1 Einleitung

Wenn man mit Praktikern über deutsche Drogenpolitik in Afghanistan spricht und erklärt, darüber einen Aufsatz schreiben zu wollen, erntet man nicht selten Unglauben: Ein solcher Artikel sei doch wohl bestenfalls ein Einzeiler. Nach zehn Jahren, in denen die Bundesrepublik als Teil der International Security Assistance Force (ISAF) am sicherheitspolitisch motivierten State-Building-Projekt beteiligt ist, sieht die Bilanz der Reduktion der Opiumwirtschaft als bedeutendstem Wirtschaftzweig in Afghanistan in der Tat ernüchternd aus. Angesichts der Komplexität der Drogenproblematik mit ihren ökonomischen und damit entwicklungsrelevanten, ihren kriminologischen und politischen, mit ihren moralischen und ordnungspolitischen Aspekten hat sich die internationale Afghanistanpolitik aus dem Staub gemacht. Genauer gesagt hat sie das Opiumproblem stets als Problem Afghanistans definiert. Deshalb blieb die Drogenpolitik zur Verminderung des Anbaus immer Stückwerk.

Das deutsche Bundestagsmandat schloss von Beginn an aus, das Opiumproblem zu adressieren, und leugnete es so im Kern. Denn die Formulierung, dass die Bekämpfung des Opiumanbaus in der Verantwortung der afghanischen Regierung liege, erlaubt, keine eigenen Maßnahmen zu ergreifen. Der Verweis auf den interministeriellen Bericht „Deutscher Beitrag zur Drogenbekämpfung in Afghanistan“ vom 22. April 2005 bekräftigt, dass dafür nur die Unterstützungsmaßnahmen zum Aufbau und zur Effizienzsteigerung afghanischer Regierungsinstitutionen eingesetzt werden (Bundestag 2011). Das heißt aber, dass Deutschland in immer wieder verlängerten Einsatzmandaten immer an der Vermeidungsstrategie festgehalten hat und das Opiumproblem immer nur mittelbar, also über die Schaffung alternativer wirtschaftlicher Möglichkeiten für die Produzenten und die Erweiterung des Regulierungsspielraums für die afghanische Regierung, adressieren wollte. Obwohl in den letzten Jahren die Erkenntnis hätte reifen können, dass die Regierung diese Aufgabe nicht erfüllen kann oder will, hat die Bundesrepublik ihre Politik nicht geändert.

Dass damit die Opiumproblematik aus dem militärischen Auftrag herausgehalten war, präjudizierte auch im entwicklungspolitischen Bereich, dass eine opiumreduzierende Komponente in die Programmplanung eingebaut wurde. Auch hier sollte lediglich indirekt und langfristig, etwa durch Anreize, andere Produkte anzubauen oder durch die Senkung von Transaktionskosten für teurer zu transportierende Güter, wie beispielsweise durch den Ausbau von Infrastruktur, die Drogenproduktion zurückgedrängt werden. Aber auch andere an der Intervention beteiligte Länder ließen über eine deklaratorische Anerkennung des Opiums als Sicherheitsproblem hinausgehend die Finger davon, es wirklich zu adressieren. Die USA als einflussreichster Akteur haben nach einigen Jahren erfolgloser „Eradication“, also Vernichtungsmaßnahmen, die in vielerlei Hinsicht sogar kontraproduktiv waren, die Opiumbekämpfung in das als Allheilmittel propagierte Konzept der „counterinsurgency“ (COIN)Footnote 1, also der Aufstandbekämpfung, integriert. Mit Pflanzenvernichtungsmitteln und dem Abfackeln von Feldern waren lediglich die Preise hochgehalten, gleichzeitig aber die Landbevölkerung in die Kooperation mit den Taliban getrieben worden.

Großbritannien, angetreten als lead nation im Bereich Opiumreduktion der Sicherheitssektorreform, musste als Erstes feststellen, wie wenig politische Erfolge im Kampf gegen die Drogen zu erzielen waren – mittlerweile wird er lediglich, ebenfalls afghanisiert, halbherzig als Trainingsmission für den afghanischen Sicherheitsapparat fortgeführt. Kanada hingegen hat einen indirekten Weg gefunden, die Auswirkungen der Opiate, die ja auch und in einem erheblichen Ausmaß die Nachbarländer AfghanistansFootnote 2 betreffen, in den multilateralen Verhandlungen des so genannten „Dubai-Prozesses“ zu verhandeln. In diesem Prozess, dessen Themen auch ungeklärte Grenzstreitigkeiten wie um die „Durand-Line“Footnote 3, radikale Islamistengruppen wie in Pakistan, oder die Tatsache, dass die beteiligten Staaten internationale Parias (Iran) sind, umfassen, lässt sich die Opiumfrage gut verstecken. Mit anderen Worten: Deutschland verweigert sich, die Frage des Opiumexports politisch zu bearbeiten und ist dabei mittlerweile in der guten Gesellschaft aller verbündeten Staaten. Nicht nur wurden in der Zwischenzeit mit stumpfen Maßnahmen, den Anbau zu verhindern, vor allem die Bauern getroffen und dadurch zum Teil dauerhaft gegen den Staat mobilisiert. Auch der Verzicht, ernsthafte Nachfragereduktionen in den Konsumentenländern zu unternehmen, weist auf fehlenden politischen Willen hin, das Problem wirksam zu bekämpfen. Stattdessen hat die halbherzige Politik vor allem dazu geführt, der Drogenökonomie in Afghanistan und den Transitländern dauerhaft hohe Profite zu verschaffen.

