmenbedingungen für die Aneignung und Nutzung einer konkreten Hilfe fehlen, sei es Wissen, soziale Beziehungen oder schlichtweg Geld, also wenn „nachgeholfen“ werden muss.

  • Hilfen verengen das Geschehen auf die beteiligten Personen, blenden die Lebensumstände aus. Das hängt mit dem interaktiven Charakter der Hilfen zusammen. Interaktionsprobleme schieben sich vor die Ausgangsprobleme der Hilfe. Das endet bei den Fachkräften dann oft in der Imagination einer Generalsanierung der Biografien der anderen, weniger deren Lebensumstände.

3 Sach-, Sozial- und Selbstbezüge in Hilfeprozessen

Hilfeprozesse können auf ihre Rahmenbedingungen hin beschrieben und analysiert werden. Davon abzuheben sind Dimensionen, die differenzieren, was in den intendierten Hilfen geschieht, die also weniger Voraussetzungen als Hilfeprozesse selbst und die Dynamiken, die Hilfen auslösen, kategorial erfassen. Hier bieten sich die Dimensionen der Sachlichkeit, der Sozialität und der Selbst-Bezogenheit an. Die Kategorie der Sachlichkeit umschreibt, womit geholfen werden soll und kann: Sie lässt sich durch ein Konzept der Ressourcen füllen. Es macht einen großen Unterschied ob jemand durch Handlungsrechte, Geld, Zuwendung oder Wissen hilft oder Hilfe bekommt. Die Kategorien der Sozialität umfasst die institutionellen und sozialen Rahmenbedingungen von Hilfen. Im engeren Sinn bezeichnet sie die sozialen Strukturen, die sich im Prozess der Hilfe entwickeln und verändern werden. Die Kategorie der Selbstbezogenheit umfasst Persönlichkeitsstrukturen, insbesondere Selbstkonzepte, die das Handeln in Hilfeprozessen strukturieren und ihrerseits hilfetypisch strukturiert werden.

3.1 Der sachliche Bezug: Hilfe als Transfer und die Frage der Ressourcen

Hilfen transferieren Ressourcen, sind Transaktionen, das unterscheidet sie von bloßer Kommunikation, z. B. von Beratung. In der Sachdimension der Hilfen geht es darum, die Vielfalt von Ressourcen und deren Eigenheiten für Hilfeprozesse zu thematisieren. Dies eröffnet eine Perspektive auf „Sachgesetzlichkeiten“, die Hilfen beeinflussen.

Was heißt nun aber „Ressourcen“? In Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit zirkulieren viele Ressourcenkonzepte; als Ressource gilt nahezu alles, was gut und nützlich ist. Für die Reflexion von Hilfeprozessen ist wichtig, einen breiten Ressourcenbegriff zu haben, welcher der gesellschaftlichen Konstituierung, der Unterschiedlichkeit wie den Hilfequalitäten von Ressourcen gerecht wird. In unseren Arbeiten hat sich eine Typologie von Ressourcen bewährt, die vier Ressourcenarten ausdifferenziert: Macht/Recht, Geld, Zuwendung und Wissen/Sinn. Sie lehnt sich grob an die Arbeiten zum Problem der intersystemischen Tauschmedien bzw. der KommunikationsmedienFootnote 4 von Parsons (vgl. Habermas 1980) und Luhmann (1982) an.

Ressourcen gelten als gleichsam äußere, zu transferierende Mittel zur Lebensbewältigung, die von inneren, in der Person verfügbaren „Ressourcen“ wie z. B. Motivationen zu unterscheiden sind, auch wenn diese interaktiv mobilisiert werden können. Personen haben dennoch von ihren Biografien und Milieus her eigene Beziehungen zu Ressourcen. Ressourcen sind in Hilfeprozessen zu beschaffen, zu transferieren, anzueignen und anzuwenden. Ressourcen haben darin ihre eigenen Hilfequalitäten. Sie können sehr unterschiedlich mobilisiert, transferiert, angeeignet und verwendet werden. Insbesondere der Transfer von Ressourcen ist hier zu beachten: Geld ist schnell transferiert und angeeignet und eröffnet in einer spezifischen Weise Handlungsmöglichkeiten. Handlungsrechte, wie sie in Form der Gutscheine des Bildungspaktes der Bundesregierung zur Reform des SGB II geplant sind, sind dagegen nur unter sehr spezifizierungsbedürftigen Rahmenbedingungen für die Förderung von Kindern umzusetzen.

