Einleitung

Die Digitalisierung beeinflusst unseren Alltag, das Arbeitsmilieu und somit auch die Lehre im medizinischen Umfeld [6, 7]. Für die Generation der Mediziner und Medizinstudierenden, die seit dem Jahr 1982 geboren sind, ist die Informationstechnologie ein integraler Bestandteil des Alltags [26]. Allerdings haben internetbasierte Lehrmethoden bisher eine verhältnismäßig untergeordnete Bedeutung in der Ausbildung junger Mediziner [32]. Das aktuelle Angebot digitaler Lehr- und Lernformate im Medizinstudium ist heterogen und umfasst u. a. soziale Kommunikationstools, audio- und videobasierte Medien, interaktive Formate und elektronische Prüfungssysteme [16].

Eine Studie der Universität Leipzig aus dem Jahr 2016 analysierte die internetbasierte Mediennutzung in Deutschland [32]. Dabei zeigte sich, dass nur 28 % der befragten Teilnehmer Onlinemedien im Unterricht nutzen. Der erhöhte Zeitaufwand und die fehlende personelle Unterstützung sollten die niedrige Zahl der Nutzung internetbasierter Medien im Unterricht erklären. Onlinemedien wie interaktive Fallbearbeitungen, Podcasts und fachspezifische Apps wurden als geeignet für den Einsatz in der Lehre angesehen. Im Gegensatz dazu wurden soziale Medien wie Facebook und Twitter für den Einsatz im Unterricht als ungeeignet angesehen [32].

Anderseits zeigt sich eine intensive Nutzung der sog. klassischen digitalen Medien, wie PDF-Dateien und PowerPoint®-Präsentationen (Microsoft Corporation, One Microsoft Way, Redmond, WA, USA), bei nahezu allen Medizinstudierenden [16]. Diese klassischen digitalen Medien stellen das einzige Format dar, das flächendeckend im Rahmen des Medizinstudiums in Deutschland etabliert ist [28].

Die Lehrenden in der Medizin werden der Digitalisierung in der Lehre zunehmend mehr Rechnung tragen müssen. Dabei muss die praktisch orientierte Ausbildung der Studierenden oberste Priorität behalten. Die in der ärztlichen Approbationsordnung geforderte praktische Ausbildung der Studierenden der Medizin hat mit Beschluss des Nationalen Kompetenzorientierten Lernzielkatalogs Medizin (NKLM) auf dem Medizinischen Fakultätentag 2015 und dem von der Politik angestoßenen Masterplan Medizinstudium 2020, der seit März 2017 in Kraft getreten ist, eine zunehmende zentrale Bedeutung bekommen [12].

Mit dieser Arbeit möchten die Autoren einen Überblick zu bereits existierenden sowie sich in Entwicklung befindlichen technischen Innovationen in der Lehre im Fachgebiet Orthopädie und Unfallchirurgie verschaffen.

Podcast

Die Aufzeichnung von Videopodcasts in der universitären Lehre wird seit Anfang des 21. Jahrhunderts vermehrt eingesetzt. Diese werden zum einen als zusätzliche Bereitstellung von flexibel abrufbaren Lernmateralien, zum anderen als Lehrtool zum direkten Feedback für Studierende beim Erlernen von klinischen Fertigkeiten oder Grundlagen der ärztlichen Kommunikationsführung verwendet [13, 15, 24]. Darüber hinaus werden Videopodcasts als Prüfungstool verwendet [13]. Generell wird die Bereitstellung von Videopodcasts von Studierenden als positiv wahrgenommen [7]. Die Effektivität von Videopodcasts als Lehrtool bleibt allerdings kontrovers [7, 30]. Zudem bleibt offen, ob die Bereitstellung von Onlinelernmaterial dazu führt, dass immer weniger Studierende an den fakultativen Lehrveranstaltungen teilnehmen [20].

Die Effektivität von Videopodcasts als Lehrtool wurde vielfältig untersucht. Einige Studien berichten, dass ein klassischer Videopodcast, der die Vorlesungsfolien mit der Audio- oder Videoaufzeichnung der entsprechenden Lehrveranstaltung kombiniert, genauso effektiv sein kann wie traditionelle Vorlesungen [18, 33]. Allerdings konnte kein relevanter Einfluss einer Podcastnutzung auf Prüfungsergebnisse verzeichnet werden [9, 30].

Einige Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Bereitstellung von Videopodcasts keinen Einfluss auf die Teilnahme der Studierenden an den Vorlesungen hat [9, 22].