So zeigt sich die Tragweite des internationalen Hilfsregimes oder vielmehr seine Nichttragweite: Das internationale „Hilfsregime“ in Afghanistan (Suhrke 2006, S. 7) ist insgesamt fragmentiert und von nationalen Alleingängen und Eigeninteressen geprägt, über welche Beschlüsse auf internationalen Geberkonferenzen einen Schleier oberflächlichen Konsenses legen. Es ist voll von gegenseitigen Vorwürfen innerhalb der Gebergemeinschaft wie zwischen Gebern und afghanischer Regierung. Und es ist hinter der deklaratorischen Annahme, dass die Ziele für das „State-Building-Konzept“ im Petersberger Abkommen (2001), später im Afghanistan Compact (2006)Footnote 4 und schließlich seit der Londoner Konferenz von 2010 fest vereinbart seien, in erheblichem Maße strategisch orientierungslos.

Da die Bundesrepublik innerhalb der ISAF für den Norden Afghanistans verantwortlich zeichnet, sollen die direkten Auswirkungen deutscher Politik anhand der betroffenen Provinzen, insbesondere Badakhshan und Balkh, dargestellt werden. Während Balkh mit seiner Hauptstadt Mazar-e Sharif im Jahresbericht 2010 des Drogen- und Kriminalitätsbüros der Vereinten Nationen (UNODC) als „poppy free“ geführt wird, verzeichnet Badakhshan eine Verdopplung der Anbauflächen und eine Vervierfachung der Erntemengen.Footnote 5 Zwar rangiert Badakhshan immer noch am unteren Ende der Vergleichsskala der absoluten Anbaumengen, der Zuwachs verweist aber auf den im Jahresvergleich hoch mobilen Anbau (UNODC 2010a, S. 32). Auch in den Vorjahren, in denen Badakhshan als opiumfrei galt, war die Provinz nicht abgekoppelt von der Drogenökonomie, sondern spielte darin eine wichtige Rolle als Ausfuhrkorridor nach Tadschikistan. Gleichzeitig gilt es, die Besonderheiten einzelner Provinzen anschaulich zu machen, denn die regionale Verteilung des Anbaus ist uneinheitlich, die Handelsmuster sind variantenreich und die Zusammenhänge zwischen Gewalt und Drogenökonomie sind längst nicht so einfach wie dies teilweise dargestellt wird (Buddenberg und Byrd 2006; Kursawe 2010a, b; Mansfield 2010). Zunächst stehen aber die politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge im Mittelpunkt, die lokale Politik in je eigener Weise beeinflussen und verschiedene Arten politischer „Anpassung“ an äußere Zwänge erlauben.

2 Das Problem: Opiumwirtschaft

Opium, das den Rohstoff für viele Arten von Schmerzmitteln, wie Morphium, und Drogen, insbesondere des Heroins, darstellt, ist seit vielen Jahren als landwirtschaftliches Erzeugnis in Afghanistan beheimatet. Zwar waren die Anbaumengen, verglichen etwa mit China im 19. und frühen 20. Jahrhundert, gering, seine Bedeutung leitet sich aber vor allem aus seinem medizinischen Nutzen in einer Weltregion ohne Krankenversorgung her. Insbesondere in Badakhshan im äußersten Nordosten Afghanistans waren die Nutzerzahlen hoch – die ökonomische Bedeutung des Opiums erklärt sich aus der Abgelegenheit, die eine Verfolgung des Anbaus durch den Staat schon damals erschwerte, und durch den Mangel an alternativen Anbaumöglichkeiten in der Gebirgsregion (Kursawe 2010a, S. 108–110).

Erst die sowjetische Invasion katapultierte die Opiumwirtschaft ökonomisch nach vorn: Der Krieg erlaubte wenig dauerhafte Landwirtschaft (viele Bauern waren gleichzeitig Mujaheddin), auch weil Bewässerungskanäle beschädigt waren und die Kampfhandlungen den Handel mit voluminöseren Gütern erschwerten. Die Gewinnspannen waren obendrein so hoch, dass Opium vor allem Waffen und Munition der Mujaheddin querfinanzierte und sich so unausweichlich mit der Kriegsökonomie verwob. Hinzu kam die Förderung des Anbaus durch die CIA über den pakistanischen Geheimdienst ISI, die neben der ökonomischen Attraktivität auch noch die Schädigung des Sowjetarmee durch Soldaten, für die Drogen ein Ausweg aus der Tristesse des Krieges, aber auch internes Handelsgut waren, als Kriegsziel für wünschenswert ansah. Die Folge war eine große Zahl süchtiger sowjetischer Soldaten (Napoleoni 2004, S. 147–148; Feifer 2009, S. 183).