Ressourcen sind zugleich Mittel für individuelles Handeln und Handlungsmittel, die im Rahmen hoch organisierter und differenzierter Systeme gehandhabt werden müssen: im politischen System, Rechtssystem, in der Geldwirtschaft, in Familien, im Bildungssystem, im Wohltätigkeitssystem der Bürgergesellschaft.

Die Hilfequalitäten von Ressourcen eröffnen einen eigenen Blick auf Fälle von Hilfen. Um dies an einem Beispiel aus dem Bereich der Hilfen zur Erziehung zu erläutern: Eine ältere Frau kommt zum ASD und trägt ihr Problem vor. Sie wohne in einem Mehrfamilienhaus. Seit einigen Wochen träfe sie frühmorgens öfters ein kleines, zweieinhalb Jahre altes Mädchen, das unbeaufsichtigt und manchmal nur notdürftig bekleidet im Treppenhaus spiele. Die Mutter des Mädchens, alleinerziehend, wohne auch im Haus. Sie arbeite in einem Nachtclub. Die Frau habe der Mutter Vorhaltungen gemacht, sei aber abgewiesen worden, es sei in ihrem Sinn nichts geschehen.

Das Kind hat das Recht auf eine Hilfe in den frühen Morgenstunden, die Mutter aber nicht das Recht auf einen familienfreundlichen Arbeitsplatz. Mit Geld könnte sich die Mutter vielleicht eine Hilfe beschaffen. Zuwendung aus der Familie der Mutter heraus aber auch und gerade seitens der Nachbarschaft wäre denkbar. Deutungen des Problems und Wissen müssen verfügbar sein, um das Problem aus unterschiedlichen Perspektiven als Problem zu akzeptieren und zu reflektieren. Mit den genannten Ressourcen ist nun unterschiedliche Hilfe vorstellbar, die Ressourcen sind unterschiedlich verfügbar und mobilisierbar, unterschiedlich transferierbar und letztlich verwendbar. Dies eröffnet eine analytisch und praktisch fruchtbare Sicht auf die Hilfe.

3.2 Die sozialen Bezüge – Hilfe als Kooperation und Konflikt

Die Sozialdimension von Hilfeprozessen umfasst die institutionellen Arrangements von Hilfeprozessen und vor allem die Dynamik der sozialen Beziehungen, die sich in diesen – und gegen diese – Arrangements entfaltet. Im Besonderen geht es um die Gleichzeitigkeit von Konflikt und Kooperation, die Hilfeprozesse kennzeichnet.

Das Interaktionstableau von Hilfen sei hier nur in Stichworten aufgeführt. Es umfasst: Akteure in ihrer Situierung (die Adressaten, die Professionen und Fachkräfte), die für Hilfeprozesse konstitutiven Akteure der „Dritten“ in höchst unterschiedlicher sozialer Gestalt, den Sozialstaat als dominante Form moderner Hilfen, aber auch Mitgliedssysteme der Zivilgesellschaft als Ursprung gegenseitiger Hilfe wie als Garanten altruistischer Haltungen, um an Luhmanns Typologie der Hilfeformen (Luhmann 1973) anzuschließen. Diese dritten Akteure ermöglichen, steuern und kontrollieren Hilfen, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Dies führt zu einer Vielzahl von institutionellen und soziale Rahmen: Sozialstaatliche Dienstleistungen und Interventionen, Hilfe durch die Familie, Nachbarschaft, Gemeinschaften, Hilfe aus einer altruistischen Haltung oder moralischen Verpflichtung heraus. Von besonderem Interesse sind die Mischformen, wie sie z. B. durch die Ideen der sozialraumorientierten Hilfen zur Erziehung entstanden sind (vgl. Hinte et al.1999).

Diese Vielfalt von „Hilfeformen“ kann vielfach kategorisiert und typisiert werden (vgl. Thole und Hunold 2011). Die Vorstellung, dass Hilfeprozesse in unterschiedlichen Rahmungen eigene Qualitäten haben, die nicht unabhängig, aber doch eigenständig von und neben den Rahmungen zu reflektieren sind, mag diese Typisierungen bereichern.