Augmented Reality

Das Verstehen von Deformitäten, Brüchen oder Tumoren insbesondere des Achsenskeletts kann auch erfahrene Orthopäden und Unfallchirurgen vor große Herausforderungen stellen. Studierende oder junge Ärzte in Weiterbildung, die die betroffenen anatomischen Regionen oft nur aus dem Lehrbuch oder – immer seltener – von der Präparation am Formalin‑/Thiel-Präparat kennen, haben folglich regelmäßig Schwierigkeiten, sich komplexe dreidimensionale (3-D) Strukturen oder Pathologien vorzustellen. Der Verlauf einer Triplane-Fraktur der distalen Tibia, die Ausdehnung eines Osteosarkoms des Beckens oder eine kyphoskoliotische Deformität der Wirbelsäule lässt sich anhand der vorhandenen Bildgebung oft nur schwer begreifen. Selbst Oberflächenmodelle, die heutzutage standardmäßig bei Computertomographie(CT)-Untersuchungen zur verbesserten Darstellung berechnet werden, haben den Nachteil, dass sie auf dem Betrachtungsmonitor letztlich zweidimensional bleiben.

Augmented Reality (AR) kann hier helfen, die fehlende 3. Dimension zu simulieren. AR verarbeitet mittels spezieller Technologie vorhandene Bildgebungsdaten, sodass computergenerierte Bilder und reale Objekte durch den Anwender in Echtzeit kombiniert betrachtet werden können. Im Gegensatz dazu sind bei der Virtual Reality (VR) die aus Bilddaten computergenerierten Objekte (also z. B. ein Tumor des Beckens) vollständig in einen virtuellen Raum eingebettet und können auch nur dort betrachtet werden (Abb. 1). Die AR erlaubt aber das Betrachten, Fühlen und eben auch Manipulieren realer Gegenstände, während diese gleichzeitig durch computergenerierte Bilder ergänzt werden und mit beiden – Wirklichkeit und Virtuellem – interagiert werden kann [3].

Abb. 1
figure 1

Augmented Reality (AR) versus Virtual Reality (VR)

Ein AR-System besteht in der Regel aus 3 Kernelementen [25]:

  • Trackingsystem, welches die Position des realen, zu augmentierenden Objekts im Raum verfolgt;

  • Anzeigesystem (z. B. ein Monitor oder eine Brille mit Display);

  • Kontrollsoftware, die computergenerierte Bilder mit den Positionsdaten des Trackingsystems versieht und so rechnerisch virtuelles und reales Objekt übereinanderlegt.

Obwohl AR in Orthopädie und Unfallchirurgie schon in vielen Fällen während chirurgischer Eingriffe erfolgreich genutzt wurde (z. B. für die Resektion von Knochentumoren oder die distale Verriegelung von Marknägeln), fehlen bisher größere Studien, die einen klinischen Nutzen zeigen können [8].

Anderes gilt für die Möglichkeiten, die AR in der Lehre eröffnet. Hier sind auch die Anforderungen an die Präzision des Trackingsystems geringer, als wenn AR während Operationen genutzt wird, um Implantate einzubringen oder Schnittführungen zu bestimmen. In der Folge werden die technischen Voraussetzungen für AR in der Lehre ausreichend durch einfache Tablets oder Smartphones erfüllt (Abb. 2). Naheliegend sind hier auch Anwendungen, die 2‑D-Anatomiebildern durch 3‑D-Animationen mit Ton Leben einhauchen.

Abb. 2
figure 2

Augmented Reality (AR) zur Lehre der Anatomie: Bildschirmfoto einer Smartphone-App (Human Anatomy Atlas, Visible Body, Newton Upper Falls, MA, USA), in der anatomische Darstellungen mittels AR dreidimensional visualisiert und aus allen Perspektiven betrachtet werden können. (Mit freundlicher Genehmigung VisibleBody)

Darüber hinaus kann AR aber auch zur Darstellung unter der Haut verborgener anatomischer Strukturen am lebenden Menschen genutzt werden. Das gelingt z. B. mit der Technologie des ProjectDR der Universität von Alberta in Kanada, die es erlaubt, CT- und Magnetresonanztomographie(MRT)-Datensätze auf einen sich bewegenden Menschen zu projizieren [31].