Allerdings explodierte der Opiumanbau erst nach dem Abzug der Sowjets (vgl. beispielsweise Rubin 2002, S. 261–263; Maley 2002, S. 156). Mit dem Aufstieg Afghanistans zur Opiumweltmacht etablierten sich feste Handelswege und -strukturen, die Zahl der Heroinkonsumenten entlang der Routen in Pakistan und Iran, aber auch den neuunabhängigen Republiken Zentralasiens wuchs. Zugleich war der Cannabisanbau immer relevant, der in den letzten Jahren einen wachsenden Anteil der Drogenökonomie einnimmt.Footnote 6 Für die Taliban, die nach 1994 schrittweise die Kontrolle Afghanistans übernahmen, waren die Einnahmen aus dem Opiumanbau so wichtig, dass sie anfängliche Versprechen, den Opiumanbau als unislamisch zu Verbieten, zunächst nicht einhalten konnten (Rashid 2010, S. 193–196). Allerdings unterbanden sie 2001 den Anbau von Opium vollkommen, um internationale Anerkennung zu erwirken, und verschärften damit eine soziale Krise und die Hungersnot, die aufgrund einer langen Dürreperiode herrschte. Gleichzeitig stieg der Preis des Opiums dadurch an: Die Lager waren gefüllt, und der Handel ging unvermindert weiter. Die höheren Preise ließen die Händler weiter gut verdienen, wenn auch die Bauern vom Verbot hart getroffen wurden (Rashid 2010, S. 336).

Die Unterscheidung zwischen direkten Produzenten und Händlern ist bedeutsam: Während die größten Profite bei den Händlern erzielt werden, die eine ökonomische Rente erschließen können, die sich aus der Illegalität des gehandelten Gutes ergibt, folgen die Bauern häufig grundlegenden ökonomischen Erwägungen in ihrer Entscheidung für den Mohnanbau und gegen alternative Feldfrüchte (Kühn 2010, S. 319–330). Für sie ist die Möglichkeit, etwa Weizen als Alternative zu verkaufen, eingeschränkt, denn nach wie vor treibt mangelhafte Infrastruktur die Transportkosten für Getreide in die Höhe, während bei Opium das Volumenverhältnis zum erzielten Preis erheblich besser ist: Während Weizen in Gewinn versprechenden Mengen mit Lastwagen transportiert werden muss, reichen Esel für den Transport des Opiums. Ein anderer Faktor für die Bauern ist die Marktteilhabe: Während andere Feldfrüchte oft nur für den eigenen Verbrauch angebaut werden können, erlaubt Opium anzubauen auch einen Geldverdienst, der den Erwerb anderer Güter ermöglicht (Mansfield 2010, S. 9).

Die regionale Verteilung des Anbaus unterscheidet sich auch deshalb, weil die verlässlicheren Gewinne, die das Opium verspricht, in Gegenden mit kleineren Parzellen oder ohne Bewässerung für die Bauern besser kalkulierbar sind als andere Feldfrüchte, bei denen Ertragsschwankungen klimabedingt groß sein können. Obendrein sind die Bauern häufig bei Zwischenhändlern verschuldet, die im Winter Kredite vergeben, die zurückzuzahlen wegen der vergleichsweise höheren Gewinne den Anbau von Mohn erfordert. So blieben in den ersten Jahren der Intervention selbst Kompensationszahlungen wirkungslos: „Das 2002 unter britischer Führung gestartete Drogenbekämpfungsprogramm […] stellte Landwirten eine Kompensation in Höhe von 350 $ für die Vernichtung eines Hektars Mohnanbaufläche in Aussicht. Die Bauern forderten dagegen 3000 $, weil sie sich in Erwartung hoher Gewinne bereits hoch verschuldet hatten“ (Schetter 2005, S. 67). Nach den Rekordernten zwischen 2004 und 2007 waren jedoch alle Lager der Zwischenhändler gut gefüllt, so dass Bauern teilweise dazu gedrängt wurden, kein Opium anzubauen, um die Preise stabil zu halten (Kursawe 2010b, S. 91).

In jedem Fall sind Opiumeinkünfte, weil sie am Markt erzielt werden, in den meisten Fällen nur durch bezahlte Arbeit, Tierhaltung oder durch Geldtransfers zu kompensieren. Der Anstieg im Weizenanbau in den letzten beiden Jahren ist deshalb lediglich Kompensation für hohe Einkaufspreise, etwa durch gestiegene Importpreise aus Pakistan. Weizen ist also für die meisten kein marktfähiges Gut, sondern nur Subsistenzstrategie (Mansfield 2010, S. 15) – und sein Anbau mithin keine nachhaltige Abkehr vom Opiumanbau. Über eine längere Zeitspanne betrachtet waren die Weizenpreise nämlich niedrig, weil Getreide in den zentralasiatischen Ebenen deutlich billiger produziert wird, was einen dauerhaften wirtschaftlichen Umstieg auf Getreide in Afghanistan auch zukünftig sehr unwahrscheinlich macht. In diesem Zusammenhang ist zu sehen, dass 77 % der Produzenten die für 2011 zu erwartenden hohen Opiumpreise als Grund angeben, (wieder) Mohn anzubauen (UNODC 2011a, S. 7–9). Dies zeigt, dass alternative Anbauprogramme, Infrastrukturmaßnahmen und militärisches Vorgehen zwar regional und punktuell Auswirkungen haben mögen, die übergreifenden Muster der Opiumökonomie jedoch von Marktkräften derart überlagert werden, dass die jährlich schwankenden Anbauzahlen vor allem als Marktanpassungen zu verstehen sind.