Die soziale Kontextualisierung von Hilfesituationen umfasst nicht nur Lebenslagen, biografische Situationen und darin eingebetteten Hilfebedarf, sondern auch und gerade Kontexte der Hilfe selbst, der Möglichkeiten zur Hilfe. Soziale Hilfe steht bei Baecker (1994) unter dem Vorzeichen der Nachrangigkeit des Systems Sozialer Hilfe gegenüber den anderen Funktionssystemen. In handlungsbezogener Sicht: Hilfe wird notwendig, wenn etwas fehlt, wenn eine andere Form der Ressourcenbeschaffung (oder „Projektentwicklung“ und Persönlichkeitsentwicklung) nicht funktioniert hat. Wenn etwas fehlt, das früher hätte erworben werden können, das andere Akteure haben und wenn sich gegebenenfalls Dritte finden, in deren Interesse Hilfen stehen. An diese Überlegungen schließt die Frage an, ob man das „Defizit“ denn kompensieren kann, also die sachlichen, sozialen, zeitlichen oder personenbezogenen Differenzen überbrücken – also „helfen“ kann. Die Offenheit des „Helfen-Könnens“ ist eine eigene, oft versteckte Reflexionsdimension jeder Hilfe und insbesondere der Sozialen Arbeit. Fachkräfte und Adressaten schlagen sich tagtäglich damit herum.

3.2.1 Hilfe als Kooperation und Konflikt

Die sozialen Dynamiken der Hilfeprozesse sind im Kern durch die Koexistenz von Kooperation und Konflikt gekennzeichnet. Hilfeprozesse verlangen Kooperation. Allenfalls das bloße zur Verfügung stellen von Geld, gleichsam ein halbierter Kaufakt, kann darauf verzichten. Schon das Verfügbarmachen von Rechten, von sozialer Unterstützung setzt einen komplexen Interaktionsprozess in Gang, wenn Handlungsfähigkeiten nachhaltig verbessert werden wollen. Kooperation, ein sozial zu koordinierendes strategisches Handeln von Personen, also eine Mischung von strategischem und kommunikativen Handeln ist notwendig. In Hilfeprozessen sind die Ausgangslagen und Interessen der Kooperanden freilich verschieden. Einer hat etwas, was der andere braucht, aber nicht kaufen kann oder was ihm nicht qua Recht zweifelsfrei zusteht. Hilfeprozesse bringen gleichsam Ressourcen und Personen zusammen, die unterschiedlich sind, aber sich in Projekten ergänzen können und sollen. Aus unterschiedlichen Lagen und Interessen sollen gemeinsame Handlungsvorhaben, „Projekte“ mit Zeit-, Sach- und Sozialstrukturen entstehen. Dies bringt vielfältige Risiken, z. B. das Risiko der Abhängigkeit, einer Beschränkung von Autonomie. Differenzen, unterschiedliche Handlungsstrategien und Interaktionskonflikte sind in Hilfeprozessen so normal. Das nötigt zu einer fortlaufenden Verständigung (auch wenn im Grenzfall auch nicht kommunizierte Passungen unterschiedlicher Handlungsvorhaben wirksam werden können). Hilfeprozesse erzeugen Verständigungsbedarf, dies gilt z. B. bei den Hilfen zur Erziehung auch für die Zeit nach der Hilfeplanvereinbarung, da Konflikte prozessbezogen immer wieder aufbrechen. Verständigung und Diskurse begleiten Hilfeprozesse ebenso wie Kontraktierungen, Beeinflussung, Manipulationen bis hin zum mittelbaren Zwang.

3.3 Der Bezug auf das „Selbst“ der Beteiligten: Hilfe als subjektive Erfahrung und Selbstbildung

In der Dimension der Selbstbezogenheit soll aufgenommen werden, dass Hilfeprozesse Personen verändern (sollen) und faktisch verändern. Sie können ein für die Sozialisation und Entwicklung des Selbst von Personen wichtiges Geschehen in Lebenslauf und Biografie sein, das auch offen und versteckt den Verlauf einzelner Hilfeprozesse begleitet und beeinflusst.

