1 Problemstellung

Der Neckar kann in vielerlei Hinsicht als Modell für die Belastung von Fließgewässern in Mitteleuropa gelten, da er einer Vielzahl anthropogener Nutzungen unterworfen ist: Um der Hochwassergefahr zu begegnen und den Fluss trotz stark schwankender Wasserführung als Großschifffahrtsstrasse (Transportvolumen: 8–10 Mio t/a; Weiß 2007) nutzen zu können, wurde er von 1925 bis 1968 zwischen Plochingen und Mannheim auf einer Länge von 203 km mit insgesamt 27 Staustufen reguliert (Kobus und Bürkle 1996; Müller et al. 1993), so dass der Neckar heute den Charakter eines natürlichen Fließgewässers weitgehend verloren hat. Gewässermorphologisch sind insbesondere die Uferbereiche infolge der wasserbaulichen Maßnahmen entlang des gesamten schiffbaren Abschnitts als naturfern einzustufen.

Der Fluss hat ein Einzugsgebiet von 14.000 km², in dem ca. 5 Mio. Menschen leben. Er durchfließt mit den Ballungsräumen Stuttgart, Heilbronn und Rhein-Neckar wichtige wirtschaftliche Zentren. Dem stetig steigenden Abwasseraufkommen wurde mit einem konsekutiven Ausbau von Kläranlagen begegnet, so dass die Gewässergüte des Neckars von der Gütestufe III-IV (sehr stark verschmutzt) im Jahr 1975 auf II-III (kritisch belastet) bzw. II (mäßig belastet) im Jahr 1990 gesenkt werden konnte (Schaal und Bürkle 1993). Entlang des Neckars sind 36 Kläranlagen (davon 9 Großkläranlagen) in Betrieb; hinzu kommen ca. 80 weitere Kläranlagen an den Nebenflüssen (Steidle 2007). Über weite Abschnitte im Mittellauf besteht das Wasser des Neckars bis zu 30 % aus Abwasser; in regenarmen Sommern dürfte dieser Wert deutlich überschritten werden. Unabhängig davon unterliegt der Fluss auch weiterhin einer als kritisch einzustufenden thermischen Belastung (ca. 3 °C), die allerdings seit den 1970er-Jahren trotz einer Steigerung der Nennleistung der Kraftwerke von 2300 MW im Jahr 1970 (Ministerium für Ernährung 1973) auf nahezu 7000 MW im Jahr 2007 aufgrund des Baus von Kühltürmen nicht mehr weiter anstieg (Steidle 2007). Neben weiteren Belastungen in Form von unkontrolliertem Oberflächenabfluss, Fischerei, Sand- und Kiesgewinnung sowie Naherholung und Tourismus kommt schließlich als „biologische Bedrohung“ die stark zunehmende, jedoch schwer einzuschätzende Einwanderung von Neozoen hinzu (Rey et al. 2005).

Für die biologische Vielfalt von besonderer Bedeutung ist schließlich der Eintrag toxischer Substanzen, der zusammen mit den anderen Belastungen zu einer deutlichen Verarmung der Besiedlung des Gewässers und einem signifikanten Rückgang der Fischpopulationen geführt hat (Steidle 2007). Nachdem der Neckar in der 1970er-Jahren noch als einer der am stärksten belasteten Flüsse Süddeutschlands (Förstner und Müller 1974) galt, führten Verbesserungen in der Reinigung von Abwässern zu einer deutlichen Reduktion der Verschmutzung (Hollert et al. 2000a; LfU-Baden-Württemberg 2002; Müller et al. 1993; Pinter 1986). Wie an zahlreichen anderen Flüssen in Mitteleuropa und Nordamerika (Burkhardt-Holm 2008; Burkhardt-Holm et al. 2005; Cook et al. 2003; de Lafontaine et al. 2002; Faller et al. 2003; Keiter et al. 2006) hat jedoch die Verbesserung der über klassische Parameter definierten Gewässergüte auch am Neckar nicht zu einer entsprechenden Erholung der Fischpopulationen geführt. Von den ursprünglich 44 im Neckar nachgewiesenen Fischarten (Günther 1853; Lauterborn 1938; Wnuck 2000) sind heute nur noch 34 nachzuweisen – allerdings in z. T. noch immer sehr stark dezimierten Populationen, die zudem einen sehr unnatürlichen Aufbau zeigen (Marthaler und Pawlowski 2005; vgl. auch Wurm 2001 für die Donau). Dass vor allem rheophile Fischarten im Neckar stark zurückgedrängt wurden, ist durch den Ausbau zur Schifffahrtsstraße noch relativ leicht zu erklären. Ansonsten wird zunehmend eine kontinuierliche Belastung mit einer Vielzahl persistierender organischer Schadstoffe als Erklärung für die Artendefizite herangezogen (Burkhardt-Holm et al. 2005; Burkhardt-Holm und Segner 2002; Cook et al. 2003; de Lafontaine et al. 2002; Faller et al. 2003; Hollert et al. 2000a; Keiter et al. 2008), wobei auch am Neckar in gleicher Weise wie in anderen aquatischen Systemen (Ahlf et al. 2002; Brack et al. 2005; Chen und White 2004; Power und Chapman 1992) neben dem freien Wasserkörper vor allem auch Schwebstoffe und Sedimente als Quelle für eine Kontamination von Organismen diskutiert werden (Hollert et al. 2000a, 2002a,b; Kern und Westrich 1995). Analog zu parallelen Weight-of-Evidence-Studien an der Donau (Keiter et al. 2006, 2008; Seitz et al. 2008) und am Rhein (Braunbeck et al. 2005; Kosmehl et al. 2004, 2006, 2007) wurden daher am Unteren Neckar nahe Heidelberg wiederholt Rotaugen (Rutilus rutilus) und Gründlinge (Gobio gobio) aus dem Unteren Neckar hinsichtlich histo- und cytopathologischer Veränderungen in der Leber sowie der Induktion gentoxischer Effekte in Leber-, Darm-, Kiemen- und Blutzellen mit Hilfe von Comet- und Mikrokern-Assay untersucht. Parallel wurden Sedimente aus Aue-ähnlichen Randbereichen am Unteren Neckar in nativem Zustand sowie nach acetonischer Extraktion hinsichtlich teratogener Wirkungen im Fischembryotest mit dem Zebrabärbling (Danio rerio) geprüft. Als Ergänzung wurden die Sedimente schließlich hinsichtlich ihrer (cyto-)toxischen Wirkung auf Fischzellen untersucht.