Während der westlichen Intervention hat sich die Drogenwirtschaft erheblich ausdifferenziert. Die Familien, die den Drogenhandel zum Teil schon seit dem frühen 20. Jahrhundert organisieren, die Kontakte ins Abnehmerausland haben und immer politisch einflussreich warenFootnote 7, sind weniger geworden: Entweder waren sie in der Lage, sich mit wechselnden Machtkonstellationen zu arrangieren, oder sie wurden aus dem Markt gedrängt. Die ohnehin überschaubare Zahl der Händler, die die Ausfuhr organisieren und die höchsten Gewinne realisieren können, nahm durch diesen Ausscheidungswettbewerb ab. Die verbleibenden Händlersyndikate professionalisierten sich in dieser Zeit hinsichtlich organisatorischer Abläufe in der Ausfuhr, Vernetzung mit staatlichen Stellen und der Kontakte, über die der Weitervertrieb vonstatten geht. Die mit dem Staat wie auch mit den Handelssyndikaten, die große Umsätze mit allen möglichen Handelswaren erzielen, verknüpften Opiumeliten konnten ihre Geschäfte also immer anpassen, indem sie Anbau, Handel und Raffinierung an die Gegebenheiten anpassten: „Die Haupthändler sind stark in das politische Umfeld eingebunden und agieren daher nicht selbst, sondern wirken nur dirigierend und kontrollierend“ (Kursawe 2010b, S. 96).

Mit den Zentralisierungsprozessen im Nachkriegsprozess – nicht nur in Afghanistan, sondern beispielsweise auch in Tadschikistan – spiegelte sich also ein Zentralisierungs- und Monopolisierungsprozess in der Drogenökonomie wider:

During the 1990s the trade was highly decentralised, reflecting the fragmented nature of power structures, both at the border and at a national level. Relatively small shipments – usually raw opium – crossed a poorly policed border through multiple crossing points along the Amu Darya river. With ‚post-conflict‘ statebuilding on both sides of the border, there has been a level of political consolidation, growing efforts to police the border and an increased centralisation of the drugs trade. The pattern of flows has consequently changed from a ‚capillary action‘ of multiple crossing points to a ‚funnel action‘ pattern involving larger shipments, mostly in the form of heroin, and fewer crossing points controlled by a smaller number of state and non-state players (Goodhand 2008a, S. 236).

Die Durchstaatlichung der Gesellschaft bewirkte so einen Prozess, der ihr eigentlich entgegensteht. Denn mit höherer Konzentration in weniger Händen steigen die Profite und damit die Anreize, diese gegen staatliche Verfolgung zu schützen. Mehr Gewalt – etwa durch bewaffnete Konvois – und mehr Geldflüsse in den staatlichen Apparat, um die Waren und Händler vor Verfolgung zu schützen, sind die Folge. Aber auch destabilisierende Tendenzen und manifeste Transformation in den Transitländern sind zu beobachten. Entweder werden ganze Zweige des Sicherheitsapparates unterwandert und so zum Teil der Drogenökonomie oder die Sicherheitssituation verschlechtert sich durch die Gewalt, die vom Schmuggel ausgeht. Im Iran beispielsweise, wo eine strikte Drogengesetzgebung besteht und auch umzusetzen versucht wird, sterben im Schnitt monatlich ein Dutzend Polizisten bei Zusammenstößen mit Schmugglern. Gleichzeitig hat der Iran die höchsten Beschlagnahmungsraten (Kursawe 2010a, S. 166).

Der Bundeswehr in den nördlichen Provinzen ist der Zusammenhang von Kooperation und Konfrontation zwischen Schmugglern und Sicherheitsapparat selbstverständlich klar. Im Mandat ist Drogenbekämpfung aber nicht vorgesehen, denn eine Konfrontation mit den Händlernetzwerken und daraus resultierende Gewalt sollte von Beginn an umgangen werden. Sofern es in den Anfangsjahren der Intervention dennoch zu Kämpfen kam, etwa wenn Patrouillen die Aktivitäten störten, mussten diese im Nachhinein oft umständlich wieder mit den lokalen Machthabern bereinigt werden. Mittlerweile hat allerdings das sogenannte „Partnering“, bei dem afghanische Soldaten in enger Abstimmung mit ISAF-Soldaten unterwegs sind, dazu geführt, dass Händler von Patrouillen kaum mehr überrascht werden. Die Informationen finden nun ihren Weg zu den Händlern, so dass sich Militär und Transporteure aus dem Weg gehen können.Footnote 8 Das deutsche Mandat hat also begünstigt, dass die konkrete Umsetzung des militärischen Einsatzes immer darum bemüht war, das Drogenproblem zu umgehen – die neuere Entwicklung, dass das „Partnering“ die Vermeidung einer Konfrontation stark begünstigt, wurde indes häufig als Korruption gedeutet.