Zunächst: Hilfeprozesse haben mit Kompetenzen aller Art zu tun. Hilfebedürftigkeit ist auch in Mangel an kognitiven, sozialen wie auch lebenspraktischen, z. B. handwerklichen Kompetenzen begründet. Hilfeprozesse selbst sind mit besonderen Kompetenzen verbunden. Sie betreffen das Helfen und sich Helfen lassen können. Beides verweist auf soziale Kompetenzen, Interaktions-, Kooperationskompetenzen und alles, was die Sozialisationsforschung dazu zutage gefördert hat: von der Kompetenz zur Perspektivenübernahme bis hin zur Kompetenz für soziale Netzwerkarbeit.

Unter den vielen relevanten personenbezogenen Konstrukten soll hier das zentrale Konzept des Selbst der Betroffenen herausgehoben werden. Es geht darum, die Erlebnisse und Erfahrungen von Personen in Hilfeprozessen und ihre sozialisatorischen Effekte, ihre Situationen überdauernden Wirkungen auf die handelnden Personen zu thematisieren.

In den Theorien des symbolischen Interaktionismus wird die Veränderung des Selbst als laufender Prozess in alltäglichen Handlungen verstanden, aber auch als Entwicklung einer dauerhaften generativen Struktur menschlichen Denkens und Handelns. In aktuellen Arbeiten im Rahmen der Psychologie des Selbst (vgl. Brandtstätter 2007; Greve 2007) wird das Selbst als dynamisches System von Inhalten (z. B. von Semantiken) und psychischen Prozessen thematisiert, welche die Möglichkeit des individuellen Bewusstseins von Einheit, Abgrenzung und Kontinuität der eignen Personen (Identität) aufrecht erhalten. In diesen Perspektiven können die besonderen Qualitäten von Hilfeprozessen als das Selbst verändernde Prozesse in den Blick genommen werden. Sie lassen sich auf mehreren Ebenen aufschließen: aus der „empfängerorientierten“ Sicht bekommen Hilfen persönliche Bedeutung: weil man etwas nicht hat, nicht kann, angewiesen ist, eine Beziehung eingeht, die durch Asymmetrie gekennzeichnet ist, balanciert werden muss; eine Beziehung, die Risiken einer sich verfestigenden Abhängigkeit, Inferiorität ebenso wie die Erfahrung von Solidarität, Zuwendung und Emanzipation beinhaltet.

Die alte sozialpädagogische Denkfigur der „Hilfe zur Selbsthilfe“ hat zwar ordnungspolitische Wurzeln, scheint gegenwärtig zu einem bildungspolitischen Programm transformiert. Hilfen sind in Verlauf und Erfolg stark personenabhängig, aber implizieren sie immer eine Veränderung von Personen, weiter: Sind sie durchweg als Bildungsprozesse zu sehen? Diese Frage kann man wohl nur differenziert, auf der Grundlage multiperspektivischer empirischer Forschung an Fällen und Fallgruppen beantworten. „Hilfe“ ist nicht a priori ein pädagogischer Begriff. Nicht mit jedem Transfer von Ressourcen sind Intentionen, die Empfänger auch zu verändern bzw. sich verändern zu lassen verbunden. Hilfen haben eine klassische sozialpolitische Funktion, sind Formen des sozialen Ausgleichs, der Behebung oder Dämpfung ungleicher, ungerechter Verteilung von Ressourcen. Sozialpädagogisch und sozialpolitisch sollten die pädagogisch-sozialisatorischen Komponenten an Hilfeprozessen als „Variable“ und nicht als Konstante thematisiert und reflektiert werden. Anders würde eine interaktionsbezogen angelegte sozialpädagogische Reflexion die Pädagogisierung der Sozialpolitik schlicht nachvollziehen als kritisch-reflexiv mit ihr umzugehen.