So konnte gezeigt werden, dass Medizinstudenten mittels AR genauso effektiv im korrekten Einbringen von Hüftendoprothesenpfannen in ein Modellbecken geschult werden konnten wie durch erfahrene Chirurgen [17]. Auf diese Weise können Studierende einerseits durch wirklichkeitsgetreuere Simulation und eigenes Erleben operative Verfahren besser nachvollziehen und andererseits junge Operateure ihre Lernkurve verkürzen.

AR kann aber auch dabei helfen, die Expertise örtlich weit entfernter Experten über Datenverbindungen hinzuzuziehen, ohne auf die Anschaulichkeit von 3‑D-Strukturen verzichten zu müssen. So konnten US-amerikanische Orthopäden aus Alabama ihre Kollegen in Georgia über ein tabletbasiertes AR-System (Virtual Interactive Presence and Augmented Reality, VIPAR) bei der Implantation einer Schulterendoprothese unterstützen, ohne selbst im Operationssaal anwesend sein zu müssen [10].

In der Literatur werden mehrere Anwendungen der AR für die medizinische Lehre mit vielversprechenden Ergebnissen hinsichtlich eines möglichen Effekts beschrieben [34]. Ein Nachweis, dass, verglichen mit der herkömmlichen Lehre, tatsächlich ein besserer Wissenstransfer erzielt werden kann, steht jedoch bisher aus [4, 11, 23, 34].

Virtual Reality

Der Nachteil der VR gegenüber der AR ist die Notwendigkeit eines umfassenderen Anzeigesystems. Anders als bei der AR bildet die VR die gesamte Umgebung des Anwenders ab und ergänzt nicht nur die Wirklichkeit. Das kann in der Regel nur durch aufwändige Hologrammprojektionen oder die zunehmend verwendeten Stereodisplaybrillen erfolgen. Da bei solch tragbaren Displays bei der Anzeige der virtuellen Umgebung immer auch die Position des Kopfes und der Augen im Raum mitberücksichtigt werden muss, sind die technischen Voraussetzungen komplexer als bei der AR – und damit zumeist auch teurer. Andererseits können so durch VR komplexe Umgebungen wie eine Bauchhöhle oder das Innere eines Gelenks simuliert werden. So stellen auch Arthroskopiesimulatoren eine klassische Anwendung der VR in der Orthopädie und Unfallchirurgie dar, auch wenn hier die Immersion nicht immer vollständig ist (z. B. weil nur auf einen Monitor geblickt wird) und diese deshalb eine Mischform zwischen AR und VR darstellen (Abb. 3). Arthroskopie- und Endoskopiesimulatoren sind aufgrund der aufwändigen Technik äußerst kostenintensiv, haben aber in der Vergangenheit bereits zeigen können, dass sie in der Ausbildung operativer Fähigkeiten unerfahrener Lernender effektiv sind [19]. Es konnte zudem gezeigt werden, dass ein großer Teil der Lernkurve von Ärzten in Weiterbildung für arthroskopische Eingriffe aus dem Operationssaal ins Simulatortraining vorverschoben werden kann [27].

Abb. 3
figure 3

Arthroskopiesimulator: Die Instrumente können in ein Universalphantom (im Vordergrund in Gebrauch) oder in anatomische Modellphantome (z. B. Schulter, im Hintergrund) eingebracht werden. Das Innere des jeweils simulierten Gelenks und die darin vorgenommenen Tätigkeiten sind jedoch immer vollkommen virtuell. (© Universität Leipzig)

Folglich gab in einer Befragung von 56 orthopädischen Chirurgen die große Mehrheit an, dass VR-Applikationen das Potenzial haben, die studentische Lehre und die ärztliche Weiterbildung zu verbessern und dabei die Patientensicherheit zu erhöhen [29]. In einer ähnlichen Umfrage unter 142 neuseeländischen Orthopäden glaubte die Mehrheit der Befragten ebenfalls an einen positiven Effekt der VR auf die Lehre, schätzte diesen aber für die nächsten 5 Jahre als nicht relevant ein [5]. Ältere Kollegen sahen dabei weniger Potenzial der neuen Technologie als die jüngeren.

Ein Nachteil der VR ist jedoch, dass es durch die komplette Immersion für die Lernenden bei bis zu 40 % zu unangenehmen Nebenwirkungen wie Kopfschmerz, Schwindel und Sehstörungen kommen kann [23]. Das führt aktuell noch dazu, dass die AR-Anwendungen verbreiteter eingesetzt werden. Hier bleiben die technischen Entwicklungen mit optimierter Immersion abzuwarten. Das kann beispielsweise durch eine präzisiere Kopplung der visuellen und haptischen virtuellen Realität erfolgen.