Wie später noch für einzelne Provinzen nachvollzogen wird, resultieren veränderte Anbaumengen in komplexen Aushandlungs- und Verdrängungsprozessen. Auch wenn die Schätzungen, wie stark die Taliban und andere Aufständische von der Drogenökonomie profitierenFootnote 9,

weit auseinandergehen, so ist die Tendenz klar: Während die Bekämpfung des Aufstands die an den Opiumprofiten beteiligten Taliban aus dem Marktsegment zunehmend herausdrängt, bleiben Händler, die mit der Regierung affiliiert sind, tendenziell unbehelligt.Footnote 10 Damit wächst im Lauf der Zeit die Kontrolle über die Drogenökonomie nach und nach den mit dem Staat verbundenen Gruppen zu. Es muss offen bleiben, ob dies eine positive oder eine negative Entwicklung ist. Denn noch ist nicht abzusehen, ob die Drogenwirtschaft den Staat „bastardisiert“ oder ob der Staat die Drogenwirtschaft Schritt für Schritt unter legale Kontrolle bekommt – das würde bedeuten, dass staatliche Akteure den Drogenhandel kontrollieren, brächte aber die Chance mit sich, ihn letztlich zurückzudrängen. Auch ein hochproduktives Äquilibrium ist allerdings möglich: Das würde bedeuten, dass das Zusammenwachsen an eine Grenze stößt, der staatliche Apparat aber weiterhin von den Geldern aus der Drogenökonomie profitieren kann, während er nicht in der Lage wäre, die Ausfuhrmengen zu senken. Afghanistan würde dann als fragiler „Narcostaat“ existieren, der militärische Kurzinterventionen zu fürchten hätte, die mit dem Ziel der Drogenbekämpfung staatliche Strukturen dauerhaft kleinhalten würden (Friesendorf 2007; Kühn 2008).

3 Die internationale Komponente: Opiumhändler als Rentiers

Ein wichtiger Zusammenhang wird auch in der deutschen Diskussion nicht hinreichend thematisiert, dafür weisen afghanische Gesprächspartner umso lieber darauf hin: Wie sieht es, angesichts der Rhetorik, mit der der Opiumanbau in Afghanistan zum Sicherheitsproblem stilisiert wird, eigentlich mit der Nachfragereduktion aus? Die afghanische Zeitung Cheragh schrieb über die Erfolge im Kampf gegen den Opiumanbau: „[T]he result [of eradication] has been the opposite. This is because the British cannot reduce the 90 % demand of its citizens for Afghanistan’s opium in their own country […] they are trying to find a pretext and evade responsibility rather than find a solution“ (zitiert nach Shayer 2008, S. 8). In der Tat wird das Opiumproblem als afghanisches Problem definiert, und es gibt keine erkennbaren Versuche, diese Policybereiche international konzertiert zu verknüpfen – auf Nachfrage verweisen Regierungsmitglieder zwar auf Abstimmungen innerhalb des UNODC, durch die Angebots- und Nachfragereduktion vorangetrieben und angeglichen werden sollten. An diesen Planungen beteilige sich die Bundesrepublik selbstverständlich.Footnote 11 Allerdings ist nicht ersichtlich, wie eine Abstimmung oder gar Harmonisierung erfolgen oder gar erfolgreich sein soll. Denn erstens sind die Länder in unterschiedlichem Maß vom Heroinkonsum betroffen, und zweitens würde dies eine Harmonisierung von Kriminalisierungs- und Kompensationspolitiken bedeuten, die trotz großen Vertrauens in die Leistungsfähigkeit internationaler Diplomatie schwer vorzustellen ist.

Das heißt aber, dass die in den ersten Jahren dominierende Konzentration auf die Bekämpfung des Anbaus sich nun zwar verändert, so dass die Bauern unbehelligt bleiben und die Händlernetzwerke in den Mittelpunkt des Vorgehens gerückt werden. Die Weltmarkteinbindung, d. h. die Renten, die für das Opium und seine Folgeprodukte eingetrieben werden können, bleibt dabei weiterhin unbeachtet. Ökonomische Renten, wie sie durch Rohstoffhandel erzielt werden, generieren im Regelfall deshalb hohe Gewinne, weil die gehandelten Güter knapp und deshalb teuer sind (zu den wirtschaftlichen und politischen Charakteristika der Rente Beck 2009). Dies gilt für EdelsteineFootnote 12 und -hölzer ebenso wie für Coltan, Öl und andere Rohstoffe. Beim Opium ist die Knappheit hingegen nicht natürlich, sondern entsteht dadurch, dass Opiumprodukte illegal sind. Die daraus resultierenden Verfolgungen, Konfiskationen und erschwerte Transporte sind ursächlich dafür, dass sich der Wert des Opiums (je nach Reinheitsgrad) bei jedem Grenzübertritt im Wert vervielfacht.Footnote 13

Das heißt mit anderen Worten, dass das Opiumproblem nur verkürzt verstanden ist, wenn man es auf Afghanistan begrenzt. Die Bekämpfung des Anbaus, wie er lange Zeit – häufig wurden dafür private Sicherheitsfirmen wie DynCorp bezahlt – von den USA betrieben wurde, ist also bestenfalls ein Schattengefecht (Bergen 2011, S. 192). Denn die Gewinne, die in den Schmugglernetzwerken „erwirtschaftet“ werden, bleiben nur zu einem geringen (lokal gleichwohl immer noch höchst relevanten) Teil in Afghanistan. Sie landen aber kaum in den Händen der Produzenten, sondern auf den Konten der Händler.