2 Material und Methoden

Die Untersuchung der Fische aus dem Neckar bzw. die Prüfung von Wasser-, Schwebstoff- und Sedimentproben erfolgten im Rahmen einer Weight-of-Evidence-Studie (Hollert et al. 2002a,b, 2003; Brack et al. 2005; Keiter et al. 2006) zur ökotoxikologischen Belastung des Unteren Neckars (Abb. 1). Im Rahmen einer größeren Testbatterie wurden histo- und cytologische Veränderungen in der Leber von Fischen aus dem Neckar, cytotoxische Effekte in Fischzellen, akut toxische und teratogene Wirkungen in Fischembryonen sowie gentoxische und mutagene Wirkungen in Fischen und Fischzellen untersucht.

Abb. 1
figure 1

Der Neckar mündet bei Mannheim in den Rhein. Die Probenahmestellen „Heidelberg“ und „Krottenneckar/Edingen-Neckarhausen“ liegen am sog. „Unteren Neckar“ kurz vor seiner Mündung. Neu gezeichnet auf der Basis von Hollert et al. (2003)

2.1 2.1 Probenahme und -aufarbeitung

Fische Mit Hilfe eines Senknetzes oder im Rahmen von Elektrobefischungen (November 2004) wurden in den Jahren zwischen 1998 und 2006 am Unteren Neckar (unterhalb der Schleuse Heidelberg; s. Abb. 1) bzw. im Bereich des Naturschutzgebiets „Krottenneckar“ bei Edingen-Neckarhausen; Abb. 2) wiederholt subadulte bzw. geschlechtsreife Rotaugen (Rutilus rutilus) bzw. Gründlinge (Gobio gobio) beiderlei Geschlechts mit einer Länge zwischen 15 und 20 cm bzw. 9 bis 13 cm gefangen. Die Tiere wurden unter kontinuierlicher Belüftung umgehend ins Labor transportiert und dort für die jeweiligen Untersuchungen direkt aufgearbeitet. Alternativ wurden die Tiere mehrere Monate als sog. „Laborkontrolle“ in chlorfreiem Trinkwasser (24°dH) in einem Durchflusssystem bei einer jahreszeitlich angepassten Temperatur zwischen 12 und 18 °C und einem Tag-/Nacht-Rhythmus von 12:12 Stunden gehalten und täglich mit TetraMin Flockenfutter (max. 1 % Körpergewicht; Tetra Werke, Melle) gefüttert. Als zweite Kontrollgruppe wurden Rotaugen von einer kommerziellen Fischzucht (Riegger, Ettenheim) unter gleichen Bedingungen wie die ehemaligen Neckartiere als „Zuchtkontrolle“ mehrere Monate gehältert.

Abb. 2
figure 2

Das Untersuchungsgebiet „Krottenneckar“ bei Edingen-Neckarhausen am Unteren Neckar umfasst einen schmalen Wasserstreifen, der sich zwischen den Flusskilometern 17,08 und 16,75 parallel zum Neckar erstreckt und entlang der Probenahmestellen P1 bis P5 beprobt wurde. Zwischen P1 und P2 fällt das Gerinne des „Krottenneckars“ bei Niedrigwasser trocken. Die Sedimente an den Probenahmestellen P1n und P4n wurden nur im Jahr 2008 untersucht. Als interne Referenzstellen dienten zwei Stellen am Ufer des Neckars (2004: PN; 2008: PN0)

Sedimentproben Je nach Wassertiefe und Zugänglichkeit wurden die Sedimentproben mit Hilfe eines Van-Veen-Sedimentgreifers (Wildco, Wildlife Supply Company, Buffalo, USA) oder einer Edelstahlschaufel entnommen. Um kleinräumige Varianzen (Ingersoll et al. 1997) zu kompensieren, wurden von jeder Probestelle jeweils vier Einzelproben aus den oberen 10–15 cm des Sediments auf einer Fläche von etwa 4 m² homogenisiert, im Labor bei –30 °C tiefgefroren und bei 2,6 mbar gefriergetrocknet (Alpha 1-4, Christ, Osterode). Nach Sieben über ein 2 mm-Edelstahlgitter wurden 20 g trockenes Sediment in 350 ml Aceton p. a. mit 10 Zyklen in 14 h extrahiert (Hollert und Braunbeck 1997). Nach Einengen bei 39 °C und 400 mbar (Rotationsverdampfer Heidolph, Kehlheim) und Evaporation mit N2 fast bis zur Trockene wurden die Extrakte in 1 ml Dimethylsulfoxid (DMSO; Sigma, Deisenhofen) aufgenommen (Hollert et al. 2000a).