Hilfeprozesse sind freilich auch als Sozialisations- und Bildungsprozesse zu thematisieren. Sie haben und entwickeln soziale Systeme und Handlungsformen, die rekursiv Personen prägen können. Ihre Themen: Autonomie, Abhängigkeit, Status, Selbstpräsentation etc. sind bildungsträchtig. Es wäre z. B. von Interesse zu wissen, was etwa die regelmäßige Teilnahme an einer der aktuellen Formen zivilgesellschaftlicher Hilfe, der Tafeln an Bildungseffekten zeitigt. Hilfeprozesse als Bildungsprozesse zu sehen und zu erforschen wäre vielleicht für die Sozialpädagogik ein gutes Begleitprogramm zu den vielen Anstrengungen, sich in der aktuellen Bildungsdebatte adäquat zu präsentieren. Zudem zeigen sich pädagogisch-didaktische Probleme auch in ureigenen Feldern wie Hilfeprozessen: Wie muss ein Hilfeprozess gestaltet werden, damit er ein Lernprozess wird, also: Hilfe zur Selbsthilfe?

4 Hilfeprozesse als professionelles Feld und sozialpolitisches Lehrstück

4.1 Hilfeprozesse als professionelles Feld

Die Reflexion und mehr noch die sozialwissenschaftliche Rekonstruktion von Hilfeprozessen kann aufzeigen, welche Möglichkeiten und Grenzen erfolgreiches Helfen hat. Sie sind durch die Strukturen der sozialen Konstellationen der Hilfe, der Ressourcen, der Prozesse bestimmt, auch durch die emergenten Verläufe, die sich in diesen Strukturen entfalten und die relative Eigenständigkeit von Hilfeprozessen spiegeln.

Das alles ist zuerst ein Thema von Professionalität. Sozialstaatliche Hilfen stehen unter dem Anspruch der Professionalität wie immer man Professionalität auslegen mag (vgl. Cloos 2010). Soziale Arbeit ist in einem ständigen Prozess der Professionalisierung und zugleich auch Risiken der Deprofessionalisierung ausgesetzt. Professionell erbrachte personenbezogene Dienstleistungen auch als Hilfeprozesse zu thematisieren eröffnet eine zusätzliche Reflexionsebene, die das Potential einer reflexiven Professionalität erweitern kann. Die Reflexion von Verläufen kann zutage fördern, was in einem Hilfeprozess schlecht gelaufen ist, warum Interaktionen abgebrochen worden sind, die Zusammenarbeit der Dienste nicht geklappt hat u. v. m.

Sozialstaatlich begründete, professionelle Hilfeprozesse werden auch von anderen Formen der Hilfe begleitet. Diese gehen oft professioneller Hilfe voraus. Hilfeprozesse entwickeln sich oft latent. Die Abgrenzungen, die in den Interaktionen zwischen Adressaten und Fachkräften notwendig sind, können nicht immer einfach a priori gesetzt werden. All die Erscheinungsformen von Hilfen entwerten nicht die Professionalität von Hilfeprozessen, sie erweitern vielmehr das Spektrum professioneller Reflexion. Professionelle Hilfe kann die Widersprüchlichkeit von Hilfeprozessen reflexiv halten und in einen Sinnzusammenhang rücken, der die Idee der Hilfe unter Bewahrung der Autonomie und Würde der Adressaten in den Mittelpunkt stellt.

Die Reflexion von Hilfeprozesse wird dabei immer auch thematisieren, dass die Inszenierung von Hilfen, die definierten Problemstellungen und die Ressourcen, die zur Verfügung gestanden haben, einfach nicht die ausreichende Passung ausweisen, um erwünschte Ziele zu erreichen. Dies weist über die professionelle Reflexion hinaus auf Alternativen, um die Probleme der Lebensbewältigung von Adressaten anzupacken – vor allem auf die Sozial- und Gesellschaftspolitik.