So kommt es, dass die wohlhabendste Schicht in Afghanistan ihre Gewinne nicht in einen wirtschaftlich produktiven Kreislauf investiert. Stattdessen fließt das Geld ab, um auf den internationalen Kapitalmärkten gewaschen und produktiv zu werden. Mit anderen Worten: Die Gewinne werden zwar genutzt, um zukünftige Rentenflüsse abzusichern, etwa in Patronagenetzwerken. Die ansonsten selbst von illegalen Wirtschaftstätigkeiten stammenden Sekundäreffekte bleiben weitgehend aus. Selbst die rege Bautätigkeit, die sich in Kabul beobachten lässt, führt nicht zu breiter Streuung dieser Gelder, denn die Verteilung von Grund erfolgt als Belohnung und Beziehungspflege entlang politischer Loyalitäten. Die Eliten in Afghanistan haben die von der Intervention – wie überall – geforderte Privatisierung über diese Klientelstruktur pervertiert und sich staatliches Eigentum so privat aneignen können. Breite Bevölkerungsschichten in Afghanistan sind darüber ernüchtert, dass nicht nur die Wohlstandsgewinne nach der Intervention ausblieben und Politik undemokratisch jenen zugute kommt, die die besten Verbindungen besitzen oder kaufen können (Giustozzi 2007b; Goodhand 2008b; Kühn 2008). Auch die Legalisierung ihres Einflusses und ihrer wirtschaftlichen Vormachtstellung, die Monopolisierung produktiver Wirtschaftszweige (etwa des Transportsektors) und der daraus resultierende Ausschluss gleicher Chancen werden kritisiert. Es ist also nicht nur die Korruption, die vom Westen wie von der Bevölkerung bemängelt wird, sondern die strukturelle Ungleichverteilung von Zugangsmöglichkeiten zu Wirtschaft und Staat, die ein Entwicklungshindernis darstellt und politischen Zündstoff birgt.

Dieses Strukturproblem wird nicht verschwinden, selbst wenn die seit Obamas Amtsantritt veränderte TaktikFootnote 14 der „counterinsurgency“, die obendrein eine Verschmelzung entwicklungspolitischer und stabilitätsorientierter Politik vorantreibt (Maaß 2010), erfolgreich wäre (Ehrhart und Kästner 2010, S. 203–205): Der afghanische Staat wird noch eine Weile mit den wirtschaftlich erfolgreichen Schichten verflochten sein, die in Ermangelung anderer Wirtschaftszweige vorwiegend Drogenrentiers sind. Dass sie versuchen, ihre Einkommensquellen zunehmend zu diversifizieren, sichert ihre Macht auf Dauer ab: So bauen sie etwa zunehmend Cannabis an, um so sowohl neue auswärtige als auch vor allem heimische und regionale Märkte zu erschließen (UNODC 2010b). Beim Opium ziehen sie die Wertschöpfungskette näher an sich heran, indem sie mehr Heroin schon in Afghanistan produzieren statt „nur“ Morphin als dessen Grundlage zu exportieren.

Innerhalb des Drogensektors verschafft ihnen obendrein die Unterstützung des Westens einen Vorteil, weil die aufständischen Drogenrentiers von den Interventen verfolgt und teilweise ausgeschaltet werden. Robert Gates, Verteidigungsminister der USA bereits in der Bush-Administration, konstatierte schon früh, was weiterhin gilt: Dass die bis dahin verfolgte „Eradication“, also Pflanzenvernichtungspolitik, gescheitert ist und vielerorts kontraproduktiv war. Man habe nicht einmal eine richtige Strategie (Shayer 2008, S. 8). Ob COIN diesen Mangel wirklich behebt, ist jedoch zu bezweifeln, weil die Drogenökonomie darin zum nachgeordneten Problem wird und so letztlich als subsumierte, letztlich militärische Aufgabenstellung jenseits der beschriebenen wirtschaftlichen Zusammenhänge erscheint.

Denn die Drogenwirtschaft ist mit anderen Wirtschaftszweigen, beispielsweise dem Transportsektor, zu stark verflochten, um eindeutig militärisch isolierbar zu sein. Dies ist aber auch ein schwerwiegendes Dilemma für alle nichtmilitärischen Ansätze der Drogenbekämpfung, die über die Bekämpfung des Anbaus hinausgehen: Einerseits „investieren“ die Drogenrentiers hohe Summen, um sich politisch und juristisch gegen Verfolgung zu immunisieren, andererseits sind sie dadurch häufig die tragenden Säulen des Staates, von dem die Unterscheidung von Legalität und Illegalität eigentlich ausgehen sollte. Zudem sind entwicklungspolitisch wünschenswerte Wachstumseffekte vor allem in den Sektoren – insbesondere im Handel – zu finden, die auch mit der Opiumökonomie zusammenhängen. Ursache und Wirkung sind also schwer zu isolieren, weil nicht klar ist, ob und in welchem Ausmaß das Wachstum querfinanziert wird (Goodhand 2004, S. 69; Giustozzi 2007b).