2.2 Elektronenmikroskopie

Die Leber als zentrales Stoffwechselorgan wurde als „Spiegel der Umwelt“ (Storch 1985) untersucht, um sowohl chemikalieninduzierte Veränderungen in Fischen in der aquatischen Umwelt (Braunbeck 1998; Braunbeck und Völkl 1993) als auch allgemein mit einer Beeinträchtigung der Gesundheit der Fische einhergehende Symptome aufzuzeigen (Konradt und Braunbeck 2001; Strmac und Braunbeck 2001; Strmac et al. 2002; Triebskorn et al. 2001). Die Probenahme, Fixierung und elektronenmikroskopische Untersuchung erfolgte wie bei Braunbeck et al. (1987), Hofer et al. (1997) bzw. Oulmi et al. (1995) beschrieben.

2.3 Gentoxizitätstests

Comet-Assay Der Comet-Assay nach Belpaeme et al. (1998) bzw. Singh et al. (1991) wurde in der Modifikation von Schnurstein und Braunbeck (2001) bzw. Kosmehl et al. (2004, 2008) auf die intakten Fische bzw. Fischzellkulturen (RTL-W1; Lee et al. 1993; Nehls und Segner 2001) angewandt. Die Auswertung erfolgte über ein automatisches Bildanalysesystem (Optilas, München) und die Auswertungssoftware Comet 3.0™ (Kinetic Imaging, Liverpool, UK); die Ergebnisse wurden als Tail-Moment (Schnurstein und Braunbeck 2001, Seitz et al. 2008) angegeben.

Mikrokerntest Der Mikrokerntest (Schmid 1975) wurde analog zu Al-Sabti und Harding (1990), Ayllon und Garcia-Vazquez (2000), Reifferscheid et al. (2008) bzw. Russo et al. (2004) in den Erythrocyten aus Rotaugen aus dem Unteren Neckar durchgeführt, wobei parallel auch Kerndeformationen erfasst wurden. Die Angabe der Ergebnisse erfolgte als Mikrokernrate, d. h. dem Anteil der Zellen mit Mikrokernen bzw. Deformationen an der Gesamtzahl von 1000 bzw. 2000 untersuchten Zellen (Kosmehl et al. 2008).

2.4 Fischembryotoxizitätstests

Der Fischembryotoxizitätstest (Nagel 2002) wurde in Abhängigkeit vom Jahr der Probenahme in den jeweils neuesten Aktualisierungen nach Braunbeck et al. (2005) bzw. Lammer et al. (2009) durchgeführt. Als Besonderheit schreibt die letzte Aktualisierung eine Absättigung der 6-Well-Platten vor Beginn der Exposition über mindestens 24 h vor und erstreckt sich über eine Expositionsperiode von bis zu 108 h, dem Zeitpunkt der ersten Nahrungsaufnahme bei Embryonen des Zebrabärblings (Lammer et al. 2009). Die Belastung der Embryonen mit nativen Sedimenten bzw. acetonischen Sedimentextrakten erfolgte nach der Beschreibung von Hollert et al. (2003) bzw. Kosmehl et al. (2006, 2008).

2.5 Cytotoxizitätstests

Cytotoxizitätstests wurden nach Segner und Lenz (1993) mit den permanenten Fischzelllinien RTG-2 (Braunbeck 1995, Castaño und Gómez-Lechón 2005, Kosmehl et al. 2004) bzw. RTL-W1 (Keiter et al. 2008; Kosmehl et al. 2004; Lee et al. 1993) nach einer Expositionsdauer von 48 bis 72 h mit der lysosomalen Retention von Neutralrot (2-Methyl-3-amino-7-dimethylaminophenazin) als Endpunkt (Borenfreund und Puerner 1985) bestimmt.

3 Ergebnisse

3.1 Elektronenmikroskopische Veränderungen in der Leber von Rotaugen aus dem Unteren Neckar

Nach einer zweimonatigen Hälterung unter Laborbedingungen in Heidelberger Trinkwasser entsprach die Ultrastruktur der Leber der Rotaugen aus dem Unteren Neckar (Abb. 3) jener von Cypriniden, wie sie in der Literatur nach Perfusionsfixierung beschrieben wurde (Braunbeck und Appelbaum 1999; Braunbeck et al. 1987, 1989; Segner und Braunbeck 1988, 1990): Um einen zentralen Kern mit relativ wenig Heterochromatin lagern sich mehrere konzentrische Stapel von rauem endoplasmatischem Retikulum (RER), in das einige Mitochondrien und ein Golgi-Apparat eingestreut sind, der bei weiblichen Tieren ebenso wie das RER sehr viel stärker entwickelt ist als bei männlichen Fischen. Dieser zentrale organellenhaltige Teil des Cytoplasmas ist streng von den peripheren Zellarealen getrennt („intrazelluläre Kompartimentierung“; Braunbeck et al. 1990), in denen neben umfangreichen Glykogenreserven auch Lipidtropfen zu finden sind. Unmittelbar unter dem Plasmalemma finden sich einige wenige isolierte RER-Zisternen. Mit Einschränkungen gilt diese Beschreibung auch für die Rotaugen aus der Zucht. Im Gegensatz dazu erscheinen die Hepatocyten von Rotaugen, die direkt nach Entnahme aus dem Unteren Neckar fixiert wurden, ungeordnet. Reservestoffe wie Glykogen und Lipid sind deutlich vermindert, vor allem aber sind die umfangreichen Stapel des RER signifikant reduziert (Abb. 4).