3-D-Druck

Um zusätzlich zur 3‑D-Betrachtung auch ein haptisches Erleben zu ermöglichen, werden zunehmend auch 3‑D-gedruckte Modelle genutzt. Der 3‑D-Druck erlaubt es inzwischen, relativ kostengünstig mithilfe segmentierter Bilddatensätze generierte Oberflächenmodelle realer 3‑D-Objekte aus Kunststoff zu erschaffen. Gerade in der Orthopädie und Unfallchirurgie bietet sich an, dass Knochen mit ihrem deutlichen Dichteunterschied zum umliegenden Gewebe in CT-Bilddatensätzen leicht zu segmentieren sind und so 3‑D-druckbare Oberflächenmodelle meist problemlos geschaffen werden können (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Dreidimensionaler (3-D) Druck zur Darstellung individueller Skelettpathologien: Aus CT(Computertomographie)‐Bilddatensätzen werden Oberflächenmodelle errechnet und mittels eines additiven Druckverfahrens in reelle 3‑D-Modelle verwandelt (a); hier als Beispiel ein Becken mit einer pathologischen Darmbeinfraktur links infolge einer osteolytischen Metastase (b)

AR und VR bieten den Vorteil, dass sie bewegte und um Farben oder Klang ergänzte Darstellungen ermöglichen und sich so insbesondere für die Veranschaulichung physiologischer Abläufe wie z. B. Muskelkontraktionen oder Bewegungen des Skeletts eignen. Im 3‑D-Druck geschaffene Modelle erlauben jedoch das direkte Betasten und Bearbeiten individuell für den Lehrzweck geschaffener Modelle. Gerade komplexe 3‑D-Strukturen wie Herzklappen, Mittelgesicht oder Becken und Gelenke lassen sich mit der Kombination von Hand und Auge oft besser erfassen als allein visuell.

In der anatomischen Lehre können strukturelle Erkrankungen individueller Patienten 3‑D-modelliert werden. Auch wenn 3‑D-Modelle die realen Verhältnisse je nach Größe und Fertigungsaufwand mit einer Ungenauigkeit von 1,5–15 % wiedergeben [21], können diese in großer Zahl und deutlich kostengünstiger als z. B. Plastinate zu Verfügung gestellt werden [1]. In einer Umfrage unter Medizinstudenten äußerten 96 % den Wunsch nach 3‑D-Modellen zur besseren Erläuterung struktureller Erkrankungen [14].

Zudem können Studierende und Ärzte in Weiterbildung so an individuell gefertigten 3‑D-Modellen biomechanische Zusammenhänge direkt erleben. Sie können die 3‑D-Modelle aber auch mit echten Instrumenten bearbeiten oder „operieren“ und dann den Effekt ihres Wirkens direkt am Modell erfassen. Gerade die wichtige Haptik während einer Operation kann mit AR und VR beim aktuellen Stand der Technik nicht realitätsnah wiedergegeben werden. Eigenschaften wie die Härte und die Vibrationseigenschaften des Materials sowie die charakteristischen akustischen Phänomene beim Bohren oder Einschlagen von Implantaten in den Knochen können mit geeigneten 3‑D-gedruckten Modellen simuliert werden [2].

Fazit/Schlussfolgerung

Die Digitalisierung ist ein Merkmal des Zeitalters 4.0 und hat bereits ihren Stellenwert in vielen Facetten des medizinischen Alltags und somit auch in der Lehre. Daher kommt technischen Innovationen in der Lehre eine besondere Bedeutung zu. Die Effektivität der Heilung stützt sich allerdings auf die wissenschaftliche Weiterentwicklung und die bewährten klinischen Erfahrungen. An dieser Stelle ist die Relevanz der klinischen Erfahrung festzuhalten. Das Erwerben und die Weiterentwicklung dieser klinischen Erfahrungen erfordern zweifellos die direkte Kommunikation mit Patienten sowie mit Mentoren bzw. Lehrenden. Daher möchten wir die Bedeutung der direkten Kommunikation und der damit verbundenen menschlichen und fachlichen Erfahrung, über die jeder behandelnde Arzt verfügen müsste, hervorheben. Digitalisierte Lehrtools und alle in dieser Arbeit dargestellten technischen Innovationen in der Lehre ersetzen aus unserer Sicht nicht die direkte Kommunikation der Studierenden mit den Lehrenden bzw. den Patienten, sondern stellen zusätzliche Lehrmittel bereit.