4.2 Hilfeprozesse als sozialpolitische Lehrstücke

Hilfeprozesse sind immer auch sozialpolitische Lehrstücke. Hilfen erweisen sich als nicht erfolgreich, weil die Ressourcen, die zur Verfügung stehen, unzureichend sind. Handlungs- und Teilhaberechte, die für die Lebensbewältigung wichtig sind, fehlen – sei es ein Platz für ein kleines Kind in einer wohnortnahen Kinderkrippe mit langen, flexiblen Öffnungszeiten, sei es ein Arbeitsplatz, der den Bedürfnissen und Grenzen einer alleinerziehenden Frau mit Kindern angemessen ist. Geld steht nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung, um eine größere Wohnung zu beschaffen und damit das Zusammenleben in einer ohnehin sozial belasteten Familie zumindest sozialräumlich zu entlasten; um eine Wohnung in einem Quartier mit einer besseren sozialen Infrastruktur zu finden. Familien brauchen soziale Netze, aus denen heraus soziale Unterstützung kommt, die Familiengeschichte zeigt, dass und warum solche Netze nur in sehr bescheidenem Ausmaß existieren und auch nicht schnell und „bedarfsgerecht“ hergestellt werden können. Formen des Umgangs mit Kindern, aber auch mit sich selbst, z. B. der eigenen Gesundheit sind aus der Perspektive eines reflektierten eigenen Interesses an einem guten Leben und Aufwachsen problematisch, aber das Wissen darüber und die Sinngebungen, welche die Verwendung von Wissen rahmen, können nicht „angeknipst“ werden, sie setzen lange Prozesse der Erfahrung und Selbsterfahrung und der biografischen Arbeit z. B. mit eigenen Verletzungen voraus.

Ressourcen für Hilfen sind zwar verfügbar, aber es sind nicht die für eine effektive Hilfe passenden Ressourcen. Soziale Dienste helfen mit dem, was ihnen zur Verfügung steht: Zeit, Kommunikation, Professionalität, die sich in Aufmerksamkeit, Beratung, Vermittlung von anderen Diensten zeigt. Andere Ressourcen, die für Fälle wichtig sind, dagegen fehlen. Die Stadt München hat z. B. diese Problemstellung in der ersten Phase der Umstellung der ambulanten Hilfenformen in sozialräumlich konzentrierte „Ambulante Erziehungshilfen“ dadurch bearbeitet, dass den Fachteams „Maßnahmengelder“ zur Verfügung gestellt wurden, um Fälle von Hilfen zur Erziehung auch mit Geld und bezahlten anderen Dienstleistungen zu versorgen. Der Erfolg war nach Ansicht der Fachkräfte erstaunlich (vgl. Neuberger 2004).

Hilfen kommen zu spät, sie stellen Reaktionen auf soziale Probleme dar, die erst durch die „Untragbarkeit“ einer Person in einer Institution, z. B. eines Jugendlichen in der Schule sichtbar und offensichtlich geworden ist, obwohl Anzeichen für Hilfebedarf schon früh zu sehen gewesen wären. Hilfen werden zu kurz gewährt. Sie stehen, zumal die teuren Hilfen zur Erziehung, in den allermeisten Kommunen unter scharfer Beobachtung der für die klammen kommunalen Finanzen zuständigen Stellen bzw. Fachkräfte. Sie müssten aus der professionell reflektierten biografischen Perspektive länger dauern, können aber nicht so lange finanziert werden. Die Reihe fehlender oder falscher Ressourcen für Hilfen könnte fortgesetzt werden.

Die Perspektive der Hilfe mag so dazu beitragen, aus den Erfahrungen der sozialen Arbeit in den verschiedenen Feldern heraus Einsichten in die Qualität sozialpolitischer Leistungen in Form von Zugangsrechten, Geldtransfer, sozialer Infrastruktur und sozialen Diensten zu bekommen (vgl. Schefold 2011). Angesichts der differenzierten Verhältnisse in den einzelnen Kommunen werden diese Einsichten zunächst kommunale Sozialpolitik betreffen. Ebenso wie die lokalen Verhältnisse stehen dann die großen sozialpolitischen Leistungsgesetze wie das SGB II, SGB VIII und SGB XII und letztlich das gesamte „System“ der Verteilung von Ressourcen in unserer Gesellschaft zur Diskussion. Über mangelnde Kritik an diesen und anderen Gesetzen und an den sich entwickelnden Praktiken der Ämter und Dienste wie auch an Verteilungsformen insgesamt kann man sich gegenwärtig nicht beklagen. Kritik aus den Erfahrungen konkreter Hilfeprozesse heraus hat vielleicht aufgrund ihrer praktisch-empirischen Fundierung ein besonderes Gewicht. Dazu kann eine hilfetheoretisch angeregte Reflexion Sozialer Arbeit beitragen.