Abb. 3
figure 3

Das ultrastrukturelle Erscheinungsbild der Leber von Rotaugen, die über einen längeren Zeitraum als unbelastete Kontrollen im Labor gehalten wurden, ist durch eine klare Trennung in einen zentralen organellenhaltigen Cytoplasmaabschnitt, der vom rauen endoplasmatischem Retikulum (ER) dominiert wird, und periphere Glykogenareale gekennzeichnet

Abb. 4
figure 4

Die insgesamt deutlich kleineren Hepatocyten von Rotaugen aus dem Unteren Neckar, die unmittelbar nach dem Fang fixiert wurden, sind vor allem durch eine starke Reduktion von endoplasmatischem Retikulum und Glykogen charakterisiert. Ga galleausleitendes System, Li Lipid, Mi Mitochondrien

3.2 Gentoxische Effekte in Rotaugen und Gründlingen aus dem Unteren Neckar nach Befunden im Comet- und Mikrokern-Assay

Seit 1998 wurden adulte Fische aus dem Unteren Neckar in unregelmäßiger Folge wiederholt hinsichtlich gentoxischer Effekte untersucht, wobei sich bei jeder Probenahme zwischen 20 und 30 % der untersuchten Rotaugen als stark positiv im Comet-Assay erwiesen; Abb. 5 zeigt drei Beispiele im Vergleich zu Fischen, die über drei Monate als Kontrolle im Labor gehalten worden waren.

Abb. 5
figure 5

Gentoxische Effekte in adulten Rotaugen (Rutilus rutilus) aus dem Unteren Neckar im Comet-Assay: Drei von zehn Individuen zeigten eine starke Zunahme des Tail-Moments (relative Intensität der DNA im Kometen im Vergleich zur Kontrolle mal Kometenlänge) gegenüber den über drei Monate im Labor gehaltenen Kontrollen. Daten aus zwei Replikaten, wobei jeweils 100 Zellen pro Individuum ausgewertet wurden

Die Befunde an Rotaugen konnten durch Untersuchungen an Gründlingen (Gobio gobio) bestätigt werden, die ebenfalls im Jahr 1998 im Neckar gefangen worden waren (Tabelle 1): Vor allem in den Kiemenzellen, aber auch in Darm- und Leberzellen der Neckar-Gründlinge konnten signifikante Zunahmen der Kometenbildung nachgewiesen werden.

Tabelle 1 Gentoxizität in Gründlingen (Gobio gobio) direkt aus dem Neckar bei Heidelberg bzw. aus dem Neckar nach einer dreimonatigen Hälterung unter Laborbedingungen im Trinkwasser („Kontrolle“) nach Befunden im Comet-Assay im Jahr 1998

Da der Comet-Assay eher den Charakter eines Indikatortests besitzt, wurden bei einigen Probenahmen parallel Untersuchungen zur Bildung von Mikrokernen bei Rotaugen und Gründlingen durchgeführt, die die Ergebnisse der Comet-Assays allerdings eindeutig bestätigten; die Mikrokernrate bei Rotaugen erwies sich dabei als grundsätzlich höher als beim Gründling (Abb. 6). Eine Wiederholung der Untersuchungen an adulten Rotaugen vom Unteren Neckar im Bereich des Naturschutzgebiets „Krottenneckar“ auf der Gemarkung der Gemeinde Edingen-Neckarhausen im Jahr 2004 (Abb. 7) ergab sogar deutlich höhere Mikrokernraten als im Jahr 1998.

Abb. 6
figure 6

Mikrokernrate in Erythrocyten aus Gründlingen (Gobio gobio) und Rotaugen (Rutilus rutilus) aus dem Unteren Neckar bei Heidelberg bzw. in Kontrollen aus dem Neckar nach dreimonatiger Hälterung im Labor (Trinkwasser) im Jahr 1998. Daten als Mittelwerte aus n = 12 Fischen ( jeweils 2000 Zellen)

Abb. 7
figure 7

Mikrokernrate in Erythrocyten aus Rotaugen (Rutilus rutilus) direkt aus dem Unteren Neckar bzw. in Kontrollen aus dem Neckar nach dreimonatiger Hälterung im Labor (Trinkwasser) sowie Kontrollen aus einer Fischzucht im Jahr 2004. Die Zahlen neben den Fehlerbalken geben den Bereich der Werte an; Daten als Mittelwert aus n = 10 Fischen ( jeweils 1000 Zellen)

Auch Zellen der permanenten Fischzelllinie RTL-W1 zeigten nach Belastung mit acetonischen Extrakten von Sedimentproben, die dem Naturschutzgebiet „Krottenneckar“ am Unteren Neckar auf der Gemarkung der Gemeinde Edingen-Nackarhausen entnommen worden waren, eine eindeutige Induktion der Schweife im Comet-Assay (Abb. 8: Jahr 2004), wobei die gentoxischen Effekte durch jene Proben am stärksten waren, die an Stellen mit sehr geringer Wasserbewegung und daher starker Sedimentation gezogen worden waren und folglich vor allem durch sehr feine Partikel charakterisiert waren (P3 bis P5).