4 Deutschlands Politik in Nordafghanistan: Badakhshan und Balkh

Der Einfluss der internationalen Komponente war in den ersten Jahren in den meisten afghanischen Provinzen opak. Solange die ISAF ihren Einflussbereich noch nicht über Kabul hinaus ausgeweitet hatte, aber auch, als Reformen die Anbindung der Verwaltungsstrukturen an die Kabuler Zentrale bewirken sollten, bestimmten vor allem Aushandlungsprozesse zwischen regionalen Machtträgern (in und außerhalb von Ämtern) und Präsident Hamid Karzai die Politik (Giustozzi 2009b, S. 7–8). Zunächst versuchten Milizkommandeure, sich am rapide wachsenden Opiumgeschäft durch Konfiskation zu bereichern. Es konnten sich aber jene dauerhaft durchsetzen, die pro forma mit der Zentralregierung zusammenarbeiteten und ihre politische Macht so auf Dauer stellen konnten. Sie tauschten damit kurzfristige höhere Gewinne gegen stabile Einkünfte, wie beispielsweise der lokale Einflussträger der Stadt Argoo: „Mussadeq sponsored a reduction in poppy production in Argoo in order to present himself as a ‚man of order‘ and avoid an embarrassment to Karzai“ (Giustozzi 2009b, S. 9). Auch der spätere Gouverneur Badakhshans, Zalmay Khan, schaffte es, als Loyalist Kabuls ins Amt zu kommen, um dann weitgehend eigenständig zu agieren und den Opiumhandel zu übernehmen. Gleichwohl arrangierte er sich mit lokalen Milizenführern, darunter Nasri Mohammed, dessen Leute das deutsche Provincial Reconstruction Team (PRT) in Feyzabad bewachten und auch Agenturen der Vereinten Nationen (VN) in der Region Sicherheit boten (Giustozzi 2009b, S. 13).

Diese internen Machtdynamiken, häufig von Gewalt begleitet, zeigen, dass die Komplexität lokaler Politik und ihrer Interaktion mit Kabul – obendrein beeinflusst durch die volatile Drogenökonomie – durch die „Stabilisierer“ und ihre Programme weder durchschaut noch verändert werden konnte. Vielerorts in den Provinzen waren die militärischen und entwicklungspolitischen Akteure, wie in Feyzabad das PRT und die Bundeswehr, geneigt, ihre Sicherheit durch Kooperation mit den lokalen Machthabern zu erkaufen. Sie beeinflussten damit zwar die wirtschaftliche Situation, weil sie für diese Dienstleistungen hohe Summen zahlten, aber sie veränderten die Konkurrenzsituation lokaler Gewaltkonglomerate nicht.Footnote 15 Giustozzi beobachtet denn auch, die Interventen hätten keinen „appreciable impact on local dynamics“ (Giustozzi 2009b, S. 13). Der Aufbau von starken Institutionen durch die Zentralregierung sei nie intendiert gewesen.

Der Verweis der deutschen Regierung darauf, dass der Drogenanbau und -handel ein zuvorderst von der afghanischen Seite zu adressierendes Problem seiFootnote 16, erscheint in diesem Licht zwar als diplomatischer Weg, einer Schuldzuweisung aus dem Weg zu gehen, illustriert aber auch einen erheblichen Mangel an konzeptionellem Verständnis. Schlimmstenfalls bedeutet es stillschweigende Komplizenschaft angesichts mangelnden Willens, die Drogenhändler zu konfrontieren. Denn letztlich entstanden weder Erwartungssicherheit produzierende staatliche Institutionen, noch erlaubten die kurzlebigen Allianzen zwischen lokalen Machthabern und der Zentralregierung, eine durchgängige Politik neopatrimonialen Stils durchzusetzen. Eine wirksame Kontrolle oder zumindest Beeinflussung der Opiumwirtschaft durch die afghanische Regierung konnte so freilich nicht erreicht werden.

Das Narrativ von „warlords“ und politischen Figuren, die sich vorzuziehender „good governance“ befleißigen, wird demgegenüber auch in Balkh reproduziert, obwohl auch dort komplizierte Aushandlungsprozesse stattfinden und notwendig sind, um zeitweise Stabilität zu produzieren (Mansfield 2010, S. 18; Mukhopadhyay 2009). Durch die Beförderung von Kommandeuren auf wichtige Posten konnte Gouverneur Atta die Drogenwirtschaft, insbesondere den Anbau, einschränken – allerdings ist die Provinz eine wirtschaftliche Drehscheibe, so dass die sozialen Folgen und damit das politische Risiko für diese Maßnahmen gering sind, weil hinreichende wirtschaftliche Alternativen existieren. Diese erlauben den Produzenten, auf andere Feldfrüchte umzusteigen. Das setzt innerhalb von Familien Arbeitskräfte frei, die anderswo Arbeit suchen können und so das wirtschaftliche Risiko durch Missernten oder Marktversagen für die Familie als ganze minimieren (Mansfield 2010, S. 16). Um diesen Trend zu fördern und Gouverneure wie Atta zu stützen, fließen in der Folge viele Aufbaugelder in die betroffenen Provinzen – dies führt aber zu sozialen Verwerfungen zwischen Provinzen und kann zum Rückschlag werden, wenn Versprechen nicht eingehalten werden. Die Bevölkerung in ärmeren Provinzen wird aufgrund der wirtschaftlichen Schlechterstellung erst recht Opium anbauen, um ihren Nachteil zu kompensieren.