Abb. 8
figure 8

Gentoxische Effekte in der permanenten Zelllinie RTL-W1 aus der Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss), die im Jahr 2004 Sedimenten an verschiedenen Standorten (P1 bis P5) aus dem Naturschutzgebiet „Krottenneckar“ am Unteren Neckar bzw. Sedimentproben direkt aus dem Neckar bei Edingen-Neckarhausen exponiert worden waren, im Comet-Assay. Daten als Mittelwerte der maximalen Induktionsfaktoren für das Tail-Moment aus n = 2 unabhängigen Testansätzen ( jeweils 100 Zellen)

3.3 Toxizität nativer Sedimentproben und acetonischer Sedimentextrakte im Fischembryotest mit dem Zebrabärbling (Danio rerio)

In der Regel korrespondierte die Stärke der gentoxischen Effekte in RTL-W1-Zellen sehr gut mit der akuten Toxizität der nativen gefriergetrockneten Sedimente gegenüber befruchteten Eiern und Embryonen des Zebrabärblings (Danio rerio), d. h. die feinkörnigen Sedimente von Probenahmestellen mit relativ schwacher Durchströmung übten auch eine starke embryotoxische Wirkung aus (Abb. 9: Jahr 2004). Ein direkter Effekt einer Sauerstoffzehrung konnte weitgehend ausgeschlossen werden, da der Sauerstoffgehalt in der Wasserphase praktisch stets über 3 mg/L lag. Die embryonale Mortalität ging einher mit einer signifikanten Reduktion der Schlüpfrate nach einer Belastungsdauer von 72 und 96 h (Abb. 10, 11).

Abb. 9
figure 9

Toxizität von nativen Sedimenten aus dem Naturschutzgebiet „Krottenneckar“ am Unteren Neckar im Fischembryotest mit dem Zebrabärbling (Danio rerio) nach einer Belastung über 48 Stunden. Daten als Mittelwerte aus 2 unabhängigen Experimenten im Jahr 2004 mit jeweils 20 Embryonen

Abb. 10
figure 10

Schlupfrate im Fischembryotest mit dem Zebrabärbling (Danio rerio) nach Exposition gegenüber nativen Sedimenten vom Unteren Neckar (Jahr 2004, Naturschutzgebiet „Krottenneckar“) nach 96 h Belastung in Abhängigkeit von der Sedimentkonzentration in der Sediment-Quarzmehlmischung ( %). Daten als Mittelwerte der maximalen Induktionsfaktoren für das Tail-Moment aus n = 2 unabhängigen Testansätzen ( jeweils 100 Zellen)

Abb. 11
figure 11

Schlupfrate im Fischeitest mit dem Zebrabärbling (Danio rerio) nach Exposition gegenüber nativen Sedimenten vom Unteren Neckar (nahe Naturschutzgebiet „Krottenneckar“; Jahr 2004) nach 72, 96 und 168 h Belastung in Abhängigkeit von der Sedimentkonzentration in der Sediment-Quarzmehlmischung

Nach Durchführung einer Sanierungsmaßnahme im Jahr 2007 war die Tendenz, dass vor allem feinkörnige Sedimente ein hohes Belastungspotential aufwiesen, nicht mehr so deutlich ausgeprägt, d. h., die acetonischen Extrakte von Sedimenten, die unmittelbar am Eingang zu dem Naturschutzgebiet genommen worden waren, erwiesen sich als toxischer als die Sedimentextrakte von tiefer in dem Auebereich liegenden Probenahmestellen (Abb. 12). Insgesamt waren die Sedimentproben aus dem wenig durchflossenen Naturschutzgebiet jedoch stets deutlich toxischer als die Sedimentproben direkt aus dem Unteren Neckar, die ständig umgelagert werden. Die Sedimentprobe aus dem Neckar selbst war im Vergleich zur Prozesskontrolle mindestens doppelt so toxisch.

Abb. 12
figure 12

Toxizität acetonischer Extrakte von Sedimenten aus dem Naturschutzgebiet „Krottenneckar“ am Unteren Neckar im Fischembryotest mit dem Zebrabärbling (Danio rerio) nach einer Belastung über 48 Stunden im Jahr 2008. Daten als Mittelwerte aus 2 unabhängigen Experimenten im Jahr 2008 mit jeweils 20 Embryonen. Äquivalent-Konzentration der Sedimentprobenextrakte: 40 mg/ml SEQ in Kunstwasser. Pk Prozesskontrolle (Extrakt aus leerer Extraktionshülse); PN0 Probenahmestelle Unterer Neckar; P1 bis P5 Probenahmestellen im Naturschutzgebiet „Krottenneckar“

3.4 Cytotoxizität acetonischer Sedimentextrakte vom Unteren Neckar

Im Vergleich zum Fischembryotoxizitätstest stellt der Cytotoxizitätstest mit permanenten Fischzelllinien einen echten In-vitro-Test dar; im Zusammenhang mit der vorliegenden Studie wurde er jedoch vor allem zum Ausschluss einer Interferenz zwischen Cytotoxizität und Gentoxizität durchgeführt. Die Gentoxizitätstests erfolgten stets nur bis zu Sedimentkonzentrationen, die sich im entsprechenden Cytotoxizitätstest als untoxisch erwiesen hatten. Im Jahr 2008 war die Sedimentprobe, die direkt am Neckar in der Nähe des Naturschutzgebiets „Krottenneckar“ gezogen worden war, relativ wenig toxisch, während die Sedimentproben innerhalb des Naturschutzgebiets „Krottenneckar“ selbst ein relativ hohes toxisches Potenzial aufwiesen (Brauns 2008; Abb. 13).

Abb. 13
figure 13

Cytotoxizität acetonischer Extrakte von Sedimenten aus dem Naturschutzgebiet „Krottenneckar“ am Unteren Neckar im Cytotoxizitätstest mit der permanenten Zelllinie RTL-W1 nach einer Belastung über 48 Stunden (Jahr 2008): Das toxische Potenzial der in den Krottenneckar eingeschwemmten Sedimente ist deutlich höher als das der Sedimente im Neckar selbst. PN0 Probenahmestelle Unterer Neckar; P1n bis P5 Probenahmestellen im Naturschutzgebiet „Krottenneckar“

4 Diskussion

Die vorliegenden Daten belegen, dass in Fischen und Sedimenten aus dem Neckar trotz einer deutlichen Verbesserung der allgemeinen Gewässergüte (LfU-Baden-Württemberg 2002; Steidle 2007) weiterhin eine ökotoxikologische Belastung nachgewiesen werden kann. Es kam zwar durchaus zu einer partiellen Erholung der Fischbestände im Neckar (Steidle 2007), und es werden keine akuten Fischsterben mehr beobachtet. Vor allem die teratogenen und gentoxischen Effekte geben jedoch nach wie vor Anlass zur Besorgnis, da beide Endpunkte eine erhöhte Relevanz für die Entwicklung von Fischpopulationen haben können (White et al. 1998, 1999).

Methodisch gesehen ergab sich parallel zur Verbesserung der Wasserqualität auch die Notwendigkeit zu einem Wandel in der Methodik der Umweltüberwachung: (1) Die routinemäßige Überwachung der Gewässerbelastung durch ein rein chemisch-analytisches Monitoring auf prioritäre Stoffe ist grundsätzlich zu überdenken, da sich das Spektrum der relevanten Stoffe nicht nur verändert, sondern auch beträchtlich erweitert haben dürfte. (2) Der Übergang von einer offensichtlichen Belastung durch eine limitierte Anzahl prioritärer Stoffe in relativ hohen Konzentrationen hin zu einer Belastung mit einer Vielzahl von sehr diversen Stoffen mit z. T. sehr spezifischer biologischer Wirkung in sehr niedrigen Konzentrationen bedingt eine Abkehr von klassischen ökotoxikologischen Verfahren, die sich im wesentlichen auf die Bestimmung akuter Toxizität beschränkten und eine Zuwendung zu weit subtileren Methoden, die nicht nur akute Mortalität, sondern eine ganze Palette von spezifischen Wirkungen anzeigen (Segner und Braunbeck 1998). Eine Kombination verschiedener Testverfahren mit unterschiedlichen Endpunkten auf verschiedenen Ebenen biologischer Organisation wird dadurch unabdingbar (Braunbeck 1996; Castaño et al. 2003; Escher et al. 2005; Hinton et al. 2001; Keiter et al. 2006, 2008; Navas et al. 2006; Scheil et al. 2008; Segner und Braunbeck 1998; Zahn et al. 1996) – eine „Testbatterie“ also, die nicht verschiedene Organismen (vgl. z. B. Davoren et al. 2005), sondern verschiedene funktionelle und strukturelle Endpunkte vereint.

In der vorliegenden Studie wurde eine Auswahl von Parametern untersucht, die für Fische als Zielorganismen von Bedeutung sein können: (1) cytopathologische Veränderungen in der Leber als genereller Indikator für den Gesundheitszustand der Fische im Unteren Neckar; (2) akute Cyto- und Embryotoxizität als Spiegel allgemeiner akuter Toxizität; (3) Embryotoxizität zusätzlich als Ausdruck teratogener Wirkungen; (4) Gentoxizität als potenzieller Anzeiger einer generationenübergreifenden Schädigung. Eine vollständige Weight-of-Evidence-Studie sollte natürlich deutlich mehr Verfahren vereinigen (Keiter et al. 2006); weitere ökotoxikologische Untersuchungen wurden von Duerr et al. (1996) sowie Hollert et al. (1996; 2000a,b; 2002a,b) publiziert.

Das elektronenmikroskopische Erscheinungsbild der Leber der Rotaugen aus dem Unteren Neckar belegt eindeutig eine erhebliche Stresssituation der Fische (Braunbeck 1989, 1994, 1998; Hinton et al. 2001; Segner und Braunbeck 1998). Insbesondere die schwache Entwicklung des Proteinsyntheseapparates (endoplasmatisches Retikulum, Golgi-Apparat) deutet auf eine Störung von Protein-, Lipid- und Lipoproteinsynthese hin (Segner und Braunbeck 1998); das fast vollständige Fehlen zellulärer Reservestoffe ist in Anbetracht des generell guten Nahrungsangebots im Unteren Neckar (gute Entwicklung des Makrozoobenthos) ebenfalls sicher nicht als Normalzustand zu interpretieren (Braunbeck 1992).