Indem Anreize für Gouverneure geschaffen werden, gegen den Opiumanbau vorzugehen, die in Projekten wie der Good Performance Initiative (GPI)Footnote 17 honoriert werden, setzt sich auch ein verzerrtes Bild auf die unterschiedlichen sozialen Prozesse der Opiumwirtschaft durch. Indem nur „mohnfreie“ Provinzen belohnt werden, gehen die zum Teil sehr unterschiedlichen Gründe aus der Wahrnehmung verloren, warum sich innerhalb einzelner Provinzen divergierende Anbaumuster zeigen. Obendrein öffnet diese Politik den Empfängern, also den Provinzregierungen, neue Wege, Kontrahenten fernzuhalten und diskriminiert zwischen jenen, die durch politische Kontakte Verfolgung abwenden können und jenen, denen diese Kontakte fehlen (Mansfield 2010, S. 19–20). Die Folge ist eine Weiterführung volatiler Machtarrangements und auch auf längere Sicht keine Festigung staatlicher Institutionen, weil die personalisierten Herrschaftsbeziehungen, die vor allem Gewaltverhältnisse sind, fortbestehen.

5 Schluss

Die aufgezeigten Zusammenhänge illustrieren, warum eine nennenswert strategische Drogenpolitik in den letzten Jahren in Afghanistan, auch seitens Deutschlands, nicht erkennbar ist. Zum einen sind die internationalen Akteure institutionell und programmatisch fragmentiert, setzen auf „Eradication“ oder Aufbauhilfen, Anreize oder Sanktionen – es herrscht also wenig Einigkeit, die für eine einheitliche Drogenpolitik erforderlich wäre. Dies wurde erschwert durch eine US-amerikanische Drogenpolitik, die stark militarisiert war und erlaubte, dass andere in Afghanistan beteiligte Länder sich mit Verweis auf die USA zurückhalten konnten. Die Politik der „Eradication“ wurde als konfliktverschärfend abgelehnt, aber keine gewichtigen Versuche unternommen, diese zu beenden: Schließlich war es lange Zeit der Krieg der USA und der Aufbaueinsatz der Deutschen. Daraus resultiert auch, dass die deutsche Politik die Opiumwirtschaft ausgeblendet hat, weil sie als potenziell eskalierender Faktor der Gewalt betrachtet wurde. Mit steigendem Widerstand auch gegen deutsche Truppen verschwand dann die Opiumproblematik aus dem Gesichtsfeld. Auch wenn und obwohl beispielsweise die USA einen kausalen Zusammenhang zwischen Opiumwirtschaft und afghanischem Widerstand sehen, zeigt Deutschlands weitgehendes Trennen dieser Faktoren, dass die Kriegsursachen unterschiedlich bewertet werden können.

Politisch wird eine einheitliche Drogenpolitik dadurch erschwert, dass sie ressortübergreifende Themen berührt, so dass kein nationales Ministerium die Führung in der Formulierung einer konzisen Policy übernehmen kann. Um in unpopulären Politikfeldern nicht zu scheitern, geben nationale Akteure solche Aufgaben ohnehin gern an internationale Organisationen ab, deren diffuseren Verantwortungsstrukturen schwerer zu durchschauen sind (Bliesemann de Guevara und Kühn 2010, S. 194–197). Die Herrschaftsarrangements, die die Zentralregierung in Kabul eingehen muss, aber auch diejenigen, die zwischen einzelnen Provinzgouverneuren und lokalen Kommandeuren bestehen, sind hoch personalisiert und prekär. Deshalb findet Drogenbekämpfung oft nur punktuell statt oder wandelt sich mit neuem Personal. Ziel der lokalen und regionalen politischen Deals ist häufig mehr als die Reduzierung der Anbau- und Handelsmengen, bestehende Arrangements nicht zu gefährden, dadurch Gewalt zu vermeiden und so die Provinzen zu stabilisieren.

Indem Herrschaft auf diese Weise austariert werden muss, bestimmen Allianzen die Drogenpolitik und nicht die Drogenpolitik die Allianzen, die dem Ziel der Opiumreduktion dienen könnten. Da die Handelsrouten ebenso wie die Anbaumuster schnell wandelbar sind und sich an Veränderungen in den politischen Beziehungskonstellationen anpassen, scheinen also keine substanziellen Fortschritte in der Drogenbekämpfung möglich. Die meisten Praktiker konzedieren dies, verweisen auf die Hoffnung, dass Entwicklungsprojekte und Fortschritte im Aufbau des Sicherheitssektors sich auch auf die Drogenökonomie auswirken mögen, oder vermeiden das Thema überhaupt. Die fruchtlosen (wenigen) Bemühungen, Afghanistans Rolle als Weltopiummonopolist und wachsender „Player“ im Haschischsektor zurückzudrängen, scheinen die internationalen Akteure zermürbt zu haben, so dass ihnen der Abzug und damit die vollständige Abgabe der Verantwortung für diese Situation an afghanische Akteure verheißungsvoll erscheint. Dass sich die deutsche Drogenpolitik in dieses Gesamtbild gleichsam nahtlos einfügt, ist zwar bedauerlich, wenn man in Betracht zieht, wie die regionalen politischen Strukturen von der Opiumwirtschaft durchsetzt sind und die (westlichen) Ziele des Staatsaufbaus und der Befriedung der afghanischen Gesellschaft fragmentieren und untergraben. Gleichzeitig folgt diese Politik einer Logik, in der die politischen Gegebenheiten in einem Interventionsland ohnehin eine nachrangige Rolle spielen.