Die Mortalität im Fischembryotest infolge einer Belastung mit nativen Sedimenten vom Unteren Neckar ist im Vergleich mit analogen, z. T. früheren Untersuchungen am Neckar (Hollert et al. 2000a), im Neckar-Einzugsgebiet (Hollert et al. 2003), an der Donau (Seitz 2005) und am Oberrhein (König 2002) als relativ hoch einzustufen (Abb. 14). Während in den genannten Vergleichsstudien meist eine breite Streuung der EC50-Werte und nur für einzelne Probenahmestellen Werte herunter bis unter 10 % der nativen Sedimentkonzentration gemessen wurden, ergaben die Untersuchungen im Naturschutzgebiet „Krottenneckar“ im Jahr 2004 durchgehend EC50-Werte zwischen 10 und 20 %. Diese nicht unerhebliche Toxizität der Sedimente gerade gegenüber frühen Entwicklungsstadien von Fischen kann durchaus als einer der Gründe für die Beobachtung herangezogen werden, dass vor allem über das Winterhalbjahr auch am Unteren Neckar beträchtliche Anteile der Jährlinge verschwinden.

Abb. 14
figure 14

Vergleich der Mortalität (48 h) im Fischembryotest mit dem Zebrabärbling (Danio rerio) mit nativen Sedimenten von „Krottenneckar“, Donau (Seitz 2005), Neckar (Hollert et al. 2000b), Neckar-Einzugsgebiet (Hollert et al. 2003) und Oberrhein (König et al. 2002); jeweils mehrere Probestellen

Die Befunde zur Embryotoxizität decken sich hierbei weitgehend mit den Erkenntnissen zur Cytotoxizität, d. h., die Schadstoffe, die offensichtlich an die Sedimentpartikel adsorbiert sind, üben keine toxische Wirkungen auf spezielle Mechanismen in intakten Organismen aus, sondern wirken generell zelltoxisch. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Untersuchungen zumeist mit nativen Sedimenten durchgeführt wurden, also durchaus ein ökologisch sehr relevantes Expositionsszenario gewählt wurde (Hollert et al. 2003). Die Tatsache, dass die relativ feinen Sedimente, die sich im Bereich des Naturschutzgebiets „Krottenneckar“ ablagern, deutlich toxischer wirken als Sedimente direkt aus dem Neckar, die vor allem durch die Schifffahrt kontinuierlich relativ starker Wasserbewegung und daher Umlagerung ausgesetzt sind, spricht dafür, dass die Schadstoffe vor allem über sehr feine Schwebstoffpartikel mit hohem Gehalt an organischen Komponenten verfrachtet werden.

Im Gegensatz dazu ist das Ausmaß der Induktion von Kometen durch Sedimente vom Unteren Neckar im Comet-Assay mit permanenten Fischzelllinien im Vergleich zu Sedimentproben von Rhein und Donau (Böttcher 2005; Seitz et al. 2008) als eher gering einzustufen (Abb. 15). Gemäß einer Einschätzung von Schnurstein (2000) sind Tail-Moments über 5, die sowohl von Rotaugen als auch Gründlingen aus dem Unteren Neckar sehr wohl erreicht werden, jedoch ebenfalls als Indikatoren für eine deutliche Schädigung der DNA zu interpretieren (Tabelle 2). Obwohl der Comet-Assay inzwischen in zahlreichen Studien erfolgreich eingesetzt wurde (Cotelle und Ferard 1999; Fairbairn et al. 1995; Kosmehl et al. 2004; McKelvey-Martin et al. 1993; Mitchelmore und Chipman 1998), ist doch zu bedenken, dass er nur eine Indikatorfunktion für eine Schädigung besitzt, jedoch nicht notwendigerweise mit einer permanenten Schädigung der DNA einhergehen muss (Braunbeck et al. 2003).

Abb. 15
figure 15

Vergleich der maximalen Induktionsfaktoren (IF max ) im Comet-Assay mit acetonischen Sedimentextrakten und RTL-W1-Zellen vom „Krottenneckar“ sowie von Donau (Böttcher 2005) und Rhein (Kosmehl et al. 2004); jeweils mehrere Probestellen

Tabelle 2 Charakterisierung der DNA-Fragmentierung (verändert nach Schnurstein 2001)

Im Gegensatz zu dem „Durchgangsphänomen“ DNA-Strangbruch als Endpunkt im Comet-Assay stellt der Verlust von Chromosomenbruchstücken oder ganzen Chromosomen, wie er im Mikrokerntest nachgewiesen wird, einen irreparablen genetischen Schaden dar, der entweder auf Chromosomenbrüche zurückzuführen ist (clastogene Wirkung; vgl. z. B. Amdao et al. 2006) oder aber auf Störungen der Funktion des Spindelapparats (aneugene Wirkung; vgl. z. B. Digue et al. 1999) beruht. Im Vergleich mit Barben (Barbus barbus) aus der Donau (Böttcher 2005) weisen sowohl Rotaugen als auch Gründlinge aus dem Unteren Neckar durchgehend geringere Mikrokernraten auf (Abb. 16); ob dies jedoch auf artspezifische oder ortsspezifische Unterschiede zurückzuführen ist, kann derzeit nicht geklärt werden (vgl. Grisolia und Cordeiro 2000). Freilandstudien an Barben (Barbus plebejus) und Moskitofischen (Gambusia spec.) von unterschiedlich kontaminierten Flüssen in Italien (Minissi et al. 1996; Russo et al. 1999, 2004) belegen, dass Mikrokernraten zwischen 0,15 und 0,32 ‰ gegenüber Kontrollwerten von 0,05 ‰ bereits sehr gut mit dem Belastungsgrad der Gewässer in Einklang gebracht werden können. Auch eine Exposition von Tilapien (Oreochromis niloticus) gegenüber stark kontaminierten Standorten in Brasilien (Tiete River) führt zu einer Zunahme von Mikrokernraten in Erythrocyten von 1 ‰ bei Kontrollfischen auf Raten von bis zu 6 ‰ (Rocha et al. 2009). Zahlreiche weitere Studien belegen die grundsätzliche Eignung des Mikrokerntests für die Identifikation gentoxischer und mutagener Effekte in Fischen im Freiland (Al-Sabti und Harding 1990; Al-Sabti und Metcalfe 1995; Balch et al. 1995; Carrasco et al. 1990; Das und Nanda 1986; De Flora et al. 1993; Devaux et al. 1998; Hose et al. 1987; Hughes und Hebert 1991; Maccubin et al. 1991; Metcalfe et al. 1990).

Abb. 16
figure 16

Mikrokernrate im Erythrocyten von Rotaugen (Rutilus rutilus) aus dem „Krottenneckar“, Barben (Barbus barbus) aus der Donau (Böttcher 2005; Standorte 1 bis 4) und Rotaugen sowie Gründlingen (Gobio gobio) aus dem Neckar (Schnurstein 2000); K Kontrollgruppe, W Wildfänge

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Untersuchung gentoxischer und mutagener Effekte wie auch anderer toxischer Effekte mit Hilfe von Sedimentextrakten ein „Worst-Case-Szenario“ darstellen, d. h., es wird das maximale Schädigungspotenzial erfasst, ohne die tatsächliche Bioverfügbarkeit zu berücksichtigen. Dennoch konnte generell bereits in mehreren Studien eine Korrelation zwischen der Induktion gentoxischer Effekte und populationsrelevanten Veränderungen gezeigt werden (Chen und White 2004; Diekmann et al. 2004a,b; White et al. 1999). Ein schlüssiger Beweis der ökologischen Relevanz mutagener und vor allem gentoxischer Effekte steht jedoch aus, solange keine überzeugenden Studien zur Gentoxizität und Mutagenität in Reproduktionsorganen vorliegen.

5 Schlussfolgerungen

Trotz einer deutlichen Verbesserung der allgemeinen Gewässergüte zeigen zahlreiche mitteleuropäische und nordamerikanische Gewässer keine entsprechende Erholung der Fischpopulationen. Ökotoxikologische Untersuchungen liefern für zahlreiche Endpunkte Befunde, die neben anderen Faktoren als Gründe für die Erklärung der beobachteten Artenfehlbeträge herangezogen werden können.

Untersuchungen zur biologischen Wirksamkeit von Schadstoffeinträgen sind keinesfalls durch chemisch-analytische Methoden zu ersetzen. Mit Hilfe der biologischen Tests ist es zwar nicht möglich, die chemische Natur der Substanzen zu identifizieren, die die Effekte auslösen; die Biotests belegen jedoch, dass auch der Neckar wie andere Flusssysteme nach wie vor anthropogenen Belastungen ausgesetzt sind, sei es durch unvollständige Klärung von Abwässern (Ahel et al. 1996; Garcia-Reyero et al. 2001; Hollert et al. 2005; Lee et al. 2004; Murk et al. 2002), durch atmosphärische Deposition (Erdinger et al. 2005) oder durch Oberflächenabfluss von landwirtschaftlichen Nutzflächen (Pedersen et al. 2003, Schulz und Liess 1999) oder versiegelten Siedlungsflächen (Fries und Puttmann 2003; Maltby et al. 1995). Dabei dürfte neben typischen prioritären Schadstoffen eine zunehmende Anzahl weiterer Substanzen (z. B. endokrin und gentoxisch wirksame Verbindungen) eine Rolle spielen (Faller et al. 2003; Vos et al. 2000; White et al. 1998).

Die in den letzten Jahrzehnten erreichte Verbesserung der Wasserqualität darf also nicht als Argument für ein Aussetzen regelmäßiger biologischer Untersuchungen („Umweltbeobachtung“) herangezogen werden. Für eine angemessene Bewertung subletaler und/oder spezifischer biologischer Effekte in Organismen (z. B. gentoxische oder endokrine Wirkungen) ist deren Relevanz für Veränderungen der Strukturen von Populationen allerdings dringend zu klären. Zur Identifikation der chemischen Grundlage für die beobachteten biologischen Wirkungen bieten sich integrierte Ansätze wie etwa Effekt-dirigierte Analysen an (Brack et al. 1999, 2005).